Читать книгу Wyatt Earp Staffel 11 – Western - William Mark D. - Страница 9

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Sternklare Nacht lag über Tombstone.

Von der Fremontstreet her schlichen sich zwei Männer mit kleinen, gedrungenen Mexikanergestalten durch eine Quergasse der Allenstreet zu. Dicht an den Häuserfronten entlang, jede Türnische und jeden Schlagschatten ausnutzend, erreichten sie die Ecke der Bank of Tombstone.

Hier blieben sie lauschend stehen.

Dann nahm der eine ein kräftiges Stoffstück aus der Tasche, tauchte es kurz in eine Pferdetränke und rieb es dick mit Schmierseife ein. Den feuchten, schweren Lappen preßte er auf eines der unteren Fenster, drückte dagegen, und das dumpfe, berstende Geräusch des Glases war unter dem raffiniertem Dämpfer kaum zu hören.

Der Mann nahm das Tuch mit den daran haftenden Scherben zurück und legte es vorsichtig auf den Boden nieder. Dann griff er durch das Loch in der Scheibe und stieg in den Kassenraum ein.

Der andere stand indessen an der Straßenecke und hielt nach allen Seiten Ausschau.

Als er plötzlich zwei Männer aus dem Oriental Saloon kommen sah, pfiff er leise den Arabia-Song, der dem Komplicen in der Bank sagte, daß er sich völlig still zu verhalten hatte.

Bewegungslos verharrte der Eindringling neben dem Fenster und lauschte nach draußen.

Es dauerte nicht sehr lange, und der Schmieresteher gab ihm durch einen anderen Pfiff das Signal, die Arbeit fortzusetzen.

Der kleine krummbeinige Kid McAllister war Fachmann, er verstand sich auf das lautlose Zertrümmern von Fenstern, auf Tresors und Kassenschlösser.

Er erbeutete in anderthalb Stunden 25.000 Dollar in Scheinen.

Eine ungeheure Summe!

Es war der frechste Bankraub, den Tombstone je erlebt hatte. Auch in der Folgezeit hat diese Summe niemand mehr ›erreicht‹.

Kid McAllister und Joke Dundee machten sich lautlos, wie sie gekommen waren, mit ihrer Beute davon.

Und der Inhaber der Bank, Joel Between, saß zwei Straßen weiter in Rozy Gingers Casino im Hinterzimmer mit elf anderen Männern, von denen einer Kirk McLowery hieß…

McAllister und Dundee hatten die Idee ihres Lebens gehabt. Während ihre Freunde in Rozy Gingers Casino eine Besprechung abhielten, die ebenfalls finsteren Plänen diente, räumten sie Betweens Bank aus.

So bestahlen und betrogen sie sich untereinander, die Dunkelmänner von Tombstone.

Allerdings hatten McAllister und Dundee kein Glück. Es währte nur etwa anderthalb Minuten.

Die beiden hatten nämlich das märchenhafte Pech, zurück in die Fremontstreet zu laufen, wo sie auf dem Vorbau des Zeitungshauses ausgerechnet mit dem Mann zusammenstießen, den sie jetzt am allerwenigsten gebrauchen konnten.

Es war der gefürchtete Marshal Earp, der eben mit Doc Holliday das Haus des Zeitungsmannes Clum verließ.

Es war Dundee, der gegen den Marshal stieß.

»Paß doch auf, Ochse!« knurrte er den Mann im Dunkeln an.

Wyatt legte seine Hand auf den Unterarm des Outlaws.

»Mit diesen Ausdrücken würde ich vorsichtiger umgehen, Mann!«

Dundee zuckte beim Klang dieser Stimme zurück – und war kopflos genug, zur Waffe zu greifen.

Der Missourier hieb ihm den Colt mit einem schnellen Faustschlag aus der Hand.

McAllister sprang mit einem weiten Satz wie ein Raubtier vom Vorbau herunter. Auch er hatte die Stimme des Marshals erkannt – sich aber durch seine panische Flucht dem Georgier Doc Holliday so verdächtig gemacht, daß der ein Stück weiter zurück ebenfalls vom Vorbau setzte und ihm den Weg versperrte.

Da blieb McAllister stehen, ließ die Ledertasche mit dem Geld fallen und hob die Hände hoch.

Er hatte den Mann, der ihm da den Weg abgeschnittten hatte, erkannt.

»All right, Doc! Ich gebe auf.«

Holliday ging auf ihn zu, nahm ihm den Revolver aus dem Halfter und hob die Tasche auf.

Wyatt Earp bugsierte Dundee, der auch eine Tasche in der Linken hielt, vom Vorbau.

McAllister versuchte die höllische Situation zu retten.

»Lassen Sie uns laufen, Marshal. Mein Freund hat einen Drink zuviel genommen. Er meinte es nicht so. Unsere Frauen warten ohnehin schon mit der Kuchenwalze auf uns.«

Aber sein Trick nützte diesmal nichts.

Wyatt Earp nahm Dundee die Tasche und den Revolver ab.

»Tut mir leid, Boys, wir haben hier vor einer Stunde einen Toten auf dem Vorbau gefunden. Wir müssen vorsichtig sein. Vorwärts, zum Office!«

McAllister stieß einen Fluch aus.

»Idiot, der du bist!« zischte er seinen Partner an. »Hast du inzwischen bemerkt, wem du da in die Fänge gelaufen bist?«

Dundee gab heiser zurück:

»Natürlich, Wyatt Earp! Ein Riesenpech! Aber wir haben eine Chance!«

»Du mußt größenwahnsinnig sein, wenn du dir gegen Wyatt Earp und Doc Holliday eine Chance ausrechnest, Mensch.«

»Hast du nicht gehört, wo er uns hinführt? Ins Office! In Jonny Behans Sheriffs Office! Du glaubst doch nicht, daß Behan sich mit Kirk anlegen will. Der läßt uns laufen, sobald der Marshal sich umgedreht hat.«

Aber da hatten sich die beiden Outlaws verrechnet.

Wyatt Earp brachte sie ins alte Marshals Office, in dem niemand anders als der riesige Texaner Luke Short Wache hielt.

Doc Holliday hatte die Waffen der beiden Tramps getragen und Wyatt Earp die Taschen.

Beides wurde auf den großen alten Schreibtisch gelegt, an dem Wyatts Bruder Virgil so viele Jahre gesessen hatte.

Dundees Augen hafteten an den Taschen.

McAllister war schweißgebadet.

»Und – wollen Sie uns jetzt etwa wegen dieser lausigen Geschichte einlochen, Marshal?« krächzte er, wobei er ein heißes Würgegefühl in der Kehle verspürte.

Wyatt hatte die Augen Dundees beobachtet, unauffällig unter halbgesenkten Lidern hervor.

»Die Absicht hatte ich nicht«, sagte er, wobei er nach einer der Taschen griff, ihren Verschluß unbemerkt öffnete und sie dann plötzlich hob. »Hier, fangen Sie auf!«

Er warf sie so, daß sie sich rasend schnell um sich selbst drehte und von McAllister gar nicht aufgefangen werden konnte.

Die schweren Geldscheinbündel rutschten heraus und flogen durchs ganze Office.

Dundee stieß vor Wut und Verzweiflung einen heiseren Schrei aus.

»Mich beschimpfst du«, fauchte er seinen Kumpan an, »aber du bist selbst zu dumm, den Verschluß deiner Tasche zu schließen.«

»Der Verschluß war zu!« keifte McAllister und sah den Marshal aus blutunterlaufenen Augen an. »Erwürgen könnte ich Sie, Earp! Mit den bloßen Händen erwürgen.«

Der Marshal lachte ihn entwaffnend an. »Tun Sie sich keinen Zwang an, Amigo.«

»Seit Sie in der Stadt sind, ist die Hölle los. Im O.K. Corral wird’s wieder gefährlich. John Clum wird ermordet…«

Da erhob sich der Marshal vom Schreibtischstuhl, packte den Outlaw an der Schulter und fragte rauh:

»Woher weißt du, daß John Clum ermordet worden ist, Bandit?«

»Sie selbst haben es uns doch vorhin oben in der Fremontstreet gesagt!«

»Stimmt nicht, Bursche! Ich habe gesagt, daß wir einen Toten gefunden haben. Von John Clum war nicht die Rede!«

»Sie müssen sich irren, Marshal!«

»Nein, Junge, ich irre mich nicht. Und jetzt hätte ich gerne von dir gewußt, wo ihr die schönen neuen Bucks geschenkt bekommen habt.«

»Die… sind von unserer Ranch.«

»Ach, und wo steht diese Bank?«

»Ranch sagte ich!«

»Ach, Ranch sagtest du?« Wyatt packte ihn an den Revers seiner Jacke und zog ihn dicht zu sich heran.

»Es wäre besser für dich, Boy, wenn du mir sagen würdest, wo ihr die Bucks geholt habt. Wenn ich es selbst herausfinden muß, gebe ich dir nachher die Quittung. Und du kannst dich darauf verlassen, daß ich es in einer Dreiviertelstunde weiß. Wir haben nur drei Banken in der Stadt. Und die wenigen Privatleute, die so viel Geld sauber gestapelt daheim liegen haben, die kenne ich.«

Da stieß Dundee heiser durch die Zähne:

»Es hat doch keinen Zweck mehr, gib es doch auf, Kid. Sag ihm doch, daß…«

Da trat McAllister nach seinem Partner, und zwar so derb, daß der aufschrie vor Schmerz.

»Was soll ich ihm sagen?«

»Daß wir… das Geld… in…«

Ein zweiter Tritt traf das Schienbein Dundees – und im gleichen Augenblick wurde McAllister von einer fürchterlichen Ohrfeige umgeworfen.

Luke Short hatte sie ihm versetzt.

»Es tut mir leid, Marshal«, meinte der Riese. »Ich weiß, ich hätte es nicht tun sollen, und es geht mich ja auch nichts an. Aber dieser dreckige Strolch hält uns doch nur auf!«

»Stimmt genau. Und die Ohrfeige war berechtigt. – Wie heißt du?« fragte der Missourier, wobei er sich wieder an McAllister wandte.

»Jerry Putkin.«

»Und der da?«

»Alec Immelman.«

»Zwei hübsche Namen. Mit Jerry Putkin habe ich in Shawnee einmal ein Rodeo geritten. Und sein Vormann hieß Alec Immelman. Seltsam, wie sich die Menschen doch verändern! Der Rancher Putkin war ein großer Mann, und Immelman war fast noch größer.«

In rauhem Ton fuhr er fort:

»Wann hast du auf der Putkin-Ranch gearbeitet, Bandit?«

»Ich…?« stammelte der Outlaw, der sich durchschaut sah, verwirrt. Dann fing er sich rasch und erwiderte:

»Aber ich habe doch niemals da gearbeitet!«

»War es vor dem großen Brand?« blitzte Wyatt ihn an.

»Nein…«

»Also nachher. Das will ich dir auch geraten haben. Denn der Brand ist von einigen Schurken gelegt worden, die aus Arizona stammen. Das ist gewiß! Und einer wurde ja gefaßt, der die Namen der anderen nun endlich preisgegeben hat!«

»Nein!« stießen die beiden Tramps wie aus einem Mund hervor.

»Doch!« hieb der Missourier sofort nach. »Der Halun…« McAllister hielt inne, zu spät hatte er bemerkt, daß er sich verraten hatte.

Wyatt Earp nahm ihm und Dundee jetzt die Waffengurte weg, suchte sie nach weiteren Waffen und nach Muniton ab und ließ sie dann einsperren.

Da wurde vorn die Tür geöffnet.

Zur namenlosen Verwunderung der drei Freunde stand Jonny Behan in ihrem Rahmen.

Der wankelmütige und charakterschwache Mann, der damals nur durch dunkle Machenschaften den Posten eines Hilfssheriffs von Tombstone erlangte, sah den Marshal unsicher an.

»Es ist wieder geschossen worden…«

»Das ist schon eine ganze Weile her«, entgegnete der Marshal brüsk. »Was wollen Sie?«

»Auf wen haben Sie geschossen, Earp?«

Die Augen des Marshals verdunkelten sich.

»Hören Sie, Behan! Sie sind einmal vorübergehend Hilfssheriff gewesen und dann abgesetzt worden. Doch selbst wenn Sie rechtmäßig wieder eingesetzt worden wären, hätten Sie keine Berechtigung, mir gegenüber einen derartigen Ton anzuschlagen. Sie stecken den ganzen Tag in Ihrem Käfig und verlassen ihn nur, wenn Sie von irgend jemandem hochgescheucht werden. Das gibt Ihnen keinerlei Recht, andere Leute ins Verhör zu nehmen. Ich habe Sie gewarnt: Kommen Sie mir nicht in die Quere! Und jetzt verschwinden Sie!«

»Wyatt Earp, ich habe…«, stotterte Behan, brach aber jäh ab.

Luke Short hatte neben der Tür gestanden, streckte jetzt seinen Arm aus und zog den schmächtigen Mann mit dem Zeigefinger zu sich heran.

»Der Marshal hat gesagt, Sie sollen verschwinden. Wenn Sie schlecht hören, empfehle ich Ihnen eine tägliche Ohrenwäsche. Wünschen Sie sich nur nicht, daß ich die vornehme. Und nun farewell!«

Er stieß den Mann so derb hinaus, daß er draußen auf dem Vorbau hinstürzte.

Jonny Behan lag, mühsam auf die Ellenbogen gestützt, auf den Vorbaudielen und stierte blöde ins Office.

Luke Short rief ihm zu:

»Sie haben etwas vergessen, Behan: schließen Sie die Tür!«

»Das ist der Gipfel«, zeterte der Hilfssheriff.

»Ich warte genau zwei Sekunden, wenn die Tür dann noch nicht geschlossen ist, gibt’s Ärger.«

Da es Jonny Behan an nichts mehr als an Mut fehlte, zog er vor, die Tür rasch zu schließen.

Der Texaner blickte den Marshal an:

»Vielleicht hätte ich das auch nicht tun sollen, Mr. Earp, aber ich finde, daß dieser Strolch sich zuviel herausnimmt.«

»Ich will Ihnen keinen Vorwurf machen, Luke«, entgegnete der Marshal. »Aber vielleicht ist es besser, wenn wir uns mit diesem Mann nicht wieder anlegen, denn er wirft uns hier nur Steine in den Weg. Und er ist ja ein unbedeutender Schwächling. Auf der anderen Seite ist es richtig, daß man sich von diesem marklosen Burschen nicht alles gefallen lassen darf. Er ist natürlich von irgend jemandem geschickt worden, denn von selbst wäre er nie gekommen.«

»Wer hier hat denn schon wieder so viel Macht, daß er all die kleinen Leute durchs Gelände schicken kann?« brummte der Goliath aus Texas.

Diese Frage wurde nicht beantwortet, weil die drei Männer die Antwort darauf kannten. Es gab nur einen Mann in der Stadt, der diese Macht haben konnte: Ike Clanton!

Immer und immer wieder wurde Wyatt auf diesen Mann gestoßen, ohne ihn jedoch greifen zu können.

Es wäre Wahnsinn gewesen, einen Ike Clanton auf bloßen Verdacht hin festzunehmen. Man hätte die ganze Stadt, ja, das ganze County gegen sich gehabt. Und seine Freunde hätten das Jail für ihn auseinandergerissen.

Diesen Mann mußte man auf frischer Tat stellen. Ein Verdacht, der nicht einmal auf festen Füßen stand, genügte da nicht.

*

John Clum war nicht tot! Aber die beiden Dodger hatten sich entschlossen, die Stadt wissen zu lassen, daß er getötet worden sei. Oft schon hatten sie erlebt, daß der Mörder durch den Tod seines Opfers eine besondere Sicherheit verspürte und sich gerade dadurch verriet.

Wer hatte auf John Clum geschossen? Wer hatte den Galgen vor seine Tür gestellt?

Da kam zunächst Kirk McLowery in Frage. Als Wyatt ihn aus dem Office herausgelassen hatte, konnte er sich direkt zum Zeitungshaus begeben haben, oder aber er hatte den alten Herrn auf dem Weg zu Millers Bar zufällig getroffen und seine Wut auf den Marshal an Clum kühlen wollen.

Die ganze Stadt wußte, daß John Clum Wyatt Earps Freund war.

Auch Cass Claiborne kam für den Überfall in Frage. Als er von Holliday in der Bar gestellt worden war, hatten seine Augen vor Zorn gefunkelt. Ebenso gut wie McLowery konnte er der Täter sein.

Aber da gab es noch andere Männer. Zum Beispiel James Curly Bill, einen der Flanagans oder sonst irgendeinen von McLowerys Leuten.

Hatte der Steuereinnehmer Elliot wirklich die Stadt verlassen, nachdem der Marshal ihn von McLowery befreit hatte? Was war das für ein Mensch, dieser Jim Elliot? Was hatte er wirklich mit McLowery zu tun? War er tatsächlich der Gefangene des Cowboys gewesen? McLowery hatte behauptet, daß Elliot ein alter Bekannter von ihm gewesen sei, der früher lange Zeit auf der McLowery Ranch im San Pedro Valley gearbeitet hatte. Der Marshal hielt diese Erklärung nicht unbedingt für eine Lüge. Sie sagte natürlich nichts über die jetzige Bekanntschaft der beiden Männer aus. Es war schließlich nicht ausgeschlossen, daß McLowery den Tucsoner Steuereinnehmer zu erpressen versuchte. Über den Grund dafür war sich der Marshal zwar noch nicht klar, aber wenn es wirklich eine neue Clanton-Bande gab, dann würde sie jeden Mann, der irgendwie Bedeutung hatte, für sich zu gewinnen versuchen. Und ein Steuereinnehmer hatte schon Bedeutung, und sei es nur durch das Geld, das er ständig einnahm.

Aber der Marshal glaubte nicht ernstlich daran, daß dieser Jim Elliot etwas mit dem Überfall auf John Clum zu tun gehabt haben könnte.

Nachdem Wyatt diese Überlegungen seinen Freunden mitgeteilt hatte, meinte der Texaner:

»Ich werde Elliot nachreiten. Sicher ist sicher. Sie, Earp, bleiben ja jetzt im Office!«

Und davon ließ er sich auch nicht abhalten.

Als der Hufschlag seines Pferdes verklungen war, zündete sich Holliday eine Zigarette an und lehnte sich abwartend in der für ihn typischen Manier gegen die Wand zwischen Tür und Fenster.

Wyatt stützte den Kopf nachdenklich in die Hände.

»Das fängt hier wirklich gut an. Ich werde das Gefühl nicht los, daß wir hierhergelockt worden sind, und nun, nachdem es mit einem zweiten Match im O.K. Corral nichts wurde, versucht man uns auf andere Art möglichst schnell auszuschalten. Ich wette, daß es morgen heißt, ich selbst hätte John Clum getötet.«

»Weshalb sollten Sie ihn wohl getötet haben? Er ist Ihr Freund. Jeder in der Stadt weiß das.«

»Unsere Gegner werden schon einen Grund dafür finden.«

Nach einer Weile stand Wyatt auf:

»Ich gäb’ was dafür, wenn ich wüßte, wo er jetzt ist.«

Holliday blickte den Freund fragend an:

»Ike?«

Wyatt nickte.

Der Spieler zog die Schultern hoch und ließ sie langsam wieder fallen.

»Mir würde es schon genügen, wenn ich wüßte, wo Kirk McLowery jetzt steckt!«

Wyatt ging zur Tür.

»Ich werde jetzt die drei Bankhäuser aufsuchen, um festzustellen, wo die beiden Halunken das Geld gestohlen haben.«

»All right.«

Als der Marshal gegangen war, stieß der Spieler seine Zigarette im Aschenbecher aus und löschte die Lampe. Im Dunkeln wachte es sich besser hier in diesem gefährlichen Office. Man saß überall in diesem Tombstone wie auf einem Pulverfaß.

Wyatt kam schon nach wenigen Minuten zurück.

»In der Bank of Tombstone ist eine Scheibe eingedrückt worden«, berichtet er, zündete die Lampe wieder an und legte das seifenbeschmierte Wolltuch mit den Scherbenstücken vor Holliday auf den Tisch.

Der Gambler lächelte. »Ganz raffiniert. Hätte ich den beiden Cowpunchern gar nicht zugetraut. Dann haben sie Between aber ganz schön ausgenommen.«

»Between«, wiederholte Wyatt überlegend. »Saß der früher nicht häufig im Oriental Saloon?«

»Schon, aber da ist jetzt längst Feierabend.«

»Aber er ist nicht daheim.«

»Wie kommen Sie darauf?«

»Weil ich mehrmals die Klingel gezogen habe, ohne daß sich jemand gemeldet hat.«

»Vielleicht steckt er noch bei Tante Mae, die alte Betrügerin hat doch oft bis zum frühen Morgen Gäste in ihrer Spelunke.

Der Marshal machte sich wieder auf den Weg.

Weit hinter den Miner Camps lag im Hinterhof eines Beerdigungsunternehmens ›Tante Maes‹ Bar. Es war nicht eben eine verrufene Schenke, dazu fanden sich hier zuviel Leute ein, aber andererseits gab es auch niemanden, der gern hier gesehen worden wäre. Das lag vor allem daran, daß die Inhaberin der Bar zur Freude der männlichen Gäste drei hübsche junge Mädchen hinter der Theke stehen hatte.

Es fiel gar nicht auf, wenn die Bar noch spät in der Nacht geöffnet war, denn ihre Lage weit hinten im Hof verbarg sie vor den Augen der Leute auf der Straße.

Und außerdem war die Gegend hier so einsam und – wegen der nahegelegenen Miner Camps – nicht gerade sehr geeignet, um in den Nachtstunden Spaziergänge zu machen. Tante Mae lag also goldrichtig.

Der Marshal erreichte den Hof, überquerte ihn und sah hinter hohen Holzstapeln schon die drei rotverhangenen Fenster der Schenke.

Als er die Tür öffnete, blieb er verwundert stehen.

Die Theke war so dicht mit Männern umlagert, daß von den drei Grazien nichts zu sehen war.

Auch die Tische waren vollbesetzt.

Tante Maes Bar mußte doch eine ungeheure Anziehungskraft ausstrahlen!

Erschrocken blickten sich die Gäste um und sahen auf den Mann in der Tür.

Da watschelte auch schon die wohlbeleibte Eigentümerin der Schenke auf den Marshal zu.

»Hallo«, flötete sie, wischte mit der Linken eine Träne aus ihrem faltigen Hundegesicht und fuchtelte mit der Rechten, in der sie eine Zigarette hielt, durch die Luft.

»Welche Ehre! Wyatt Earp persönlich. Womit kann ich denn dienen, Marshal?«

»Ist Mr. Between hier?«

»Nein«, säuselte die Saloonerin.

Einige der Männer an der Theke hatten die Köpfe so tief eingezogen, daß Wyatt noch stehenblieb.

»Hallo, Mr. Pamperidge!« rief er einem dicken Burschen zu, der sich besonders viel Mühe gab, nicht von ihm gesehen zu werden. »Ich hoffe doch nicht, daß Sie Ihre Frau erwartet haben?«

Pamperidge, der Stadtschreiber, ein sehr heuchlerischer Mensch, der sehr prüde war und glaubte, auf die Moral anderer Leute peinlich achten zu müssen, wandte sich um und wischte sich sein schweißnasses Gesicht.

»Ich… ich… habe mir hier nur eine Flasche Whisky holen wollen, Marshal. Bei mir sitzen nämlich noch ein paar Freunde zu einer Geburtstagsfeier beisammen. Und anderwärts bekomme ich ja keinen Schnaps mehr um diese Zeit.«

Mrs. Mae drängte sich wieder vor den Marshal.

»Na, bitte, lieber Mr. Earp. Da sieht man wieder einmal, wie wichtig ich doch für die Stadt bin!« Sie ließ diesen Worten ein schrilles, girrendes Lachen folgen.

Wyatt wandte sich von der geschwätzigen Alten ab und verließ die Bar.

Den Rückweg nahm er durch die Miner Camps; es war der kürzeste Weg. Da sprang ihn plötzlich unter wütendem Gekläff ein großer Hund an.

Wyatt blieb stehen, stieß das geifernde Tier zurück, und als es doch wieder an ihm hochsprang, schlug er ihm so hart auf die Schnauze, daß es vor Schmerz aufbrüllte und zurückwich.

Aber der Hund gab nicht auf, wenn er auch zum direkten Angriff jetzt keinen Mut mehr hatte. In einem Abstand von einigen Yards blieb er stehen und jaulte steinerweichend weiter.

Da kamen andere Männer aus einer Hütte und stürmten auf den Marshal zu.

Einer nahm den Hund am Halsband und zerrte ihn mit sich vorwärts. »Faß, Bongo! Faß doch!« suchte er das sich sträubende Tier aufzuhetzen.

Der Missourier blickte den Männern entgegen. Da er sich nicht von der Stelle rührte, blieb der vorderste stehen.

»He, der Halunke wollte den Hund mitschleppen!«

»Packt ihn!« brüllte einer von hinten.

Da blitzte plötzlich in der Hand des vordersten Mannes ein Messer auf.

Im gleichen Augenblick hatte Wyatt seinen Revolver gezogen. Das knackende Geräusch, vom Spannen des Hahns verursacht, ließ die Männer innehalten.

»Der Dreckskerl hat gezogen!« schrie der Messerheld.

Wyatt blickte ihnen furchtlos entgegen. »Schafft den Hund in den Hof. Wenn ich noch einmal hier von dem Tier angefallen werde, muß ich es töten.«

»Wyatt Earp!« entfuhr es einem der Männer.

Verstört starrten sie auf den Marshal.

Der ließ den Revolver mit einem perfekten Handsalto ins Halfter gleiten und ging weiter, ohne sich auch nur ein einziges Mal nach den Leuten umzudrehen.

Es war tatsächlich gefährlich, nachts durch die Miner Camps zu gehen. Die Menschen, die da wohnten, waren mehr als unberechenbar, sie waren gefährlich.

Der Marshal hatte die Hüttenstadt verlassen und erreichte die ersten Häuser.

Rechts lag Rozy Gingers Casino!

Unten war alles dunkel. Nur der weißgekalkte Anbau reflektierte noch das Licht, das aus einem der Hofräume zu kommen schien.

Wyatt wäre sicher weitergegangen, wenn er nicht plötzlich durch das

halboffene Tor etwas gesehen hätte, das ihn aufhielt. Rechts an der Anbauwand lag ein langer vierkantiger Balken, daneben ein kurzes Balkenstück und eine schmale Schrägstrebe.

