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Burgörner, im Juli 1822.

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Inhaltsverzeichnis


Ich habe zwei recht liebe Briefe von Ihnen bald nacheinander empfangen, liebe Charlotte, die mir herzliche, wahre Freude gemacht haben, und wofür ich Ihnen ebenso herzlich danke. Die Güte und Liebe, die Sie mir so treu, wahr und natürlich bezeigen, tut meinem Herzen unendlich wohl, und wenn ich auch fühle, daß, wenn Sie von mir reden, das nur nach der Art ist, wie Sie mich ansehen, nicht gerade wie ich wirklich bin, so freut es mich, selbst da ich viel abbrechen muß, da ja dies liebevolle Zusetzen eine Folge und ein Beweis Ihrer Empfindung ist. Die Erinnerungen an Pyrmont haben mich sehr gefreut, auch mir steht noch vieles, sehr vieles in der Erinnerung von jener Zeit her. Mancher Gespräche unter uns erinnere ich mich auch noch. Es war in jener Zeit und selbst in der Gegend eine Scheide im Urteil über viele Dinge, auch über Dichtungen und Charakterformen, die in jeder Zeit sehr in Verbindung miteinander stehen. Die einen lebten mehr in Klopstock, den Stolbergen, und den Dichtern und Theaterstücken, die ruhiger und weniger excentrisch hinliefen; die andern mehr in Goethe, Schiller, von dem man damals eigentlich nur die ersten Stücke hatte (Die Räuber, Fiesko), und allem Regellosen, Excentrischen. Ich stand noch sehr unentschieden. Sie schienen mir mehr auf die erste Weise gebildet. Ich erinnere mich, daß Sie die Schillerschen Stücke nicht liebten. Alles das ist mir sehr im Gedächtnis geblieben, und ist mir noch heute, selbst außer der Persönlichkeit, merkwürdig, weil sich seit jener Zeit, auch in den inneren Ansichten, viel mehr verändert hat, als die doch nicht so unendlich lange Reihe der Jahre voraussehen ließe. Darum ist es mir auch sehr angenehm, wenn Sie, liebe Charlotte, gerade in Ihrer Jugend recht lange verweilen, in der Fortsetzung Ihrer Lebenserzählung. Ich werde Ihnen sehr dankbar sein, wenn Sie sich dieser Arbeit recht sorgfältig unterziehen. Auch wünschte ich genauer zu erfahren, durch welche Bücher Sie schon früh eine so ungewöhnlich ernste Bildung und Stimmung bekommen haben, und wie und wodurch diese in späteren Jahren sich so sehr befestigt hat. Ich wiederhole auch hier, Sie können in dem allen nicht weitläufig genug sein. Über das: jemand nach seinem Charakter behandeln, kann ich nicht ganz Ihrer Meinung sein. Ich tue es immer, einesteils weil es leicht zum Zwecke führt, dann, weil ich nicht berufen bin, auf den Charakter der Menschen gegen ihren Willen einzuwirken, endlich, weil die Menschen dabei glücklich und heiter bleiben und man gern Glück und Heiterkeit um sich verbreitet. Allein, was mich selbst betrifft, so wünsche ich immer und tue alles dazu, daß mich die Menschen nicht nach meinem Charakter nehmen mögen. Denn was heißt das anders, als den Charakter, wie er nun einmal ist, für abgeschlossen und unveränderlich annehmen, und ihn in allem, was er in sich enthält, zu bestärken? Nun aber ist keines Menschen Charakter fehlerfrei, es heißt also auch, den Menschen in seinen Fehlern bestärken. Ich weiß wohl, daß es mich manchmal tief schmerzt, wenn ich gegen meinen Charakter behandelt werde, allein ein solcher innerer Schmerz ist allemal heilsam, und das wahre Glück beruht gar nicht auf Schmerzlosigkeit. In dem Grade nun, daß die Menschen meines vertrauten Umgangs mir zu erkennen geben, daß Sie auch gern mit Kraft und Selbstverleugnung an sich arbeiten, daß sie heilsame Schmerzen nicht scheuen, behandle ich auch sie weniger mit Rücksicht auf ihren Charakter, und so könnte ich wohl bisweilen gegen die, welche mir innerlich am nächsten stehen, gerade am wenigsten schonend erscheinen. – Es tut mir sehr leid, aus einzelnen Äußerungen zu erkennen, daß Sie leidend waren, vielleicht noch sind. Schonen Sie sich, liebe, gute Charlotte, schonen Sie sich auch für mich, denken Sie, daß es mich unendlich bekümmert, Sie leidend zu wissen. Ihre Ruhe, Ihre Heiterkeit, vor allem Ihre Gesundheit ist es, worauf es mir ankam. Frauen sind darin glücklicher und unglücklicher als Männer, daß ihre meisten Arbeiten von der Art sind, daß sie während derselben meist an ganz etwas anderes denken können. Ich würde es ein Glück nennen. Denn man kann ein ganz inneres Leben fast den ganzen Tag fortführen, ohne in seinen Arbeiten oder in seinem Berufe dabei zu verlieren oder gestört zu werden. Es ist das auch wohl ein Hauptgrund, warum wenigstens viele Frauen die Männer in allem übertreffen, was zur tieferen und feineren Kenntnis seiner selbst und anderer führt. Allein, wenn jene inneren Gedanken nicht beglückend, oder wenn sie wenigstens das nicht rein und unvermischt sind, sondern niederschlagend und beunruhigend dabei, so ist allerdings die Gefahr größer, welche die innere Ruhe bedroht; da Männer in ihren Geschäften selbst, auch wider ihren Willen, Zerstreuung und Abziehung von einem das Innere einnehmenden Gedanken finden.

