Читать книгу Wyatt Earp Staffel 11 – Western - William Mark D. - Страница 6

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Es war gegen vier Uhr am Morgen, als sie Tucson verlassen wollten. Sie ritten durch die geschlängelte Mainstreet, und als sie das Ende der Stadt fast schon erreicht hatten, hielt der Missourier plötzlich seinen Falben an, nahm ihn zurück und blickte zur linken Straßenseite hinüber, wo er durch eine Häuserritze gegen den fahlen Himmel etwas erkennen konnte, das ihm für einen Moment den Atem stocken ließ.

Es war ein Galgen. Er mußte hinten im Hof oder Garten des großen Steinhauses stehen.

Und der Mann, dem dieses Haus gehörte, war niemand anders als Richter Allison.

Wyatt Earp starrte durch den schmalen Häuserspalt auf die Konturen des makabren Gerüstes und ließ die Hände mit den Zügelleinen auf den Sattelknauf sinken.

Doc Holliday sah sich nach ihm um; als er feststellte, daß der Marshal anhielt, wandte er seinen Rappen und kam zurück. Aus schmalen, harten Augen blickte auch er zu dem Galgen hinüber.

»Das kann doch nicht wahr sein!« stieß der Missourier heiser durch die Zähne.

Der Georgier schob sich den Hut aus der Stirn. »Sieht leider nicht aus wie eine Fata Morgana.«

Sie stiegen beide aus den Sätteln, brachten ihre Pferde an eine Halfterstange und verschwanden durch den Häuserspalt.

Der Hof hinter dem Haus des Richters lag noch im Dämmern der Nacht vor ihnen.

Wyatt Earp blickte auf den Galgen, der hinten zwischen dichtem Strauchwerk zu stehen schien. Er war wenigstens acht Yard hoch, und an seinem Querbalken, der von einer dünnen Strebe gestützt wurde, hing ein Hanfstrick mit einer Schlaufe.

Die Männer standen an der Rückfront des Hauses und blickten sich im Hof um.

Da hatten sie also wieder zugeschlagen, die Galgenmänner! Und nur zwölf Stunden vorher, am Nachmittag des vergangenen Tages, hatte der Marshal Earp bei Oberrichter Harold Allison seinen Bericht über den Kampf mit den Galgenmännern abgegeben.

»Sie haben den Richter ausgelöscht«, sagte der Georgier und versuchte, die schwarzgrauen Sträucher vor dem Gerüst mit den Augen zu durchdringen.

»Diese Hunde!« Wyatt biß die Zähne aufeinander und stemmte die Arme in die Hüften.

Nun war also alles umsonst gewesen. Sein gefährlicher Ritt nach Mexiko hinüber, die Festnahme der Galgenmänner und ihre Verurteilung – alles umsonst! Die Befürchtung des Marshals, daß die Bande sehr viel größer war, erwies sich also als Tatsache. Sie war nicht nur in Kom Vo und Costa Rica, die Bande war auch in der großen Stadt Tucson. Und blitzschnell hatte sie wieder zugeschlagen. Ihr unheilvolles Zeichen ragte dräuend aus dem Hof auf in den Morgenhimmel.

Sie hatten also den Richter ausgelöscht, der den Bericht erhalten hatte. Allison würde also keine Gelegenheit mehr haben, das Material, das ihm der US-Marshal Earp übergeben hatte, an die Regierung weiterzureichen.

Da vernahm der Missourier dicht hinter sich ein Geräusch. Er fuhr hart zur Seite, zog den Colt und sah, daß sich auch Doc Holliday mit dem Revolver in der Hand neben der Hoftür aufgebaut hatte.

Leise knarrend wurde die Tür um einen Spalt geöffnet.

Da sprang Wyatt vorwärts, riß die Tür mit einem Ruck auf und schleuderte den Mann, der sich hinter ihr verborgen hatte, in den Hof.

Mit einem heiseren, halberstickten Schrei wälzte sich der Überraschte am Boden.

Wyatt war sofort über ihm – und fuhr verstört zurück.

»Mister Allison!«

»Ja«, kam es keuchend zurück, »Mister Earp, ich bin es!«

»Ja, aber…, ich verstehe nicht…«

Wyatt half dem Richter auf und griff sich an die Stirn. Dann deutete er auf den Galgen.

Allison starrte zu dem Gerüst hinüber.

»Die Galgenmänner!« stieß er entsetzt hervor.

»Und der Galgen steht in Ihrem Garten!«

Harold Allison schüttelte den Kopf.

»Nein, Marshal«, erklärte er, ohne den Blick von dem Galgen zu lassen, »er steht nicht mehr auf meinem Boden. Das ist Jim Eliots Hof.«

»Elliot, wer ist das?«

»Der Steuereinnehmer.«

Die beiden Dodger blickten den Richter verblüfft an.

»Der Steuereinnehmer?«

»Ja.« Richter Allison zog seinen Morgenmantel, den er, als er die Geräusche in seinem Hof gehört hatte, rasch übergeworfen hatte, enger zusammen, da ein kühler Morgenwind durch den Hof pfiff. »Elliot ist Steuereinnehmer von Tucson und der ganzen Umgegend.«

Der Marshal rannte vorwärts, drang durch die Büsche und sah sich plötzlich auf einem schmalen Pfad, der wohl die Grenze zum Nachbarhof bilden sollte.

Und inmitten des engen Hofes stand der Galgen.

Wyatt lief auf die graue Rückfront des Hauses zu.

Die Tür war verschlossen.

Er klopfte gegen die Scheiben.

Da kamen auch Doc Holliday und der Richter heran.

»Mrs. Elliot!« rief der Richter mit krächzender Rabenstimme, die schaurig durch den Morgen hallte.

Es dauerte eine ganze Weile, bis ein kleines Mädchen weinend unten in der Tür erschien.

»Meine Mutter – ist krank!«

»Kannst du nicht deinen Vater wecken?« fragte Wyatt.

Da begann das Mädchen noch lauter zu weinen.

»Nein, er… ist nicht da!«

Eine volle Stunde lang suchten die beiden Dodger Haus und Hof nach der Leiche des Steuereinnehmers ab – denn daß er das Opfer der Galgenmänner war, stand ja nun fest.

Sie fanden keine Spur von Jim Elliot.

Die Frau des Steuereinnehmers, die sich mittlerweile in die Küche geschleppt hatte, vermochte nicht zu begreifen, wo ihr Mann geblieben war.

»Er ging vor mir schlafen, und als ich vorhin wach wurde, war er nicht mehr da. Ich glaubte, er wäre schon aufgestanden, denn ich hatte bleiern geschlafen…«

Jim Elliot war und blieb verschwunden.

Wyatt Earp ging ein letztes Mal durch den Hof, und plötzlich blieb er vor den Sträuchern stehen, die vor einem dünnen Bretterzaun, der den Garten nach Süden hin begrenzte, wuchsen.

Im helleren Morgenlicht sah er jetzt den schwachen Abdruck eines Stiefels.

Er bückte sich nieder und drang tiefer ins Gesträuch ein, da er an frisch zerknickten Zweigen festgestellt hatte, daß sich hier jemand durch die Büsche gezwängt hatte.

Und richtig. Er fand die gleichen Stiefelabdrücke noch mehrmals in der taufeuchten Erde.

Der rechte Absatz dieses Mannes hatte genau in der Mitte einen großen Nagel.

Welch ein verräterisches Zeichen!

Der Marshal blickte über den Zaun auf einen kleinen Weg, wo er im dünnen gelbbraunen Sand die Spuren mehrerer Männer und auch Hufabdrücke entdeckte.

Da es jetzt sehr viel heller geworden war, bemerkte er bei genauer Untersuchung der Fährte des Mannes mit den Nagelabsatz, daß sie auffällig tief war, vor allem in den Sträuchern, wo der Boden weicher und erdiger war.

Entweder war es ein sehr schwerer Mann – oder aber er hatte etwas Schweres geschleppt.

Einen Menschen zum Beispiel.

Jim Elliot!

Wyatt ging zum Haus zurück.

Der Richter kam ihm an der Küchentür entgegen.

»Natürlich nichts gefunden?« meinte er.

»Leider«, entgegnete der Marshal. »Wo ist Doc Holliday?«

»Er hat sich das Fenster der Schlafstube von außen angesehen.«

Wyatt ging um das Haus herum und sah den Spieler vor einem der Fenster stehen.

Die Frau stand drinnen vor den Betten.

Plötzlich deutete Holliday auf ein gaues Tuch, das oben an der Kopfwand hinter den Kissen lag.

»Gehört das Ihnen?«

Suzan Elliot blickte verwundert auf das alte Tuch.

»Nein.«

»Darf ich es einmal sehen?«

Sie reichte es dem Georgier durchs Fenster.

Der roch kurz daran und nickte. »Hm, das werden wir mitnehmen. Vielleicht führt es uns weiter…«

Nach einer Viertelstunde verabschiedeten sie sich vom Richter und der unglücklichen Frau Elliot und verließen die Stadt.

Holliday blickte mit düsterer Miene auf die Straße.

»Wollten wir nicht nach Norden hinauf?«

Wyatt nickte.

»Doch, das wollten wir. Aber ich habe hinter dem Hof Spuren von mehreren Männern und Pferden gefunden. Sie führen hierher auf die Overland nach Osten.«

Holliday nahm das graue Tuch aus der Tasche.

»Die beiden Elliots sind schwer betäubt worden. Das ist die ganze Krankheit der Frau. Ich vermute, daß der Bandit durch das Fenster gestiegen ist, aber ich habe keine Spuren draußen gefunden. Auch versicherte mir Mrs. Elliot, daß das Fenster während der Nacht stets geschlossen gewesen wäre.«

»Demnach muß der Eindringling die Hoftür ins Haus gekommen sein. Es ist ihm gelungen, die beiden zu betäuben, und dann hat er den Steuereinnehmer mitgenommen.«

Holliday schob das Gesichtstuch der Galgenmänner in die Tasche zurück und meinte gedankenvoll:

»Weshalb ist er betäubt und verschleppt aber nicht getötet worden?«

Diese Frage beschäftigte den Marshal seit einer halben Stunde, seit er die Fährte in den Sträuchern gefunden hatte: die Absatzspur des Mannes mit dem großen Nagel.

Sie ritten nach Osten. Die Straße machte schon nach wenigen Meilen eine starke Biegung nach Süden und führte dann hart nach Südosten hinunter.

»Wenn wir in dieser Richtung weiterreiten, kommen wir in zwei Tagen nach Tombstone«, meinte der Spieler spöttisch.

»Das verhüte Gott!« entgegnete der Marshal, der sich des dumpfen Gefühls einer Vorahnung auch nicht ganz erwehren konnte. »Dahin werden wir wohl kaum jemals wieder reiten.«

Die Richtung wies genau auf die verrufene Stadt unten im Cochise County hin. Aber zwischen Tucson und Tombstone lagen mehr als siebzig Meilen und vier Städte.

Am Mittag tauchten vor ihnen die Dächer von Vail auf; es war eine kleine Kistenholzstadt, braungrau wie alle Städte des Westens, verwahrlost, inmitten einer öden, trostlosen Landschaft.

Trotz des Oktobertages herrschte eine wahre Höllenglut. Wie eine weißgelbleuchtende Fackel brannte die Sonne am wolkenlosen Himmel.

Die breite Mainstreet von Vail lag wie ausgestorben da. Sogar die schattigen Vorbauten waren wie leergefegt.

Vorm Sheriffs Office hielt der Marshal seinen Falben an, warf dem Gefährten die Zügelleinen zu und stieg ab.

Die Tür des Bureaus stand offen und gab den Blick in einen engen Raum frei.

Der Sheriff war nirgends zu sehen.

Wyatt durchquerte das Bureau und stieß die Hoftür auf.

Alte Wagenräder, Karrenteile, zertrümmerte Gewehrständer, Fenzreste und ähnliche Dinge lagen in wüstem Durcheinander umher.

Der kleine, halbverfallene Stall stand ebenfalls offen – und war leer.

Wyatt wandte sich ins Office zurück.

Als er vorn in der Tür erschien und in die Augen des Spielers blickte, meinte der:

»Wirkt reichlich ausgestorben, dieses Nest.«

Der Marshal klopfte an die Tür des nächsten Hauses.

Nichts rührte sich.

Auch das übernächste Haus schien unbewohnt zu sein.

Was war hier geschehen?

Der Missourier überquerte die Straße, klopfte an die Tür eines Sattlers, öffnete und blickte in die leere Werkstatt, in der es genauso aussah, als sei der Meister eben einmal zum Barbier oder auf einen Drink in die Schenke gegangen.

Nebenan war ein Store.

Auch er war leer.

»Das ist doch nicht möglich«, murmelte der Marshal vor sich hin, stieg in den Sattel und ritt, von Holliday gefolgt, weiter die Straße hinunter.

An einer Ecke sah er das Schulhaus.

Nicht der geringste Laut drang aus den geöffneten Fenstern ins Freie.

Überall herrschte die gleiche Leere.

Die beiden Reiter sahen sich nach allen Seiten um.

Plötzlich war dem Marshal, als habe er drüben eine Bewegung hinter einem Türspalt bemerkt. Er nahm seinen Falbhengst herum, sprengte über die Straße, setzte vom Pferd aus gleich auf den Vorbau und stieß die Tür auf.

Nur drei Yard vor ihm, gegen einen Treppenpfeiler gestützt, gewahrte er einen alten Mann, der mehr Ähnlichkeit mit einem toten als mit einem lebendigen Menschen hatte.

Pergamentfarbene Haut hatte seinen kahlen Schädel überzogen und spannte sich wie ein Trommelfell über die scharfen Knochen. Tief in braun-grünen Höhlen lagen seltsam helle Augen. Der Mund zog sich in einer an den Enden nach unten gebogenen Linie dicht unter die Nase hin. Hart und spitz schob sich das Kinn nach vorn. Dieser Totenschädel saß auf einem Hals, der kaum den Durchmesser eines Kinderarmes zu haben schien. In völlig verlumptes, viel zu weites Zeug war dieser Mann gekleidet. Die Rechte hatte er um den Treppenpfeiler gelegt und die Linke hielt er mit gespreizten Fingern nach vorn.

Plötzlich riß er den zahnlosen Mund auf und stieß einen gurgelnden Schrei aus.

»Gnade…!«

Wyatt blickte ihn entgeistert an.

Der Greis bot einen geradezu erschütternden Anblick.

»Gnade!« hechelte er noch einmal. »Ich… konnte nicht mit den anderen fliehen, da mich niemand… mitgenommen hat! Ich… bin nicht gesund… Ich…«

Wyatt nahm den Hut ab.

Diese Geste schien den Mann seltsamerweise zu beruhigen. Ein Mann, der den Hut abnahm, deutete doch damit sicher keine böse Absicht an.

»Mein Name ist Earp. Ich komme von Tucson.«

»Earp?« Ein wildes Lachen schüttelte den ausgemergelten Körper des Greises.

»Earp! Das ist ein satanischer Scherz, Mister! Ich weiß genau, wer Sie sind! Geben Sie sich keine Mühe. Die ganze Stadt weiß es – und darum ist sie auch leer.«

Doc Holliday war aus dem Sattel gestiegen, als er den heiseren Angstschrei draußen gehört hatte, und tauchte jetzt hinter dem Marshal in der Tür auf.

Das wilde Lachen erlosch jäh auf dem Gesicht des Alten und machte wieder der maskenhaft-starren Angst in seinen Zügen Platz.

»Und da ist er ja schon!« krächzte er, auf dem Spieler deutend. »Mc Lowery! Ich kenne ihn, McLowery, der Bandit aus dem San Pedro Tal.«

Die beiden Dodger wechselten einen raschen Blick miteinander, der deutlich widerspiegelte, was beide dachten: der Alte muß geistesgestört sein!

Da schüttelte sich der Greis plötzlich wieder in eisiger Furcht.

»Ich kenne ihn, es ist McLowery! Der Bandit aus dem San Pedro Valley.«

Wyatt wollte sich abwenden, aber Holliday blieb stehen.

»Sie irren sich, Mister«, sagte er rasch. »Frank und Tom McLowery sind tot!«

Der Greis hielt urplötzlich in seinem Zittern inne und riß die Augen so weit auf, daß die Iris im Weißgrau schwamm.

»Ja, o ja, Mister. Ich weiß, sie sind tot, Frank und Tom. Bei dem Gefecht im Tombstoner O.K. Corral sind sie umgekommen. Frank und Tom. Nicht aber Kirk! Und Sie sind Kirk! Kirk McLowery!« Er streckte die Hände weit nach vorn und wies auf den Spieler, wobei er nur noch mit seinem verwachsenen Rücken an dem Treppenpfeiler lehnte. »Kirk McLowery! Das sind Sie. Und… ich dachte, ich könnte dem Tod ins Auge sehen. Weil ich alt bin. Aber… ich habe Angst! Angst!«

Holliday wechselte wieder einen Blick mit dem Missourier und fragte dann:

»Anscheinend haben Sie auf diesen Kirk McLowery gewartet, Mister?«

»Ja – die ganze Stadt hat auf ihn gewartet.«

»Seit sie gewarnt wurde, nicht wahr?«

»Gewarnt? Ja, Sie haben recht! Und wenn Sie wüßten, wer uns gewarnt hat, stünden Sie nicht mehr so kaltherzig da auf dem Vorbau, wo Sie von überall her gesehen werden können!«

Es war klar, daß der Mann gern sagen wollte, wer der Warner gewesen war. Deshalb erkundigte sich der Marshal:

»Wir haben nichts und niemanden zu fürchten, Mister. Aber wir wüßten doch gern, wer die Stadt vor Kirk McLowery gewarnt hat?«

»Er hat uns vor dem da, der hinter Ihnen steht, und auch vor Ihnen selbst gewarnt. Er ist Kirk McLowery, und Sie sind Cass Claiborne.«

»Cass Claiborne?«

Wie Blitze zuckten die Gedanken durch das Hirn des Missouriers. Sollte es möglich sein? Sollte der Bruder des Banditen Billy Claiborne, mit dem sie sich jahrelang in Tombstone herumgeschlagen hatten, und der an Ike Clantons Seite mit in den O.K. Corral gezogen war, sollte sich sein Bruder Cass jetzt hier herumtreiben? Hieß es damals nicht, daß Cass Claiborne, Bills jüngerer Bruder, eine kleine Farm drüben in New Mexico hätte? Daß er ein ehrbarer Bursche sei, der nichts mit Bill zu tun haben wolle?

Daß die zwei McLowerys einen Bruder hatten, wußte Wyatt gar nicht. Ausgeschlossen war es natürlich nicht. Sollte der gerissene, diabolische Bandit Frank McLowery außer dem einfältigen Tom, der zusammen mit ihm im O.K. Corral untergegangen war, noch einen Bruder daheim auf der Ranch im San Pedro Tal gehabt haben?

Auch das war keineswegs unmöglich. Dann stiegen sie ja allenthalben wieder wie Geister aus den Gräbern, die Clantons, die McLowerys und die Claibornes!

Ein lähmender Gedanke!

Wenn man bedachte, daß die meisten Familien wenigstens vier Kinder hatten, dann war das sogar sehr gut möglich.

Das schlimmste war, daß sich jetzt diese Brüder der gefallenen Banditengrößen auf die Fährte ihrer Vorgänger zu setzen schienen.

»Würden Sie uns wohl sagen, Mister, wer die Stadt vor uns gewarnt hat?« wiederholte der Marshal seine Frage.

»Ja!« Die Augen des Greises leuchteten plötzlich, als er zwei Worte sagte, die er den beiden vermeintlichen Banditen wie Brandfackeln entgegenschleuderte:

»Wyatt Earp!«

Verdutzt sah ihn der Marshal an.

»Wyatt Earp? Man sollte es nicht glauben!« entfuhr es ihm.

»Es ist aber so. Und nun rate ich Ihnen, Cass, verschwinden Sie! Der Marshal ist in der Nähe und weiß, daß Sie und Kirk McLowery hier die Gegend unsicher machen.«

Wyatt wandte sich ab und wollte zu seinem Pferd gehen; aber weil Doc Holliday offenbar noch keine Lust zum Weiterreiten hatte, wartete auch er.

Der Spieler lehnte sich gegen den Türrahmen, zündete sich gleichmütig eine Zigarette und meinte:

»Und deshalb sind die hier alle getürmt?«

Der Greis nickte. »Wenn ein so bedeutender Mann wie der Marshal Earp uns warnt, müßten wir ja irrsinnig sein, seinen Rat in den Wind zu schlagen! Sie haben ganz Aloahey in Flammen aufgehen lassen, Kirk McLowery. Das wissen wir wohl. Und Cass Claiborne hat in Hoverstown Harry Gladstone und Winnie Bakersfield erschossen, er hat in Marcostire Jerome Goddard und Eddie Fish getötet, in Fairbanks Jimmy Wasgat und…«

»Es reicht!« unterbrach ihn der Spieler brüsk, indem er sich hochaufrichtete und vom Türrahmen abstieß. »Jetzt würde mich nur noch interessieren, ob dieser… dieser Wyatt Earp allein war?«

»Nein!« rief der alte triumphierend. »Es war ein Mann bei ihm, der euch fertigmachen wird! Ein Scharfschütze, wie es ihn im Westen nur einmal gibt: Doc Holliday!« Er kostete den Namen aus – suchte aber vergebens nach einer Wirkung in den Augen des vermeintlichen Banditen. »Wenn ihr gescheit wäret, würdet ihr weiterreiten! Und zwar sofort.« Als er glaubte, ein Zögern bei dem Georgier zu bemerken, trat er näher und breitete die Hände bittend aus. »Mister McLowery! Was haben Sie davon, wenn Sie diese Stadt ebenfalls anzünden? Hunderte von Menschen sind obdachlos und müssen unter offenem Himmel schlafen. In den Nächten ist es jetzt schon empfindlich kalt, und die vielen kleinen Kinder…«

Wyatt hatte sich während dieses Gesprächs die gegenüberliegende Häuserfront angesehen.

Drüben lag die Arizona West Bank. Auch ihre Türen standen weit offen.

Der Marshal wandte sich um und blickte den Alten forschend an.

»Sie waren also beide hier. Und wohin ritten sie?«

»Sie werden Ihnen auf der Spur sein!«

»Waren Sie nicht vorher noch zufällig drüben im Bankhaus?«

»Ja, sie sahen nach dem Rechten, wie es ja die Pflicht eines US Marshals ist.«

Wyatt preßte die Lippen fest aufeinander, rannte über die Straße und verschwand im Eingang der Bank.

Holliday sah ihn im Bankhaus verschwinden.

Der Greis stieß einen Fluch aus.

»Wir haben nicht viel Geld in der Stadt. Und jeder hat nur ein paar Dollars gespart. Wenn Cass sie rauben will – bitte, aber verschonen Sie die Häuser, Kirk McLowery! Haben Sie Erbarmen!«

Da kam der Marshal zurück.

»Wie ich es mir gedacht habe.«

»Leer?«

Wyatt nickte.

Holliday blickte den Alten an.

»Damit kein falsches Bild des Marshals Earp in Ihrer Seele bleibt, Mister: da steht er! Er hat sich eben davon überzeugt, daß die beiden Männer, die sich hier für Wyatt Earp und Doc Holliday ausgegeben haben, eure Bank ausgeräumt haben, ehe sie weiterritten. Und die Bürger selbst haben es den beiden Banditen dadurch leicht gemacht, daß sie die Stadt verlassen haben.«

»Nein…, das… das…«

»Kommen Sie!« Wyatt nahm ihn am Arm, stützte ihn und half ihm über die Straße hinüber.

Entgeistert starrte der alte Mann auf die aufgebrochenen Tresore und das Durcheinander, das hinter den beiden Schaltern herrschte.

»Nur damit Sie im Bilde sind, Mister!« stieß der Marshal rauh durch die zusammengebissenen Zähne. »Und die beiden Halunken, die sich unsere Namen zugelegt haben werden wir auch noch finden.

– Ist außer Ihnen niemand in der Stadt zurückgeblieben?«

»Ein paar alte Leute, die gar nicht wegkonnten…«

»Sie können doch aber gehen.«

»Schlecht.«

»Wohin haben sich die Leute verkrochen?«

»In die drei Silberstollen unten am…«

Er hielt inne und blickte den Marshal wieder mißtrauisch an.

Der beruhigte ihn:

»Wir werden nicht nach den Leuten suchen. Beschaffen Sie irgendwo ein Pferd! Ganz sicher wird noch in einem der Ställe ein Gaul stehen, und reiten können Sie ja sicher besser als gehen. Reiten Sie zu dem Bergwerk und sagen Sie den Menschen Bescheid. Es besteht bestimmt keine Gefahr. Sie sollen zurückkommen.«

»Und Sie?« fragte der Greis. Er ließ den Blick von einem zum anderen gleiten. »Und was tun Sie inzwischen?«

»Wir reiten weiter.«

Nachdem der alte Zimmermann Auguste Vauginier den Dodgern die beiden Banditen beschrieben hatte, suchte er sich ein Pferd, sattelte es, stieg auf und verließ die Stadt in nordöstlicher Richtung.

Aber immer wieder wandte er sich im Sattel um und blickte besorgt auf die Stadt zurück, ob er nicht irgendwo doch eine Rauchsäule aufsteigen sah.

Wyatt Earp und Doc Holliday blickten ihm nach und verließen dann die Stadt in südöstlicher Richtung auf Mescal zu.

Was sie in Vail, in der wie ausgestorben daliegenden Stadt erfahren hatten, war nicht eben sehr ermutigend gewesen. Da hatten zwei Banditen der Bevölkerung einen gewaltigen Bären aufgebunden, hatten sich Namen zugelegt, die vertrauenerweckend genug waren, um die Menschen zu bewegen, das zu tun, was die beiden Schurken wünschten: eine leere Stadt zu hinterlassen, die in Ruhe ausgeraubt und geplündert werden konnte.

Aber die Sache hatte noch weitere sehr bedenkliche und böse Seiten. Man mußte befürchten, daß die beiden Outlaws höchstwahrscheinlich selbst diejenigen waren, mit deren Namen sie die Bevölkerung in Schrecken versetzt hatten. Nämlich Cass Claiborne und Kirk McLowery. Und außerdem hatte es ganz den Anschein, daß sie wußten, wer ihnen auf der Fährte war.

»Es ist allerdings nur eine Annahme, daß die Banditen das wissen«, meinte Doc Holliday. »Sie können unsere Namen auch auf blauen Dunst hin gesagt haben. Denn mit diesen Namen, Marshal, zwingt man die Leute schon zum Zuhören. Ich bin also nicht sicher, daß sie ahnen, wer hinter ihnen her ist. Was mir mehr Unbehagen bereitet, ist die Tatsache, daß die alte Bande wieder auferstanden zu sein scheint.«

Das war allerdings das schlimmste. Und daß sie der Fährte eines oder gar mehrerer Galgenmänner folgten und hier deren Namen McLowery und Claiborne erfuhren, wies noch deutlicher auf die ferne, düstere Stadt Tombstone.

