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Er kam vom Missouri

Western von William Mark

Es war der 18. August 1872. Die kleine Kansas-Stadt Ellsworth sollte diesen Tag nie vergessen. Er ist noch heute in ihren Annalen verzeichnet.

Die vierspännige Overland-Postkutsche, die von Salina aus das weite Knie des Kansas-River auf einer schnurgeraden Straße nach Westen abgeschnitten hatte, polterte unter einer Glocke von Staub in die Mainstreet von Ellsworth ein.

Der Fahrer, ein völlig mit mehlfeinem Staub bedeckter, hochgewachsener junger Mann, zog die Zügelleinen an und brachte das knarrende Gefährt zum Stehen. Verwundert blickte er sich um.

Die Straße war menschenleer.

»He! Was hat das denn zu bedeuten?«

Der Mann zurrte die Leinen fest und rutschte vom Kutschbock. Wieder sah er sich um.

Aber die Mainstreet blieb leer. Wie ausgefegt lagen die Stepwalks da. Auch an den Fenstern war niemand zu sehen.

Drüben, hinter der bastgeflochtenen Pendeltür des sonst so betriebsamen Smoky-Saloons, herrschte gähnende Stille.

Der Mann rieb sich übers Kinn, klopfte sich den Staub von Ärmel und Hose, stieg die drei Stufen zum Vorbau hinauf und ging mit harten, sporenklirrenden Schritten auf das Sheriff Office zu.

Ehe er die Tür öffnete, warf er noch einen Blick über die Straße.

Nichts rührte sich.

Die Sonne stand hoch im Zenit und schleuderte eine Bruthitze auf die Häuser.

Der Mann stieß die Tür zum Office auf.

Der kleine Raum war zum Bersten voll. Gutgekleidete Bürger, Männer in Weidekleidung, rauhe, harte Gesichter.

Gleich neben der Tür stand der ­baumlange Mann mit dem Stern, Cecil Whitney, der Sheriff. Er schien den Postfahrer zu kennen und warf ihm nur einen flüchtigen Blick zu. Dann sah er wieder durch eine Gardinenritze auf die Straße hinaus.

Der junge Mann blickte verwundert auf die stumme Versammlung. Dann stieß er den Sheriff an.

»He, was ist los, Mister Whitney?«

Der Sheriff sah ihn wieder nur kurz an.

»Es ist gut, daß Sie von der Straße gekommen sind…«

»Was gibt’s denn hier? Die Straße ist ja wie ausgekehrt.«

Einer der Männer, ein beleibter, gewichtiger Mensch mit rotem Gesicht, fuhr sich über seine zitronengelbe Weste und nestelte an seiner schweren goldenen Uhrkette.

»Was los ist, Mann? Die Hölle ist los! Warten Sie nur ab.«

In diesem Augenblick krachten draußen mehrere Schüsse.

Der Postfahrer schob sich neben den Sheriff ans Fenster.

»Nicht!« wehrte der ungehalten ab. »Lassen Sie die Gardinen, wo sie sind. Wenn er sieht, daß sich hier was bewegt, kommt er am Ende rüber!«

»Wer denn, zum Teufel?«

Der Dicke mit der zitronengelben Weste blickte düster zum Fenster hinüber. Seine fleischigen Hände mit den kurzen Fingern zitterten.

»Zwölf Meilen südlich vor der Stadt stehen über siebenhundert Kuhtreiber«, sagte er dumpf in die Stille hinein. »Sie sind mit den Herden angekommen. Um dem Ansturm in der Stadt begegnen zu können, haben wir Verstärkung für den Sheriff angeworben. Brocky Jack Norton ist als Marshal hier –«

»Jack Norton?« fragte der Postfahrer verblüfft. »Der Schießer aus Texas?«

»Ja, genau der. Er wird mit den Cow­boys am besten umgehen können.«

»Und wer ist drüben in Smokys Saloon?«

Der junge Postfahrer wandte sich an den Dicken.

»Sind Sie nicht der Bürgermeister?«

»Doch«, keuchte der Mann asthmatisch und rieb sich den Schweiß von der Stirn, »doch, ich bin der Mayor. Leider!«

»Wo ist Norton?«

Über die Gesichter der Männer lief ein verzweifeltes Grinsen.

»Wo soll er sein?« knurrte der Sheriff. »Wo ein Marshal hingehört: auf der Straße.«

»Und drüben im Saloon ist Ben Thompson!« rief ein alter Mann mit pergamentfarbenem Gesicht und hellen Augen.

»Thompson?« fragte der Postfahrer und ließ den Mund offenstehen. »Heh – das ist ein Ding! Weshalb verhaftet der Marshal ihn nicht?«

Die Männer warfen dem Kutscher von der Overland einen verweisenden Blick zu.

Von der Stirn des Sheriffs rann der Schweiß in kleinen Bächen. Er schnallte seinen Waffengurt enger und ging zur Tür. Da blieb er noch einmal stehen und wandte sich um.

»Ich werde jetzt rüber in die Schmiede gehen und mit Norton sprechen. Er muß Ben Thompson verhaften.«

Die Männer nickten.

»Der Marshal steckt also drüben in der Schmiede?« fragte der Overland-Mann. »Ich dachte, er wäre auf der Straße?«

Whitney öffnete die Tür und ging quer über die Mainstreet.

Niemand im Office rührte sich.

Der Sheriff verschwand drüben in der Schmiede. Nach drei Minuten kam er zusammen mit einem großen, vierschrötigen Mann heraus, der einen Marshalstern trug; die beiden blickten nach Smokys Saloon hinüber, liefen dann aber im Sturmschritt über die Straße auf die Gasse zu, die neben dem Büro des Sheriffs auf die Mainstreet mündete.

In diesem Augenblick krachte über der Pendeltür von Smokys Saloon her ein Schuß.

Der Sheriff machte noch zwei stolpernde Schritte und brach dann vor der Gassenmündung zusammen.

Der Marshal rannte weiter, lief um den Gefängnistrakt herum und kam von hinten ins Sheriff Office.

Stumm und düster sahen ihm die Männer entgegen.

Jack Norton nahm sich den mißfarbenen Hut vom Kopf und wischte über das Schweißband.

»Whitney ist tot«, sagte er heiser.

Die Stille in dem kleinen Raum war erdrückend.

Da trat der Postfahrer auf den Bürgermeister zu.

»Eine tolle Polizei habt ihr hier!« sagte er spöttisch, wandte sich um und wollte zur Tür.

»Stop!« rief ihm der Marshal bellend nach.

Der Postfahrer blieb stehen.

»Was sollte das heißen?« knurrte Norton gallig.

Der Overland-Mann kam langsam auf ihn zu.

»Ich habe gesagt: Eine tolle Polizei habt ihr hier!«

Er hatte es klirrend gesagt, und seine tiefblauen Augen bohrten sich in den Blick des Marshals.

Der Bürgermeister wischte sich unentwegt mit einem riesigen Taschentuch übers Gesicht.

»Sie haben gut reden, Mann! Da draußen liegt der Sheriff…«

»Und da steht der Marshal!« stieß der Postfahrer durch die Zähne und wies mit dem ausgestreckten Arm auf Norton. »Die Stadt hat ihn angeworben, weil er als mutiger Mann bekannt gewesen ist. Er sollte siebenhundert wilde Cowboys zähmen. Drüben in der Kneipe ist nur ein einzelner Mann, den kann er nicht einmal verhaften.«

Die Männer blickten den Marshal an.

