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Zweites Capitel
ОглавлениеWährend nun Paris trotz seiner Gemüthsbewegung in einen unruhigen Halbschlummer verfiel, saß Domitian, der Herrscher Roms, auf seinem Lager, das ihm heute keinen Schlummer gewähren wollte und vergrub die nackten Füße tief in die Zotteln des Löwenfells, das auf dem Mosaikfußboden ausgebreitet lag. Schon mehrmals hatte seine zitternde Hand den Schlaftrunk an die Lippen geführt, der auf dem Seitentisch unter dem schweren Purpurvorhang stand, vergebens, der Trank wirkte nicht mehr, ärgerlich goß er ihn auf das Löwenfell und griff sich seufzend an die brennende Stirn. Dann starrte er ausdruckslos in die kränkliche Flamme des Candelabers, die ihren traurigen Glanz über die prächtige Bettstatt, den goldschweren Vorhang streute und deren leichte Rauchsäule an der mattschimmernden Marmorwand vorbei nach dem Fenster hinschwebte. Der Vorhang bewegte sich leise im Nachtwind und des Kaisers mißtrauischer Blick ruhte zuweilen auf ihm, als traue er seinen Falten zu, daß sie die Hand eines Mörders verbergen könnten. Die Sklaven schliefen in ihren Zellen, der eintönige Schritt der Wache hallte auf dem Corridor wieder, in der Ferne rieselte, an die Stimme eines wimmernden Kindes gemahnend, der Brunnen eines der Vorgemächer. In dem weiten Palast wachte nur der Besitzer der stummen todten Pracht, die gleichgültig von Wänden und Decken herabglänzte auf die Qual des Gebieters. Das kleine geöffnete Fenster zeigte die im Sternenlichte fahlschimmernden Dächer Roms, über die in der Ferne die Tempelsäulen des Capitols geisterbleich aufragten. Der Kaiser warf einen geblümten Mantel um, schlüpfte gähnend in ein Paar bereitstehende Pantoffel und schritt schwerfällig zum Fenster. Nachdem er das zitternde Sternengewimmel, die unter ihm schlummernde von einem leichten violetten Nebel überdeckte Riesenstadt mit müdem gebrochenen Auge betrachtet, fielen seine Lider ein wenig über die Augen herab, indeß seine Athemzüge ruhiger gingen, als genösse er mit Behagen wie im Traume die kühle Nachtluft, den milden Sternenglanz und den Anblick der in mattsilbernen Duft gehüllten Stadt.
Plötzlich, als ein etwas heftigerer Windhauch seine Stirne berührte, zuckte er zusammen, sah mit gerunzelter Stirne hinter sich und eilte dann, so gut es ihm seine etwas dünnen Beine und der Umfang seines Körpers erlauben wollten, nach dem Thürvorhang, den er aufhob. »Antonius,« rief er in das Gemach. Da noch keine Antwort erfolgte, man aber eine Bettstatt erknirschen hörte, rief er noch einmal: »Antonius!«
Hierauf erfolgte ein verdrießliches Geseufze und erst als der Kaiser zum dritten Male rief, gab eine scharfe Fistelstimme zur Antwort: »Ja Herr.«
»Stehe auf!«
»Es ist ja noch völlige Nacht, Herr,« krähte die Kinderstimme schläfrig aus der Dunkelheit hervor.
»Zu was eine solche Nacht nur überhaupt da ist,« brummte Domitian in den Bart. »Begreifst du es, Antonius?«
»Beim Zeus, Herr,« erwiderte die dünne Stimme, »man sagt, die Armen und Müden hätten sie nöthig – die müssen schlafen.«
Als sich nun Domitian von der Thür entfernte schob sich hinter dem Vorhang eine Zwerggestalt hervor, blieb stehen, kratzte sich gähnend den großen dichtbehaarten Kopf und rieb sich dann mit ärgerlicher Miene die Augen. Domitian setzte sich wieder auf sein Bett und winkte den Verwachsenen heran, dem er mit einer fast liebevollen Sorgfalt das Löwenfell zurechtrückte. »Der Schlaf gehört nicht zum Dienstpersonal,« sagte der Herrscher mit ernster, fast weicher Stimme, »er kommt und flieht wie es seiner Laune behagt. Heute floh er mich bereits nach drei Stunden; die Götter sind deinem Kaiser ungnädig, nun aber, so leiste du mir ein wenig Gesellschaft, Antonius!«
»Ach Herr, was hast du an der Gesellschaft eines Buckligen?« gähnte der Kleine herbeihinkend und sich mit wackelndem Kopfe auf das Löwenfell kauernd. Domitian wühlte in den struppigen Haaren seines Lieblings, streichelte ihm die runzelige Wange und sah, wie in böse Träume verloren, vor sich hin. Dann plötzlich sein Haupt erhebend, lächelte er trübe vor sich hin und sagte freundlich: »Siehst du? wir gehören zu einander Du bist verwachsen – das ist eine Krankheit, mir fehlt der Schlaf, das ist auch eine Krankheit.«
»Ja Herr, ich trage einen Buckel und du trägst die Krone, beides sind Verunstaltungen,« seufzte der Zwerg, den Kopf auf die Kniee seines Herrn legend, schloß dann die Augen und fügte weinerlich hinzu: »Ich wollte, du ließest mich noch ein wenig schlafen, meine Verunstaltung hindert mich nicht daran.«
Domitian hörte nicht auf die Bitten des Ermüdeten, versprach ihm aber die köstlichsten Leckerbissen, wenn er ihn jetzt ein wenig unterhielte, seine Seele sei heute Nacht ungewöhnlich beunruhigt.
»Ist das der Fall,« murmelte der Zwerg, »so hast du ein altes gutes Mittel, dich aufzuheitern. Hier liegt dein Schreibgriffel – hier sitzt eine Fliege« . . .
Domitian, hierdurch an seine Lieblingsbeschäftigung, die Jagd auf Fliegen erinnert, lachte vor sich hin und indem er das Haupt seines Verwachsenen zwischen den Händen rieb, sagte er scherzhaft: »Oder ich könnte dir zur Unterhaltung auch die Haare jedes einzeln auszupfen – was meinst du? – Doch fürchte nichts – ich bin heute nicht in meiner Fliegenstimmung und du bist mein getreuester Diener. Wen hätte ich auch sonst außer dir, Antonius?« setzte er mit fast väterlicher Freundlichkeit hinzu. »Außer dir habe ich keinen, dem ich ganz vertrauen könnte.«
»Oho,« stöhnte der Zwerg.
»Bezweifelst du dies?« frug Domitian, »weißt du nicht, daß ein Herrscher immer von Schurken umgeben ist? Ja, mein Lieber, die Lage der Fürsten ist höchst beklagenswerth, weil man ihnen betreffs ihrer sichren Kunde einer Verschwörung nicht eher Glauben schenkt, als bis sie ermordet sind.«
»Ich bin also dein einziger Freund?« frug der Zwerg und beschloß seinen Herrn zu ärgern.
»Der einzige, dem ich nicht mißtraue,« sagte der Kaiser.
»Nun, du hast doch Domitia, deine Frau!« sagte der Zwerg höhnisch lächelnd und befreite seine Ohren von den liebkosenden Fingern des Gebieters.
Domitian, als diese Antwort an sein Ohr schlug, zog seine Kniee so rasch unter der Wange seines Lieblings hinweg, daß sich dieser den Kopf heftig an der metallenen Bettstatt aufstieß. Die Hände an die verletzte Wange drückend, begann er laut zu stöhnen, den kläglichen Blick zu Domitian emporschlagend. Kaum aber hatte er dessen starres, unheimlich auf ihn gerichtetes Auge und den zusammengekniffenen Mund wahrgenommen, als er zugleich aufhörte zu seufzen. Er nahm die Hände von der Wange und beugte beklommen vor sich hinsehend den Kopf tief herab. Jetzt wußte er, was seinen Herrn nicht schlafen ließ; dieser Blick, diese heftige Bewegung sagte es ihm, daß das allgemeine Stadtgespräch bis zu Domitianʼs Ohr gedrungen war und daß gewisse düstere Befürchtungen in Beziehung auf Domitiaʼs Treue den Herrscher veranlaßten, nächtlicherweile Trost bei seinem verhätschelten Liebling zu suchen. Jetzt kannte er auch das Mittel, durch das er sich an seinem Herrn für die gestörte Nachtruhe rächen konnte, und als Domitian sich jetzt langsam, fast schleppend erhob, in dem Gemach auf und ab zu wandeln, machte sichʼs der Kleine auf dem Boden bequem.
