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Die Reisegesellschaft der diplomatischen Mission
ОглавлениеAls Thomas Lord Howard, Earl of Arundel, um 1636 vom englischen König nach Wien und Regensburg entsandt wurde, ging es um nichts Geringeres als die Restitution, die Wiedereinsetzung der Familie des „Winterkönigs“ in ihre angestammten Würden und Besitztümer. Doch ging es Lord Howard nicht alleine um Politik, denn er war ein leidenschaftlicher Kunstmäzen und galt als einer der größten Kunstsammler seiner Zeit. Der Earl hatte sich selbst zu der Reise an den kaiserlichen Hof in Wien vorgeschlagen, hätte aber lieber eine Mission nach Rom übernommen.2
In seinem Gefolge reisten Persönlichkeiten, die kulturell kaum weniger interessiert waren als der Earl selbst – allen voran der damals erst achtzehnjährige Chronist unseres Reise-Tagebuchs, William Crowne, und ab Köln der böhmische Landschaftszeichner und Kupferstecher Wenzel Hollar.3 Aus Crownes Feder stammt der hier erstmals vollständig ins Deutsche übersetzte Text des vorliegenden Reiseberichts. Hollar hielt viele der von Crowne beschriebenen Einzelheiten bis hin zu technischen Details der verwendeten Fahrzeuge sowie die Kleidung der dort angetroffenen Menschen bildlich fest. Auf zahlreichen Bildern erkennt man – einmal mehr und einmal weniger exponiert – den Konvoi der Engländer mit dem dazugehörigen Versorgungsfloß. Auch die Datierung der Zeichnungen stimmt mit den Angaben Crownes meist überein, so dass wir es hier mit einem Reisebericht in Wort und Bild zu tun haben. Zumindest einige Blätter, die Hollar nach der Reise radierte, scheinen zur Veröffentlichung vorbereitet gewesen zu sein, denn sie stimmen in Format und Rahmung überein. Umso erstaunlicher ist es, dass er bislang nicht als solcher veröffentlicht wurde.
Dass Crownes Bericht tatsächlich ohne Hollars Radierungen gedruckt wurde, ist vermutlich auf den Umstand zurückzuführen, dass Arundel den Text bereits unmittelbar nach Rückkehr der Delegation nach England veröffentlichen ließ. Ob er damit die weitere Karriere seines jungen Chronisten befördern wollte oder andere Ziele damit verfolgte, muss offenbleiben. So fällt auf, dass sich niemand – noch nicht einmal der Autor selbst – zuvor die Mühe machte, den Text noch einmal zu redigieren oder etwa die genannten Ortsnamen auf ihre damalige Schreibweise hin zu überprüfen. Auch der phantasievoll ausgestaltete Abstecher der Delegation nach Augsburg, der die Reisenden angeblich bis nach Russland, Spanien, Italien und Griechenland führte, wirft Fragen auf, die sich kaum beantworten lassen.4 Wurden diese Abschnitte nachträglich vom Verleger ergänzt? Der Umstand, dass es zu keinem illustrierten Buch kam und Crownes Texte bei allen Übereinstimmungen mit Hollars Zeichnungen in der Schreibweise von Orten oft voneinander abwichen, gab zu der Vermutung Anlass, dass sich beide nicht besonders gut verstanden hätten. Dies erscheint jedoch unwahrscheinlich; vielmehr könnte doch William Crowne – wenn nicht der Earl selbst – Hollar sogar dazu bewogen haben, sich der Reisegesellschaft anzuschließen.5 Zudem darf nicht vergessen werden, dass Hollar die deutschen Ortsnamen in seiner Muttersprache notieren konnte, wohingegen Crowne als Engländer meist auf deren phonetische Schreibweise angewiesen war.
Um zu verstehen, was Arundel in das von Krieg und Seuchen gepeinigte Reichsgebiet führte, darf nicht unerwähnt bleiben, dass derlei „Kavaliersreisen“ auch während des Dreißigjährigen Krieges für Angehörige des Hochadels nicht ungewöhnlich waren.6 Trotz des andauernden Kriegszustandes eilte zumindest den größeren Städten des Heiligen Römischen Reichs deutscher Nation der Ruf voraus, reich an Kunst und Kultur und damit kulturgeschichtlich außerordentlich bedeutend zu sein. Die römischen Ausgrabungen bei Xanten erschienen Crowne nicht minder bedeutsam als das damals gerade erst fertiggestellte Waldsteinpalais in Prag. Den Objekten in der Kunst- und Wunderkammer Kaiser Rudolfs II. auf dem Prager Hradschin, eine der damals weltweit wichtigsten Sammlungen dieser Art, widmete er gar drei Seiten seines Berichts. Nicht wenige Exponate der damals noch vollständigen Sammlung, die im weiteren Verlauf des Dreißigjährigen Krieges beraubt wurde, lassen sich auf diese Weise identifizieren – etwa der gegen Ende des Krieges von den Schweden beschlagnahmte und heute in der königlichen Bibliothek zu Stockholm befindliche Codex Gigas.