Der Gedanke, daß die beiden gefährlichen McLowerys, die zweifellos den härtesten Kern von Ike Clantons Mannschaft bildeten, noch einen Bruder haben sollten, der jetzt in der Spur Franks und Toms ritt, war mehr als beunruhigend. Und wenn sich dieser Mann mit dem Bruder des Banditen Bill Claiborne zusammengetan hatte, so war das doppelt beunruhigend für das Land. Die Tatsache aber, daß diese beiden sich den Galgenmännern angeschlossen haben könnten, war alarmierend.

»Diese Halunken haben sich selbst verraten«, fand Doc Holliday. »Und deshalb glaube ich nicht, daß sie wissen, wer ihnen folgt. Sie müßten ja hirnverbrannt sein, wenn sie sonst ihre eigenen Namen hier zum besten geben würden. Denn mit diesen Namen ist ihnen jeder Verfolger schon ein großes Stück näher auf den Fersen.«

»Aber der Mann, der Jim Elliot aus Tucson verschleppt hat, wußte, daß wir in der Stadt waren. Und er mußte doch damit rechnen, daß wir den Galgen sehen und auch vom Fehlen des Steuereinnehmers noch hören würden. Also muß der Entführer doch auch mit der Möglichkeit gerechnet haben, von uns verfolgt zu werden.«

Mit einer weiteren Möglichkeit allerdings, daß sie überlistet worden sein könnten, indem man sie ganz planmäßig aus Tucson heraus- und in das gefährliche Tombstone hinunterlockte, mit dieser Möglichkeit rechneten die beiden Männer nicht.

*

Sieben Meilen vor Mescal stießen sie auf die ehemalige Indianersiedlung Pantano, in der, wie es hieß, der berühmte Indianerchief Cochise geboren worden sein sollte. (Was aber nicht den Tatsachen entsprach; er wurde oben in den Blauen Bergen, viele Meilen südlich von Mexcal – im heutigen Apache Park – geboren. Etwa halben Wegs zwischen Mescal und Tombstone, im westlichen Teil des Counties also, das schon zu Chochises Lebzeiten seinen Namen trug).

Pantano war ein kleines Nest von siebzehn oder achtzehn Häusern, die seltsamerweise nicht aus Holz errichtet waren, sondern aus weißgetünchten Steinen. Flachdachhütten, wie man sie in ähnlicher Form drüben, jenseits der mexikanischen Grenze, häufig fand. Nur fehlte hier das Spielerische, das die mexikanischen Städte und Dörfer auszeichnete: Die hübschen Kirchen, die parkartigen Gärten, die verträumten Winkel der Cantinas und Pergolas und die Gitarrenklänge, die zu der Luft Mexikos zu gehören schienen.

Hier war alles rauh, ernst und hart – atmete die Luft einer Westernstadt, woran auch die weißen Wände wenig zu ändern vermochten.

Wyatt betrat einen zu ebener Erde liegenden Store.

Eine alte Frau, die auf einem Stoffballen gesessen hatte, kam ihm eilfertig entgegen.

»Mister…?«

Der Marshal kaufte ein paar Dinge, die er in Tucson vergessen hatte einzukaufen, und erkundigte sich dann bei der Tradersfrau nach den Männern, denen er folgte.

Die Frau schüttelte den Kopf.

»Nein, hier ist niemand durchgeritten, der so aussah.«

»Kein Mann mit einem Schecken?«

»Nein, Mister, und ich müßte die Männer gesehen haben, da ich den ganzen Tag wenig zu tun hatte und hier von meinem Platz aus die Straße gut beobachten kann.«

Sollte das möglich sein? Welchen Weg hatten die Banditen dann genommen? Sie mußten doch hier durch diese Stadt reiten. Wenn sie überhaupt die Richtung beibehalten hatten!

Möglicherweise hatten sie einen Umweg um Pantano gemacht. Ausgeschlossen war es nicht, aber reichlich unsinnig.

Der Spieler, der mit den Pferden draußen vor der Tür gewartet hatte, tauchte im Eingang des Stores auf. Es gab keinen Vorbau vor dem Haus, und so hatte er dicht neben der Tür gestanden und alles mitanhören können. Ohne irgendwelche Erklärung nahm er plötzlich einen seiner elfenbeinbeschlagenen Revolver aus dem Halfter und hielt ihn der Frau entgegen.

Sie hob sofort die Hände und bibberte:

»Ich… habe nichts!«

»Wir wollen auch nichts – nichts als die Wahrheit!« entgegnete der Spieler rauh.

»Die Wahrheit?«

»Wann sind die Reiter hier vorbeigekommen?«

»Am frühen Nachmittag.«

»Wie viele waren es?«

»Drei.«

»Der Mann mit dem Schecken war dabei?«

»Ja.«

»Und die beiden anderen, was hatten die für Pferde?«

»Der eine saß auf einem Braunen, und der andere ritt einen Fuchs.«

»Sie waren hier im Store bei Ihnen?«

»N…« Die Frau brach jäh ab.

Holliday spannte geräuschvoll den Hahn des Revolvers.

Da stieß sie rasch hervor: »Ja.«

»Was wollten sie?«

»Käse und Wurst und…«

»Geld!«

Die Frau nickte. »Sie haben gesagt, sie kämen heute nacht zurück. Wehe, wenn ich irgend jemandem etwas von ihnen erzählen würde.«

Holliday schob den Colt entspannt ins Halfter zurück und blickte den Marshal fragend an.

»Wissen sie genug?«

»Genug.«

Sie stiegen auf ihre Pferde und ritten weiter.

Holliday zündete sich eine seiner russischen Zigaretten an und meinte:

»Ich sah Ihnen an, daß Sie der Frau nicht glaubten; um die Sache abzukürzen, gab es nur dieses Mittel.«

»Ich wende es nicht gern an.«

»Ich auch nicht, aber wir haben es eilig…«

Es war dunkel, als sie Mescal erreichten.

Auch diese Stadt zeigte in ihrer Straßenform und an vielen Bauten, daß sie ursprünglich eine alte Indianersiedlung war. Sie soll einst das Hauptlager des berühmtesten Apachenstammes gewesen sein, der Mescaleros nämlich, aus dem ja Cochise und auch der berüchtigte Häuptling Geronimo hervorgegangen waren. Heute aber hatte die Stadt längst das Gesicht einer echten Westernstadt angenommen. Und da sie genau auf der Grenze des Pima und des Cochise Counties lag, herrschte in ihr das Leben, das man in allen Grenzstädten fand. Selbst zu dieser Abendstunde rollten noch zahlreiche Wagen durch die Hauptstraße, und vor den Stores und Saloons standen ganze Reihen von Pferden.

Da anzunehmen war, daß die drei Reiter, denen sie folgten, noch in der Stadt waren, blieben Wyatt Earp und Doc Holliday in einer Seitengasse, wo sie in einem Mietstall ihre Pferde unterstellten.

Gleich gegenüber war ein altes Boardinghouse, wo sie sich zwei Zimmer für die Nacht bestellten.

An der Ecke zur Mainstreet lehnte ein langer, schlaksiger Bursche mit einem Stern. Er trug einen kräftigen Schnurrbart, wie es damals auch bei jüngeren Leuten üblich war, und hatte seine Hände tief in die Taschen geschoben.

Wyatt Earp hatte ihn schon vom Fenster seines Zimmers aus gesehen, und als er jetzt auf ihn zuging und ihn anrief, um nicht selbst auf die Mainstreet zu müssen, wandte der Mann nicht einmal den Kopf.

»Was gibt’s denn, Mister?«

»Sie sind der Sheriff?«

»Nein, mein Bruder ist der Sheriff.«

»Dann sind Sie ein Deputy?«

»Auch nicht.«

»Und wie kommen Sie zu dem Stern?«

»Den trage ich, weil mein Bruder drüben im Jail steckt.«

»Aha.«

Wyatt konnte ein Lachen kaum verbeißen.

Weil sein Bruder betrunken war, hatte der Bursche ihn solange ins Gefängnis gesteckt und versah indessen das Amt des Sheriffs.

»Kann es lange dauern, bis Ihr Bruder wieder zu sprechen ist?«

»Ziemlich.«

»Hat er viel getrunken?«

»Zwei Flaschen.«

Dann allerdings! Wyatt beschloß, den Ersatz-Sheriff nach den drei Reitern zu fragen.

Der Mann zog die Schultern hoch. »Nein, ich habe sie nicht gesehen. Jedenfalls keine drei Burschen, die auf solchen Pferden saßen.«

»Haben Sie Fremde in der Stadt gesehen, ich meine drei Männer…«

»Es wimmelt vor Fremden in der Stadt. Und ich habe auch ein paarmal drei Reiter gesehen. Sie kommen ja meistens zu zweit oder zu dritt, die Boys, von den umliegenden Ranches, von den Minen und aus den Sägewerken.«

»Einer der Männer, die ich suche, trägt einen roten Kinnbart.«

»Sie sagten es schon, Mister. Er ist mir nicht aufgefallen, da ich mich nur für Pferde interessiere.«

»Eine schlechte Gewohnheit für einen Sheriff.«

»Ich bin ja kein Sheriff.«

»Weshalb stehen Sie dann hier herum?«

»Weil ein Stern in der Straße zu sehen sein muß bei diesem Gewimmel.«

Der Mann hatte zweifellos sehr eigenwillige Ansichten, schien aber gar kein so übler Bursche zu sein. Plötzlich wandte er den Kopf etwas zur Seite und musterte den Missourier flüchtig.

Wieder nach vorn auf die Straße sehend, meinte er:

»Sie zum Beispiel, Sie haben ein großartiges Pferd. Es gibt im ganzen County kein zweites Tier, das einen solchen Gang hat, einen solchen Brau…«

»Mich haben Sie also beobachtet?«

»Ich sehe mir Leute, die solche Pferde reiten, unwillkürlich an. Schließlich handele ich ja mit Pferden.«

Der Marshal wies über die Schulter zurück.

»Dann gehört Ihnen der Mietstall dort?«

»Ja. Und wenn Fepe Allman nicht auch einen Mietstall hätte, wäre ich sogar ein reicher Mann.«

»Wo ist Allmans Hof?«

»Gleich das fünfte Haus, wenn man von Panaton kommt.«

Eine Viertelstunde später betraten die beiden Dodger den nur von einer einzigen Kerosinlampe schwach erleuchteten, engen Hof des Pferdehändlers Allman.

Holliday blieb im Schatten des Tores stehen, während der Marshal weiterging.

Vorm Stall kam ihm ein untersetzter, krummbeiniger Mann mit schiefgelegtem Kopf und sonderbar verkrampft angehobenen Armen entgegen.

»Sie suchen mich, Mister?«

»Sind Sie Fepe Allman?«

»Ja.«

»Ich möchte ein Pferd kaufen.«

»Ein Pferd?«

»Ist das etwas so Ungewöhnliches?«

»Das nicht, aber…«

»Sie haben heute sicher schon welche verkauft?« forschte der Marshal vorsichtig.

»Wie kommen Sie darauf?«

»Weil Sie sich wundern, daß schon wieder ein Käufer da ist.«

»Stimmt, Mister. Also, dann kommen Sie mal mit.«

Wyatt folgte ihm in den Stall. Er hatte die Schwelle noch nicht ganz überschritten, als er ein Geräusch rechts neben der dunklen Tür im Innern des Stalles bemerkte, einen huschenden Schatten sah – und dann sauste ein schwerer Schlag auf ihn nieder.

Der Missourier besaß ein ungeheures Reaktionsvermögen, wich gedankenschnell zur Seite und bekam den Hieb nur noch auf die rechte Schulter anstatt auf den Kopf.

Ein rasender Schmerz zuckte durch seinen ganzen Körper.

Er warf sich sofort nach vorn und hechtete dem Gegner im Dunkel entgegen. Mit dem vorgehaltenen Kopf rammte er den Mann, der auf einen so blitzschnellen Angriff offenbar nicht gefaßt war, und riß ihn nieder.

Aber hinter ihm war noch der Händler. Er warf sich dem Missourier sofort in den Rücken.

Wyatt, der den ersten Angreifer schon zu Boden gestoßen hatte, konnte den Pferdehändler in einem harten Überwerfer abschleudern.

Da stürzte aus der Finsternis ein dritter Mann auf ihn zu, dessen Gestalt der Marshal nur schwach im Lichtschein der auf der anderen Hofseite hängenden Laterne erkennen konnte.

Der Mann schleuderte einen pfeifenden Schwinger nach vorn, den Wyatt blitzschnell abduckte, um sofort einen knallharten Haken in die Magengrube des Gegners zurückzuschicken.

»Hupp! Äh…« Der Mann stöhnte laut auf, torkelte vorwärts und fiel durch die Tür in den Hof hinaus. Direkt vor die Füße des Spielers, der die Geräusche des Kampfes bis ans Tor gehört hatte.

»Wyatt?«

»Hier!«

»Alles klar?«

»Ja. Ich brauche Licht!«

»Kommt sofort!«

Doc Holliday lief über den Hof und nahm die Lampe von der Hauswand, um sie in den Stall zu bringen.

Inzwischen hatte der Marshal die beiden anderen Männer auch vor die Stalltür bugsiert.

Der Spieler ging mit der Laterne in den Stallgang; langsam schritt er an den Pferdeboxen entlang bis hinunter in die Futterkammer.

»Hier ist nichts«, berichtete er, als er zurückkam.

»Vielleicht auf der anderen Seite?« meinte Wyatt und nahm die Lampe, während der Georgier den Revolver zog, um die drei Männer zu bewachen.

Wyatt hatte noch nicht die zweite Box der anderen Seite erreicht, als er ein Pferd sah, dessen Rücken da, wo der Sattel sonst auflag, noch heiß und schweißig war.

Daneben stand ein Fuchs, der ebenfalls eine heiße Sattelstelle hatte.

Die nächsten Boxen waren leer wie die erste.

Wer waren die drei Männer, die jetzt mit verstörten Gesichtern vor der Stalltür standen und auf den blinkenden Revolver in der Hand des Spielers starrten?

Der kleine, krummbeinige Händler krächzte:

»Es sind meine Peons Juan und Ted.«

»Weshalb wolltet ihr mir den Schädel einschlagen?« erkundigte sich der Marshal rauh.

»Diese Absicht hatten wir ja gar nicht Mister«, keuchte einer der Peons. »Wir hielten Sie nur für einen Pferdedieb.«

»Ah, und wie kamt ihr zu dieser Annahme?«

»Weil…«

»Weil die Männer, die die beiden Pferde gebracht haben, euch vor uns warnten? Stimmt’s?«

»Ja!« entfuhr es Allman.

»Wo sind die beiden?«

»Das wissen wir nicht.«

»Wann holen sie die Pferde ab?«

»Abholen? Die holen sie nicht wieder ab!«

Wyatt wich einen Schritt zurück. Seine Ahnung!

»Haben sie ihnen etwa Pferde verkauft?«

Der Pferdehändler nickte und feixte dumm.

»Ja.«

»Und? Was für Tiere haben Sie ihnen dafür gegeben? Sie werden ja nicht zu Fuß weitergegangen sein.«

»Nein. Der Schecke war gut, aber ausgepumpt. Ich habe dem Bärtigen dafür einen braunen Hengst mit hellem Haar gegeben, der auch nicht schlecht war.«

»Und was für ein Pferd haben Sie gegen den Fuchs eingetauscht? Mann, lassen Sie sich doch nicht jedes Wort wie mit der Leimrute herausziehen!«

»Eine braune Stute.«

»Es waren doch aber drei Männer!«

»Der dritte blieb im Sattel.«

»Kannten Sie einen von den dreien?«

»Nein«

»Auch nicht den Mann, der auf dem Pferd geblieben ist?«

»Nein, er sah krank aus; das fiel mir trotz der hereinbrechenden Dunkelheit auf.«

»Und weiter!«

»Was weiter?«

Wyatt trat auf den Händler zu und hielt ihm die geballte Faust unter die Nase.

»Warum wurde ich hier überfallen?«

»Weil… die Männer sagten, daß wir uns vor zwei Fremden hüten müßten, die Pferdediebe wären. Es handelte sich um zwei berüchtigte Tramps, die heute auch in der Stadt wären. Und weil Sie zu zweit kamen und gleich nach einem Pferd fragten, dachte ich mir…«

»Well, kommen Sie mit, Mister Allman. Das weitere können Sie dem Sheriff erzählen. Und ihr beiden kommt auch mit.«

Das Sheriffs Office von Mescal war ein längliches Haus, zweigeschossig, im Anbau befand sich das Jail mit sieben Zellen. In der ersten Zelle lag ein schnarchender Mann hinter verschlossener Tür.

Wyatt holte den Schlüsselbund und riegelte die Tür auf. Dann packte er den betrunkenen Schläfer, zog ihn in den mit Steinen ausgelegten Zellengang und goß ihm einen Eimer Wasser übers Gesicht.

Der Sheriff schlug sofort die Augen auf und stützte sich prustend auf beide Ellbogen.

Der erste, den er erkannte, war der Pferdehändler Allman.

»Fepe! Du Aasgeier! Was fällt dir ein! Ich werde dir den Schädel einschlagen, mir einen ganzen Eimer Wasser über den Kopf zu schütten! Du elender Roßtäuscher! Du Gauner! Du Schrumpftrapper! Du lausiger Gangster wagst es, mir, dem Sheriff…« Er brach ab, denn jetzt war sein Blick auf die beiden Fremden gefallen.

»Wer ist denn das?«

»Mein Name ist Earp!« erklärte der Marshal. Er stand hochaufgerichtet und mit verschränkten Armen vor dem Mann am Boden. »Und zu Ihrer Information: den Eimer habe ich über Sie ausgekippt!«

Der Sheriff wischte sich mit dem Unterarm durchs Gesicht.

»Wie… heißen Sie?«

»Earp! Wyatt Earp! Und jetzt stehen Sie gefälligst auf, Mann!«

Billy Ahslan erhob sich, mußte sich aber noch an den Gitterstäben der Tür festhalten, um auf den Beinen zu bleiben.

»Wyatt Earp?« Er wischte sich mit der Rechten erneut durchs Gesicht und zog sich das nasse Haar aus der Stirn. »Sie sind der Marshal Earp aus Dodge City? Das kann doch nicht wahr sein!«

»Es ist aber wahr! Und wer sind Sie?«

»Mein Name ist Ahslan, William Cyril Ahslan.«

»Und während Sie also hier im Jail Ihren Rausch ausschlafen, führt Ihr Bruder draußen Ihren Stern spazieren.«

»Ted? Oh, dann war er es, der mich verprügelt und hier eingesperrt hat. All right, dann ist das ja in Ordnung. Sie müssen nämlich wissen, daß ich heute morgen auf einer Hochzeit eingeladen war und…«

»Es interessiert mich nicht, Mister Ahslan, wo Sie eingeladen waren. Und jetzt hören Sie zu. Ich folge zwei Banditen, die einen Mann aus Tucson verschleppt haben. Sie waren unten bei Allman und haben da ihre Pferde getauscht. Es ist möglich, daß die beiden sich noch in der Stadt aufhalten.«

Der Sheriff nahm den zweiten Brandeimer, der ebenfalls ständig mit Wasser gefüllt im Jail zu stehen hatte, kippte ihn kaltnervig über sich aus, schüttelte sich wie ein Hund und nickte dann.

»So, Marshal Earp, jetzt bin ich wieder da. Also, das werde ich gleich in die Hand nehmen! Wie sehen die beiden aus?«

Der Marshal beschrieb ihm die beiden Verbrecher.

»All right, das kriegen wir schon.«

»Und vorher sperren Sie diese drei Halunken hier ein, die mich überfallen haben!«

»Allman?« Der Sheriff rollte die Augen und lachte heiser auf. »Ah, ihr habt Wyatt Earp überfallen? Das ist typisch für dich, Fepe! Wenn du Glück hast, kommst du mit drei Jahren davon! Los, ins Loch!«

Er schob die drei in seine eigene Zelle und warf die Tür ins Schloß.

Da wurde vorn die Tür des Offices geöffnet. Es war der Schlaks mit dem Stern. Verblüfft blickte er seinen Bruder an.

»So, der Freund hat dich also wieder munter gemacht? All right!«

Er riß den Stern von der Brust und schleuderte ihm dem Sheriff vor die Füße. »Und damit wir uns verstehen, Bill, bei der nächsten Hochzeit schlage ich dir den Schädel ein, und wenn es deine eigene Hochzeit ist!«

Die Tür fiel krachend hinter dem braven Burschen ins Schloß.

»Vielleicht wäre er ein besserer Sheriff als ich«, meinte Ahslan, »aber er kann den Job nicht leiden.«

Er hob den Stern auf und steckte ihn sich an sein nasses Hemd, dann nahm er seinen Hut und seinen Waffengurt an sich.

»Vorwärts, die beiden Burschen finden wir!« An der Tür blieb er noch einmal stehen und fragte den Missourier:

»Wie die Banditen heißen, wissen Sie nicht zufällig?«

»Doch: Kirk McLowery und Cass Claiborne.«

Billy Ahslan wich zwei Schritte zurück und starrte den Marshal verstört an.

»Kirk McLowery… und Cass Claiborne? Das kann doch nicht sein! Diese beiden Strolche sollen sich hier in Mescal aufhalten?«

»Es scheint so.«

»Aber… nein, Sie werden doch nicht allen Ernstes erwarten, Marshal, daß ich mich gegen diese gefährlichen Schießer auf die Straße stelle? Ich bitte Sie. Ich habe eine Braut und… einen Bruder und mehrere Tanten. Und ich muß…, nein…, das können Sie nicht von mir verlangen!«

Doc Holliday, der hinter dem Sheriff stand lachte laut auf.

»Wer hat das denn von Ihnen verlangt, Ahslan? Sie haben sich dem Marshal doch aufgedrängt.«

»Aufgedrängt?« Ahslan blickte in das jetzt wieder harte und kühle Gesicht des Gamblers. »Ja, das ist möglich! Da wußte ich auch noch nicht, gegen wen ich antreten sollte.«

»Sie sollen ja gar nichts, Sheriff. Der Marshal hat es Ihnen nur mitgeteilt.«

»Mitgeteilt? Eine prächtige Mitteilung. Sie zwingt mich zur Teilnahme am Kampf mit zwei Coltmen schlimmster Sorte. Und Sie wissen das genau! Damned, hätten Sie mich bloß drüben in der Zelle liegen lassen, dann lebte ich wenigstens morgen, wenn ich aufwache, noch! So aber habe ich bestimmt drei oder noch mehr Löcher im Bauch, wenn ich mich morgen bei Lennards zum Drink an die Theke stelle! Kirk McLowery! Wie ist das möglich? Der Teufel soll diese Clantons holen! Da sind sie also wieder. Und ich wette ein faules Ei gegen meinen Stern, daß ich Phin hier gesehen habe, drüben in Lennards Bar. Er stand an der Theke und kippte ein Glas nach dem anderen in seinen Schlund! Er war es, Phin Clanton! Und wenn Sie mich auch für betrunken halten müssen, Marshal! Er war es! Sie reiten also wieder! Kirk McLowery! Damned, er hat doch Aloahey angezündet, dieser Kojote!«

Während der Sheriff all dies wütend ausstieß, hatte er seine Winchester aus dem Gewehrschrank gerissen und durchgeladen.

»So, von mir aus kann’s losgehen!«

»Bleiben Sie nur«, meinte der Missourier.

»Und denken Sie an Ihre Tanten!« rief Holliday ihm zu, als er die Tür hinter sich zuzog.

Ahslan folgte ihnen sofort.

»Warten Sie doch, Marshal. Ich hatte ja im Augenblick völlig vergessen, daß ich diesmal nicht allein dastehe, sondern einen Partner an Ihnen habe! Und was für einen! Damned, ich muß blind gewesen sein! Äh, der Whisky heute morgen, er war bestimmt nicht von der besten Sorte. Aber was wollen Sie verlangen, wenn ein Sägewerksarbeiter heiratet…« Er preßte plötzlich die Hand gegen die Stirn.

»Der da… ist das etwa… Doc Holliday?«

»Ich würde es noch etwas lauter brüllen«, stoppte ihn der Marshal.

Ahslan, der wie sein Bruder im Grunde ein ganz ordentlicher Bursche zu sein schien, kam zu ihnen auf die Straße.

»Was wollen Sie?« knurrte Holliday ihn an.

»Ich komme mit!«

»Dann bringen Sie das Gewehr zurück!« forderte Wyatt ihn auf.

»He, ich brauche die Flinte, weil ich nicht gut genug mit dem Revolver bin.«

»Aber wir sind es«, entgegnete der Spieler ironisch, »und das reicht für Sie mit. Bringen Sie also den Schießprügel weg, der fällt nur auf.«

Als der Sheriff sein Gewehr ins Office zurückgebracht hatte, tauchte sein Bruder auf dem Vorbau auf.

»Du bist ja tatsächlich wieder nüchtern!« wunderte er sich.

»Komm mit!« forderte Bill ihn auf.

Der Pferdehändler verzog das Gesicht.

»Willst du jetzt für diese Fremden den Schecken suchen?«

»Den hat der Marshal schon gefunden.«

»Marshal? Er ist ein Marshal?«

»Ja.«

»Wenn du mir jetzt sagst, der andere ist ein Staatenreiter, glaube ich das auch!« krächzte Ted.

»Nein, der andere ist ein Doktor.«

»Ein Doc… und der kommt mit einem Marshal?«

»Du kennst ihn!«

»Nein!«

»Doch! Er heißt Holliday.«

Ted Ahslan machte nicht gerade ein geistreiches Gesicht, als er stotterte:

»Doc Holliday? Willst du damit sagen, daß der andere der Marshal Earp ist?«

»Genau das. Und jetzt komm!«

»Wohin?«

»Keine Ahnung. Der Marshal wird es schon wissen!«

Sie rannten den beiden Dodgern nach.

Wyatt steuerte auf Lennards Saloon zu.

Als der Sheriff den Whiskydunst roch, der aus der Kneipe an die frische Luft zog, schloß er die Augen und stieß die Luft angeekelt aus. »Damned, Wasser sollte man sau…, sollte man trinken. Schönes, klares, frisches Wasser.«

»Wie wär’s mal mit Milch?« meinte Wyatt, als er sich an ihm vorbei durch die Pendeltür der Schenke schob.

»Milch?« stöhnte der Sheriff und bekam ein würgendes Gefühl in der Kehle.

Wie konnte dieser Unmensch jetzt nur von Milch sprechen.

Wyatt zwängte sich durch die eng nebeneinander stehenden Tischreihen auf die Theke zu.

Der Keeper war ein spindeldürrer Mensch mit einer gewaltigen Pferdemähne, die ihm tief ins Gesicht hing.

Wyatt beugte sich zu ihm hinüber und fragte nach dem Mann mit dem roten Kinnbart.

Der Keeper schüttelte den Kopf.«

»Nicht gesehen.«

Da entdeckte er den Sheriff in der Tür.

»Vorsicht, Mann, ich glaube, da kommt Ihnen ein Stern nachgelaufen!« raunte er Wyatt, plötzlich wach werdend, zu. »Rasch weg! Kirk war hier!«

»Wann?«

»Vor zweieinhalb Stunden!«

»Hat er nichts hinterlassen?«

Der Keeper schüttelte den Kopf.