»Zürnst du mir, Herr?« frug er, einestheils von der Begierde zu quälen getrieben, anderntheils ängstlich nach einem Ausweg spähend, wenn es gefährlich werden sollte, den Löwen gereizt zu haben.
»Wer heißt dich von Domitia reden?« flüsterte der Kaiser, und griff, indem er neben dem Candelaber stehen blieb, mit der rechten Hand krallenartig in die Falten des Vorhanges. Der Zwerg lächelte verschmitzt.
»Von Domitia reden?« lächelte er, »du hättest viel zu thun, wenn du in den Kneipen Roms verbieten wolltest, daß von Domitia die Rede ist, denn – am Ende, Herr, gestehe selbst, was nützen Geheimnisse, Herr,« fügte er gleichgültig die Hand vor den gähnenden Mund drückend hinzu, »Geheimnisse, die doch schließlich keine sind.«
Er seufzte, schnickte nachlässig mit der Hand, dann sah er, indem er das eine Auge boshaft zupreßte, mit dem andern, dessen durchdringende Pupille hastig hin und her rann, zu dem Herrscher empor.
Domitian, der jetzt vor dem Candelaber stand, schaute, das finstere Gesicht zur Seite neigend, mit fast erschrockener Miene zu dem Kleinen herab, der behaglich grinsend im Gesicht seines Triumphs seine Arme um die Kniee schlang und sich wie ein Affe in das Löwenfell wickelte.
»Keine mehr sind?« wiederholte der Kaiser mit fast tonloser, stammelnder Stimme, – was sagst du – ich dachte. —«
»Nun Herr,« entgegnete Antonius, ein von der Schadenfreude durchbebtes Mitleid heuchelnd, – mein hoher Herr, es thut mir wirklich leid, daß ich gezwungen bin, so offen mit dir zu reden, ich habe jedoch von jeher die Wahrheit selbst einem Mächtigen gegenüber mich nicht geschämt, aufrecht zu halten, und da du doch selbst sagtest, ich sei dein treuster Freund« – er hielt inne, wiegte sich befriedigt her und hin, und frug dann: »Sagtest du das etwa nicht?«
Domitian nickte.
»Nun,« begann der vergnügte Bucklige aufʼs neue, die Worte, die er sprach, wie Dolche zuspitzend, »so darf ich mir wohl, zwar bittere, aber heilsame Freundschaftsdienste dir zu leisten herausnehmen. Freilich blutet mir der Mund, solchen Namen zu nennen, und an eine solche Schandthat zu gemahnen, ist fast so gefährlich, als der Thäter selbst zu sein. Doch ist mein Trost, daß du ja auf Alles vorbereitet warst, ich sage dir ja nichts Neues, – du weißt es ja so gut wie dein Lieblingszwerg, so gut, wie die ganze Stadt es weiß – so gut —«
Als der Kleine hier abbrechen mußte, da seine freudenzitternde Stimme ihm im athemlosen Halse stecken blieb, entfuhr dem Kaiser ein lautes erbittertes: »Was?« dem er leiser hinzufügte, »was soll ich wissen?« Der Kleine kroch an die Füße seines Herrn heran, die er streichelte, und frug in geheimnißvollem, bedauerndem Ton: »Wie? kennst du den Schauspieler Paris nicht? Den schlanken jungen Mann, mit dem die Frauen Roms so gerne Blicke tauschen, den süßen Tänzer, mit dem selbst eine gewisse hochgestellte Dame sich so gern unterhält.«
Domitian dessen Brust sich krampfhaft hob, hielt an sich und bat den Kleinen möglichst gleichgültig, er möge ihm von diesem Mimen erzählen, den er allerdings ein wenig kenne.
»Nun, es ist derselbe, auf den Martial das stadtbekannte Epigramm gemacht,« sagte der Zwerg. Alsdann pries er schmunzelnd die Schönheit des Tänzers, seufzend seine eigene Häßlichkeit betonend, die ihm leider unmöglich mache, der Gebieterin Roms zu gefallen, beschrieb dessen geschmeidiges Aeußere, ahmte den kindlich weichen Klang seiner Stimme nach, ließ ein Streiflicht auf die Liebesabenteuer desselben fallen, und ließ durchblicken, daß es ausgemacht sei, daß kein weibliches Herz diesem Jüngling widerstehen könne, sobald er Frauenrollen tanze. Die bekannte Frau eines Ritters habe sich ihm zu Liebe ruinirt, andere seien in Krankheiten verfallen, mehrere hätten sich umʼs Leben gebracht, aus Liebe zu ihm. »Man sagt sogar, eine sehr, sehr vornehme Frau schwärme für ihn,« schloß der Erzähler seinen Bericht, »aber daran mußt du nicht denken, guter Herr, dies Wort ist mir nur so entschlüpft.« Domitian war indessen, die Brauen nachdenklich zusammenziehend, an das Fenster getreten, als ein wachhabender Krieger eintrat, ihm zu melden, Paris harre im Atrium auf weitere Befehle. Während der Zwerg erstaunt frug, ob denn Paris zu dieser Stunde im Palast weile, schwollen auf des Kaisers ohnehin gerötetem Gesichte die Stirnadern mächtig an, aber er gab in gelassenem Tone den Befehl, die Wachen sollten sich bereit halten. Alsdann verlangte er den Centurio Silius, der auch sogleich erschien.
Der Kaiser sah dem demütig dastehenden Hauptmanne so lange schweigend ins Gesicht, daß diesem es anfing unheimlich zu werden, bis der Kaiser endlich, die Verwirrung des armen Mannes bemerkend, zu ihm sagte: »Kann ich mich auf dich verlassen?«
»Ich bin ein Soldat des römischen Reichs,« erwiderte Silius stolz.
»Schon gut,« gab der Kaiser zurück, schritt einmal durch das Gemach, blieb dann vor dem Centurio stehen und sagte zu diesem, während seine Stimme ein wenig zitterte: »Verberge dich hier in dem anstoßenden Gemach! Wenn ich Paris entlasse, indem ich hinzufüge: ›Ich bin mit dir zufrieden‹, so führt ihr ihn ohne Verzug in die Behälter der Löwen, die für das nächste Kampfspiel bestimmt sind, verstehst du?«
Er brach ab, als er aber den Hauptmann keine Miene seines Gesichts verziehen sah, fuhr er mit möglichst würdevollem Gesichtsausdruck fort: »Denn dieser Mensch scheint mir gemeingefährlich. Mir kam zu Ohren, er richte Unheil an unter den Römern.«
Wiederum brach er ab und fuhr dann, vielleicht durch die Stille beunruhigt, zögernd fort: »Doch höre weiter. Entlasse ich ihn aber mit den Worten: ›Hüte dich fortan, den Zorn deines Kaisers herauszufordern,‹ so führt ihr ihn unbehelligt in seine Wohnung zurück.«
»Wohl, hoher Herr,« entgegnete der Hauptmann, ein möglichst unbetheiligtes Gesicht machend: »sollen wir ihn im ersten Fall vor die Löwen des circus maximus werfen, oder befiehlst du einen anderen Circus?«
»Das gilt gleich; im übrigen halte dich genau an den Wortlaut!« rief Domitian dem Gehenden nach, indeß er einem an dem Thürvorhang harrenden Diener ein kurzes: »Herein mit ihm!« zurief.
Domitian lehnte nun, nachdem er wieder mit seinem Zwerg allein war, regungslos in der Fensternische und heftete, den Kopf ein wenig auf die Brust herab geneigt, seine Augen auf den Thürvorhang, durch welchen Paris jeden Augenblick eintreten mußte.