Die Gefährdung dieser und anderer Sammlungen durch den andauernden Kriegszustand wird dem kunstsinnigen Earl of Arundel wohl bewusst gewesen sein. So nutzte er seine Mission auch, um selbst Kunstgegenstände für seine Sammlung zu erwerben. Dieses von vielen Zeitgenossen geteilte Bewusstsein, Deutschland stehe nach inzwischen fast zwanzig Jahren Krieg am Abgrund völliger Zerstörung, mag einer der Gründe dafür gewesen sein, die Reise so genau dokumentieren zu lassen. Denn Crownes Reisebericht und Hollars Zeichnungen halten den damaligen Zustand vieler Orte, Schlösser und Kirchen oft bis in architektonische Details hinein fest. Diese Informationen sind für baugeschichtliche Rekonstruktionsversuche von außerordentlichem Wert und bis heute noch nicht umfassend wissenschaftlich ausgewertet. Auf seiner Reise durch Deutschland befand sich der Earl of Arundel in „most exclusive, effcient and brilliant company“ – nach Auskunft des Theatrum Europaeum zumindest zeitweise „mit einem ansehnlichen Comitat von 97 Personen und vielen Pferden.“7 Die englische Staatskasse kostete die Expedition über 25.000 Pfund. Rechnet man dazu die privaten Auslagen des Earl, sollen die Gesamtkosten dieser Reise über 70.000 Pfund betragen haben.8
Ohne gründliche Vorbereitung und verlässliche Begleiter konnte man ein solches Unternehmen, das den Earl durch die von Krieg und Seuchen geschüttelten Gebiete am Rhein und in der Oberpfalz führte, allerdings auch nicht durchführen. Zunächst wären zu nennen Edward Walker, Arundels Sekretär, sowie Sir John Borough, ein Beamter des Londoner College of Arms. Seit 1623 war Borough auch Keeper of the Records im Tower und damit verantwortlich für das Staatsarchiv. Er galt als Experte in Fragen des Völkerrechts und war somit einer der wichtigsten politischen Berater Arundels auf dieser Reise.9 Boroughs Sohn Caisho nahm privat an der Mission teil und trennte sich in Süddeutschland von der Gruppe. Der Vater beabsichtigte, ihn auf eine Kavaliersreise nach Italien zu schicken, wollte aber vermeiden, dass ihm auf einer uneskortierten Reise durch Deutschland etwas zustieße. Francis Windebank, Sohn des gleichnamigen königlichen Secretary of State, sollte Caisho Borough nach Italien begleiten. Sein Vater hatte ihn der Obhut des Earl of Arundel anvertraut, dessen fünfter Sohn, William Howard, ebenfalls mit weiter nach Italien reisen sollte. Dort sollte sich William Petty, den der Earl mit der Begutachtung und dem Ankauf von Kunstwerken beauftragt hatte, der drei Jungen annehmen.10 Aus diesen Gründen war unter den Expeditionsteilnehmern auch Dr. William Harvey, königlicher Leibarzt, Naturwissenschaftler und – wie Arundel – Kunstmäzen. Harvey hatte sich durch die Entdeckung des menschlichen Blutkreislaufes einen wissenschaftlichen Namen gemacht – eine Entdeckung, die ihn später weltberühmt machen sollte. Auch er sollte die Gruppe in Augsburg verlassen, um nach Italien weiterzureisen. Bevor er im November 1636 wieder in Regensburg eintraf, um in Arundels Gefolge zurück nach England zu reisen, hatte er sich nachweislich bei William Petty in Venedig, dann aber auch in Florenz und Rom aufgehalten. Sicherlich war er auch in Padua, denn dort hatte Harvey Medizin und Anatomie studiert.11 Wenzel Hollar, dessen Vorliebe für Landschaften und seltene Pflanzen Harvey wohl teilte, erinnerte sich später an die gemeinsame Zeit im Gefolge Arundels: „Dr. Harvey would still be making observations of strange trees and plants, earths, etc., and sometimes he was like to be lost, so that my Lord Ambassador would be really angry with him for there was not only a danger of thieves but also of wild beasts.“12 Als sich Arundel und seine Begleiter auf ihrer Rückreise nach England im November 1636 ein zweites Mal in Nürnberg aufhielten, führte Dr. Harvey eine öffentliche anatomische Sektion durch. Damit wollte er seinen Kritiker und früheren Kommilitonen aus Padua, den Nürnberger Medizinprofessor Caspar Hofmann (1572–1648), von der Richtigkeit seiner Theorie über den menschlichen Blutkreislauf überzeugen. Obwohl Harvey seine Beobachtungen hinreichend begründete, gelang es ihm nicht, den Professor zu überzeugen. Wutentbrannt soll er den Professor am Sektionstisch stehen gelassen haben.
Ein anderer William Howard, ein Cousin des Earl of Arundel, nahm ebenfalls an der Expedition teil. Er scheint gute Beziehungen zum Jesuitenorden und der Kurie in Rom unterhalten zu haben, was für den Zweck der Reise sicherlich von Vorteil sein sollte.13 Was hier für die englischen Interessen galt, musste indes für die pfälzischen noch lange nicht gelten. Pfalzgräfin Elisabeth hatte deshalb dafür gesorgt, dass sich einer ihrer Vertrauten, der kurpfälzische Diplomat Johann Joachim von Rusdorf, der englischen Delegation ebenfalls anschloss – schließlich ging es ja vorrangig um eine pfälzische Angelegenheit. Rusdorf war das einzige Delegationsmitglied, das am kaiserlichen Hof persönlich bekannt war.14 Doch wurde er, da die Kurpfalz als Staat nicht mehr existierte, weder von Arundel noch von der kaiserlichen Seite in alle die Pfalz betreffenden Verhandlungen einbezogen.