Der war grau geworden im Gesicht. Seine Unterlippe zitterte leicht.

»Ja, siebenhundert halbwilde Cowboys sind angekommen. Heute abend werden sie in der Stadt sein. Aber der Mann drüben im Saloon, das ist ein anderer; das ist ein Kerl, der anderthalbtausend Cowboys aufwiegt. Ben Thompson ist eine Bestie…«

Der Postfahrer wandte sich ab und feixte.

»Ich sagte ja: Ihr habt eine tolle Polizei hier!«

Damit wollte er zur Tür.

»Wo wollen Sie hin?« rief ihm der Mayor nach.

Der Mann von der Overland warf ihm einen erstaunten Blick zu.

»Na, hören Sie, Mayor – schließlich kann ich doch nicht mit meiner Karre hier bei euch Wurzeln schlagen.«

Der Bürgermeister wandte sich mit einem Ruck an den Marshal und fragte eisig:

»Wollen Sie Ben Thompson nun verhaften oder nicht?«

Norton schluckte. Es arbeitete heftig in seinem Gesicht; auf seiner Stirn perlten winzige Schweißtropfen. Jäh schüttelte er seinen kantigen Schädel.

»Nein, ich kann es nicht. Niemand kann es!«

»Also doch eine tolle Polizei!« höhnte der Postfahrer und riß die Tür auf, um zu seiner Kutsche zu gehen.

Der Bürgermeister rief ihm nach:

»Einen Augenblick noch!«

»Ich habe keine Zeit!« knurrte der junge Mann, blieb aber in der offenen Tür stehen.

Mayor Sefton Miller trat auf Jack Norton zu und riß ihm den Stern vom schweißdurchnäßten Hemd. Schweren Schrittes ging er auf den Postfahrer zu und nestelte ihm den Fünfzack an die Weste.

»Ich weiß, daß die Leute mich hier auslachen werden; aber es ist nun alles einerlei. Ich muß jede Chance nutzen. Auch die geringste. Und wenn einer das Maul weit aufreißt, muß man es ihm stopfen. Wie heißen Sie?«

Der Spott war aus dem Gesicht des Postfahrers gewichen. Tiefer Ernst stand in seinen Augen.

»Wyatt Earp«, sagte er ruhig.

»Well, Wyatt Earp. Wir haben eine schlechte Polizei, – das sagten Sie doch. Nun haben Sie den Stern: Gehen Sie rüber, und verhaften Sie Thompson!«

Ein schadenfrohes Grinsen stand im Gesicht des entlassenen Marshals.

Auch die anderen Männner verzogen die Mienen.

Der Bürgermeister hatte einen vorlauten Mann bestrafen wollen. Er traute jedoch seinen Augen nicht, als der junge Postfahrer sich jäh umwandte, sporenklirrend den Vorbau überquerte und auf Smokys Saloon zuhielt.

Die Männer starrten seiner hohen sehnigen Gestalt entgeistert nach.

Ein zwergenhaft kleiner Mann mit einer großen roten Nase stieß den Mayor an.

»Wie konnten Sie so etwas tun, Miller? Der Bursche weiß nicht, daß er in den Tod läuft!«

»Er wird die Strafe für sein großmäuliges Gerede bekommen«, zischte Norton grimmig.

Der rotnäsige Zwerg giftete ihn an:

»Ja, sicher, das wird er. Er geht, weil Sie ein Feigling sind!«

Die Hand des Texaners zuckte zum Colt.

Da rief der Bürgermeister, der eingesehen haben mochte, daß er höchstwahrscheinlich einen Wahnsinn begangen hatte:

»Da, seht euch das an! Er stiefelt tatsächlich auf den Eingang zu!«

Die Männer drängten ans Fenster und rissen rücksichtslos die Gardinen zur Seite.

»Es ist eine Schande!« krächzte der rotnäsige Zwerg.

*

Hochaufgerichtet stand Wyatt Earp in der Tür von Smokys Saloon.

Zehn Yards vor ihm lehnte ein mittelgroßer Mann mit dem Rücken an der Theke und sah verblüfft zu ihm hinüber. Gegen das gleißende Licht der Straße schnitt sich die Silhouette des Postfahrers riesengroß, tiefschwarz und drohend in die Türöffnung.

Der Mann an der Theke hatte ein breitflächiges Gesicht, aschblondes Haar und etwas zu weit auseinanderstehende gelbschimmernde kalte Augen. Hart schob sich sein Kinn nach vorn, auch die Backenknochen drängten nach draußen. Sein massiger Schädel ruhte fast halslos auf einem überaus kräftigen Körper. Die starken Hände hingen steif neben den beiden schweren Revolvern, die er tief auf den Oberschenkeln trug.

Jeder in Kansas kannte diesen Mann. Es war der Spieler Ben Thompson. Seit Jahren zog er, meist mit seinem Bruder Bill, von Stadt zu Stadt, beschäftigte sich mit einem peripatetischen Faro-Spiel, handelte hin und wieder mit Vieh, ließ aber todsicher überall da, wo er auftauchte, einen Kometenschweif von Unheil zurück.

Der Missourier war nur einen Augenblick stehengeblieben; dann ging er schnurstracks auf den Texaner zu, zog ihm den Colt aus dem Gurt, legte ihm die Rechte auf die Schulter, packte ihn am Arm und schob den völlig Verdutzten aus der Schenke hinaus auf den Vorbau.

*

Drüben im Sheriff Office flogen die Gardinen wieder vors Fenster.

Der Missourier schob Thompson weiter, die Treppe hinunter auf die Straße, genau auf das Sheriff Office zu. Er hielt nicht einen Augenblick inne, stieß die Tür auf und schob den Banditen auf eine offenstehende Zellentür zu, drückte den Mann hinein und warf die Tür ins Schloß.

Der Riegel knarrte. Wyatt Earp drehte den Schlüssel um und zog ihn ab.

Wie versteinert lehnte Thompson an der unverputzten Rückwand der Zelle. Völlig benommen starrte er auf den Mann, der dicht vor dem Gitter stand, eine lange schwarze Zigarre aus seiner Jackentasche zog und sie sich in aller Ruhe anzündete.

Da endlich kam der Überrumpelte zu sich. Er riß sie Augen auf, krallte die Hände hinter sich in das Gestein und stieß sich plötzlich ab. Mit einem dumpfen Aufprall landete er vorn am Gitter.

Wyatt Earp blickte ihm gelassen ins Gesicht.

»He! Was soll das?« krächzte der Bandit heiser.

»Sie haben Sheriff Whitney erschossen, Thompson!« versetzte Earp. »Sie sind verhaftet!«

Da spannte der Texaner seine groben Fäuste um die Gitterstäbe, zwängte den Schädel dazwischen und fragte mühsam beherrscht:

»Was hast du gesagt?«

»Sie sind wegen Mordes verhaftet!«

Da warf sich Thompson zurück und zerrte so gewaltig an den Eisenstäben, daß sie in ihrem Gefüge ächzten und dröhnten. Alle sahen es: Dieser Mann hatte die Körperkraft eines Stiers.