Antonius, der noch immer auf dem Fell kauerte, brannten mehrere Fragen auf der Zunge, doch die starren Züge, die von unten nach oben gerichteten Augen seines Herrn ließen ihn erkennen, daß es gefährlich werden könnte, in diesem Augenblick eine ungeschickte Frage zu stellen. Doch erwartete er mit einem Behagen den Tänzer, als gelte es, im Circus dem Spiel des Hasen zuzuschauen, der noch nicht weiß, daß der Tieger bereits auf ihn lauert.
Der finstere, mißtrauische Domitian liebte außer seinem Zwerge, den er als Spielzeug behandelte, nur noch ein Wesen in der Welt aufrichtig und mit der ganzen düstern Zähigkeit einer Natur, die weiß, wie sehr sie von den Besseren verachtet, von den Schwächern gefürchtet wird. Im Gegensatz zu andern Herrschern, die das Böse unbewußt, instinktiv, gleichsam naiv ausübten, besaß Domitian Verstand und Selbsterkenntniß genug, um in jedem Augenblicke sein eignes Thun beurtheilen zu können. Daher kam es, daß er nicht wie Andere, blindlings, so zu sagen mit einer gewissen Unschuld seiner bösen Neigung folgte, wenn ihm die Wahl zwischen zwei verschiedenen Handlungsweisen freistand, sondern daß er prüfend verfuhr und daß er, wenn es ihm seine stolze Laune, seine frostige Menschenverachtung eingab, das Schlimmere, Grausamere vorzuziehen, daß er alsdann von Gewissensbissen gequält ward, welchen Gewissensbissen das Mißtrauen nothwendig entspringen mußte. Eben dieses Mißtrauen, das die naiven Bösewichter nur in geringerem Grade heimsucht, war es, was ihn in die Einsamkeit trieb, ihn die Menschen meiden hieß. Da er nun aber doch ein Mensch, also zur Geselligkeit geboren war, und da er die Einsamkeit zuweilen in ihrer ganzen öden Bitterkeit aufʼs Schmerzlichste empfand, lag in ihm der seltsame Widerspruch, unaufhörlich nach Menschen zu suchen, die er als treu ergebene an sich fesseln könne.
Solche Menschen überhäufte er alsdann mit Wohlwollen, bis er, durch irgend einen ihrer Charakterzüge verletzt, sie plötzlich fallen ließ, um durch derartige Erfahrungen noch düsterer gestimmt, schließlich immer vorsichtiger zu werden. Außer seinem Zwerge, dem er, da er ihn eigentlich nur für eine höhere Thierart hielt, nichts Schlimmes zutraute, war es allein Domitia, die dauernd auf ihn zu wirken vermochte, und der er, soweit es seiner verschlossenen Natur möglich war, alles Vertrauen entgegenbrachte. Er hatte sie ihrem Gatten Aelius Lamia entführt, nachdem er im Circus ihre Aufmerksamkeit erregt und sie mit der Entführung einverstanden war. Nun bewahrte er sie vor der Berührung mit der Außenwelt wie ein kostbares Kunstwerk, dem selbst Luft und Licht schaden bringen könnte, indem er verlangte, sie solle seine weltabgeschiedene Zurückgezogenheit, voraussetzend, sie liebe ihn in demselben Grade, wie er sie liebte, mit ihm theilen. Sie hingegen, unter äußerer Ruhe und Kälte innere Leidenschaften verbergend, fand wenig Gefallen an den einsamen Wurfübungen, Turnkünsten und Fliegenjagden ihres hohen Gemahls, obgleich sie anfangs auf alle seine Launen bereitwilligst einging und erst allmählich ihre vergnügungssüchtigen Wünsche durchblicken ließ. So hatte er es ihr endlich erlaubt zuweilen das Theater zu besuchen, ihr jedoch immer Spione nachgesandt, die ihm dann sehr bald betreffs ihres Betragens im Theater gewisse den Verdacht herausfordernde Mittheilungen machten. Aufʼs höchste beunruhigt, tief gekränkt und zu allem geneigt, entschloß er sich darauf, ihr in das Theater zu folgen, besonders an solchen Tagen, an welchen Paris tanzte. Da er selbst verschlossen war, durchschaute er die Verschlossenheit Anderer um so leichter, da er selbst vieles zu verbergen hatte, blieb ihm das, was Andere verbergen wollten, nicht leicht verborgen. Und so entging es ihm nicht, daß sobald Paris auftrat, Domitia Mühe hatte, die Röthe, die ihr in die Wangen stieg, zu unterdrücken. Seiner Natur gemäß schwieg der Kaiser, trug aber, von der Zeit an, da er dies wahrgenommen, einen dumpfen Schmerz mit sich herum, denn trotz seiner schroffen Nüchternheit war eine einzige Stelle seines Innern der Schwärmerei offen geblieben. Daß das einzige Wesen, das er schätzte, dem er sich inniger, als er sich selbst verzieh, hingegeben, daß das einzige Geschöpf, dem er vertraute, keinen Gefallen an ihm finden sollte, war um so demüthigender für ihn, da er trotz allen seinen Fehlern dennoch eine gewisse wilde Innerlichkeit, sogar momentane Weichheit besaß, über die er selbst zuweilen erstaunte, und die er als seiner unwürdig zu verbannen suchte. Aber sie ließ sich nicht verbannen, diese Schwärmerei tauchte mitten in seinen kalten Entwürfen empor und setzte sich mitten unter die Gedanken, die ihm herrschsüchtige Willkür eingeflößt. Zugleich erkannte der, auch in seinem Stolz Gekränkte, wie er in diesem Falle mit aller seiner kaiserlichen Macht hülflos einem Unabwendbaren gegenüber stand. Liebe erzwingen wollen, mußte Haß erregen, die Gewalt, das fühlte er – war hier eine schlechte Aushülfe, durch die er sich höchstens selbst betrügen konnte. Deshalb war er mit sich zu Rathe gegangen, ob es nicht klüger sei, das heißgeliebte Weib auf anderem Wege wieder zu sich zurückzuführen, was ja um so leichter sein mußte, wenn er mit ihrem Günstling in ein intimeres, vielleicht sogar freundschaftliches Verhältniß treten konnte. Freilich kostete dies Ueberwindung, aber er hatte, obgleich es ihm widerstrebte, den ihm so verhaßten Tänzer, einer plötzlichen Eingebung folgend, mitten in der Nacht zu sich rufen lassen. Mochte daraus entstehen, was wollte! Er verlangte Klarheit. Er dürstete darnach, den Bevorzugten kennen zu lernen, ihn zu studiren, sich die Art, wodurch er sich dies Herz gewann, unter Umständen an zueignen und dann, sagte er sich, war ja auch noch nichts geschehen, was ihn thatsächlich erbittern und zur Rache hinreißen durfte.
Als Domitian nun gespannt auf die Schritte der Nahenden lauschte, bemächtigte sich seiner eine eigenthümliche Verlegenheit, eine Verwirrung, unter der sein Hochmuth, sein angeborener Stolz unsäglich litt. Er frug sich erstaunt, was er denn eigentlich von dem Tänzer wollte, auf welche Art er es anfangen sollte, ihn auszufragen? Wie weit er mit seinen Fragen gehen sollte? Was ihn denn, da nichts Unerlaubtes vorliege, berechtigte, den Mann auszufragen? Und was würde Paris von dieser nächtlichen Vorladung denken? War es nicht Thorheit ihn rufen zu lassen? Doch nun war es geschehen. Gedemüthigt von einem Tänzer! Dem Kaiser schoß, so daß es ihn fast mit momentaner Blindheit schlug, das Blut in die Augen, als er die Schritte der Nahenden auf dem Mosaik des anstoßenden Gemaches schlürfen hörte, und als jetzt der Thürvorhang, von einer Soldatenfaust gehoben, die schlanke Gestalt des Tänzers enthüllte, kam es dem Kaiser vor, als sei er selbst, er, der dickbauchige Kahlköpfige, der Gerichtete diesem geschmeidigen Adonis gegenüber. Fiel doch auch ein Strahl von Domitiaʼs Gunst auf das Haupt des Mimen und diesen Strahl konnte der finstre Mann nicht anders als respektiren, dieser Strahl lieh selbst dem Verhaßten noch eine gewisse unantastbare Weihe. Paris, obgleich ihm das Herz unruhig schlug, beherrschte das nervöse Prickeln, das ihm durch die Glieder rann, er sah sich, eine elegant malerische Stellung annehmend, in dem Gemache um und stützte sich dann, als noch immer Schweigen herrschte, auf die Lehne eines Stuhls, mit ein paar Worten andeutend, er sei des Befehls seines Gebieters gewärtig. Seine Worte klangen vornehm kühl, weder ängstlich noch herausfordernd. Hätten sie aber die Absicht gehabt den Kaiser zu verwirren, sie hätten nicht besser gewählt sein können. Diesem Herrscherantlitz, das gewohnt war mit Ruhe die gewaltthätigsten Machtbefehle zu ertheilen, stand die Röthe der Verlegenheit, gegen die es erbittert ankämpfte, wunderlich genug. Paris, als er zu fühlen begann, wie er den Gefürchteten, in dessen Händen die Welt ruhte, durch sein Erscheinen in Verwirrung setzte, nahm, da ihn seine Feinfühligkeit hierzu zwang, unwillkürlich eine demüthige Stellung an, beugte das Haupt und erröthete sogar.
