Читать книгу Briefe an eine Freundin - Wilhelm von Humboldt - Страница 20

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Sie wundern sich, daß eine Liebe zur Beschäftigung mit Empfindungen, eine Milde und Zartheit in denselben, ein Eingehen in fremde Gemütsstimmungen, mir unter vielen und abziehenden Geschäften geblieben ist. Das kommt doch nur daher, daß jenes eigentlich die natürliche Beschaffenheit meines Gemüts ist, und daß es mir immer eigen gewesen ist, gegen das innere und eigentliche Sein, die Geschäfte nur wie eine Art Nebensache zu behandeln, immer ihrer mächtig zu bleiben, statt mich von ihnen beherrschen zu lassen. Man macht sich darum und auf diese Weise nur desto besser. Und das, was den Menschen als Mensch berührt, die Gefühle, die ihn erfüllen, die sich in ihm drängen und stoßen, haben immer einen hauptsächlichen Reiz für mich gehabt. Ich habe zuerst damit angefangen, mich selbst zu kennen und mich selbst zu beherrschen, und kein Mensch kann sich klarer durchschauen, keiner sich mehr in seiner Gewalt haben als ich. Ich habe dabei immer nach zwei Dingen gestrebt: mich empfänglich zu halten für jede Freude des Lebens, und dennoch durchaus in allem, was ich mir selbst nicht geben kann, unabhängig zu bleiben, niemandes zu bedürfen, auch nicht der Begünstigungen des Schicksals, sondern auf mir allein zu stehen, und mein Glück in mir und durch mich zu bauen. Beides habe ich in hohem Grade erreicht, über keine Freude und keinen Genuß des Lebens bin ich hinweg, wie es die Leute nennen. Die einfachste Sache, wenn sie nur etwas Anmutiges oder Höheres an sich trägt, oder wenn sie mir durch irgend etwas besonders zusagt, gewährt mir reine Freude. Daher niemand so dankbar ist als ich, weil wirklich auch wenig Menschen so viel Grund zur Dankbarkeit haben. Teils begegnet ihnen vielleicht weniger Erfreuliches, teils aber finden sie auch in dem, was ihnen begegnet, das Erfreuliche nicht so heraus, und genießen es nicht, wie sie könnten. Aber kein Mensch ist auch so wenig bedürftig als ich, und darauf beruht ein großer Teil meines Glücks, denn jedes Bedürfnis ist, wie es befriedigt wird, nur eigentlich Stillung eines Schmerzes, und alles, was darauf verwendet wird, geht dem reinen, ruhigen, stillen Genuß ab.

Der Fähigkeit, sich einem fremden Willen, bloß weil es ein solcher Wille ist, auch geradezu gegen die Neigung zu unterwerfen, als Muß sich zu unterwerfen, dieser Fähigkeit bedarf jeder, auch der Mann, und ich würde mich sehr tadeln, wenn ich nicht wüßte, daß ich sie hätte. Sie macht überdies das Gemüt milder, weicher und, so sonderbar es scheint, zugleich stärker, selbständiger und der Freiheit würdiger.

Ohne Kampf und Entbehrung ist kein Menschenleben, auch das glücklichste nicht, denn gerade das wahre Glück baut sich jeder nur dadurch, daß er sich durch seine Gefühle unabhängig vom Schicksale macht.

Briefe an eine Freundin

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