»Was hast du gesagt?« brüllte Thompson. »Weißt du überhaupt, wer ich bin, Mann?«

Wyatt blies eine kleine blaue Tabakwolke vor sich hin. Er wich keinen Zoll vor dem plötzlich wieder gegen das Gitter anprallenden Mann zurück. Und jetzt hatte der Eingesperrte Muße, das Gesicht des anderen zu betrachten.

Es war ein kantiges, hartes Gesicht mit tiefblauen Augen. Die Nase war gerade und der Mund energisch und gutgeschnitten. Es war ein edles, wohlgeformtes Männergesicht, das, von tiefer Wetterbräune bedeckt, unter der breiten Krempe des ungekniffenen schwarzen Hutes hervorsah. Ein Gesicht, aus dem Entschlossenheit, Unbeirrbarkeit und Klugheit sprachen.

Niemand in dem kleinen Raum ahnte wohl in diesem Augenblick, daß es das Gesicht eines Mannes war, dessen Name einmal leuchtend groß in den Annalen der Geschichte Amerikas verzeichnet sein sollte. Dieser junge Wyatt Earp, dessen Stern in dieser Stunde aufgegangen war, würde sie einmal alle überstrahlen, die wenigen wirklich Großen aus der Pionierzeit der Vereiniten Staaten.

Der einfache Mann, der 1848 als Sohn eines Nordstaaten-Offiziers auf einer Farm bei der Stadt Monmouth­ ­(Illinois) geboren worden war, hatte sich von frühester Jugend an in den Weststaaten aufgehalten. Er war Treckbegleiter von Planwagenzügen gewesen, die von den Städten des Ostens hinüber nach Californien an die Westküste gezogen waren. Er hatte mehrere Jahre auf einer großen Ranch in Texas als Cowboy verbracht, war in Colorado als Holzfäller in einem Gebirgscamp beschäftigt, hatte in Montana Büffel geschossen, in Dakota in Goldgräber-Lagern gearbeitet und war nun seit einiger Zeit als Fahrer bei der Overland.

Bevor er hierher nach Kansas gekommen war, hatte er bei den Eltern gelebt, die drüben in Missouri ein Stück Land erworben hatten. Diese Tatsache verlieh ihm den Beinamen, den er zeitlebens nicht mehr loswerden sollte: Der Missourier.

Das Leben, das vor dem jungen, sehr ernsten Mann lag, war so bunt und vielgestaltig, so abenteuerlich und gefährlich, daß er es vielleicht selbst für ausgeschlossen gehalten hätte, wenn ihm jetzt ein Prophet einiges darüber berichtet hätte.

Es war irgend etwas im Blick des jungen Menschen, das den Mörder Ben Thompson innehalten ließ. Tief in den Augen Wyatt Earps, die jetzt etwas von der kristallenen Kälte eines zugefrorenen Bergsees an sich hatten, lag ein Schimmern, das den Banditen gefrieren ließ.

Erst als Bewegung in die anderen Männer im Office kam, schüttelte Thompson den Bann ab, der auf ihm gelegen hatte. Wieder zerrte er wild und ungebärdig an den Gittern und schrie:

»Was soll das, Boy? Das ist doch nicht dein Ernst?«

Da trat der Mayor an das Gitter.

»Doch, Ben Thompson. Es ist bitterer Ernst. Sie sind verhaftet. Richter Cordell wird über Sie zu Gericht sitzen. Und dann wird man Sie an einem grauen Morgen draußen auf dem Galgenhügel an den kahlen Ast knüpften.«

In den gelblichen Augen des Banditen stand für den Bruchteil einer Sekunde kalte Angst. Dann wischte er sich über die Stirn und hatte sich sofort wieder in der Gewalt. Er legte den Kopf etwas auf die Seite, kniff die Augen ein und schleuderte dem Bürgermeister einen blitzenden Blick zu:

»Halt’s Maul, Fettwanst! Ich rede mit diesem jungen Wolf hier. Ihr andern seid Ratten, verdammte feige Ratten!« Er sah Wyatt wieder an. »Also, Mann, wie hast du dir das vorgestellt?«

Wyatt verschränkte in einer für ihn typischen Manier die Arme über der Brust, schob mit der Zunge die Zigarre in den rechten Mundwinkel, spreizte die Beine und senkte den Kopf ein wenig.

»Was gibt’s da vorzustellen, Thompson? Sie sind ein Mörder und bekommen Ihre Strafe.«

Danach wandte sich der Missourier ab, nahm sich den Stern von der Brust und drückte ihn dem Mayor in die Hand.

»Hier, Mister, ich brauche ihn nicht mehr.« Er ging zur Tür.

»He!« Wie ein Tier hatte der Mörder den Schrei ausgestoßen, der den Postfahrer an der Schwelle festnagelte. »Du machst das Spiel nicht, Bursche! Mein Bruder Bill wird dir das Genick nach Osten drehen!«

Wyatt wandte den Kopf. Ein dünnes Lächeln lag um seine Lippen.

»Für den wird die Bürgerschaft einen neuen Marshal anwerben!«

»Earp!« rief der Bürgermeister, als er sah, daß der Postfahrer gehen wollte. »Sie können doch jetzt nicht weg!«

»Weshalb nicht? Meine Gäule kriegen einen Sonnenstich!«

»Haben Sie denn nicht gehört, was er gesagt hat? Sein Bruder Bill wird kommen!« zeterte der Mayor.

»Na und?«

»Kennen Sie Bill Thompson denn nicht? Er ist noch schlimmer als Ben!«

»Kann sein. Sperrt ihn in die Zelle nebenan, dann können die beiden durch das Gitter miteinander pokern.«

»Verdammter Skunk!« kreischte der Bandit.

»Ich verstehe Sie nicht, Thompson. Double-Poker ist ein sehr unterhaltsames Spiel. Man kann es tagelang spielen. Man vergißt darüber den Galgen.«

Wyatt wandte sich um und ging hinaus.

Stumm blickten die Männer hinter ihm her; sie liefen ans Fenster und sahen, wie er zu seinen Pferden trat.

»He!« grölte die bellende Stimme des Banditen hinter ihnen und riß sie herum. »Da glotzt ihr, ihr Ratten! Was passiert jetzt? Euer As pfeift euch was! Haha! Ihr Hohlköpfe. Was glaubt ihr, was Bill mit euch aufstellen wird, ihr Geier? Er wird euch der Reihe nach umbringen. Dich zuerst, du Fleischberg! Er hat eine Vorliebe für feiste Burschen wie dich. Er sagt, nichts ließe sich besser voll Blei pumpen, als ein Mann mit einem ganz schweren Bauch! Hahaha!«

Die grelle Lache des Banditen schnürte dem Mayor die Kehle zu.

Mit Unbehagen im Herzen wandten sich die Männer zur Tür.

Draußen zog sich der Postfahrer eben auf den Kutschbock, stemmte seine staubigen Stiefel gegen das Fußbrett, nahm die Zügelleinen zurück und rief. »Hooo –!«

*

Aber dieser 18. August sollte noch nicht zu Ende sein. Noch lange nicht.

Wyatt Earp hatte mit seiner Postkutsche kaum zwanzig Yards hinter sich gebracht, als das Geräusch von Pferdehufen an sein Ohr drang. Er wandte sich um und sah eine Reiterschar die Straße hinaufsprengen. Sofort nahm er die Zügelleinen hoch und hielt den Wagen an.