Domitian bemerkend, daß sein Nebenbuhler eine Art Mitleid mit ihm hegte, riß sich endlich gewaltsam aus diesem unwürdigen Zustand. Um nur so rasch als möglich dem Tänzer die untergeordnete Stellung anzudeuten und einstweilen Zeit zum Nachdenken zu gewinnen, fiel er auf einen wunderlichen Ausweg. Er schritt auf sein Lager zu und sagte mit verächtlichem Lächeln:
»Ich konnte nicht schlafen, – tanze!«
Paris hob den Kopf.
»Wie, hoher Herr?« frug er.
»Unterhalte mich, vertreibe mir die Pein der schlaflosen Nacht, – tanze!« sagte Domitian rauh, indeß der Zwerg, der der ganzen Scene grinsend gefolgt war, mit den Fingern in die Luft schnalzte, wofür ihn jedoch der Kaiser mittelst eines tadelnden Blicks strafte.
Paris, der seinen Ohren nicht traute und den die herablassende Art, in der man ihn hier als ein Spielzeug behandelte mit aufsteigendem Trotz erfüllte, sagte verwundert, mehr zu sich selbst: »Tanzen? in dieser Stunde?«
Hierauf entstand eine Pause, während welcher der Kaiser geistesabwesend vor sich nieder sah, um dann wie erwachend den lauernden Blick auf seinen Nebenbuhler zu richten.
»Nun ja,« warf der Herrscher frostig hin, »ich habe schon oft deinen Tanz rühmen hören, habe aber noch nie Gelegenheit gehabt, ihn in der Nähe zu bewundern. Ich bin, wie du weißt, kurzsichtig, genieße deshalb Schauspiele nur sehr oberflächlich. Vielleicht werden wir gute Freunde, wenn ich Gefallen an dir finden sollte. Tanze also! ich überlasse dir die Wahl, jeder Tanz ist mir recht.«
Paris, der sich plötzlich zum Sklaven herabgewürdigt fühlte und sich seiner verachteten Stellung als Mime immer schmählicher und schmerzlicher bewußt wurde, hob stolz das erröthende Haupt, die Lippen ein wenig nach einwärts krümmend.
»Du scherzest, Gebieter,« sagte er mit leiser, gepreßt schmerzlicher Stimme, »du willst meiner spotten!«
Domitian hatte sich auf die Kissen seines Lagers hingestreckt.
»Scherzen?« entgegnete er fein lächelnd, sich an der Beschämung seines Opfers weidend, »nun und wenn selbst ich scherzte, was kümmerte es dich? Aber ich scherze nicht! Ich möchte nämlich an deinen Bewegungen die Kunst studiren, durch die du allen Weibern so unsägliche Bewunderung abnöthigst. Man sagt, du bist der gemeinschaftliche Ehegatte aller Ehegattinnen Roms. Gut mein Freund, gieb mir eine Probe deiner Kunst, zu gefallen, tanze eine Weiberrolle!«
Dies letzte Wort, mit ausgesuchter Geringschätzung betont, traf den Mimen wie der Tatzenschlag eines Tigers.
Parisʼ Mund öffnete sich krampfhaft, ein bitterer Zug verbreitete sich um seine erblassenden Lippen, und indem er die Stuhllehne umkrallte, stand er einige Zeit wie vernichtet.
Wenn er auch vor dem Volke zu tanzen gewohnt war, und ihm der Beifall schmeichelte, fühlte seine feine Natur sich doch nach jeder seiner Productionen wie gedemüthigt. Es kam vor, daß wenn ihm der Beifall am lautesten im Theater umwogt, er ganz niedergeschlagen zu Hause ankam, an nichts Gefallen fand und Thränen der Reue, der Scham ihm in den Augen standen, die selbst seine besten Freunde nicht zu verscheuchen vermochten. Der Hohn, der in des Kaisers Benehmen lag, gab ihm übrigens bald seine Selbstbeherrschung zurück.
Die Lippen energisch zusammenpressend, stieß er ein ersticktes: »Ich tanze nicht« hervor, das den Kaiser aus seinen Polstern in die Höhe fahren ließ. Der Kaiser sah den bebenden todblassen Jüngling, der sich gramvoll auf die Lippen biß, lange schweigend an.
»Widerstand?« murmelte er fragend, und sich völlig empor setzend, sah er mit einem zwar düstern, aber eigentlich nicht erzürnten, sondern eher träumerischen Ausdruck vor sich hin.
Paris, der sich auf das Schlimmste gefaßt machte, blieb regungslos, seitwärts zu Boden blickend, stehen, mit einem Gefühl in der Brust, als läge er in der Arena unter der Branke des Löwen. Sein Trotz wich jedoch bei aller Angst, die in seinem Herzen zitterte, um kein Haar breit, dieser Trotz war zu sehr die Folge von Demüthigungen. Um sich zu zerstreuen, lauschte er dem Rauschen der Flamme, dem Säuseln des Vorhangs. Sein Blick fiel sodann auf den grinsenden Zwerg und huschte von dieser widerlichen Fratze hinüber nach dem Fenster das so einladend draußen die Freiheit, die mondblaue Nacht, den tiefen Frieden der Natur zeigte. Welcher Gegensatz! Wer jetzt da draußen weilen dürfte! Wer Flügel hätte, um durch das Fenster zu entkommen!
Erst nach einer längeren Pause erhob sich der Kaiser, ließ einen Sklaven kommen, dem er die Flamme des Candelabers zu schüren befahl und setzte sich dann auf den neben dem Bette stehenden Sessel.
Der Sklave war gegangen, der Zwerg lehnte sich an die Bettstelle, der Kaiser saß noch immer schweigend, als habe er vergessen, daß sich Paris im Gemach befinde. Endlich, nachdem er einige Zeit nach Worten gesucht, sagte er, den Kopf tief zur Erde gebückt: »Du bist stolz, Paris!«
Paris, der sich allmälig wiedergefunden, war erstaunt über die Milde des Herrschers. Er athmete erleichtert auf.
»Hoher Herr, was ist der Mensch, wenn du ihm alle Achtung vor sich selbst nimmst? Gleicht er alsdann nicht dem Thiere?«
Domitian nickte. Die Art, in der der Mime sprach, nöthigte ihm unwillkürlich Achtung ab, er fühlte, daß er es hier nicht mit einem verblasenen Schwindler, sondern mit einem Manne zu thun hatte, der im Gefühl seines Werthes fest auf seinen Füßen steht und dem deshalb mit Strenge nicht beizukommen ist. Grade die Mischung von anschmiegender Weichheit und herber Festigkeit gefiel dem düstern, menschenscheuen Fürsten.
»Ich sage auch nicht, daß ich dir deine ablehnende Antwort verüble,« erwiderte er ruhig, fast träumerisch, »ich müßte lügen, wollte ich nicht gestehen, daß mir dein Trotz in gewissem Sinne gefällt. Ich verachte freilich dein Handwerk, du selbst scheinst mir indeß nicht verächtlich.«
Domitian erhob sich, nachdem er dies gesagt und schritt, den Thürvorhang hebend, ohne sich zu entschuldigen, in das nächstfolgende Gemach, in welchem Silius, der Hauptmann, Wache hielt. Sein Plan war entworfen, dies mußte ihm, wenn auch nicht völlige Gewißheit, doch einen klaren Einblick in das Verhältniß der beiden verschaffen.
