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1. Wer lebt, kommuniziert

Fürs Leben demonstrieren

11. August – an diesem Tag möchte ich mit der Einführung für »Leben in der Wir-Welt« beginnen. Es ist 6.45 Uhr. Ich wache auf und sehe an einem Kleiderbügel ein Hemd, mein Hemd, mit der Aufschrift: »Friede und Versöhnung statt Lüge, Hass und Zerstörung«. Ich habe mir das Hemd vor einigen Monaten machen lassen und am Tag der Europawahl zum ersten Mal angezogen und bin damit zur Wahlurne gelaufen. Ich bin von Natur aus kein ausgesprochener Straßen-Demonstrierer; am auffälligsten war diesbezüglich meine Teilnahme an der Fronleichnamsprozession in meiner Heimatstadt Ravensburg. Aber in den letzten Jahren wuchs in mir der Satz »Es reicht jetzt«. Die Welt, die Zustände und die Menschen unserer Welt sind in einer Weise in unseren Medien präsent, dass es jedes Mal schmerzt. Über Kriege, Gewalt, Hungersnöte wurde immer schon berichtet. Aber dass die Worte »Lüge« bzw. »fake-news« und Hass und Aufruf zu Gewalttaten – »ein Galgen ist noch frei«, »ab ins Gas«, »Ausländer raus« usw. – fast täglich genannt werden, das ist uns näher und erschreckender auf den Leib gerückt als zuvor; nähergekommen durch das Schicksal der Flüchtlinge und durch unsere unbedachte Rücksichtslosigkeit, mit der wir mit unserer Umwelt umgehen und sehenden Auges den Ast absägen, auf dem wir sitzen.

»Wir haben es nicht gewusst« wird nicht in den Geschichtsbüchern kommender Zeiten stehen: Im Jahr 2019 war die Erinnerung an 100 Jahre nach dem Ersten Weltkrieg in den Medien präsent; ebenso die 80 Jahre seit Beginn des Zweiten Weltkrieges mit über 50 Millionen Toten und dem anschließenden Ruf »Nie wieder Krieg!«. Dann auch die Feier »70 Jahre Grundgesetz« der Bundesrepublik Deutschland: »Einigkeit und Recht und Freiheit sind des Glückes Unterpfand«. Auch die Losung »Die Würde des Menschen ist unantastbar« wird oft zitiert, aber auch gefragt: Ist sie wirklich unantastbar? Sie wird nicht nur angetastet, sondern mit Füßen getreten; freilich, oft wird für sie auch unter Einsatz des Lebens gearbeitet und gekämpft.

Leben in der Wir-Welt

Wir-Welt

Was will die Überschrift »Leben in der Wir-Welt« aussagen? Sie geht auf meinen Vater zurück. Er hatte lange auf das Jawort meiner Mutter warten müssen. Sehr lange. Sie sagte später einmal: »So hätte ich am Glück meines Lebens vorbeigehen können …« Das Glück einer Kriegsehe. Das Verlobungswort gab meine Mutter ihm im Juli 1939. Für meinen Vater war dies ein großes Aufatmen: »Du bist mein Leben«, schrieb er in einer ersten kurzen brieflichen Antwort. Im August schrieb er an sie: »Dies ist vielleicht schon mein letzter Brief. Ich habe den Einberufungsbefehl bekommen.« Wenige Wochen später begann der Krieg, dem er zum Opfer fiel. In einem seiner Briefe, in dem er auf die Heirat im Jahr 1942 vorausschaute, träumte er: Wir werden in der Kirche sein, die Stola des Priesters wird unsere Hände umschließen und Gott wird unseren Bund fürs Leben segnen. Und dann werden wir aus der Kirche hinaus in die Welt gehen und ihr einen Namen geben, den Namen »Wir«.

