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3. Die Erkenntnis Gottes

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Doch wie kann Gott überhaupt erkannt werden? Von vornherein ist klar, daß das nicht auf dem Wege des Verstandes geschehen kann. Gott ist ja der Zusammenfall der Gegensätze. „Der Verstand“ dagegen „kann das Widersprüchliche nicht überspringen“ (D 49); sein Ort ist die endliche Welt, in der alles im Gegensatz zueinander steht. Jeder Verstandesbegriff also, der meint, Gott erfassen zu können, reißt ihn auf die Ebene der welthaften Wirklichkeit herab. Wer darum denkend sich Gott nähern will, der muß „aus dem Verstande hinaustreten“ (C 82).

Eher als der Verstand ist die Vernunft (intellectus) imstande, etwas von Gott zu begreifen. Denn „so groß ist … die Macht der einfachen, vernünftigen Natur, daß sie das umgreift, was der Verstand als Entgegengesetztes unterscheidet“ (C 54). Aber auch die Vernunft reicht nicht zu; „die höchste Vernunft kann das Unendliche, Unbegrenzte und Eine nicht begreifen“ (P 288). „In sich selbst … schaut die Vernunft jene Einheit nicht wie sie ist, sondern wie sie menschlich eingesehen wird“ (C 190).

Wenn aber Verstand und Vernunft die charakteristisch menschlichen Erkenntnisvermögen sind, dann bedeutet ihre Abweisung und Relativierung: Gott ist im endlichen Erkennen überhaupt nicht begreifbar. „Ich weiß, daß all das was ich weiß nicht Gott ist, und daß all das was ich begreife ihm nicht ähnlich ist, daß er es vielmehr überragt“ (DA 6f.). All unser Wissen, selbst in weltlichen Dingen, ist bloße „Mutmaßung“ (C 2).

Und nun ist der kühne Gedanke des Nicolaus: Wenn wir Gott nicht im Wissen ergreifen können, dann vielleicht im Nichtwissen. „Die Vernunft muß also unwissend werden und in Schatten gestellt werden, wenn sie dich sehen will“ (VD 146). „Wissen ist Nichtwissen“ (D 5). Das führt zu dem Paradox, daß Gott im Nichtwissen gewußt wird. „Nicht also das was sie einsieht sättigt die Vernunft oder ist ihr Ziel. Und nicht das, was sie durchaus nicht einsieht, kann sie sättigen, sondern allein das, was sie durch Nichteinsehen einsieht“ (VD 166).

Nichtwissen heißt für Nicolaus nicht, resignierend auf das Wissen verzichten. Vielmehr fordert er, daß man in der Frage nach Gott das Nichtwissen ausdrücklich als solches ergreife. Das drückt sich darin aus, daß er es als „docta ignorantia“, als „wissendes Nichtwissen“ versteht. „Es ziemt sich also, über unser Verstehen hinaus in einer gewissen Unwissenheit wissend zu sein“ (D 59). Das ist die einzige Art, sich der Erkenntnis Gottes zu nähern. „Denn zu dem unbegreiflichen (Gott) gelangt man durch dieses Wissen des Nichtwissens“ (Pr 244). Hier geschieht es, „daß ich das Unbegreifliche unbegreiflicherweise in wissendem Nichtwissen umfasse“ (D 163).

