Читать книгу Briefe an eine Freundin - Wilhelm von Humboldt - Страница 23
ОглавлениеIch habe Ihren Brief, liebe Charlotte, empfangen, und danke Ihnen von ganzem Herzen dafür. Es gehört immer zu meinen angenehmsten Empfindungen, etwas von Ihnen zu erhalten, und jemehr ich darin Ihre treue und liebevolle Anhänglichkeit erkenne, desto tiefer ist der Eindruck, den Ihre Zeilen auf mich machen. Die Erinnerung der Vergangenheit gesellt sich alsdann zu dem Genuß der Gegenwart, und ich rechne es immer zu den günstigsten Schicksalen meines Lebens, daß Sie mein Andenken haben bewahren wollen, und daß, wie mich Ihnen Beschäftigungen, Schicksale genähert haben, Sie fortdauernd Wert auf meine Teilnahme legen, in meine Ideen eingehen, und es sich selbst für ein Glück, ja wohl gar mir zum Verdienst anrechnen, daß mir Empfindungen blieben, die nur mit meinem eigenen Leben aufhören können. Es könnte mich dieser Beifall eigentlich stolz machen, allein dazu habe ich keine Anlage. Ich kenne mehr, wie irgendeiner, meine Fehler und Schwächen und weiß, daß es kein Verdienst genannt werden kann, daß, wenn man einmal vom Schicksal gewürdigt worden ist, das natürlich Treffliche und Gediegene zu sehen, wenn es sich, auch durch eine Gabe des Glücks, einem wirklich erschlossen hat, man es nun auch im Tiefsten der Seele festhält und sich nicht wieder entreißen läßt. Für ein solches Glück halte ich es, daß ich Sie einmal sah und Sie mir blieben, und fortfuhren, mir mit Treue anzuhängen, sich noch jetzt gern und willig mir unterordnen und mir erlauben, Ihnen so vertraulich zu schreiben. Ich habe die Stimmung von der Natur empfangen, die ich für eine ihrer wohltätigsten Gaben halte, daß ich das Unglück nie fürchte, ja, wo es mich betraf, und das ist doch einigemal auf sehr harte Weise geschehen, es nur als einen ernsten, aber nicht übelwollenden Begleiter betrachte; dagegen das Glück unendlich schätze, erkenne und genieße. Ich meine aber so das recht reine Glück, das, von allem Verdienst entblößt, uns die Götter schicken, ohne daß der Mensch dazu das mindeste tut. Ein solches Glück war es, daß Sie mir je begegneten, daß mir ein irdisches Bild vor Augen trat, das mir immer blieb und immer bleiben wird, mit dem nichts meinen Frieden stören kann und stören wird. Denn selbst, wenn es möglich wäre, daß Sie etwas anwandelte, das ich mißbilligen müßte, so bliebe jenes Bild ewig rein und unentweiht in mir. Es wäre dann etwas, das Ihnen so begegnete, wie es jedem Menschen wohl begegnen kann, es wäre aber nicht in die Züge verwebt, die den Umriß jenes Bildes ausmachen. Denn jeder Mensch trägt eigentlich, wie gut er sei, einen noch besseren Menschen in sich, der sein viel eigentlicheres Selbst ausmacht, dem er aber wohl einmal untreu wird, und an diesem inneren und nicht so veränderlichen Sein, nicht an dem veränderlichen und alltäglichen muß man hängen, auf jenes dieses zurückführen, und manches verzeihen, woran jenes tiefere Sein unschuldig ist. So hatte ich ja auch nie geahnt, welchen Schatz von Liebe und Treue Sie mir ein langes Leben bewahrten. Wie sollte es mich nicht beglücken! Diese Empfindungen, die Sie für mich hegen, die Gefühle, die aus jedem Ihrer Briefe sprechen, sind ja der Grund, auf dem alles, was wir miteinander wechseln, rein und schön hinfließt, von dem es die Farbe annimmt und in dessen Licht es erscheint. Darin liegt auch der große Reiz, den Ihre Lebensbeschreibung für mich hat. Jemehr ich die Umgebungen kennen lerne, in denen Sie, meine gute Charlotte, aufwuchsen, jemehr ich Sie mir darin denke, desto mannigfaltiger bewegt schweben mir die Züge vor, an die meine Einbildungskraft immer gern und lieblich geheftet ist. Solchen Genuß der Phantasie rechne ich zu den höchsten, die den Menschen gegeben sind, und in vieler Rücksicht ziehe ich ihn der Wirklichkeit vor. In diese kann immer leicht etwas störend eintreten, aber jene nähert sich den Ideen, und das Größte und Schönste, das Menschen zu erkennen imstande sind, bleiben doch die reinen, nur mit dem inneren Blick erkennbaren Ideen. In ihnen zu leben ist eigentlich der wahre Genuß, das Glück, was man ohne Beimischung irgendeiner Trübheit in sich aufnimmt. Nur haben wenig Menschen eigentlich Sinn dafür. Denn es gehört dazu eine Neigung der Beschauung, die in Menschen unmöglich ist, bei denen Sinnlichkeit und innere moralische Empfindung in Verlangen zur Wirklichkeit und zum Genuß übergehen. Ich bin von diesem Verlangen mein ganzes Leben hindurch sehr frei gewesen und habe daher mehr durch den Anblick vom Inneren und Äußeren genossen, und in beiden Rücksichten mehr die Wahrheit der Dinge erkannt, ohne mich Täuschungen hinzugeben.