»Silius,« flüsterte der Kaiser.
Silius trat auf den Zehen herzu.
»Ich hoffe, du bist verschwiegen,« flüsterte der Kaiser ein wenig erregt. Der Hauptmann legte die Hand auf die Brust und wollte seine Verschwiegenheit betheuern. Domitian unterbrach ihn jedoch.
»Gehe! Gieb im linken Flügel des Palastes sofort den Befehl, daß Domitia geweckt werde,« hauchte er dem erstaunten Soldaten inʼs Ohr. »Gründe giebst du keine an! Domitia solle vor mir erscheinen, ich wünsche es.«
Der Hauptmann entfernte sich sogleich, indeß ihm der Kaiser noch einige Schritte folgte.
Während dieses kurzen Zwiegesprächs hatte sich der Zwerg Antonius dem Tänzer zu nähern gesucht. Paris, aus seinen Gedanken gerissen, sah fast erschrocken auf den Verwachsenen herab, der zu ihm hingekrochen war und ihm allerlei zuflüsterte, auf das er nicht hörte, sondern es zerstreut mit. Kopfnicken beantwortete.
Nun, da Domitian wieder in dem Gemach erschien, zog sich der Zwerg zurück, indeß Paris überlegte, was wohl das Geflüster im anstoßenden Gemache bedeuten werde.
»Will er mir wohl oder haßt er mich?« frug sich der Tänzer, »und wird er wohl bald den wahren Grund meines Hierseins berühren?«
Als jetzt der Kaiser, die Hände auf dem Rücken, im Gemache auf- und niederschritt, ahnte Paris, auf welche Gegenstände sich nunmehr das Gespräch lenken werde und bereitete sich einstweilen im Geiste vor, Domitian ja keine anstößigen Antworten zu geben.
»Gestehe mir eins,« begann der Kaiser in leutseligem Tone, im Gemache auf- und abschreitend, »bist du wirklich den Weibern so gefährlich, Paris?«
»Ah! nun kommtʼs,« dachte der Mime, hustete einmal erregt und machte mit dem Fuße eine hastige Bewegung.
»Ich glaube, hoher Herr,« entgegnete er mit feiner Betonung. »ich glaube, es verhält sich umgekehrt, die Weiber werden mir gefährlich.«
Domitian streifte ihn mit einem verwunderten Seitenblick und fuhr sich über die kahle Stirn.
»Beim Zeus!« sagte er lachend, »du triffst das Richtige. Aber sprich! Wie viele Liebesabenteuer bestehst du monatlich?«
Paris, der hinter der humoristischen Behandlungsweise dieses Gegenstands den tiefen Ernst des Kaisers wohl herausklingen hörte, nahm sich zusammen.
»Herr,« sagte er, unwillkürlich seiner Eitelkeit ein wenig nachgebend, »wollte ich allen Anerbietungen folgen, beim Zeus! ich müßte ein Gott sein, denn meiner Menschlichkeit würde es übel ergehen, aber wisse, daß ich die Weiber nicht nur verachte, sondern geradezu fürchte.«
»Aber sie schwärmen doch alle für dich,« warf der Kaiser ein, »warum fürchtest du sie?«
»Nun, hoher Herr,« entgegnete Paris möglichst unbefangen, »die Klugheit ist mächtiger denn die Liebe. Wir Künstler sind keine Helden, unsere Waffe ist das Wort, der Ton, der Pinsel, der Meißel, nicht das Schwert, und, wenn wir genießen wollen, so vermeiden wir gern die Gefahr, die dem gewöhnlichen Sterblichen das Vergnügen würzt. Wir lieben das Bequeme. Glaubst du, ich wollte mir den Haß aller jener Ehemänner zuziehen, deren Frauen zuweilen Gefallen an mir finden?«
»So bringst du es über dich, auch Bitten abzuschlagen?« frug Domitian, das letzte Wort stark betonend.
»Hoher Herr,« sagte Paris mit aufrichtigem Ernst, »ich kann kein Weib lieben, das bereits von einem Zweiten geliebt wird.«
Domitian, der sogleich bemerkte, welchen geheimen Sinn Paris dieser Phrase unterlegte, erröthete flüchtig und betrachtete mit Wohlwollen die schöne, stolze, nur wenig an die Bühne erinnernde Haltung des Schauspielers.
»Und was beginnst du, wenn dich ein solches Weib liebt, dir wohl gar nachstellt?« fragte er, sich schwerfällig in seinen Sessel niederlassend, mit leiser, fast ein wenig scheuer Stimme.
»Es ist sehr leicht, einem liebenden Weibe, sehr schwer, einem hassenden Manne auszuweichen!« entgegnete der Tänzer bedächtig.
Zum ersten Male war Domitian mit sich selbst nicht einig, ob er hier mißtrauen oder Glauben schenken sollte, zum ersten Male trat im hier ein Mensch gegenüber, der so frei von der Seele wegsprach, daß es eine Freude war, ihm zuzuhören, und daß man gezwungen wurde, jeden Zweifel betreffs seiner Empfindungen zu zerstreuen.
Er nickte und sagte dann langsam mit zwar ernster, aber freundlicher Stimme: »An deiner Stelle würde ich mir diesen deinen Ausspruch, der so sehr treffend ist, tief in meine Seele prägen. Wahrlich, es wäre mir leid, dich dem Zorn eines Ehegatten zum Opfer fallen zu sehen! Weiche den Begehrlichen aus, du weißt, für ein paar Denare bewaffnet sich leicht eine Schurkenfaust, die zu allem fähig ist. Hinter dem Lächeln der Weiber fürchte stets den lauernden Dolch!«
Paris, der vor innerer Anspannung, das richtige Wort zu finden, Vertrauen zu erwecken, zitterte, verstand die Winke seines Kaisers sehr wohl.
»Nur müßten,« gab er seinerseits zu verstehen. »die Ehemänner der Möglichkeit des Ausweichens in die Hände arbeiten.«
»Ich verstehe,« murmelte Domitian, »es giebt in Rom, willst du sagen, viele unbedachte Gatten, die dich in deinen edeln Bestrebungen nicht unterstützen!«
»Auch die Rache einer Zurückgewiesenen ist gefährlich,« flüsterte Paris ganz leise, fast hauchend vor sich hin, und schloß das zitternde Augenlid.
Domitianʼs sonst so mißtrauisches Innere erweiterte sich, er athmete auf, es ging wie eine plötzliche Erleichterung durch seine Seele, lag es doch klar vor seinen Blicken, Domitiaʼs Liebe gehörte ihm ungetheilt. Sie war sein, Keiner wagte es, sie ihm zu rauben. Er, den er im Verdacht gehabt, war weit entfernt von unlauteren Absichten. Diese Gewißheit veränderte für einen Augenblick sein ganzes Wesen, die Menschen erschienen ihm auf einmal weniger hassenswerth, es ließe sich doch vielleicht unter ihnen leben, und wenn sich nur ein einziger Ehrlicher fände, wäre es doch der Mühe werth, diesen an sich zu ziehen, und mit ihm gemeinsam die Welt zu verachten.
In dieser ihm zwar nicht unbekannten, aber doch seltenen Erregung, schritt er auf Paris zu, faßte dessen Hand und sagte fast schüchtern: »Deine Grundsätze gefallen mir. Könntest du in mein Inneres schauen, so würdest du eine Stimme hören, die zu deinen Gunsten spricht, ich hege Vertrauen zu dir.«
Paris zuckte zusammen, dieser vertrauliche Ton ließ ihn das Schlimmste befürchten, er entzog unwillkürlich seine Hand derjenigen des Kaisers.