»Wirklich nicht?« fragte Wyatt hastig, mit der Miene eines vom Sheriff bedrohten Mannes, wobei er sich auch nach ihm umsah.

Der Bohnenstangenmann hechelte:

»Doch – alle müssen auf Knien sein! Ist ein schwerer Stern in der Luft.«

»Wer?«

»Du wirst es nicht glauben: Wyatt Earp!«

Der Marshal riß die Augen auf.

»Was du nicht sagst!«

Da tauchte der Sheriff neben ihm auf.

»Na, Pinkerton, alter Gauner! Was tuschelst du dem Marshal da für Lügen ins Ohr? Nehmen Sie sich vor diesem Klappergestell in acht, Mister Earp! Er ist ein Betrüger letzter Sorte. Früher soll er mit den Clantons zu tun gehabt haben. Er war drei Jahre in Fort Worth, weil er bei einem Postkutschenüberfall vor Bisbee geschnappt wurde.«

Der lange Keeper Arthur Pinkerton prallte förmlich gegen das Flaschenbord zurück.

»Wyatt Earp?« stammelte er und blickte den Marshal aus schreckgeweiteten Augen an. »Er… er ist Wyatt Earp?«

Der Missourier sah sich den Mann genauer an. Also mit solchen Figuren waren die Galgenmänner verbündet! Solche Gespenstergestalten zählten zu ihrer Gang!

Es war ja eine bekannte Tatsache – die auch heute noch gültig ist – daß Spelunkenwirte oft die gefährlichsten Hehler einer Bande sind. Und dieser Arthur Samuel Pinkerton, Keeper in Lennards Saloon, schien ein solcher Hehler der Galgenmänner zu sein.

Verblüfft blickte der Sheriff in sein erschrockenes Gesicht.

»Was hast du denn, Pinky, etwa ein schlechtes Gewissen? Würde mich nicht wundern, alter Schnapspanscher!«

Der Keeper starrte unverwandt in die Augen des Marshals. Mechanisch band er sich die Schürze ab und legte sie auf die Theke.

»Was hast du vor?« wollte der Sheriff wissen.

»Er kommt mit!« erklärte der Marshal.

Pinkerton verließ seinen Platz hinter der Theke und ging vor ihnen her zur Tür.

Einige Männer riefen ihm grölend nach, schrien nach Getränken, aber er riskierte es nicht, sich noch einmal umzudrehen.

Als er den Vorbau erreichte, zog er plötzlich einen Revolver und hielt ihn an seine Stirn.

Es war Doc Holliday, der ihm mit einem blitzschnellen Schlag die kleine vierschüssige Waffe aus der Hand schlug.

Der Sheriff schnappte nach Atem.

Auch sein Bruder war sprachlos.

Was war denn das? Pinky wollte sich selbst auspusten? Damned, mußte der Halunke ein schlechtes Gewissen haben!

»Ich sage ja, kaum kommt Wyatt Earp in die Stadt, und schon ist die Hölle los! Da entpuppt sich dieser schleimige Whiskyverdünner also wirklich als Verbrecher!«

Vier Männer saßen im Jail von Mescal. Aber nur der Salooner Pinkerton war mit der Bande wirklich verbunden. Der Marshal mußte, wenn er die Gang wirklich ausrotten wollte, jeden Mann festnehmen, der irgendwie mit ihr zu tun hatte.

Es war elf Uhr, als sie das Office verließen.

Die beiden Brüder Ahslan kamen mit ihnen bis vor die Tür.

»Reiten Sie heute noch weiter?« forschte der Sheriff.

»Morgen in aller Frühe.«

»All right, verlassen Sie sich darauf, daß Pinkerton abwandert. Der Richter kommt übermorgen, und der macht mit Mitgliedern einer Bande kurzen Prozeß!«

»Hoffentlich«, versetzte Wyatt und verabschiedete sich von dem seltsamen Brüderpaar.

Kurz nach vier Uhr wachte der Marshal auf. Als er auf den Korridor trat, sah er unter der Tür des Gamblers einen Lichtschimmer.

Doc Holliday war also auch schon wach.

Sie rasierten und wuschen sich, kleideten sich an und holten drüben bei Ted Ahslan ihre Pferde.

Ted war schon auf.

»Bin heute sehr früh aus den Federn gekrochen, weil ich Ihnen noch einmal auf Wiedersehen sagen wollte«, meinte er. »Schließlich kommt nicht jeden Tag ein Wyatt Earp nach Mescal.«

Die beiden Dodger stiegen in die Sättel und ritten zur Mainstreet hinauf.

Doc Holliday hatte sein Pferd schon nach links herumgenommen, als er sah, daß der Marshal noch zögerte.

Wyatt blickte rechts die Mainstreet hinunter, wo vor der Mündung der nächsten Querstraße des Sheriffs Office lag.

Dann setzte er seinen Falben in Trab.

Holliday folgte ihm.

Wyatt stieg ab und betrat den Vorbau.

Das Office war noch verschlossen.

Ted Ahslan kam über die Stepwalks angelaufen.

»Sie sind ein mißtrauischer Mann, Marshal!« meinte er lachend. »Bestimmt wollen Sie sich überzeugen, ob der Keeper nicht ausgebrochen ist. Da kann ich Sie beruhigen. Dieses Schreckgespenst kann zwar eine ganze Schulklasse in die Flucht schlagen und im Vollmond auch dafür sorgen, daß sich niemand auf den Friedhof getraut – aber Bill läßt so eine Figur nicht entkommen.«

Er hielt inne.

Wyatt hatte die Tür geöffnet und blickte ins Office.

Es war leer.

Mit einem Blick sah der Marshal, daß hier etwas nicht stimmte. Vor allem fehlte der Schlüsselbund zum Jail.

Wyatt warf sich gegen die Tür. Sie gab nach. Vor ihm lag der düstere Gang.

Und rechts waren die Zellen. Die Gittertüren standen offen. Die Zellen waren leer.

Wyatt lief zurück und prallte gegen Ted Ahslan, der ihm gefolgt war.

»Hölle!« stieß der Pferdehändler hervor. »Sie sind ausgebrochen! Wo ist mein Bruder!«

Ahnungsvoll stieß der Marshal die Hoftür auf.

Wie angenagelt blieben die beiden Männer stehen und starrten hinaus. Vor dem fahlen Grau des Himmels zeichnete sich die Silhouette eines Galgens ab, vor dessen Fuß der dunkle Körper eines Mannes lag.

Es war Sherifff Ahslan.

Wyatt wußte es, ehe er in das Gesicht des reglos Daliegenden gesehen hatte.

Ted stand wie erstarrt da.

»Das ist nicht mein Bruder!« stammelte er.

»Ich fürchte doch.«

Ted Ahslan vermochte sich nicht von der Stelle zu rühren.

Wyatt ging in den Hof hinunter und beugte sich über den Körper des Sheriffs.

William Ahslan war tot.

Doc Holliday, der auch in den Hof gekommen war, stellte rasch fest, daß der Sheriff durch einen Messerstich getötet worden war.

Wyatt stieß durch die zusammengebissenen Zähne…

»Wenn ich nicht genau wüßte, daß Miguel Gonzales an den Galgen gekommen ist, wäre ich davon überzeugt, daß er hier war!«

»Wir haben ihn nicht sterben sehen«, meinte der Spieler gallig. »Und ebenso wie diese Hunde den Steuereinnehmer aus seinem Haus geholt haben, traue ich ihnen auch zu, daß sie diesen schlitzäugigen Messerstecher aus Costa Rica in Tucson befreit haben.«

Der Marshal winkte ab.

»Die Galgenmänner werden noch andere Messerstecher haben als diesen Gonzales.«

Als sie sich umwandten, sahen sie Ted Ahslan immer noch oben in der Tür stehen; er starrte über sie hinweg auf das Galgengerüst.

Wyatt Earp und Doc Holliday verließen das Office und suchten den Hof des Pferdehändlers Allman auf. Nur zwei Mägde arbeiteten im Stall. Der zwergenhafte Pferdehändler und seine beiden Peons waren nicht da und angeblich von den Mägden auch nicht gesehen worden.

Es war überflüssig, hinüber in Lennards Saloon zu gehen, um nach dem knochigen Keeper zu sehen. Dennoch tat es der Marshal.

Arthur Samuel Pinkerton war nicht im Haus.

Als sie die Stadt verließen, meinte der Georgier, während er in die purpurrot aufgehender Sonne blickte:

»Jetzt haben wir sechs Männer vor uns. Wenn Eliot bei ihnen ist, dann sind es sogar sieben.«

»Und wenn einer von den Banditen tatsächlich Kirk McLowery ist, dann wird er nicht dumm genug sein, mit einem Trupp von sechs Reitern durch die Landschaft zu ziehen.«

»Das kann ich mir auch nicht denken«, entgegnete der Spieler. »Das würde ich nicht einmal dem Bruder von Billy Claiborne zutrauen.«

Da hatten die Galgenmänner also wieder einen Toten auf ihrer Fährte zurückgelassen; und wieder einen Gesetzesmann! Rücksichtslos schalteten sie jeden aus, der ihnen im Weg war. Jetzt stand es für die beiden Dodger auch fest, daß die Galgenmänner wußten, wer ihnen folgte.

Was hatten sie vor? Weshalb zogen sie auf der alten Overlandstraße nach Südosten und scheuten sich nicht, einen toten Sheriff auf ihrer Spur zu lassen, obgleich sie doch ganz offensichtlich wußten, wer ihnen folgte!

Es war halb zehn Uhr am Vormittag, als die beiden Reiter von Westen her über das Ufer des Pedro River in Benson einritten.

Sie hatten auf dem Weg hierher keinerlei Spuren von den Banditen finden können, da die Overlandstraße von Mescal nach Benson sehr belebt war und es unmöglich machte, irgendeine bestimmte Fährte zu finden. Die beiden machten gleich vor dem ersten Boardinghouse halt, um das in Mescal versäumte Frühstück nachzuholen.

Es war ein kleines Gasthaus, in dem es Kaffee, Tee und Brote gab, wie ein großes Schild neben der Tür verkündete.

Ein ältliches Mädchen trat an ihren Tisch und fragte nach ihren Wünschen.

Sie bestellten Eier, Kaffee und Käsebrote.

Als das Mädchen gegangen war, betrat ein Mann den Gastraum. Er war groß und schlank, hatte ein sauber rasiertes Gesicht und schwarzes Haar; die goldgeränderte Brille wollte gar nicht zu seinem Gesicht passen. Er trug einen schwarzen Anzug, ein blaues Hemd und eine schwarze Samtschleife. In den tief über den Oberschenkeln hängenden Halftern steckten große achtunddreißiger Revolver. Es war eigentlich nichts Auffälliges an diesem Mann, und doch zog er die Blicke der beiden Dodger unwillkürlich auf sich.

Wyatt dachte: woher kenne ich diesen Menschen bloß? Ich habe ihn bestimmt schon irgendwo gesehen. Diese hellen Augen, dieses braune Gesicht, das volle Haar und diese herrische Haltung! Aber bildete man es sich nicht oft ein, einen Menschen zu kennen, den man dann doch zum erstenmal zu Gesicht bekommen hatte?

Der Fremde zog sich auf einen der Hocker vor der Theke, klemmte die Füße hinter die Hockerstreben und zündete sich eine Virginia-Zigarre an.

Die beiden hatten jetzt keine Zeit mehr, ihn zu beobachten, da das Mädchen mit dem Frühstück aus der Küche kam.

Der Mann trank einen Gin, zahlte und ging. Als er an dem Tisch der beiden vorbeikam, war dem Marshal, als ob er einen scharfen, beobachtenden Blick des Fremden aufgefangen hätte.

»Komischer Kerl«, meinte Holliday, »ich wette, daß ich ihn schon irgendwo gesehen habe.«

Wyatt Earp blickte auf. »Sie auch? Genau das gleiche habe ich die ganze Zeit gedacht. Wenn ich bloß wüßte, an wen er mich erinnert?«

»Eines ist sicher«, meinte Holliday, »er erinnert mich an keinen angenehmen Menschen.«

»Stimmt! Aber an wen erinnert er uns?«

Als sie nach einer halben Stunde das Boardinghouse verließen und hinunter zu ihren Pferden gingen, überlegte der Marshal noch immer, wo er den Mann gesehen haben könnte.

Mit gesenktem Kopf stand er neben seinem Falben, plötzlich die Brauen zusammenziehend.

Anderthalb Yard von ihm entfernt war ein Stiefelabdruck, in dessen Absatzmitte sich ein großer Nagel abgezeichnet hatte.

»Doc! Da, sehen Sie sich das an!«

Der Spieler blickte auf den Abdruck.

»Unser Mann aus Tucson«, stellte er sofort fest.

Beide blickten auf und sahen die Straße hinunter. Aber von dem Mann mit der Strohhalmzigarre war nichts mehr zu sehen.

Der Marshal preßte die Zähne aufeinander und zog sich in den Sattel.

Da schnipste der Gambler plötzlich mit den Fingern und rief:

»Frank McLowery! An den erinnerte er mich!«

»Richtig«, stimmte der Marshal sofort zu. »Dann stimmt es also doch, was uns der Alte in Vail gesagt hat: die McLowerys hatten einen Bruder. Der Bursche war Kirk McLowery!«

Wie aus dem Reich der Toten war plötzlich für die beiden Männer aus Dodge City einer der beiden größten Banditen wieder auferstanden, dem sie je begegnet waren: Der diabolische Verbrecher Frank Robert McLowery! Er war in seinem jüngeren Bruder Kirk in fast unheimlicher Ähnlichkeit wiederauferstanden. Das gleiche Glimmen, das in Franks Augen gestanden und ihn immer so gefährlich hatte erscheinen lassen, brannte auch in Kirks Augen.

»Hölle!« stieß der Marshal hervor, »das wird der härteste Brocken!«

Sofort jagten sie ohne ein Wort der Verständigung nach verschiedenen Seiten die Mainstreet hinunter. Aber der Desperado, der sie da so kaltnervig im Gasthaus besucht hatte, war nirgends mehr zu sehen.

Als sie oben bei der presbyterianischen Kirche wieder aufeinander trafen, schüttelte der Spieler den Kopf.

»Ich muß geschlafen haben, daß ich ihn nicht sofort erkannte!«

Der Marshal winkte ab. »Den gleichen Vorwurf müßte ich mir ja auch machen.«

Wyatt hatte beschlossen, den Sheriff aufzusuchen.

Der alte Ronald Humpy ging gerade der wichtigen Beschäftigung des Holzhackens nach, als die beiden seinen Hof durchs Bureau betraten.

Er war ein mittelgroßer Mann von untersetzter, kräftiger Gestalt und mit struppigem Haar, grünem Hemd und einer braunen Hose, die er mit den Trägern fest bis unter die Achsel gezogen hatte. Er dachte gar nicht daran, sich in seiner Arbeit stören zu lassen, als er die beiden plötzlich bemerkte.

Wyatt blieb vor ihm stehen, während sich der Spieler auf die Deichsel eines Wagens setzte.

»Wann werden Sie voraussichtlich mit dieser Beschäftigung fertig sein?« erkundigte sich der Marshal.

»Das kann ich Ihnen genau sagen«, antwortete der Sheriff, »nämlich, wenn ich den letzten Klotz zerschlagen habe.«

»Demnach könnten wir uns in einigen Tagen mal wieder hier erkundigen«, meinte der Georgier spöttisch.

»Das wäre nicht einmal das schlechteste«, knurrte der Sheriff.

»Ich habe nämlich wirklich keine Zeit.«

»Das glaube ich Ihnen gern«, versetzte der Marshal. »Wozu sollte sich auch ein Sheriff mit Banditen wie Kirk McLowery abgeben, wenn er so wichtige Dinge wie Holzhacken und dergleichen gibt. Dafür muß man natürlich Verständnis haben.«

»Sie können sich den Spott ruhig sparen«, fand Humpy. »Burschen wie Kirk McLowery wagen sich nicht nach Benson.«

»Und wenn sie doch einmal den Einfall hätten?« meinte der Marshal.

»Dann soll es sie teuer zu stehen kommen. Mit dem alten Humpy ist nämlich nicht zu spaßen!«

»Den Eindruck habe ich allerdings auch«, giftete der Spieler. Da schlug der Sheriff die Axt in den Hauklotz, stemmte die Arme in die Hüften und blickte von einem zum anderen.

»Wollt ihr euch über mich lustig machen?«

»Nein, Sheriff«, entgegnete der Marshal, »wir hätten, im Gegenteil, eine sehr ernste Sache mit Ihnen zu besprechen.«

»So, wirklich? Na, wo soll sich denn Kirk McLowery herumtreiben? He? Ich will euch mal was sagen, Leute. Das ganze Gefasel von diesem Banditen höre ich schon seit Monaten. Und ich muß euch gestehen, daß es mir endlich zum Hals heraushängt. Wahrscheinlich gibt es diesen Kerl gar nicht, und hier machen sich alle verrückt, wenn sie nur seinen Namen hören.«

»Es gibt ihn, Sheriff!« erklärte der Marshal. »Vor einer halben Stunde war er oben in dem kleinen Boardinghouse am Eingang der Stadt.«

Humpy riß die buschigen Brauen hoch in die Stirn.

»Ihr habt ihn gesehen?« stotterte er mit beschlagener Stimme.

»Allerdings…« Und nun berichtete ihm der Marshal, was ihn von Tucson hier heraufgeführt hatte.

Humpy bekam seinen Mund nicht mehr zu. Endlich krächzte er:

»Und wie kommen Sie dazu, diesem Banditen zu folgen, Mister?«

Da schaltete sich Holliday ein.

»Er kommt so dazu, wie Sie davon abkommen! – Lassen Sie uns gehen, Marshal, dieser alte Herr ist amtsmüde, und sein Holz muß ja wirklich gehackt werden.« Er erhob sich von der Deichsel und ging mit Wyatt der Hoftür zu.

Da kam Leben in die massige Gestalt des Sheriffs. Er rannte mit flinken Schritten hinter Wyatt her und versperrte ihm den Weg.

»Sie sind ein Marshal? Aber das hätten Sie mir doch sagen müssen!«

Wyatt Earp blickte ihn aus ernsten Augen an.

»Nein, Mister, ich muß es nicht. Und es ist traurig daß Sie erst durch einen Marshal an Ihre Pflicht erinnert werden müssen. Vorwärts, machen Sie sich auf die Suche. Ich habe Ihnen ja eine genaue Beschreibung des Outlaws gegeben.«

»Die habe ich vergessen!« keuchte der Sheriff aufgeregt, während er sich durchs Haar fuhr und mit den Fingern einen Kamm zu ersetzen versuchte.

»Es ist ein großer Mann, nicht sehr breit in den Schultern, trotzdem kräftig wirkend, mit hellen Augen, dunklem Gesicht, schwarzem Haar, bartlos. Er sieht gut aus, trägt ein sauber wirkendes, ziemlich neues blaues Hemd und einen ebenfalls sauberen schwarzen Anzug mit schwarzer Samtschleife. Sein Hut ist flachkronig und schwarz. In den beiden Halftern trägt er zwei achtunddreißiger Colts mit schwarzen Griffen. Seine Hose läuft unten über die Stiefeletten aus. Und…«

»Das reicht!« rief der Sheriff. »Wenn ich ihn danach nicht finden würde, wäre ich ja ein Idiot. Sagen Sie, Marshal, Sie folgen ihm also seit Tucson und…«

Plötzlich tauchte hinten über dem Hoftor ein Mann auf.

»Earp!« brüllte er. Dann krachte ein Schuß.

Und schon war der Oberkörper des Schützen wieder verschwunden.

In das Echo des Schusses hinein brüllte einer der Revolver des Spielers. Das Schießphänomen aus Georgia hatte mit traumhafter Schnelligkeit reagiert. Aber seine Kugel konnte nur noch den Hut des Heckenschützen streifen.

Die Kugel hatte den linken Ärmel des Marshals berührt. Wyatt hatte augenblicklich einen Satz vorwärts gemacht, stürmte jetzt weiter auf das Tor zu, um es aufzureißen.

»Verschlossen!« brüllte Humpy. »Es ist verschlossen!«

Wyatt lief zurück.

Holliday hatte den Hof schon verlassen, rannte durchs Office, um auf die Straße zu kommen.

Als Wyatt die Straßentür erreichte, sah er den Gambler nicht mehr. Er war schon links um die nächste Gassenmündung verschwunden.

Er selbst spurtete zur anderen Seite hinüber, der nächsten Querstraße zu, bog in einer Parallelgasse ein und sah Holliday schon unten etwa in der Höhe des Sheriffshofes stehen.

Der winkte ab.

»Nichts!«

Kopfschüttelnd wandte sich der Missourier um und suchte unten in der Parallelgasse weiter.

Da wurde das Hoftor geöffnet. Sheriff Humpy hatte den Schlüssel geholt und erschien jetzt auf der Gasse.

»Sagen Sie, Mister, was hat der Halunke da vorhin gebrüllt?«

»Den Namen des Marshals«, entgegnete Holliday, während er aufmerksam in den gegenüberliegenden Hof spähte.

»Den… Namen des Marshals! Dann ist er Wyatt Earp?«

Holliday war schon verschwunden. Er suchte den Hof ab, stieß Stall- und Scheunentüren auf; kein Winkel entging ihm. Als er nach einer halben Stunde in den Hof des Sheriffs zurückkam, fand er den Marshal noch nicht vor.

Wyatt kam erst eine dreiviertel Stunde später.

»Seine Schuhabdrücke habe ich gefunden.«

»Ich auch!« Holliday lehnte zwischen Tür und Fenster an der Wand und stützte den rechten Ellbogen mit der linken Faust. »Es war Kirk McLowery!«

»Ohne jeden Zweifel. Ich habe seinen Schuhabdruck im Nachbarhof gefunden. Aber er steckte weder im Hof, im Stall oder Scheune noch im Haus selbst!«

»Ich finde, der Junge hat tatsächlich eine ganze Menge mit seinem Bruder Frank gemein.«

Wyatt ließ sich auf den Stuhl neben dem Schreibtisch nieder.

Sheriff Humpy starrte ihn an wie ein Wundertier.

»Und Sie sind also wirklich Wyatt Earp?«

Wyatt winkte ärgerlich ab. »Ja, leider.«

»Um ein Haar hätte der Bandit Sie erwischt!«

»Das wäre eine hübsche Sache für Ihr verdammtes Kaff gewesen«, fauchte der Spieler, während er zum Tisch ging und seine halbgerauchte Zigarette im Aschenbecher ausdrückte.

Ronald Humpy war zwar über die Banditen informiert; aber zu erwarten war nichts von ihm. Er hatte so gut wie nichts von der Entschlossenheit der Ahslan Brothers an sich. Es hatte wenig Sinn, sich länger mit ihm abzugeben.

Wyatt Earp und Doc Holliday stiegen auf ihre Pferde und ritten aus der Stadt hinaus.

Als sie zwei Meilen zurückgelegt hatten, schlugen sie einen weiten Bogen nach Südwesten und kehrten zurück.

»Leider ist es noch zu früh«, sagte der Marshal, »denn wenn es dunkel wäre, wollte ich diesen Halunken schon in irgendeiner der Bars finden. Jedenfalls können nicht alle sieben Leute unauffindbar in einer so verhältnismäßig kleinen Stadt verschwinden.«

»Wir kennen bis auf McLowery doch keinen von ihnen. Und daß die Schufte stählerne Nerven haben und vor unserer Nase herumlaufen, das haben wir in dem Boardinghouse ja erlebt!«

Sie hatten ihr Camp so aufgeschlagen, daß sie sowohl den westlichen wie auch den östlichen Ausgang der Stadt im Blickfeld hatten. Man konnte zwar mit dem bloßen Auge einen Reiter auf die Distanz von dreieinhalb Meilen – so weit hatten sie sich jetzt südlich vor der Stadt gelagert – sehen, aber natürlich nicht erkennen.

Wyatt Earp blickte nachdenklich nach Südosten hinüber.

»Dahinten irgendwo liegt St. David, dieses Räubernest. Sollte mich wundern, wenn die Bande nicht versuchen würde, heute nacht hinzukommen. Hier in Benson sind sie ncht besonders gut untergebracht. Hier gibt es sicher noch eine Reihe von Leuten, die ihnen gefährlich werden könnten. Denn noch ist Ike Clantons Macht ja nicht wieder das, was sie einmal war. Noch ist er ja nur ein Herrscher im Geheimen, von dem wahrscheinlich kaum jemand weiß, wer er in Wirklichkeit ist, schon wieder ist: der Big Boß der Galgenmänner! In den beiden Jahren seit dem Zusammenstoß unten im O.K. Corral hat sich hier einiges geändert. Man spricht zwar noch von den Clantons und wird es vermutlich noch in fünf Jahren tun (hier irrte Wyatt Earp: man spricht heute noch von ihnen!), aber die Angst, die die Bevölkerung vor diesem großen Bandenführer einmal hatte, die gibt’s praktisch nicht mehr.«

»So, aber noch könnte er die Angst nur allzu leicht wieder auffrischen«, gab der Spieler zu bedenken. »Wenn er seine Reiter wieder an die Countygrenzen schickt; und hinüber nach Mexiko, New Mexico, bis nach Yuma an die kalifornische Grenze: dann ist es bald wieder soweit, daß hier niemand mehr zu Ende husten kann, wenn er auch nur böse an Ike Clanton gedacht hat…«

Der Tag verging sehr langsam.

Endlich brach die Dämmerung herein.

Die beiden Männer in der Bodenmulde sattelten ihre Pferde und ritten in weitem Bogen nach St. David hinüber, in der festen und sicheren Überzeugung, daß Kirk McLowery und seine Leute diese Stadt in der Dunkelheit aufsuchen würden.

Sie zogen die Tiere in die erste Quergasse und postierten sich auf beiden Seiten der Mainstreet.

Wie große Katzen vor Rattenlöchern warteten sie. Aber vergebens.

Der Bandit Kirk McLowery war nicht dumm genug, ihnen in die Falle zu laufen. Schon jetzt bewies er dem Marshal seine ›Sonderklasse‹.

Der Bruder der beiden toten Revolverschwinger aus dem San Pedro Tal hatte sich überlegt, welche Gedanken sich ein Mann wie Wyatt Earp machen würde. Und damit hatte er das getan, was auch sein Bruder Frank getan hätte – und genau das Richtige getroffen. Der Marshal wird mir vor St. David auflauern!

Und dennoch muß ich hin. Nur dort sind wir wirklich vor seinen Nachforschungen sicher. Schon früher, zu den großen Zeiten der Clanton Gang, lebten nur noch in Tombstone selbst mehr Clanton-Anhänger als in St. David. Und das wollte etwas bedeuten.

Alec Billabey war seit sechs Jahren Mayor in St. David.

Niemand anders als der große Ike Clanton hatte ihm zu dem Posten verholfen. Kein Wunder, daß der einstige Bahnarbeiter dem?›König von Arizona‹ immer dankbar war. Diese Dankbarkeit währte auch über den Sturz Ikes hinweg in die trübe Zeit nach der Aufreibung der Bande.