Drei Holzteile, die zusammengesetzt genau jenes Gerüst ergaben, mit dem eine Bande von Verbrechern seit einiger Zeit ihr makabres Unwesen trieb: einen Galgen!

Hatten sie nicht vor einigen Stunden oben in der Fremontstreet vor John Clums Haus bereits einen Galgen aufgestellt? Sollte jetzt hier ein zweiter errichtet werden?

Für wen?

Ohne noch lange zu überlegen, schlich sich der Marshal in den Hof, kroch unter die Plane eines großen sechsspriegeligen Prärieschooners (schwerer Transportwagen) und blickte durch die Planöffnung vorn auf die Rückfront des Hauses.

Unten links neben der Hoftür waren noch zwei Fenster erleuchtet. Der Missourier konnte um einen länglichen Tisch eine Reihe Männer sitzen sehen, deren Gesichter jedoch wegen des Vorhanges nicht zu erkennen waren.

Fast ein Dutzend Männer – die ganz sicher nicht im Casino der verrufenen Rozy Gingers wohnten!

Wo hatten sie ihre Pferde?

Wyatt wartete.

Er war nicht wegen der Versammlung da unten im Hinterzimmer der Schenke gekommen, sondern wegen der Galgenmänner, die ihre unheilvollen Requisiten offenbar wieder einmal bereitgelegt hatten.

Wem galt es jetzt? Etwa der rothaarigen Saloon-Inhaberin?

Wyatt kannte Rozy Gingers. Sie war eine bildhübsche Frau von etwa acht- oder neunundzwanzig Jahren. Sie stammte aus Santa Fé. Dort hatte ihr Vater eine gutgehende Spielhölle gehabt, bis er eines Tages von dem Falschspieler Jonny Lakman erschossen wurde. Seitdem ging es mit der Familie Ginger abwärts. Die Mutter wurde von einem Geschäftsführer um alles betrogen; sie verfiel dem Trunk. Und ihre sieben Kinder verkamen.

Rozy war damals siebzehn Jahre alt. Sie allein hielt sich verhältnismäßig gut, weil sie sich von der Familie kaltherzig absetzte, nach Dodge City zog und dort erst bei Chalk Beeson im berühmten Long Beach Saloon an der Theke aushalf; dann, als sie dort allein durch ihre Gegenwart viel Unheil unter den männlichen Gästen anrichtete, mußte sie wegziehen, und bald darauf tauchte sie hier unten in Tombstone auf, wo Tucker sie im Crystal Palace beschäftigte. Rozy stand jedoch nicht nur hinter der Theke, sie spielte auch – und das war verboten. Sie spielte gut und gewann. Eines Tages, kurz bevor Tucker sie wegen ihrer Spielerei und wegen der zahllosen Eifersüchteleien, die ihretwegen unter seinen Gästen entstanden waren, hinauswerfen wollte, ging sie freiwillig und kaufte dem alten kranken Boris Skadanoff das muffige Casino Moskwa ab. Sie ließ es renovieren – und es geschah, was niemand erwartet hätte: sie zog viele Gäste vom Crystal Palace in ihr ganz sicher nicht annähernd so elegantes Haus. Mit diesen Gästen kam auch das Gelichter. Und da sie existieren mußte, bewirtete sie alle. Als eines Tages Phin Clanton, Ikes Bruder, um ihre Hand anhielt, wurde sie sogar auch für die ›besseren‹ Tombstoner gesellschaftsfähig. Sie wies Phin übrigens ab, weil er ein Trinker war, aber seine Freunde blieben – als Rozys Gäste natürlich – und schadeten ihrem Ruf mehr als sonst irgend etwas. Denn sie vertrieben sehr bald die besseren Gäste wieder, die sie sich aus dem Crystal Palace als lebendiges Inventar gleich mitgebracht hatte. Mit ihnen ging der gute Verdienst in den Crystal Palace zurück, wo man unter sich war, unter Leuten mit Dollars. In Rozy Gingers Casino hingegen waren von da an nur noch zwielichtige Gestalten zu sehen.

Auch eine Reputation für eine Schenke.

Rozy existierte seitdem so leidlich dahin. Auch nach dem Sturz Ike Clantons durch Wyatt Earp im Oktober 81 blieben ihr die ›Stammgäste‹ treu. Drei davon waren bei dem blutigen Gefecht im O.K. Corral geblieben.

Sollten es die Galgenmänner auf diese Rozy Gingers abgesehen haben? Das war sehr unwahrscheinlich. Aber andererseits natürlich nicht ausgeschlossen. Vielleicht hatte sie der Bande Anlaß gegeben, sie auszulöschen.

Noch aber stand der Galgen ja nicht, noch lagen nur seine Bestandteile hier im Hof.

Die Banditen konnten ihn dort auch nur gelagert haben.

Wer aber legte die unverkennbaren Bestandteile eines Galgens in einen unverschlossenen Hof?

Sollte hier vielleicht das Camp der Tombstoner Galgenmänner sein? In diesem Fall hätten sie es aber doch nicht nötig gehabt, ihre Gerätschaften so offen herumliegen zu lassen. Schließlich gab es doch Scheunen, einen Anbau und mehrere Schuppen hier.

Wyatts Geduld wurde auf eine harte Probe gestellt. Bis gegen halb vier Uhr mußte er warten, dann wurde das Licht gelöscht, und die Männer verließen das Haus.

Leider hatte der vor einer Stunde noch sternklare Himmel sich mit Wolken überzogen, so daß der Marshal die Männer, die jetzt das Haus verließen, unmöglich erkennen konnte.

Wortlos verließen sie den Hof.

Die beiden letzten blieben wie unschlüssig hinterm Tor stehen, kehrten um, als die Schritte der anderen verhallt waren, und nahmen die drei Holzteile auf und trugen sie hinaus. Als sie auf der Straße waren, folgte ihnen der Marshal. Sie hielten sich links in einer Quergasse, mieden die Allenstreet und blieben zur Verwunderung ihres Verfolgers direkt hinterm Courthouse stehen. Hier setzten sie die Balken fast geräuschlos mit großen Schrauben zusammen, banden die Schlinge an und hoben das etwa acht Yard hohe Gerüst in ein breites fertiges Loch hinterm Gartenzaun.

Wyatt hatte die Vorgänge aus einer Entfernung von etwa zwanzig Schritt beobachten können.

Wer hatte das Loch für den Galgen ausgehoben?

Am Tage war es noch nicht dagewesen; denn Wyatt war kurz vor fünf Uhr noch hier bei Richter Gordon gewesen, der am späten Nachmittag aus Phoenix angekommen war.

Also mußte schon ein Mann vor den beiden hiergewesen sein.

Die Arbeit des Galgenmänner-Duos ging mit unheimlicher Ruhe und Schnelligkeit vor sich. Wie alles, was der Marshal bisher bei den Galgenmännern erlebt hatte, war auch sie von größter Planmäßigkeit.

Als der Galgen aufgerichtet war, zogen sich die beiden vom Gartenzaun zurück und kamen auf das Haus zu, in dessen dunkler Türnische der Marshal stand.

Sie müssen mich entdecken! fuhr es durch Wyatts Hirn. Ich bin gezwungen, mit ihnen zu kämpfen, und werde so nicht erfahren, für wen der Galgen gedacht war und wer den Überfall durchzuführen hat.

Der Missourier hatte in Sichtnähe aber keine bessere Möglichkeit gehabt, sich zu verbergen.

Noch waren die Banditen fünfzehn Yard von dem Haus entfernt. Wyatt griff hinter sich, tastete nach dem Türdrücker und drehte ohne allzuviel Hoffnung daran.

Zu seiner Freude gab die Tür nach.

Es hätte ihn eigentlich stutzig machen müssen, daß irgend jemand in dieser wilden Stadt nachts seine Haustür unverschlossen lassen konnte. Aber die brennende Situation ließ ihn nicht zu weiterem Überlegen kommen.

Er mußte handeln, huschte in den Hausflur hinein und hörte etwa anderthalb Yard vor sich die Stimme eines Mannes.

»Du bist allein, Between? Wo steckt Pilgram denn?«

Blitzartig hatte der Marshal seinen Schrecken überwunden und auch begriffen, was sich hier abspielte: Der Mann erwartete die beiden Banditen, die draußen den Galgen errichtet hatten.

»Pilgram kommt«, zischte Wyatt geistesgegenwärtig zurück.

Da wurde hinter ihm die Tür geöffnet, und die beiden Männer traten ein.

Wyatt wich sofort in den finsteren Türwinkel zurück.

Da hörte er das Knacken eines Revolverhahns.

»Wer ist der dritte Mann?« keuchte die Stimme des Fremden.

Der Marshal hatte sich tief an den Boden geduckt.

Totenstille herrschte in dem Korridor. Dann vernahm der Marshal zu seiner größten Verwunderung die Stimme des Bankiers Between.

»Der dritte Mann? Wir sind nur zu zweit, Hal.«

Wyatt hatte den Türwinkel verlassen und kauerte jetzt hinter Pilgram, der Between in den Korridor gefolgt war.

Da peitschte auch schon ein Revolverschuß los, dem drei weitere folgten. Raffiniert setzte der Bandit die Schüsse in einem mannshohen Strich in die Türecke, genau dorthin, wo Wyatt gerade noch gestanden hatte.

Die beiden anderen verharrten wie angenagelt auf ihren Plätzen.

»Zur Seite, Pilgram!« brüllte Hal.

Aber da hatte Wyatt sich schon aufgerichtet, packte Pilgram und stieß ihn nach vorn.

Der prallte gegen Between, und der riß Hal mit sich nieder.

Wyatt zog die Tür auf und stürmte hinaus. Er hatte kaum die Hausecke erreicht, als zwei Schüsse hinter ihm her krachten.

Gleich hinter der Ecke blieb er stehen.

Da kam der erste schon heran, ganz nahe bog er um die Ecke, wo ihn der Revolverlauf des Marshals auf den Hut traf und niederwarf.

»Pilgram!« röhrte die Stimme des Banditen durch die Nacht. Und dann kam er heran.

Wyatt griff blitzschnell nach ihm und riß ihn zu sich an die Wand. Mit der Linken stieß er ihm den Revolverlauf in die kurzen Rippen.

»Keinen Laut, Between!«

»Wyatt Earp!« entfuhr es dem Bankier leise. Mit angstgeweiteten Augen starrte der den Missourier an.

»Sie, Marshal?«

»Die Verwunderung ist ganz auf meiner Seite«, entgegnete der Marshal dumpf.

Der Bankier zitterte am ganzen Leib. »Wie kommen Sie denn hierher, Mr. Earp?«

»Glauben Sie nicht, daß ich eine größere Berechtigung zu dieser Frage hätte, Pilgram?«

»Nein…, das heißt doch…, ich meine…«

»Habt ihr ihn?« kam die Stimme des Banditen, den Between Hal genannt hatte, von der Tür her.

»Sagen Sie ja!« befahl Wyatt dem Banditen, wobei er ihm den Revolverlauf noch fester in die Rippen drückte.

»Das kann ich nicht, Marshal«, ächzte der Mann.

»Sagen Sie ja, sonst sterben Sie hier auf der Stelle!«

»Ja!« krächzte Between fast überlaut vor Schreck.

»Wo liegt der Kerl?«

»Hier!« diktierte der Marshal dicht am Ohr des Bankmannes.

»Hier!« wiederholte er mechanisch.

Dann kam der Hal heran. Aber er war vorsichtiger als die beiden anderen, lief nicht so dicht an der Hauswand vorbei und bog infolgedessen auch nicht so nahe um die Ecke.

Wyatt sprang ihn mit dem Revolver an, traf ihn nicht sicher, mußte einen zweiten Schlag ansetzen – und da fiel ihm Between in den Rücken.

Der Marshal hatte Hal jetzt betäubt und schleuderte Between mit einem harten Überwerfen krachend zu Boden.

In der Faust des Bankiers blitzte ein großes Messer.

Wyatt hielt ihm gelassen den Revolver entgegen und befahl:

»Stehen Sie auf!«

Keuchend erhob sich der Bankier und stand schlotternd da.

»Lassen Sie das Messer fallen!«

Die Stichwaffe entglitt der Hand des Verbrechers.

Wyatt stand jetzt ganz nah vor ihm.

»Auf wen hatten Sie es denn da drüben abgesehen?«

Der Bankier ächzte. »Ich…? Auf niemanden… Sie werden es nicht verstehen, Marshal. Ich wurde gezwungen…«

»Einen Galgen aufzustellen?«

»Ja.«

»Wer hat Sie gezwungen?«

»Diese Leute hier.«

»Sprechen Sie deutlicher, Mr. Between.«

Da hob der Bankier flehentlich die Hände.

»Sie wissen doch längst alles, Mr. Earp! Weshalb fragen Sie noch?«

Der Marshal stieß den Revolver ins Halfter zurück und sagte mit leiser aber drohender Stimme:

»Wen wollt ihr umbringen?«

»Ich weiß es nicht, Earp. Wir wissen es doch nie.«

»Ach? Einer hebt das Loch aus, zwei stellen den Galgen auf und den Rest besorgt ein drittes Kommando?«

Between ließ den Kopf sinken.

Unter halbgeschlossenen Lidern hervor beobachtete er, wie sich vor der weißen Adobewand hinter dem Marshal der Sattlergehilfe Ernest Pilgram langsam aufrichtete.

Jetzt riß Pilgram den rechten Arm mit einem blinkenden Bowieknife hoch, um einen tödlichen Stich in den Rücken des Marshals zu führen.

Aber mit dem Instinkt des geborenen Kämpfers und der Reaktion einer Pantherkatze wirbelte der Mann aus Dodge City herum und wuchtete dem Verbrecher einen hämmernden Faustschlag in die Magengrube.

Röchelnd knickte Ernst Pilgram in sich zusammen und rutschte an der Wand entlang auf die Erde.

Der Bankier war von der blitzartigen Aktion derart gefesselt, daß er gar nicht auf den Gedanken gekommen war, selbst einen neuen Angriff auf den Marshal zu riskieren. Jetzt aber, als er sich auf sein Messer stürzen wollte, sah er schon wieder den blinkenden Revolverlauf des Missouriers auf sich gerichtet.

»Der Boß hat recht«, entfuhr es ihm. »Sie sind wirklich nur mit Hinterlist zu überwinden!«

Diese Worte bereute der Mann sofort, denn durch sie hatte er sich endgültig verraten. Es wäre ja nicht ausgeschlossen gewesen, daß er durch irgendwelche Erpressermethoden gezwungen worden war, an den ›Arbeiten‹ der Galgenmänner mitzuwirken. Aber ein Mann, den man gezwungen hatte, so zu handeln, sprach von einem Bandenführer nicht als – Boß.

Between sah es zu spät ein.

Er stieß einen Fluch durch die Zähne und ballte die Fäuste.

»Was wollen Sie, Earp?« keuchte er. »Weshalb sind Sie hierher zurückgekommen? Hier kann Sie niemand brauchen. Hier in Tombstone entsteht etwas Neues, Großes.«

»Das merke ich. Und wie Sie sehen, interessiere ich mich bereits dafür.«

»Weshalb versuchen Sie wieder, sich gegen eine Entwicklung zu stemmen, die Sie nicht aufhalten können?«

»Entwicklung nennen Sie das? Ich nenne es eine Bande von Verbrechern, Mr. Between, deren Mitglied Sie geworden sind. Sie, der ehrbare Inhaber der Bank of Tombstone.«

»Sie können ja nicht wissen, was mich gezwungen hat, dieser Vereinigung beizutreten.«

»So. Vereinigung nennen Sie es jetzt?«

Während er diese Worte sprach, hatte der Missourier plötzlich einen sonderbaren Gedanken: Hatte Ike Clanton früher nicht die Angewohnheit gehabt, immer wenigstens zwei Leute auf eine Arbeit anzusetzen? Das bedeutete also in diesem Fall zwei Männer für das Ausheben des Galgenlochs, zwei Männer für die Errichtung des Galgens, und schließlich zwei Männer, die die Aufgabe hatten, dem Menschen, dem der Galgen bestimmt war, das Lebenslicht auszublasen.

Wyatt hatte für die letzte Tätigkeit aber nur einen Mann entdecken können, diesen Hal.

Und es blieb die große Frage, ob denn Ike Clanton überhaupt etwas mit den Galgenmännern zu tun hatte.

In diesem Augenblick traf ein fürchterlicher Schlag den Schädel des Marshals und streckte ihn nieder. Im Sturz drehte er sich um seine eigene Achse und sah noch im Unterbewußtsein die breite Gestalt eines Mannes hinter sich. Und im Unterbewußtsein noch riß er den Colt aus dem Halfter, und ein brüllender Schuß fauchte los, der jedoch nur die linke Stirnkante des Banditen streifte.

Wyatt lag am Boden, sah und hörte nichts mehr.

Der Desperado, der ihn von hinten niedergeschlagen hatte, torkelte benommen gegen die Mauer und preßte beide Hände an den Schädel. Das Gewehr, mit dessen Kolben er den Marshal von hinten niedergeschlagen hatte, war ihm entglitten.

»Der ist erledigt«, keuchte er hechelnd.

Between stand steif vor Schreck da.

»Batko, weißt du, wen du da erschlagen hast?«

»Das ist mir einerlei!« krächzte der Bandit.

»Es ist Wyatt Earp!«

Der Desperado warf den Kopf hoch.

»Bist du verrückt!« Er stieß sich von der Wand ab und stand dann taumelnd vor dem am Boden liegenden Mann.

Pilgram und Hal Somers knieten am Boden, sie waren gerade wieder zu sich gekommen und starrten auf den reglosen Körper, der da vor ihnen lag.

Einen Moment herrschte bleierne Stille zwischen den vier Outlaws.

Dann brüllte der Halbindianer die drei anderen an:

»Was wollt ihr denn? Weshalb starrt ihr mich so an? Hätte ich es vielleicht nicht tun sollen?«

»Halt den Mund!« keuchte der Bankier und kniete neben dem Marshal nieder. »Allmächtiger. Jetzt geht in Tombstone die Hölle los. Doc Holliday wird jeden von uns finden und töten. Und Luke Short wird die ganze Stadt aus den Angeln heben!«

»Ruhe!« blecherte Hal Somers. »Wir schaffen ihn weg!«

»Wohin?« zischte der Mestize.

Somers sah sich um. »Da drüben – auf den Karren!«

Pilgram stieß einen Fluch aus.

»Der gehört Epsom. Ausgeschlossen!«

Somers baute sich drohend vor dem Sattler auf.

»Es ist mir einerlei, wem er gehört, verstehst du! Der Tote muß hier verschwinden. Niemand braucht zu erfahren, was hier geschehen ist. Wir haben den Marshal nicht ausgelöscht.«

»Und überhaupt«, fauchte der Mestize, »was wollt ihr denn. Wenn ich nicht zufällig Betweens Stimme gehört hätte, wäre ich gar nicht auf den Gedanken gekommen, mich hier heranzuschleichen. Was hat Between hier zu reden, dachte ich. Reden ist doch strengstens verboten! Nur darum kam ich her. Lautlos, wie ich es gewohnt bin. Äh, der Schuft hätte mich fast mit sich in die Hölle genommen…«

Er betastete die tiefe Schramme an seinem Kopf und preßte sein Halstuch dagegen.

»Vorwärts, auf den Karren mit ihm!« Hal Somers packte den Marshal unter den Achseln, die anderen faßten seine Beine, dann schleppten sie ihn hinüber zu dem Karren des Händlers Epsom, zurrten die Plane zu und schoben den Wagen die Gasse hinunter, wo Between rasch einen der beiden Sicherheitsposten als Kutscher auf den Bock des Wagens setzte.

Hal und Batko kehrten zurück zum Courthouse.

Da standen sie und starrten mit finsteren Gesichtern zu dem Galgen hinüber. Beide verspürten plötzlich ein seltsam mulmiges Gefühl in der Magengegend.

Sprechen durften sie nicht. Und dennoch zischte der Mestize…

»Der Teufel soll mich holen, aber das läuft schief!«

»Du sollst still sein!«

Sie gingen vorwärts auf das Haus zu, waren jetzt vor dem Zaun direkt unter dem Galgen und blickten zu einem der unteren Fenster hinüber, hinter dem das Schlafgemach Joseph Norman Gordons lag, des Richters, den Wyatt Earp nach Tombstone gerufen hatte.

*

Luke Short hatte den Steuereinnehmer von Tucson, dem er gefolgt war, aus den Augen verloren. Dafür aber hatte er einige Meilen vor der Stadt einen Mann eingeholt, der mit einem schweren Planwagen westwärts zog.

»Hat Sie ein Reiter überholt?«

»Ja, er sprach sogar mit mir. Es war Jim Elliot aus Tucson. Ich kenne ihn von früher her, als er noch Cowboy im San Pedro Valley war.«

»Und?«

»Was und?« meinte der Mann. Dann im Jammerton fortfahrend: »Ich bin auf dem Wege nach Mescal. Der Teufel soll die staubige Strecke holen. Da muß ich schon immer vor den Hühnern auf sein, denn wenn erst die Sonne kommt, ist es aus.«

»Ist er weitergeritten?« forschte der Texaner, ohne eigentlich zu wissen, weshalb er diese Frage stellte, denn es war doch wohl eine Selbstverständlichkeit, daß Elliot weitergeritten war.

Zu Lukes grenzenloser Verblüffung entgegnete der Alte:

»Nein, eben nicht. Er hatte etwas vergessen, wie er sagte, und ist zurückgeritten.«

Der Texaner hielt sein Pferd an.

»Zurückgeritten?«

»Ja, er hatte es ziemlich eilig; mag der Kuckuck wissen, was er vergessen hat. Hoffentlich wird es heute nicht wieder so heiß, denn sonst muß ich…«

Luke hörte nicht mehr, was der Trader sonst mußte. Er sprengte in gestrecktem Galopp zur Stadt zurück.

Bis oben in die Hänge hinter dem Graveyard hörte er den Schuß. Er hielt seinen Rappen an und lauschte dem Geräusch nach.

»Der Marshal!« flüsterte er vor sich hin. »Ich will einen Besen fressen, wenn das nicht seine Kanone war!«

Hart legte er die Schenkel um den Leib des Hengstes und jagte rechts die Bogengasse hinunter, dem Gelände entgegen, auf dem das Courthouse stand.

Als er es erreichte, war niemand zu sehen.

Er wollte schon weiterreiten, als er plötzlich den Galgen entdeckte.

Und dann glaubte er auch Schritte aus der Winkelstreet zu vernehmen.

Rasch drängte er sein Pferd hinter die Ecke des Courthouses und kroch hinterm Zaun entlang zu dem Galgen zurück.

Keinen Augenblick zu früh gelangte er hinter dem nicht einmal sonderlich dichten Gesträuch an.

Die beiden Männer, die sich jetzt dem Gerichtshaus näherten, waren Hal Somers und der Mestize Batko.

Luke Short kannte nur den Mestizen. Er lauschte angestrengt, aber was die beiden redeten, als sie die Platzmitte erreicht hatten, konnte er nicht verstehen.

Der Mann am Boden sah genau, daß sie den Galgen anstarrten.

Dann kamen sie heran, und Somers setzte über den Zaun. Fast hätte er die Stiefel des Texaners berührt.

Batko sah sich noch einmal sichernd nach allen Seiten um.

Plötzlich wieherte in der Nähe ein Pferd. Es war der Rappe des Texaners, dem es hinter der Hausecke wohl nicht recht geheuer war. Er kam langsam hervorgetrottet.

Batko kauerte sich sofort tief an den Boden.

Somers hatte sich herumgeworfen.

Jetzt hätte er den Mann mit dem hellen Hut am Boden vor dem Gesträuch sehen müssen.

Aber er starrte wie Batko auf das reiterlose Pferd.

»Was hat das zu bedeuten?« zischelte der Mestize.

»Keine Ahnung. Außerdem sollst du den Rand halten, Mensch!«

Batko erhob sich.

»Laß mich zufrieden. Ich habe dir gesagt, heute geht etwas schief!«

In dieser Sekunde war Hals Blick von dem hellen Weiß des Hutes angezogen worden.

Da aber flog der Texaner auch schon hoch, fegte ihn mit einem linken Haken nieder, warf sich herum und jumpte in hohem Bogen über den Zaun, dem Mestizen hinterher, der mit weiten Sätzen zu entkommen trachtete.

Aber da hatte er sich in dem Mann aus Texas verrechnet. Der Herkules war ein sehr schneller Sprinter und holte ihn rasch sein.

Batko warf sich urplötzlich zu Boden, wirbelte herum und riß ein Messer aus dem Gurt.

Schon aber nagelte der Stiefel des Texaners seine Hand mit der Klinge am Boden fest.

»Komm, Junge, laß den Zahnstocher fallen.«

Der Mestize hatte noch nicht begriffen, wem er da in die Arme gerannt war. Seine Linke zuckte zum Stiefelschacht und zerrte einen Derringer heraus, einen kleinen zweischüssigen Revolver.

Aber der Mestize hatte die Waffe noch nicht angehoben, als ein Fußtritt Lukes sie ihm aus der Hand stieß.

»So, Rothaut, ich rate dir jetzt, keine Spielzeuge mehr hervorzuzaubern, weil es sonst Zunder gibt!«

Er packte die beiden Galgenmänner und schob sie vor sich her zur Allenstreet, hinauf ins Marshals Office.

Holliday kam ihm aus dem Jail entgegen, wo er einen Gefangenen zur Ruhe gebracht hatte, der wie ein Wilder lamentiert hatte.

»Wo ist der Marshal?« forschte der Hüne.

»Er wollte zu Maes Bar. Er sucht Between.«

»Haben Sie den Schuß vorhin gehört?«

»Nein. Ich mußte mich leider eine ganze Zeit mit einem von der Einquartierung hier herumschlagen.«

»Ich wette, daß ich Wyatts Revolver gehört habe.«

Der Tex schob sich seinen Hut ins Genick, nahm dann das Schlüsselbund und brachte Hal Somers und den Mestizen Batko in die letzte Zelle. Anschließend stand er nachdenklich im Office am Gewehrschrank und nagte an seiner Unterlippe.

Holliday nahm seinen Hut und ging zur Tür.

»Ich werde nach ihm sehen«, sagte er nur, dann ging er hinaus. Er schlenderte durch die Allenstreet und bog dann ab, hinunter zu den Miner Camps. Als er durch die Straße kam, in der Wyatt Earp von dem Hund angefallen worden war, standen die Männer noch vor der Hütte.

»He, was will der denn hier?« knurrte einer von ihnen.

Holliday ging weiter.

Da hob ein anderer einen Stein auf und schleuderte ihn dem Spieler nach, verfehlte ihn jedoch.