Dieser aber, als er des Tänzers erschrockene Miene gewahrte, die deutlich erkennen ließ, wie wenig er die gnädige Vertraulichkeit zu schätzen wußte, trat verstimmt zurück. Paris stammelte ein paar Worte des Dankes, im Stillen überlegend, ob sein Untergang beschlossen sei, oder ob er diesmal dem Wohlwollen eines Mannes trauen dürfe, dessen widerspruchsvolle Seele jedem ein Räthsel blieb. Domitian, über die rasche Aeußerung seiner Neigung erzürnt, noch erzürnter darüber, daß man selbst seinen ehrlich gemeinten, edlen Regungen mißtraute, versank in Schweigen. Sogleich umwölkte sich sein Gemüth aufʼs Neue, die Zweifel schlichen herzu und er gestand sich, daß, wenn er auch Paris schuldlos befunden, er in Domitiaʼs Innerem noch nicht genug gelesen, um sie von jeder Schuld freizusprechen. Und was nutzte es ihm, wenn Paris diejenige vermied, die ihn liebte? Liebte sie ihn nicht deshalb vielleicht um so inniger, da sie ihn meiden mußte, und war er, der Kaiser, nicht ein desto ärmerer Bettler, diesem reichen, mächtigen Tänzer gegenüber, der sogar seinen Reichthum von sich stieß?
Er warf einen finsteren Blick auf den schönen Jüngling, um dessen Körper sich ihm die Luft schwärzte, als wollte sie ihn zuhüllen.
Dann schlich sichʼs zu ihm schwarz, ungestaltet und wisperte ihm inʼs Ohr; er glaubte es sei sein Zwerg, der aber saß auf dem Löwenfell und war eingeschlafen, die Nase röchelnd in die Höhe gerichtet.
»Fort mit ihm! aus der Welt,« tönte es in seiner Brust, »was habe ich von ihm, der mich zurückstößt? Das wäre ein sicheres Mittel, im Besitz des Kostbarsten zu bleiben!« Wenn sie diese Glieder nicht mehr sähe, diese schwermüthigen Blicke nicht mehr auf sich ruhen fühlte, dann mußte sie genesen von ihrer Leidenschaft. Jetzt war es noch Zeit, sollte er dem raschen Entschlusse folgen? Ein Wink hinter den Thürvorhang und die Sache war erledigt – der Centurio verstand sein Amt, – ein klopfendes Herz war befreit für immer von dem Druck, der es zu zermalmen drohte. Doch konnte er sich nicht verhehlen, daß das ungenierte Betragen dieses Tänzers eine Spannung auf sein Gedankenleben ausgeübt, daß das Individuelle, das von ihm ausströmte, das weichlich Phantastische und doch sicher Männliche seines Auftretens, ihn berauschte. Fast war es dem vor sich hin Brütenden, als wenn er an etwas Verbotenes tastete, sobald er sich einfallen ließe, dies Leben zu vernichten.
Vielleicht war es eine gewisse Ehrfurcht, die er, der Häßliche, der selbstbewußten Schönheit unwillkürlich zollte, deren alles besiegender Glanz, deren wohlthuende Wärme ihn zwang, sie unberührt zu lassen. Hierdurch entstand ein seltsames Gemisch widerstreitender Empfindungen in dem Busen des Eifersüchtigen, er hätte den Leib des Tänzers bewundern und seine Seele tödten mögen, er liebte und haßte zu gleicher Zeit.
Noch standen sich die Beiden schweigend gegenüber, als der linke Thürvorhang gehoben wurde und ruhigen Schrittes, heiter lächelnd, die in ein leichtes Morgenkleid gehüllte Kaiserin in das Gemach trat. Sie schien es nicht im geringsten übel zu nehmen, daß man ihrer mitten in der Nacht begehrte, auch war in ihren frischen Gesichtszügen kaum noch eine Spur des abgeschüttelten Schlafes hängen geblieben. An derartige Vorkommnisse gewöhnt, hauchte sie einen Gruß und war, ohne sich umzusehen, in ihrer süßlich vornehmen kühlen Weise auf Domitian zugeschritten, ihm unter dem dunkeln florartigen Ueberwurf eine weiße Hand entgegenhaltend, die der Kaiser nach einigem Zögern ergriff.
Alsdann neigte sie, die Augenlider schließend, ein Erröthen affektirend ihre Stirne, die sie, da kein Kuß auf dieselbe erfolgte, ein wenig überrascht hob. Bei dieser Bewegung gewahrte sie erst, daß ein Fremder in der dunkelblauen Schattenmasse stand, welche die hintere Hälfte des Zimmers ausfüllte. Ein kaum bemerkbares Zucken glitt um ihre Lippen, als sie die sich weißabhebende Gestalt des Tänzers erkannt. Doch verlor sie, obgleich sie eine Sekunde hindurch ernst vor sich hin gestarrt, nicht die Fassung, sondern wandte sich, da sie sich beobachtet fühlte, mit möglichst heiterer Ruhe zu Domitian, und erst ein wenig zögernd, als sei sie von der Liebenswürdigkeit des Gatten tief gerührt, sagte sie schmeichelnd: »Welchʼ seltsame Ueberraschung, liebes Herz!«
Paris, anfangs betroffen, nahm sich sogleich zusammen, sobald er bemerkte, daß man ihn hier in eine Falle habe locken wollen. Er zog die Brauen in die Höhe, wie einer, der es nicht leiden mag, daß man ihn zum besten hat. Dann sah er absichtlich, als ginge ihn die ganze Angelegenheit nichts an, auf den in entgegengesetzter Richtung hängenden Thürvorhang, dessen Stickmuster er eifrig zu studieren schien.
Während nun Domitia, ihre Arme, sie von der Umhüllung befreiend, um ihres Gatten Hals schlang und ihm süße Kosenamen inʼs Ohr flüsterte, ließ Domitian, trotzdem sein Haupt zuweilen ganz im Busen des Weibes verschwand, sein Auge bald hinüber zu Paris, bald herab auf seine Gemahlin rollen, in ängstlicher Spannung eine Bestätigung seines Argwohns erwartend und ihn zugleich fürchtend.
»Mein liebes Herz hat mir gewiß eine Freude bereiten wollen,« flüsterte Domitia, »mein Herz weiß, wie sehr ich den Tanz liebe.«
Dann erheuchelte sie geschickt ein Gähnen und sagte, eigentlich sei die Stunde schlecht gewählt. Sie empfand die Wichtigkeit des Moments zu wohl, um nicht jedes Mittel zu benutzen, das die Eifersucht ihres Gatten niederschlagen konnte, weshalb sie denn auch einfließen ließ, es sei doch wohl besser, man entlasse den Tänzer.
Paris gab wiederholt, dem lauernden Kaiser gegenüber, seinem Widerwillen Ausdruck, ja er wagte es, da der Kaiser unschlüssig schwieg, laut um seine Entlassung zu bitten, da er bis zum Tode ermüdet sei.
Der Kaiser, der einsah, daß diese Art, hinter das Geheimniß zu kommen, zu keinem Ziele führte, wandte sich zu Domitia.
»Versuche du dein Glück! meine Liebe,« sagte er möglichst unbefangen, »ich dachte mir diese lange Nacht durch die Kunst dieses Jünglings zu verkürzen, er schlug mir aber meine Bitte ab: vielleicht daß dir, als meiner Frau, es besser gelingen möchte sein Herz zu erweichen.«
Paris biß die Zähne aufeinander, und als Domitia, eine vornehme, liebenswürdige Handbewegung ausführend, ihm ein paar Schritte entgegenging, trat er zurück, dem Kaiser einen halb bittenden, halb ärgerlichen Blick zuwerfend. In der That, als jetzt Domitia vor ihm stand und mit ihrer einschmeichelnden, Schüchternheit heuchelnden Stimme die Bitte aussprach, er möge ihnen doch durch seine Kunst eine angenehme Stunde bereiten, hatte er nicht nöthig Unwillen zu heucheln. Das süßliche unwahre Benehmen dieses Weibes, die Art, wie sie, mädchenhaft affektirt, das Köpfchen zur Seite bog, erschien im theilweise lächerlich, theilweise widerwärtig.