Daß diese Clantons im übrigen nicht wirklich zu vernichten waren, zeigte sich ja jetzt. Kaum zwei Jahre hatten sie gebraucht, um wiederzukommen. In Costa Rica war Frank Stilwells Bruder aufgetaucht, und nun waren auch noch die Brüder der McLowerys und des Schießers Billy Claiborne zum Vorschein gekommen!

»Ich wundere mich nicht, wenn in Tombstone ein Verwandter Curly Bills aufkreuzt«, meinte der Spieler, »wenn Indian Charlie plötzlich noch einen Bruder hat, und wenn der Zyklop Pete Spence noch einen Verwandten ins Rennen zu werfen hat. Mich kann nichts mehr überraschen.«

»Mich auch nicht«, entgegnete der Marshal. »Da gibt’s noch eine ganze Reihe Leute mehr, zum Beispiel die lieben Flanagans, die immerhin in Vater und Sohn zwei ausgewachsene Schurken für Ikes Garde stellten; dann die Bakerfields aus der dritten Straße und vielleicht Jim Colgates jüngster Bruder Kid.«

»War der nicht in der Bank bei Myers beschäftigt?«

»Das war er.«

»Schien doch ein ordentlicher Bursche zu sein.«

»Ja, es schien so. Aber inzwischen sind zwei Jahre vergangen, und Boß Ike hat sich auch wieder erholt.«

Sie saßen jetzt nach stundenlangem Warten nebeneinander auf dem Vorbau und blickten in die nächtliche Savanne hinaus nach Westen, von wo die Banditen hätten kommen müssen.

Indessen stand Kirk McLowery hochaufgerichtet in der Wohnstube Billabeys.

»Ich brauche sechs Quartiere – und eine Zelle im Jail für Elliot!« forderte er herrisch.

»Gewiß, Mister McLowery«, dienerte der Mayor. »Ich weiß zwar nicht, wo ich so viele Zimmer in der Eile hernehmen soll, aber es wird schon irgendwie klappen!«

»Das hoffe ich!« verlangte der Bandit aus dem San Pedro Valley.

Gegen zehn Uhr endlich entschloß sich Wyatt Earp, nach Benson zurückzureiten.

Der Spieler würde die Wache vor der Stadt allein übernehmen.

Der Marshal ritt die sieben Meilen in Windeseile zurück und suchte sofort den Sheriff auf.

Er wollte seinen Ohren nicht trauen, als er schon von der Tür her das gleichmäßige, von knurrendem Fluchen begleitete Hacken auf dem Hauklotz vernahm.

Mister Humpy war noch immer mit dem Holzspalten beschäftigt.

Damit er seine Arbeit nicht etwa in völliger Dunkelheit verrichten mußte, hatte er sich ein Windlicht an die hochgestellte Wagendeichsel, auf der Holliday am Vormittag gesessen hatte, gehängt.

Als er die Schritte hinter sich hörte, drehte er sich vorsichtshalber um. Die schwere Axt sank neben seinem rechten Stiefel zur Erde, als er die Gestalt des Missouriers erkannte.

»Sie sind weg«, keuchte er rasch.

»Weg?«

»Ja, schon vor acht Uhr zogen sie ab. Nach Westen zu. Ich habe aber genau beobachtet, daß sie wieder in ziemlich großem Bogen nach Süden umgekehrt sind. Mag der Teufel wissen, wohin sie wollen.«

»Wie viele Männer waren es?«

»Sieben.«

»Also doch!«

Der Sheriff schneuzte sich geräuschvoll.

»Ich wette, die sind hinüber nach St. David geritten.«

»Wie kommen Sie denn darauf?«

»Ich war bei Gloogan, wo sie im Hinterzimmer gesessen haben…«

»Wie haben Sie das herausbekommen?«

»Gloogan schickte seine Tochter zu mir, als sie weggeritten waren. Er hat sie nicht gerade belauschen können, aber doch gehört, wie einer von ihnen, ein Mann, den sie Cass nannten, von einem Billabey sprach. Und genauso heißt der Mayor von St. David.«

Wyatt klopfte dem offenbar doch nicht so einfältigen Gesetzesmann auf die Schulter und rannte sofort wieder hinaus. Schon vom Vorbau aus sprang er in den Sattel und preschte nach Südosten zurück.

Neben dem Vorbau, hinter dem er den Spieler wußte, hielt er an und stieg ab.

Wie ein Schatten tauchte Doc Holliday aus einer dunklen Häuserspalte auf.

»Hier sind sie nicht vorbeigekommen«, berichtete er.

»Sie drücken es richtig aus, Doc: sie sind nicht vorbeigekommen. Und doch sind sie in der Stadt.«

»Das Gefühl hatte ich auch schon. Vorhin zum Beispiel, da kamen zwei Männer und standen hier nebenan vor dem Haus. Sie klopften gegen die Tür, und als ihnen geöffnet wurde gaben sie dem Mann gleich eins über den Schädel. Als er zu sich kam, kniete der eine der beiden Halunken auf seiner Brust. ›Damit wir uns verstehen, Alter‹, sagte er, ›wir brauchen ein Zimmer‹. Und während der eine dann mit dem vor Schmerz keuchenden und wimmernden Alten im Haus verschwand, wollte der andere weg, nachdem er sich mit einem Tritt von dem Hausbesitzer verabschiedet hatte.«

»Sie sagen: er wollte. Ist er denn nicht weggekommen?«

»Nein. Es paßte mir nicht.«

»Ihnen?«

»Ja, mir. Oder hätte es Ihnen gepaßt, Mister Earp?« Der Spieler zündete sich gelassen eine Zigarette an.

»Nein, sicher nicht. Aber was ist weiter passiert?«

»Nichts. Ich habe den Burschen auf Eis gelegt. Oder besser gesagt: auf den Mist zwischen den beiden Häusern, wo ich bis jetzt auf der Lauer gelegen habe.«

»Sie haben ihn da…«

Das Gesicht des Spielers wurde für eine Sekunde von dem rötlichen Schein des Zündholzes beleuchtet. Dann war alles wieder dunkel.

»Ich hatte mich auf den Vorbau begeben und mir dann erlaubt, ihm den gleichen Hieb zu versetzen, mit dem er Minuten vorher den alten Mann umgeworfen hat. Dann habe ich ihm sein Halstuch zwischen die Zähne geschoben und ihn mit seinem eigenen Riemenzeug gebunden. Ganz so, wie Wyatt Earp mir das hundertmal vorgemacht hat.«

Der Marshal lachte leise.

»Sie sind ein Unikum, Doc…«

Er wollte an dem Spieler vorbei auf die Häuserspalte zugehen, als drüben von der anderen Straßenseite her plötzlich eine Gewehrsalve aufheulte.

Holliday schoß gedankenschnell aus beiden Revolvern zurück.

Wyatt hatte sich im Fallen herumgeworfen, und in die bellenden Schüsse des Spielers hinein röhrte sein schwerer Buntline-Revolver.

Holliday kroch hinter ein Regenfaß und sah die Gestalt des Marshals flach am Boden liegen.

»All right?« flüsterte er.

Wyatt gab leise zurück: »Ja. Und Sie?«

»In Ordnung. – Ich wette, unser Freund Kirk ist schon da und wollte uns auf diese nette Art begrüßen.«

Plötzlich schnellte der Gambler hoch, und dann spien seine Sixguns wieder Feuer auf das gegenüberliegende Hoftor.

Wyatt federte sofort rückwärts und hatte auch schon die Straße zu zwei Drittel überquert, als Hollidays Feuer verstummte.

Wyatt sah nach links hinüber.

Die hohe Gestalt des Spielers war nicht zu sehen. Nur fahler Nachthimmel stand zwischen den Häuserfassaden.

Aber da vorn lag er am Boden, schnellte jetzt hoch und schoß wieder. Er hatte in der Zwischenzeit mit fliegenden Fingern nachgeladen.

Wyatt rannte unter diesem Feuerschutz weiter, erreichte das Tor und warf sich mit aller Gewalt dagegen.

Er federte, sprang dann aber auf.

Brüllende Schüsse knatterten aus dem Hof auf die Straße. Wäre der Marshal vor dem Tor stehengeblieben, hätten ihn jetzt ein halbes Dutzend Kugeln durchlöchert. Aber der erfahrene Westmann war längst neben die Pfeiler zurückgewichen und schob den linken Arm mit dem Revolver vor.

In die Salven der Desperados schickte er seine Schüsse.

Schreie gellten auf.

Dann sah er einen Schatten an sich vorüberhuschen.

Holliday! Wie ein Schemen schien er vorbeizuwehen, hatte schon die Mitte des Hofes erreicht, als er kaltstirnig stehenblieb und schoß. In die letzten Mündungsblitze der Banditen hinein.

Dann endlich verstummte das Feuer auf der Gegenseite.

Der Angriff auf die beiden schußschnellen Männer aus Dodge City war blutig abgeschlagen worden.

Während der Gambler rechts hinter einem Wagen stehenblieb und mit den wieder nachgeladenen Colts die dunklen Schatten vor der Stallmauer in Schach hielt, lief der Marshal hinaus, riß ein Windlicht vom Haken und zündete es an.

Als das Licht in die Enge des Hofes fiel, sah man drei Männer am Boden liegen; keuchend, stöhnend und fluchend.

Keiner von ihnen war tot.

Einer hatte einen Schuß im Oberschenkel, der ihn am Aufstehen hinderte, der andere hatte zwei Kugeln in die rechte Hüfte bekommen, und der dritte preßte mit der Linken seine starkblutende rechte Schußhand, die schwer getroffen worden war.

Es waren der verräterische Pferdehändler Allman und seine beiden Peons; sie hatten ihre Strafe bekommen.

McLowery, Claiborne und der Keeper Pinkerton waren entkommen. Falls sie überhaupt dabeigewesen waren.

»Die drei Kerle laufen nicht mehr weg«, meinte Holliday.

Wyatt blies das Windlicht aus.

Sie verließen zusammen den Hof.

Unten, wo sich die Mainstreet zu einem marktähnlichen Platz ausweitete, fanden sie das Haus eines Wundarztes.

Wyatt trommelte ihn heraus. Es war ein kleiner mickriger Mann mit zahnlosem Mund und einer Nickelbrille, deren Gläser fingerdick zu sein schienen.

»Jetzt, mitten in der Nacht, soll ich mich um ein paar Verrückte scheren!« schnarrte er.

»Ja, Doc, das werden Sie!« entgegnete der Marshal.

»Die Leute sind verwundet und brauchen Ihre Hilfe. Vielleicht bringt es Sie etwas leichter in Gang, wenn ich Ihnen sage, daß es Freunde Kirk McLowerys sind, also Anhänger Ike Clan…«

Er brauchte gar nicht weiterzusprechen. Der Arzt wandte sich um, rannte ins Haus zurück und kam gleich darauf mit seiner Instrumenten- und Pflastertasche zurück.

Auf der Straßenmitte hielt er mit einem Ruck inne und drehte sich um.

»Auch Freunde von… Ihnen?«

»Nein, Doc!« kam es aus dem Dunkel zurück.

Da rannte er noch schneller.

Eine Frau, die neugierig aus einem Fenster gesehen hatte, krächzte:

»Diese Schießerei! Das nimmt kein Ende in diesem Mördernest!«

Holliday wandte sich nach ihr um.

»Wo wohnt der Mayor, Madam?«

»Gleich da drüben in dem großen Haus.«

Die beiden bedankten sich, und kurz vor dem Anwesen Billabeys trennten sie sich. Während der Missourier auf den Eingang zuging, stahl sich der Georgier durch das Tor in den Hof.

Auf Wyatts Klopfen fand sich eine junge Frau an der Tür ein. Sie öffnete sie einen Spalt und betrachtete den Mann, auf den der Lichtschein aus dem Flur fiel, forschend.

»Sie sind Wyatt Earp, nicht wahr?«

Wyatt blickte sie verblüfft an. Sie hatte ein hübsches, schmales Gesicht, dunkle Augen und strähniges Haar.

»Sie kennen mich?« fragte er.

»Ja, ich habe doch auf Sie gewartet. Damit Sie diese elen…«

»Judith!« gellte die röhrende Baßstimme eines Mannes durch den Korridor. Es war der Mayor. Er kam an die Tür.

»Sie müssen verzeihen, Mister, meine Tochter ist…« Er machte eine unmißverständliche Gebärde, die besagen sollte, daß das Mädchen geistesgestört sei.

»Sie plappert lauter dummes Zeug!«

»Offenbar nicht immer«, meinte der Marshal. »Immerhin hat sie mich mit meinem Namen begrüßt.«

»Ach…, so…, dann… war das ein Zufall, wissen Sie…« Er brach ab und besann sich; dann fuhr er erregt fort: »Wer sind Sie?«

»Er ist Wyatt Earp!« rief das Mädchen mit schriller Stimme von der Treppe her. »Der große Wyatt Earp! Vor dem sie alle Angst haben! Auf den sie alle schimpfen – und vor dem sie sich doch in die Rattenlöcher verkriechen! Die…«

»Judith!« rief der Mann in wildem Zorn, wandte sich nach ihr um, packte sie am Arm, zerrte sie durch den Korridor davon und stieß sie in ein Zimmer, dessen Tür er verschloß.

»Es ist schon ein Elend mit dem Kind! Sie müssen verzeihen! Also, Sie sind Wyatt Earp! Freut mich, Sie einmal kennenzulernen.«

Der Mann war viel zuwenig überrascht. Nicht, daß der Marshal viel Verwunderung bei seinem Auftauchen erwartet hätte, aber aus jahrelanger Erfahrung wußte er schließlich, wie die Menschen bei seinem Erscheinen reagierten, vor allem Menschen, die allen Grund hatten, ihn zu fürchten.

Barsch fuhr ihn der Marshal an: »Ich habe drüben in Benson gehört, daß Kirk McLowery die Absicht hatte, Sie aufzusuchen, Mayor!«

»Kirk McLowery?« tat der von einem Bandenführer eingesetzte Bürgermeister entsetzt. »Aber Sie werden doch nicht annehmen, Marshal, daß ein Bandit in meinem Haus Eintritt findet? Der Gedanke ist doch absurd!«

»Leider muß ich es annehmen, Billabey. Zur Seite!«

Wyatt schob sich an ihm vorbei in den Flur und schloß die Haustür hinter sich. Am Ende des Korridors sah er in einem Spalt der geöffneten Hoftür den Spieler stehen. Er war also schon im Haus!

Der Marshal wandte sich nach dem Mayor um.

»Wo ist er?«

Alle Selbstsicherheit hatte den Bürgermeister verlassen. Schlotternd stand er mit dem Rücken zur Haustür und krächzte:

»Ich schwöre Ihnen bei allem…«

»Schwören Sie nicht, Mann, dafür könnte ein anderer von Ihnen Rechenschaft fordern!«

Da erscholl ein hysterisches Frauenlachen, das die Männer verstummen ließ.

»Er ist der große Wyatt Earp! Vor dem sie sich alle fürchten! Auch der Vater fürchtet sich vor ihm!«

Mit entsetzten Augen blickte der Mayor auf die Zimmertür.

»Judith! Ich bitte dich, Kind, rede doch keinen Unsinn!«

»Er bittet mich, der Herr Vater? Und nachher schlägt er mich wieder!«

Wyatt öffnete die Tür zu dem Zimmer, in dem sich das Mädchen befand.

Judith wich bis zu dem vergitterten Fenster zurück. Es war offenbar ihr Zimmer.

»Wissen Sie, wo Kirk McLowery ist?«

»Er heißt nicht Kirk, Marshal. Er heißt Frank. Und er ist ein großer Schütze! Ikes bester Mann! Und ein schöner Mann!«

»Wen interessiert das, Kind?« rief der Mayor erregt. »Erzähle dem Marshal doch keinen Unsinn!«

»Schweigen Sie, Billabey!«

Da sank das Mädchen auf einen Stuhl zurück und senkte den Kopf. Es war kein Wort mehr aus ihr herauszubringen.

Wyatt wandte sich um, schob den Mayor zur Seite und eilte die Treppe hinauf zum Obergeschoß.

Der Mayor rief ihm nach: »Wen suchen Sie denn dort, Marshal?«

»Den Mörder von Sheriff Ahslan!«

»Den Mörder von Sheriff…«

Als der Mayor den Marshal oben im Gang verschwinden hörte, hauchte er seiner Tochter zu:

»Um ein Haar hättest du elende Schlange mich verraten! Du weißt genau, was wir Ike Clanton alles verdanken. Franks Bruder Kirk ist mir allerdings so wenig lieb wie dir. Aber ich kann es nicht wagen, mich gegen einen der Clantons zu stellen!«

Da tippte ihm jemand auf die Schulter. Als er sich umwandte, sah er in ein hartes Gesicht, aus dem ihm ein eiskaltes Augenpaar entgegenblickte.

Doc Holliday hatte seinen Posten an der Hoftür verlassen.

»So ist das also«, sagte er rauh.

Der Mayor erschak bis ins Mark. Er war ohnedies kein gesunder Mann, und die großen Aufregungen dieses Abends hatten ihn an den Rand eines Nervenschocks gebracht. Da er nicht wußte, wer der Mann war, der jetzt vor ihm stand, riß er den Mund auf und preßte beide Hände gegen die Schläfen.

»Wer sind Sie?«

»Mein Name ist Holliday. Doc Holliday, wenn Ihnen das mehr sagt.«

»Doc Holliday!« Das Mädchen fuhr mit einem hysterischen Schrei vom Stuhl. »Doc Holliday. Laß mich sehen, Vater.« Er schob den Mayor, der ihm im Wege stand, zur Seite und starrte den Georgier an. »Sie sind Doc Holliday. Oh, welch ein Gentleman! Sieh nur, Vater!«

Da kam der Marshal die Treppe herunter.

Billabey trat zerknirscht in den Flur.

»Ich bin ein erledigter Mann. Ich bin geschlagen.«

Holliday warf ihm einen verächtlichen Blick zu.

»Es ist, wie Sie schon richtig sagten, Mayor: Sie verdanken alles Ike Clanton, alles, auch die große Angst.«

Die beiden verließen das Haus und ritten aus der Stadt.

Da hielt der Marshal an und blickte nach Südosten, wo in unendlich weiter Ferne vorm hellen Horizont die Konturen der Blauen Berge sichtbar wurden.

»Jetzt weiß ich, wohin wir reiten müssen, Doc Holliday. Genau dahin, wohin wir nie reiten wollten.«

»Ich weiß«, engegnete der Spieler, indem er mit finsterer Miene in die Prärie hinausblickte, »›nach Tombstone‹.«

*

Es war an einem glühendheißen Spätnachmittag. Die orangerot schwelende Sonnenkugel warf gleißende Strahlenbündel von Westen her in die Tombstoner Hauptstraße.

Die beiden Männer, die den ganzen Tag über geritten waren, waren von braungelben Flugsand wie gepudert; staubbedeckt waren ihre Gesichter und ihre Pferde.

Im Schritt trotteten die beiden Hengste durch die breite, schnurgerade verlaufende Allenstreet.

Ein Mann, der eben den Fahrdamm hatte überqueren wollen, hielt inne und blickte entgeistert auf die beiden Reiter; dann wandte er sich um, stürmte über den Vorbau und verschwand in einem Barbershop.

»Wyatt Earp ist in der Stadt!« brüllte er.

Vor dem Occidental Saloon hatten zwei Männer in Korbstühlen gesessen, die ebenfalls beim Anblick der Reiter jäh hochfuhren und dann in der Kneipe verschwanden.

»Wyatt Earp ist in der Stadt!«

Der schlaksige Bursche vorm Oriental Saloon, der gerade seinen Weidelohn vertrunken hatte und benommen auf die Straße stierte, wurde beim Anblick der beiden Dodger mit einem Schlage nüchtern, flog herum, stolperte in die Schenke zurück und brüllte:

»Wyatt Earp ist in der Stadt! Wyatt Earp und Doc Holliday!«

Drüben links, das Eckhaus, war der im ganzen Westen bekannte Crystal Palace.

An der Theke lehnte ein bulliger Mann von sechs Fuß Größe. Er trug ein rotkariertes Hemd, eine schwarze Boleroweste und eine enganliegende schwarze Levishose, die unten in halbhohen Cowboystiefeln steckte. Der schwere, patronengespickte Waffengurt hielt tief über beiden Oberschenkeln zwei schwarzlederne Revolverhalfter, die mit silbernen Nägeln besetzt waren, in denen übergroße Revolver steckten.

Der Mann hatte ein wildes Gesicht von dunkelroter Farbe, trug einen struppigen Schnauzbart und hatte seinen schwarzen Stetson am Band hinten im Genick hängen. Sein rotes Haar war kurzgeschoren und wirkte ungepflegt. Die Hemdsärmel hatte er hochgeschlagen und die behaarten Fäuste aufs Thekenblech gestützt. Er paßte nicht in den Crystal Palace, dieser Mann. Aber es gab niemanden, der es gewagt hätte, sich gegen seine Anwesenheit aufzulehnen.

Und dabei hatte er äußerlich nur sehr wenig Ähnlichkeit mit jenem Mann, dessen Namen er trug.

Curly Bill!

James William Brocius war ein Vetter des wirklichen Curly Bill, jenes berüchtigten Verbrechers, der im Kampf gegen den Marshal Earp gefallen war. Der erste Curly Bill war eines der prominentesten Mitglieder der Clanton Gang gewesen und gehörte zu den fünf Mördern von Wyatts jüngstem Bruder Morgan.

James Brocius hielt sich seit einem Jahr in der Stadt auf. Niemand wußte so recht, was ihn eigentlich in Tombstone festhielt. Einige Leute, die anfangs glaubten, über ihn lachen zu können, hatten die blutige Erfahrung machen müssen, daß dieser neue Curly Bill seinem toten Vetter in nichts nachstand.

Und der Cowboy Josuah Lampert, der es ganz genau hatte wissen wollen, lag seit sieben Monaten auf dem Boot Hill, und sein Grabstein bezeugte, daß der neue Curly Bill ebenso gefährlich und zu fürchten war, wie der alte. Niemand wußte, ob er hierhergerufen worden war; und wenn – wer hatte ihn gerufen? Da er beim Poker nicht allzuviel Geld machte, blieb es nicht aus, daß man sich Gedanken darüber machte, wovon er lebte.

Und er lebte!

James Brocius gab wenigstens doppelt so viele Bucks aus, wie er verdiente. Aber es hätte niemand gewagt, ihn nach seiner Geldquelle zu fragen.

Für Tombstone war er ganz einfach Curly Bill.

Wie der Mann, der unten am Ende der Theke stand, für Tombstone ganz einfach McLowery war!

Und wie der andere, der blonde Schlaks, der mit einem älteren Mann an einem der Spieltische pokerte, ganz einfach Claiborne war.

So lebten nicht nur die alten Namen noch, sondern ihre Träger liefen auch tatsächlich auf festen, sehr lebendigen Beinen umher.

Die Geister der Vergangenheit! Und niemand zweifelte daran, daß sie ›schlechter‹ sein könnten als ihre Vorgänger.

Tombstone hatte seine große Garde wieder. Und draußen, achtzehn Meilen vor der Stadt, stand nach wie vor jene Ranch, deren Boß niemand anders war als Isaac Joseph Clanton, besser bekannt im ganzen weiten Westen unter dem Namen Ike Clanton.

Kirk McLowery und Cass Claiborne waren zusammen mit dem Keeper Arthur Pinkerton und ihrem Gefangenen Jim Elliot nach dem fehlgeschlagenen Überfall auf Wyatt Earp und Doc Holliday aus St. David geflüchtet. Während der lange Pinkerton oben in der Fremontstreet sofort in Jonny Millers Bar einen neuen Job suchte, nahmen sich Claiborne und McLowery Zimmer im Cosmopolitan Hotel, nachdem sie den entführten Steuereinnehmer bei Freunden ›untergebracht‹ hatten.

Seit dem frühen Vormittag lungerten die beiden im teuren Crystal Palace herum, in den allenfalls Kirk McLowery hineingepaßt hätte, nicht aber Gestalten wie der Schießer Claiborne oder gar der Rowdy Curly Bill.

Kirk McLowery, der im Gegensatz zu den anderen ›Nachfolgern‹ seinem ›Vorgänger‹ Frank McLowery unheimlich glich, hatte sogar unbewußt auch dessen Gewohnheiten angenommen. Er stand so an der Stirnseite der Theke, daß er durch eines der großen Fenster die Allenstreet im Blickfeld hatte.

Jetzt, als er die beiden Reiter auftauchen sah, zog er die Brauen zusammen, schnipste mit der gleichen befehlsgewohnten Geste, die man noch genau von seinem herrischen Bruder Frank kannte, mit den Fingern und schnarrte:

»Cass!«

Claibornes Kopf flog herum. »Was gibt’s?«

Kirk deutete auf die Straße. »Sie sind da!«

Auch Curly Bill wandte den Kopf und blickte hinaus.

»Wer ist das?« krächzte er mit whiskyheiserer Stimme.

»Niemand, für den es sich lohnt, einen Whisky stehenzulassen, Curly. Zwei Burschen, die lebende Grabsteine sind. – Du kannst gleich hinüber zum Undertaker gehen, Cass, und zwei Särge bestellen.«

Cass Claiborne sah ihn unschlüssig an. In Kirks Augen stand das gefährliche Glimmen, das dem Keeper hinter der Theke nicht entging; er erinnerte sich daran, daß er es oft in den Augen von Kirks ältestem Bruder gesehen hatte.

Da fiel Kirks Blick auf den Keeper.

»Und Sie, Jim, werden auch einen Gang für mich machen.«

»Ich, Mister McLowery?« stotterte der Keeper verstört.

»Ja, Sie. Gehen Sie hinaus auf den Vorbau und rufen Sie den beiden nach, daß ich sie morgen früh um sieben Uhr im O.K. Corral erwarte!«

»Im O.K. Corral?« stammelte der Keeper.

Wie ein dröhnender Gongschlag war der Name des Wagenabstellplatzes in den großen Schankraum gefallen.

O.K. Corral! Der junge, kaltschnäuzige McLowery hatte die Erinnerung an den schwärzesten Tag Tombstones aufgewirbelt.

Entgeistert starrten ihn die Männer von den Spieltischen her an.

Totenstille herrschte im Crystal Palace.

»Jim!« Schneidend drang die Stimme Kirks an das Ohr des Keepers. »Haben Sie mich nicht verstanden?«

»Doch, ja«, krächzte der Barmann und blickte über die Schwingarme der Pendeltür in das grelle Licht der Straße, wo man jetzt die Silhouetten der beiden Reiter noch sehen konnte.

Jim Dawson trippelte zum Eingang, blieb vorsichtshalber aber hinter der Tür und rief in lächerlich hohem Diskant:

»Mister Earp!«

Der Marshal hielt sein Pferd an und wandte sich um.

Da krächzte der froschäugige Keeper: »Mister McLowery erwartet Sie und den Doc morgen früh um sieben Uhr… im O.K. Corral!«

Sofort verschwand sein Kopf hinter den breiten Schwingarmen der Tür.

Der Missourier tauschte einen kurzen Blick mit dem Georgier.

»Haben Sie das gehört, Doc?« fragte er leise.