Die Reiter machten mitten auf der Straße vor dem Sheriff Office halt. Wyatt schätzte, daß es wenigstgens dreißig Mann waren. Rauhe Burschen mit harten Gesichtern und staubigen Treiberkleidung.

Ein mittelgroßer Mann mit olivfarbenem Gesicht und dunklen Augen hielt direkt vor dem Vorbau des Büros. Er lehnte sich nach vorn, stützte die Linke auf das Sattelhorn, die Rechte auf den Oberschenkel und fixierte Sefton Miller, den Mayor.

»Hallo, Dicker, wie geht’s?«

Der Mayor zog die Brauen hoch. Aber er wagte nicht, auf diesen Spott zu antworten.

»Wie’s geht?« fragte der Cowboy, und diesmal klang es schon bedeutend bedrohlicher.

Der Mayor hatte es gespürt und blickte unbehaglich und hilfesuchend den kleinen Mann mit der roten Nase an, der direkt neben ihm stand.

Da stieg der Reiter vom Pferd und trat an die Vorbautreppe heran.

»Hör zu, Dicker, wenn du hier der Mayor bist, so möchte ich dir sagen, daß wir die lieben Boys aus Texas sind. Wir haben 17.000 Rinder von Cheerbake heraufgetrieben. Und jetzt bringen wir die Dollars, die wir dabei gemacht haben, in eure dreckige Zigarrenkistenstadt. Hast du das kapiert, Alter?«

Der Bürgermeister war kein Mann von großer Überlegung, seine anfängliche Angst war verflogen, gereizt erwiderte er:

»Ihr befindet euch hier in Ellsworth. Das ist keine dreckige Zigarrenkistenstadt, verstanden!«

Der Cowboy war mit zwei schnellen Sprüngen oben auf dem Vorbau und stand dicht vor Miller.

»Hör zu, Lad. Dieser Ton mißfällt mir erheblich.«

Er wandte sich um, stützte sich mit der Linken gegen einen Vorbaupfeiler und sah zu seinen Leuten hinüber.

»He, Boys! Netter Empfang, was? Sollen wir ihnen ein paar von unseren Kunststücken vorführen?«

»Klar, Geg!« riefen mehrere Reiter.

Blitzschnell hatte der Cowboy auf dem Vorbau seinen Colt in der Rechten, stieß ihn nach vorn und jagte rasch hintereinander fünf Schüsse über die Straße, die drüben im Barber-Shop die Fenster zertrümmerten.

Ganz plötzlich hielt der Schütze inne und blickte auf einen braunen Wallach, der in der Seitengasse neben dem Smoky-Saloon an einem Querholm angebunden war.

»He, wenn das nicht Ben Thompsons Pferd ist, will ich meinen Sattel ungekocht verschlingen!«

Die andern musterten das Pferd jetzt auch. Und auch sie schienen das Tier zu kennen.

»Loppy, lauf rüber in den Saloon. Ben wird vielleicht mit dem Salooner ein Spiel machen.«

Einer der Reiter stieg vom Pferd und ging mit hölzernen Reiterschritten auf den Saloon zu.

Nach einer Minute kam er wieder, in der rechten Hand hielt er einen langläufigen Revolver, dessen Knauf mit zwei silbernen Andreaskreuzen ausgelegt war.

»Geg!« rief er und hob die Waffe hoch. »Das ist alles, was ich gefunden habe!«

»Bens Colt!« brüllte Geg. »Und wo steckt Ben selbst?«

»Ich weiß es nicht.«

Unendlich langsam drehte Geg sich zu dem Bürgermeister um, stemmte die Fäuste in die Hüften, kniff die Augen ein und wog sich herausfordernd auf den Außenkanten seiner Stiefelsohlen.

»He, Fettwanst! Lobby hat den Colt eines Mannes gefunden, den wir verdammt gut kennen. Die Bleispritze gehört Ben Thompson. Solltest du vielleicht wissen, wo Bennie ist?«

Es war einen Augenblick still. Dann hörte man den Bürgermeister sagen:

»Ja, er ist im Gefängnis!«

Geg wich einen halben Schritt zurück und ließ die Hände von den Hüften fallen.

»Was war das?« fragte er völlig entgeistert.

»Er ist im Gefängnis!«

Der Cowboy stieß einen kleinen Piff durch die Lücke in seinen Schneidezähnen.

»Sag das doch noch mal.«

»Ben Thompson ist im Gefängnis«, wiederholte der Mayor schon etwas zaghafter.

Da traf ihn eine so gewaltige Ohrfeige, daß er zurück gegen den Schmied prallte.

»Ben Thompson ist im Gefängnis?« röhrte Geg. »Das ist ja wohl der beste Witz, den der alte George Peshaur bis heute gehört hat. Und du hast ihn wohl einsperren lassen, he?«

Miller trat vor. Seine linke Wange war brandrot.

»Ja, ich habe ihn einsperren lassen!«

Loppy war inzwischen mit Thompsons Colt neben Geg auf dem Vorbau angekommen.

Geg riß dem Kameraden die schwere Schußwaffe aus der Hand und hielt sie blitzschnell auf die linke Schulter des Mayors.

»Wo ist das Gefängnis?«

In den Moment der absoluten Stille hinein schnitt eine harte, metallische Stimme; sie kam drüben von der wartenden Postkutsche her.

»Du solltest lieber fragen: Wo ist der Sheriff?«

Geg warf den Kopf herum und sah drüben in zwanzig Yards Entfernung den Kopf und die Schultern des Postfahrers.

»Was willst du, Staubschlucker?« krächzte er.

»Reiß das Maul nicht so auf, Pe­shaur!« rief Wyatt kalt zurück.

»He!« Wieder stieß der Cowboy den Zahnlückenpfiff aus. »Der Rumpelkisten-Jonny kennt mich! Das ist schon besser!«

In diesem Augenblick beging der Bürgermeister in seiner Unbedachtsamkeit einen ziemlich großen Fehler. Er trat einen halben Schritt vor und brüllte:

»Verschwinden Sie jetzt, Mann. Wir haben genug an Ben Thompson!«

Geg Peshaur riß blindwütig den Colt hoch und wollte ihn dem Major auf den Schädel schmettern.

Da peitschte ein Schuß auf, und der schwere Revolver mit den beiden silbernen Andreaskreuzen wurde dem Cowboy aus der Hand gerissen.

Der Schuß war von der Overland-Kutsche gekommen.

Peshaur und seine Freunde starrten verblüfft zu dem Schützen hinüber.

Da rief der Postfahrer: »Du hast verdammt schlechte Manieren, Peshaur! Die hättest du besser unten in Texas gelassen.«

Aus dem Gesicht des Cowboys war plötzlich alle Farbe gewichen. Er stieß mit einem blitzschnellen Ruck seine Rechte zum Colt, riß die Waffe heraus – und mußte erleben, daß ein zweiter Schuß vom Kutschbock der Overland her ihm auch diese Waffe aus der Hand riß.

Peshaur spreizte die Hände, hob sie an und brüllte plötzlich wie ein waidwund geschossenes Tier:

»Du verdammter Skunk! Du elender Staubfresser…«

Die Cowboys blickten in stummer Anspannnung zu dem Mann auf dem Kutschbock hinüber.

Der stieg jetzt vom Wagen und kam langsam zurück, auf den Vorbau zu.

Die Cowboys starrten ihn mit harten Augen an.

Aber niemand rührte sich.