Der Gambler wirbelte herum, in jeder Faust einen Revolver.

Die Männer sahen die Waffen und brüllten auf vor Wut.

»Macht ihn fertig, den Kerl!«

Da spannte der Gambler die Hähne seiner Sixguns.

»Es ist Doc Holliday«, knurrte einer der Miner. »Hätte man sich doch denken können: Wo der Marshal auftaucht, ist der Doc nicht weit.«

Holliday ging auf die Männer zu, schob die Waffen in die Halfter und fragte:

»Der Marshal ist hiergewesen?«

»Ja«, entgegnete einer der Männer. »Er kam hier vorbei.«

Also war er durch die Miner Camps gegangen, überlegte der Spieler, wandte sich um und ging weiter.

Die Männer dachten nicht daran ihn weiter zu belästigen. Schließlich wußten sie ja, mit wem sie es da zu tun hatten. Es gab niemanden unter ihnen, der sich gern mit dem gefürchteten Mann abgegeben hätte.

*

Als der Georgier den Hof zu Maes Bar betrat, war drüben immer noch Licht hinter den Fenstern.

Aber die Tür war verschlossen. Holliday klopfte an eines der Fenster.

Der rote Vorhang wurde zurückgeschoben, und es erschien das Gesicht der Hausbesitzerin.

»Wer ist da?« krächzte sie.

»Holliday«, entgegnete der Spieler.

»Doc Holliday?« girrte der Alte. »Warten Sie, ich öffne!«

Sehr rasch wurde jetzt die Haustür geöffnet. Lona Mae führte Holliday in den Schankraum.

Der Spieler fand das gleiche Bild vor, das auch der Marshal schon so verblüfft hatte.

»Wyatt Earp war hier?« fragte er.

Die Wirtin nickte. »Ja. Leider ging er sofort wieder.«

»Wie lange ist das her?«

»Das ist schwer zu sagen. Eine Dreiviertelstunde vielleicht. Mit Sicherheit weiß ich es nicht. Ich müßte die Gäste fragen…«

Grußlos verließ der Spieler die Bar. Zehn Minuten später stand er vor dem Courthouse und sah den Galgen, von dem ihm der Texaner berichtet hatte.

Würde mich sehr wundern, wenn Wyatt Earp nicht auch hier vorbeigekommen ist, überlegte Holliday. Aber da der Texaner schon mit den Männern aufgeräumt hatte, die offenbar einen Angriff auf Richter Gordon geplant hatten, war hier wohl nicht mehr viel festzustellen. Und um irgendwelche Spuren oder Fußabdrücke erkennen zu können, war es noch zu dunkel.

Holliday ging ins Office zurück und berichtete.

»Irgend etwas stimmt da nicht«, meinte der Texaner.

Schweigend blieb der Georgier zwischen Tür und Fenster stehen, zündete sich eine Zigarette an und blickte düster vor sich hin.

Auch er hatte das gleiche Gefühl wie der Texaner, aber er sprach es nicht aus.

*

Langsam rumpelte der Karren aus der Stadt.

Als der Missourier zu sich kam, lag er geknebelt und mit einer Augenbinde auf den knarrenden Planken, wurde hin und her gestoßen und immer wieder hart durchgerüttelt und hörte das knirschende Mahlen der Räder im harten Sand der Savanne. Rasch kam ihm die Erinnerung zurück. Er war also aus der Stadt verschleppt worden!

Wohin brachten sie ihn?

Wie lange fuhren sie schon? Und in welche Richtung rollte das Gefährt?

Wyatt verspürte einen dumpfen Schmerz im Hinterkopf. Das Liegen auf dem rumpelnden Karren war ein Martyrium.

Die Kühle, die ihn umgab, sagte ihm, daß es noch früher Morgen sein mußte. Aber nach einiger Zeit glaubte er, durch die dicke Binde hindurch, die man über seine Augen gebunden hatte, einen Lichtschein wahrnehmen zu können.

Stunde um Stunde verrann. Der Wagen rollte rumpelnd, knarrend und stoßend durch die Savanne.

An dem hellerwerdenden Licht glaubte der Marshal feststellen zu können, daß die Sonne von der linken Seite auf den Wagen fiel, woraus er schloß, daß der Schooner nach Süden fuhr.

Der Wagen wurde von zwei Pferden gezogen, die einen nicht zu schnellen Schritt einhielten.

Einen menschlichen Laut hatte er bisher nicht vernommen.

Der Driver, der auf dem Kutschbock saß, mußte ein schweigsamer Bursche sein, denn er hatte bisher nicht den geringsten Laut von sich gegeben. Ja, es war fast so, als ob der Wagen ohne Kutscher durch die Savanne rollte.

Ein Geisterfahrzeug! Wo sollte die Fahrt hinführen? Hatten die Banditen angenommen, daß sie einen Toten aus der Stadt wegschleppten? Immerhin mußte er doch in tiefster Betäubung gelegen haben, als sie ihn auf den Wagen brachten! Weshalb hatten sie ihn dann gefesselt?

Nur noch dumpf erinnerte er sich an den Mann, der ihn niedergeschlagen hatte. Es war ein kräftig gebauter, untersetzter Mensch, dem langes, strähniges Haar unter dem hohen Hut hervorsah. Eine Erscheinung, wie man sie öfter hier in diesen Gegenden sah, wahrscheinlich ein Mestize.

Das schlimmste für Wyatt war der Gedanke, daß er den Anschlag auf Richter Gordon nun doch nicht hatte vereiteln können. Im allerletzten Augenblick war es einem von der Bande, der sich noch in der Nähe befunden haben mußte, gelungen, ihn von hinten zu überfallen. Genau in dem Augenblick, in dem ihm die Überlegung gekommen war, daß Ike Clanton immer zwei Leute auf jeden Posten setzte. Es schien auch hier tatsächlich so gewesen zu sein, daß für jeden Arbeitsgang immer zwei Männer dagewesen waren. Und der Mann, der zu Hal gehörte, war ihm in den Rücken gefallen.

Auch an den Schuß erinnerte er sich jetzt, den er auf den Mann abgegeben hatte. Ja, er sah auch noch das Bild vor sich, wie der Getroffene benommen zurücktaumelte. Die Hoffnung, der Schuß könnte gehört worden sein, war nur gering, denn zu weit war das Courthouse von dem Marshals-Office, wo Doc Holliday wartete, entfernt. Daß ihn natürlich andere Leute gehört hatten, war klar, aber das half ja nichts. Doc Holliday allein hätte helfen können. Aber er konnte den Schuß kaum gehört haben.

Qualvolle Stunden rannen dahin. Knirschend zog der schwere Schooner durch den Sand nach Süden.

Die Sonne stand fast schon im Zenit, als der Marshal plötzlich das Gefühl hatte, daß der Wagen von der Straße abbog und in eine andere Richtung gelenkt wurde, und zwar scharf westlich.

Der Weg war hier noch schlechter und führte über steinigen Grund, so daß das Gefährt ständig erschüttert wurde.

Die Schmerzen im Kopf steigerten sich bis an die Grenze der Unerträglichkeit.

Gnadenlos brannte die Sonne jetzt auf die Plane und erzeugte im Innern des Schooners eine wahre Bruthitze. Höchstwahrscheinlich hatten die Banditen die Planenschlitze vorn und hinten zugezogen, so daß der übliche dünne Luftstrom, der sonst durch die Wagen zog, hier nicht vorhanden war.

Wyatt hatte sich mit viel Mühe so gewälzt, daß er mit dem Gesicht gegen die rechte Planke lag, die nach unten zum Wagenboden eine dünne Ritze hatte, durch die ein wenig Luft eindrang.

Aber auch diese Luft war schon heiß geworden.

Auf einmal glaubte er, daß das Wagengeräusch dumpfer und härter geworden war und in einem Echo zurückfiel. Entweder fuhr der Schooner jetzt an Häusern vorbei oder aber an Felswänden.

Der Missourier nahm das letztere an, da die Geräusche einer Stadt doch sicher zu hören gewesen wären. Hier aber war es still, und das Wagengeräusch blieb gleichmäßig hart, auch im Echo, was also recht deutlich auf die Nähe von Felsen oder gar einer Felsschlucht hinwies.

Der Wagen bog ein paarmal nach links und dann wieder nach rechts ab. Dann verlor sich das Echo wieder; das Wagengeräusch war wie vorher.

Auf einmal hörte er Stimmen. Männer riefen einander über weite Abstände etwas zu, und der Marshal war davon überzeugt, daß er sich in der Nähe einer Ranch befinden mußte.

Hatten Sie ihn zu Ike Clanton gebracht?

Das war nicht anzunehmen, denn der Weg zur Clanton Ranch führte nicht über steinigen Grund, sondern durch Kakteenfelder. Außerdem lag die Ranch nicht so weit von der Stadt entfernt, daß man sie erst am Mittag erreicht hätte, wenn man schon so früh aufgebrochen war.

Aber wohin hatte man ihn geschleppt?

Er sollte noch eine ganze Weile darüber im unklaren bleiben.

Der Wagen blieb plötzlich mit einem harten Ruck stehen.

Vom Kutschbock sprang der Fahrer herunter, spie in den Staub und betrat stampfend den Vorbau, wo Wyatt das typische Geräusch – wenn ein verstaubter Hut am Geländer ausgeschlagen wurde – vernahm.

Dann hörte er, wie jemand »Sam!« rief.

Der Driver gab nur knurrend Antwort.

»Yeah.«

Es dauerte eine ganze Weile, bis wieder Schritte auf dem Vorbau waren.

Dann vernahm der Marshal die Stimme eines älteren Mannes.

Es war eine seltsame, hohle Stimme, die er irgendwo schon einmal gehört zu haben glaubte.

»Und weshalb kommst du mit dem Wagen?«

»Ja, weil… weil…«, entgegnete Sam, der dem älteren Mann gefolgt sein mußte, »es ließ sich nicht anders machen.«

»Was soll das heißen?«

»Nun ja – wir konnten ihn schließlich nicht in der Stadt liegenlassen.«

»Seit wann stehlen wir Wagen aus Tombstone?«

»Es ging nicht anders, Boß.«

Boß!

Ein Feuerfunke schoß durch das Hirn des Missouriers. Er hatte alle Schmerzen urplötzlich vergessen?

Da hörte er, wie Sam herumdruckste:

»Wir hatten Pech, Boß.«

»Pech?« krächzte der andere mit einer whiskyheiseren Stimme.

Wyatt überlegte wieder, wo er diese Stimme schon gehört hatte.

»Was soll das heißen? Los, mach den Mund auf, Mensch! Mit wem seid ihr zusammengeraten?«

»Mit ihm…«

Es war einen Augenblick still draußen vor dem Wagen.

»Mit ihm?« ganz leise hatte der Alte es gefragt, um dann laut fortzufahren: »Willst du vielleicht damit andeuten, daß ihr Idioten mit dem Marshal zusammengeraten seid?«

Sam mußte wohl genickt haben.

»Mit Wyatt Earp? Aber wie war das denn möglich? Ihr solltet doch nur euren Auftrag erledigen.«

»Er – ist in unsere Hände gefallen. Wir haben ihn niedergeschlagen.«

»Ganz niedergeschlagen? Weiter, Mensch, laß dir doch nicht jedes Wort aus der Nase ziehen! Wer war es?«

»Batko. Er hat ihn mit dem Gewehrkolben erwischt.«

Da schien der Alte nach dem Driver zu greifen. Man hörte ein lautes Atemgeräusch. »Erwischt? Rede deutlicher, Kerl! Habt ihr ihn getötet?«

»Ich weiß nicht, Boß«, verteidigte der Driver sich da. »Es war Batko. Mit dem Gewehrkolben hat er ihn von hinten niedergeschlagen.«

»Mit dem Gewehrkolben? Und von hinten? So. Und willst du mir etwa sagen, daß er tot ist?«

Wieder blieb es eine Weile still.

»Gib Antwort!« brüllte der Alte.

Der Driver machte einige Schritte zurück. Das Geräusch, das seine Stiefel dabei verursachten, drang deutlich in den Wagen.

»Er ist tot, ja, es ließ sich nicht vermeiden, Boß.«

»Ach? Weißt du was das bedeutet?«

»Natürlich. Deshalb haben wir ihn ja hergebracht.«

»Was?« krächzte der Alte schnarrend. »Hast du ihn da etwa auf dem Wagen?«

»Ja.«

Rasche Schritte näherten sich dem Schooner.

Die Plane wurde zurückgerissen. Licht fiel in das Innere des Wagens und brachte endlich, endlich einen kühlen Luftzug mit.

Wieder blieb es eine Weile still.

Dann war da wieder die Stimme des Alten.

»Weshalb habt ihr ihn gefesselt und geknebelt, wenn er doch tot ist?«

»Hal Somers meinte, wir müßten es bei dem da sicherheitshalber tun«, entgegnete Sam.

»Und warum hast du ihn hierhergebracht? Ihr müßt wahnsinnig gewesen sein! Doc Holliday ist in der Stadt. Er wird dir folgen, zusammen mit Luke Short! Alle miteinander seid ihr wahnsinnig, ihr Idioten!«

Dann war das klickende Geräusch eines gespannten Revolverhahns zu hören.

»Nicht doch, Boß«, stieß der Driver hervor.

»Ich sollte dich umbringen, du hirnloser Bursche. Wie konntest du es wagen, seine Leiche hier heraus zu transportieren?«

»Es ist doch die einzige Möglichkeit, Boß. Wir haben ihn sofort auf den Wagen geworfen und aus der Stadt geschafft.«

Also waren sie die ganze Zeit unterwegs gewesen, seit er niedergeschlagen worden war, überlegte Wyatt. Das bedeutete, daß sie sechs oder gar sieben Stunden gefahren waren. Nun besagte das noch nichts Sicheres über die Entfernung, denn es war sehr schwer festzustellen, wie viele Meilen der Wagen in dieser Zeit zurückgelegt haben konnte. Immerhin, da er sich nach Süden bewegt hatte, konnte man sich nicht allzuweit von den Blauen Bergen befinden, deren Kulisse oft bei klarem Wetter zum Greifen nahe hinter den Häusern von Tombstone stand.

Die Männer standen hinter dem Wagen und starrten ihn an.

Stellte er sich tot, so lief er Gefahr, irgendwo verscharrt zu werden. Zeigte er aber den Banditen, daß er noch lebte, war er in größter Gefahr, wirklich getötet zu werden.

In die fieberhafte Überlegung des Missouriers hinein drang die schnarrende Stimme des Alten:

»Los, schaff den Wagen drüben in die Scheune, damit ihn niemand auf dem Hof sieht!«

Der Marshal hörte, wie die beiden Pferde ausgespannt wurden, wie die Stranghölzer in den Sand fielen und wie die Tiere weggeführt wurden. Die Kettenenden vorn an der Deichsel klirrten eine Weile leise gegeneinander.

Es war Sam selbst, der die Tiere wegführte, und der Alte stand noch hinten am Wagen.

Nur einen Yard von dem Kopf des vermeintlichen Toten entfernt. Ein wenig angenehmer Gedanken, wenn es sich dieser Mensch nun einfallen ließ, sich davon zu überzeugen, ob der ihm angeschleppte tote Marshal Earp auch tatsächlich tot war? Wyatt hörte den rasselnden Atem des anderen jetzt näher. Und schon spürte er zu seinem Entsetzen eine Hand an seinem Hals, die weiter über seinen Jackenaufschlag zu seiner Brust tastete, wo der Marshalstern saß.

Wyatt glaubte nicht richtig zu spüren – und doch war es so. Der Mann nestelte ihm das Zeichen des Gesetzes von der Brust und nahm es hastig an sich.

Was der Dieb damit bezweckte, war dem Missourier absolut unklar.

Drüben wurde eine Stalltür zugeschlagen, und gleich darauf waren die Schritte des Drivers wieder zu hören.

Die Plane fiel zu und wurde verzurrt.

»Los, wir schieben den Karren in die Scheune.«

Sam zog und der andere schob. Der nicht sehr schwere Wagen rollte über einen Hofplatz in die Scheune. Dann blieb er mit einem Ruck stehen, wieder klirrten vorne die Deichselketten. Die Schritte der Männer entfernten sich, und ein schweres Scheunentor fiel donnernd zu.

Um den Mann auf dem Wagen

herschte Stille. Jedenfalls für eine Weile, denn dann war oben auf der Tenne das widerliche Fiepen von Mäusen zu hören, die den Scheunenbau in großer Zahl bevölkerten.

Verzweifelt überlegte Wyatt, wie er sich aus dieser Lage befreien könnte.

Wo befand er sich hier? Diese Frage beschäftigte ihn stark. Aber natürlich war der Gedanke an die Flucht vorherrschend.

Schon unterwegs während der Fahrt hatte er mehrfach versucht, sich von den Fesseln zu befreien, hatte aber sehr bald feststellen müssen, daß es nicht leicht war, die Stricke zu lockern. Ja, es schien sogar unmöglich zu sein. Aber jetzt, da der Wagen stand, sah das anders aus. Er lag ruhig und konnte sich viel mehr auf diese Tätigkeit konzentrieren. Nach und nach gelang es ihm tatsächlich, einen der Stricke soweit zu lockern, daß wenigstens der scharfe Schmerz in der Haut und im Handgelenk etwas nachließ. Das war immerhin schon ein Vorteil, denn mit so stark schmerzenden Handgelenken waren die Befreiungsversuche eine fürchterliche Qual. Jetzt aber, da er etwas Luft in der Fesselung hatte, konnte er versuchen, weiterhin die Knoten zusammenzuziehen, was ja eine Ausweitung der Schlingen bedeutete.

Aber nach einer halben Stunde mußte er sich zu seinem Schrecken eingestehen, daß es so nicht ging. Zu tief hatten sich die Riemen in seine Haut gegraben!

Er überlegte, ob es nicht vielleicht möglich wäre, sich von dem Wagen herunterzulassen.

Er zog die Füße an und schob sich mit den Absätzen vorwärts. Das war sehr schwer, da er nicht nur an Händen und Füßen, sondern auch an den Beinen gebunden war, was ihm ein Anziehen der Füße sehr erschwerte. Dennoch gelang es ihm nach geraumer Zeit, sich bis an das vordere Ende des Wagens zu bringen. Er hatte nicht die Absicht, hinten unter der Plane hindurchzurutschen und aus einer Höhe von wenigstens anderthalb Yard mit dem schmerzenden Kopf voran auf einen möglicherweise sehr harten Boden aufzuschlagen.

Er wollte vorn aus dem Wagen kommen, um über die Deichsel leichter auf den Boden zu gelangen. Es fragte sich, ob der Kutschbock durchgehende Rückenteile hatte oder aber unten frei war und ihm ein Durchrutschen bis zum Stiefelbrett ermöglichte, das er mit den Füßen abheben konnte, wenn er es unter dem Sitz hindurch erreichte.

Es gab so sehr viele Wagentypen, daß er nicht sicher war, sein unbequemes Gefängnis so verlassen zu können.

Zunächst hatte er Glück. Der Sitz hatte keine durchgehende Rückenlehne, und er konnte sich unter ihm hinweg gegen das Stiefelbrett schieben. Dieses Brett ließ sich auch hochdrücken, so daß er mit den Füßen schon über der Deichsel hing. Aber dann tastete er vergebens nach dem Holm, der dort nach vorn weisen mußte.

War die Deichsel etwa weggenommen worden? Und plötzlich fand er sie. Sie stand hoch. Der Driver hatte sie hochgeschoben, weil in der Scheune nicht genug Platz für eine ausgefahrene Deichsel war.

Er hatte also den ganzen Weg unter dem Kutschbock hindurch vergebens gemacht, denn von hier oben war es genauso tief zum Boden wie hinten vom Wagen.

Langsam, unendlich langsam schob er sich über die Deichselhalterung hinunter, krampfte sich hinten mit den Händen unter den Eisenbügeln des Stiefelbrettes fest und schwebte dann sekundenlang blind über dem Boden.

Er hatte keine Wahl: Er mußte sich loslassen, versuchte sich im Fall herumzuwerfen, damit er wenigstens seitlich auf den Boden kam.

Es war sehr viel tiefer, als er angenommen hatte.

Hart schlug er auf festgestampften Lehmboden auf.

Er lag wie leblos am Boden. Rasender Schmerz brannte in seinem Kopf. Dann raffte er alle Lebenskraft zusammen und bewegte sich wie eine Schlange vom Wagen weg in die für ihn unbekannte Umgebung.

Nur nicht hier liegenbleiben, wo man ihn sofort sehen konnte, wenn das Scheunentor geöffnet wurde! Er entschloß sich, sich weiter mit den Füßen vorwärtszuzerren. Natürlich hätte er auch versuchen können, sich rückwärts fortzubewegen, dann wäre er aber immer in Gefahr gewesen, mit dem Kopf gegen irgend etwas zu stoßen, das ihn gefährlich verletzen konnte. Mit den Füßen voran, die Hacken in den Boden gestemmt und mit dem Körper unter großen Anstrengungen sich vorwärtsbewegend, schob er sich Inch für Inch von dem Wagen weg.

Da stieß er plötzlich mit den Füßen gegen etwas Weiches. Er drehte sich auf die Seite, schob sich weiter vorwärts, bis er mit den Händen den Gegenstand ertasten konnte.

Es war ein mit Korn gefüllter Sack.

Weitere Säcke standen daneben.

Und plötzlich entdeckte der Marshal mit seinen Händen eine Lücke in den Säcken, in die er sich hineinschieben konnte.

Als er glaubte, tief genug zwischen den Säcken zu sein, um nicht gleich vom Tor aus gesehen zu werden, begann er mit den Versuchen, die Binde vom Gesicht zu schieben. Das war eine fast aussichtslose Mühe, denn die Banditen hatten ihm mehrere Tücher um das Gesicht gebunden und sie so geschickt verknotet, daß es ohne Hilfe der Hände einfach unmöglich zu sein schien, sich ihrer zu entledigen. Dennoch war es das wichtigste für ihn, die Augen freizubekommen. Jetzt wurde ihm mit bedrückender Deutlichkeit klar, daß es nichts Wichtigeres gab, als sehen zu können! Er richtete sich mit sehr viel Mühe halb auf und versuchte die Tücher von seinem Kopf zu streifen. Das aber war besonders schwer, da ihm der Schädel von dem Hieb entsetzlich schmerzte.

Aber er mußte die Binden von den Augen bekommen, denn es war fatal und gefährlich zugleich, blind in einem unbekannten Scheunenbau herumzukriechen. Er befand sich ja ständig in Gefahr, in irgendein Werkzeug zu rennen, beispielsweise in eine Forke oder eine Hacke oder, was noch bedeutend schlimmer war, in die Messer einer Häckselmühle.

Die Stirn schob er an einen der Säcke, drückte den Kopf immer wieder hoch und sank schweißgebadet vor Anstrengung und Schmerz zurück. Aber er gab nicht auf. Und endlich, nach einer ganzen Ewigkeit, rutschte die vorderste Binde über die Nase zum Mund.

Jetzt konnte er durch das zweite Tuch schon etwas erkennen. Links oben in der Scheune mußte eine Fensterluke sein, die Licht in den Raum fallen ließ.

Wyatt schob die Stirn immer wieder gegen den Getreidesack und versuchte auch dieses Tuch von seinem Gesicht herunterzubekommen. Aber das gelang ihm nicht.

Rasender Schmerz lähmte seine weiteren Anstrengungen. Er legte sich zurück auf den Boden und sog tief die Luft in die Lungen ein.

Der Marshal gab sich keinen Illusionen hin. Die Situation, in der er sich da befand, war höllisch. Er mußte auf dem schnellsten Wege, koste es was es wolle, hier herauskommen.

Es zeigte sich aber, daß der Wille allein nicht ausreichte. Der von Schmerz fast gelähmte Körper versagte dem eisenharten Mann den Dienst. Das Klopfen in der Hirnschale wurde von Minute zu Minute stärker und wuchs sich zum dröhnenden Gehämmer einer Kesselschmiede aus.

Wyatt versuchte ruhig zu atmen. Von den Indianern hatte er gelernt, daß der Atem alles bestimmt. Allmählich kehrte die Ruhe in ihn zurück, und das Hämmern des Schmerzes ließ etwas nach. Er richtete sich wieder auf, stemmte die Stirn jetzt hart gegen den Getreidesack, und mit einem harten Ruck gelang es ihm, die Binde bis zur Nasenspitze zu schieben. Ein weiterer harter Ruck beförderte sie bis zum Kinn hinunter. – Die Hautabschürfungen, die er sich dabei geholt hatte, scherten ihn nicht. Er konnte wieder sehen! Nur das war wichtig.

Völlig anders, als er sich die Scheune gedacht hatte, lag sie jetzt vor ihm.

Sie war sehr groß, und die Leiter, die zur Tenne hinaufführte, mündete in ein großes offenes Quadrat, aus dem Stroh und Heu herunterhingen. Vorn rechts vor den Säcken sah er den alten Planwagen, das Marterinstrument, auf dem er von Tombstone hierher befördert worden war. Nie würde er die Fahrt in diesem scheußlichen Karren vergessen.

Links oben in der Scheune war ein glasloses Fenster, durch das der grellblaue Himmel hereinsah.

Wyatt blickte sich um und entdeckte hinter den Säcken eine Häckselmaschine. Rechts hinter ihr lagen große Strohballen, und das war das Versteck, das er zunächst brauchte. Er zerrte sich aus den Säcken heraus, schob sich zu den Ballen hinüber, die höher waren als die Säcke und ihm fürs erste mehr Sicherheit boten.

Sein Blick hing an der Häckselmaschine.

Die Messer! Die Messer! Sofort schob er sich wieder zurück und brachte die Hände vorsichtig in halbaufgerichteter Position gegen eines des großen Strohschneidemesser.

Allmächtiger! Es gab nach, und das große Rad begann sich zu drehen.

Wyatt zuckte zurück. Er richtete sich etwas weiter auf, wobei ihm die Fußfesselung mörderisch zu schaffen machte. Wieder brachte er die Hände vorsichtig an eine der Schneiden.

Ganz behutsam bewegte er die Hände auf und ab, dabei mit den vorgestreckten, tastenden Fingern die Seiten der Klinge fühlend, um sich nicht an den Pulsadern eine lebensgefährliche Verletzung zuzufügen.

Millimeter um Millimeter drang der rasiermesserscharfe Stahl in die Stricke.

In diesem Augenblick, als er seiner Befreiung schon so nahe war, wurde vorn das Scheunentor geöffnet.

Wyatt zuckte zusammen und lauschte.

Er hörte die Schritte eines Mannes, der sich offenbar der Rückseite des Wagens näherte.