Fürchten Sie nie, daß mir Ihre entschiedene Vorliebe für die einsame Stille, die Sie sich selbst geschaffen haben, mißfallen könne. Gerade das Gegenteil. Die Zeichnung Ihres kleinen Landhauses und Gartens, die Ihrem letzten Brief beigelegt war, hat mir Vergnügen gemacht; es ist angenehm, sich mit jemand, den man liebt, alle Umgebungen denken zu können. Die Einseitigkeit, welche, wie Sie sagen, Ewald für Sie gefürchtet und darum die große Zurückgezogenheit, worin Sie leben, nicht ganz gebilligt habe, ist allerdings etwas, das nicht taugt. Einmal aber ist sie bei Ihnen nicht zu besorgen, andernteils auch kann man doch für sehr vieles verstummen, ohne zu verarmen im Innern, oder dem Wahren, Guten und Schönen abzusterben.

Die Abgeschiedenheit spannt alle Vermögen eines weiblichen, in sich zarten und tiefen Gemüts höher, läutert die Seele und zieht sie ab von den kleinlichen, zerstreuenden Rücksichten, worein Frauen leichter verfallen als Männer. Auch gibt eine Frau, die die Einsamkeit liebt und in ihr lebt, gleich den Begriff, daß sie keine Freude sucht, als die sie aus der Tiefe ihres eigenen Innern schöpft, und das ist das Haupterfordernis, um einem selbst tiefer und besser fühlenden Mann zu gefallen und ein bleibendes, unwandelbares Interesse einzuflößen.

Die wenigsten Menschen verstehen, wie unendlich viel in der Einsamkeit liegt, und gerade für eine Frau liegt. Wenn sie verheiratet ist und Kinder hat, ist ihr Familienkreis ihre Einsamkeit, im entgegen gesetzten Fall aber ist es eine absolute, in der man wirklich allein lebt und wenig Menschen sieht.

Das Glück vergeht und läßt in der Seele kaum eine flache Spur zurück und ist oft gar kein Glück zu nennen, da man dauernd dadurch nicht gewinnt. Das Unglück vergeht auch (und das ist ein großer Trost), läßt aber tiefe Spuren zurück, und wenn man es wohl zu benutzen weiß, heilsame, und ist oft ein sehr hohes Glück, da es läutert und stärkt. Dann ist es eine eigene Sache im Leben, daß, wenn man garnicht an Glück oder Unglück denkt, sondern nur an strenge, sich nicht schonende Pflichterfüllung, das Glück sich von selbst, auch bei entbehrender, mühevoller Lebensweise einstellt. Dies habe ich oft bei Frauen in sehr unglücklichen ehelichen Verhältnissen erlebt, die aber lieber untergingen, als ihre Stelle verlassen wollten. Leben Sie herzlich wohl.

Ihr H.

Briefe an eine Freundin

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