Bevor ich diesen Brief las, hatte ich Jahre zuvor schon vom »Wunder des Wir« gesprochen, und jetzt durfte ich dies lesen als Ausdruck meines Vaters für die gemeinsame Lebenswelt mit meiner Mutter und mit Kindern, die sie sehnlich erhofften. Das Wunder des Wir von einem Ich und Du, von Mann und Frau, von mir und den andern, von meinem Land und andern Nationen, von Freunden und ehemaligen Feinden – dieses Wunder kann einem größer vorkommen als eine schnelle, »wunderbare« Heilung von einer Krankheit. Und wenn wir dieses Wunder gefährden, leichtsinnig aufs Spiel setzen – welche Grausamkeit und Unmenschlichkeit! Einen Ausweg daraus oder eine Bewahrung davor finden wir sicher nicht im aggressiven Gegeneinander, sondern nur im suchenden Miteinander. Andernfalls ertrinken Menschen nicht nur im Mittelmeer und auf verschwindenden Inseln und Küstenstreifen, sondern in einem weltweiten menschlichen Tränenmeer.

Miteinander – Gegeneinander

Am 8. August denke ich nicht nur an die Tage der Atombombenabwürfe auf Hiroshima am 6. und Nagasaki am 9. August, sondern immer auch an ein sehr persönliches Erleben. Mein Vater war im Juli 1944 im Krieg südöstlich von Lemberg gefallen, und man musste ihn dort liegenlassen. Durch bewegende Zusammenspiele ergab es sich, dass ich 2005 durch Hinweise einer Dienststelle für Wehrmachtakten den Ort seiner Grablege erfuhr. Und so stand ich am 8. August – dem Geburtstag meines Vaters – an seinem Grab hinter einer Holzkirche auf einer freien Wiese. Zu dritt waren wir. Wir, das heißt ein ukrainischer Theologiestudent, ein polnischer Priester und ich, und beteten gemeinsam ein »Vater unser«. In einer eigenen Mischung von leise und sehr klar war in mir der Gedanke da: »Europa durch Versöhnung!« Die Söhne von Eltern, deren Generation sich einmal als Feinde, als Todfeinde, als Erzfeinde gegenübergestanden war und andere gar als »Untermenschen« angesehen hatte, beteten ein »Vater unser«, waren ein Wir. Verschieden, aber im Miteinander.

Eine gegenteilige Sicht auf das Miteinander sah ich auf einem Brückenpfeiler vor dem Dresdner Hauptbahnhof geschrieben: »Wir gegen die!« Wer sind die »Wir«? Wer die Wir, die sich im »Gegen« definieren? Und wer sind die »die«? Einfach »die anderen«? Die, welche anderer Meinung sind als ich, als wir? Sind »die« die Flüchtlinge? Die politischen Gegner? Oder wer? Oder sind wir manchmal uns selber ein Gegeneinander? So wie Paulus einmal sagt: »Was ich will, das tue ich nicht, und was ich tue, das will ich nicht.« Wie tragen wir das »Gegen« aus – noch in einem menschlichen Miteinander oder im bloßen Gegeneinander? Mit Respekt oder im bloßen Hass und in Lügenkampagnen? Im Gespräch oder im Niederreden und pausenlosen Wörterbeschuss und in Schlag-Zeilen? Im Ignorieren, im Argumentieren? Im Zuhören und im Versuch zu verstehen? Oder im Hassen?

Wer ist » Wir«?

Das Personalpronomen taucht in letzter Zeit relativ oft in Feuilletons, auf Plakaten usw. auf. Auch in Sprechchören wie »Wir sind das Volk«, parteipolitisch: »Das Wir entscheidet« (SPD), gesellschaftlich: »Wir gegen die«, als bayerische Selbstvergewisserung: »Mir san mir«. Es wird auch immer wieder in fast beschwörenden, predigthaften Worten und Appellen gebraucht, man wolle und solle sich nicht auseinanderdividieren lassen, müsse sich schützen vor einer Spaltung der Gesellschaft und demokratisch kultiviert Auseinandersetzungen führen. Der Grundtenor ist: Pflegt das Wir, seid »nahe beim Menschen«, dann könnt ihr leben, zusammenleben. Dies ist die positive Variante.