Der Kaiser, der scheinbar unbetheiligt im Hintergrunde am Fenster stand, beobachtete das Benehmen der Beiden aufʼs aufmerksamste und kam zu dem Resultat, daß Paris seine Stimmung ehrlich an den Tag legte, während das Benehmen seines Weibes ihm noch immer räthselhaft erschien und zu weiterem Nachdenken heraus forderte.
Als daher Paris fortfuhr, sich den Bitten Domitiaʼs gegenüber mit allzu großer Ermattung zu entschuldigen, näherte er sich den Beiden.
»Laß es gut sein, liebes Kind,« sagte er zur Kaiserin, »der junge Mann bedarf, wie ich sehe, der Ruhe.« —
Dann sich zu Paris wendend, gab er ihm zu verstehen, er könne sich entfernen.
Als die Diener eintraten, wandte er sich noch einmal nach Paris um, zugleich halb nach dem linken Thürvorhang, hinter welchem Silius harrte, hingekehrt.
»Vermeide es, den Zorn deines Kaisers herauszufordern,« murmelte er halb unverständlich, indeß Paris sich verbeugend ging. Dann zu Domitia hingewandt, deutete der Herrscher ihr an, auch sie könne den versäumten Schlaf nachholen.
Domitia, die unzufriedene Miene ihres Gatten wahrnehmend, von einer unbestimmten Ahnung getrieben, versicherte, sie zöge es vor mit ihrem Gemahl zu wachen und versuchte es nun, da sie sich allein mit ihm befand, denselben auf alle erdenkliche Weise zu erheitern, ihm ihre unwandelbare Treue zu beweisen.
Der Kaiser saß, indem sie schwatzte, theilnahmlos auf seinem Lager, nur zuweilen nickend, wenn sie ihm die Stadtneuigkeiten mittheilte, oder es versuchte, ihn zu seinen Lieblingsbeschäftigungen, dem Brettspiel, den Schießübungen zu ermuthigen. Sodann machte sie ihn aufmerksam auf den schnarchenden Zwerg, wagte auch einige humoristische Bemerkungen, die indeß diesmal, ohne eine Spur zu hinterlassen, verwehten.
»Soll ich Antonius einmal inʼs Ohr kneipen?« frug sie lächelnd, »oder wie wäre es, ich ließe ihm das heiße Pech des Candelabers auf die Nase träufeln? Gieb acht! welche Grimasse er schneidet.«
Wirklich wollte sie ihr Vorhaben ausführen und beugte den schweren Metallleuchter nach der Seite, wo Antonius am Boden röchelte.
Domitian legte sich jedoch inʼs Mittel, ihr diese Grausamkeit untersagend.
»Bei allen Göttern!« lachte sie auf, »du siehst, ich verfalle auf Thorheiten, da es mir nicht gelingt, dich heiter zu stimmen. Aber gieb acht! wie das aussieht.«
Sich der Macht ihrer Reize wohl bewußt, löste sie ihr Haar, so daß es wirr über ihre Schultern floß, ergriff eine Haarnadel und hielt sie so lange in die Flamme des Candelabers, bis sie an einem Ende glühte. Dann das Gewand vom Busen zurückstreifend, faltete sie die Arme.
»Gieb acht! ich werde aussehen wie eine phönizische Gottheit,« sagte sie, kniete zur Erde und wollte die Haarnadel so zwischen die Zähne pressen, daß der glühende Theil derselben ihr Antlitz von innen erleuchtete.
Die kluge Berechnung, daß sie in dieser Situation vermöge der Enthüllung ihrer Reize, einen Eindruck auf den Kaiser mache, was indeß nicht ganz richtig ausgefallen. Domitian wandte, um sich nicht bethören zu lassen, absichtlich die Blicke von ihr weg und gebot ihr schließlich aufzustehen, derartige Albernheiten zu unterlassen.
Endlich, da ihr die Worte ausgingen und alle ihre kleinen Künste fehlschlugen, versuchte sie einen kühnen Gewaltstreich.
Schon dämmerte fern über den Dächern Roms die Morgenröthe und mischte ihren müden graugelben Schimmer mit dem Mosaik des Gemachs, als die Kaiserin das schwüle Schweigen, das bisher geherrscht, unterbrechend, die Hand ihres Gemahls ergriff, sie inbrünstig anʼs Herz drücke und mit dem schmerzlich gehauchten Worte: »Lebe wohl!« sich erhob, das Gemach zu verlassen. Der Kaiser, von diesem zitternden Klang überrascht und ergriffen, sah empor in ihre Züge, die mit gut gespielter Energie einen festen verzweiflungsvollen Entschluß ausdrückten.
»Was beginnst du?« fragte er zerstreut.
Domitia, die ihren aufsteigenden Zorn nur mühsam unterdrückte, raffte mit einer hastigen Bewegung ihren schwarzen Ueberwurf geschickt um die entblößten Schultern, beugte ihre Stirne herab und flüsterte mit erzwungen melancholischem Tonfall: »Wenn mein Gatte meiner müde ist, soll es nicht an mir liegen ihn zu langweilen.«
Der Kaiser, auf den die zartgezogenen Wellenlinien dieses Gesichts, das jetzt ein schwermüthiger Hauch umschattete, ihre alte Wirkung auszuüben begannen, stammelte ein paar entschuldigende Worte. Sie jedoch schüttelte kummervoll den Kopf, wandte ihn sodann seitwärts und hauchte träumerisch vor sich hin: »Götter! warum muß er mir mißtrauen?«
Der Kaiser zuckte von diesen Worten getroffen zusammen und doch fühlte er sich erleichtert, daß nicht er, sondern sie den wunden Punkt berührt und daß es endlich zu einer Aussprache über diese ernste Angelegenheit kommen sollte.
Die erröthende Stirne runzelnd, mit den Augen unruhig den Boden suchend, flüsterte er: »Und habe ich dazu keine Ursache?«
»Mir – zu mißtrauen?« entrang es sich jetzt Domitiaʼs Lippen.
Wie wohl dem Kaiser dieser Blick that, den sie erst zum Himmel empor schickte, dann auf ihm ruhen ließ, indeß ihre Lippen sichtlich nach Worten suchten, die Beschuldigung von sich abzuschütteln.
»Ja,« fuhr er bereits sanfter fort, »habe ich keine Ursache?«
Domitia war mit sich selbst uneinig, ob in diesem Falle das Lachen oder das Weinen den Vorzug verdienen möchte, um die gewünschte Wirkung auf das Herz ihres Liebhabers hervor zu bringen. Endlich entschloß sie sich, wenn möglich beides, um die Wirkung zu steigern, in geschickter Weise zu vereinigen. Sogleich nahm sie die Miene der beleidigten Tugend an, richtete sich empor, ballte die Faust im Gewande zusammen und stand so einige Zeit ruhig da, indeß sich ihr Busen schmerzvoll hob und senkte, als versuche er die unendliche Last abzuschütteln, die auf ihm ruhte.
»Ich habe es schon lange geahnt,« begann sie leise, anscheinend mit Mühe ihre Fassung aufrecht erhaltend, »ich fühlte es, wenn er im Circus neben mir saß, ich konnte mir seine Ueberwachung wohl erklären« – hier begann ihre Stimme bedenklich zu zittern – »aber ich schwieg, ich wagte nicht mich zu rechtfertigen, ans Angst, er könne mich mißverstehen« – einzelne Seufzer ließen bereits auf den kommenden Ausbruch der Gefühle schließen —. »Das also ist der Dank dafür, daß ich meinen Gatten Lamia verließ, das ist der Dank dafür, daß ich ihm, dem Kaiser zuliebe that, was vor Göttern und Menschen verdammt ist, daß ich alle die Schande auf mich lud, die man einem bürgerlichen Weibe niemals verzeihen würde, – man verdächtigt mich – und mit wem? glaubt er etwa, ich wisse es nicht? – O, man betrügt mich nicht – mit einem Tänzer!! – man wagt es, meinen Namen mit dem eines Tänzers in einem Athem zu nennen?« – —
Sie taumelte, die Hände vor das Gesicht gedrückt, krampfhaft schluchzend nach der Thüre hin, in der Hoffnung, der Kaiser würde ihr, sie in seine Arme fassend, nacheilen. Dies that er jedoch klugerweise nicht, obgleich es ihm schwer wurde, sie in dieser Stimmung, deren geheucheltes Pathos er nicht völlig durchschaute, gehen zu lassen. In der That spielte die Kaiserin, trotzdem sie den haßte, der sie zu dieser Verstellung zwang, ihre Rolle so vortrefflich und wußte sie das Natürliche mit dem Erkünstelten auf eine so pikante Art zu mischen, daß das Herz ihres Zuschauers in eine Art von wollüstigem Traum gewiegt, und jeder aufsteigende Aerger niedergeschlagen wurde.
