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Wer bin ich ?
ОглавлениеDie Anfänge meines „Ich“ verbergen sich in dunklen Träumen. Ehrlich gesagt, es gab mich gar nicht.
Nach dem sagenumwobenem Big Bang, dem Urknall, stritten sich Venus, Mars, Merkur, Uranus, Jupiter, Saturn und die Erde um günstige Umlaufbahnen um die Sonne. Kam man der Sonne zu nahe, verbrannte alles und, falls man zu Wasser kam, verdunstete dieses sofort und kein Leben konnte sich bilden. War man zu weit entfernt, hielte kein Lebewesen, nicht einmal Eisbären, diese Kälte aus.
Der Streit dauerte zig Milliarden Jahre lang. Mutter Erde war noch ganz erhitzt von der Debatte, heiße Lavaströme liefen ihr über die Stirn, aber sie hatte eine günstige Umlaufbahn erwischt, nicht zu nah und nicht zu fern der Sonne. Doch leben konnte auch hier noch niemand.
Ich dümpelte damals als hoffnungsvolles Molekül zwischen diversen Atomen und Gesteinsbrocken im Weltall herum. Felsbrocken flogen durch die Gegend und stießen krachend aneinander – das reinste kosmische Billard. Manchmal klammerte ich mich an einen dieser Felsbrocken und flog ein Weilchen mit.
Und eines schönen Tages stürzte ich mitsamt dem Felsbrocken auf die Erde. Wie viele meiner Vorfahren sind in den glühenden Lavamassen der Erde umgekommen, zerbröselt, verbrannt! Aber ich hatte verdammtes Glück. Mutter Erde hatte sich bereits ein wenig beruhigt und sich abgekühlt. Eine dünne Kruste, wenn auch nur eine hauchdünne, hatte sich gebildet, ähnlich der Haut, die sich über heißer Milch bildet, wenn sie abkühlt. Heißer Dampf stieg auf und kam als wolkenbruchartiger Regen wieder herunter. Es schüttete wie aus Eimern, Jahrtausende lang. Ich landete irgendwo in einem riesigen Meer. Und dann schlug ein Blitz in mich ein, eine elektrische Entladung und weckte meinen Geist, sozusagen ein Geistesblitz.
Jetzt wusste ich, ich bin da.
Doch wer bin ich? Fragt mein erwachter Geist.
Erst sehr viel später, am 28. Februar 1953 erfuhr ich von den Nobelpreisträgern James Watson und Francis Crick, dass ich nichts weiter als eine chemische Verbindung bin, ein Nukleotid aus Stickstoff mit vier Basen, ein paar Phosphatresten und ein wenig, Zucker, eine Desoxyribonukleinsäure,
kurz DNA (Säure heißt auf englisch „acid“, daher DNA. Die Deutschen dürfen aber ausnahmsweise auch DNS sagen.)
Gene sind aus DNA gemacht, Erbanlagen, die in Stäbchen, den Chromosomen verpackt sind. Eine geniale Idee und eine geniale Verpackung.
Diese Gene bestimmen nicht nur, ob du ein Gänseblümchen oder eine Gans bist, sondern auch wie du dich zu benehmen hast und wie lange du voraussichtlich leben wirst, falls dir nicht vorher ein Ziegelstein auf den Kopf fällt. In diesen Genen sind sämtliche Informationen für alle nur denkbaren Lebewesen – Dinosaurier, Frosch, Mensch – gespeichert.
Doch woher haben diese elektromikroskopisch kleinen Gene ihre Informationen? Und wer hat sie in Stäbchen verpackt? Und für wen sind diese Informationen bestimmt?
Ich, als Desoxyribonukleinsäure müsste es eigentlich wissen, da diese Gene aus mir gemacht sind. Aber es ist schon so lange her, ich kann mich nicht mehr daran erinnern. Möglich, dass es ein unbestimmtes Wissen vom Leben war, ein Ahnen, das sich wie der Samen einer Idee im Weltall verstreute und auf der Erde auf fruchtbarem Boden fiel.
„Da unsere Erde ein Teil des Universums ist, kommt das Leben in jedem Fall aus dem All, gleichgültig, welchen Standpunkt wir einnehmen.“ schreibt die Biologin Lynn Margulis.
Zum Leben gehört mehr als nur Sein. Ich ahnte, dass mir zum Leben etwas fehlte – ein Körper, von dem ich sagen kann „das bin ich“. Ich musste einen Raum bilden, in den ich mich mit meinen Gefühlsregungen und geistigen Vorgängen zurückziehen kann, um mich abzugrenzen gegen das da „draußen“, das Weltall, das Wasser, gegen andere Körper.
Kurz entschlossen wählte ich aus den chemischen Molekülen, die reichlich in dieser Ursuppe, dem Urmeer, herumschwammen die geeignetsten für eine Schutzhülle, eine Art Haut, eine Membran, die mich wie in einer Zelle von der Außenwelt abschloss. Natürlich musste diese Membran durchlässig sein und sensibel auf Umweltreize reagieren, da ich mich der Welt nicht verschließen, sondern, im Gegenteil, an ihr teilhaben wollte.
Jetzt konnte ich sagen: „Ich bin ein Einzeller, ein lebendes Wesen“.
Ein lebendes Wesen ist ein Wesen mit Stoffwechsel. Ein Esstisch isst nicht und verdaut nicht, ist also nicht lebendig. Ich hingegen bekam plötzlich Hunger, das Leben auf diesem Planeten hatte begonnen.
Jedenfalls für mich.
Bald musste ich aber einsehen, dass der Beginn meines Lebens nicht unbedingt der Beginn des Lebens war. Um mich herum wimmelte es von Einzellern.
Wo kamen die alle her?