In weniger als zehn Sekunden würden sie seine Flucht entdeckt haben!

Wyatt schob die Arme mit den Stricken härter auf die Klinge und verspürte plötzlich einen ziehenden scharfen Stich im rechten Unterarm.

Er war bei einer Abwärtsbewegung mit dem Arm an das Messer geraten, das ihm eine Wunde gerissen hatte. Sicher wäre ihm das nicht passiert, wenn er nicht in so panischer Hast hätte handeln müssen.

Weiter schob er die Handgelenke über das Messer, und plötzlich sprang einer der Stricke auseinander.

Wyatt riß an der Fesselung, sie gab auch etwas nach, wollte sich aber nicht lösen.

Da hatte der Mann vorn den Wagen erreicht und blieb stehen.

Es war der Alte.

Er sah sich um, wischte sich übers Gesicht und ging wieder zur Tür zurück.

Er hatte sich noch einmal hierhergestohlen, um in sein Gesicht zu sehen! In das Gesicht des Toten. Der Mann, der da auf dem Wagen lag, war schließlich nicht irgendwer, es war der berühmte Marshal Earp!

Der Alte wandte sich plötzlich entschlossen um, ging auf den Wagen zu und riß die Plane auseinander.

Entgeistert starrte er auf die leere Ladefläche.

Wie gelähmt stand er da und brauchte eine volle Minute, um zu begreifen, was geschehen war.

Der Tote war geflüchtet!

Der Alte hatte seinen Mund weit offenstehen. Seine Augen schienen aus den Höhlen quellen zu wollen.

Plötzlich schob er den Unterkiefer vor und schrie gellend:

»Saaam!«

Jetzt erst wandte er sich um und lief auf schlotternden Beinen dem Tor entgegen, stieß es auf und rannte brüllend in den Hof hinaus.

»Sam…«

Wyatt hatte inzwischen verzweifelt versucht, seine Fesseln zu sprengen. Und endlich war es ihm auch gelungen, einen weiteren Strick durchzutrennen. Nun konnte er die Hände schon bewegen, brachte sie so weit auseinander, daß er sie nicht mehr an dem Messer in Gefahr brachte, und mit zwei, drei gewaltigen Rucken hatte er die letzten Strickstücke durchschnitten.

Sofort bückte er sich und knotete mit zitternden und blutüberströmten Händen die Fuß- und Beinfesseln auseinander. Auch das machte ihm sehr viel Mühe, da der Blutumlauf in seinen Händen solange unterbrochen war und ihm noch keine sichere Benutzung der Hände gestattete.

Endlich aber hatte er auch seine Füße frei und stand zitternd und aufrecht vor dem großen Messerrad der Strohschneidemaschine.

Er lauschte zum Scheunentor hinüber, das nicht ganz geschlossen war. Vom Hof her hörte er erregte Stimmen.

Rechts von ihm lagen die Strohballen. Sicher war er dort auch nicht, denn wenn die Männer die Scheune absuchten, und das taten sie bestimmt, würden sie ihn auch hier bald finden.

Aber Wyatt konnte es andererseits auch nicht riskieren, die Scheune zu verlassen, da er deren Umgebung und Lage nicht kannte. Möglicherweise stand sie völlig frei und war von allen Seiten einzusehen. Wenn er dann draußen auftauchte, schossen sie ihn ab wie einen Hasen.

Hinzu kam die Überlegung, daß er in den Besitz irgendeiner Waffe kommen mußte. Er hatte schon eine Hacke entdeckt, aber das war keine Waffe gegen Männer, die Revolver bei sich führten.

Vielleicht möchte man den Gedanken, der jetzt in ihm auftauchte, gefährlich nennen; aber bei tieferer Überlegung gab es auch diesmal nur eine Wahl: er mußte bleiben und versuchen, einen der Männer zu überwältigen, um in den Besitz eines Revolvers zu kommen.

Da wurde das Scheunentor aufgestoßen.

Wyatt hatte sich sofort niedergelassen und war hinter die Ballen gekrochen. Von hier aus robbte er an einem umgekippten Faß entlang tief am Boden dem Mittelraum der Scheune wieder entgegen.

Die Männer waren jetzt am Wagen.

Der Alte brüllte:

»Hier! Sieh es dir an! Wo ist er? Der Tote!«

Es war einen Augenblick still. Dann stotterte der Driver:

»Irgend jemand muß ihn weggeholt haben.«

»Du bist verrückt, Mensch! Weggeholt!«

»Ja, Sie werden doch nicht glauben, daß der Tote selbst…«

»Was soll ich nicht glauben? Ich bin sogar überzeugt davon!«

Der Driver preßte einen Fluch durch die Zähne und gab dann zu bedenken: »Und Jim Darridge? Kann er es nicht gewesen sein?«

»Jim?« fragte der Alte. »Was ist mit ihm?«

»Könnte er die Leiche nicht weggeschafft haben?«

»Weshalb?«

»Ich weiß es nicht, aber es hieß doch, daß er früher eine Zeitlang für Virgil Earp gearbeitet hätte?«

»Unsinn! Damit wollte er sich nur aufspielen.«

»Und wie steht es denn mit dem Neger?«

»Ach was, du suchst nur Ausflüchte. Der Kerl ist wahrscheinlich gar nicht tot gewesen und hat sich davongemacht!«

»Ausgeschlossen, Boß. Der Mann kann sich nicht ohne Hilfe von dem Wagen herunterbewegt haben.«

»Das werden wir gleich haben.« Der Alte rannte zum Tor und brüllte in den Hof: »Horace!«

Es dauerte eine ganze Weile, bis man die Stimme eines Negers hörte.

»Boß?«

»Komm sofort her!«

Man vernahm die Schritte eines Mannes, der sich dem Scheunentor näherte. Als er im offenen Tor erschien, keifte ihn der Alte an: »Bist du hier in der Scheune gewesen?«

Der Schwarze schüttelte den Kopf.

Scharf blickte ihn der Alte an.

»Rede, sonst schlage ich dir die Nase ein!«

Wyatt hatte sich inzwischen so weit vorwärtsbewegt, daß er das Ende des langen Jauchefasses erreicht hatte und in den Scheunenraum blicken konnte.

Hinter dem Wagen stand ein untersetzter vierschrötiger Bursche, offenbar der Driver. Und vorn am Tor stand der Alte, dessen Rücken der Marshal nur sehen konnte. Ihm gegenüber verharrte ein riesiger Neger.

Wyatt konnte das Gesicht des Schwarzen deutlich erkennen: in ihm stand namenlose Angst.

Hier schienen sie alle Angst vor dem ›Boß‹ zu haben!

Wer war dieser bärtige, stämmige Bursche, der hier den Ton angab?

Sollte er der Big Boß der Galgenmänner sein?

Da riß der Alte plötzlich eine Bullpeitsche von der Schulter und schlug damit auf den Schwarzen ein.

Der wich zurück.

»Ich bin nicht hiergewesen, Boß!« kam es trotzig über seine aufgeworfenen Lippen.

Wieder fraß sich das fingerdicke Leder der Peitsche in seinen nackten Oberkörper.

Über die Mißhandlungen knirschte Earp vor Zorn mit den Zähnen, ohne jedoch eingreifen zu können.

Der Schwarze blieb stehen. In seinen Augen war jetzt ein dunkles Flimmern zu sehen.

»Ich weiß nicht, was Sie wollen, Boß, aber ich bin nicht hier in der Scheune gewesen.«

»Einerlei, verdient hast du Schläge immer. Verschwinde!«

Als der Neger gegangen war, wandte sich der Alte um.

Als Wyatt in sein Gesicht sah, wußte er plötzlich, woher er diesen Mann kannte.

Es war Oswald Shibell, der Bruder des County Sheriffs vom Pima County!

Die Überraschung, die der Marshal beim Anblick dieses Mannes empfand, war kaum größer als die Verblüffung Shibells beim Anblick des leeren Wagens.

»Suchen!« brüllte Shibell plötzlich. »Mensch, Sam, was stehst du hier herum! Such! Er muß noch hier sein!«

Der Driver blieb stehen. »Ich sage Ihnen, Boß, er ist weggeschleppt worden.«

Wütend riß Shibell die Peitsche hoch.

Da griff der Driver zum Revolver, aber Shibell war schneller.

Die Lederschlange erreichte den Revolverkolben um den Bruchteil eines Augenblicks eher, riß die Waffe aus dem Halfter und schleuderte sie zurück.

Drohend hob Shibell den Arm mit der Peitsche.

»Was wagst du, Wicht!« kam es heiser über seine schmalen Lippen.

Der Driver knurrte: »Darridge muß gesucht werden. Ich habe ihn in Verdacht, daß er den Mann weggeschafft hat.«

»Weshalb sollte er das getan haben?« brüllte Shibell mit sich überschlagender Stimme.

»Ich weiß es nicht. Ich weiß nur, daß er früher mit Wyatt Earps Bruder zu tun gehabt haben soll. Vielleicht wollte er sich dadurch irgendwie bei den anderen in ein gutes Licht setzen. Jedenfalls habe ich ihn in Verdacht, daß er den Toten weggeschleppt hat.«

»Aber er kann doch nicht mit ihm durch die Luft davongeflogen sein!«

»Das nicht. Vielleicht befindet sich die Leiche ja noch hier.«

»Eben. Also durchsuchen wir die Scheune.«

Sie machten sich beide auf die Suche.

Warum rief Shibell nicht nach diesem Jim Darridge?

Jetzt waren sie beide in der Scheune, und Wyatt hatte sie beide gegen sich, wenn sie ihn entdeckten. Das war natürlich genau das, was er nicht gebrauchen konnte. In seinem geschwächten Zustand würde er alle Mühe haben, mit einem der beiden Männer fertigzuwerden. Geschweige denn mit beiden. Darauf durfte er es auf keinen Fall ankommen lassen. Wie aber konnte er einen von ihnen aus der Scheune hinauslocken?

Nur einen halben Yard links vor ihm lag eine eiserne Krampe, die aus der Holzwand gefallen zu sein schien. Wyatt streckte blitzschnell die Hand nach ihr aus und zog sie zu sich heran. In diesem Augenblick war auch schon der Driver bei den Säcken angekommen und bückte sich.

»Hier, Boß, eine Schleifspur. Hier ist er reingeschleppt worden! Ich sage es ja!« Er drang hastig in die Enge zwischen den Säcken ein und hielt auf die Häckselmühle zu.

Wenn ihm nur Shibell folgen wollte! dachte Wyatt fieberhaft.

Und das geschah. Shibell kam hastig heran, blieb dann aber bei den Säcken stehen.

Wyatt hatte die Rechte um die eiserne Krampe gekrallt, zog sich jetzt nach vorn, und wenn Shibell den Kopf nur nach rechts gewandt hätte, mußte er ihn sehen.

In diesem Augenblick rief der Driver:

»Hier! Blut ist an der Häckselmühle, Boß!«

Shibell wollte sich jetzt ebenfalls zwischen die Säcke zwängen, aber da war der Marshal hinter ihm, riß die Krampe hoch und schlug ihn nieder.

Betäubt sank der Getroffene in sich zusammen.

Wyatt blickte nach vorn und sah den Rücken des Drivers.

»Kommen Sie doch, Boß!«

Wyatt bückte sich, nahm Shibells großen braunen Melbahut und stülpte ihn auf den Kopf. Dann eilte er keuchend, wie es der Alte getan hatte, vorwärts, und in dem Augenblick, als er die Strohschneidemaschine erreicht hatte, drehte sich der Driver um.

Noch drei Yard lagen zwischen den drei Männern.

In den Augen des Banditen stand eisiges Entsetzen.

Aber auch der Missourier, der jetzt zum erstenmal Gelegenheit hatte, in das Gesicht des Banditen zu blicken, war verblüfft.

Der Mann, der da vor ihm stand, war niemand anders als Samuel Miller, der Bruder von Jonny Miller, oben aus der Tombstoner Fremontstreet.

Jetzt hatte sich der Bandit gefaßt und stieß die Hand zu seinem zweiten Revolver.

Zu spät. Schon flog ihm die linke Faust des heranhechtenden Marshals an die Schläfe und warf ihn nieder.

Keuchend stand Wyatt da, bückte sich, nahm dem Ohnmächtigen den Revolver weg und wandte sich um. Als er bei Shibell ankam, zerrte er auch ihm den Revolver aus dem Halfter, stieg über ihn hinweg und schlich sich zum offenen Scheunentor.

Da er nicht sicher war, rasch in den Besitz eines Pferdes zu kommen, entschloß er sich, das Scheunentor zuzuziehen. Er nahm einige Strohstricke von einem Holm, ging zu Shibell, fesselte ihn und knebelte ihn mit seinem eigenen Halstuch. Auf die gleiche Art sicherte er auch den Banditen Samuel Miller.

Nun konnte er einigermaßen sicher sein, daß er die Menschen, die hier am gefährlichsten für ihn waren, ausgeschaltet hatte.

Aber das war ein großer Irrtum.

Er eilte durch die Scheune zum Hoftor zurück, spähte hinaus, und als er nirgends einen Menschen entdecken konnte, stahl er sich hinaus. Er verband notdürftig die Armwunde mit dem Taschentuch, nahm seinen Hut an sich und lugte ins Freie. Da sah er einen ziemlich großen, ihm völlig unbekannten Ranchhof vor sich. Die steilansteigenden Bergwände hinter den Bauten kannte er jedoch genau. Es war in den Blauen Bergen, daran gab es keinen Zweifel.

Eilig lief er zum Wohnhaus hinüber und hatte den Vorbau schon erreicht, als plötzlich ein Gewehrschuß über den Hof heulte.

Die Kugel hatte Wyatt zwar nicht direkt getroffen, aber sie prallte von einem Stück Eisenblech auf einem der Fensterläden ab, schlug ihm entgegen und streifte seinen Kopf so hart über dem Ohr, daß er zurücktaumelte, gegen die Holzplanken des Hauses stieß und rote Schleier vor den Augen sah.

Hölle! Kam er denn aus dieser Pechsträhne nicht mehr heraus?

Weg hier! Der nächste Schuß wirft dich um! ermahnte er sich selbst. Sofort ließ er sich fallen, die Schleier wichen, er sah auf der Hofmitte einen Mann, der ein Gewehr in der Hand hielt. Ein langer, knochendünner Bursche mit lächerlich kleinem Schädel und riesigem Melbahut. Er riß die Büchse jetzt hoch und gab noch einen Schuß ab.

Dicht über den Körper des Missouriers hin zischte das Geschoß und schlug klatschend in die Holzwand des Hauses.

Der Marshal war schwer angeschlagen von dem Streifschuß.

Rechts neben sich spürte er die Rundung eines Regenfasses. Mit aller Energie, die ihm noch zu Gebote stand, warf er sich hinter das Faß.

Wieder folgte ihm eine Kugel, die die linke Faßseite streifte.

Wyatt hatte jetzt einen Revolver hochgenommen, wartete, und als er die näherkommenden Schritte hörte, stieß er den Arm mit der Waffe vor und feuerte.

Brüllend sprang der Schuß dem hageren Banditen entgegen, traf ihn in der rechten Schulter und stieß ihn zurück.

Das Gewehr fiel in den Staub des Hofes.

Wyatt stand auf, lief torkelnd auf den Mann zu, nahm das Gewehr, schleuderte es zurück, durchsuchte den Mann nach weiteren Waffen – und fand ein graues Gesichtstuch.

Der Verwundete starrte ihn aus flackernden Augen an.

»Sie kommen nicht weit, Earp«, krächzte er. »Wer einmal hier ist, der bleibt hier. Für immer. So geht es allen.«

Wyatt zerrte ihn hoch.

»Geh voran!«

»Wohin?« knirschte der Verbrecher und preßte die Linke auf seinen schmerzenden Arm.

»Zum Haus hinüber.«

»Wozu?«

»Frag nicht, geh weiter!«

Der Mann stakste knurrend vor ihm her.

Wyatt suchte verzweifelt einen klaren Gedanken zu fassen. Der harte Streifschuß hatte ihn so schwer mitgenommen, daß er sich beim Hinaufsteigen auf den Vorbau plötzlich an einen der Pfeiler stützen mußte.

Er krampfte die Rechte um den Revolver.

»Bleib stehen!« krächzte er dem Outlaw zu. Kämpfte gegen eine Ohnmacht, die ihn ansprang, und brauchte alle Energie, um sich nicht niederzulassen.

Der Desperado war auf der Vorbaumitte angelangt.

»Ich habe Ihnen ja gesagt, Earp, daß Sie nicht weit kommen!«

»Wo sind die Pferde?«

»Weiß ich nicht.«

Der Marshal spannte den Hahn, und als der Hagere jetzt in seine Augen sah, stieß er darin auf so viel tödliche Entschlossenheit, daß er es vorzog, rasch zu antworten:

»Hinter dem Backhaus.«

In diesem Moment hatte der Bandit eine Idee. Hinter dem Backhaus war der Schacht. Der geheime Eingang zu dem alten Minenstollen. Wenn er Glück hatte, konnte er vielleicht in dem Schacht verschwinden. Und dann sollte dieser Wolf aus Dodge City es nur wagen, ihm zu folgen. An der steinernen Falltür würde er von herabstürzenden Gesteinsbrocken zermalmt werden.

In diese Falle gedachte der Bandit Jim Darridge seinen Gegner zu locken.

Und dann hoffte er noch auf Ed. Auf den kleinen buckligen Peon, der draußen auf dem Vorwerk war, um den anderen die Nachricht zu bringen, daß sie um Mitternacht auf der Ranch zu erscheinen hatten. Er war im Morgengrauen losgeritten und mußte eigentlich jeden Augenblick zurückkommen.

»Vorwärts!« befahl Wyatt und deutete mit dem Colt wieder in den Hof.

Darridge lachte böse – und verriet sich damit.

Der Marshal war gewarnt! Aber er wußte nicht, von wo ihm Gefahr drohte.

Faunisch grinsend schritt Darridge etwas zu schnell vor ihm her über den Hof auf das Backhaus zu. Als er auf der Höhe des Ranchtores war, machte er noch den Fehler, seinen Schritt zu verlangsamen, um einen Blick hinüber in die Savanne zu werfen.

Also von dorther erwartete er Hilfe!

Unmerklich behielt Wyatt das Tor im Auge, während er Darridge folgte.

Vor dem Backhaus lagen umgekippte hölzerne Bottiche und Brotschieber, mit denen die fertigen Brote von der Ofenplatte gezogen wurden.

Darridge stolperte auf einmal, packte dann eine der Stangen, riß sie hoch und… aber viel zu plump war sein Angriff.

Der Marshal hatte sofort das andere Ende der Stange gepackt und riß daran.

Darridge stürzte und stieß mit dem Kopf gegen einen der Bottiche.

»Steh auf!« befahl der Marshal schroff. Wieder hatte er gegen diese Ohnmacht anzukämpfen. Er rang schwer nach Atem. Das, was er jetzt in diesen Stunden erlebte, erinnerte ihn an die bittere Nacht von Costa Rica, wo er der Gefangene der Stilwell-Leute gewesen war.

Auch hier hatte er sich im letzten, vielleicht im allerletzten Augenblick dem Zugriff eines grausamen Mannes entzogen. Denn Oswald Shibell war einer der rücksichtslosesten und brutalsten Männer, denen er jemals begegnet war. Er hatte ihn damals vor drei Jahren drüben in Warlock (Pima County) getroffen, wo er einen Gerätehandel betrieb. Gestützt auf die Stärke und Macht seines Bruders, des County Sheriffs, führte er ein Leben, das nicht nur ein öffentliches Ärgernis war, sondern für alle, deren Kreise er berührte, eine ständige Bedrohung darstellte.

Wyatt hatte Dinge von diesem Mann gehört, die geradezu haarsträubend waren. Als er ihn zum erstenmal gesehen hatte, war Oswald Shibell damit beschäftigt, einen Negerjungen halbtot zu schlagen. Der Marshal hatte ihn zurückgerissen und gegen das Hoftor geschleudert.

Sicher hatte Shibell ihm das niemals vergessen und vor allem nicht die Klage, die der Marshal damals bei Richter Ephraim gegen ihn eingereicht hatte und die ihm dreihundert Dollar Buße eingetragen hatte, trotz seines mächtigen Bruders.

Und dieser Mann sollte nun der Boß der Galgenmänner sein?

Nein! Das war nicht möglich.

Denn schon in dem Augenblick, in dem Wyatt sein Gesicht gesehen und ihn erkannt hatte, wußte er, daß dieser Mann nicht der geheime Anführer der Galgenmänner sein konnte. Er war eine viel zuwenig ausgeprägte Persönlichkeit, als daß sich Leute wie der junge Claiborne, wie James Curly Bill oder gar die Flanagans von ihm hätten kommandieren lassen, geschweige denn ein Mann wie Kirk McLowery.

Er schien der Boß dieser Ranch zu sein. Und Samuel Miller und dieser Bursche hier waren offenbar seine Peons.

Aber sie gehörten alle zu der Bande, gegen die der Marshal seit längerer Zeit kämpfte.

Darridge richtete sich auf. Der Schmerz in seinem Oberarm begann sich erst jetzt richtig bemerkbar zu machen.

»Sie werden nicht weit kommen«, keuchte er. »Ich habe es Ihnen gesagt.«

Wieder schickte er einen verzweifelten Blick zum Tor hinüber.

Wyatt fühlte sich selbst hundeelend, aber er zeigte es nicht, obgleich er kaum auf seinen Füßen stehen und nur halbwegs klar denken konnte.

»Vorwärts, Boy!«

Darridge setzte sich wieder in Bewegung und ging um das Backhaus herum. Am Ende der Breitseite des kleinen eingeschossigen Hauses hielt er inne.

»Da vorn ist der Corral!«

Wyatt sah die Pferde.

Und er sah auch das Aufblitzen in den Augen des Peons!

Unauffällig wandte er sich um – und entdeckte in der Ferne einen Reiter, der auf den Hof zuhielt.

Da kam also der Mann, von dem sich der Peon Hilfe erhoffte.

Der Marshal war sich sofort darüber im klaren, daß es keinen Sinn hatte, jetzt in rasender Eile einen Gaul auszusuchen, um zu fliehen. Der Mann konnte ein besseres Pferd haben und ihm dann sofort folgen. Außerdem würde dieser lange Bursche hier die anderen befreien und sich dann mit ihnen ebenfalls an seine Fersen heften.

Vier Männer im Nacken – nein, das war in seinem Zustand nicht wünschenswert.

Wyatt hob den Revolver und spannte den Hahn.

»Geh da hinüber an die Steine!« befahl er dem Banditen.

Darridge biß die Zähne knirschend aufeinander.

Der Eingang zu dem geheimen Stollen befand sich rechts vom Corral, also genau entgegengesetzt von der Stelle, an die er jetzt von dem Missourier bugsiert wurde.

»Vorwärts!«

»Ja, ich kann schließlich nicht fliegen. Und…«

»Schweig!«

Der Reiter hatte inzwischen das Hoftor erreicht und hielt sein Pferd an.

Was hielt ihn auf? Weshalb ritt er nicht weiter.

Wyatt hatte den Colt auf Darridge gerichtet.

»Ich brauche dir wohl nicht zu sagen, daß du beim leisesten Ton ein toter Mann bist, Jim?«

»Nein, das brauchen Sie mir nicht zu sagen«, krächzte der Cowboy.

»Setz dich hin!«

»Die Steine sind zu heiß!«

»Du sollst dich setzen! Und vergiß nicht: sobald du auch nur den Mund aufmachst, ziehe ich den Stecher durch.«

Darridge ließ sich mit einem unterdrückten Fluch auf die Steine nieder.

Gnadenlos schleuderte der gleißende Feuerball am wolkenlosen Himmel seine Glut auf das Land. Wabernd stand die Hitze zwischen den Bauten der Ranch.

Der kleine bucklige Pferdeknecht, Edgar Huston, war am Tor aus dem Sattel gerutscht und hatte die Zügelleine noch in der Hand.

Verblüfft blickte er in den leeren Hof. Er vermißte den Schwarzen, der sonst immer um diese Zeit mit Holzarbeiten vor dem Schuppen beschäftigt war. Er konnte weder ihn noch dessen Arbeitsgeräte entdecken. Und solange Ed Huston auf der Ranch war, hatte der Neger Horace um diese Mittagsstunde stets drüben vor dem Schuppen gearbeitet.

Es mußte etwas Ungewöhnliches geschehen sein, das den Schwarzen von seiner Arbeit abgehalten hatte.

Wyatt starrte mit brennenden Augen zu dem Verwachsenen hinüber.

Darridge grinste höhnisch.

Wyatt hob die Waffe etwas an und zog drohend die Brauen zusammen.

Da zerstörte der kleine Peon Huston alle Hoffnungen Darridges, indem er rief:

»Horace!«

Wyatt zuckte zusammen.

Der Schwarze! Wie hatte er den nur vergessen können! Damned, in welch einer Gefahr hatte er sich da befunden! Der Neger war ja noch auf der Ranch, konnte irgendwo mit einem Gewehr in Deckung stehen und ihn niederschießen!

Wieder brüllte der kleinen Peon mit quäkender Stimme den Namen des Schwarzen.

Da flüsterte Wyatt Darridge zu:

»Ruf ihn hierher!«

»Das hilft Ihnen auch nichts!« zischte der hagere Bandit.

Mit zornverdunkelten Augen fuhr Wyatt ihn an:

»Ruf ihn!«

Jim Darridge nickte.

»Meinetwegen, Ehett!«

Ed Huston setzte sich rasch auf das Backhaus zu in Bewegung.

»He, Jim!« rief er schon von weitem. »Wo ist Horace?«

Da er keine Antwort bekam, rief er:

»Jim! Wo steckst du?«

»Hier!« rief Wyatt jetzt anstelle des Banditen.

Der kleine Peon lief noch ein paar Schritte weiter und blieb dann zu Wyatts Ärger plötzlich stehen.

»Jim?« Es klang argwöhnisch.

Der Marshal nahm jetzt den zweiten erbeuteten Revolver an sich und richtete ihn auf Darridge. Eiseskälte stand in seinen Augen.

Der Outlaw schluckte, dann rief er krächzend:

»Hier, Ed! Hier bin ich!«

Der mißtrauisch gewordene Huston atmete auf und lief weiter um das Backhaus herum – und blieb dann wie festgewurzelt stehen.

»Wyatt Earp!« entfuhr es ihm, wobei eine gespenstische Blässe sein Gesicht überzog.

Der Marshal, der den kleinen Burschen selbst noch nie gesehen hatte, von ihm aber erkannt worden war, nickte.