Dem entspricht es, daß sich Nicolaus der negativen Theologie zuwendet. Sie überschreitet die affirmative Theologie, in der auf dem Wege der Analogie, also aus der endlichen, menschlichen Perspektive, Seinsprädikate auf Gott übertragen werden. Nicolaus lehnt dieses Verfahren nicht ab; er handhabt es ja selber, etwa in der Lehre von der Dreieinigkeit Gottes. Aber er sieht auch das Problematische eines solchen Vorgehens. Denn „was auch immer durch die Theologie der Affirmation über Gott gesagt wird, wird in der Hinsicht auf die Geschöpfe begründet“ (D 51). Damit aber entsteht die Gefahr, daß Gott auf die Ebene der endlichen Wirklichkeiten herabgezogen wird. Hier tritt als Korrektiv die negative Theologie ein. „So ist die Theologie der Negation so notwendig inbezug auf die andere der Affirmation, daß ohne sie Gott nicht als der unendliche Gott, sondern eher als Geschöpf verehrt würde.“ In der negativen Theologie wird alles, was wir als Seinsbestimmungen der endlichen Wirklichkeit kennen, inbezug auf Gott verneint. Etwa die trinitarischen Formeln haben hier keinen Platz mehr. „Es gibt weder den Vater noch den Sohn noch den Heiligen Geist nach dieser negativen Theologie, dergemäß nur der Unendliche ist.“ Die Konsequenz dieser negativen Theologie aber ist, „daß Gott unaussprechlich ist; und dies, weil er um ein Unendliches größer ist als alles, was benannt werden kann“ (D 54f.). Ja noch mehr: In dieser Sicht wird Gott zuletzt soviel wie Nichts, sofern derjenige, „der zum unendlichen Gott aufsteigt, sich eher dem Nichts als dem Etwas zu nähern scheint“ (CT 692).

Doch auch die negative Theologie, für sich betrachtet, reicht für Nicolaus nicht aus. Am Ende müssen beide, affirmative wie negative Theologie, ins Unsagbare hinein aufgelöst werden. Was bleibt, ist, „daß Gott über alle Affirmation und Negation hinaus unsagbar“ ist (F 60). Das aber besagt: Alle Aussagen über Gott müssen sich in der widersprüchlichen Schwebe zwischen Bejahung und Verneinung halten. Von Gott gilt, „daß er weder genannt, noch nicht genannt, noch genannt und nicht genannt wird“ (DA 8). Auch über das Sein Gottes ist so letztlich nur die paradoxe Aussage möglich. „Denn man wird nicht unendlicher (auf die Frage), ob Gott sei, antworten können, als daß er weder ist, noch nicht ist, noch auch daß er ist und nicht ist“ (C 22). Das ist die äußerste Zuspitzung einer Philosophischen Theologie, die den unendlichen Abstand Gottes von allem Endlichen zu Ende zu denken versucht.

Genau besehen nähert sich deshalb der Mensch Gott überhaupt nicht im Erkennen, sondern höchstens in der Sehnsucht. So spricht denn Nicolaus von einem „unablässigen Sehnen aller nach dem Einen“ (Pr. 242). Darin ist in gewisser Weise das Ersehnte, Gott, gegeben. Das Denken ist „nicht … völlig unwissend über das, was es so sehr ersehnt. Es weiß aufs gewisseste, daß das ist, was es ersehnt“ (Pr 244). Doch eine solche Sehnsucht ist kein wirkliches Erfassen, sondern nur eine Richtung auf Gott zu. Die Vernunft ist das Vermögen, „das das Unbekannte ersehnt und es nicht begreifen kann“ (Pr 242). So bleibt es auch angesichts der Heranziehung der Sehnsucht letztlich bei der Unerfaßbarkeit Gottes.

Wie aber kann der Mensch dann überhaupt zu einem Wissen von Gott gelangen? Nicolaus sieht sich zuletzt auf das reine Schauen verwiesen. „Wenn … der Geist in seinem Können sieht, daß das Können selbst wegen seiner Erhabenheit nicht erfaßt werden kann, dann sieht er in einem Sehen über seine Fassungskraft hinaus“ (AT 370ff.). Um dahin zu gelangen, „muß man über jede Grenze, jedes Ende und Endliche hinaufsteigen“ (VD 146). Dann aber zeigt sich: „Wir haben … ein geistiges Sehen, welches in das schaut, was früher ist als alle Erkenntnis“ (Co 3). Alles, was Nicolaus bisher über Gott in der Weise des wissenden Nichtwissens gesagt hat, bringt schließlich zu diesem Schauen. Etwa die Bezeichnung Gottes als „Können-Ist“ „führt … den Betrachtenden über allen Sinn, Verstand und alle Vernunft hinaus in die mystische Schau, wo sich das Ende des Aufstiegs aller erkennenden Kraft und der Anfang der Offenbarung des unbekannten Gottes findet“ (P 284). Gott „wird im Dunkel gesehen“ (P 358). Das geschieht „in einer gewissen unbegreiflichen Schau gleichsam auf dem Wege einer augenblicklichen Entrückung“ (A 12). Doch auch dieser Weg führt letztlich nicht zum Ziel. Es bleibt dabei, daß Gott auch „für jede Art der Schau unsichtbar“ ist (N 53).