»Ja, es war schwer zu überhören. Mir scheint, daß sich in diesem höllischen Nest nichts geändert hat. – Ich glaube, ich werde einen Brandy im Crystal Palace nehmen.« Er zog sein Pferd zurück.

»Das würde ich nicht tun, Doc.«

Die beiden hielten voreinander.

Wyatt senkte seinen Blick in die Augen des Freundes, in denen das blendende Licht der sinkenden Sonne stand.

»Warum nicht?« kam es durch die zusammengepreßten Zähne des Spielers.

»Kirk ist in der Bar – und ganz sicher auch Claiborne. Vielleicht auch Pinkerton und noch andere Männer.

Es war helle Verwunderung, die jetzt in den Augen des Spielers stand.

»Na und? Sie denken doch nicht, daß deshalb der Brandy schlechter schmeckt?«

Sein aristokratisches Gesicht wirkte plötzlich wie aus Stein gemeißelt. Er nahm die Zügelleinen hoch und ritt langsam zurück auf die Eckschenke zu.

Wyatt Earp blickte ihm nach.

Tombstone! Unseliges Tombstone. Kaum haben wir den Fuß hineingesetzt, und schon schickt es seine Brandpfeile wieder auf uns.

Die wahnwitzige Aufforderung Kirk McLowerys schien den Spieler verwandelt zu haben. Alle seit Jahren geübte Vorsicht außer acht lassend, ritt er in eisigem Trotz sein Schicksal herausforderung, auf den Crystal Palace zu.

Dawson, der wenige Yards hinter der Tür gestanden hatte, brüllte: »Doc Holliday! Er hat sein Pferd gewendet. Er kommt zurück…, hierher, auf den Saloon zu!« Der Keeper rannte auf die Theke zu, stolperte über Kirk McLowerys Stiefel, raffte sich hoch und verschwand durch den Perlschnurvorhang im Flur.

Die Männer hinten an den Spieltischen waren aufgesprungen, rannten in die Mitte des Schankraumes, blickten durch die Türöffnung auf die Straße und flüchteten dann in panischer Hast durch die Flurtür zum Hof.

Schließlich standen nur noch die drei Desperados in der Schenke.

Wyatt Earp hielt noch auf der Mitte der Kreuzung und sah, wie Doc Holliday vom Pferd stieg und in eisiger Ruhe seine Zügelleinen um den Querholm warf, auf den Vorbau stieg, und auf den Eingang der Schenke zuhielt.

Da wandte auch der Marshal sein Pferd.

Damned! Dieser Zusammenprall hätte vermieden werden können. Aber die irrsinnige Aufforderung Kirk Lowerys hatte den einstigen Bostoner Arzt so sehr gereizt, daß er sich zu sofortigem Handeln entschloß.

Es hätte ganz sicher vermieden werden können, jetzt das Schicksal so herauszufordern.

Aber was war dann morgen früh um sieben Uhr?

Vielleicht war das Vorgehen des Georgiers nicht einmal so sinnlos, wie es jetzt schien. Vielleicht war es sogar richtig – wenn es auch mörderisch gefährlich war. Sie waren allein in dieser Stadt und mußten beweisen, daß sie nichts und niemanden fürchteten.

Seit Virgil (Wyatts ältester Bruder ) den Job hier als Marshal aufgegeben hatte, um einem Ruf in die große Stadt Santa Fé zu folgen, wo er jetzt Sheriff war, gab es hier niemanden mehr, der ernsthaft hinter ihnen gestanden hätte.

Dafür aber gab es Ike Clanton noch!

Und seinen Bruder Phin!

Und einen neuen, gefährlichen McLowery und einen zweiten Claiborne und einen verschlagenen Burschen namens Pinkerton; und vielleicht noch eine ganze Reihe Männer mehr, die sie nicht kannten, die aber automatisch ihre Feinde waren, weil ihre Brüder, Väter und ihre Vettern ihre Feinde gewesen waren.

In Hillbys Barbershop standen die Männer hinter den beiden Fenstern und starrten aus weiten Augen hinüber zum Saloon.

»Wyatt Earp – und Doc Holliday!« stieß der Zahnarzt Morton heiser durch die Zähne. »McLowery ist in der Bar!«

»Und Cass Claiborne!« keuchte der alte Harry Fabian, der eine große Sattlerei in der Second Street betrieb.

»Und Curly Bill!« krächzte der dicke Barbier.

»Jetzt geht die Hölle los!«

»Man muß den Sheriff holen!«

Aber niemand rührte sich von der Stelle.

Schräg gegenüber in Websters Tombstone Bank hingen sie wie Trauben an den Fenstern, gegen die Sicht von außen durch Gardinen geschützt, keuchend vor Aufregung.

An der anderen Ecke der Straßenkreuzung, in Holmans Generalstore, standen die Menschen stumm vor Angst da und wagten sich nicht zu bewegen.

In der Tombstoner Allenstreet herrschte Pulverfaßstimmung – und wieder war eine Minute angebrochen, die in makaberer Weise die alten Zeiten heraufbeschwor.

»Wyatt Earp!« keuchte der alte Brasser, »weshalb ist er auch in die Stadt gekommen? Daß er sich überhaupt hierher wagt…«

»Erlauben Sie mal!« stieß ihn Jimmy Markart an, »was reden Sie denn da! Sie tun ja gerade so, als wäre er der Bandit – und nicht die andern!«

»Unsinn! Aber die Stadt ist doch…«

»Voller Banditen, wie eh und je, sagen Sie es nur, Brasser. Und ein ehrbarer Marshal soll sich nicht hierherwagen, weil hier die Ratten wieder tanzen!«

Hier im Store ereiferten sich die Männer nur.

Ein Haus weiter, in der schlauchartigen Schenke ›Zur heiseren Kehle‹, hielt der lange Cowboy Coleman dem kleinen Minenarbeiter Jeffries seine Faust unter die Nase.

»Was hast du gesagt: jetzt wird mit den Clantons aufgeräumt? Du dreckiger Erdlochkriecher, du!«

Schon war die Prügelei im Gange.

Eine alte Frau stürmte in John Clums Zeitungshaus, oben in der Fremontstreet.

»Mister Clum! Mister Clum!«

Der alte Mann kam aus seinem Arbeitszimmer in den Druckereiraum, hob die Hand, und die Maschinen setzten aus.

Die Arbeiter blickten auf die Frau, die in der Tür stand.

»Mister Clum! Wyatt Earp ist in der Stadt!«

»Was sagen Sie da, Mrs. Evers?«

»Wyatt Earp und Doc Holliday!«

»Ausgeschlossen!« Der alte Herr wurde einen Schein blasser und knöpfte sich unwillkürlich den Kragen zu, den er wegen der Hitze geöffnet hatte.

»Sie sind vorm Crystal Palace, Mister Clum! Kirk McLowery und Curly Bill sind drin! Und Cass Claiborne! Doc Holliday hat kehrtgemacht und ist eben vor der Bar vom Pferd gestiegen!«

»Nein!«

»Weil der Keeper den beiden nachgerufen hat, daß McLowery sie morgen früh um sieben Uhr im O.K. Corral erwartet!«

»Nein…, ist er irrsinnig geworden, der Bursche?«

Clum schlug entsetzt die Hände über dem Kopf zusammen und stürmte dann durch den Maschinenraum auf die Fremontstreet hinaus, rannte die Querstraße hinunter auf die Allenstreet zu, wo er schon von weitem den Marshal mit seinem Falben sah.

Im Obergeschoß des schmalen Hauses, in dem Gussows Taylorwerkstatt war, stand ein Mann, der ein Gewehr in der Hand hatte.

Eine Frau umkrampfte seinen Oberkörper.

»Ed! Nein, ich flehe dich an! Ed! Das kannst du nicht tun!«

»Ich knalle ihn ab! Den Hund! Beide knalle ich ab!«

»Nein, Ed! Wenn du ihn verfehlst, den Marshal, bist du verloren. Und du triffst ihn nicht! Bestimmt aber nicht beide.«

»Der Gambler hat sich schon unter das Vorbaudach gerettet. Aber den Sternschlepper hole ich mir!« keuchte der Mann mit verkniffenem Gesicht.

»Doc Holliday wird dich bis in die Felsenberge und bis in den Sand von Texas verfolgen, wenn du den Marshal ermordest, Ed!« wimmerte die Frau.

Da fuhr der Mann herum und versetzte ihr eine Ohrfeige, die sie zurücktaumeln ließ.

»Ermordet?« keuchte er heiser. »Bist du wahnsinnig! Dieser Hund hat Pete erschossen! Pete, meinen Freund Pete Spence! Nie gab es einen besseren Burschen als ihn! Der Marshal hat ihn ausgelöscht…«

Wieder schlug der Mann zu, rücksichtslos, brutal.

Zwei Kinder schrien ängstlich in einer Ecke des Zimmers auf.

»Mutter!«

Als Ed ›Captain‹ Baxter den Kopf wieder herumwarf, war auch der Marshal auf dem Vorbau und damit aus dem Blickfeld des Heckenschützen verschwunden.

Doc Holliday stieß die schweren Schwingarme der Pendeltür auseinander und blickte in das Halbdunkel des großen Schankraumes.

Da er aus der gleißenden Helle der Straße kam, noch geblendet von der untergehenden Sonne, mußte er sich erst an das Dämmerlicht gewöhnen, das in der Schenke herrschte, deren Fenster von schweren rotsamtenen Vorhängen halb verhangen waren.

Er hielt die beiden Schwingarme einen Augenblick auf.

Der Geruch von Whisky und Tabak, Leder, Pferdeschweiß und staubigem Plüsch schlug ihm entgegen.

Jetzt hatten sich seine Augen an das Dämmerlicht gewöhnt.

Der große, mit grünen Samtstoffen und Goldborten ausgeschlagene Vorderraum des Crystal Palace war leer.

Völlig leer.

Cass Claiborne war als erster gegangen.

Curly Bill dachte nicht daran, zu gehen. Erst als er von hinten rauh angestoßen worden war, sich umblickte und in die schiefergrauen, seltsam hellen Augen Kirk McLowerys sah, lief ihm plötzlich ein eisiger Schauer über den Rücken.

»Was willst du?« knurrte er.

»Wir gehen!« sagte der Mann aus dem San Pedro Valley.

»Weshalb?«

»Weil der Fight erst morgen früh ist…«

So fand der Georgier einen völlig leeren Schankraum vor. Er trat in dem Augenblick an die überladen wirkende, bombastische Theke, als die Gestalt des Marshals den Eingang verdunkelte.

Holliday sah seine Silhouette im Thekenspiegel, vom grellen rotgoldenen Licht der Straße umflutet.

»Hier sind offenbar sämtliche Quellen versiegt«, stellte der Spieler klirrend fest.

Wyatt Earp blieb im Eingang stehen.

»Keeper!« rief der Spieler.

Da schob sich der Froschschädel Jim Dawsons durch die Perlenschnüre des Flurvorhanges.

»Einen Brandy!«

»Sehr wohl, Doc! Sofort, Doc! Eine Sekunde nur!« Er stürzte an die Theke, riß eine Klappe auf und nahm eine neue Flasche heraus.

Das Glas, das er vom Bord nahm, wischte er eigens noch einmal mit seinem Gläsertuch aus.

»Spülen!« verlangte der Georgier, da er die ›Sauberkeit‹ der Gläsertücher kannte.

Dawson nickte untertänig und tauchte das Glas mehrmals in das Wasserbecken.

»Nicht abtrocknen! Einschenken!«

»Sehr wohl!«

Der Gambler nippte an dem Brandy und nickte dann wohlgefällig

Die eisige Angst, die sein Anblick in das Hasenherz des Keepers gesenkt hatte, zerschmolz allmählich.

»Ein guter Tropfen, nicht wahr, Doc? Ich hatte ihn mir…« Er hielt inne, sah sich um, trat an den Vorhang und lugte in den Flur hinaus. Als er wieder an die Theke zurückkam, fuhr er leiser fort:

»Ich hatte ihn eigens für Sie zurückgelegt.«

»Für mich?« entgegnete der Gambler finster.

»Ja, oder sagen sie besser, für einen Kenner wie Sie, Doc!«

Holliday trank den Brandy aus, warf zwei Geldstücke aufs Thekenblech und wandte sich dem Eingang zu.

Wyatt ließ ihn vorbei. »Na, war es ein guter Brandy?«

»Yeah, ein sehr guter sogar.«

Sie stiegen in die Sättel, verließen die ungastliche Allenstreet und ritten zum Russian House hinunter, zu Nellie Cashmans berühmtem Hotel.

Damals, als sie zum erstenmal in der Stadt gewesen waren, lag das Etablissement der ebenso tatkräftigen wie hübschen Lady am Südostrand Tombstones – heute schien es fast mitten in der Stadt zu liegen. Viele neue Häuser waren dahinter zu sehen.

Wyatt stieg ab und gab dem Negerjungen, der auf ihn zulief, die Zügel des Falbhengstes.

»Na, Boy, wie heißt du denn?«

»Sammy.«

»Dachte ich mir’s doch. Well, dann stell mal unsere Pferde in den Stall, Sammy. Und wenn es geht, so, daß sie nicht allzuweit von der Stalltür entfernt sind.«

Der kleine Sammy sah ihn aus runden Jungenaugen an.

»Sie haben es eilig, wegzukommen, Massa?«

»Das auch. Aber deshalb ist es nicht – es kann nur sein, daß wir die Pferde rasch brauchen, weil andere Leute es vielleicht eilig haben, aus der Stadt zu kommen.«

Der ebenholzfarbene Bursche grinste und bleckte ein gewaltiges Gebiß.

»Verstehe.«

Holliday sah sich um.

»Am liebsten wäre ich wieder in mein altes Domizil gezogen. Aber wer weiß, wie es den beiden Quartors seitdem ergangen ist, zum Dank dafür, daß Doc Holliday damals bei ihnen gewohnt hat.«

»Eben. Sie können sie ja mal besuchen. Und außerdem: besser als bei Nellie Cashman können Sie in Tombstone gar nicht aufgehoben sein.«

Da wurde im Eingang des Hotels eine schlanke, vielleicht sechsundzwanzigjährige Frau mit schwarzem Haar und wundervollen Augen sichtbar.

»Mister Earp…!«

»Hallo, Miß Nellie!«

Der Marshal trat auf die Inhaberin des Hotels zu, zog seinen staubigen Hut und begrüßte sie. Bemerkte er nicht die übergroße Freude der Frau? Ihre tiefe, warme Herzlichkeit? Die helle Röte, die ihr etwas blasses Antlitz übergoß? Das Strahlen in ihren Augen?

Doc Holliday nahm ebenfalls seinen Hut ab und begrüßte Miß Cashman mit ausgesprochener Höflichkeit.

Sie maß ihn mit einem forschenden Blick.

»Sie wollen diesmal wirklich bei mir wohnen, Doc?«

Der Georgier blickte den Marshal an. »Habe ich es nicht gesagt: sie ist und bleibt eine Spötterin.«

»Ich glaube, daß ich da mit Ihnen nicht ganz mithalten kann, Doktor«, entgegnete die Frau, während ihre Augen wieder bei dem Marshal waren.

»Na, das wird ja einen Wirbel in der Stadt geben!«

»Der ist schon im Gange«, meinte Wyatt, während er mit dem Spieler durch den Eingang trat und, wie jedesmal, wenn er das gastliche Haus Nellie Cashmans besuchte, die geschmackvolle Einrichtung der Halle bewunderte.

Nachdem sich die beiden vom Staub des weiten Rittes gesäubert und erfrischt hatten, folgten sie der Einladung der Hausherrin zum Abendbrot im Nebenzimmer hinter dem großen Speiseraum.

Kein Wort wurde über die Vergangenheit gesprochen, über den Tag, an dem die Schüsse im O.K. Corral gefallen waren und auch nicht über die Nacht, in der der junge Morgan Earp in jenem Billard Saloon ermordet worden war.

Kein Wort auch von den ›wiederauferstandenen‹ Clantons.

Man unterhielt sich über alltägliche Dinge, über das rasche Aufwachsen der Stadt und über den neuen Gouverneur.

»Übrigens täuscht das mit dem raschen Wachstum der Stadt«, meinte die Gastgeberin. »Tombstone ist das alte, verhältnismäßig kleine, staubige Nest geblieben. Und gewachsen ist die Stadt nur hier hinter meinem Anwesen. Oben im Norden und auch im Westen und Osten ist die Stadt kaum um eine Häuserzeile größer geworden.«

Mittlerweile war draußen die Dämmerung niedergesunken, und fast übergangslos, wie es in diesen Breiten geschah, senkte die Nacht ihre schwarzen Schatten über die Stadt.

Die beiden Männer bedankten sich für das ausgezeichnete Mahl und verließen das Haus noch zu einem Abendspaziergang – wie sie sagten.

Aber sie waren ja nicht hierhergekommen, um dem alten, gefährlichen Tombstone einen Besuch abzustatten.

Sie suchten einen Sheriffsmörder – und den entführten Steuereinnehmer von Tucson.

Weshalb hätten sie die Frau damit beschweren sollen?

Sie schlenderten wieder zur Allenstreet hinauf, und Doc Holliday blickte kurz bei den Quartors rein, seinen alten Quartiersleuten. Er fand nur noch den weißhaarigen Jonny Quartor vor. Seine Frau war vor Jahresfrist gestorben, an einer unbekannten Krankheit, einer Wucherung…

Holliday kam rasch wieder auf die Straße zurück.

Sie gingen weiter.

»Ich möchte in den Oriental Saloon bei Harry Conrads hineinsehen«, sagte der Marshal.

Der Spieler nickte.

Sie gingen die Straße hinunter, und Wyatt betrat die große saubere Bar, die der alte Conrads damals mit Geld, das er von Doc Holliday geliehen hatte, ganz mit rotem Samt hatte ausschlagen lassen. Die beiden goldenen Säulen hatten ein wenig von ihrem Glanz verloren. Aber immer noch gehörte der Oriental Saloon – neben dem Crystal Palace, der erheblich größer war – zu den besten Restaurants der Stadt.

Die Menschen wichen erschrocken zurück, als sie den Mann erkannten, der da den Schankraum betrat.

Wyatt hielt direkt auf die Theke zu.

Sofort streckte ihm der schnauzbärtige Wirt freudig die Hand entgegen.

»Wyatt!« Er rieb sich mit der Linken unablässig über den kahlen Schädel. »Ich habe gewußt, daß Sie kommen würden. Es wurde auch Zeit.«

Da traten mehrere Männer von den Spieltischen heran, und auch sie hielten es plötzlich für richtig, dem berühmten Marshal die Hand zu schütteln.

Damned, hatte er sie doch damals von einem großen Alpdruck befreit, als er die überhandnehmenden Schikanen der Clanton Gang abstellte. Damals hatte man innerlich aufgeatmet – wenn man auch bei den vielen Clanton-Freunden und – Verwandten nicht gewagt hatte, ihm öffentlich zu danken.

Aber heute konnte man es sich doch wohl erlauben.

Konnte man das wirklich? Einige blieben zögernd auf halbem Weg zur Theke stehen und dachten an das, was sich seit einiger Zeit in der Stadt wieder rührte. An die Gesichter, die man totgeglaubt hatte. An das kalte, harte, arrogante Gesicht jenes schwarzhaarigen Mannes aus dem San Pedro Valley beispielsweise. Oder an das rote Gesicht von James Curly Bill, an das fahle Antlitz Cass Claibornes!

Und an eine ganze Reihe anderer Gesichter, die einen schon sehr beunruhigen konnten.

Da war also der Marshal Earp wieder in die Stadt gekommen.

Vielleicht nicht zu spät – aber warum überhaupt?

Gut, er hatte damals mit den Banditen aufgeräumt, die das ganze Land unsicher machten. Mit eisernen Besen hatte er gefegt. Aber die Stadt hatte Blut und Wasser bei seinem Fight geschwitzt. Und nun war er wieder da – wo es auch die Clantons wieder gab.

Manche Bürger waren schon wieder soweit, daß sie sich damit abgefunden hatten, in einer Banditenstadt zu leben. Daß es ihnen kaum noch auffiel, wie die Schar der ›grauen‹ Gesichter immer größer wurde. Wie man mehr und mehr spürte, daß Tombstone erneut das Zentrum einer großen Bande wurde, die anderwärts bereits zugeschlagen hatte.

Schließlich hatte man von den Dingen in Kom Vo und Costa Rica gehört.

Aber man wollte nicht wahrhaben, was man längst wußte: daß es wieder die Stadt Tombstone war, wo sich der Kern jener Geisterbande, die nicht zu fassen war und die es doch gab, aufhielt.«

Weshalb eigentlich immer Tombstone?

Well, das fragte man sich zwischen Mitternacht und Morgengrauen. Und man sagte sich dann auch, daß ein rauher, eisenharter Marshal jetzt vielleicht noch aufräumen könnte. Und daß das sogar geschehen müßte! Aber das dachte man nur in der Dunkelheit, wenn einen die Angst beschlich, wenn man die lauten Stimmen der Nachbarn hörte.

Aber am Tage, wenn dann die gleißende Arizonasonne wieder über der Stadt brannte, hatte man alles vergessen und fand, daß es doch halb so schlimm war. Was tat es schließlich, wenn man in der Nähe von Millers Bar diese Gesichter sah? Wenn man sie um den Occidental Saloon herumschwirren sah, und hin und wieder sogar vor dem eleganten, prunkvollen Eingang des Crystal Palace bemerkte?

Sollten sie doch! Es waren schließlich die Menschen, die hier auch früher schon gelebt hatten.

Die Clantons und…, damned! Was heißt: die Clantons? Man nannte sie einfach alle so. Obgleich von der Familie Clanton selbst kaum einmal jemand in der Stadt gesehen wurde.

Ike zum Beispiel, wann hatte man ihn zum letztenmal gesehen? War das nicht ewig lange her?

Well, sein Bruder Phin ritt zuweilen durch die Allenstreet und zeigte den Leuten einen neuen Anzug oder einen neuen Gaul.

Ach, ja, und manchmal stand Ike auch oben auf dem Graveyard vor dem Grab seines Bruders Billy.

Aber sollte das ein Anlaß zu Befürchtungen sein?

Well, seit Virgil Earp den Stern hier abgegeben hatte, ging es wilder zu als früher. Und wenn man einmal irgendwie in der Klemme saß, dann gab es niemanden, der einen daraus befreit hätte.

Denn überall, wo man sich nach Hilfe umsah, mußte man ja damit rechnen, auf die ›anderen‹ zu stoßen, die man früher einfach die Clantons genannt hatte.

Und nun war Wyatt Earp zurückgekommen, mit Doc Holliday!

Wenn das nur gut ablief. Denn mit den beiden war nicht zu spaßen. Wenn sich bloß keiner der Neu-Clantons, wie sie auch genannt wurden, an sie heranmachte.

Und dann war da das vorm Crystal Palace geschehen! Sie hatten es bis hinauf zu Harbours Butchershop gehört, was der dünne Dawson da mit heiserer Kehle gebrüllt hatte.

Die Bürger hatten weiter beobachtet, wie Doc Holliday zurückgeritten war. Den Alten hatten sie angehalten, als er im Eingang des Crystal Palaces verschwunden war.

Aber es war nichts geschehen. Nicht ein einziger Schuß war gefallen.

Weshalb hatte eigentlich der alte Ben Myers John Clum aufgehalten, als der auf Wyatt Earp zulief?«

Niemand wußte es. Gesehen hatten es viele.

Da trat Clum plötzlich auf die Tür des Oriental Saloons zu, blieb vor Holliday stehen und drückte ihm stumm die Hand. Dann ging er in die Bar hinein.

Er war sehr gealtert in den beiden Jahren, fand der Marshal.

»Wyatt!«

»John!«

Die beiden begrüßten sich und blickten einander stumm in die Augen.

Der damalige Mayor von Tombstone hatte alle Zeit auf Seiten der Gesetzesmänner Earp gestanden und mußte dafür viele Unannehmlichkeiten von der clantonfreundlichen Bevölkerung einstecken, als die Earps weggezogen waren. Sogar seinen Job als Bürgermeister hatte er verloren, obgleich er doch so viel für Tombstone getan hatte. Seine Zeitung jedoch hatte er behalten. Und nach wie vor sagte er darin schwarz auf weiß und in geharnischten Worten, was er dachte. Und immer noch war der ›Epitaph‹ die meistgelesene Gazette des ganzen Counties.

Die beiden verließen den Oriental Saloon.

Als Clum Doc Holliday noch draußen im Dunkel neben dem Eingang stehen sah, meinte er:

»Ist es schon wieder soweit, daß einer von euch immer auf Wache sein muß?«

»Leider«, antwortete der Marshal. Und dann berichtete er dem Zeitungsmann im Weggehen, was sie hierhergeführt hatte.

»Pinkerton? Hm, ich glaube, da kann ich euch helfen. Wenn mich nicht alles täuscht, steckt der Knochenmann in Millers Bar hinter der Theke. Er soll ein gewandter Keeper sein. Vor einem Jahr hat er sogar einmal eine Zeitlang im Crystal Palace gearbeitet, bis ihn Jonny Tucker plötzlich entließ. Es war eine Woche vor Tuckers Tod…«

Die beiden horchten auf.

»Tucker ist tot? Der Inhaber des Crystal Palace?«

»Ja, seit einem Dreivierteljahr etwa.«

»Woran ist er gestorben?«

»Es hieß, an einem Herzschlag. Aber ich glaube nicht so recht daran. Seine Familie hatte es sehr eilig, ihn auf den Graveyard zu bekommen. Sie blieb das Rätsel um seinen Tod in den staubigen Ästen hängen, die die Stadt mehr und mehr überwuchern.«

Von dem Steuereinnehmer wußte John Clum nichts, versprach aber, sich nach Elliot umzusehen.

Als sie oben in die Fremontstreet kamen, blickten die beiden Dodger voller Unbehagen die düstere Straße nach Westen hinunter, wo drüben eines der gähnend offenen Tore der Eingang jenes Wagenabstellplatzes war, in dem vor zwei Jahren das mörderische Gefecht stattgefunden hatte.

Clum verabschiedete sich vor seinem Haus von ihnen und wünschte ihnen Erfolg bei ihrer Suche. »Und vergessen Sie nicht, Gentlemen, auf Kirks Herausforderung zu verzichten. Dieser lausige Cowboy kann doch zwei Männer wie Sie gar nicht kränken.«

Die beiden waren stehengeblieben.

»Kränken?« fragte der Marshal. »Er hat uns zum Gunfight aufgefordert, John.«

Der Zeitungsmann wandte sich erschrocken um.

»Sie wollen doch dieser idiotischen Aufforderung nicht etwa nachkommen, Wyatt?«

»Von Wollen kann gar keine Rede sein, John. Wir haben keine Wahl. Er hat es sehr geschickt gemacht, der dritte McLowery: er wollte uns gar keine Zeit lassen, hier irgend etwas aufzudecken, was die Bevölkerung auf das Treiben der Galgenmänner aufmerksam machen oder gar auf unsere Seite hätte bringen können. Er hat uns deshalb gleich gefordert, um das rasch zu erledigen.«

»Aber ich bitte Sie – der Mann kommt doch nicht allein!«

»Natürlich nicht.«

»Er wird Claiborne und James Brocius mitbringen. Den schrägen Flanagan und Baxter und wer weiß, wen sonst noch alles. Es wimmelt doch in der Stadt schon wieder von ihnen.«

»Von ihnen?«

»Nun ja, von den Clantons…«

Da war es heraus.