»Es freut mich, Ed, daß du mich kennst. Dann brauche ich mich dir nicht erst lange vorzustellen.«

»Wyatt Earp!« flötete der Cowboy noch einmal und blickte sich fassungslos nach Darridge um, der schräg hinter ihm auf den Steinen hockte.

Plötzlich veränderte sich Hustons verschrumpeltes Gnomengesicht. Es wurde länglich und spitz wie ein Geierkopf. Haßerfüllt spie er Darridge entgegen:

»Du Schwein hast uns verpfiffen! Das bringst dir einen Gal…«

»Sprich nur weiter, Ed«, forderte ihn der Marshal auf. »So wie es unter Galgenmännern üblich ist!«

Darridge quetschte heiser hervor:

»Idiot! Hast du dir eingebildet, daß der Marshal mit mir handeln würde! Du solltest die Earps besser kennen.«

»Wie kommt er hierher?«

Wyatt ließ sie gewähren. Aus solchen Unterhaltungen hatte er immer Nutzen gezogen.

»Ich weiß es nicht. Sam hat ihn anscheinend aus der Stadt mitgebracht.«

»Der also, dieser Leisetreter! Der Boß wird ihn dafür erwürgen.«

»Der Boß? Schätze, daß der Marshal ihn schon stillgelegt hat, zusammen mit Sam. Ich habe von alldem nichts gewußt. Als ich aus dem Stallhaus kam, sah ich ihn taumelnd über den Hof rennen. Mit dem verrückten silbernen Colt Shilbells in der Hand. Ich hielt ihn für einen Tramp, schoß auf ihn… und sah zu spät, wen ich da vor mir hatte.«

»Du bist der miserabelste Schütze in ganz Arizona!« giftete der Verwachsene.

»Krüppel, elender!« giftete Darridge.

»Dreckskerl!«

Banditensprache!

Wyatt unterbrach nun die Liebkosungen der beiden Strolche, indem er Ed entwaffnete und zu seinem Kameraden hinüberschickte.

»Hinsetzen!«

»Was denn, auf diese heißen Steine?«

Darridge zog den Gnom neben sich, weniger um dem Marshal gefügig zu sein, sondern, weil er gehässigerweise den Kameraden auch möglichst rasch in den Genuß kommen lassen wollte, auf den heißen Steinen zu sitzen.

»Wo ist Horace?« krächzte der Zwerg.

»Der Boß hatte irgend etwas mit ihm. Ich hörte nur Peitschenschläge und Horaces brüllende Stimme.«

»Er wird uns rausholen. Mit den anderen, mit Kid und But, Charlie und Don, Hanc und…«

»Erspar dir die Mühe, Kleiner«, mahnte ihn der Marshal. »Ich weiß, daß ihr allein hier auf der Ranch seid.«

Darridge stand plötzlich auf.

Wyatt streckte ihm die Revolver entgegen.

Da schoß ihm der Peon einen spöttischen Blick zu.

»Ich hatte Sie bisher für einen Gentleman gehalten, Mr. Earp. Daß es Ihnen aber Spaß bereitet, wenn wir uns hier den Hintern verbrennen…«

»Streng dich nur nicht an, Amigo«, stoppte ihn der Marshal. »Ich weiß, wie heiß die Steine sind. Es ist allemal besser, auf ihnen zu sitzen, als an einem Galgen zu hängen.«

»Lassen Sie uns hinüber in den Schatten!«

Wyatt sah jetzt keinen Grund mehr, dem Verbrecher diese Bitte abzuschlagen, denn es war tatsächlich nicht angenehm, in der glühenden Sonne auf den Steinen zu hocken. Zwar konnte eine derartige Strafe den Galgenmännern nichts schaden, aber es war ja vorhin auch nur deshalb geschehen, um Darridge aus dem Blickfeld Eds zu bringen, der ihn sonst vom Tor aus gesehen hätte.

Sie durften beide in den Schatten hinübergehen.

Darridge ging gleich so weit, daß er bis auf vier Yard an den hinter einem Mesquitegesträuch verborgenen Eingang des geheimen Schachtes kam.

»Halt!« Wyatt blickte ihm finster nach. Immer noch machte ihm der Schmerz im Kopf so sehr zu schaffen, daß sein sonst so waches Mißtrauen nicht die Falle erspähte.

Darridge blickte Huston an.

»Na, Ed, willst du bis zum jüngsten Tag da stehenbleiben? Komm, wir setzen uns hier hin!«

Er deutete auf den Busch.

In diesem Augenblick hatte der Verwachsene verstanden und grinste.

Wyatt fing dieses Grinsen auf.

Aber zu spät! Darridge, der das Gesträuch erreicht hatte, warf sich plötzlich im Hechtsprung nach vorn – und war verschwunden.

Der Missourier folgte ihm sofort, wurde aber von Huston aufgehalten, stieß den jungen Gnom zur Seite und sah den schräg in den Fels führenden Stollen, aus dem ihm die höhnische Stimme des Geflüchteten entgegenschlug:

»Komm doch, Earp! Komm mir nach!«

Eine wilde, irre Lache folgte diesen Worten.

Wyatt starrte verstört auf das Loch im Fels, das vorn sehr niedrig gehalten war, sich dann aber zu einem mannshohen Gang ausweitete.

Wie lange hatte er so dagestanden, in die Betrachtung dieses raffiniert angelegten Stollenganges vertieft?

Er hätte es später nicht mehr sagen können. Jedenfalls zu lange, selbst für den kleinen, verwachsenen Peon Edgar Huston!

Der schnellte plötzlich vorwärts und riß den Mann aus Missouri nieder.

Hart schlug Wyatt auf das felsige Gestein auf, kam aber sofort wieder hoch, schüttelte den Pferdeknecht von sich ab und…, da hatte der plötzlich einen Cloverleaf (kleiner vierschüssiger Revolver) in der Linken.

Ein zynisches Lächeln kroch um Hustons häßlichen Mund.

»Na, Wyatt Earp, wie finden Sie das? Eine nette Überraschung, nicht wahr?« Er schluckte vor Erregung. »Ich habe den großen Wyatt Earp geschafft! Unfaßlich! Da steht er vor meinem Revolver! Ein geschlagener Mann. Und ich, Edgar Berthrand Huston, ich habe ihn erledigt!«

Ein irres Lächeln geisterte durch das Gesicht des Verwachsenen und entstellte es noch mehr.

»Ich habe ihn besiegt! Besiegt! Besiegt…«

Jäh stockte er. Er hatte in die Augen des Marshals gesehen, in denen eben noch pure Verwunderung, jetzt aber plötzlich etwas von der Farbe zugefrorener Bergseen zu stehen schien.

»Sing nur weiter, Ed! Vielleicht hört es ja jemand!«

Huston wich einen kurzen Schritt zurück.

»Wagen Sie es nicht…, sich zu bewegen, Earp! Ich schieße sofort!«

»Dazu müßtest du erst einmal den Hahn spannen.«

Der kleine Peon hatte den Hahn gespannt. Aber er fiel auf den Trick des Gesetzesmannes herein. Nur für eine Sekunde nahm er den Blick von dem Gesicht seines Gegners, senkte ihn auf die Waffe – und als er wieder aufblickte, starrte er in die Mündung eines Revolvers.

Wyatt Earp hatte gedankenschnell gezogen.

»Jetzt steht die Partie offen, Cowboy!«

Hustons Hand, die den Revolver hielt, wurde schweißnaß und begann zu zittern.

»Fühlst du dich schlecht, Kleiner?«

Der Spott drang dem Pferdeknecht bis ins Mark.

»Du mußt krank sein, Junge«, versetzte der Missourier mit eisiger Gelassenheit. »Es fiel mir gleich auf, als ich dich sah. Wahrscheinlich sind es die Nerven.«

»Die Nerven…?« stotterte der Tramp verwirrt.

»Ja, aber wenn du erst am Strick hängst, spielt das keine Rolle mehr.«

»Am Strick?« Der Bandit schluckte schwer.

»Wo denn sonst?«

Wyatt lauschte mit einem Ohr zu dem Schacht hinüber. Er stand so, daß er auch von einem Stein aus der Höhle heraus nicht getroffen werden konnte.

Es war völlig still im Stollen geworden. Offenbar hatte sich Darridge auf und davon gemacht.

Eine interessante Entdeckung, dieser geheime Fluchtweg von der Ranch!

Wyatt streckte jetzt die linke Hand aus und hielt sie dem kleinen Cowboy geöffnet hin.

»Komm, Ed, gib mir den Colt.«

»Was? Ich… bin doch nicht wahnsinnig.«

»Das kann man bei einem Nervenkranken nie so sicher sagen. Doc Holliday beispielsweise behauptet ja, daß es ein und dieselbe Krankheit sei.«

Wyatt hatte einen Schritt vorwärts gemacht.

»Komm, Ed.« Völlig ruhig und sicher sprach er.

»N… nein!« stammelte der Peon. Dicke Schweißtropfen rannen ihm durch die dünnen Brauen in die Augen.

Da sauste urplötzlich das linke Bein des Marshals hoch; die Stiefelspitze traf genau die Hand Hustons.

Ein Schuß löste sich. Die Kugel schlug dem Banditen durch den Rand seines Hutes und klatschte drüben gegen den Felsen.

Der Revolver lag jetzt neben ihm auf der Erde. Wyatt versetzte der Waffe einen Tritt, daß sie bis zur Wand des Backhauses rutschte.

»So, Ed. Nachdem wir uns nun so ausgezeichnet unterhalten haben und damit feststellen konnten, wie gut wir uns doch verstehen, muß ich dich bitten, mir beide Hände zu reichen.«

»Beide… Hände? Weshalb?«

»Weil ich die Absicht habe, sie aneinanderzubinden.«

»Sie wollen mich fesseln?« zeterte Huston.

»So leid es mir tut.«

Es half dem kleinen Peon nichts, in wenigen Minuten war er zu einem handlichen Paket verschnürt und lag im Schatten hinter dem Backhaus.

Ein kräftiger, gesicherter Knebel hinderte ihn am Sprechen. Aber dafür redeten seine Augen eine deutliche Sprache. Brennender Haß stand in ihnen.

Wyatt sah sich um.

Drüben auf dem Hof war alles still.

Wo steckte der Schwarze?

Der Marshal beobachtete das kleine Mannschaftshaus vorn rechts neben dem Ranchtor. Ob der Neger dort steckte?

Wyatt hatte keine Zeit, das zu untersuchen, denn wenn er sich hier vom Schachteingang entfernte, lief er Gefahr, daß Darridge zurückkam und die anderen befreite. Außerdem bestand die Möglichkeit, daß der hagere Outlaw längst den Ausgang des geheimen Stollens, dessen Lage Wyatt ja auch nicht kannte, erreicht hatte. Vielleicht war er hier ganz in der Nähe. Da in solchen Geheimgängen nicht selten auch ein Waffenlager war, konnte sich der Peon mit allem Notwendigen ausgerüstet haben und vielleicht von irgendeiner sicheren Stelle aus erneut seine Schießkünste an dem Marshal versuchen.

Es galt die Ranch so schnell wie möglich zu verlassen.

Wyatt beeilte sich zum Corral hinüberzukommen, stieg über das Gatter und schwang sich auf den Rücken

einer Fuchsstute, die einen guten

Eindruck auf den Pferdekenner machte.

Im hohen Bogen setzte er mit dem sattellosen Tier über den Corralzaun, schoß am Backhaus vorbei in den Hof und preschte dem Tor entgegen.

Aus dem Mannschaftshaus – hätte er es doch nur untersucht! – krachte ein Schuß.

Ein gewaltiger Ruck lief durch den Körper der Stute, das Tier geriet ins Stolpern, und der Reiter wurde abgeschleudert.

Wyatt prallte hart auf, versuchte sich aufzurichten, knickte aber auf dem rechten Bein sofort wieder ein.

Ein zweiter Schuß fiel.

Die Kugel pfiff nur zwei Yard an seinem Kopf vorbei.

Er mußte den freien Platz hier schnellstens verlassen!

Mit weiten Sätzen, die nur das linke Bein abfangen konnte, rannte er dem Geräteschuppen auf der anderen Hofseite zu.

Noch ein dritter Schuß folgte ihm, der aber weit daneben ging.

Offenbar war der Mann, der es da auf ihn abgesehen hatte, ein miserabler Schütze.

Er hatte den Gegner verfehlt, dafür aber eines der besten Tiere der Ranch getroffen.

Humpelnd trottete die Stute zum Corral zurück. Noch ehe sie ihn erreichte, brach sie plötzlich seitlich zusammen und blieb liegen.

Wyatt hatte den Geräteschuppen erreicht, warf sich gegen die Tür und fiel mit ihr, die nur noch in einer einzigen verrosteten Angel gehangen hatte, ins Innere der Bude, wo er sich sofort vom Eingang wegwälzte.

Da sprang drüben aus dem Mannschaftshaus lautschreiend der Neger heraus.

»Ich habe unser bestes Pferd umgebracht! Oh, ich bin ein nutzloser Schwachkopf! Weshalb kann ich nur so schlecht schießen!«

Wyatt starrte verblüfft auf die riesige Gestalt des Schwarzen, der händeringend vor dem Bunkhaus stand und zum Corral hinüberstierte, wo das tote Pferd lag.

Da hätte ihn dieser schwarze Horace um ein Haar und im letzten Augenblick noch ausgelöscht! Einem Boß zuliebe, der nichts als Peitschenhiebe und Schimpfworte für ihn gehabt hatte!

Wyatt richtete sich an einem Sägebock auf und stellte zu seinem Schrecken fest, daß das Bein sehr schmerzte und ihn nicht mehr tragen wollte.

»Auch das noch!« stieß er durch die zusammengebissenen Zähne. »Der Weg zu Tante Maes Bar ist verdammt lang geworden… und scheint noch nicht zu Ende zu sein.«

Er spannte die Rechte um den Revolver und verließ den Schuppen, die Linke auf einen starken Knüppel gestützt, so humpelte er in den Hof hinaus.

Der Neger hatte ihn gar nicht bemerkt, so sehr hatte ihn der Schock über das von ihm getötete Pferd gelähmt. Er hörte erst das Knacken des Revolverhahns hinter sich, drehte sich um und riß die Augen weit auf. Laut brüllte er:

»Ja, erschießen Sie mich, Mister! Ich bin nichts wert! Gar nichts. Auch der Boß kann mich nicht brauchen. Ich mache alles falsch. Nun habe ich endlich einmal einen Schuß abgegeben, um einen Mann zu stellen, der hier Pferde stiehlt, und was tue ich? Ich verfehle ihn und treffe den Gaul! Oh, ich tauge wirklich nichts. Sie können mich ruhig töten!«

In dem verschrammten, mit Blutspuren und Staub bedeckten Gesicht des Missouriers war plötzlich ein winziges Lächeln.

»Ich habe gar nicht die Absicht, dich zu erschießen, Sonny.«

»Nicht…?« Das Gesicht des Negers war eine Studie der Verblüffung.

»Nein, geh vorwärts!«

»Wohin?«

»Zum Corral!«

»Zum Corral? Was soll ich dort?«

»Warten, bis ich ein neues Pferd habe, und mir dann einen guten Ritt wünschen.«

»Sie wollen noch ein Pferd stehlen, Mister?«

»Ich muß.«

»Dann wird der Boß keine Ruhe geben, bis Sie hängen.«

»Das würde er auch ohne die beiden Pferde gern erleben, Horace. Vorwärts jetzt!«

Wyatt suchte sich jetzt einen gutgebauten grauen Hengst aus, nahm sich sogar Zeit, eine provisorische Zügelleine zu knoten und ging mit dem Schwarzen zum Stall hinüber, wo er sich einen Sattel holte.

Dann stieg er auf.

»Sieh zu, daß du hier wegkommst, schwarzer Mann. Hier wird in Kürze der Teufel los sein.«

»Wo soll ich hingehen, Mister?« jammerte der Neger. »Ich bin hier schon viele Jahre. War früher schon hier, als die Ranch noch Harry

Spence gehörte.«

»Wem?«

»Dem alten Spence.«

»Pete Spences Vater?«

»Richtig. Als sein Sohn ein… Rebell wurde, verkaufte der Alte die Ranch zu einem Spottpreis an Shibell. Pete ist tot. Wyatt Earp hat ihn ermordet.«

»Das stimmt allerdings nicht, Horrace.«

»Woher wollen Sie das wissen?«

»Weil ich es wissen muß. Ich bin nämlich Wyatt Earp. So long!«

Damit trieb er das Tier an und sprengte aus dem Hof.

Seine Waffen hatten sie ihm schon in Tombstone gestohlen. Er würde sie sich zurückholen. Und den Ausgang der Höhle auf Shibells Ranch würde er sich auch eines Tages ansehen.

Mit schmerzenden Gliedern, dröhnendem Schädel und leerem Magen saß er auf einem Pferd, das einen stoßenden Gang hatte. Er hielt von der Ranch hinüber zur Overlandstraße und hätte sich nicht träumen lassen, daß sein Weg nach Tombstone noch mehr Hindernisse für ihn bereit hielt…

*

Doc Holliday zog an dem Messinggriff der Privatwohnung im Courthouse.

Es dauerte eine ganze Weile, bis rechts eines der Fenster geöffnet wurde.

Der Richter streckte seinen kahlen Schädel heraus.

»Was gibt’s? Wer ist da?«

»Sie müssen die allzu frühe Störung entschuldigen, Mr. Gordon«, rief ihm der Gambler zu. »Ich wollte Sie darauf aufmerksam machen, daß ein paar Spaßvögel dieses Gerüst da vor Ihrem Fenster aufgerichtet haben.«

Gordon starrte entgeistert auf den Galgen.

»Spaßvögel«, stammelte er schreckensbleich und rieb sich die Augen. »Ja, ist es denn die Möglichkeit, Doc! Sie sind’s doch, nicht wahr?«

Der Spieler nickte. »Ja, Richter. Ich suche den Marshal. Sie haben wohl nichts von ihm gehört?«

»Nein…«

Niemand hatte etwas von ihm gehört, und niemand hatte ihn gesehen.

Um acht Uhr machte Luke Short in der Bank of Tombstone auf.

Der Clerk blickte ihn an wie ein Fabeltier.

»Mach die Klappe zu, Kurzer, und melde mich deinem Boß!«

»Sofort, Mr. Short!«

Der Bursche retirierte zur Tür des Chief-Bureaus. Als er zurückkam, ließ er die Tür offenstehen.

»Bitte, Mr. Short.«

Luke schob sich mit eingezogenem Kopf durch den Türrahmen, blickte ohne die vom Hausherrn erwünschte Ehrfurcht in den großen, pompös ausgestatteten Raum und trat rasch an den überdimensionalen Schreibtisch heran.

»Ich möchte gerne ein paar Kohlen bei Ihnen deponieren, Between.«

»Sehr gern«, beeilte sich der Bankier erleichtert zu antworten; denn als ihm der Texaner gemeldet worden war, hatte ihn würgende Angst gepackt. Mußte er doch annehmen, daß der Riese nach seinem vermißten Freund suchte.

Nach dem Mann, den Between für tot hielt?

»Das Geld ist doch ganz sicher bei Ihnen?«

Der Bankier blickte verstört auf. Er hatte den Einbruch noch gar nicht bemerkt.

»Absolut sicher, Mr. Short. Es gibt wohl keinen in unserer Stadt, wo Ihr Geld sicherer aufgehoben wäre als…« Er stockte plötzlich und starrte frappiert auf die Türen der beiden Tresore, die nur angelehnt waren, sprang auf, rannte auf sie zu, riß sie auf und prallte zurück.

Bis er gegen den Texaner stieß.

Entgeistert fuhr er herum und sah in die grünschimmernden Augen des Hünen.

»Ich… bin… beraubt… worden!«

»Ach?« tat der Texaner verdutzt. »Was Sie nicht sagen! Wie ist es bloß möglich, daß an dem sichersten Ort Tombstones Geld wegkommt? Da werde ich es mir doch lieber noch einmal überlegen, meine sechsundzwanzigtausend Dollar hier zu lassen. – Übrigens, wieviel ist Ihnen denn gestohlen worden?«

»Das… kann ich Ihnen sofort sagen. Warten Sie, ich habe ja hier die Bücher. Also, in dem größeren Tresor waren neuntausendsiebenhundert, und dem kleineren… Augenblick, hier steht es: genau sechszehntausenddreihundert Dollar.«

»Macht zusammen?«

»Zusammen… sechsundzwanzig…« Der Bankier hielt inne und hob langsam den Blick. Aber er vermochte nicht lange in die großen, langbewimperten lebenden Smaragde des Goliaths zu sehen.

»Na, Amigo, fällt Ihnen etwas auf?« Luke warf ihm die beiden Ledertaschen auf den Teppich.

»Hier, Mister. Die beiden Maulwürfe, die hier so fleißig gebuddelt haben, sitzen im Jail.«

»Die Scheibe…, ich habe doch gleich das Loch in der Scheibe gesehen. Jonny Teck hielt es für den Steinwurf eines Betrunkenen. Aber…«

»Wie gesagt, wenn ich mal sechsundzwanzigtausend sicher unterbringen will, werde ich mich Ihrer erinnern«, meinte der Riese spöttisch. Dann wandte er sich zur Tür, wo er, schon den Griff in der Rechten, noch einmal stehenblieb.

»Interessiert es Sie, wie ich an die Pilze gekommen bin?«

»Ja, doch…, natürlich!« stotterte Between. »Ich muß…, bin durcheinander, Mr. Short.« Er eilte auf den Texaner zu, um ihm die Hand zu schütteln.

Luke, dem der weichliche Mann zuwider war, übersah dessen weiße, schwammige Hand.

»Beehren Sie Wyatt Earp mit diesem Dank, Mister. Er hat in der vergangenen Nacht die Strolche gestellt!«

Wyatt Earp!

Between stand noch auf dem gleichen Fleck, als der Texaner die Bank bereits verlassen hatte.

Wyatt Earp! Dieser Name hatte ihn mehr getroffen als vorhin die Entdeckung des Einbruchs.

Wyatt Earp hatte sein Geld wiedergefunden und die Banditen gestellt.

Und er, der ehrbare Bankier Between, war einer seiner Mörder, einer der Männer, die dabeistanden, als er von dem schmierigen Mestizen erschlagen wurde!

Mit gesenktem Kopf wankte er zu seinem Schreibtisch zurück.

Sie hatten ihn anscheinend noch nicht gefunden, den toten Marshal.

Was würde geschehen, wenn sie ihn fanden?

Doc Holliday und dieses gigantische Rauhbein würden Himmel und Hölle in Bewegung setzen, um die Umstände zu klären, die zu seinem Tod geführt hatten. Und dann würden sie auch auf seine Spur kommen, wie sie ja bisher fast alle Spuren gefunden hatten, die sie finden wollten.

Die Angst, besonders die vor Doc Holliday, saß dem Mann mit dem Doppelleben, dem Bankier-Desperado, in den Knochen.

»Doc Holliday wird mich töten«, murmelte er leise vor sich hin. »Er wird eines Tages vor mir stehen, mit seinen eiskalten Augen und wird mich fordern. Und ich… Nein!« schrie er plötzlich gellend los. »Nein!«

Die Tür wurde aufgerissen, und der Clerk blickte in den Bureauraum seines Herrn.

»Sie haben gerufen, Mr. Between?«

Langsam wandte sich der Bankier um und sah den Burschen verwirrt an.

»Ich? Nein!«

»Doch, Mr. Between.«

»Nein, nein! Geh an deine Arbeit!«

Doc Holliday blickte dem Texaner entgegen.

»Na, haben Sie die Bucks abgeliefert?«

»Ja. Übrigens, der Geldsack schien mir ein schlechtes Gewissen zu haben.«

»Das haben hier in dieser schönen Stadt anscheinend eine ganze Menge Leute.«

Eine elegant gekleidete, aber erschreckend häßliche Frau kam vorbei und grüßte den Georgier.

Der nahm kurz den Hut ab und erwiderte den Gruß.

Da blieb die Frau stehen.

»Guten Morgen«, sagte sie, während sie an der riesigen Gestalt des Texaners hinaufblickte.

»Das ist wohl Luke Short?«

»Kaum zu übersehen«, entgegnete der Spieler.

Die Frau konnte sich an der herkulischen Gestalt des Supermanns nicht sattsehen – und dennoch gefiel ihr der elegante Spieler noch besser.

»Sehen wir uns heute abend im Crystal Palace, Doc?«

»Möglich.«

»Mr. Clum hat heute Geburtstag, er ist von den Barrings eingeladen. Sie wollen im Crystal Palace feiern. Da dürfen Sie und der Marshal doch nicht fehlen. Und Mr. Short sollte sich auch als eingeladen betrachten.«

Der Georgier setzte seinen Hut wieder auf.

»Eine Feier ohne die Hauptperson, das ist doch nichts, Mrs. Collins.«

»Wie soll ich das verstehen?« fragte die Frau verblüfft.

Mit ausdruckslosem Gesicht erklärte der Gambler:

»Mr. Clum ist in der vergangenen Nacht ermordet worden.«

Mit einem Schrei wich die Frau zurück.

»Nein!« stieß sie entsetzt hervor, und ihr Gesicht hatte jetzt etwas von einem traurigen Affen.

»Leider doch«, entgegnete der Doc.

»Wer… war es?«

»Die Galgenmänner!«

Die Frau nahm ihr Kleid hoch und beeilte sich nach Hause zu kommen.

»Der haben Sie aber einen gewaltigen Schrecken eingejagt«, meinte der Hüne lachend, während er sich eine seiner schwarzen Strohhalmzigarren zwischen die Zähne schob.

»Mit Absicht, denn sie ist die dritte Zeitung Tombstones. Ich wette, daß heute mittag die ganze Stadt weiß, was sie jetzt von mir gehört hat. Und genau das wollte ich. Die Banditen sollen glauben, daß Clum tot ist. – So, und jetzt werde ich den Marshal suchen.«

»Wo wollen Sie hin?«

»Zum Richter. Er soll sich die Halunken, die im Jail sitzen, vornehmen, damit wir beide hier nicht dauernd Wache zu schieben brauchen.«

Richter Gordon ließ sich die Gefangenen in den kleinen Saal des Courthouses bringen.

Als die ›Clantons‹ sahen, daß Doc Holliday und Luke Short den Saaleingang bewachten, schickten sie nur ein paar harmlose Bürger als Zuschauer.

Von den Banditen ließ sich keiner sehen. Jedenfalls keiner, der den beiden bekannt gewesen wäre.