Wyatt Earp hatte keine Waffe in der Hand. Er würde jetzt in der nächsten Minute das tun, was er in seinem ganzen weiteren Leben tun sollte und was vielleicht auch der Grundtick seines Erfolges war: Er ging langsam die Vorbautreppe hinauf und hielt dem Mayor die Rechte hin.

Diesmal kapierte Miller: Er nahm den Blechstern aus der Tasche und reichte ihn dem Postfahrer.

Wyatt heftete den Fünfzack an seine staubige Weste; dann wandte er sich um und legte Peshaur die Rechte auf die Schulter. »Sie sind festgenommen!« Er zog den Cowboy vorwärts und schob ihn ins Sheriff Office.

Auch George Peshaur kam erst zu Verstand, als er in der Zelle saß und nebenan Ben Thompson gewahrte. Er rannte in wildem Zorn nach vorn, zerrte an den Gitterstäben und fauchte wie ein Bergpuma.

»Was soll das heißen? Laß mich sofort hier raus!«

Wyatt hatte längst abgeschlossen, blickte ihn kalt an und meinte:

»Keine Kraftvergeudung, Peshaur. Du sitzt hier wegen Bedrohung und Beleidigung des Mayors von Ellsworth.«

Der Bürgermeister und die anderen Leute hatten es angesichts der großen Reiterschar nicht gewagt, Wyatt mit dem Gefangenen ins Office zu folgen. Wie gebannt starrten sie auf die Cowboys. Was würde geschehen? Nie und nimmer konnten die Reiter das hinnehmen.

Aber die Männer von Ellsworth mußten erleben, daß die Cowboys ebenso erstarrt waren wie sie selber. Sie erlebten gemeinsam zum erstenmal etwas von der seltsamen Macht, die dieser Wyatt Earp ausstrahlte.

Ehe der erste der Cowboys sich wieder gefaßt hatte, stand der Postfahrer schon vorn auf dem Vorbau. Er hatte die Beine gespreizt und die Arme vor der Brust verschränkt. Hochaufgerichtet stand er da und blickte zu den Reitern hinüber.

Der tief in die Stirn gezogene breitrandige Hut warf einen harten dunklen Schatten auf sein eckiges Gesicht. Und dennoch sahen die Männer seine Augen. Ein Augenpaar, in dessen Tiefen es eiskalt und kristallen schimmerte. Irgend etwas Besonderes war in diesen Augen; niemand konnte sagen, was es war.

Jetzt öffneten sich Wyatts Lippen, und eine Doppelreihe blendendweißer Zähne blitzten in der Sonne.

»Hat noch jemand etwas zu sagen?« fragte er nicht einmal sonderlich laut.

Nein, es hatte niemand mehr etwas zu sagen.

Und auch er selbst war kein Mann vieler Worte.

Er wandte sich um, nestelte den Blechstern von der Brust und reichte ihn dem Mayor zurück. Dann ging er mit harten sporenklirrenden Schritten über die Vorbautreppe auf die Straße. Er dachte gar nicht daran, sich auch nur einmal umzuwenden. Er hielt auf die Postkutsche zu, hatte schon die Hand nach dem Eisenring des Vorderrades ausgestreckt, als ihn eine schrille Stimme aufhielt.

Ein junger Mann mit blondem Haar, kantigem wettergrauem Gesicht, aus dem ein bernsteinfarbenes Augenpaar glühte, hatte sich vom Pferd geschwungen und stand jetzt breitbeinig mitten auf der Straße. Er schoß so schnell, daß es niemanden auf der heißen Main­street der kleinen Kansasstadt Ellsworth gab, der auch nur einen Cent für das Leben des Postfahrers gegeben hätte.

Wyatt Earp lag auf der Erde. Aber mit dem Kopf den Reitern zugewandt. Unter dem Hutrand funkelten seine Augen hervor.

In der Linken hielt er einen seiner beiden Colts, aus dessen Mündung ein dünner gekräuselter Rauchfaden kroch.

Der Cowboy drüben stand wie erstarrt; dann fiel ihm der Colt aus der Hand.

Der Mann knickte in die Knie und schlug hart mit dem Gesicht in den Staub der Straße.

Langsam stand Wyatt auf, nahm den Hut ab, klopfte sich den Staub aus den Kleidern.

Erst jetzt wich der Bann von den Männern.

Damned! Was war eigentlich geschehen?

Der Cowboy war vom Pferd gesprungen und hatte »Heh!« gebrüllt, und dann hatte er sofort geschossen.

Gedankenschnell war der Mann aus Missouri herumgefahren, hatte sich gleichzeitig in einer halben Pirouette zu Boden fallen lassen und geschossen. Und die Kugel, die er auf die Reise geschickt hatte, war dem zwanzigjährigen Cowboy Rory Calleger oberhalb des Herzens in die Brust gedrungen.

Wyatt blieb vor dem Gestürzten stehen. Er hatte den Colt längst wieder in das Halfter zurückgleiten lassen. Unendlich langsam hob er den Blick.

Aber diesmal gab es wirklich niemanden mehr, der noch etwas von ihm wollte.

Ein riesengroßer Cowboy rümpfte die Nase, kratzte sich das Kinn, nahm die Zügelleine hoch und trabte die Straße zurück.

Die andern folgten ihm langsam.

Der Missourier stand allein auf der Straße. Vor seinen staubigen Stiefelspitzen lag der niedergeschossene Cowboy, der seinen wilden Übermut mit einem glühenden Stück Blei in der Brust hatte bezahlen müssen.

Die Sonne schleuderte eine Höllenglut auf die Häuser; es roch nach Staub, Holz und Pferdeschweiß. Über den Dächern waberte die Hitze.

Da warf oben auf dem Vorbau der kleine rotnasige Mann seine dünnen Arme in die Luft und krächzte: »Wyatt Earp! Hell and devils! Wyatt Earp!« Dann stürmte er über die Treppenbretter auf die Straße, preßte die Hand des Postfahrers und brüllte noch einmal mit sich überschlagender Stimme dessen Namen.

Damit war das Eis der Erstarrung gebrochen. Die Ellsworther kamen vom Office heruntergestürmt und umringten den großen, ernstgesichtigen Mann, wollten ihm die Hände drücken, redeten auf ihn ein, bestürmten ihn mit Fragen – und mußten erleben, daß er sich Platz schaffte und zu dem Cowboy niederbeugte. Wyatt riß ihm das Hemd auf und warf einen kurzen Blick auf das Loch, das das Blei in die Brust des Weidereiters gerissen hatte.

»Wo ist der Doc?«

Ein kurzbeiniger Mann in einer langen gelben Jacke zwängte sich heran.

Wyatt erhob sich. »Sehen Sie nach ihm, Doc; vielleicht können Sie ihm helfen.«

Nur wenige Minuten später hielten drüben im Haus des Doktors John Fuller drei Männer den aus seiner Betäubung erwachten Cowboy fest, als ihm der graubärtige Arzt die Kugel aus der Brust holte.

Der wilde Rory Calleger war dem Totengräber noch einmal von der Schaufel gesprungen; aber er würde nie wieder einen Colt auf einen anderen Mann richten. Die Kugelverletzung so dicht über dem Herzen hatte eine beidseitige Armlähmung bei ihm hervorgerufen, die ihn von nun an zwang, untätig und siech sein Leben zu verbringen. Es sollte noch dreizehn Jahre dauern, bis ihn unten in einem Spielsalon in Dodge eine verirrte Kugel traf, die ein Texaner auf einen Sheriff abgeben sollte, der den Namen William »Bat« Masterson trug…

Wyatt Earp stand vor der Tür des Arztes und blickte zu seiner Kutsche hinüber.