Sie haben mich, liebe Charlotte, schon vor längerer Zeit gebeten, Ihnen Nachricht von den Meinigen zugeben; Sie haben den Wunsch leise erneuert und sprechen ihn jetzt wieder auf eine so zart empfundene Art aus, daß ich mir fast einen Vorwurf darüber mache. Sie sagen: die nahen Angehörigen geliebter Männer seien für Frauen unendlich teure, geheiligte Gegenstände; die Kinder, Teile seines Wesens, die Lebensgefährtin, als die Mutter dieser, würden in dem Grade, wie sie den Geliebten beglücken, von der innigsten Zärtlichkeit umfaßt. Indem ich es zu würdigen weiß, aus wie edler Quelle dergleichen Äußerungen kommen, danke ich Ihnen recht herzlich dafür. Ich habe es nur von Brief zu Brief verschoben, weil ich gewöhnlich das letzte Wort eines Blattes und die letzte Viertelstunde der Zeit erreichte, ehe ich dazu kam. Ich fange bei meiner Frau an, da ich mich nicht erinnere, ob Sie wissen, wer sie eigentlich ist. Wenn ich Ihnen also etwas sage, was Ihnen bekannt ist, so seien Sie mir darum nicht böse. Sie war ein Fräulein von Dacheröden, in ihrer Jugend sehr schön, und, ob sie gleich acht Kinder gehabt hat, noch viel mehr erhalten, als es Frauen, die nicht in dem Falle sind, gelungen ist. Sie ist seit einiger Zeit kränklich, aber auf keine Weise, die Besorgnis erregte, oder ihre natürliche Heiterkeit störte. Burgörner gehört ihr und ist eins ihrer Güter, dahingegen Tegel und die schlesischen mir gehören. Unsere Ehe wurde bloß durch gegenseitige Neigung, ohne alles Zutun von Eltern und Verwandten, geschlossen, sie hat in den einunddreißig Jahren, die sie nun währt, nie einen nur weniger zufriedenen Moment gehabt, unser Glück ist gegenseitig heute, wie im Anfang, und hat nur die Farbe der verlaufenden Zeit nach und nach angenommen. Da wir beide von Natur heiter sind, so ist unser Verhältnis selbst jugendlicher geblieben, als es sonst der Fall sein würde. Meine Geschäfte haben uns manchmal lange voneinander getrennt, aber seitdem ich freie Muße genieße, sind wir fast ununterbrochen zusammen, und dies fortsetzen zu können, wird mich vorzüglich bewegen, wenn es nicht durchaus sein muß, nicht wieder in Dienst zu treten. Gleich nach meiner Verheiratung lebte ich auch außer Dienstverhältnissen über zehn Jahre lang, und reiste damals mit meiner Frau nach Frankreich und Spanien. Jetzt in der Stadt berühre ich fast die Straße mit keinem Fuß, und fahre auch selten aus. Auf dem Lande gehen wir immer zusammen spazieren, oder sind beide zu Hause. Von unsern acht Kindern haben wir leider drei, eins in Paris, zwei in Rom, verloren, als ich dort Gesandter war. Jetzt haben wir noch drei Töchter und zwei Söhne. Die älteste Tochter wird sich schwerlich verheiraten, sie bleibt gern mit uns, und wir würden sie, da sie so lange mit uns gewesen ist, noch ungerner missen. Meine beiden andern Töchter sind verheiratet; die zweite heiratete, ehe sie noch fünfzehn Jahre alt war, und ihr Mann in den Krieg ging. Sie hat den Obrist-Lieutenant von Hedemann zum Manne und lebt überaus glücklich. Die jüngste ist an den Geheimrat von Bülow verheiratet, der Legations-Sekretär bei mir in London war, und jetzt hier bei dem auswärtigen Departement steht. Sie hat eine Tochter, die bald ein Jahr alt sein wird, und lebt gleichfalls sehr heiter und in ihrer Häuslichkeit zufrieden. Mein jüngster Sohn ist noch im Hause und wird bei mir erzogen. Mein ältester ist Kavallerieoffizier in Breslau und hat eine schöne und liebenswürdige Frau. Sie hat leider noch keine Kinder. So wissen Sie wenigstens im ganzen so viel, daß Sie sich meine Familie und mein Leben in derselben vorstellen können. Außer meiner Familie sehe ich wenig Leute. In Privathäuser gehe ich selten, nur zu einigen alten Bekannten.
Ich muß nun schließen, das Papier ist zu Ende. Leben Sie herzlich wohl, liebe Charlotte. Mit der unwandelbarsten und wärmsten Anhänglichkeit der Ihrige. H.