Als die Blitzverhandlung, die einen Fall nach dem anderen behandelt hatte, vorüber war, forderte Holliday den Richter auf, Sheriff Behan mit dem Abtransport der Gefangenen ins Jail von Phoenix zu beauftragen.

Das geschah sofort.

Jonny Behan, der gar nicht bei der Verhandlung zugegen war, wurde gerufen und erhielt den Auftrag, die Gefangenen nach Phoenix zu bringen.

Knurrend und mit blassem Gesicht verließ er mit den Verurteilten den Saal.

Als Batko an Luke Short vorbeikam, raunte er:

»Wenn ich wieder rauskomme, Tex, rechnen wir ab.«

Luke griff ihn sich mit der Linken und hob ihn wie einen Jungen vom Boden hoch.

»Was hast du gesagt, Rothaut?«

Batko riskierte kein weiteres Wort.

Luke ließ ihn los und sah dem Trupp nach.

»Wenn der milchige Behan mit diesem Verein jemals Phoenix erreicht, will ich Eustachius heißen!«

Holliday blickte über den freien Platz vor dem Gerichtsgebäude. Aus schmalen Augen fixierte er das gegenüberliegende Haus. Es sah verfallen und unbewohnt aus. Der Spieler ging darauf zu und stieß die Tür auf.

Der feine Flugsand, der im Laufe der Monate unter der Türritze von der Straße hereingeweht war, wies zahlreiche gut sichtbare Fußabdrücke auf.

Holliday wandte sich um und blickte diesen Spuren nach, sie führten links vom Hauseingang an der Mauer entlang zur Ecke.

Als Luke dem Georgier folgte, sah er ihn vor der Seitenwand des Hauses am Boden knien.

»Was gefunden?«

»Ja.« Holliday hob eine fingerdicke Messinghülse auf und hielt sie dem Texaner hin.

»Wissen Sie, was das ist?«

»Eine Patronenhülse.«

»Von welchem Kaliber?«

»Fünfundvierzig.«

»Sonst fällt Ihnen nichts auf?«

»Sie ist besonders groß und lang, so wie…«

»Wie?«

Der Riese stieß einen Pfiff aus.

»Wie der Marshal sie in der Trommel seines Buntline-Revolvers hat.«

»Eben.«

»Damned! Das kommt hin! Hier ungefähr muß auch der Schuß gefallen sein, den ich oben auf der Straße hörte. Ich hielt ja auch auf das Courthouse zu.«

Holliday nahm die Patronenhülse wieder an sich und schob sie nachdenklich in seine Westentasche.

»Es steht also fest, daß er hier war, daß er den Galgen gesehen hat, und daß er einen Schuß abgegeben hat!«

Die Fährte des Marshals schien sich von hier an jedoch in ein Nichts aufgelöst zu haben.

Das Jail war leer, und die beiden Männer hatten sich um nichts mehr zu kümmern, konnten sich also uneingeschränkt der Suche nach ihrem Freund widmen.

Jeder tat es auf seine Art.

Mitten auf der Allenstreet trennten sie sich.

»Wo gehen Sie hin?« wollte der Texaner wissen.

»Ich werde Rozy Gingers aufsuchen und mir meinen speziellen Freund Cassius Claiborne vorknöpfen. Er soll bei ihr wohnen.«

Der Riese schnippste mit den Fingern.

»Und ich suche James Curly Bill!«

Rozy Gingers Bars war gerade geöffnet worden, als Holliday eintrat.

Die hübsche Wirtin nahm rasch die Puderquaste und betupfte ihr bleiches, übernächtigtes Gesicht, als sie den Gast erkannt hatte.

»Hallo, Doc Holliday!« begrüßte sie ihn überlaut, »was führt Sie denn zu mir?«

Der Spieler blieb vor der Theke stehen und blickte der Frau kühl in die umflorten Augen.

»Wie geht’s, Miß Ginger?«

»Wie es mir geht?« antwortete sie verblüfft. »Ganz gut. Und Ihnen?«

»Ich kann nicht klagen.«

Holliday ging an der Theke entlang auf die Tür zu, die zum Flur führte. Plötzlich blieb er stehen und fragte über die linke Schulter.

»Cass ist wohl nicht hier?«

»Was wollen Sie von ihm?« forschte sie vorsichtig.

»Ich habe eine Frage an ihn, Lady.«

»Dann suchen Sie ihn!« erwiderte sie brüsk.

»Das hatte ich auch vor«, entgegnete der Mann schroff und stieß mit dem Fuß die Flurtür auf.

»Au!« schrie draußen ein Mann auf.

»Komm rein, Cass«, sagte Holliday gelassen.

Es war tatsächlich Cassius Claiborne, der jetzt aus dem Flur in den Schankraum kam und sich die rote Nase rieb.

»Manieren haben Sie, Doc!«

»Es fragt sich, wer von uns die schlechteren hat, Cass. – Übrigens, ich suche den Marshal.«

»Habe ihn nicht gesehen!«

Tief senkte der Spieler seinen Blick in die gelblichen Augen des Banditen. »Das möchte ich Ihnen auch nicht geraten haben.«

Cass schluckte; dann, als er den Blick der Frau spürte, giftete er:

»Was soll das heißen?«

Holliday rührte sich nicht. Er hatte die Hände in den Hosentaschen. »Wenn du etwas mit der Sache zu tun hast, die sich in der vergangenen Nacht hier in der Nähe abgespielt hat, wäre es besser für dich, wenn du nie hierhergekommen wärest, Cass.«

»Ich weiß gar nicht, was Sie wollen, Doc! Was fällt Ihnen überhaupt ein? Sie kommen hierher, bedrohen und beschimpfen mich; es ist eine Unverschämtheit! Ich denke nicht daran, mich von Ihnen bluffen zu lassen. Schließlich bin ich…«

Er brach jäh ab, weil er dem Blick des Spielers nicht mehr standhalten vermochte.

»Was sind Sie, Claiborne?«

»Ich bin ein ehr…«

Er brach wieder ab.

Da sprang ihn eine glasharte, klirrende Lache des Spielers an.

»Sie sind der Bruder eines bekannten Banditen – und selbst ein Bandit, Claiborne. Und wenn ich in Erfahrung bringe, daß Sie in der vergangenen Nacht am Courthouse mitgemischt haben, rechnen wir beide todsicher miteinander ab.«

Claiborne war einen Schein blasser geworden. Er wagte jetzt keine Antwort mehr.

Holliday wandte sich um.

Rozy Ginger blickte ihm in die Augen. Sie senkte den Blick, weil sie wieder an jene Nachtstunde denken mußte, in der sie ein atemberaubendes Pokerspiel des Georgiers im Crystal Palace beobachtet hatte und anschließend fasziniert von dem brillanten Mann, laut an der Theke gesagt hatte: »Es gibt keinen Mann wie Doc Holliday!«

Der Spieler ging weiter. Als er fast schon den Eingang erreicht hatte, stieß Cassius Claiborne die Hand zum Revolver.

Wie ein Phantom wirbelte der Gambler herum, in jeder seiner vorgestreckten Fäuste einen seiner elfenbeinbeschlagenen Frontier-Revolver. In seinen Augen blitzte es auf.

»Wolltest du jetzt schon sterben, Claiborne?«

Der Bandit war aschgrau geworden, wandte sich um und stahl sich hinaus.

Holliday trat auf die Straße, ging noch einmal zum Courthouse zurück und besah sich den Ort, an dem er die Patrone gefunden hatte. Dann schlenderte er quer durch die Allenstreet dem Russan House zu, wo er sich mit dem Texaner verabredet hatte.

Mit bleichem Gesicht empfing ihn die Hoteleignerin.

»Wo ist der Marshal?« fragte sie mit belegter Stimme.

Holliday sah an ihr vorbei.

»Haben Sie etwas von ihm gehört?«

»Nein!« kam es eine Spur zu laut und zu erregt hervor.

Der Spieler wußte, daß die schöne, glutäugige Nellie Cashman in Wyatt Earp verliebt war. Er schätzte sie sehr und wollte sie nicht unnötig belasten, deshalb meinte er jetzt ausweichend:

»Wahrscheinlich ist er zu Boulders hinaus auf die Farm geritten. Sie wissen ja, daß er früher oft hinausritt…«

»Andrew Boulders ist im vergangenen Herbst gestorben, Doc!« unterbrach ihn die Frau.

Holliday nahm sein Zigarettenetui aus der Tasche, zog eine seiner langen russischen Zigaretten daraus hervor und schob sie sich zwischen die Lippen.

»John Clum ist tot, habe ich gehört?« sagte Nellie leise.

Der Spieler riß ein Zündholz an und schüttelte den Kopf.

»Nein?« fragte die Frau aufgeregt.

Da erklärte ihr Holliday, was geschehen war. »Ich brauche Sie wohl nicht eigens um absolutes Stillschweigen zu bitten, Miß Cashman?«

»Nein, ich werde schweigen. Aber… weshalb sagen Sie mir nicht die Wahrheit, Doc? Was ist mit Wyatt?«

»Nichts! Was soll mit ihm sein?«

»Wo ist er?«

»Ich weiß es im Augenblick nicht.«

»Im Augenblick? Sie wissen es! Und wenn Sie es nicht wüßten, wäre das ein schlechtes Zeichen. Ich habe Luke Short vorhin in den Hof von Zidko Farkas gehen sehen. Bei dem Ungarn wohnt dieser Rowdy namens Curly Bill Crocius.«

»Ich weiß.«

»Wenn Mr. Short ihn sucht, dann hat das einen Grund.«

»Aber Nellie, Sie konstruieren sich da etwas zusammen…«

»Nein, Doc!« Impulsiv griff sie seine Hände. »Ich bitte Sie, sagen Sie mir doch die Wahrheit. Was ist mit Wyatt Earp? Er ist verschwunden?«

»Wie kommen Sie denn darauf?«

»Weil Sie ihn suchen. Keiner von Ihnen war heute nacht hier im Hotel. Ich habe Sie heute in aller Frühe durch die Straßen eilen sehen. Und dann habe ich vorhin Luke Short mit finsterem Gesicht vor dem Hof von Farkas entdeckt – und jetzt sehe ich wieder Sie… ohne den Marshal!«

Holliday wandte sich ab und ging auf die Halle zu.

Nellie Cashman lief ihm nach.

»Doc…, ich bitte Sie!« Ein verhaltenes Zittern schwebte in ihrer Stimme.

Da blieb er stehen.

»Was soll ich Ihnen denn sagen, Nellie?«

»Was Sie wissen.«

»Ich weiß nichts.«

»Nichts?« Sie wich zurück. »Wenn Sie nichts wissen, Doc, dann ist es das Schlimmste. Er ist verschleppt worden! Diese Verbrecher haben ihn weggebracht. Ich wußte es, als er kam, daß er diesmal nicht gegen sie aufkommen würde. Sie sind zu stark, zu mächtig geworden, haben heute noch mehr Helfer und Freunde als damals und nur einen einzigen ernsthaften Gegner: den Marshal Earp! Ihn, Sie und Luke Short. Die Bande hat ihn sich in der vergangenen Nacht gegriffen. Ich weiß es. Betty Anderson hat es gese…« Sie brach jäh ab.

Holliday starrte sie gebannt an.

»Was hat Betty Anderson gesehen?« Er ergriff ihren Arm. Sein Griff schmerzte sie.

»Bitte, Nellie!«

»Ach, Betty lügt! Weil sie mich haßt. Weil das Hotel, das ihr Vater eröffnet hat, eingegangen ist! Sie hat mich schon in der Schule meiner langen Zöpfe wegen gehaßt.« Tränen rannen aus ihren großen dunklen Augen.

Holliday hatte beide Hände um ihre Oberarme geklammert.

»So reden Sie doch, Nellie!« forderte er sie auf. »Sie können mir doch nur helfen.«

»Betty sagt…, sie hätte gesehen, wie Wyatt mit mehreren Männern am Courthouseplatz gekämpft habe. Von ihrem Fenster aus will sie es gesehen haben. Er wurde von hinten niedergeschlagen, soll auch noch einen Schuß abgegeben haben und dann fortgeschleppt worden sein. Wohin, das konnte sie nicht mehr sehen. Aber ich glaube ihr nicht, Doc! Sie hat sich das sicher nur aus den Fingern gesogen, um mich unruhig zu machen, weil sie genau weiß, daß ich Wyatt…, daß ich ihn schätze.«

Holliday hatte die Frau losgelassen, er stürmte an ihr vorbei dem Eingang zu und lief durch die Querstraße hinauf, auf Farkas Schusterei zu.

Am Tor kam ihm der riesige Tex entgegen.

»Der Halunke ist nicht da. Sein Glück. Ich hätte Fraktur mit ihm geredet, darauf können Sie sich verlassen.«

»Kommen Sie, Luke.«

Unterwegs berichtete der Georgier, was er erfahren hatte.

Zehn Minuten später standen sie beide vor der schüchtern wirkenden aschblonden Betty Anderson.

Das bläßliche Mädchen erschrak, als es die beiden Männer erkannte.

»Oh, so hat Nellie also alles verraten?«

»Miß Anderson?« entgegnete Holliday rauh. »Bitte, sagen Sie uns alles, was Sie beobachtet haben.«

Zögernd erzählte Betty Anderson den beiden Männern, was sie von ihrem Schlafzimmerfenster aus beobachtet hatte.

»Woran haben Sie den Marshal erkannt?«

»Erst gar nicht. Aber dann sprach einer der Männer seinen Namen aus. Wyatt Earp hat mit dreien von ihnen gekämpft und hatte sie auch schon am Boden, als plötzlich hinter ihm ein Mann auftauchte und ihn mit einem schweren Kolbenhieb niederschlug. Wyatt Earp stürzte, schoß aber noch im Fallen auf den Mann an der Mauer, den er irgendwo an der Stirn getroffen haben muß. So genau kann ich das nicht sagen. Ich sah nur, wie sich der Mann an die rechte Stirnseite griff und ein Taschentuch auf die Wunde preßte.«

Das stimmte zum großen Teil mit dem überein, was Holliday selbst ermittelt hatte, als er die Patronenhülse fand.

»Kannten Sie einen der Männer, mit denen er kämpfte?«

»Nein. Das heißt…, einer könnte Mister…!« Sie schlug die Hände vors Gesicht. »Nein, ich kann es nicht sagen. Wenn mein Vater erfährt, was ich verraten habe, jagt er mich aus dem Haus, er ist doch mit Ike verwandt.«

Da schnellte die linke Hand des Spielers vor und umspannte den rechten Unterarm des Mädchens.

»Sie halten den Mann, der den Marshal niederschlug, für Ike Clanton?« stieß er rauh durch die Zähne.

»Ich weiß es doch nicht, Doc, bitte! Mr. Clanton ist doch ein Großneffe von Vaters Onkel Theodore.«

Als die beiden auf der Straße standen, meinte der Spieler mit dumpfer Stimme:

»Dann wollen wir unsere Gäule satteln, Luke Short, um hinaus auf seine Ranch zu reiten.

»Zur Clanton Ranch?«

Holliday nickte.

*

Wyatt hatte etwa hundertzwanzig Yard zwischen sich und das Ranchtor gebracht, als rechts von den Felsen zwei Gewehrschüsse krachten.

Der graue Hengst scheute und brach zur Seite aus.

Wyatt konnte ihm gerade noch hinter einem Felsbrocken zum Halten bringen, rutschte aus dem Sattel und verwünschte sich, daß er das Gewehr des Negers nicht mitgenommen hatte.

Was sollte er jetzt mit zwei zwar hübsch blankpolierten aber miserablen Colts gegen ein Gewehr anfangen, das dazu noch aus dem Hinterhalt feuerte?

»Komm raus, Earp!« blecherte da eine Stimme durch das zerklüftete Gestein.

Wyatt horchte auf.

Das war doch die Stimme des Peons Jim Darridge.

Der Bandit hatte also den Stollen verlassen, sich ein Gewehr beschafft und versuchte ihm hier den Weg zu verlegen.

Rasch befestigte der Marshal die Zügelleinen des Grauen mit einem Stein und schlich sich dann, gedeckt von mannshohen Felsbrocken, zum Weg zurück.

Die Schwäche in seinem rechten Bein machte ihm dabei gewaltige Schwierigkeiten.

Dennoch kam er vorwärts.

»Earp! Komm raus! Du bist verloren!« brüllte der Cowboy wieder.

Aber jetzt hatte der Missourier dessen Versteck auch schon erspäht! Der Outlaw hatte sich auf einem etwa sieben oder acht Yard über den Weg hinausragenden Felsvorsprung verschanzt.

Vorsichtig robbte der Marshal tief an den Boden gepreßt weiter vorwärts.

Und jetzt konnte er den Mann genau sehen; er lag flach auf der Felsnase, das Gewehr im Anschlag.

Wyatt schob sich lautlos weiter, suchte näher und näher an den Mann heranzukommen, um in seinen Rücken zu gelangen.

Das wichtigste war, daß er so nahe an ihn herankam, daß ein Revolverschuß den Banditen erreichen konnte.

Er hatte es beinahe geschafft, da bröckelte von dem ansteigenden Boden ein Steinchen ab und rollte zum Weg zurück.

Erschrocken fuhr Darridge hoch. Fassungslos stierte er den Mann an, den er doch drüben bei dem Pferd hinter dem großen Felsbrocken wähnte.

»Hund!« keuchte er heiser und riß das Gewehr hoch.

Wyatt sprang auf, federte vorwärts – und Himmel! Das Bein! Es ließ ihn wieder im Stich. Er knickte ein, stürzte und duckte sich nieder. Dafür pfiff die Gewehrkugel auch über ihn hinweg.

Darridge riß den Ladebügel der Scharpsbüchse wieder durch.

Da war Wyatt erneut auf den Füßen und schwang sich vorwärts.

Jetzt mußte eine Revolverkugel die Distanz durchmessen können. Er stieß die Waffe vor und feuerte auf den Verbrecher.

Die erste Kugel ließ fast anderthalb Yard vor dem Outlaw Steinsplitter aufspritzen.

Verblüfft hatte Darridge das Gewehr sinken lassen.

»Es reicht nicht ganz, Earp!« brüllte er johlend und gab einen zweiten Schuß ab.

Mit letzter verzweifelter Kraft hatte Wyatt sich seitlich hochgerissen, hechtete vorwärts und schoß im Fallen.

Die Kugel traf Darridge, als er gerade das drittemal den Ladebügel durchgerissen hatte, stieß ihn zurück und ließ das Gewehr aus seinen Händen gleiten.

Er preßte die Linke an die getroffene Schulter.

»Elender Wolf!« röhrte der Verbrecher. »Zweimal hast du mich jetzt gestoppt! Aber es hilft dir nichts! Der Boß bringt dich doch zu Fall.«

Keuchend kauerte der Missourier zwischen dem schroffen Gestein, den rauchenden Revolver in der rechten Faust. Er zog sich am Fels hoch und humpelte vorwärts. Seine Augen suchten unauffällig nach dem Ausgang des Stollens.

Und er fand ihn auch! Drüben, unweit von der Felsnase gähnte ein schmaler schwarzer Spalt im Gestein.

Hier endete also der Schacht, der drüben auf der Ranch hinterm Brothaus begann.

Wyatt lehnte sich gegen einen riesigen Felsbrocken und rang nach Atem.

»Steh auf, Darridge!«

Mit wutverzerrtem Gesicht richtete sich der Bandit auf.

»Los, pack das Gewehr am Lauf und komm her!«

Nur zögernd folgte der Mann dieser Aufforderung.

Wyatt nahm das Gewehr und stützte sich mit der Rechten darauf, während er den Colt in die Linke nahm.

»So, Darridge, und nun kannst du zur Ranch zurücklaufen. Ich möchte bloß wissen, wie du aus der Höhle am Backhaus herausgekommen bist und so rasch hierhergefunden hast!«

Damit wollte er den Banditen in Sicherheit wiegen, was das Geheimnis des Stollens anbetraf.

»Verschwinde und bestelle deinem Boß einen Gruß von mir. Wenn wir uns wiedersehen, geht’s euch allen hier an den Kragen!«

Darridge trollte sich davon.

Wenige Minuten später setzte der Marshal seinen Ritt fort.

Er blickte nach Norden und überlegte, daß er die Stadt trotz des mittelmäßigen Pferdes noch vor Einbruch der Dunkelheit erreichen konnte.

Bei jedem Schritt des Tieres wurde er jedoch so schwer durchgeschüttelt, daß er den Ritt fast noch schlimmer als die Schaukelei in dem Planwagen empfand. Da konnte man wieder einmal sehen, wieviel doch ein gutes Pferd ausmachte und wie es einen doch den Ritt erleichterte.

Der Graue war ein starker und auch williger Bursche, aber sein Gang erwies sich als eine Qual für einen zerschundenen Mann, wie es der Marshal nach den durchstandenen Strapazen jetzt war.

Hätte Wyatt seinen windschnellen Falben gehabt, wäre er vielleicht noch vor Einbruch der Dunkelheit und unversehrt nach Tombstone gekommen, wer weiß. Das edle Tier hatte ihn jedenfalls schon aus so mancher Gefahr herausgetragen.

Etwa sieben Meilen oder etwas mehr hatte er hinter sich gebracht, als er sich mitten in einem Feld hoher Kaktusstauden befand.

Der Mann im Sattel ritt nicht eben sorglos durch diesen Stachelhain, denn zu viele Dinge waren gerade in diesen Menschenfallen – wie sie im Volksmund genannt wurden – geschehen. Der Überfallene, der diese Kaktusfelder nicht genau kannte, war nicht in der Lage zu fliehen, wenn vor ihm und hinter ihm ein Mann den Weg versperrte. Die Tramps benötigten also praktisch nur zwei Mann, um sogar einem größeren Trupp einen mörderischen Hinterhalt legen zu können.

Die Overlandstraße führte anderthalb Meilen weiter östlich vorbei, aber der Marshal war dem Weg gefolgt, da er ihn auf geraderem Kurs nordwärts brachte, und weil jede Meile, die er einsparen konnte, einsparte!

Halbtot und stocksteif wie ein Comanche saß der eisenharte Marshal im Sattel.

Zu anderer Zeit hätte er das Kaktusfeld bestimmt umritten. Aber da es sich sehr weit nach Osten wie auch nach Westen hinüberzog, hatte er sich entschlossen, auf dem schmalen Weg zu bleiben, der mitten durch die Kakteen führte.

Weshalb sollten gerade heute Wegelagerer zwischen den stacheligen Stauden lauern? Und weshalb gerade auf ihn, der doch an diesem Tag schon so vieles hatte durchstehen müssen?

Tief über die schwarze Mähne des grauen Hengstes geneigt, trabte er den gewundenen Pfad entlang, auf dem sich seine Postkutsche nur noch mit Mühe hätte vorwärtsbewegen können, so eng standen die graugrünen Stauden am Weg.

Irgendwo im Innern des Missouriers war plötzlich das unerklärliche Gefühl, das ihn schon so oft in seinem abenteuerlichen Leben vor nahen Gefahren gewarnt hatte. Schon als jungem Burschen war es ihm oben in Monmouth (Illinois) passiert, daß er plötzlich bei einem nächtlichen Ritt durch die Prärie sein Pferd anhielt und dem neben ihm reitenden Vater in die Zügel fiel.

»Ich weiß nicht, Vater«, hatte er auf die zornige Frage des Vaters, was das bedeuten sollte, erwidert, »da vor uns ist etwas…« Sie kehrten beide um. Wegelagerer waren da. Colonel Earp, Wyatts Vater, durchsuchte das Gelände noch im Morgengrauen mit mehreren Freunden und entdeckte eine gefährliche Wegfalle, von Tramps gestellt; nur etwa hundert Yard von der Stelle entfernt, an der der junge Wyatt angehalten hatte. Viele Male hatte der unheimliche Mahner in seiner Brust ihn vor Gefahren gewarnt.

Es war ein Gefühl wie ein Schmerz.

Sofort hielt Wyatt jetzt den Grauen an, zog ihn vom Weg und glitt aus dem Sattel.

Da hörte er vielleicht sechzig oder siebzig Yard vor sich auf dem Pfad die Wutschreie mehrerer Männer.

»Er ist abgebogen!« schrie eine bärenhafte Stimme. »Der Hund muß Lunte gerochen haben! Los, er ist da links in die Stauden!«

Wyatt wollte weiter in den stacheligen Busch eindringen, aber die Gewächse standen hier so dicht, daß er sich hinlegen mußte, um unter ihren Armen hindurchzukriechen.

Aber das Bein machte ihm so stark zu schaffen, daß er nicht weiterkriechen konnte. Er richtete sich auf und spannte die Fäuste um die beiden Revolver.

Da tauchte schon der erste Mann vorn bei dem Hengst auf.

»Stehenbleiben!« rief der Marshal ihm entgegen. Er spannte die Colts.

Der Mann verhielt den Schritt.

Wyatt, der zuerst nur die Beine des Banditen gesehen hatte, bückte sich tiefer, um unter den Kaktusarmen hindurchsehen zu können.

Ein glühender Strom schoß beim Anblick des Wegelageres zu seinem Herzen.

Der Mann hatte ein graues Tuch vorm Gesicht.

»Komm raus, Joe! Wir holen dich sonst!«

»Was wollt ihr von mir?«

»Das wirst du schon erfahren!«

»Well, dann holt mich!«

Der Bandit warf sich hin und robte vorwärts.

Da hörte Wyatt rechts neben sich ein Rascheln im Sand, warf den Kopf herum und blickte in das feixende Gesicht eines Mannes, der einen Revolver auf ihn zustieß. Wie eine Teufelsfratze grinste ihn das Banditengesicht zwischen Bodenkakteen an. Aus den Augen des Wegelagerers flammte ihm Mordlust entgegen. Es war der höllischste, gefährlichste Augenblick, den Wyatt an diesem Unglückstag erlebt hatte.

Und schon pfiff eine Kugel dicht über seinen Kopf.

Wyatt schickte sofort einen Schuß zu dem Mann hinüber, hörte einen gellenden Schrei und dann ein ersticktes Röcheln.

»Hölle, er hat Stones erwischt!«

»Zurück!« rief eine andere Stimme vom Weg her.

Die Galgenmänner zogen sich hastig zurück.

Stones blieb bewegungslos liegen.

Wyatt hatte einen Einfall, der wahnwitzig scheinen mochte, ihm jetzt aber das Leben rettete. Er kroch zu dem leblosen Körper des Banditen hinüber, nahm ihm den grauen Stetson vom Kopf, die Maske vom Gesicht, zerrte ihm die schwarze Jacke vom Leib, und das gelbe Halstuch nahm er auch an sich. Auch den großen Smith & Wesson Revolver schob er in seinen Gurt. Dann robbte er weiter rechts durch den Sand unter den stacheligen Armen der Stauden hinweg dem Platz zu, an dem die Banditen vorhin auf ihn gelauert hatten.