Damit wird Nicolaus am Ende über jede Möglichkeit einer Philosophischen Theologie hinausgetrieben. Alle menschliche Initiative versagt; es kommt zuletzt ganz und allein auf die Initiative Gottes an: daß er selber auf den Menschen schaue. Der Weg führt in die reine Passivität, worin „eher ein Gesehen-werden-Können als eine Schau erreicht wird“ (P 304). Alle Möglichkeit, mit Gott in eine Beziehung zu gelangen, kommt so letztlich aus dessen eigenster Offenbarung. Die „Schau vollzieht sich im Dunkel, wo der verborgene Gott selber vor den Augen aller Weisen verhüllt wird. Und wenn er nicht mit seinem Licht das Dunkel vertreibt und sich offenbart, so bleibt er allen, die ihn auf dem Wege des Verstandes und der Einsicht suchen, gänzlich unbekannt“ (P 358). Daher auch ist „das Können selbst, wenn es in der Herrlichkeit der Majestät erschienen ist, allein mächtig, die Sehnsucht des Geistes zu stillen“ (AT 372). Das aber heißt: Der Glaube wird allem Erkennen und selbst dem Schauen übergeordnet. Nicolaus bezieht sich schließlich auf die „Autorität … des Evangeliums, die allem, was gedacht und gesagt werden kann, unvergleichlich vorgezogen wird“ (Al 47). Zuletzt also gibt sich die Philosophische Theologie zugunsten des Glaubens und der Offenbarung auf. Die äußerste Auskunft des Nicolaus von Cues über die Möglichkeit einer Erkenntnis Gottes auf dem Wege des Philosophierens lautet: „Gott ist verhüllt und verborgen vor den Augen aller Weisen, aber er offenbart sich den Kleinen oder Demütigen, denen er Gnade gibt“ (P 304).

So steht das Denken des Nicolaus von Cues paradigmatisch für ein Philosophieren an der Grenze von Mittelalter und Neuzeit. Er wagt das Äußerste, um im Gedanken Gott zu erkennen. Aber das gelingt ihm nicht mehr in der Unmittelbarkeit, in der noch Thomas von Aquino Philosophische Theologie betreiben konnte. Seine eindringliche Bemühung scheitert am Ende an der Einsicht in die Unbegreiflichkeit Gottes. Die Philosophische Theologie muß sich selber aufgeben. Das Letzte ist der Hinweis auf das Geheimnis und den Glauben.

1 Die Schriften des Nicolaus von Cues werden zitiert nach: Nicolai de Cusa, Opera omnia, iussu et auctoritate Academiae Litterarum Heidelbergensis, Leipzig 1932–1944, Hamburg 1959ff. Die dort noch nicht erschienenen Schriften werden zitiert nach: Nikolaus von Kues, Philosophisch-theologische Schriften, hrsg. von L. Gabriel, 3 Bände, Wien 1964–1967. Der Brief an Albergati ist veröffentlicht in: Cusanustexte IV, Briefwechsel des Nikolaus von Kues, 3. Sammlung, hrsg. von G. von Bredow, Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Heidelberg 1955. Bei der Zitierung werden die folgenden Siglen verwendet: A = Apologia doctae ignorantiae; Al = Brief an Nikolaus Albergati; AT=De apice theoriae; C = De conjecturis; Co = Compendium; CT = Complementum Theologicum; D = De docta ignorantia; DA= Dialogus de Deo abscondito; F = De filiatione Dei; G = Dialogus de Genesi; M = Idiota de mente; N = Directio speculantis seu de non aliud; P = Trialogus de possest; PF = De pace fidei; Pr = De principio; V = De venatione sapientiae; VD = De visione Dei. – Die Übersetzungen stammen vom Verfasser.

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