Es gibt andere Formen von Wir-Bildung und Wir-Ideologie, in denen das »Wir« Ich und Du und wirkliches Begegnen erschwert, ja verunmöglicht. Im Jahr 1920 erschien von Jewgeni Samjatin (1884–1937) der Roman »Wir«. Er spielt im »Vereinigten Staat«, einem Gebilde, das nach einem 200-jährigen Krieg und der »allerletzten Revolution« entstand. Dieser Staat besteht aus einer von einer Mauer geschützten Stadt; die Häuser dieser Stadt besitzen Wände aus Glas. Heerscharen von »Beschützern« wachen über das »Wohl« der Einwohner, deren Leben bis zum kleinsten Handgriff reglementiert ist, über allen steht ein übermächtiger »Wohltäter«. »Nummern« (gemeint sind Menschen), die sich gegen diese »Fürsorge« wehren, werden öffentlich hingerichtet. Der Einzelne zählt nicht. Was zählt, ist das Kollektiv. Im Laufe der Erzählung wird unter anderem die Möglichkeit einer Gehirnoperation entdeckt, die das Fantasiezentrum entfernt und somit Gedanken des Widerstands unmöglich macht. Nicht wenige sehen diesen Roman als prophetische Voraussage der Zeit des Stalinismus bzw., was uns in Deutschland näher ist, als eine Erinnerung an die Zeit des Nationalsozialismus.

Für letztere Ideologie gibt es ein für mich sehr konkretes Zeugnis. Beim Herumstöbern in alten Akten in unserem seit 1921 bestehenden jesuitischen Exerzitienhaus in HohenEichen bei Dresden fand ich ein etwas zerfleddertes Exemplar eines Handbuches: UNSER LAGER. Richtblätter der Führungskräfte in den Lagern, herausgegeben vom Beauftragten des Führers für die erweiterte Kinderlandverschickung (KLV Heft Januar 1945). Dort werden als Schulungsmittel vorgestellt: Morgenfeiern, Heimabende (mit dem Monatsthema: Das Reich), Dienstunterricht, Sport, Pflichtlieder, Werkarbeit, Musikarbeit, Spielarbeit. Nachdem im Jahr 1941 die Geheime Staatspolizei (Gestapo) die Jesuiten aus unserem Haus vertrieb – einer der Mitbrüder, Otto Pies SJ, kam in das Konzentrationslager nach Dachau –, nutzte die Hitlerjugend dieses Gelände für die sogenannte »Kinderlandverschickung«. Dort wurden junge Leute im Alter von zehn bis zwölf Jahren in Schulungsferien verschickt. Sie wurden dort auf ein heldisches Leben vorbereitet, durchaus mit der Perspektive, für Führer, Volk und Vaterland das eigene Leben hinzugeben. Es sei an dieser Stelle einer von vielen Texten mit dem Titel »Wir« zitiert:

Wir!

Wir alle, durch Blut und Boden verwandt,

wir pflügen alle dasselbe Land!

Wir essen alle dasselbe Brot!

Wir tragen alle dieselbe Not!

Wir kämpfen alle mit gleichem Schwert

für unsern Acker, für Hof und Herd!

Ein Hassen, ein Lieben, ein heißes Gebet!

Ein Glaube, der alle Stürme besteht!

Ein Wille, der all unser Schaffen beseelt!

Ein Herz, das in Not und Entbehrung gestählt!

Wir alle sind eins, und ist keiner mehr Ich!