Eine Gruppe Neugieriger stand um ihn herum.

Der Mayor steckte die fleischigen Daumen in die Ausschnitte seiner zitronengelben Weste. Er war jetzt, da die Gefahr vorüber war, wieder ganz Respektsperson.

»Mister Earp«, sagte er salbungsvoll. »Ich biete Ihnen einen Job in Ellsworth…«

»Mit dem Stern?« unterbrach ihn Wyatt.

»Ja, mit dem Stern.«

Der Missourier schüttete den Kopf. »Tut mir leid, Major. Ich habe einen Job.« Damit stiefelte er auf die Postkutsche zu.

»Wir bieten Ihnen monatlich hundert Bucks!« rief ihm der Bürgermeister nach.

Aber ohne Erfolg.

Wyatt Earp zog sich auf den Kutschbock, nahm die Zügelleinen hoch und rollte mit seinem knarrenden und polternden Gefährt aus der Stadt.

Acht Meilen weiter, bei der Pferdewechsel-Station, hielt er an, sprang ab, klopfte dem grauköpfigen Posthalter auf die Schulter und lief zum Brunnen. er warf sich ein paar Hände voll Wasser in das erhitzte Gesicht, setzte sich auf den Brunnenrand und blickte dem Alten zu, wie er die Pferde ausschirrte und frische Tiere aus dem Corral brachte.

Da trabte oben vom Kamm einer Hügelkette herunter ein einzelner Reiter auf die kleine Station zu. Beim Brunnen hielt er an, schöpfte sich gruß- und fraglos Wasser heraus, benetzte sein Gesicht, trank und setzte sich neben Wyatt auf den Brunnenrand, um sich eine Zigarette zu drehen.

Der Missourier warf ihm einen forschenden Seitenblick zu.

Es war ein großer, schwerer Mann mit breiten Schultern und massigem Schädel. Seine Augen standen etwas zu weit auseinander und das Haar hatte einen rötlichen Schimmer. Er trug ein verblichenes blaues Kattunhemd und eine ärmellose Lederweste. Tief unter dem Bund der engen Lewishose saß ein gekreuzter Waffengurt, aus dessen blanken Halftern die Hirschhornknäufe zweier fünfundvierziger Colts hervorblickten. Rechts oben im Gürtel steckte noch einer jener kleinen vierschüssigen Cloverleaf-Revolver, die meist nur Spieler, Salooner und Bankbeamte bei sich trugen. Wyatt wußte, daß diese kleine Waffe nicht nur sehr kostspielig war, sondern auch einen hervorragenden Schützen verlangte. Wenn sie als Schnellfeuerwaffe dienen sollte, mußte sie mit dem sogenannten Hammerschlag (blitzschnelles Schlagen mit der Innenhandfläche der freien Hand gegen den Spanner) benutzt werden.

Die Hände des Reiters waren breit, knorrig und stark behaart. Wyatt beobachtete unbemerkt die klobigen Finger, wie sie mit Mühe die immerhin gewohnte Arbeit des Zigarettendrehens verrichteten. Er wußte es, noch ehe er einen Blick zu dem texanischen Sattelzeug des hochbeinigen Braunen geworfen hatte, der mit hängendem Kopf neben dem Reiter stand und auf dessen rechter Satteltasche die beiden Buchstaben BT in Silber aufgesetzt waren.

Dieser Mann war niemand anderes als Bill Thompson, der berüchtigte Bruder jenes Banditen, der drüben in der Stadt den Sheriff Cecil Whitney niedergeschossen hatte.

»Na, fellow, machst du eine Pause?« fragte der Texaner.

»Yeah«, versetzte Wyatt.

Ohne Übergang und völlig geschäftsmäßig meinte Bill Thompson: »Wollen wir ein Spielchen drüben in der Station machen?«

»No.«

»Weshalb nicht?«

»Keine Lust.«

»Die kommt beim Spiel.«

»Bei mir nicht.« Wyatt erhob sich.

»Halt!« zischte es da hinter ihm.

Wyatt ging weiter.

Da krächzte die heisere Stimme des Spielers:

»Bleib stehen, Boy. Ich kann verdammt ungemütlich werden, wenn jemand etwas tut, was ich nicht mag.«

Wyatt wandte sich um und feixte. »Was du nicht sagst!«

In dem rissigen brutalen Gesicht des Spielers zuckte es. Er preßte die ohnehin schmalen Lippen zu einem dünnen Strich zusammen. Plötzlich sprang dieser Mund auf, und er sah aus, als ob ein gelbbrauner Gesteinsbrocken zerrspränge.

»He, fellow, du hast wohl Sand in den Ohren?«

Der Missourier stand hochaufgerichtet und ruhig da. Die Arme über der Brust verschränkt. Er hatte jetzt etwas seltsam Steinernes an sich. In weniger als fünf Jahren sollte es keinen Mann mehr im Westen geben, der diesen Wyatt Earp nicht mit Unbehagen so vor sich stehen sehen würde. Die große Krempe des schwarzen Hutes warf einen tiefen Schatten über sein ernstes Gesicht.

»Also doch Sand in den Ohren?« quetschte der Texaner durch die gelben Zähne.

»Ich glaube nicht«, versetzte Wyatt.

»Was hast du gegen ein Spiel mit mir?« Bill war aufgestanden. Seine Hände hingen nach Schießerart reglos in Griffnähe über den Knäufen der beiden tiefhängenden Colts.

»Ich sagte es dir schon: Ich habe keine Lust.«

»Die kommt beim Spiel. Das sagte ich dir schon.«

Ein dünnes Lächeln kroch um die Mundwinkel des Missouriers.

»Kann sein, Bill. Aber ich muß jetzt weiter.«

Er wandte sich um und machte drei Schritte vorwärts. Ob er das Geräusch gehört hatte? Kaum anzunehmen. Wenn ein geübter texanischer Schießer seinen Colt aus dem Halfter zieht, ist kaum etwas zu hören.

Jedenfalls hatte der Postfahrer den Colt in der linken Faust, als er jäh herumwirbelte. Er hatte ihn genau im gleichen Augenblick im Anschlag wie Bill Thompson.

Das Gesicht des Spielers spiegelte grenzenloses Erstaunen, verzerrte sich dann aber zu einem breiten Lachen, das in ein dröhnendes Brüllen überging.

»He! Staubschlucker! Das war nicht schlecht! Weißt du das überhaupt? Das war sogar sehenswert! Wie oft gelingt dir der Trick?«

»Bei jedem Mann nur einmal«, antwortete Wyatt ruhig.

»Das ist schlecht«, grinste Bill.

»Ja, nämlich für den Mann. Bisher hat das eine Mal bei jedem genügt, Bill!«

Der Texaner schlug wieder eine brüllende Lache an, ließ den Colt dann am Mittelfinger seiner Rechten rotieren und schob ihn feixend ins Halfter zurück.

»Du bist ein ulkiger Bursche, Staubschlucker. – Sag mal, woher kennst du mich eigentlich?«

Wyatt ließ seinen schweren Fünf­undvierziger mit einem Handsalto ins Halfter gleiten.