Plötzlich sah er drei Pferde vor sich.

Welches gehörte Stones?

Da entdeckte er an der linken Flanke eines hochbeinigen Braunen harte Sporenstriche. Stones hatte texanische Sternräder an den Stiefeln gehabt. Es könnte sein Pferd sein!

Wyatt mußte es riskieren. Ganz dicht schlich er sich an den Weg heran und sah die Banditen etwa fünfundzwanzig Schritte weiter links am Weg kauern.

Da gab er plötzlich zwei Schüsse ab, sprang auf den Braunen zu, zog sich in den Sattel, gab noch einen Schuß ab und sprengte mit dem Ruf davon:

»Los, Boys, der Bursche läuft da hinten!«

»Stones!« brüllte der Mann, der vorhin bei dem grauen Hengst gekniet und ihn aus seiner Deckung hatte locken wollen.

Sie hielten ihn also für Stones. Diese Täuschung konnte allerdings nicht lange dauern. Denn ganz sicher würde einer von ihnen auf den Gedanken kommen, in die Staudenhecke einzudringen, um nachzusehen, ob Stones tatsächlich nicht mehr dalag.

»Unsere Pferde!« brüllte ein anderer. »Der Irre hat sie mit seinen Schüssen verjagt!«

Die beiden anderen Gäule folgten dem Braunen.

Und der Wegelagerer Irvin O’Connor drang tatsächlich noch einmal in die Kakteen ein – blieb erschrocken stehen und sah mit verbissenem Gesicht und rasend vor Zorn auf den reglosen Körper des Toten.

Der Mann, dem sie den Weg verlegen wollten, hatte ihnen ein böses Schnippchen geschlagen.

Er floh mit ihrem besten Pferd und zog die beiden anderen Tiere hinter sich her.

Zu guter Letzt brach plötzlich auch noch der graue Hengst trotz wütender Halteschreie der Tramps aus und folgte dem kleinen Treck wiehernd. Er wollte offenbar bei dem Herrn bleiben, den er sieben Meilen weit getragen hatte.

Wyatt Earp hatte Schmerz und Todesnot überwunden, floh auf frischem, besserem Pferd nordwärts, war der Meute im letzten Augenblick entkommen.

Als er sich einmal umsah, riß er erschrocken den Smith & Wesson Colt heraus, spannte ihn, wischte sich mit dem Unterarm über die Augen und stellte zu seiner Verblüffung fest, daß es reiterlose Pferde waren, die ihm da folgten.

Er verminderte seinen Galopp, legte sich tief über die starke Mähne des braunen Wallachs und lugte immer wieder zurück, ob nicht doch vielleicht noch ein Verfolger hinter ihm auftauchen würde, der vielleicht im Augenblick seiner Flucht mit dem Pferd an einer anderen Stelle des Weges gestanden hatte.

Aber nichts dergleichen geschah.

Wyatt verlangsamte das Tempo noch mehr und ritt schließlich in leichtem Trab weiter.

Die drei Pferde liefen treu in seiner Spur und dachten gar nicht daran, ihn allein zu lassen.

Welch ein höllisches Land, dieses Arizona! In und um Tombstone herum lauerten mehr Gefahren als sonst irgendwo im weiten Westen.

*

Es war früher Vormittag, als ein Reiter vor der silberweißen Flugsandspur her durch das flache Kaktusfeld auf die Weidepfähle der Clanton-Ranch zuhielt.

Es war weit und breit kein Mensch zu sehen.

Der Mann preschte auf den geräumigen Hof und sprang vor der Veranda des Wohnhauses aus dem Sattel.

Da wurde oben die Fliegentür aufgestoßen.

Der Mann, der in ihrem Rahmen stand, war groß, breitschultrig, hatte eine stolze, aufrechte Haltung und ein sonderbar dunkles olivfarbenes Gesicht, das von einem bernsteinglimmenden Augenpaar beherrscht wurde. Den braunen Hut mit der breiten Krempe hatte er tief bis über die rechte Augenbraue gezogen. Er trug ein graues Hemd, eine grüne Weste und braune Hosen, die über die mit Steppereien besetzten Stiefel liefen.

Ein Mann also, der dem flüchtigen Betrachter kaum einen Blick abforderte und doch einen Namen hatte, der in diesem Land einen tönenden Klang besaß.

Ike Clanton!

Ein Name wie ein Revolverschuß, wie eine ganze Salve von Schüssen, die sich an den Wänden der Canyons des heißen Arizonas brachen. Ein Name, der bis hinein in die letzten Winkel dieses Landes Furcht und Schrecken verbreitet hatte. Ein sonderbarer Mensch, dieser Isaac Joseph Clanton. Wie er jetzt so dastand, schien er nichts von dem berühmten Bandenführer an sich zu haben, der er doch gewesen war. Von dem tolldreisten Rebellen, der ein volles Jahrzehnt wie ein ungebärdiger Büffel einen wilden Kampf der Auflehnung gegen jeden Zwang, den ihm das Gesetz in dieses Land zu bringen schien, geführt hatte.

Ike Clanton hatte seinen härtesten Gegner in Wyatt Earp gefunden und war damals, als die Schicksalsstunde seiner Gang schlug, dem eigenen Untergang auf dramatische Weise entronnen.

Was tat er jetzt, dieser Isaac Joseph Clanton? War er der einfache, mittelmäßige Rancher, der er zu sein vorgab? Oder führte er insgeheim jene unheimliche Organisation an, die Südarizona mehr und mehr in Schrecken versetzte und die unter dem Namen ›Galgenmänner‹ schon im ganzen Südwesten bekannt war?

Auf den ersten Blick wirkte er durchaus unauffällig – und dennoch ging etwas Besonderes von diesem Mann aus.

Wer ihn genauer betrachtete, mußte feststellen, daß es von seinen Augen ausging. Es schien ständig ein Glimmen in ihren Tiefen zu sein, das eine seltsame Wirkung auf den ausübte, der in diese Augen hineinsah. Sie schienen eine merkwürdige Kraft zu besitzen, andere Menschen festzuhalten, mit dem Blick zu bannen.

Jetzt schob der Rancher seine Daumen in die Westenausschnitte, sog den mächtigen Brustkasten prall voll Luft, legte das Löwenhaupt zurück und maß den Ankömmling mit einem unwilligen Blick.

Dieser war ein Mann, der sicher acht Jahre jünger war als Clanton, aber auch 1,80 maß, dafür jedoch schlanker und sehniger als der Rancher war. Er hatte ein scharfgeschnittenes, ausdrucksvolles, fast schön zu nennendes Gesicht und trug einen eleganten schwarzen Anzug nach mexikanischem Schnitt.

Es war Kirk McLowery!

Der einstige Cowboy aus dem San Pedro Valley nahm seinen breitrandigen schwarzen Hut ab und klopfte den Staub an einem Vorbaupfeiler heraus.

Sekundenlang herrschte tiefste Stille zwischen den beiden Männern.

Dann sprangen die Lippen des Ranchers plötzlich auseinander wie Gesteinsbrocken bei einem Erdbeben. »Was willst du?«

McLowerys Gesicht verhärtete sich ob dieser unfreundlichen Anrede. Der selbstherrliche junge Mann war es nicht gewohnt, daß man so mit ihm sprach. Was schon bei seinem älteren Bruder Frank in großem Maße zu spüren gewesen war, nämlich die spöttische Überlegenheit, das Herrschenwollen und das Absondern von der Masse, bestimmte sein Wesen völlig.

Zwar war auch er von der eindrucksvollen Erscheinung Ike Clantons fasziniert, aber er glaubte doch, sich auch gegen diesen Mann stärker durchsetzen zu müssen.

Er setzte den Hut wieder auf, zündete sich eine Zigarette an, stieß den Rauch durch die Nase und fragte, ohne den Rancher anzusehen:

»Willst du mich nicht ins Haus bitten?«

»Nein, weshalb sollte ich das«, entgegnete der Rancher kalt.

Flammende Röte übergoß das Gesicht des jüngeren Mannes. Er warf den Kopf hoch und schnarrte:

»Waren meine Brüder nicht deine Freunde?«

Ein verächtliches Lächeln zuckte um die Mundwinkel des einstigen Bandenführers.

»Nein, Kirk, sie waren nicht meine Freunde. Und falls es dich interessiert, ich habe niemals einen Freund gehabt!«

»Unsere Familien sind verwandt miteinander«, empörte sich der Bursche.

»Pah, verwandt! Über fünfundzwanzig Ecken! Vielleicht bin ich ebenso mit dem Gouverneur und mit irgendeinem Teppichhändler drüben in Mexiko verwandt.«

Kirk schluckte die harte Abweisung hinunter.

»Well, wie du willst. Wir können auch hier draußen sprechen. Erstens soll ich dir sagen, daß sie dich heute abend im Crystal Palace erwarten.«

Verwunderung trat in die Augen des Ranchers.

»Wer – erwartet mich?«

»Wir!«

»Wer ist wir?«

»Ich und meine Freunde. Und die anderen…«

»Ich würde an deiner Stelle mit der Bezeichnung Freund vorsichtiger umgehen, Junge. Mir hätte um ein Haar einer meiner Freunde eine Kugel in den Rücken gejagt, wegen eines Mädchens, das ich übrigens nicht einmal haben wollte.«

»Dir? Eine Kugel in den Rücken?« fragte der Bursche verblüfft. »Das kann doch nicht wahr sein.«

»Doch, und wenn du wissen willst, wie dieser Freund hieß: – ich betrachte ihn übrigens bis zu dieser Stunde als meinen Freund – Frank Robert McLowery.«

»Nein!« schrie Kirk und wich zurück. Fahle Blässe überzog sein scharfes Gesicht. Ein Revolver funkelte in seiner Linken. »Du willst mich demütigen, Ike, weil du spürst, daß ich dein Nachfolger werden könnte. Daß ich größer werden könnte als du. Deshalb schleuderst du mir eine so abscheuliche Lüge entgegen!«

Der Rancher sah ihn voller Spott an. Schließlich sagte er:

»Klettere auf deinen Gaul und reite nach Hause, Junge. Da wirst du einen grauhaarigen alten Mann finden, der damals bei mir war, als dein Bruder mich fast niedergeschossen hat. Er war es nämlich, der Frank mit einem schnelleren Schuß den Colt aus der Hand stieß. Dieser Mann ist dein Vater. Und jetzt reite!«

Kirk schluckte. Immer noch hatte er den Revolver, in dessen vernickeltem Lauf sich grell das Sonnenlicht brach, in der Hand.

»Du haßt mich, Ike. Aber ich werde dir beweisen, daß ich der Größere bin. Jetzt schon kann ich dir es beweisen. Du hast fünf Jahre mit Wyatt Earp gekämpft und ihn nicht besiegen können. Ich habe ihn in einer einzigen Nacht geschlagen.« Und dann spie er dem Mann auf dem Vorbau die nächsten Worte förmlich entgegen: »Wyatt Earp ist tot!«

»Bluffer«, kam es ungerührt von Ikes Lippen.

»Er ist tot!« schrie Kirk mit sich überschlagender Stimme. Er schlug den rechten Rockschoß zurück, stieß den Colt mit der Linken ins Halfter zurück und zog mit der Rechten einen schweren schwarzknäufigen Revolver mit überlangem, sechskantigem Lauf aus dem Hosengurt.

»Hier, Ike Clanton, kennst du das?«

Und ob er diese Waffe kannte! Zu oft hatte er sie im Halfter und in der Faust seines großen Gegners gesehen.

Wyatt Earps Buntline Special!

Ganz schmal waren die Augen des Bandenführers geworden. Heiser und fast leise preßte er hervor:

»Wie kommst du an diese Waffe?«

»Ich habe es dir doch gesagt. Er ist besiegt, der große Earp! Tot! Erschlagen!«

Im Gesicht des Ranchers ging eine merkwürdige Veränderung vor sich. Er schob das Kinn vor, drückte die Unterlippe über die Oberlippe, was seine Mundfalten vertiefte, legte den Kopf auf die Seite und stieß die Luft prustend durch die Nasenlöcher aus.

»Was hast du getan, Kirk McLowery?« fragte er mit mühsamer Beherrschung.

»Ich habe ihn besiegt«, stieß Kirk erregt hervor. »Meine Leute haben ihn gestellt, und Batko hat ihn mit einem Winchesterkolben erschlagen.«

Ganz weiß schienen die Lippen des Ranchers zu werden. Seine Nasenflügel blähten sich gefährlich. Aus Stein gehauen schien dieses Menschenantlitz plötzlich zu sein. Er trat zwei Schritte vor bis an die Verandakante und stieß tonlos hervor:

»Du verdammte Ratte! Einen stinkigen hirnlosen Mestizen hast du als Mörder gedungen, diesen Mann auszulöschen.«

Kirk wich unwillkürlich noch einen halben Schritt zurück.

»Du solltest doch froh sein, Ike. Er war doch dein größter Feind und ist jetzt bestimmt auch deinetwegen zurückgekommen!«

»Du armseliger Strolch!« keuchte der Rancher. »Einen feigen Mestizen hast du ihm in den Rücken geschickt!«

»Wieso in den Rücken?« suchte sich Kirk zu verteidigen.

»In den Rücken, sage ich!« donnerte ihn der Rancher an, »weil ich nämlich den Mann sehen möchte, der es gewagt hätte, Wyatt Earp von vorn mit einem Gewehrkolben anzugreifen. Armseliger Wurm! Wie einen räudigen Hund hast du diesen großen Fighter erschlagen lassen.«

»Du neidest mir ja nur den Erfolg!« schrie Kirk.

»Den Erfolg? So! Glaubst du, daß es ein Erfolg ist, den großen Wyatt Earp nachts hinterrücks von einem Meuchelmörder erschlagen zu lassen? Ja, es wird einen Erfolg haben und zwar den, daß Doc Holliday dir keine zwölf Stunden mehr geben wird. Und der Texaner wird Batko und deine anderen Freunde auseinandernehmen wie Revolverteile.«

Jetzt stieß Kirk den Kopf vor und giftete:

»Du neidest mir den Erfolg! Jetzt weiß ich es!«

»Aus meinen Augen!«

Die ruckhafte Bewegung, die der Rancher mit dem ausgetreckten Arm machte, deutete der Mann aus dem San Pedro Valley falsch. Der schwere Revolver in seiner rechten Faust ging los, und zu seinem Entsetzen sah er durch die Pulverwolke, die zwischen ihnen stand, an der rechten Stirnseite Ike Clantons eine fingerlange Blutspur.

Die Reaktion des Bandenführes war blitzartig.

Mit zornverdunkelten Augen hechtete er Kirk entgegen, riß ihn nieder, zerrte ihn mit der Linken wieder hoch und schickte ihn mit einem hämmernden Faustschlag von den Beinen. Dann packte er den Benommenen, schleppte ihn zur Pferdetränke, tauchte seinen Kopf ins Wasser, schob den prustenden und sich schüttelnden Mann zum Pferd und hob ihn in den Sattel. Dann klatschte er dem Rappen mit der flachen Hand eins über, und schon preschte das Tier mit seinem schwerbenommenen Reiter davon.

Oben im Haus wurde die Fliegentür aufgestoßen. Ein Mann trat heraus, der eine gewisse Ähnlichkeit mit Ike Clanton hatte, aber nichts von dessen ausdrucksvollen Augen und kantigen Gesichtszügen besaß. Es war sein um ein Jahr jüngerer Bruder Phineas.

»Ike, wer hat geschossen? Damned, du bist ja verletzt!«

Der Rancher winkte ab und knurrte:

»Was stehst du da herum! Hast du nichts zu tun?«

Phin trollte sich knurrend vom Vorbau.

Ike ging zur Pferdetränke, wusch sich die Wunde aus und schlenderte dann hinüber zum Corral.

*

Es war kurz vor zwei Uhr, als Doc Holliday und der Texaner rechts am Wegrand das verwitterte Holzschild mit dem eingebrannten großen C entdeckten.

»Jetzt sind es noch zwei Meilen«, meinte der Georgier. »Wir befinden uns bereits auf Ikes Land.«

Nach einer Viertelstunde tauchte hinter flachen Kaktusfeldern die blecherne Wassermühle auf, die typisch für die Clanton Ranch war, und schließlich auch die Dächer der

Ranchgebäude.

Die beiden Reiter zogen eine Doppelfontäne weißen Staubes hinter sich her, als sie in den Hof sprengten.

Phin, der in der Fliegentür erschien, verhielt den Schritt und stierte die beiden wie Gespenster an.

»He, das muß doch… ein Spuk sein!«

»Ist Ike auf der Ranch« fragte Holliday ohne jeden Gruß.

Der gerissene Phin hatte seinen Schrecken überwunden. Er zog die Brauen zusammen und hob die Schultern. »Ich weiß nicht, Doc. Aber wenn Sie einen Augenblick ins Haus kommen wollen, ich glaube, ich habe noch so eine Art Whisky da. Das heißt, wenn Ike ihn mir nicht weggeschüttet hat. Das kommt manchmal vor. »Er lachte blechern und kratzte sich im Genick.

»Wo ist Ike?«

Die Worte des Spielers sprangen ihm wie Geschosse entgegen.

»Ich weiß es nicht, Doc. Wenn Sie wollen, sehe ich mich mal um.«

»Tun Sie das, Phin«, rief ihm Luke Short zu, »und möglichst noch vor Weihnachten!«

Da wurde die hinter Phin wieder zugefallene Fliegentür aufgestoßen, und der Rancher stand im Türrahmen.

Doc Hollidays Blick flog sofort zu der verkrusteten Blutspur an seiner Stirn.

Die Männer blickten einander einen Moment stumm in die Augen.

Als hätte er einen Ladestock im Kreuz, so steif saß der Spieler im Sattel. Ohne Übergang schoß er dem Rancher die Frage entgegen:

»Wo ist Wyatt Earp?«

»Ich weiß es nicht.«

In den eisblauen Augen des Georgiers blitzte es auf.

»Hören Sie zu, Ike, es ist vielleicht nicht wichtig, was wir beide voneinander halten, aber ich hatte bis heute geglaubt, daß Sie zu stolz wären, zu lügen.«

»Ich lüge nicht, Doc!«

»Können Sie mir dann vielleicht sagen, woher Sie die Wunde an Ihrer Stirn haben?«

»Ich glaube nicht, daß Sie das interessieren wird.«

»Es interessiert mich sogar sehr, Ike, denn als Wyatt Earp heute nacht überfallen wurde, schoß er noch auf den Mann, der ihn hinterrücks mit einem Gewehrkolben niedergeschlagen hat. Der Mann wurde an der Stirn verletzt. Das ist von einem Augenzeugen ganz deutlich beobachtet worden.«

Eine dunkle Röte trat in das Gesicht des einstigen Bandenführers. Er schob Phin wie einen lästigen Stuhl beiseite und trat an die Kante des Vorbaus, wo sein Gesicht etwa in gleicher Höhe mit dem des Spielers war.

»Ich habe nichts mit dieser Sache zu tun, Doc Holliday. Ich will Ihnen nur noch sagen, wenn mir jemand erzählen würde, Doc Holliday hätte einen Mann mit einem Gewehrkolben von hinten niedergeschlagen, daß ich das nicht glauben würde.«

Holliday preßte die Linke um den Sattelknauf; forschend ruhte sein Blick auf dem Gesicht des Ranchers.

Da wandte Isaac Clanton sich um und ging ins Haus zurück.

»Damit ist das für ihn erledigt«, knurrte Luke Short ärgerlich.

»Sie können ja zu ihm hineingehen und noch ein paar Stunden mit ihm reden«, meinte der Georgier. »Sie werden doch nichts aus ihm herausbringen.«

»Sie glauben ihm also?«

»Glauben? Ich weiß nicht, aber ich komme mir plötzlich ziemlich dumm vor, daß ich hierhergekommen bin. Denn wenn ich es richtig bedenke, paßt es tatsächlich nicht zu ihm, einen Mann ohne Not von hinten niederzuschlagen.«

»Aber seine Leute waren ja in Bedrängnis.«

»Erstens wissen wir nicht, ob es seine Leute waren, und zweitens würde es trotzdem nicht zu Ike Clanton passen, einen Mann von hinten niederzuschlagen.«

Phin hatte sich zur Vorbauecke entfernt.

Aus haßerfüllten Augen blickte er den beiden Reitern nach.

Der Texaner wandte sich um und rief ihm zu:

»Vielleicht treffen wir uns ja einmal wieder, Phin!«

Phineas Clanton verzog den Mund. Zu einer Antwort hatte er nicht den Mut.

*

Wyatt war gut vorwärtsgekommen, trabte jetzt vor seinen drei reiterlosen Tieren her durch ein schier endloses, aber niedriges Kakteenfeld, das von schweren Gesteinsbrocken durchsetzt war, die typisch für diese Landschaft vor den Blauen Bergen waren.

Der Himmel überzog sich schon mit dem Purpurviolett des Abends und im Westen standen einige Silberstreifen am Firmament.

Der Reiter fühlte sich hundeelend. Zwar schmerzte sein Kopf nicht mehr so stark, und auch der beißende Schmerz der Schnittwunde im Arm hatte nachgelassen, aber trotzdem fühlte er sich wie zerschlagen. Brennender Durst quälte ihn. Da glaubte er auf einmal links oben zwischen zwei hohen Gesteinsbrocken die Gestalt eines Reiters bemerkt zu haben.

Der schwarze Tag schien für den Marshal noch nicht zu Ende zu sein, denn in diesem Augenblick brach sein Pferd mit dem rechten Vorderlauf in einen halbverschütteten Präriehasenbau, überschlug sich, und der Reiter wurde so unglücklich abgeschleudert, daß er benommen vor einem Mesquitestrauch mit dem Gesicht nach unten liegen blieb.

Wyatt war jedoch nicht ohne Besinnung. Er vernahm das ungeduldige Stampfen der Pferde neben sich, und dann drang harter trommelnder Hufschlag an sein Ohr, der rasch näherkam.

Aufspringen! hämmerte es in seinem Hirn.

Aber eine bleierne Schwere hielt ihn mit Titanenkräften am Boden fest. Er lag wie im Starrkrampf da.

Der Hufschlag verstummte dicht neben ihm. Hastig sprang der Reiter aus dem Sattel.

Wyatt hörte seine Stiefel im Sand knirschen.

Dann kniete der Mann neben ihm nieder.

»Stones! He, was ist passiert?«

Die Stimme! Sie drang dem Marshal bis ins Mark. Träumte er vielleicht? War es ein Spuk, der ihm die Stimme ausgerechnet desjenigen Mannes hier vorgaukelte, den er jetzt am allerwenigsten gebrauchen konnte.

»Stones! Damned, Mensch!« rief der andere und riß Wyatt herum, daß das gelbe Halstuch einriß.

Mit einem Schlag hatte Wyatt seine Glieder wieder in der Gewalt. Vielleicht hatte er nur dieses harten Herumreißens bedurft.

In seiner Rechten blinkte der Smith & Wesson Revolver.

Und der Mann, der bei seinem Anblick zurückgefahren war, starrte ihm fassungslos ins Gesicht!

Es war Ike Clanton!

Er trug einen hellgrauen Hut, ein weißes Hemd und einen dunkelgrauen Anzug. Die schwarze Samtschleife war sauber gebunden und fiel bis auf die Rockaufschläge.

»Sie?« stammelte der Rancher.

Wyatt schluckte, seine Lippen waren voller Sand, und Staub war in seinen Mund gedrungen.

»Ja, ich, Ike.«

»Ich… hielt Sie für Stones!«

»Ich habe es gehört. Er ist einer Ihrer Leute, nicht wahr?«

»Ja, ein Cowboy von uns. Er arbeitet auf dem Vorwerk am Blue Lake.«

Immer noch stand grenzenlose Verwunderung im Gesicht des Bandenführers.

»Was starren Sie mich so an?« kam es heiser über die Lippen des Marshals.

»Ich… hielt Sie für tot!«

»Kann ich mir denken. – Dafür ist Ihr Freund Stones tot…«

Wie ein Gespenst hing sich plötzlich eine drohende Ohnmacht auf den Missourier und schob graurote Schleier vor seine Augen, hinter denen das Gesicht des Bandenführers mehr und mehr verschwamm.

Ich muß schießen! Schießen! Ehe er es tut… Doch der Alarmruf im Hirn des Marshals vermochte keine Bewegung mehr bei dem so schwer angeschlagenen Mann auszulösen.

Wyatt sah jetzt große rote Nebelschwaden vor seinen Augen, hörte Hufschlag und glaubte in ein endloses Meer zu versinken, aus dem es kein Aufsteigen mehr gab.

Aber dann, nach einer Ewigkeit, wichen die Schleier einem helleren Ton, färbten sich rotviolett, und der Marshal hörte die Stimme eines anderen Mannes, spürte zwei Arme, die ihn in sitzende Stellung hochzogen, zwei Hände, die ihn abtasteten.

Es war Doc Hollidays Stimme, die er jetzt zu hören glaubte. Aber sie schien aus unendlich weiter Ferne zu kommen. Es mußte ein Trug sein, eine Gaukelei der Phantasie.

Da schlug er die Augen auf – und blickte in das harte kantige Gesicht des Georgiers!

Also doch!

Aber das war doch unmöglich. Eben noch hatte doch auf der gleichen Stelle Ike Clanton vor ihm gekniet!

Aber ganz deutlich und nah hörte er jetzt wieder die Stimme des Spielers:

»Schnell, Luke, meine Tasche!«

»Sofort!« Das war die Stimme des Texaners. Und schon verdunkelte seine riesige Gestalt auch schon den Himmel für den Mann der Erde.

Der Hüne kam mit der Instrumententasche des Spielers zurück.

»Sie müssen ihn halten, Luke!«

»Mach ich!« Hände, die die Ausmaße einer großen Kohlenschaufel hatten, legten sich wie Haltegriffe um die Schultern des Missouriers.

Eine kleine Flasche wurde aufgestöpselt. Dann zog ein scharfer, beißender Geruch in die Nase des Benommenen.

»Damend, stinkt das Zeug«, hörte Wyatt hinter sich die unverkennbare Stimme des Texaners.

»Wyatt!« Holliday hatte seine schlanken Hände um das Gesicht des Freundes gelegt, knöpfte ihm jetzt das Hemd auf, und dann fühlte der Marshal eine eiskalte Flüssigkeit auf seiner Brust. Anschließend massierte der einstige Bostoner Arzt seine Handgelenke und seinen Nacken.