Ein Leben, ein Sterben,

Deutschland, für dich!«

(Annemarie Koeppen)

Ich und sonst niemand

Der Inhalt dieses Textes mag etwas ahnen lassen von Ziel und Methode dieser »Erziehung zu …«. Da ist kein Ich mehr, nur noch ein kollektives Ich. Die Geschichte exemplifiziert immer aufs Neue solche Modelle von Lösung, die aber regelmäßig scheitern. Zur gleichen Zeit kann die Versuchung zu einer andersartigen, aber ebenfalls menschenfeindlichen Ideologie des Individualismus praktiziert werden. Auch der kommt langsam immer mehr in die Kritik, und es zeigen sich seine ichsüchtigen Züge: Egoismus, Individualismus, Narzissmus sind geläufige Kennzeichnungen. Eine der schärfsten Formulierungen dieses »Egoismus« findet sich beim Propheten Zefanja (ca. 200 v. Chr.) im Blick auf das total zerstörte Ninive, das gegenüber dem heutigen vom IS zerstörten Mossul liegt. Ein Wanderer steht nachts vor den Trümmern der Stadt, pfeift vor Angst einsam im waldigen Chaos sich Mut zu, hebt entsetzt die Hände und ruft: »Das also ist die fröhliche Stadt, die sich in Sicherheit wiegte und dachte: Ich und sonst niemand« (vgl. Zef 2,15). Dass Ninive einen Namen hat, dass es dort Vergnügungen und Freude gibt, dass man nach angemessener Sicherheit sucht, dass es ein »Ich«, d. h. eine Identität, der Stadt gibt – das ist nicht das Problem. Das Problem ist das exkommunizierende »und sonst niemand«.

Überall wird das lebendige Wir aufgelöst, wenn es nicht zu einem gemeinsamen Du und Ich im Wir findet. Dies ist auf verschiedenste Weise in den Ideologien von Kommunismus, Kapitalismus, Faschismus und allen religiösen Fundamentalismen der Fall. Wie das am Ende aussieht, das zeigt Ninive. Dies ist die große, politische Ebene. Man kann aber auch an Gruppen von organisierten Untätern denken, die schon Kinder zu sexuellen Opfern abrichten, foltern, für kinderpornographische Filme im Darknet missbrauchen. Einer ihrer Grundsätze lautet: »Du bist Dreck und hast nur unseren Interessen zu dienen …«. – »Aber das gibt es doch nicht bei uns!« Doch, nicht nur in Ninive und anderswo, sondern auch in Europa, in Deutschland. – Papst Franziskus spricht von »globaler Gleichgültigkeit«, man könnte auch sagen von einer universalen Überforderung, wenn wir uns nicht zu einem wirklichen, menschenfreundlichen Wir verbünden, zusammenarbeiten, und dies auf den persönlichen, betrieblichen, wirtschaftlichen, nationalen, europäischen und weltweiten Ebenen.

Vom Ich zu »ziemlich besten Freunden«

Vielleicht wäre es zu viel verlangt, wenn wir alle »ziemlich beste Freunde« würden, so der bekannte Buch- und Filmtitel, dem ein wirkliches Lebensschicksal zugrunde liegt: Der erfolgreiche Unternehmer Philippe Pozzo di Borgo ist durch einen Gleitschirmunfall von den Schultern an gelähmt, bekommt Hilfe durch einen charakterlich und lebensmäßig gänzlich anderen Typ von Mensch, der gerade aus dem Gefängnis gekommen ist. Monatelang liegt Pozzo di Borgo im Bett und kann nur an die weiße Decke schauen. Dabei findet er sich selber und entdeckt die anderen als andere. So entwickelt sich bei ihm eine »Weltanschauung«, die in seinem neuesten Buch greifbar wird. Sein Anliegen fasst er mit den Worten zusammen: »In unserer Gesellschaft herrscht das ›Ich‹ vor. Doch der Individualismus führt in eine Sackgasse, was durch die derzeitige Krise deutlich zutage tritt, und wir sind aufgerufen, eine neue Form des Zusammenlebens zu finden. Dabei muss das ›Du‹ in einer friedlichen und bereichernden Beziehung das ›Ich‹ ausgleichen. Überspitzt formuliert: Gestern hieß es ›Ich‹ gegen ›die‹. Heute sollten wir in Betracht ziehen, dass aus ›denen‹ ›ihr‹ werden kann und dass ›Ich und Du‹ schlicht und einfach ›Wir‹ sind. Eine Revolution der sozialen Beziehungen.«1