Mit engen Augen hatte der Spieler diesen verblüffenden Trick verfolgt.

»By Gosh! Du bist kein Postfahrer, du bist ein Gaukler, fellow!«

Jetzt war es der Missourier, der grinste.

»Kennst du den Trick etwa auch nicht, Bill?«

Das Lächeln fiel aus dem Gesicht des Texaners und blieb in seinen Zähnen hängen. »No.«

»Eigenartig. Ich hätte gedacht, daß ein Spieler wie du so kleine Sachen beherrscht. Das gehört doch gewissermaßen zum Handwerk.«

Der Texaner stand da wie ein Baum. Kein Muskel zuckte in seinem gegerbten Gesicht. Spott – das war genau das, was der wilde rücksichtslose Bill Thompson nicht ertragen konnte.

»Ich habe leider keine Zeit mehr für dich, Bill. Du siehst, meine Gäule sind eingeschirrt. So long!« Er wollte sich umwenden, sah aber noch im Abdrehen, wie der Texaner auf ihn zuhechtete.

Es wurde kein großer Kampf.

Der weithergeholte pfeifende Schwin­ger Bills zischte über den abgeduckten Kopf seines Gegners.

Dafür saß der steifangewinkelte, knallharte linke Haken Wyatt Earps genau im Ziel.

Der schwere Mann wurde so durchgeschüttelt, daß er benommen dastand und erleben mußte, wie ihm die Arme kraftlos herunterfielen. Nur wie durch einen Wasserschleier sah er die sehnige Gestalt des Postfahres vor sich stehen, hörte die Stimme des anderen.

»Ich sagte dir doch, ich habe keine Zeit, Bill. Dein Bruder hat mich in der Stadt schon so lange aufgehalten.«

Dieser Satz riß die Tatkraft und den Kampfnerv des Texaners wieder wach.

»Ben?« röhrte er. »Du verdammter Skunk hast auch einen Gang mit Ben gehabt – und lebst noch? Heavens! Das muß ich sofort bereinigen!«

Er warf beide Arme nach vorn, spreizte seine prankenartigen Finger und warf sie um den Hals des Missouriers.

Das war das letzte, was Bill Thompson für viele Stunden tat.

Die beiden Faustschläge, die kurz hintereinander an seinem Kinn detonierten, schienen ihn regelrecht anzuheben. Sonderbar langsam kippte der Spieler über die Absatzspitzen zurück. Im Fallen streifte sein Schädel hart die Brunnenkante…

Als Bill Thompson wieder zu sich kam, hatte die Sonne schon ein gutes Stück ihres Weges zum Westen hin zurückgelegt. Die Bäume warfen lange Schatten, und der Himmel hatte ein sattes rötlich schimmerndes Blau. Es ging auf Abend zu.

Der Spieler rieb sich das Kinn, schüttelte den Kopf, erhob sich taumelnd und ging auf weichen Knien zu seinem Pferd.

*

Der grauköpfige Jim Duffy hatte der Auseinandersetzung der beiden Männer ziemlich uninteressiert zugesehen.

Als der Fremde still am Boden lag, blinzelte der Alte und schneuzte sich die Nase. Dann kam er langsam auf seinen sichelkrummen Beinen auf Wyatt zu. »Das war ganz unmißverständlich, Mister Earp.«

Wyatt nickte. »Und leider war es auch nötig.«

Er nahm den Hut ab, wischte über das Schweißband, zog eine lange schwarze Zigarre aus der Westentasche und riß ein Zündholz an der Stiefel­sohle an.

Der Alte schnupperte den Tabaksduft mit Wohlbehagen ein.

Ohne ihn anzusehen, reichte Wyatt ihm eine Zigarre.

»Sie könnten mir einen Gefallen tun, Duffy.«

Der Alte biß die Zigarrenspitze ab, riß ebenfalls ein Zündhoz an, sog den Rauch tief ein und fragte durch die tiefblauen Rauchwolken: »Ja –?«

»Fahren Sie die Kutsche weiter nach Russel.«

Der Alte hob überrascht den Kopf. »Ich?«

»Ja, Sie.«

»Aber…«

»Was aber? Sind Sie etwa zu alt dazu, die Schaukel über die Prärie zu bringen? Jeff Collins hat mir erzählt, daß Sie siebzehn Jahre auf dem Kutschbock gesessen hätten und einer der besten Fahrer gewesen wären…«

»Siebzehn Jahre?« unterbrach ihn der Alte polternd, während seine Augen aus ihren Höhlen zu treten schienen. »Der Boß kann wohl schlecht zählen, Mister Earp! Es waren neunzehn Jahre!«

»Good. Ich weiß, daß Sie die Pferdewechsel-Station nur bekommen haben, weil der Boß Ihnen mehr Ruhe gönnen wollte. Wir müssen die Plätze für zwei Tage tauschen, Jim. Sie bringen die Kutsche nach Russel. Und ich bleibe auf der Station. Das heißt, ich werde beim nächsten Pferdewechsel wieder hier sein. Die abgetriebenen Gäule stiehlt bestimmt inzwischen niemand.«

Der alte Jim Duffy feixte. Er schob die Zigarre von einem Mundwinkel in den anderen und stemmte die von einer dünnen faltigen Haut bedeckten Hände in den Rücken.

»Ja, wenn Sie meinen?«

Wyatt nickte.

»Nehmen Sie Ihre Tasche und Ihre Waffen, und rollen Sie los. Die Karre ist leer. Sie brauchen niemanden außer sich selbst zu beschützen.«

»Die Gäule?«

»Die laufen allein. Wo steht Ihr Pferd?«

»Drüben, unter dem Vordach. Es ist ein Tupfschimmel; er liebt die Hitze nicht sehr.«

Wyatt sattelte das Tier des Stationshalters, sah zu, wie die Kutsche davonrollte, riegelte das Blockhaus ab und ritt langsam nach Osten davon.

*

Es war dunkel, als er die ersten Häuser von Ellsworth erreichte. Er hatte es absichtlich so eingerichtet. Die Leute brauchten ihn nicht zu sehen.

Was wollte er eigentlich noch in der Stadt?

Wyatt hätte es selbst nicht ganz genau sagen können. Irgendwie hatte er ein ungutes Gefühl im Nacken, wenn er an Ben Thompson und Geg Peshaur dachte. Die beiden hockten nebeneinander in den Zellen im Sheriff-Office und machten fraglos gemeinsame Sache, wenn es um einen Ausbruch ging. Thompson war zwar ein herumziehender Spieler und Peshaur ein Cowboy, aber sie waren beide Texaner, hatten beide Galgenvogelgesichter und Wyatt traute beiden nicht über den Weg. Trotzdem, was gingen ihn die Männer an?

Nichts.

Absolut nichts.

Ben Thompson war ein Mörder und würde gehenkt werden. Darüber konnte es keinen Zweifel geben. Er hatte einen Sheriff ermordet.

Aber Peshaur, der gewalttätige Viehtreiber, war mit ihm befreundet.

Und Bill Thompson mußte inzwischen auch längst in der Stadt eingetroffen sein, er würde nicht ruhen, bis sein Bruder wieder frei war. Und wenn die beiden Thompsons Peshaur klar auf ihre Seite brachten, hatten die Leute in der Stadt nichts zu lachen.