Als Clum längst in seinem Haus war, standen die beiden noch an der Straßenecke und sannen über die Worte des Mannes nach, der so sehr viel für das Land um die Stadt getan hatte, der das berühmte San Carlos Reservat gegründet hatte, und dem es zu verdanken war, daß Tombstone nicht von den Apachen in Feuer und Asche gelegt worden war. Zweimal hatte John Clum persönlich den Weg zu dem berühmten Häuptling Cochise gemacht.

Aber heute schien er seine Stadt nicht mehr zu begreifen. Vielleicht war er wirklich zu alt geworden, zu alt und zu kampfesmüde.

Wie konnte er glauben, daß Wyatt Earp und Doc Holliday die Aufforderung Kirk McLowerys ausschlagen würden? Sie wären augenblicklich erledigt gewesen, als Feiglinge verschrien. Der Nimbus ihrer Stärke würde schnell zerronnen sein. Wußte er denn nicht, daß sie diesen Nimbus in ihrem harten Kampf für das Gesetz brauchten wie ihre Revolver, wie ihre schnellen Pferde und ihre körperliche Kraft und Zähigkeit? Wollte er denn blind über das hinwegsehen, was bereits wieder am Nerv Tombstones zerrte?

»Es ist doch gar nicht sein Tombstone, was uns interessiert«, meinte der Gambler, während er sich eine Zigarette zwischen die weißen Zähne schob. »Wir sind wegen Jim Elliot hier, und wegen des Mannes, der Sheriff Ahslan ermordet hat. Daß dieser Cowboy uns zum Duell gefordert hat, das geschah doch erst, als wir bereits hier waren.«

»Er versteht uns nicht mehr, Doc«, versetzte der Marshal dumpf.

Und beide dachten in dieser Sekunde das gleiche: Dann haben wir den letzten Mann verloren, dessen Stimme noch Gewicht in Tombstone hat!

Ohne ein weiteres Wort zu wechseln, hielten sie jetzt auf Millers Bar zu.

Schon von weitem sahen sie mehrere Männer auf dem schmalen dunklen Vorbau stehen.

Doc Holliday trennte sich von Wyatt und hielt auf die linke Vorbaukante zu.

Der Marshal steuerte direkt dem Eingang entgegen.

Die Männer blieben stehen.

Einer genau vor den Schwingarmen der Tür.

Der Marshal, der einen halben Kopf größer war als der Mann, fragte:

»Würden Sie mich bitte vorbeilassen, Mister?«

Der Mann feixte ihn an.

»Die Absicht hatte ich nicht, Brother!«

Die anderen rückten näher.

Hier gab es kein Zaudern für den Missourier. »Tut mir leid, Boy«, verstezte er, und schon flog eine steifangewinkelte Linke zum Schädel des Burschen.

Der Getroffene torkelte zur Seite. Und sofort wichen auch die anderen zurück.

Der Weg war frei.

Wyatt betrat die Schenke. Es war ein düsterer Bau mit mehreren Räumen, die aber alle in der Mitte zusammenliefen.

Links war die Theke.

Der Mann, der hinter ihr herumhantierte, war sehr groß, sehr hager, hatte aber einen Kahlkopf und einen Schnauzbart.

Ansonsten hatte er viel Ähnlichkeit mit dem Keeper Pinkerton aus Mescal.

Wyatt beobachtete ihn unter halbgesenkten Lidern, als er die Schenke betrat.

Nichts im Gesicht des Barmannes deutete daraufhin, daß er den Eintretenden erkannte.

Wyatt schob sich in eine Lücke zwischen zwei Männern an die Theke.

»Evening. Kann ich Arthur Pinkerton sprechen?«

»Wen?« fragte der Keeper in tiefstem Baß.

Wyatt sah sich in der Schenke um.

Links und rechts neben ihm standen finstere Gestalten, die angeblich in ihre Gläser starrten. Und drüben an den kahlen Tischen wurde gepokert.

Irgend etwas stimmte hier nicht, Wyatt fühlte es sofort.

»Pinkerton«, wiederholte er.

Der Keeper schüttelte den Kopf. »Kenne keinen Pinkerton, Mister.«

Da trat Doc Holliday vorn in den Eingang. Er steuerte auf die Theke zu und blieb neben dem Marshal stehen.

»Haben Sie schon den Brandy für mich bestellt?«

»Nein.« Wyatt blickte den Gefährten fragend an.

»Ist auch nicht mehr nötig.«

Der Keeper zog die Brauen zusammen.

Da deutete der Gambler dicht vor sich auf das Thekenblech.

»Hier, was ist denn das?«

Der Keeper kam mit dem Kopf näher. »Wo?«

»Hier!«

Noch näher kam der Schädel des Barmannes an Doc Holliday heran.

Da zuckte die Linke des Spielers vor, packte den Schnurrbart des Hageren – und hatte ihn in der Hand.

Entgeistert fuhr der Keeper zurück.

Er starrte in die Revolvermündung des Missouriers.

»Arthur Pinkerton, Sie sind wegen Mordes an Sheriff Ahslan festgenommen!«

Der Keeper schlotterte am ganzen Leib.

»Hölle und Teufel!« krächzte er. »Tod über euch, ihr Hunde! – Männer!« kreischte er dann, »los, macht sie nieder!«

Die Gleichgültigkeit und das unbeteiligte Herumstehen und Herumhocken der anderen Gäste fiel wie Regen von allen ab.

Die ›Gäste‹ schienen nur auf diesen Augenblick gewartet zu haben.

Von allen Seiten stürmten sie heran.

Wyatt riß den Buntline-Revolver herum und traf gleich im herumgewirbelten Backhandschlag drei Angreifer so hart damit, daß er Luft genug hatte, zwei weitere, die ihn von der Seite angriffen, niederzuwerfen.

Auch Holliday, kampferfahren in solchen Situationen, hatte blitzschnell mit den Läufen seiner Sixguns einen ›Metallkreis‹ um sich gezogen.

Aber es waren neun Gegner, die sie bedrängten.

Den Keeper gar nicht mitgerechnet.

»Verbarrikadiert die Tür!« schrie Pinkerton.

Zwei der Burschen von draußen, die dem Marshal den Einlaß verwehren wollten, kamen herein und verrammelten die Tür.

Drinnen tobte ein heißer Kampf.

Der Missourier hatte drei Männer an sich hängen und riß seine Fäuste immer wieder los, bekam für einen Augenblick Luft und schickte einen der Gegner mit einem harten Cross nieder.

Holliday hatte sich von der Theke weg an die Fensterwand zurückziehen können, wo er wenigstens nicht von hinten angegriffen werden konnte. Auch an ihm hingen mehrere Banditen.

Kirk McLowery hatte es gut eingerichtet, wie für einen Theaterauftritt! Der gerissene Bandit wußte genau, daß der Marshal nach Pinkerton suchen und ihn auch finden würde.

Die Situation war höllisch schlecht für die beiden Dodger.

Da gelang es dem Georgier, dem man beide Revolver entrissen hatte, mit einem Armstoß gegen den eigenen Körper, den kleinen Quickdraw-Colt in die Rechte springen zu lassen. Er rammte den Lauf der Waffe einem bärtigen Burschen gegen die Kehle, bekam Luft und sprang zur Seite, stieß hart gegen eine Wandsäule und, obgleich er benommen von dem Anprall war, blieb er eiskalt stehen und schlug die Waffe dem nächsten der auf ihn Eindringenden entgegen.

Wyatt hatte in diesem Augenblick sein rechtes Knie hochgerissen und mit einem Kinnripper seinen schwersten Gegner abgeschüttelt. Immer noch aber hingen sie an ihm, hinten an der Seite, hinderten ihn, einen Überwerfer zu landen und seine Arme zu gebrauchen. Längst hatte auch er keine Waffe mehr.

Da kamen zwei der Tramps mit Stuhlbeinen und Flaschen heran…

Etwa eine Viertelstunde vorher.

Ein Reiter hielt vor Nellie Cashmans Boardinghouse, rutschte aus dem Sattel und warf dem Negerjungen die Zügelleine zu.

Als der Mann auf der Erde stand, stieß der schwarze Sammy den Kopf vor, rollte die Augen und hatte den Mund weit offenstehen. Er vermochte es einfach nicht zu fassen, daß ein Mann so groß sein konnte! Der Reiter, der da eben angekommen war, maß doch wenigstens 2,10, wenn nicht noch mehr.

Welch ein Mann! Ein Herkules im wahrsten Sinnen des Wortes.

Die beiden Windlichter beleuchteten seine gigantische Gestalt, die einen geradezu abenteuerlichen Schatten auf den gelben Sand der Straße warf.

Der Fremde trug einen weißen Stetsonhut, ein weißes Hemd und keine Weste. Schräg saß ihm das schwarze Halstuch auf der Schulter. In den Halftern seines Kreuzgurtes steckten zwei schwere Revolver mit roten Knäufen, die verkehrt herum in den Lederschuhen saßen.

Da trat Nellie Cashman in den Eingang, schlug verwundert die Hände zusammen und rief:

»Luke Short!«

Der Riese trat auf sie zu und bemühte sich, der Lady bei der Begrüßung nicht die Hand zu zerdrücken, so zart reichte er ihr seine Rechte. Dennoch war der Frau, als sei ihre Hand in einen Schraubstock geraten.

»Hallo, Miß Cashman! Wie geht es uns denn? Onkel Luke lange nicht mehr gesehen, was?«

»Das ist ja ein sagenhafter Zufall! Erst der Marshal, dann der Doc und jetzt auch noch Sie!«

»Was denn? Welcher Marshal? Und welcher Doc? Von wem sprechen Sie. Kindchen, machen Sie mir den Mund nicht wäßrig!« rief der Texaner ungeduldig. »Sie wollen damit doch nicht etwa den Dodger Song für vier überschnelle Revolver geflötet haben?«

»Genau den, Luke!«

Der Hüne wich einen Schritt zurück und beugte den mächtigen Oberkörper vor.

»Wyatt Earp?« In seinen grünen Augen blitzte die Freude auf.

»Ja!« rief Nellie Cashman.

»Und Doc Holliday?«

»Ja, ja!«

Da schlug sich der Riese klatschend auf die muskulösen Oberschenkel, nahm die Frau – als wäre sie gewichtslos – hob sie hoch, um sie neben den Eingang zu stellen. »Dann lassen Sie Onkel Luke rasch durch, Sweety, damit er den beiden treulosen Landstreichern gleich den Abend verderben kann!«

In seiner Freude stürmte der temperamentvolle Mann sofort vorwärts auf die Halle zu.

»Luke!« rief ihm die Frau nach. »Sie sind ja nicht hier…«

Der Texaner blieb stehen und wandte den Kopf. Er war so groß, daß sein Hutrand fast die niedrige Decke streifte.

»Nicht hier? Wollen Sie mir erzählen, daß der Marshal in einem anderen Laden abgestiegen ist?«

»Nein, sie wohnen hier, aber sie sind noch einmal weggegangen. Vielleicht zu Quartor oder auch zu Mister Clum.«

Luke warf sich herum, war wieder im Eingang und rief dem Negerjungen nach, der eben mit seinem Rappen zum Stallhaus hinübergehen wollte:

»Come on, Boy, ich brauche den Vierbeiner noch einen Moment!«

Und gleich darauf sprengte er davon.

Und zwar gleich zur Fremontstreet hinauf zu John Clum.

Der alte Herr blickte den Riesen verdutzt an und griff sich an den Schädel.

»Luke Short? Allmächtiger! Wenn jetzt da drüben Cochise auftauchte oder Geromino, würde ich mich auch nicht mehr wundern. Willkommen, Big Boy Tex! Na, Sie suchen sicher Ihre beiden Freunde? Die müßten jetzt eigentlich drüben bei Miller…«

Er hielt inne, weil der Texaner die Hand gehoben hatte.

Dumpfe, polternde Geräusche drangen drüben aus der geschlossenen Schenke auf die Straße.

»He, das hört sich ganz nach Wyatt Earp an!« meinte der Hüne. »Damned! Es geht also schon los! Und Onkel Luke kommt im richtigen Augenblick!«

Er tigerte mit weiten Sätzen auf die Kneipe zu, nahm sich gar nicht erst die Mühe, die verschlossene Tür zu öffnen, sondern peilte ein Fenster an, schoß wie eine Rakete vorwärts, zog den Kopf ein und hechtete wie eine geballte Ladung durch das geschlossene Fenster.

Glas zersplitterte, Holz zerbarst mit knackendem Geräusch, Scherben spritzten weit in den Schankraum.

Die Kämpfenden in Millers Bar hatten das Gefühl, eine schwere Armeegranate habe eingeschlagen.

Statt dessen stand da plötzlich dieser mit Glassplittern bespickte, feixende Riese unter ihnen, die gewaltigen, ebenmäßig gewachsenen weißen Zähne gebleckt, die mächtigen Arme vorgestreckt und die Beine gespreizt.

»Hallo, Wyatt! Hallo, Doc! Onkel Luke ist da! Und drauf! Und hier – und da! Und du auch, Joe, come on, Opa! Und du, Milchgesicht, hier, und bum! Und für dich das, Jimmy! Du auch, Kurzer! Und… der Dandy…!« Er hielt inne und ließ den Arm, den er da gepackt hatte, los. »He, das ist ja der Doc! Hallo, Doc! Augenblick, der lange Laban da, fatsch!« Der Schlagwirbel hatte Pinkerton erfaßt. »Schön, was? So was wie dich sollte man doch als Telegrafenmast verwenden!«

Er wirbelte die Tramps durcheinander wie Schuljungen und mehr noch als seine gewaltige Schlagkraft wirkte sein Entree, sein paukenschlagartiger Kanonenauftritt.

Die Freunde hatten sofort Luft bekommen, und Wyatt nutzte die Situation augenblicklich aus, indem er sich eine Bahn zu dem Texaner durchwuchtete.

Ohne sich um die Herumtaumelnden, Angeschlagenen und mit eingezogenen Schädeln Davonstiebenden zu kümmern, blieb der Hüne mitten im Raum stehen, wieder mit gespreizten Beinen, die Hände auf die Knie gestützt, so lachte er dem Missourier entgegen.

»Hallo, Mister Earp! Wie war der Tanz? Leider kam ich etwas spät. Aber besser in der letzten Runde als gar nicht!«

Sie begrüßten sich mit lauter Herzlichkeit. Dann zerrte Luke Short den Marshal mit der Rechten und den Spieler mit der Linken zur Theke.

»Whisky! Laban…, he!« Er sah den am Flaschenbord wie schlafend lehnenden Keeper an. »Ach, den hab’ ich ja eingeschläfert, als er mir seine Billardkugel entgegenstreckte. Schade. Macht nichts, wir helfen uns selbst!« Mit einem weiten Satz jumpte er über die Theke und brachte eine Flasche zum Vorschein, an deren verstaubten Hals er schmunzelnd roch.

»Na, ist das ein Tropfen, Doc? Da wird sogar der liebe Wyatt einen Schluck nicht verachten!«

Dann wurde das tiefbraune Gesicht des Texaners plötzlich ernst. Er sah die Männer, die noch wie betäubt vor der Flurtür standen. Sofort richtete er sich zu voller Größe auf und brüllte mit einer wahren Stentorstimme:

»He, ihr Galgenvögel! Was steht ihr noch da herum! Haben wir euch etwa vergessen! Wartet, das gibt eine Nachspeise mit Pfeffer und Senf!«

Er warf dem Spieler die Flasche zu, die der geschickt auffing, sprang über die Theke zurück – und schon huschten die Banditen wie Ratten aus der Tür hinaus.

Die drei Freunde waren allein.

›Onkel‹ Luke lachte dröhnend. Es war typisch für den einunddreißigjährigen Texaner, daß er sich selbst gern Onkel nannte; überhaupt alles, was er bis jetzt getan hatte, war typisch für ihn.

Plötzlich war der Keeper, der sich an einer vorspringenden Kante des Flaschenbords verfangen hatte, zu sich gekommen und wollte sich davonmachen.

Wyatt Earp blitzte ihn an.

»Riskieren Sie das ja nicht, Knochenmann! Diesmal könnte es Ihnen passieren, daß ich Ihren Schädel packe und daran zerre, um festzustellen, ob er echt ist!«

Arthur Pinkerton war erledigt. Und er wußte es. Diesmal gab es kein Entrinnen mehr.

»Wir hätten euch fertiggemacht, ihr Hunde!« keuchte er.

Luke, der drei Gläser herangefischt und den ersten Probeschluck genommen hatte, deutete mit der Flasche, die in seiner Riesenpranke wie ein Spielzeug wirkte, auf den Keeper.

»Hat der gehustet?«

»Scheint so«, versetzte Holliday.

Wyatt Earp senkte seinen Blick in die tückischen Augen des Banditen.

»Sie haben Sheriff Ahslan ermordet!«

»Nein!«

»Ich werde es Ihnen beweisen.«

»Das müssen Sie auch, und es wird Ihnen schwerfallen.«

»Der quakt ja tatsächlich«, meinte der Texaner, während er sich mit der Flasche den Hut aus der Stirn schob. »Sagen Sie doch endlich, daß ich ihn zur Briefmarke schlagen soll, Wyatt!«

Der Marshal schüttelte den Kopf.

»Lassen Sie nur, Luke. Als Briefmarke wäre er viel zu klein für den Galgen.«

»Für den Galgen!« Der Verbrecher lehnte sich plötzlich über die Theke, wo noch sein falscher Schnauzbart lag, den der Gambler ihm abgerissen hatte.

»Mich wollen Sie hängen? Das wird Ihnen nicht gelingen, Earp! Sie elender H…«

Es war eigentlich nur ein Wischer – oder hatte doch jedenfalls nur einer sein sollen – der Hieb – mit dem der Texaner ihn zurückstieß; aber er hatte das Brustbein des Outlaws doch so hart getroffen, daß er nach Luft rang und in die Knie ging.

»Ist er so klein nicht schon sehr viel lustiger, der Junge«, meinte der Riese.

»Warum haben Sie Sheriff Ahslan ermordet?« Metallen scharf traf die Frage des Marshals das Ohr des Röchelnden.

»Ich war… es nicht!«

Da setzte Wyatt über den Tresen wie vorhin Luke Short, riß den Banditen vom Boden hoch und fuhr ihn an:

»Warum? Mach die Zähne auseinander, Boy, sonst brauchen wir tatsächlich keinen Galgen mehr.«

»Jeder…, der uns angreift…, muß sterben«, keuchte der Desperado mit verzerrtem Gesicht.

»Ah, und weil Sheriff Ahslan es gewagt hat, euch anzugreifen, war er fällig?«

»Jeder ist fällig…«

Wyatt stieß ihn so hart gegen das Bord zurück, daß die Flaschen darauf gefährlich zu tanzen begannen.

»Mörder!«

Mit diabolischer Wut schrie der Knochenmann plötzlich:

»Ja, ich habe ihn ausgelöscht, den Sternschlepper, wie jeder ausgelöscht wird von euch! Ihr Würmer, ihr habt ja keine Ahnung…«

Da stellte Luke die Flasche so hart ab, daß der Whisky herausspritzte.

»Wyatt, wenn dieser hustende Stacheldraht jetzt noch ein schiefes Wort zu Ihnen sagt, frikassiere ich ihn, daß er auf eigenen Füßen nicht mehr zum Galgen kommt. Wo nehmen Sie bloß die Geduld mit diesem Kleiderständer her?«

Pinkerton zuckte zusammen. Er traute dem Rauhbein durchaus zu, daß er ihm noch eine zusätzliche Tracht Prügel verabfolgen würde, dennoch hatte der abgebrühte Bandit die Stirn zu brüllen…

»Auch Sie, Short, werden fällig, als Helfer dieses Sternschleppers, als…«

Da flog der riesige Mann aus Texas wie ein Ball über die Theke und stand neben dem Marshal.

»Was war das eben?« fragte er bedrohlich leise.

»Hast du mieser in die Länge gezogener Hundekuchen eben meinen schönen Namen zwischen deine dreckigen Zähne genommen?«

»Ich… n… nein!« keuchte der Keeper da plötzlich, doch von panischer Angst vor den sehr schmal gewordenen grünen Augen des Texaners erfaßt.

Luke hielt ihm seinen großen Zeigefinger mit der Außenseite vor die Nase.

»Nimm dich in acht, Sonny, sonst gibt’s Kaktusstacheln mit Sauerampfer zum Abendbrot. Ich vertrage eine ganze Portion Spaß. Aber du stinkst mir, Amigo!«

Während Doc Holliday den Keeper im Auge behielt, ging der Marshal zur Tür, um die Verbarrikadierung wegzuräumen.

»Nicht doch, Wyatt!« rief ihm der Texaner nach, der eben noch einmal einschenken wollte.

»Machen Sie sich doch nicht so viel Arbeit, das ist doch sowieso nur noch Kleinholz.«

Er sprang vor, versetzte dem langen Tisch, auf dem mehrere andere Tische und Stühle standen, einen so gewaltigen Fußtritt, daß er gleich nach vorn durch die Tür wie ein Barrikadenwagen auf den Vorbau hinausschoß.

»Das macht Luft!« lachte der Riese.

Holliday stieß den Knochenmann mit dem Revolverlauf an.

»Komm, Arthur, es ist spät, und du wirst müde sein…«

Der Sheriffsmörder Arthur Pinkerton war gestellt.

Wyatt Earp, Doc Holliday und Luke Short brachten ihn in die Allenstreet zu dem Haus, in dem Virgils altes Office war.

Es stand seit seinem Wegzug leer.

Aber das Jail war noch in bestem Zustand.

›Arty‹ Pinkerton, wie er in seinem Bandenkreis genannt wurde, war erledigt. Aus dieser Klemme holte ihn niemand mehr heraus!

Die drei Freunde standen vorm im fensterlosen Vorraum des Gefängnisses beieinander.

Wyatt schüttelte dem Riesen noch einmal die Hand.

»Wo kommen Sie denn plötzlich her, Luke?«

»Sie werden lachen, ich habe unten in El Paso von Ihrem Run mit den Graugesichtern gehört…«

»Graugesichtern?« fragte Holliday.

»Ja, so nennen sie da unten die Halunken, die in Arizona Galgenmänner heißen.«

»Was…, die gibt’s da drüben auch?«

»Und ob! Ich bin in einer Senke mit dreien von ihnen zusammengeraten. Kleine Meinungsverschiedenheit. Well, sie liegen bei Doc Bliff, der ein Kiefernspezialist sein soll, wie unser lieber Holliday! – Tja, und da hörte ich, daß der Marshal in einem Nest namens Kom Vo oder so und drüben in Costa Rica schwer Zunder gemacht hat. Da ich wußte, daß der Verein noch ein paar Mitglieder mehr hat, die auch auf Prügel warten, dachte ich mir, daß ich am besten gleich mal hierher nach Tombstone reite, von wo aus in den letzten zehn Jahren ja jede Schurkerei gestartet wurde.«

Der Texaner ahnte offenbar nicht, wie richtig er mit dieser Vermutung lag.

Die Freunde berichteten ihm von ihren Erlebnissen. Auch seine Vermutung in bezug auf den Boß der Galgenmänner deutete der Marshal dem Texaner an.

Der stieß einen Doppelpfiff durch die Zähne.

»Old Ike? Das wäre ja der Gipfel!«

»Sieht aber leider unheimlich danach aus.«

»Dann allerdings! Das gibt eine doppelstöckige Angelegenheit. Wenn Ike tatsächlich die Hand im Spiel hat, wird das kein Spaziergang werden.«

Darüber waren sich die beiden Dodger längst im klaren. All ihre Befürchtungen konzentrierten sich auf diesen Mann. Führte er wirklich die Galgenmänner an, dann würde es ein fürchterlicher Kampf werden.

*

Luke Short hatte sich entschlossen, die Nacht im alten Marshals Office zu verbringen, weil der Gefangene unbedingt bewacht werden mußte.

Als sich die beiden Dodger von ihm verabschiedet hatten, war es schon nach Mitternacht.

Sie gingen zum Russian House hinunter.

»Sagen Sie, Doc«, wollte der Missourier wissen«, wie kamen Sie darauf, daß Pinkerton einen falschen Schnurrbart trug? Verdächtig war mir der Bursche auch, vor allem, da er die Figur des Gesuchten und seine Augen hatte. Aber die abgeschorene Mähne und der Schnurrbart entstellten ihn doch sehr.«

»Eben. Ich sah ihn durchs Fenster und dachte mir die Mähne zu seinem Schädel und den Schnurrbart weg, da war er auf einmal genau der Galgenmann. Ich sah ihn von der Seite, das war ein Vorteil, denn da stand der Bart so eigenartig ab. Vor allem dachte ich sofort an Kirk McLowery, von dem uns der Alte in Vail doch berichtet hatte, daß er einen roten Kinnbart trüge – der aber dunkelhaarig und glattrasiert vor uns auftauchte. Mir scheint, die Bande hat sich nicht nur eine Reihe neuer Mitglieder, sondern auch neuer Tricks zugelegt. Früher wäre niemand von ihnen auf den Gedanken gekommen, sich zu maskieren oder gar einen Bart anzukleben. Kirk scheint das in den Verein gebracht zu haben. Offenbar versteht der Halunke sich darauf…«

Als sie den kleinen Platz zum Hotel überschritten, entdeckten die scharfen Augen des Missouriers im Schwarzgrau der Dunkelheit des Hotelvorbaus einen Schatten, der sich bewegte.

»Vorsicht!« raunte er dem Spieler zu.

Sie gingen weiter.

Da peitschte ihnen plötzlich aus der Dunkelheit ein Schuß entgegen, dem die beiden Dodger noch in sein Echo hinein, scharf in den Mündungsblitz gezielt, im Fallwurf eine bleierne Antwort gaben.

Ein schriller, gellender Schrei drang durch die Nacht.

Wyatt Earp setzte in weiten Sprüngen vorwärts, während ihm der Georgier mit Sperrfeuer den Weg sicherte.

Auf dem schmalen Hotelvorbau lag ein Mann.

Wyatt schleppte ihn zum Eingang, wo nur noch das Windlicht schwach brannte.

Er kannte das Gesicht des Verletzten nicht.

Holliday war herangekommen. Er sah, daß der Mann eine Brustverletzung hatte und brachte ihn zusammen mit dem Marshal ins Hotel.

»Habe den Burschen nie gesehen«, meinte auch er, als er sich um die Verletzungen des Banditen kümmerte.

Nellie Cashman kam mit bleichem Gesicht aus dem Zimmer.

»Es krachen wieder Schüsse in Tombstone«, sagte sie mit belegter Stimme.

»Kennen Sie diesen Mann?« wollte der Marshal wissen.

Die Frau blickte in das Gesicht des Ohnmächtigen.