Ich kommuniziere, also bin ich

Leben ist Kommunizieren

Sein ist Beziehung, anders gibt es Wirklichkeit nicht. Leben lernen heißt kommunizieren lernen. Zu den bekanntesten Formulierungen aus der Philosophie gehört das Wort von Descartes: »Ich denke, also bin ich.« Diese Erfahrung, in welcher der Philosoph sich als denkendes Wesen wahrnimmt, ist für ihn ein unerschütterliches Fundament der Selbstvergewisserung seiner Existenz. Der bayerische Bergrat und Theo-Philosoph Franz von Baader (1765–1841) greift ausdrücklich dieses Wort auf und erweitert das lateinische »cogito ergo sum« durch den Buchstaben »r« zu »cogitor ergo sum«: »Ich werde erkannt, also bin ich.«

Vor Jahren sah ich an einer Bushaltestelle in München ein großes Plakat mit den Worten: »Ich kommuniziere, also bin ich.« Stärker kann es kaum ausgedrückt werden, worum es in diesem Buch geht, nämlich um das Verständnis von Wirklichkeit als Beziehung oder, wie Martin Buber einmal formuliert: »Alles wirkliche Leben ist Begegnung.« Man kann dem aus der religiösen Denk-, Erfahrungs- und Sprachwelt gesprochen hinzufügen: »Gott umarmt uns durch die Wirklichkeit.« So ähnlich formuliert Ignatius dies im Exerzitienbuch. Der Begleiter solle den begleiteten Menschen helfend zur Seite stehen, aber wichtiger sei es, darauf zu vertrauen, dass der gottsuchende Mensch von Gott in Liebe umfasst und umarmt wird. So wird in ihm Liebe erweckt (vgl. EB 15). Und genau dieses Geschehen ist der Punkt, um den sich alles in den folgenden Themenbereichen dreht. Ignatius bringt dies mit den Worten zum Ausdruck: »Die Liebe besteht im Mitteilen von beiden Seiten« (EB 231). Im Spanischen wird dieses Mitteilen sprachlich mit der Kommunikation, dem Kommunizieren ausgedrückt: »El amor consiste en comunicación de las dos partes.« Kommunikation ist das Spiel von gegenseitigem Empfangen und Geben.

Lexikalische Auskünfte

Nach dem Blick auf die konkrete Realität der Wir-Welt können auch noch lexikalische Auskünfte das Bedeutungsfeld der Kommunikation überblickshaft deutlich machen. Entsprechende Definitionen lauten: Kommunikation ist gemeinsam machen, in Verbindung stehen, zusammenhängen, sich verständigen, miteinander sprechen, mit jemandem kommunizieren, mitteilen. Wenn ein Wort mit »kom« beginnt, stammt es zumeist von der lateinischen Silbe »cum« ab, und das bedeutet immer ein Zusammensein, eine Verbindung. Beispiele hierfür sind etwa Kommunizieren, Kommunismus, Kommunen, Kommunalpolitik, Komposition, Kommerz, Kommuniqué, Kompost, Kontakt.

Geteilt, mitgeteilt werden kann alles: Wissen, Informationen, Fakten, Gefühle, Liebe, Hass, Brot, Wohnraum usw. Je nach Kontext und Umständen sind es die verschiedensten Vorgänge mit den unterschiedlichsten Auswirkungen. Alles, was an Beziehung geschieht, kann als eine Weise der Kommunikation verstanden werden. Selbst der Gang in die Einsamkeit ist nochmals ein Beziehungsgeschehen im Sinn der Distanzierung. Man kann nicht nicht kommunizieren, heißt es. Das Fazit kann also lauten: Ich kommuniziere, also bin ich – also sind Wir. Und es gilt: »Der Mensch wird nur am Du zum Ich« (Martin Buber). Wer gut leben will, tut gut daran zu lernen, wie man gut miteinander kommuniziert.