Wie sie dahinschritt, wie sie sprach, wie sie die Augen aufschlug, jede Geste war äußerst fein, so zu sagen, epigrammatisch berechnet, auch verstand sie es, eine gewisse Poesie in alles, was sie sprach und that, zu legen, einen phantasievollen Duft um sich her zu verbreiten, der das Erkünstelte adelte und fast bis zur Wahrheit erhob, was bei einer gewöhnlichen Natur als Lüge abgestoßen hätte.
»Du sprichst von einem Tänzer!« rief er ihr nach.
Sie, schon an dem Thürvorhang angekommen, blieb abgewandt stehen.
»Ja, von einem solchen sprach ich,« stammelte sie weinend.
»Die Tänzer pflegen den Weibern gemeiniglich zu gefallen,« entgegnete er, ihre Thränen nicht beachtend.
»Das lügt man!« fiel sie hastig ein, immer noch abgewendet.
»So!« kam es über seine Lippen, »aber sie sind meistens schöne Leute, die Tänzer – nicht wahr, das leugnest du nicht.«
Sie wendete sich langsam um, lächelte, obgleich sie ihren Quäler immer tiefer zu verabscheuen begann und schritt langsam, die Füße kaum bewegend, auf den Gatten zu.
»Schönheit?« flüsterte sie, mit herzlichem, einschmeichelndem Lächeln, »was ist Schönheit, verglichen mit Macht?« Hierbei strich sie ihm zärtlich über die kahle Stirne, gleichsam andeutend, wie sehr sie es vorzöge, von einem Mächtigen, möge er noch so häßlich sein, geliebt zu werden.
»Allerdings,« sagte er mit höhnischem Kräuseln der Lippen, »du hast Recht, denn es steht in der Macht dieser Macht, diese Schönheit machtlos zu machen, – zu vernichten!« setzte er leise hinzu. Ein angstvoll-zorniger Zug huschte, als sie diese Worte vernommen, über ihr Gesicht, aber, sich sogleich wieder beherrschend, lispelte sie einigemal das Wort »Schönheit« mit verächtlicher Betonung vor sich hin und beschloß, von Schrecken und Wuth gefoltert, sich auf eine eigenthümliche Art an ihrem Peiniger zu rächen. Sie beugte sich nämlich plötzlich, wie von überströmender Empfindung hingerissen, zu Domitianʼs Haupt herab und küßte ihn inbrünstig – — auf die Glatze. Nun war Domitian in Betreff seiner Glatze sehr empfindlich, die geringste Anspielung auf diese unbehaarte Körperstelle nahm er äußerst übel, versetzte ihn in unmäßigen Zorn. Er wußte daher anfangs nicht, was er zu diesem fast einer Verspottung ähnelnden Zärtlichkeitsausbruch seines Weibes sagen sollte. Er ließ sie jedoch nicht nur ruhig gewähren, sondern erröthete sogar. Domitia wurde indeß aus Entrüstung und Haß immer zuthunlicher, bis zur Kindlichkeit schalkhaft.
»Was du dir nur immer mit diesem Tänzer zu schaffen machst!« lachte sie hell auf, »gehʼ mir doch weg mit diesem Tänzer. Das sieht sich auf der Bühne ganz nett an, man bewundert auch einmal eine kühne Stellung, einen Luftsprung, ja, man ermuntert auch einmal solchʼ einen Gestenmacher und wirft ihm einen freundlichen Blick zu, aber solchʼ ein Wesen lieben, pfui, gehʼ mir doch! Lieber möchte ich mit einem Gladiator anbinden, der wenigstens sein Leben aufʼs Spiel setzt.«
Dann setzte sie sich neben den Verblüfften, spielte schäkernd mit seinen Händen und fuhr fort, zu betheuern, in ihren Augen habe körperliche Schönheit durchaus keinen Werth. Domitian, von ihrer kindisch – naiven Art, die doch wieder einen Anflug von Affektation hatte, berückt, ergab sich schließlich, lehnte sein Haupt an ihren Busen und ließ sich von ihr die Wange streicheln. Als er mehrmals in heiter-ernster Art seine nicht mehr in der Jugendblüthe stehende Körpergestalt zu tadeln anfing, schloß sie ihm mit Küssen den Mund, hinzufügend, sie müsse sich ja schämen, ob er sie denn für eine griechische Blumenverkäuferin hielte, für eine Tänzerin, die in den Circusgewölben die Fremden anlockt.
Domitian war wenigstens für einige Zeit wieder ganz der ihre, der Duft ihrer weiblichen Verstellungskunst hatte ihn von neuem berauscht, und sie benutzte die hingebende Stimmung des Gatten so lange sie anhielt. Während er von der Einsamkeit seines Thrones sprach und daß er sich manchmal verlassen vorkäme, wie der Ruderer, der an die Schiffsbank angeschmiedet, sein Leben vertrauert, unterbrach sie ihn zuweilen mit der Bitte um einen neuen Schmuck, eine neue Sänfte, eine neue Dienerin und er versprach ihr alle ihre Wünsche zu erfüllen. Dabei streifte ihr Blick, durch das Fenster spähend, manchmal die im Morgenroth brennenden Hügel, auf welchen die erwachende Riesenstadt ausgebreitet lag und dann, während der Kaiser an ihrer Brust die Augen geschlossen hielt, öffneten sich ihre Lippen, wie die Lippen einer Verschmachtenden und ihr auf den fernen glühenden Palästen ruhendes Auge umzog sich feucht. Alsdann, wenn sie genauer zugesehen, würde sie bemerkt haben, wie der anscheinend in festem Schlafe liegende Antonius sein eines Auge zuweilen von dem Lide befreite und es beobachtend, auf ihr ruhen ließ.
Plötzlich unterbrach der Kaiser die Stille, und während er den Kopf nach dem Fenster wandte, sagte er mit nachlässig-vornehmem Tone: »Du hast übrigens deine Rolle gut durchgeführt.«
»Rolle? welche Rolle?« frug Domitia, die zu ahnen begann, daß alle ihre Bemühungen, ihn zu täuschen, erfolglos gewesen.
»Glaubst du wirklich, ich sei so thöricht, als wofür du mich zu halten scheinst?« fuhr der Herrscher bitter lachend fort.
»Aber, mein theures Herz« – wollte sich die Kaiserin rechtfertigen; er aber fiel ihr in die Rede.
»Glaubst du das wirklich?«
»Liebes Herz —«
»Ich bitte, schweig!« sagte er verächtlich, »da siehst ja, daß ich dich lobe. Ich zürne dir ja nicht, dein Talent hat mich ergötzt. Schließlich ist es einerlei, ob du es ehrlich meinst oder nicht. Du bist schön, das genügt, und die Heuchelei nimmt dir deine Schönheit in meinen Augen nicht.«
Verwirrt, entrüstet, beschämt, wollte sie Einwendungen machen, er aber unterbrach sie heftig.
»Reize mich nicht!« fuhr er zornig auf, »glaubst du ich durchschaue die Welt so wenig? Pah! ich kenne euch alle: Nur gut, daß mein Unglück, betrogen zu werden, dadurch wieder aufgehoben wird, daß —« Er wollte sagen: »Daß ich euch allen die Köpfe vor die Füße legen kann,« schwieg jedoch, seufzte auf und lispelte dann: »Wie weich dein Busen ist, liebes Weib, und wie schön dein Arm geschwungen ist! Nein, es wäre unrecht, dir mißtrauen zu wollen, – nicht wahr? Solchen Reizen würde auch der Gott der Lüge trauen.« —
Er lachte widerlich vor sich hin und Domitia, beschämt und geärgert zugleich, wußte nicht, was sie entgegnen sollte.