»Ja, natürlich, das ist Edward Baxter!«

»Ed Baxter!«

Auch Wyatt hatte diesen Namen schon gehört. Edward Baxter hatte den Befreiungskrieg als Offizier mitgemacht. Er war Captain gewesen, und diesen Titel hatte er behalten. Leider hatte er nach dem Krieg nicht viel anders gelebt als in den wilden Jahren, in denen er die Uniform trug. Er konnte einfach nicht einsehen, daß der Krieg zu Ende war. Baxter wurde ein Bandit; sogar ein Bandenführer. Er lebte bis 1881 in Nogales und zog dann nach Tombstone, wo sich sein Freund Pete Spence aufhielt. Erst sehr spät schloß sich auch Baxter der Clanton Gang an.

Und jetzt gehörte er zu den Männern, die sich mehrmals wöchentlich im Hinterzimmer von Millers Bar oder aber im Obergeschoß des Occidental Saloons zusammenfanden.

Er hatte die ›Sache‹, die bedrohlich für die Graugesichter zu werden begann, jetzt hier rasch im Alleingang erledigen wollen.

Luke Short kam angerannt.

Der Marshal nickte ihm zu.

»Well, dann werde ich wieder in meinen Laden zurückgehen, ehe mir da der lange Hecht davonschwimmt.«

Er machte sich eilends wieder davon.

Nachdem Holliday den verletzten Banditen behandelt hatte, wurde er in eine fensterlose Kammer des Hotels auf ein Bett gepackt und eingeschlossen.

Dann endlich konnten sich die beiden Dodger zur Ruhe legen.

*

Dick Henderson gehörte zu den Männern, die in Millers Bar eine so harte Abfuhr erlebt hatten. Er hatte die ärgsten Prügel seines Lebens bekommen. Zuerst war der Fleischergehilfe von Doc Hollidays Revolverlauf am Kopf getroffen worden. Er stürzte, lag am Boden, rang nach Atem. Als er wieder in das Handgemenge eingriff, hatte ihn die Faust des Marshals auf die Herzspitze getroffen und ihm minutenlang ein weiteres Mitwirken am Geschehen unmöglich gemacht. Als er den schweren Knockdown endlich einigermaßen abgeschüttelt hatte und sich wieder auf den Marshal werfen wollte, riß ihn eine schwere Rechte des Texaners mit einem fürchterlichen Hieb erneut von den Beinen. Das reichte für den Rest des Kampfes.

Er war jedoch ein lederner Bursche und dachte nicht an völlige Aufgabe. Als sich die anderen davonmachten, lauerte er draußen vor der Bar in einer dunklen Nische und hatte den Revolver in der Faust.

Als er die drei Männer mit dem gefangenen Keeper aus dem Dunkel des Vorbaues auf die Straße treten sah, hob er die Waffe.

Aber dreierlei hinderte ihn am Schuß.

Zu weit war der breite Rücken des verhaßten Marshals von ihm entfernt. Zweitens zitterte seine Hand – und drittens fürchtete er das gedankenschnelle Reaktionsvermögen der drei Männer, vor allem das des Georgiers, der links neben dem Marshal ging, während Luke Short rechts ging und den Bohnenstangenmann vor sich her schob.

Aber Dick Henderson gab dennoch nicht auf. Noch spürte er den harten Schlag mit dem Revolverlauf am Kinn, den dumpfen lähmenden Schmerz in der Herzgegend, den ihm der Haken des Marshals verursacht hatte, und in seinem linken Ohr brannte noch der dröhnende Fausthieb des Texaners der ihn wie ein Keulenschlag getroffen hatte.

Mit haßerfülltem Herzen hockte der Bandit auf der anderen Seite der Straße im Eingang von Goddards Hardwareshop und starrte auf Virgil Earps ehemaliges Office hinüber, das jetzt völlig dunkel war.

Dann krachten unten vorm Russian House die Schüsse.

Kurz darauf verließ der Texaner das Office und tigerte dem Hotel entgegen.

Das ist meine Chance! blitzte es im Hirn des Banditen auf.

Er spurtete sofort los, drang in das Office ein und tastete im Dunkel nach dem Schlüssel.

Er fand ihn nicht, denn Luke Short hatte ihn klugerweise mitgenommen.

So hastete er denn auf den Vorraum dem Zellengang zu, riß die Tür auf und tastete sich zur ersten Zelle vor.

»Arty!«

»Ja?« kam die blecherne Stimme des Barmannes aus dem finsteren Hintergrund der Zelle.

»Ich bin es, Dick Henderson.«

»Hast du den Schlüssel?«

»Nein, den hat der Tex mitgenommen!«

»Zerschieß das Schloß, Mensch, schnell!«

»Bist du wahnsinnig! Damit ich dann die drei Kerle auf dem Hals habe!«

»Dann laß mir wenigstnes einen Revolver hier!«

»Das kann ich tun«, erwiderte der einfältige Bursche und schob dem Keeper einen seiner Colts durch die eisernen Trallen.

Pinkerton stieß mit bebenden Händen die Waffe sofort auf das Schloß und drückte dreimal hintereinander ab, ohne auf den Mann zu achten, der vor der Gittertür stand.

Henderson spürte einen Abprall sengend über die Stirnkante zischen und brüllte auf.

»Idiot!«

»Halt’s Maul!« herrschte ihn der Keeper an und gab zwei weitere Schüsse auf das Schloß ab, das jedoch nicht nachgab. Zu stark waren die Schlösser, die Virgil Earp damals hatte einbauen lassen.

Henderson flüchtete aus dem Gefängnistrakt.

Zu spät, denn vorn im Office wurde er von einer Riesenfaust gepackt, hochgerissen, blitzschnell entwaffnet und zu Boden geschleudert.

Luke Short war zurückgekommen. Er zündete eine Kerosinlampe an und hatte sofort festgestellt, daß das linke Revolverhalfter des Banditen leer war. Mit schnellem Blick hatte er erfaßt, daß die Tür zum Vorraum des Zellenganges geöffnet worden war.

Sein Plan stand sofort fest, er fesselte und knebelte Henderson und schob ihn in die Schlafkammer; dann nahm er den Schlüssel zu den Zellen, löschte die Lampe und betrat den Gefängnistrakt.

»Arty«, flüsterte er.

»Was ist, du Idiot, hast du den Schlüssel?« kam die Stimme des Keepers zischend zurück.

»Ja, aber du mußt leise sein. Es ist nicht ausgeschlossen, daß man die Schüsse draußen gehört hat.«

»Los, schließ endlich auf«, fauchte der Keeper.

Da fast völlige Dunkelheit im Zellengang herrschte, konnte der Texaner es riskieren, aufrecht auf die Zelle zuzugehen.

»Es ist ein kurzer dicker Schlüssel«, krächzte der Bandit.

»Psst!« machte Luke, um sich nicht in Gefahr zu bringen, sich durch seine Stimme zu verraten. Der Mann in der Zelle hatte schließlich einen Revolver. Das war dem Texaner klar.

Er probierte zunächst einen falschen Schlüssel.

»Was machst du Büffel denn?« knurrte Pinkerton? »gib mir den Bund her!«

Da hatte Luke die Zelle schon geöffnet.

Pinkerton stieß die Tür auf.

Im gleichen Moment wurde sein rechtes Handgelenk umspannt, und vor Schreck entfiel ihm der Revolver. Ein Faustschlag schickte den Sheriffsmörder in die Zelle zurück.

Luke hob den Revolver auf und warf die Gittertür ins Schloß.

»Gute Nacht, Arty. Und unterlaß diese dummen Störungen. Beim nächsten Mal werde ich ärgerlich.«

*

Der Marshal hatte schlecht geschlafen. Als er gegen sechs Uhr in der Frühe aufstand, quälte ihn ein dumpfer Kopfschmerz.

»Der Teufel soll dieses ganze Tombstone holen!« Er streckte seinen Kopf tief in die Wasserschüssel, und als er ihn prustend wieder herausnahm, sah er durch die Gardine in den Hof, wo er den Spieler schon auf und ab gehen sah.

Erst in diesem Augenblick fiel ihm Kirk McLowery und die Aufforderung zum Duell wieder ein.

Er trat ans Fenster und schob es hoch.

»Hallo, Doc!«

Der Spieler wandte sich um. »Hallo, Wyatt!«

»Ich bin gleich soweit.«

Holliday zog seine goldene Uhr aus der Westentasche und ließ den Deckel aufspringen. »Sie brauchen sich nicht zu beeilen, wir haben noch eine volle Stunde Zeit.«

Der Missourier rasierte sich sorgfältig, wusch sich und kleidete sich dann an. Eben, als er sein volles schwarzes Haar kämmte, wurde an der Tür geklopft. Er nahm seinen Revolver aus dem Halfter und ging, um zu öffnen. Nirgends sonst im Westen hätte er das tun müssen. Hier in diesem höllischen Tombstone aber fühlte man sich einfach dazu gezwungen.

Es war Nellie Cashman. In ihren großen dunklen Augen stand die Angst.

»Weshalb stehen Sie schon auf, Mister Earp? Weshalb ist der Doktor schon unten im Hof? Was haben Sie vor?«

»Nichts Besonderes, Miß Nellie«, versuchte er, sie zu beruhigen.

»Wo ist Mister Short? Er war gestern abend noch hier.«

»Ich weiß, wir haben ihn getroffen. Er ist irgendwo bei Bekannten geblieben, wo offenbar bis spät in die Nacht gepokert wurde.«

Sie glaubte ihm nicht; er sah es ihr an.

Während sie sich abwandte, sagte sie:

»Ich werde das Frühstück bereiten lassen.«

Frühstück? Danach war ihm gar nicht zumute. Wenn er an den O.K. Corral dachte, verspürte er ein Würgen in der Kehle.

Dennoch setzten sich die beiden Männer an den sauber gedeckten Tisch, verzehrten eine Scheibe Brot und tranken einen Schluck Kaffee.

Es war zwanzig Minuten vor sieben, als sie das Russian-Hotel verließen und sich auf den Weg machten.

Luke Short war ebenfalls schon aufgestanden, hatte sich im Hof gewaschen und kam ihnen entgegen.

»Ist es soweit?« fragte er, »dann können wir ja gehen.«

Der Marshal schüttelte den Kopf.

»Nein, Luke, wir gehen allein.«

Der Hüne zog die Brauen verständnislos zusammen.

»Allein? Glauben Sie vielleicht, McLowery und Claiborne kämen allein?«

»Vielleicht nicht. Aber wir werden allein gehen.«

»Hat Ihnen gestern abend das Dutzend Leute in der Schenke nichts gesagt? Die Halunken denken doch nicht daran, etwa allein gegen Sie anzutreten.«

»Ausgeschlossen ist es jedenfalls nicht.«

»Wie können Sie dann von mir erwarten, daß ich hier herumsitze, während Sie da oben in dem Loch abgeschlachtet werden? Nichts da, ich komme mit!«

»Nein, Luke, Sie bleiben hier.«

»Aber das ist doch Wahnsinn, Wyatt. Außerdem könnte ich nicht mehr in den Spiegel sehen, ohne mir selbst ins Gesicht zu spucken, wenn Sie da eingegangen sind. Glauben Sie vielleicht, es würde mir Spaß machen, in einer halben Stunde Ihre beiden Leichen aus dem Corral zu ziehen?«

»Er hat uns gefordert, Luke. Und wenn er gegen zwei Männer ein größeres Aufgebot in den Corral bringt, dann ist es bestimmt auch für drei zu groß.«

Der Texaner stemmte die Fäuste in die Hüften und schüttelte den Kopf.

»All right, Marshal Earp. Sie müssen wissen, was Sie tun.«

Wyatt hätte den Texaner liebend gern mitgenommen, denn einen besseren Kampfgefährten als ihn konnten sie sich gar nich wünschen. Aber sie allein waren zu dem Gunfight aufgefordert worden, also hatten sie ihn auch allein durchzustehen.

Tief im Innern seines Herzens hegte der Missourier im übrigen die Hoffnung, diesen Kampf vermeiden zu können.

Sie gingen langsam vorwärts über die Vorbauten der Allenstreet, bogen an der Ecke, wo der große Buchershop war, in die Quergasse ein und hielten auf die Fremontstreet zu.

Plötzlich blieb Wyatt stehen, wandte den Kopf zur Seite und sah in das Gesicht des Spielers.

»Damned, es ist alles so wie damals!«

»Yeah«, preßte Holliday durch die Zähne, »wir hätten wenigstens eine Gasse weitergehen sollen. Dann wären wir diesmal von der anderen Seite an den Corral gekommen. Um eine neue Nuance in das Bild zu bekommen.«

Er hatte wirklich Galgenhumor, der Mann aus Georgier. Aber hatten sie dies alles nötig gehabt! Was hatte sie nur auf diesen bitteren Weg gebracht?

Sie gingen weiter.

Plötzlich gewahrten sie oben an der Gasse einen Mann.

John Clum.

»Der hat mir gerade noch gefehlt«, flüsterte der Spieler.

Drei Schritt vor dem alten Herrn blieben sie stehen.

»Wyatt Earp«, sagte der ehemalige Mayor von Tombstone dumpf, »ich erlaube mir auf Grund meiner grauen Haare, Sie zu bitten, von dem Gunfight abzulassen.«

»Sie werden noch mehr graue Haare bekommen, wenn der Marshal jetzt zurückgeht«, meinte der Spieler schroff.

»Das ist durchaus möglich«, versetzte der Zeitungsmann, »aber ich nehme lieber einen völlig weißen Kopf hin – als zwei tote Freunde.«

Betroffen blickten die beiden Dodger einander an.

In diesem Augenblick klang vom Westende der Fremontstreet Hufschlag auf.

Die drei Männer traten auf die Straße hinaus und blickten nach Westen, wo vom grellroten Morgenlicht beleuchtet, zwei Reiter auf den O.K. Corral zuhielten.

Kirk McLowery und ein flachsblonder Bursche, den sie nicht kannten.

Einen Augenblick war es still in der Gassenmündung. Dann fragte der Marshal:

»Der andere ist Cass Claiborne?«

John Clum nickte betreten.

Wieder war es still, dann erklärte Wyatt:

»Wir können sie nicht warten lassen, Mister Clum.«

Der Spieler zog seine Uhr. »Zwei Minuten vor sieben.«

»Wyatt«, bat der alte Herr mit heiserer Stimme.

Das Gesicht des Missouriers war finster und hart geworden.

»Sie verlangen etwas Unmögliches von uns, John. Wir müssen wenigstens hingehen. Sie haben doch selbst gesehen, daß sie nur zu zweit sind.«

»Ja, damals sah es auch so aus, als wären sie nur zu viert, und dann waren es doch insgesamt sechs. Wir wissen nicht, wer während der Nacht von ihnen schon in den Corral geschlichen ist und jetzt hinter einem Wagenkasten oder einem Schuppentor mit einem Gewehr den Kampf für die Bande zu entscheiden versucht.«

»Wir müssen trotzdem hin, John. Sie haben uns gefordert. Und wenn wir kneifen, kapituliert mit uns das Recht. Ich verspreche Ihnen aber, zu versuchen, mit McLowery zu verhandeln.«

»Wenn er mit Ihnen verhandeln wollte, hätte er Sie nicht in den Corral gerufen.«

Wyatt blickte dem alten Herrn tief in die Augen.

»Wir haben keine Wahl, John Clum. Bitte, versuchen Sie doch, uns zu verstehen.«

Da ergriff der Zeitungsmann die Hand des Marshals.

»Well, Wyatt Earp. Ich hatte mir nicht die geringsten Hoffnungen gemacht, als ich mich auf diesen Weg begab. Aber ich hielt es für meine Pflicht, zu versuchen, das vernünftigere Gegenpaar von dem Kampf abzuhalten. Daß ein Verzicht Ihrerseits gleichzeitig einen großen Prestigeverlust bedeutet hätte und wahrscheinlich noch viel mehr, weiß ich genau. Sie können unbesorgt sein: ich weiß, daß Sie gehen müssen. Ich wollte Ihnen noch einmal sagen, daß Sie beide mit dem Gedanken gehen sollen, in dem alten John Clum ihren Freund zu wissen. Ich weiß, daß Sie nicht für sich selbst gehen, wie Sie es ja auch gar nicht nötig gehabt hätten, überhaupt wieder hierher in diese Stadt zu kommen, in der Ihnen so oft und so übel mitgespielt wurde. Gehen Sie, und versuchen Sie das Beste für das Recht aus diesem zweiten Gang in den O.K. Corral zu machen.«

Wyatt reichte dem Redakteur die Hand und ging langsam vorwärts.

Auch Holliday gab dem Alten stumm die Hand und folgte dann dem Marshal.

Nur etwa hundertzwanzig Schritte waren bis zu dem torlosen Eingang des Corrals zu durchmessen.

Mit harten, ausdruckslosen Gesichtern gingen die beiden Dodger nebeneinander her. Sie wußten, wie sie es auch damals gewußt hatten, daß der Tod in der schlauchartigen Enge des Wagenabstellplatzes auf sie wartete.

Wer hätte das gedacht, daß sie diesen Weg noch einmal gehen mußten!

In sieben Tagen war es genau zwei Jahre her, daß sie in der Mittagsstunde des 26. Oktober, flankiert von Virgil und Morgan Earp, den gleichen Weg zurückgelegt hatten. Damals war allerdings einiges anders gewesen. Niemand von ihnen hatte so recht an das geglaubt, was diesem Gang dann tatsächlich folgte. Heute aber, wo die damaligen Ereignisse noch brennend in ihrer Seele und ihrem Gedächtnis hafteten, war es schlimmer.

Sie wußten, was der Kampf im O.K. Corral bedeutet hatte; sie hätten ihn am ganzen Leibe erlebt. Virgil Earp war heute weit oben in Santa Fé – und Morgan war ermordet worden.

Die beiden Männer aber, die jetzt mit ihnen kämpfen wollten, kannten den blutigen Fight im O.K. Corral nur vom Hörensagen. Sie waren frei vom Schrecken dieses Erlebnisses. Vielleicht hatte ihnen das ihre kaltblütige Forderung so leicht gemacht.

Es war ähnlich wie bei einem Vater, der einen mörderischen Krieg mitgemacht hatte und Jahre später nicht begreifen konnte, wie sein eigener Sohn bedenkenlos in einen neuen Krieg ziehen konnte.

Gebrannt wurde man nur von einem eigenen Erlebnis.

Vielleicht hätten die Toten des O.K. Corrals, Billy Clanton und Frank und Tom McLowery, wenn ihnen der Große Manitu noch einmal das Leben geschenkt hätte, den Weg nie wieder hierher zu diesem Ort gefunden.

Die anderen aber reizte er vielleicht durch seinen makabren, magischen Ruf.

Hart von den grellblendenden Sonnenstrahlen von der linken Seite getroffen, standen Wyatt Earp und Doc Holliday an der Schwelle des O.K. Corrals.

Nichts schien sich hier verändert zu haben.

Links und rechts noch die weißen Adobewände. Rechts hinter Flys Galerie schien noch das gleiche alte Wagengerümpel zu liegen wie damals. Und vorn in den hölzernen Torpfeilern waren noch die fingerlangen Kugellöcher zu sehen, die die fehlgegangenen Geschosse der Clantons damals gerissen hatten.

Doch, es war alles so wie vor zwei Jahren.

Nur die Männer, die ihnen da gegenüberstanden, waren andere. Vor allem war ihr Anblick und ihre Zahl eine Überraschung für die beiden fairen Männer aus Dodge!

Vorn rechts, nur etwa sieben Yard vom Eingang entfernt, stand Kirk McLowery mit eiskaltem, etwas blassem Gesicht, schwarzem Anzug und blütenweißem Hemd.

Etwas weiter zurück, auf der linken Seite, fast an der Adobewand, stand – ein Mann, den sie nicht kannten, ein großer Bursche mit rotem Schädel und struppigem Haar.

James Curly Bill Brocius!

Und zwischen den beiden, etwas zurückstehend, der fahlgesichtige Cass Claiborne.

Ein ganzes Stück hinter den dreien, eng an einen windschiefen Geräteschuppen gepreßt, standen zwei mittelgroße Burschen mit wahren Rattengesichtern.

Jeff und Jonny Flanagan.

Wyatt Earp blickte von einem zum anderen, dann blieb sein Blick an der Gestalt Kirk McLowerys haften.

Was gab es da noch zu sagen? Die Banditen hatten sie in einen mörderischen Hinerhalt gelockt. Und so verblüfft Wyatt jetzt auch war – er hatte es doch geahnt!

In diesem Augenblick kam aus der Tiefe des Hofes, hinter der Mauer, die zum Stall des O.K. Corrals führte, der Hufschlag eines Pferdes.

Das Grundstück verlief hakenförmig hinter dem Hausende nach links hinüber und dann wieder rechts auf die Rückwand des Mietstalles zu, der zum O.K. Corral gehörte.

Um die Ecke bog jetzt ein Reiter, der auf einem schwarzen Pferd saß. Ein Mann, bei dessen Anblick Wyatt Earp den Atem unwillkürlich anhielt, und der selbst das kühle Herz des Spielers Holliday für einen Augenblick stillstehen ließ.

Es war ein großer, kräftiger Mann mit breiten Schultern, kantigem Schädel, hartem, gutgeschnittenem, markantem Männergesicht und dunklem Haar. Unter buschigen Brauen stand ein falkenscharfes Augenpaar von unbestimmbarer Farbe. Aber eines sah man sofort: das irisierende Licht in diesen Augen.

Die Kleidung des Reites war einfach und denkbar unauffällig. Grauer, hochkroniger Stetsonhut, graues Kattunhemd, schwarze Samtschleife, braune Jacke und dunkelblaue Levishose, die unten in den staubigen Schäften hochhackiger Cowboystiefel steckten.

Ob der Mann eine Waffe trug, war der weiten Jacke wegen nicht zu erkennen.

Wie gesagt, ein unauffälliger, völlig alltäglicher Mensch – und doch, welch eine Erscheinung!

Ike Clanton!

Der Eindruck, den er auf die Männer im Hof machte, war ungeheuer.

Neben den Flanagans hielt er sein Pferd an und blickte nur kurz zu ihnen hinunter.

Da packten die beiden ihre Gewehre und liefen hinten durch den Hof davon.

Der ›König von Arizona‹ nahm die Zügel auf und ritt weiter, bis zu Cass Claiborne; da hielt er wieder an und stieg aus dem Sattel.

Er blickte den Banditen forschend an. Plötzlich sprangen seine Lippen auseinander:

»Du bist Billy Claibornes Bruder, nicht wahr?«

Der Bandit nickte.

»Was willst du hier?«

»Kämpfen, mit Wyatt Earp.«

Ein verächtliches Lachen zuckte um die Lippen des größten Bandenführers, den der Westen je kannte. Fast leise sprach er das nächste Wort aus:

»Verschwinde.«

Der junge Claiborne hatte es plötzlich sehr eilig, den beiden Flanagans zu folgen.

Da wandte Ike den Kopf und sah James Brocius an.

»Und was wollen Sie hier?«

James Curly Bill Brocius zog seine fuchsigen Brauen ärgerlich zusammen.

»Mit Wyatt Earp kämpfen!«

»Gehen Sie«, versetzte Ike tonlos.

Da schüttelte der Rowdy wild seinen Schädel. »Nein, ich werde mit diesen Hunden kämpfen.«

Drei Schritte machte Ike Clanton auf den Banditen zu. Und dann donnerte er ihn an:

»Gehen Sie!«

Prustend stieß der Bandit die Luft durch die Nase aus und wandte sich ab, um Claiborne und den anderen zu folgen.

Ike griff mit der Linken in die Jackentasche und nahm eine lange Virginiazigarre heraus, die er sich in den linken Mundwinkel steckte.

Da warf er plötzlich Kirk McLowery einen Blick zu.

»Und was wilst du hier?«

»Das, was die anderen wollten: mit Wyatt Earp und Doc Holliday kämpfen.«

»So? Kämpfen wolltest du? Mit fünf Figuren gegen zwei Männer. Das nennst du kämpfen?«

»Ich wollte mit ihnen abrechnen, Ike.«

»Was hast du mit ihnen abzurechnen?«

»Ich bin Frank McLowerys Bruder.«

»Das wagst du mir auch noch zu sagen?« herrschte Ike ihn plötzlich schroff an. »Du benimmst dich dümmer als sich dein kleiner Bruder Tom jemals benommen hat. Du hast weder das mindeste Recht noch irgendeine Veranlassung, den Marshal hierher in den Corral zu fordern.«

Flammende Röte übergoß das Gesicht des junge Outlaws.

»Meine Brüder sind hier gestorben, Ike!«

»Ich weiß! Und das sollte dir genügen. Oder dachtest du, daß sich dein Vater freuen würde, wenn der Sheriff ihm deinen Tod mitteilen muß?«

»Meinen Tod? Ich hätte sie besiegt!«

Ein unendlich verächtliches Lächeln stand in den Augenwinkeln des Isaac Joseph Clanton.

»Ich habe einmal hundert Reiter in den Sätteln gehabt, die ihn besiegen wollten, den eisernen Earp. Wenn du wissen willst, wo sie geblieben sind, dann mußt du tausend Meilen weit in alle vier Windrichtungen reiten, um sie zu suchen. Du jedenfalls bist nicht der Mann, der einen Wyatt Earp zu schlagen vermag. Hol deinen Gaul und reite heim. Dein Vater wird dich bei der Arbeit brauchen.«

»Ike!«

Da trat Ike auf ihn zu, richtete sich zu voller Höhe auf, schob das Kinn vor und sagte schneidend:

»Ich habe gesagt, du sollst aus der Stadt verschwinden, Kirk!«

Jetzt zeigte sich, daß der junge McLowery ein harter und gefährlicher Mann war.

»Du kannst mich hier nicht wegschicken, Ike.«

»Das werden wir sehen.« Ein krachender Faustschlag riß den Cowboy aus dem Pedro Valley von den Beinen. Ike packte ihn am Kragen und schleppte ihn durch die ganze Länge des Corrals hinter die Mauer, wo die Pferde standen.

Nach kurzer Zeit kam er mit dem Rappen des Cowboys zurück, auf dem er den immer noch schwerbetäubten Mann festgebunden hatte. Er hieb dem Tier mit dem Hut auf die Hinterhand und scheuchte es aus dem Wagenabstellplatz hinaus.

Dann stand er allein im O.K. Corral vor den beiden Dodgern. Zwei Schritte vor seinem Pferd und fast genau an der gleichen Stelle, auf der er damals gestanden hatte, als sein Lieblingsbruder Billy, tödlich getroffen, neben dem linken Torpfeiler auf die Straße sank.

Sein ebenso kurzer wie eindrucksvoller Auftritt war beendet.

Er nahm die Strohhalmzigarre aus den Zähnen, paffte einen blauen Rauchpilz vor sein Gesicht, kniff das linke Auge etwas ein, legte den Kopf auf die Seite und tat, als wenn er die beiden Männer erst jetzt sähe.

Eine volle Minute kroch im Schneckentempo durch den Tombstoner O.K. Corral.

Endlich öffnete Ike Clanton die Lippen.

»Hallo, Wyatt.«

Der Marshal stieß die Luft durch die Nase aus und preßte dann heiser durch die Zähne.

»Hallo, Ike.«

Der Desperado fixierte jetzt den Spieler.