In der Regel gibt es Regeln

Die goldenen Regeln

In der Regel geben sich Menschen Regeln. Aus gutem Grund. Regeln für Spiele, für die Regulierung des Verkehrs, für den Umgang miteinander, Regeln für ein gutes Regieren, für Tanzschritte, für den Sport, für musikalische Kompositionen. Für höfliches Benehmen gab es früher als Lehrbuch den »Knigge«. Alle diese Regeln sollen helfen, Erfahrungen weiterzugeben und Lebensweisheiten anzubieten für ein »gutes Leben«, für ein menschenfreundliches, von Respekt getragenes Miteinander.

14 Regeln von Ignatius

Von Ignatius, einem Meister der Kommunikation, seien zusammenfassend 14 Regeln des guten Umgangs miteinander vorgestellt. Sie stammen vor allem aus seiner Instruktion für die Mitbrüder auf dem Konzil von Trient (1546) und verschiedenen anderen Texten. Sie sind sprachlich ein wenig als Regel vereinfacht, aber eng an die ursprünglichen Formulierungen angelehnt.

– Sei dir immer bewusst: Gespräche können viel aufbauen und viel zerstören.

– Suche den positiven Sinn in den Aussagen des Gesprächspartners.

– Verstehendes, fragendes, lernendes Hören hat Vorrang vor dem Reden.

– Höre dreidimensional und nimm vom andern wahr: Inhalte – Gefühle – Wollen/Werte.

– Nimm deine eigenen inneren Bewegungen wahr und versuche ruhig zu bleiben.

– Wenn notwendig, sag deine Meinung und deine Argumente: ruhig und klar, deutlich und bescheiden.

– Berufe dich mehr auf die Sache als auf Autoritäten und halte dich nicht für unfehlbar.

– Baue Vorurteile ab und würdige Perspektiven und Argumente aller.

– Prüfe die Motivation deiner Entscheidung zum Schweigen bzw. Sprechen.

– Nimm dir die dem Menschen bzw. der Sache angemessene Zeit.

– Bemühe dich, niemanden unzufrieden zurückzulassen.

– Nütze die Chance der Arbeit an und mit der Sprache.

– Kommunikation wird getragen von menschlicher Achtung, Aufmerksamkeit und vom Vertrauen auf das Wirken des Geistes Gottes.

– Der Geist der Dankbarkeit ist die Quelle alles Guten. Es gehört dir nur wirklich, wofür du danken kannst.

Die goldene Regel Jesu

In der Bibel findet sich die Formulierung Jesu: »Alles, was ihr von anderen erwartet, das tut auch ihnen« (Mt 7,12). Wenn es dann heißt, dies sei das ganze Gesetz und die Propheten, ist damit nicht gemeint, die restlichen tausend Seiten könne man sich sparen; aber es ist eine Botschaft, die mit kurzen Worten Wesentliches für menschenfreundliches Leben zum Ausdruck bringt.

Wer den »Goldschatz« dieser Regel heben will, der kann sich auf einen besinnlichen Weg begeben:

– Was tut mir gut in Begegnungen?

– Wie möchte ich, dass andere mit mir umgehen?

– Was verletzt, ängstigt, schmerzt, bedrängt mich, wenn andere in ihrem Tun, in ihren Worten, in ihrer Mimik, in ihrem Verhalten mir begegnen?

– Wie sehr halte ich mich selber an die Erwartungen, die ich an andere habe?

– Kann ich unterscheiden, was mir gefällt und was andere nicht schon automatisch als »goldene« Umgangsweise erleben?

So eine Selbstbesinnung kann noch eine ganz besondere Bedeutung bekommen und gemeinschaftsfördernd sein, wenn sich eine Gruppe von Menschen darauf einlässt und goldene Regeln miteinander aushandelt.

Ich - Du - Wir

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