»Zurücklegen«, sagte er leise zu Luke.

Der Texaner ließ ihn auf den Boden nieder.

Wyatt hatte die Lippen geöffnet.

»Doc!« brachte er mit einer ihm selbst völlig fremden Stimme krächzend durch die schmerzende Kehle.

In den eisblauen Augen des Spielers hatte große Besorgnis gestanden; sie wich jetzt einer grenzenlosen Freude.

»Wyatt!«

»Wo… ist er?«

Holliday sah verwundert auf. »Luke? Er kniet hinter Ihnen.«

»Ike…«

»Ike?« Die Besorgnis kehrte in die Augen des Georgiers zurück.

»Er war hier…, bei mir!«

Holliday schüttelte den Kopf.

»Nein, Wyatt. Sie sind hier gestürzt, und zwar ganz ordentlich.«

Wyatt richtete sich auf. Luke stützte ihn im Rücken.

»Er war hier, Doc!« beharrte Wyatt.

»Wo sollte er denn sein?«

»Ich weiß es nicht. Da, wo Sie jetzt knien, kniete auch er!«

»Das kann ich mir nicht denken«, entgegnete der Spieler vorsichtig, da er die Worte des Freundes noch den Folgen des Sturzes zuschrieb.

Wyatt versuchte sich aufzurichten; die beiden halfen ihm dabei. Seine Augen suchten den Boden ab. Aber da war nichts mehr zu erkennen.

»Das ist mir unerklärlich!« meinte der Marshal und stützte sich immer noch gegen den massiven Mann aus Texas. »Ich habe ihn vor mir gesehen! Leibhaftig!«

»Kein Wunder«, meinte Luke Short. »Jetzt geistert der Kerl nicht nur durch unsere Tage, sondern sucht uns auch noch in den Träumen heim, und dann glaube ich, wenn ich so einen Sturz getan hätte, sähe ich Napoleon oder vielleicht auch Columbus hier auf rosaroten Wellen herumschaukeln.«

Holliday blickte den Freund forschend an.

»Schmerzen?«

»Nicht sehr. Der Kopf brummt.«

»Woher haben sie nur all diese Schrammen und Risse und die Wunde, die Sie sich da notdürftig verbunden haben.«

»Von Shilbells Ranch…«

Wyatt berichtete, was er erlebt hatte. Aufmerksam hörten ihm die beiden zu. Die Geschichte des Marshals endete hier – bei dem Sturz. Und wieder mußte er an Ike Clanton denken. Als der Gambler von dem gesprochen hatte, was er und Luke Short inzwischen erlebt hatten, rieb sich der Marshal übers Kinn.

Leise sagte er:

»Und er war doch hier, Doc!«

»Ausgeschlossen!« meinte der Texaner.

»Was hatte er denn an?« wollte Holliday wissen.

Wyatt beschrieb das, woran er sich noch erinnerte.

Der Georgier schüttelte heftig den Kopf.

»Wir waren vorhin gerade bei ihm, und da trug er andere Sachen.«

»Ihr wart auf der Clanton Ranch?«

»Ja, wir hatten eine kleine Unterhaltung mit unserem Freund.«

»Mit Ike? Haben Sie mich etwa bei ihm gesucht?«

»Bei ihm… und überall«, unterbrach der Texaner. »Wir hätten Sie notfalls auch bei den Apachen herausgeholt oder vom Mond herunter.«

»Und was war mit Ike, was sagte er?«

»Er wußte nichts. Und an dem Überfall beim Courthouse will er auch nicht beteiligt gewesen sein.«

»Das war er auch nicht. Der Kerl, der mich niederschlug, erinnerte mich an Indian Charlie.«

»Batko!« erklärte Luke Short.

Holliday reichte dem Gefährten eine geöffnete Whiskyflasche und einen sauberen Becher.

Wyatt schüttelte den Kopf.

Da meinte der Gambler:

»Ich an Ihrer Stelle würde einen Schluck nehmen.«

Wyatt tat dem Freund den Gefallen und fühlte sich tatsächlich danach etwas besser.

»Und jetzt schwarzen Tee«, empfahl Holliday, »ich habe die ganze Campflasche voll. Nellie Cashman hat ihn mir mitgegeben, und ganz deutlich las ich damit den Wunsch in ihren Augen, daß Sie ihn trinken möchten.«

»Spötter!« entgegnete Wyatt, nahm aber einen tiefen Schluck aus dem Teebecher.

Viel schneller als er es erwartet hatte, kehrten seine Lebensgeister zurück. Schon die Gegenwart der beiden Freunde ließ ihn die Schmerzen vergessen.

Holliday nahm den Notverband von der Armwunde, die sich Wyatt an dem Messer der Strohschneidemaschine geholt hatte, säuberte die Wunde und legte einen neuen Verband an.

Währenddessen berichtete er, daß sie von Ikes Ranch noch zu Hattaways Farm hinübergeritten wären, um da nach ihm zu fragen. Auf dem Rückweg hierher hatte der lange Tex über die Mesquitesträucher hinweg die Pferde hier entdeckt.

»Und er?« fragte Wyatt da rasch. »Kann er euch nicht kommen gesehen haben?«

»Ike?« Holliday zog die Schultern hoch. »Unmöglich wäre es natürlich nicht, wenn er wirklich hier bei Ihnen war, konnte er uns ein ganzes Stück weit sehen. Viel eher, beispielsweise, als wir ihn, denn hier die Schneise in dem Feld führt genau zu dem Weg zu Hattaways Farm…«

Der Texaner betrachtete die Pferde, die an den Büschen standen. »Ein Glück, daß Shibell Sie nicht eingeholt hat, Wyatt, sonst hätte er Sie als Pferdedieb aufgehängt.«

Wyatt ging auf den grauen Hengst zu und streichelte ihn.

»Er ist ein braver Bursche. Aber er hat einen Gang wie ein Farmergaul.« Er klopfte dem Tier auf den blanken Hals und zog sich dann in den Sattel.

Verwundert blickte Holliday zu ihm hinüber.

»Weshalb nehmen Sie nicht eines der anderen Pferde? Das Tier, das in den Hasenbau gebrochen ist, hat sich nichts dabei getan und macht mir einen leichteren Eindruck.«

Wyatt schüttelte den Kopf.

»Nein, der Graue hat mich von der Teufelsfarm Oswald Shibells fortgebracht, hat mir die Treue gehalten, als ich ein anderes Pferd nahm – und außerdem wäre es falsch, sich zu verweichlichen. Wenn der Hengst mich von hier nach Tombstone getragen hat, bin ich bestimmt munter.«

Da lachte der Texaner hellauf.

»Gott sei Dank, das ist wieder der alte Wyatt!«

Sie stiegen auf.

Wyatt zog sich das verrutschte gelbe Halstuch nach vorn und hielt plötzlich in der Bewegung inne. Dann zerrte er sich das Tuch vom Hals und betrachtete es genau.

Es war ziemlich neu – und doch an einer Ecke eingerissen.

Wieder hörte der Marshal das Geräusch reißenden Stoffs in seinem Ohr, als er nach seinem Sturz von Ike Clanton herumgezogen worden war.

Sollte es doch keine Täuschung gewesen sein?

Aber er mochte die beiden Freunde nicht weiter mit diesen Dingen aufhalten.

Im raschen Trab ging es jetzt nordwärts der Stadt entgegen.

Die Sonne war längst gesunken, und die Schatten der Nacht breiteten sich über die Savanne, als sie in der Ferne die Lichter der Stadt vor sich auftauchen sahen.

»Tombstone«, sagte der Spieler leise. »Grabstein! Welch ein schöner, passender Name für unsere zweite Heimat.«

»Ist er nicht ein elender Spötter?« meinte der Texaner. »Ich für meinen Teil bin froh, wenn ich diesem Kaff den Rücken kehren kann.«

»Das sind wir auch, Luke«, entgegnete der Marshal, »verlassen Sie sich darauf. Es grauste uns, als wir neulich nach so langer Zeit wieder in die Stadt kamen. Aber das sage ich Ihnen, ich werde sie nicht eher verlassen, bis ich weiß, wer der Boß der Galgenmänner ist, bis ich ihn gestellt und seine Bande zerschlagen habe.«

Holliday schwieg und blickte der Stadt entgegen.

Der Hüne aus Texas hingegen meinte:

»Vergnügungssüchtig sind Sie wirklich nicht, Marshal. Well, ich bin dabei.«

*

Es war dunkel, als sie an den Miner Camps vorbei in die Stadt einritten.

Oben in der Allenstreet herrschte reges Leben. Vor den Vorbauten der Schenken standen ganze Reihen von Pferden an den Querholmen.

Niemand achtete auf die drei Reiter, die drei reiterlose gesattelte Pferde mit sich führten.

Unweit vom Crystal Palace hielt Wyatt den Grauen an.

»Da scheint ja eine ganze Menge los zu sein.«

»Sieht nach einer Feier aus«, fand der Texaner.

Holliday schob sich eine Zigarette zwischen die Zähne, riß ein Zündholz an und stieß den Rauch hoch von sich.

»Ich würde mich nicht wundern«, fand er, »wenn sie den Tod ihres Erzfeindes feierten. Immerhin ist es kein alltägliches Ereignis bei den Clantons, wenn ihr härtester Widersacher in die Ewigen Jagdgründe eingegangen ist.«

Auf den Vorbauten standen die Menschen dichtgedrängt beieinander und versuchten einen Blick durch die Fenster des Crystal Palace zu erhaschen.

Die drei schoben sich ebenfalls auf den Vorbau, und Wyatt tippte einem älteren Mann auf die Schulter.

»Was ist denn da los, Mister?«

»Ursprünglich sollte es eine Geburtstagsfeier für John Clum sein. Aber er ist ja tot.«

»Also eine Totenfeier?«

»Eine doppelte sogar«, meinte der Mann, ohne sich ein einziges Mal umgedreht zu haben.

»Wer ist denn noch gestorben?«

»Gestorben? Ich weiß nicht, ob man es so nennen kann. Sie werden es vielleicht nicht glauben, aber Wyatt Earp ist in der letzten Nacht ausgelöscht worden. Der Mestize Batko soll es gewesen sein. Man weiß es von Between, der sich heute mittag dem Richter stellte und sich dann erschoß. Er ist also der dritte Tote. Wenn das nicht ein Ding ist, Mister, dann will ich nicht Jeff Harper heißen! Und jetzt kommt das Tollste: Wissen Sie, wer da drinnen ist?«

»Eine Menge Leute, nehme ich an.«

»Allerdings. Und wer ist bei ihnen? Wen haben sie vor einer Stunde mit gewaltigem Jubel empfangen? Ike Clanton!«

Wyatt Earp und Doc Holliday wechselten einen raschen Blick miteinander, und der lange Texaner lehnte sich so hart gegen einen Dachpfeiler, daß der in seinem Gefüge ächzte.

»Ja, Mister«, fuhr der Alte fort, »es tut sich was in Tombstone. Allerdings ist es nicht gut, daß sie den Marshal umgebracht haben. Er war ein großer Gesetzesmann und hat den Clantons immer einen fairen Kampf geliefert. Ich kann Ike gar nicht verstehen, daß er diese Schweinerei geduldet hat. Sie müssen nämlich wissen, daß ohne Wyatt Earp hier wieder alles drüber und drunter geht. Richter Gordon hat Batko und Hal Somers heute früh nach Phoenix ins Jail geschickt, da wußte noch niemand, daß Batko Wyatt Earps Mörder ist. Sehen Sie nur, das ist Phin! Er steht vor den Männern und wird gleich reden.« Der Alte deutete über die Köpfe der vor ihm Stehenden hinweg, wandte sich dann um und sagte leise: »Dieser Galgenstrick taucht immer auf, wenn…« Jäh brach er ab und starrte mit geweiteten Augen in das Gesicht des Missouriers.

»Das… das kann doch nicht wahr sein«, stammelte er.

»Doch, Mister«, sagte Wyatt. »Und vielen Dank für die Auskunft.«

Er schob sich an ihm vorbei und ging auf den Eingang des Crystal Palace zu.

Wie viele Saloons in dieser Stadt, so hatte auch der Crystal Palace drei Räume, die alle sternförmig ineinanderliefen. Mehr als hundert Menschen standen in dem großen Saal und blickten nach vorn zur Theke, an deren Stirnseite Ike Clanton lehnte.

Verwundert musterte Doc Holliday den Bandenführer und stellte fest, daß er einen neuen grauen Hut trug, ein weißes Hemd, eine schwarze Samtschleife und einen grauen Anzug.

Der Marshal hatte sich also nicht getäuscht.

Auch der Texaner machte diese Feststellung.

Phin Clanton stand vor der Theke, blähte sich auf, stützte die Hände hinter sich auf das Thekenblech und rief mit seiner schnarrenden Stimme:

»Männer von Tombstone, ihr seid hier zusammengekommen, um den Geburtstag unseres großen John Clum zu feiern!«

Der Marshal, der noch draußen vor den Armen der Schwingtür stand, bemerkte, daß Phin sich unbehaglich nach seinem Bruder umdrehte.

Da hörte Wyatt die leise Stimme Hollidays hinter sich:

»Ich werde mich mal nach Richter Gordon umsehen.«

Der Missourier nickte.

Drinnen fuhr Phin fort.

»John Clum ist tot, Männer. Es ist eine Schreckensnachricht für die Stadt. Er ist ermordet worden. Aber ich darf voll Genugtuung sagen, daß auch der Mann, der seinen Tod auf dem Gewissen hat, ausgelöscht ist. Und wenn wir uns auch nicht auf die Seite des Mestizen Batko stellen wollen, so kommen wir doch nicht umhin, festzustellen, daß das Schicksal ihn als Arm der Gerechtigkeit benutzt hat!«

Wieder sah er sich nach Ike um.

Der starrte in sein Whiskyglas.

Phin wollte weiterreden, warf dann aber den Kopf wieder herum und knurrte: »Weshalb stehst du so da, Ike? Das regt mich auf! Weshalb sagst du nichts? Die Männer warten doch alle darauf.«

»Geh nach Hause!« Ike stieß sich von der Thekenecke ab.

»Weshalb?« giftete der jüngere Bruder, griff nervös nach einem halbvollen Glas und goß die Hälfte des Inhalts am Mund vorbei.

»Weil der tote Wyatt Earp sich sonst für dich interessieren könnte!« mahnte Ike.

Phin lachte blechern. »Das ist vorbei, Ike. Wir brauchen keine Angst mehr vor ihm zu haben. Er ist tot!«

»Jetzt hält’s du deinen Mund, Phin. Mir reicht’s. Als ich dir vorhin nachgeritten bin, sah ich unten auf der alten Overlandstreet Pferde in den Kaktusfeldern stehen. Ich ritt näher und sah einen Mann am Boden liegen, den ich für einen unserer Cowboys hielt, für Stones. Es war nicht Stones, Phin. Rate mal, wer es war.«

»Ich weiß es nicht«, entgegnete Phin unsicher.

»Es war Wyatt Earp!«

Phin wich zwei Schritte zurück.

»Wyatt Earp?«

»Ja, und er war nicht tot. Ich bin wieder weggeritten, weil oben von Hattaways Farm seine beiden Freunde kamen, denen ich nicht unnötigerweise noch einmal begegnen wollte.«

»Aber das ist doch unmöglich, Phin.«

Ike warf ein Geldstück auf die Theke und ging auf den Ausgang zu.

Die Männer bahnten ihm sofort eine Gasse zur Tür.

Phin starrte dem Bruder nach.

»Ike, wo willst du hin?«

»Nach Hause.«

Fünf Schritt vor dem Eingang blieb der Rancher plötzlich stehen. Er hatte über den Schwingarmen der Pendeltür das Gesicht des Marshals entdeckt.

Der stieß die Türarme auseinander.

»Wyatt Earp!« Ein Schrei brach aus über hundert Kehlen.

Gelassen blickte Ike Clanton den Marshal an.

»Hallo, Wyatt!«

»Ike.« Der Marshal ersparte sich das Hallo.

Oben an der Theke versuchte Phin Clanton sich zurückzuziehen.

Wyatt ging vorwärts.

Ike stand mitten in der Menschengasse.

Atemlose Stille herrschte im Crystal Palace.

Aber der Marshal ging an Ike Clanton vorbei auf die Theke zu.

Phin war zurückgewichen und stieß gegen die Messingfußstütze.

Zwei Yard stand Wyatt jetzt vor ihm.

»Das war eine hübsche Rede, Phin. Für eine Leichenrede nur nicht feierlich genug. – Jetzt wüßte ich nur noch gern, wer auf John Clum geschossen hat.«

Ike Clanton hatte sich umgewandt.

»Das weiß Phin auch nicht!« rief er. »Er weiß überhaupt nichts. Er hat nur ein großes Maul!«

Der Rancher wandte sich um, ging wieder auf die Tür zu, und als er ihre Schwingarme auseinanderstieß, sah er draußen auf dem Vorbau die riesige Gestalt des Texaners stehen.

Aber Luke Short hatte ihm den Rücken zugekehrt.

Wyatt blickte die Männer an, die vor ihm standen. Sein braunes Gesicht und seine Hände waren zerkratzt und zerschunden. Man sah ihm den Kampf an, der schon hinter ihm lag.

»John Clum ist nicht tot, Leute. Er hat zwar eine schwere Verletzung davongetragen, aber er lebt. Und ich werde den Mann finden, der die Schüsse auf ihn abgegeben hat.«

Da trat der krummbeinige Mike Flanagan vor und meinte kaltschnäuzig:

»Ich weiß, wer ihn überfallen hat, Marshal. Ich habe es zufällig beobachtet. Aber ich wollte es nicht sagen. Jetzt kann ich es ja ruhig tun. Sie werden es nicht glauben, wer die Schüsse abgegeben hat…«

Wyatt unterbrach ihn. »Wenn Sie mir jetzt sagen wollen, Flanagan, daß Between auf ihn geschossen hat, dann gebe ich Ihnen eine Ohrfeige.«

Der Bursche aus der verrufenen Familie der Flanagans wich verdutzt zurück.

»Aber er war es tatsächlich! Ich habe ihn gesehen!«

Wyatt nickte langsam. »Wie praktisch, Mike, daß es ein Mann war, der tot ist und den ich nicht mehr fragen kann.«

Doc Holliday trat durch die Hoftür in den Schankraum. Er hatte den Waffengurt des Marshals und dessen Hut in der Hand.

»Between hat diese Dinge bei Richter Gordon abgegeben«, erklärte er.

Wyatt nahm sein Eigentum an sich und antwortete laut:

»Und jetzt brauche ich noch meinen Stern, den mir der Bandit Oswald Shibell gestohlen hat! Ich werde ihn mir zurückholen.«

Ein Raunen ging durch die Reihen der Männer im Crystal Palace.

Wyatt Earp blickte Phin von der Seite an.

»Ich gehe jetzt, Mr. Clanton. Dann können Sie Ihren Vortrag fortsetzen. Die Gents sind sicher sehr neugierig, was Sie ihnen noch zu sagen haben.«

Gefolgt von Doc Holliday verließ er den Saloon. Sie nahmen ihre Pferde und führten sie hinunter zu Nellie Cashmans Russian Hotel.

Die junge Frau stand in der Halle, als der Marshal im Eingang erschien. Sie hatte gerade eine Blumenvase in der Hand, die ihr sofort entglitt und auf den Marmorfliesen klirrend zerschellte.

Der Marshal ging auf sie zu, hob die Blumen auf und hielt sie ihr hin.

»Schade, wo es doch so wenig Blumen bei uns gibt.«

Nellie Cashman sah den Mann mit ihren großen dunklen Augen an, in

denen jetzt unverhohlene Freude stand.

»Wyatt…«, stammelte sie und wäre ihm am liebsten um den Hals gefallen. Aber sie blickte über seine Schulter in das Gesicht des Spielers, der offenbar irgend etwas an seinen Fingernägeln entdeckt zu haben schien, das seine ganze Aufmerksamkeit erforderte.

Luke Short warf seinen weißen Hut mit einem geschickten Schwung auf einen der hölzernen Wandhaken, schüttelte den Kopf und rief: »Nun gib ihm schon einen Kuß, Mädchen! Er wird sich schon nicht darüber ärgern.«

Die hübsche Nellie Cashman tat es sofort, und dann mußten sie alle herzlich lachen.

Wyatt wusch sich, und Holliday legte ihm einen neuen Verband an. Als sie anschließend um den Tisch herumsaßen, um das verspätete Abendbrot einzunehmen, stürmte der Wirt des Oriental Saloons in die Hotelhalle.

»Wyatt, bei mir in der Schenke hat’s eine Schießerei gegeben! Jonny Miller hat Pilgram erschossen!«

»Was sagen Sie da?«

»Die Hölle ist in meinem Laden los! Und was toll ist, Batko ist da!«

»Batko?« Wyatt war aufgesprungen, schnallte seinen Waffengurt fester und lief zur Tür.

»Wyatt!« rief Nellie Cashman ihm entsetzt nach. »Nein, er sieht so elend und zerschunden aus; er darf nicht schon wieder weg!«

Doc Holliday erhob sich, winkte ab und meinte:

»Es hat keinen Zweck, daß Sie sich aufregen, Miß Nellie. Ich finde, es war doch schon ganz schön, daß wir eine volle Viertelstunde friedlich hier gesessen haben.«

»Der Doc ist fürchterlich«, meinte der Texaner. »Ärgern Sie sich nicht, Miß. Wir kommen bald zurück!«

Rasch folgten die beiden dem Marshal.

Wyatt sah die Menschenmenge, die sich vor dem Oriental Saloon drängte.

Und dann hörte er die ölige Stimme Phin Clantons.

Holliday, der zusammen mit Luke Short den Marshal eingeholt hatte, preßte durch die Zähne:

»Dieser Halunke hat anscheinend wieder das Gefühl, eine Grabrede halten zu müssen.«

Als sie am Vorbau ankamen, stieß der Marshal Phin zur Seite.

Der Cowboy hatte ihn in dem Gedränge nicht erkannt, warf sich herum und wollte nach ihm greifen.

Da wurde er plötzlich wie von einer Titanenfaust am Kragen gepackt, über den Vorbaurand hinausgeschoben und – losgelassen.

Hart stürzte er in den Staub der Straße. Und über ihn schallte nun das laute, dröhnende Lachen des Texaners:

»Red nur weiter, Phin, ein Prediger muß bei seinen Schafen stehen. Da unten brauchen sie sich nicht den Hals nach dir zu verrenken!«

Wyatt hatte die Schankhaustür aufgestoßen und sah zwei Männer an der Theke stehen. Jonny Miller und den Mestizen Batko.

Die beiden blickten ihm trotzig entgegen. Die Linke auf die Theke gestützt, die Rechte in der Nähe ihrer Waffengurte.

Drei Schritte hinter der Tür war der Marshal stehengeblieben. Vor ihm auf dem Estrich lag der Tote.

»Sie haben ihn erschossen, Miller«, kam es hart über die Lippen des Missouriers.

»Ja, Marshal. Er hat mich angegriffen.«

»Das ist nicht wahr!« rief da der Salooner von der Tür her. »Und alle, die hier in der Schenke waren, können es bezeugen. Als die Männer hier vom Crystal Palace hereinkamen, tauchte plötzlich Pilgram auf. Ich habe genau gesehen, daß du sofort und ohne Anruf auf ihn gefeuert hast!«

»Und ich werde Ihnen auch sagen, warum!« Wyatt Earp blickte den Besitzer der Kaschemme aus der Fremontstreet mit eisiger Kälte an.

»Da bin ich aber neugierig«, entgegnete der Gangster.

»Ernest Pilgram war einer der beiden Banditen, die auf John Clum geschossen haben. Sie wußten es genau, denn Sie waren der andere. Und weil Sie plötzlich Angst bekommen haben, daß Pilgram reden könnte, schossen Sie ihn nieder.«

Millers Rechte zuckte zum Revolver. Aber da lag der schwere Buntline Special schon in der Linken des Marshals.

»Keine Bewegung, Miller!« Metallen schnitt die Stimme des Gesetzesmannes durch den Raum.

Da tauchte Doc Holliday hinter dem Marshal auf.

Keine Sekunde hatte Wyatt Earp den Mestizen Batko aus den Augen gelassen. Jetzt wandte er sich ihm zu und senkte seinen Blick in die tückischen Augen des Halbbluts.

»Wie kommen Sie hierher, Batko?«

Der Mestize schluckte schwer.

»Jonny Behan hatte die Aufgabe, Sie und die anderen nach Phoenix zu bringen. Da Sie jetzt hier auftauchen, müssen Sie auf dem Transport entsprungen sein. Sie sind festgenommen, Batko!«

Der Mestize hatte sich von dem Trupp, den Jonny Behan nach Phoenix zu bringen hatte, getrennt, war in die Stadt zurückgeritten und hatte nichtsahnend hier die Schenke betreten, als die Schießerei gerade vor sich ging. Daß der Marshal noch lebte und sogar schon wieder in der Stadt war, hatte er noch nicht gewußt. Wie eine Gipsfigur hatte er hinter dem Mörder Miller gestanden, als Wyatt Earp plötzlich in der Tür aufgetaucht war.

Da ging der Marshal auf die beiden zu.

In Batkos Gestalt kam plötzlich Leben. Er war bis an die Zähne bewaffnet und dachte nicht daran, kampflos aufzugeben.

Da hatte Wyatt Earp die beiden erreicht.

Miller schluckte trocken; große Schweißperlen standen auf seiner Stirn.

Mit eisiger Gelassenheit nahm ihm der Marshal die Waffen aus dem Gurt.

»John Miller, Sie sind wegen Mordes festgenommen!« Wie Hammerschläge hallten die Worte.

Batko hatte fieberhaft auf seine Chance gewartet. Jetzt, als Wyatt den Revolver Millers auf die Theke legte, hielt er sie für gekommen, stieß die Linke zum Messer – und dicht vor ihm fegte der Mann aus Missouri in einer halben Pirouette herum und riß einen Handkantenschlag hoch, der den Banditen weit zurückschleuderte und hart zu Boden warf.

Luke Short stand mitten im Schankraum.

»Einlochen?«

Wyatt nickte.

Da griff sich der Tex den Mestizen am Kragen und den Kaschemmenwirt am Arm und schleppte beide aus der Schenke hinaus.

Doc Holliday, der die ganze Szene mit wachsamen Augen bewacht hatte, ging langsam auf die Theke zu, blickte den Salooner an und meinte: »Sie sollen so einen guten Brandy haben…«

Wyatt Earp Staffel 11 – Western

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