»Hallo, Doc.«

Der Spieler sparte sich das Hallo und versetzte nicht eben freundlich:

»Ike.«

Wie Wölfe standen die drei Männer einander gegenüber.

Da war er also wieder, der große Isaac Joseph Clanton, der einmal dieses ganze Land mit uneingeschränkter Macht beherrscht hatte wie ein König – oder doch wie ein Piratenfürst.

Umgeben von hundert Reitern – und Tausenden Anhängern und Freunden. Und doch immer, wie auch jetzt: ein einsamer Mann.

Langsam zog er sich in den Sattel und ritt an den beiden Dodgern vorbei auf die Fremontstreet hinaus.

Wyatt Earp wandte sich erst um, als der Hufschlag seines Pferdes nicht mehr zu hören war.

Als der Marshal aufblickte, sah er in die Augen des Spielers.

Der nickte. »Ich hätte mit jedem Ausgang gerechnet; mit diesem nicht!«

»Ich auch nicht.«

Holliday schob die Hände in die Taschen, starrte in die Tiefe des Wagenabstellplatzes und meinte nachdenklich:

»Einen harten Strich hat er allen durch die Rechnung gemacht, dieser gerissene Halunke.«

Wyatt stand breitbeinig da und stemmte die Arme in die Hüften. »Sie glauben, daß er alles inszeniert hat?«

»Ich weiß es nicht. Es sah nicht so aus. Diese Kerle sind Banditen und keine Schauspieler. Aber eines steht fest: er ist im richtigen Augenblick gekommen. Das wäre eine ganz verdammte Sache geworden.«

Jetzt wußten sie so viel wie vorher. War er der Führer der Galgenmänner oder war er es nicht? Die Tatsache, daß die Tramps seinen Worten gehorcht hatten, besagte nichts über diese Frage, denn der Eindruck seiner Persönlichkeit war offenbar immer noch stark genug, um die Outlawes einzuschüchtern.

Sicher hätte der Marshal versucht, mit Kirk McLowery zu reden. Aber die Überzahl, in der die Banditen im Corral erschienen waren, hatte genug über ihre tödliche Entschlossenheit ausgesagt.

Sie hatten wirklich den Kampf gewollt.

Den unfairen Kampf!

Und den hatte Ike Clanton jedenfalls nicht gewollt.

»Unfair ist er nie gewesen«, sagte Doc Holliday. »Das ist so ziemlich das einzig Positive, was ich von ihm sagen möchte.«

»Ich muß mit ihm sprechen«, meinte Wyatt nach einer Weile.

»Ja«, versetzte Holliday, »aber das dürfte nicht so einfach sein. Er taucht auf wie ein Geisterreiter und verschwindet, wie er gekommen ist. – Ich glaube, ich weiß, wo er ist. Kommen Sie!«

Sie verließen mit raschen Schritten den Corral und gingen die Fremontstreet hinunter. An deren Ende bogen sie rechs ab und kamen an den letzten Häuser vorbei zum Stadtrand, von wo aus man schon die Grabkreuze auf dem Stiefelhügel sehen konnte.

Da es nach allen Seiten steilabfallender Hügel war, konnte man ihn nicht ganz übersehen.

Als die beiden die kleine Holzpforte erreicht hatten, blieben sie stehen. Drüben, links am Zaun, stand er; groß, düster und still. Den Hut in den Händen und den Kopf gesenkt – vorm Grab seines Bruders Billy.

Sein Pferd stand auf der anderen Seite des Hügels.

Wortlos entfernten sich die beiden Männer und hielten wieder auf die Stadt zu.

Ein Friedhof war nicht der rechte Ort, mit diesem Mann zu sprechen.

John Clum stand in der Fremontstreet vor seinem Haus.

Leichenblässe hatte sein Gesicht überzogen.

»Ich habe keinen Schuß gehört, Wyatt. Und dann kam er aus dem Corral geritten, Ike…«

Die beiden blickten ihn schweigend an.

Da hüstelte der Alte und meinte:

»Darf ich Ihnen einen echten Scotch anbieten?«

»Doch, ja, das dürfen Sie, John«

Holliday lachte leise in sich hinein.

»Ich glaube, wir müssen Ike Clanton öfter treffen, damit der Marshal endlich mal was trinkt.«

Als sie den Maschinenraum betraten, blieb der Spieler neben einer Presse stehen und deutete auf einen großen weißen Fleck auf der vorderen Seite.

»Was soll denn das bedeuten?« fragte er stirnrunzelnd.

»Da habe ich Platz freigelassen für den Artikel über den Kampf. Ich kann es mir nicht erlauben, über etwas nicht zu berichten, über das dann die Brüder drüben in der Klitsche des ›Tombstoner Telegraph‹ berichten.«

»Das ist einleuchtend«, meinte der Gambler sarkastisch.

»Ich muß mir nur jetzt etwas einfallen lassen, was ich oben als Leitartikel bringe.«

»Vielleicht etwas über den Selbstfahrer drüben in Germany«, schlug Holliday vor. »Da hat doch ein kluger Mann namens Benz einen Motor erfunden, den er in einen Wagen gebaut hat; mit Hilfe von Benzin und etwas Geschick kann man sich mit der Karre fortbewegen.«

John Clum blickte den Georgier forschend an.

»Woher wissen Sie denn das?«

»Ich traf heute morgen einen Kaufmann in Nellie Cashmans Hotel, der aus New York kommt. Er brachte die Nachricht mit.«

»Vielleicht ist es ein guter Ersatz für den zweiten Fight im O.K. Corral, der nicht stattgefunden hat«, fand der Zeitungsmann lächelnd.

»Ganz sicher sogar«, entgegnete der Marshal.

*

Als sie in die Gasse zur Allenstreet einbogen, sahen sie den Texaner schon unten an der Ecke stehen.

Er kam ihnen entgegen.

»Ich habe keinen Schuß gehört, obgleich ich wie ein Luchs auf der Lauer lag und den Leuten vor dem Office sogar lautes Husten verboten habe.«

»Tyrann!« meinte der Marshal.

»Was ist nun mit dem Fight?«

»Ausgefallen. Vielleicht auch nur verschoben«, entgegnete der Missourier. »Im Tombstoner ›Epitaph‹ jedenfalls wird er durch einen Bericht über einen motorgetriebenen Wagen ersetzt…«

Wyatt blickte in die Allenstreet. Jetzt erst sah er drüben an Jonny Behans altem Sheriffs Office den großen Stern.

Das Office des wankelmütigen einstigen Tombstoner Sheriffs war also noch am gleichen Platz. Es änderte sich tatsächlich nichts in dieser Stadt.

Wer mochte jetzt Sheriff von Tombstone sein?

Sie sollten auf diese Frage rasch eine Antwort bekommen.

»Ich muß hinüber, um die Festnahme des Mörders Arthur Pinkerton zu melden. Der Sheriff muß die Sache an das Courthouse weitergeben. So wird das hier gehandhabt.«

»Viel Umstände um einen Galgenstrick!« meinte der Georgier zweideutig.

Sie gingen auf das Sheriffs Office zu.

Luke Short blieb mit Doc Holliday an der Vorbautreppe stehen, von wo aus er das alte Marshal Office im Auge behalten konnte.

Wyatt stieg die Treppe hinauf, überquerte die staubigen Stepwalkbohlen und klopfte an die niedrige Tür, die ihn zwang, den Kopf einzuziehen, dann öffnete er.

Beim Anblick des Mannes hinterm Schreibtisch blieb er wie versteinert in der Türöffnung stehen.

Es war ein mittelgroßer, schmalbrüstiger Mensch mit hängenden Schultern, blassem Gesicht und scharfausrasiertem Backen- und Kinnbart. Aus grauen leeren Augen starrte er den Missourier an.

Jonny Behan!

Der Mann, der mit seiner Wankelmütigkeit die Stadt damals in größte Gefahr gebracht hatte! Vor allem durch seine auffällige Nachsichtigkeit Verbrechern gegenüber, hatte er sich schon damals für den Posten eines Sheriffs in dieser Stadt als völlig ungeeignet erwiesen. Der Marshal hatte ihn seit Jahren im Verdacht gehabt, gemeinsame Sache mit den Clantons zu machen, zumindest aber beide Augen bei ihren Verbrechen zuzudrücken.

Auch bei dem Feuergefecht im O.K. Corral vor zwei Jahren hatte er eine unheilvolle Rolle gespielt, als er nämlich kurz vor dem Kampf durch die Fremontstreet den Earps entgegengelaufen kam, um ihnen zuzurufen, daß die Clantons völlig unbewaffnet wären. Damit hatte er nicht zuletzt das blutige Geschehen verschuldet; denn die Earps hatten ihm geglaubt, und der älteste von ihnen, Virgil, der damals Marshal von Tombstone war, hatte eigentlich nur noch die Absicht gehabt, die Tramps aufzufordern, die Stadt zu verlassen.

Da saß er also wieder hinter seinem Schreibtisch, der unselige Jonny Behan, der durch ziemlich dunkle Machenschaften vor einer Reihe von Jahren den Stern bekommen hatte. Er war überhaupt der unfähigste Mann, den der Westläufer Wyatt Earp auf all seinen weiten Ritten je mit einem Stern gesehen hatte.

»Jonny Behan«, kam es immer noch ungläubig über seine Lippen, »das ist doch wohl ein Scherz!«

Mit gespielter Empörung sprang der Sheriff auf und rief:

»Nein, Mister Earp, das ist durchaus kein Scherz, sondern im Gegenteil bitterer Ernst! Ich hörte soeben, daß Sie wieder in der Stadt sind und bereits eine Reihe von Dingen veranlaßt haben, die ich nicht dulden kann.«

Verächtlich blickte der Marshal auf ihn hinab.

»So, die Sie dulden können? Die Sie aber doch ganz ruhig dulden, wie ich sehe. Was haben Sie überhaupt zu dulden, Behan?«

»Ich bin Sheriff von Tombstone«, giftete der Schwächling.

»Sie sind ein vor Jahren vorübergehend eingesetzter Hilfssheriff und nichts weiter. Wenn ich mich recht erinnere, sind Sie vor zwei Jahren, als Sie gegen mich und meine Brüder vor Gericht ausgesagt hatten, doch Ihres Amtes enthoben worden.«

»Dieser Irrtum ist glücklicherweise wieder rückgängig gemacht worden.«

»Irrtum?« kam es spöttisch von den Lippen des Marshals. »Mann, Sie sind doch hier so fehl am Platze wie ein sechsjähriger Junge. Und eines will ich Ihnen sagen, Behan:

Es gehen wieder reichlich merkwürdige Dinge in Tombstone vor, denen ich hart auf der Spur bin. Wenn ich höre, daß Sie auch nur das Geringste damit zu tun haben oder mir wieder störend in die Quere kommen, lernen Sie mich kennen.«

»Ich brauche Sie nicht kennenzulernen«, kläffte der Hilfssheriff wütend. »Jedermann kennt Sie hier. Sie sind ein herrischer Mensch, der überall seinen Willen durchsetzen muß, und sei es mit Gewalt.«

Ein rauhes Lachen sprang über die Lippen des Marshals.

»Irrtum, Behan, der Unterschied zwischen uns besteht darin, daß ich für das Gesetz kämpfe und daß Sie ein Waschlappen sind.« Krachend fiel die Tür hinter dem Marshal zu.

Doc Holliday lehnte unten an der Treppe, schüttelte nur stumm den Kopf und blickte zwinkernd die helle Straße hinunter.

Luke Short aber sprang die Treppe hinauf und rief:

»Das kann doch nicht wahr sein! Diese Pappfigur muß ich mir ansehen!«

Er riß die Tür auf und starrte ungläubig auf den zusammengesunkenen Mann hinter dem Schreibtisch. »Es ist tatsächlich wahr. Ich dachte, Sie hätten sich da einen Bluff mit uns erlaubt, Marshal.«

»Leider nicht«, entgegnete Wyatt. »Leider müssen wir wieder das Office da drüben selbst halten. Denn diesem Burschen können wir ja keine Gefangenen anvertrauen.«

»Genau wie früher«, warf Doc Holiday ein.

»Das hält uns aber ganz schön auf«, fand der Texaner, als er zurückkam.

»Wir brauchen immer einen Mann, der auf den Laden aufpaßt.«

»Das ist leider nicht zu ändern. Ich möchte bloß wissen, wer diesen Kerl wieder eingesetzt hat.«

Holliday zündete sich eine Zigarette an zog sich den Hut tief in die Stirn.

»Ich kann mir nicht denken, daß er ohne Ike Clanton wieder zu diesem Posten gekommen ist…«

Es galt drei Männer im Office zu bewahren: den Mörder Pinkerton, seinen Helfer Henderson und Edward ›Captain‹ Baxter.

Wyatt hatte mehrmals versucht, Pinkerton zu bewegen, etwas über den Verbleib Jim Elliots auszusagen.

Aber der Keeper hatte nur ein höhnisches Lachen für ihn gehabt.

Also mußten sie nach dem Steuereinnehmer suchen.

Am Abend des darauffolgenden Tages, als Wyatt Earp und Luke Short bei Nellie Cashman um den Abendbrottisch saßen, trat die Hotelinhaberin zu ihnen heran und flüsterte dem Marshal zu.

»Ich kann es nicht mit Sicherheit sagen, Wyatt, aber ich glaube, ich habe vorhin Kirk McLowery vor Micky Fleggers ›Dursthöhle‹ gesehen. Er schob einen Mann vor sich her in den Hof der Schenke.«

»Wann war das?«

»Vor zehn Minuten etwa. Ich kam von einer Freundin, die schräg gegenüber dieser Spielhölle wohnt.«

Wyatt Earp und Luke Short hatten am Tisch gesessen, erhoben sich aber sofort, um zum Jail zu laufen.

Doc Holliday saß vorn neben der Tür im dunklen Raum.

»Wenn Richter Gordon nicht bald kommt«, meinte er, »wird die Wacheschieberei hier ziemlich ungemütlich. Dauernd kommen hier Leute vorbei, bleiben neben dem Haus stehen und schleichen sich zurück. Einer war so aufdringlich, daß ich es vorzog, ihm gleich eine Zelle anzubieten. Jetzt haben wir schon vier Kerle hier sitzen.«

»Ich werde Sie ablösen, Doc«, erklärte der Texaner.

»Der Marshal hat einen Besuch in der ›Dursthöhle‹ vor. Und wie ich ihn kenne, nimmt er Sie lieber mit dahin.«

*

Es war eine uralte Schenke, in der sich schon zu allen Zeiten das übelste Gelichter der Stadt herumgetrieben hatte. Es hieß, daß selbst schon Ed Schieffelin, der Gründer der Stadt, mit dem alten Flegger Streit gehabt haben sollte. Mochte der Teufel wissen, was die Menschen immer wieder in diese düstere Schenke zog.

Wüster Lärm drang durch Türen und Fenster auf die Straße hinaus.

Der Schankraum war brechend voll. Da die beiden schon von draußen sahen, um was für ein Pubikum es sich handelte, verzichteten sie darauf, durch den Schankraum ins Haus zu kommen.

»Diesmal werden wir beide meinen Weg nehmen«, erklärte der Spieler.

Sie verließen den Vorbau und schoben sich durch das halboffene Tor in den Hof. Lauschend verharrten sie in der Tornische. Im Hof war alles still. Lautlos wie Indianer schlichen die beiden am Anbau entlang, bis Wyatt plötzlich stehenblieb und auf die Rückwand des Hauses deutete, wo oben in zwei Fenstern Licht brannte.

Gegen eines dieser Fenster war die scharfe Silhouette eines Mannes zu erkennen.

»Ist das nicht McLowery?« flüsterte der Georgier.

Wyatt nickte.

»Wir werden ihm einen kleinen Besuch abstatten, selbst auf die Gefahr hin, daß er Jim Elliot nicht hierhergebracht hat. Ich werde es jetzt aus ihm herausquetschen, wohin er den Steuereinnehmer geschleppt hat.«

Sie verließen die Wand des Anbaus und huschten auf das Haus zu.

Die Hoftür war unverschlossen.

Als der Marshal sie weiter aufstieß, gab sie einen ächzenden Laut von sich.

Im gleichen Augenblick wurde am anderen Ende des Korridors die Tür zum Schankraum geöffnet. Eine Frau lief murrend zur Küche hinüber und ließ beide Türen offenstehen.

Eng hatten sich die beiden Männer an die Wand gepreßt.

Die Frau in der Küche ließ sich Zeit. Erst nach einer Weile kam sie mit einem Teller mit Broten zurück.

Sofort verließen die beiden ihren Platz, tasteten sich in dem dunklen Korridor zur Treppe vor und stiegen langsam hinauf.

Die hölzernen Stufen knarrten scheußlich unter dem Gewicht des Missouriers.

Wyatt versuchte so gut wie möglich, sein Gewicht von der Stufenmitte weg in die Nähe der Wand zu bringen, um das Knarren des Holzes möglichst gering zu halten.

Dennoch gab jede Stufe ein ächzendes Geräusch von sich, das im ganzen Treppenhaus zu hören sein mußte.

Da wandte der Missourier den Kopf und flüsterte dicht am Ohr des Spielers: »Das ist zu riskant. Wir haben wenigstens noch zwanzig Stufen bis oben.«

»Was wollen Sie tun?« gab Holliday tonlos zurück.

»Unten im Korridor müßte Lärm sein.«

Der Gambler nickte und stieg die Treppe sofort wieder wieder hinunter. Gleich darauf gab es unten einen erheblichen Lärm; Holliday hatte die Küchentür aufgestoßen und unterhielt sich wie ein Angetrunkener mit den beiden Mägden, wobei er immer wieder schrill auflachte, einen Küchenstuhl hin und her schob, einen leeren Metallkessel von der Wand auf die Steinfliesen fallen ließ, und die Geräuschmache erst aufgab, als er annehmen konnte, daß der Marshal das Obergeschoß erreicht hatte. Krachend warf er die Küchentür hinter sich zu.

Im gleichen Augenblick kam drüben aus dem Schankraum ein Mann.

Cass Claiborne! Die beiden blickten einander überrascht an.

Dann wollte der Bandit zurück in den Schankraum.

Aber der gedankenschnell gezogene Revolver des Spielers und dessen leises: »Warte!« waren eine unwiderstehliche Aufforderung, zu bleiben.

»Was wollen Sie, Doc Holliday?« krächzte der Tramp.

»Komm mit hinaus in den Hof, Cass, ich habe mit dir zu reden.«

»Ich denke nicht daran.«

»Dann wirst du eben schlafen.«

»Was…?« fragte der Bandit blöde.

Ein blitzschneller Sprung, ein kurzer Schlag, und Cassius Claiborne sah für eine Zeitlang schwarz.

Holliday schleppte ihn unter die Treppe, schob ein paar Flaschenkästen und Fässer vor ihn hin und postierte sich selbst draußen neben der angelehnten Hoftür.

Wyatt Earp war unbemerkt ins Obergeschoß gelangt. Auf Zehenspitzen hatte er sich der Tür genähert, durch deren untere Ritze ein Lichtschein auf den Korridor fiel.

Obgleich er angestrengt lauschte, vermochte er jedoch nichts zu vernehmen. Aber da, plötzlich ein klatschender Hieb.

»Ich frage dich ein letztes Mal, Jim. Wirst du parieren oder nicht?«

Es war die Stimme Kirk McLowerys.

»Nein«, kam es heiser zurück. »Und wenn ihr mich umbringt. Ich kann nicht tun, was ihr von mir verlangt.«

»Dann siehst du Tucson, deine Frau und deine Kinder nicht wieder!«

»Ich höre seit Tagen nichts anderes. Aber ihr schreckt mich nicht.«

Klatsch!

Der andere stöhnte tief auf.

Da stieß der Marshal die Tür auf.

Drüben am Fenster stand der Cowboy aus dem San Pedro Valley und blickte ihm fassungslos entgegen.

Vor ihm auf einem Schemel saß ein mittelgroßer Mann mit kränklichem Gesicht.

»Good evening, Gents. Ich gehe wohl nicht fehl in der Annahme, in Ihrem Spielpartner Jim Elliot aus Tucson zu sehen, Kirk?«

McLowery verschränkte die Arme vor der Brust.

»Ganz recht, Mister Earp. Aber darf ich mir die Frage erlauben, was Sie veranlaßt, in mein Zimmer einzudringen?«

Wyatt drückte die Tür hinter sich ins Schloß.

»Sie haben diesen Mann aus Tucson entführt, McLowery!«

»Entführt? Mein Freund Jim, der vier Jahre bei uns im San Pedro Tal Cowboy war? Es tut mir leid, Ihnen sagen zu müssen, daß Sie sich irren, Marshal.«

Wyatt blickte den Steuereinnehmer an.

»Reden Sie, Mister Elliot.«

Der schüttelte den Kopf.

Da trat der Marshal an ihn heran.

»Kirk McLowery hat Sie aus Tucson entführt?«

»Das ist doch eine glatte Erfindung«, rief der Cowboy mit hoher Stimme.

»Jim und ich sind seit vielen Jahren befreundet.«

Da der Steuereinnehmer den Kopf nicht hob, packte Wyatt sein Kinn und hob es an.

»Reden Sie, Elliot. Ich bin Ihnen von Tucson bis hierher gefolgt. Ihre Frau macht sich Sorgen um Sie. McLowery und Claiborne haben Sie entführt!«

»Das stimmt nicht!« warf der Desperado dazwischen.

Wyatts Kopf flog herum. »Schweigen Sie, Mensch! Ich habe in Elliots Hof hinter dem Galgen und am Zaun Ihren Schuhabdruck gefunden! Mit einem Nagel, genau in der Absatzmitte.«

Er bückte sich schnell und riß den Fuß des Outlaws hoch.

»Hier, diesen Nagel, Kirk McLowery!«

Das Gesicht des Banditen wurde für einen Augenblick von einer wächsernen Blässe überzogen. Doch dann hatte er sich gefangen.

»Kann schon sein, daß Sie meine Spur in einem Hof gefunden haben. Alle Achtung übrigens, Sie haben ja eine höllische Nase. Aber«, er hob unangenehm lächelnd beide Hände und breitete sie aus, »ich weiß nicht was Sie wollen? Jim Elliot und ich sind Freunde. Er ist mit uns geritten.«

Wyatt zerrte den Steuereinnehmer vom Hocker hoch und blickte ihn scharf und prüfend an.

»Sie sind betäubt worden, Elliot. Doc Holliday hat noch das graue Tuch in seiner Tasche, in dem das Betäubungsmittel war. Warum hat man Sie hierhergeschleppt?«

»Ich weiß es nicht«, stotterte der Mann kreidebleich und blickte den Marshal hilflos an.

Und plötzlich hatte Wyatt begriffen.

Wie Schuppen fiel es von seinen Augen.

Kirk McLowery hatte Jim Elliot nur mit hierhergeschleppt, um ihn, den Marshal, auf der Fährte des ›entführten Steuereinnehmers‹ nach Tombstone zu locken.

Ein raffinierter Trick.

McLowery wußte genau, daß der Marshal sich auf die Fährte der Entführer setzen würde.

Zu seiner größten Verwunderung sah Wyatt, daß der Steuereinnehmer den Waffengurt umhängen hatte.

Er nahm ihm die Waffe aus dem Halfter, öffnete die Trommel und sah die sechs Patronen in den Kammern.

War dieser Mann ein Gefangener? Nein, er war ein Bekannter McLowerys, und die Geschichte mit der Arbeit im San Pedro Valley konnte sogar stimmen. Höchstwahrscheinlich war der Desperado gerade dabeigewesen, praktischerweise zwei Fliegen mit einem Schlag zu erledigen, nämlich den entführten Steuereinnehmer von Tucson gleich in die Reihe der Galgenmänner aufzunehmen.

Wyatt stieß Elliot die Waffe ins Halfter zurück.

»Reiten Sie heim.«

»Wag es!« fauchte Kirk McLowery.

Da wandte sich der Marshal nach ihm um.

»Hören Sie genau zu, Kirk. Wenn Sie mich jetzt noch mit einem einzigen Wort unterbrechen, schlage ich Ihnen die Zähne ein. Nehmen Sie bitte diese etwas rauhe und wenig angenehme Mitteilung ernsthaft zur Kenntnis.«

Sich wieder an den Steuereinnehmer wendend sagte er scharf:

»Und wenn Sie nicht in einer Viertelstunde aus der Stadt verschwunden sind, gilt für Sie das gleiche Angebot, das ich eben Ihrem sauberen Freund McLowery gemacht habe.«

Da wimmerte der Mann:

»Er läßt mich nicht aus seinen Klauen.«

»Ich werde mir erlauben, auf diese Klauen etwas achtzugeben, Elliot. Und jetzt verschwinden Sie!«

*

Der Steuereinnehmer verließ Tombstone.

Und der Desperado Kirk McLowery wurde von Wyatt Earp gezwungen, mit ins Office zu kommen, wo er den drei Männern im Office bis zwei Uhr in der Nacht Gesellschaft leisten mußte.

Diese Zeit brauchte Jimmy Elliot als Vorsprung.

Als der Marshal den Outlaw schließlich zur Tür des Office brachte, ergriff er ihn am Arm und ermahnte ihn:

»Sie sitzen da in einem gefährlichen Sattel, Kirk. Ich warne Sie. Reiten Sie ins San Pedro Valley zurück, dann können Sie vielleicht noch vierzig oder fünfzig Jahre leben.«

Eine halbe Stunde später, als Wyatt Earp und Doc Holliday sich von Luke Short verabschiedeten und das Office verließen, gellten Schüsse durch die Nacht.

Die beiden Dodger rannten los.

»Bleiben Sie auf jeden Fall hier!« rief der Marshal dem Texaner zu, der aus dem Office gelaufen kam.

Sie stürmten die nächste Quergasse hinauf, von wo sie glaubten, die Schüsse gehört zu haben.

»Es muß vorn in der Fremontstreet gewesen sein.«

Noch hatten sie die breite Straße nicht erreicht, als sie plötzlich wie angenagelt stehenblieben.

Drüben in dem Loch eines herausgezogenen Zügelholmpfahls stand ein Galgen und neben ihm auf den Stufen der Treppe des Zeitungshauses lag der Körper eines Mannes.

Wyatt Earp und Doc Holliday rannten jetzt über die Straße und Wyatt wußte es, noch ehe er den Mann erreicht hate: es war John Clum!

Er blieb wie erstarrt vor dem reglosen Mann stehen, während Holliday sich über in beugte.

»Clum!« entfuhr es dem Spieler. Er riß ihm die Jacke auf und legte den Kopf auf seine Brust.

Wyatt hatte den Atem angehalten. Und als der Entscheid des Spielers nicht kommen wollte, fragte er ungeduldig:

»Tot?«

Holliday richtete sich in knieende Stellung auf und schüttelte den Kopf.

»Nein, aber er ist lebensgefährlich verletzt.«

Sie schleppten den Redakteur sofort ins Haus.

Da hatten die Galgenmänner also wieder zugeschlagen. Schnell und heimtückisch, brutal und rücksichtslos.

Jetzt galt es mit gleicher Härte zurückzuschlagen.

Wyatt Earp Staffel 11 – Western

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