Ben Thompson wäre ohne Wyatts Eingreifen jetzt frei; Jack Norton hätte ihn nie und nimmer verhaftet.

Die Mainstreet war erfüllt von lebhaftem Treiben. Die Cowboys hatten die Stadt geradezu überschwemmt.

Wyatt stieg vom Pferd und schob sich durch die Menge. In einer ruhigen Seitengasse neben Smokys Saloon band er den Tupfschimmel an.

Plötzlich glaubte er, seinen Augen nicht trauen zu dürfen. Durch ein halbgeöffnetes Fenster sah er in einem Nebenraum des Saloons mehrere Männer stehen. Einer von ihnen war Peshaur.

Derselbe George Peshaur, den er am Mittag noch drüben im Jail abgeliefert hatte.

Was war passiert? War der Cowboy allein ausgebrochen? War er von seinen Leuten befreit worden?

Was war mit Ben Thompson, dem Mörder?

Wyatt schlang die Zügelleine um den Querholm und lief die Gasse hinunter, der Mainstreet zu.

Da überquerte ein kleiner Mann die Straße.

Wyatt nahm ihn am Ärmel und zog ihn wie ein Kind zu sich heran.

»Ich bin’s, Wyatt Earp! Was ist passiert?«

Der Mann mit der roten Nase starrte den Postfahrer an.

»Sie sind’s? Ist denn so was möglich? Wo kommen Sie denn her? Ich denke, Sie sind mit der Kutsche weiter nach Russel…«

»Peshaur ist frei«, sagte Wyatt.

»Ja. Der Mayor hat ihn freigeben müssen.«

»Müssen?«

Der Kleine schob sich den Hut aus der Stirn und zupfte sich das verschwitzte Hemd vom Leib.

»Yeah – er hatte keine andere Wahl.«

»Wo wohnt der Mayor?«

»Hier, gleich die Gasse hoch. Im vorletzten Haus auf der linken Seite.«

»Danke.« Wyatt wandte sich um und rannte los.

Der keine Mann folgte ihm keuchend.

Der Bürgermeister war selbst an der Tür. Mit großen Augen musterte er den Postfahrer.

»Wie kommen Sie denn wieder nach Ellsworth? Ich denke, Sie sind mit der Kutsche unterwegs nach Russel.«

»Die Kutsche ist unterwegs nach Russel. Ich wollte mich nur nach Ihren beiden Gefangenen erkundigen, Mayor.«

Miller schluckte. Er warf einen Blick auf den kleinen Mann, der hinter Wyatt stand.

Da sagte der Missourier hart: »Pe­shaur ist frei!«

Der Mayor nickte. »Ja, er ist frei. Ich mußte ihn freigeben. Fünfzehn Cowboys haben mich mit vorgehaltener Waffe dazu gezwungen.«

»Und Ben Thompson?«

»Der sitzt noch!« beeilte sich der Bürgermeister zu erklären. »Als die Treiber auch ihn freihaben wollten, habe ich ihnen gesagt, daß er ein Mörder ist und sie daran erinnert, daß auf Befreiung eines Sheriff-Mörders ebenfalls der Tod steht.«

Ben Thompson war also noch in der Zelle! überlegte Wyatt.

Am Tage hatten es die Treiber nicht gewagt, ihn zu befreien. Niemand wollte mit einem Sheriff-Mörder gehängt werden.

Aber in der Nacht – wie war es da? Wenn die Cowboys mit vorgebundenen Gesichtstüchern das Sheriff Office stürmten und den Mann herausholten? Wer wollte da dem einzelnen etwas beweisen?

Wyatt wandte sich an den Bürgermeister.

»Hören Sie zu, Mayor. Peshaurs Leute werden den Spieler in der Nacht befreien. Das ist doch klar.«

Miller zog die Schultern hoch.

»Ich weiß es nicht…«

»Natürlich ist es klar!« rief der Zwerg, dem das Auftauchen des Missouriers Aufwind gegeben hatte. »Die Bande wird Thompson todsicher heraushauen. Daran gibt es keinen Zweifel. In der Dunkelheit ist keiner von ihnen zu erkennen.«

»Eben«, stimmte Wyatt zu. »Und deshalb werden wir den Gefangenen verschwinden lassen.«

»Was wollen Sie?« fragte der Mayor stirnrunzelnd. »Wollen Sie den Mann etwa umbringen?«

Wyatt grinste. »Verdient hätte er es! Aber ich denke nicht daran, einen Wehrlosen zu ermorden.«

»Was wollen Sie denn tun?«

»Wir werden ihn irgendwo in der Stadt verstecken.«

Miller hatte ein entsetztes Gesicht und preßte die Hände auf die Brust.

»Bei mir nicht! Ich bin doch nicht wahnsinnig, diesen Mann in meinem Haus zu verstecken!«

»Wer verlangt das von Ihnen?« sagte der Missourier abfällig. »Ich werde schon einen Mann finden, der Mut hat und für das Gesetz kämpft.«

»Ganz sicher!« sagte der Kleine.

Wyatt sah ihn an.

»Haben Sie vielleicht einen sicheren Raum, Mister, wo man den Banditen eine Zeitlang einsperrenn könnte?«

Der Kleine warf sich in die Brust.

»Selbstverständlich! Ich habe sogar einen ausgezeichneten Raum dafür. Hinten in meinem Stall ist eine Futterkammer, aus der kein Löwe herauskönnte. Sie ist aus Stein, fensterlos und mit einer schweren Bohlentür verschlossen. Das ist ein prächtiges Gefängnis.«

»Seine Wohnung liegt auch ganz in der Nähe des Office!« rief der Mayor, der froh war, das Damoklesschwert noch einmal von seinem eigenen Haupte abgewendet zu haben. »Wir könnten Thompson sogar ungesehen zu ihm hinüberbringen, wenn wir es einigermaßen vorsichtig anstellen.«

»All right!« sagte der Missourier.

Die drei Männer machten sich auf den Weg.

Im Sheriff Office, das ja eine Front zur Maintreet hin hatte, wurde kein Licht angezündet.

Wyatt hatte sich von dem Mayor die Schlüssel geben lassen und hörte, daß der Bandit in der Zelle sofort von seinem Lager aufsprang.

»Na endlich!« stieß Thompson hervor. »Wurde aber auch höchste Zeit.«

»Psst!« machte Wyatt, nahm ihn beim Arm und schob ihn zur Hintertür hinaus in den Hof.

Da erst erkannte der Spieler gegen das fahle Sternenlicht den Mann, der ihn aus dem Gefängnistrakt herausgeholt hatte.

»Du?« preßte er überrascht durch die Zähne.

»Yeah, ich!«

Thompson blieb stehen. »Wo bringst du mich hin?«

»An einen sicheren Ort.«

»Bist du verrückt? Die Stadt ist voller Cowboys. Alles Leute, die auf Geg Peshaurs Seite stehen. Sie reißen dich in Stücke, wenn sie dich mit mir sehen, Earp!«

»Sie werden uns nicht sehen; beruhige dich. Und komm jetzt endlich!«

Da holte der Bandit rasch Luft und setzte zu einem schrillen Schrei an, den ein Faustschlag des Postfahrers aber sofort erstickte.

Thompson sackte auf der Stelle in sich zusammen.

Sofort schnellte der kleine Mann aus einer Mauernische heran, schlug einen starken Riemen um die Handgelenke des Banditen und meinte keuchend:

»Das haben wir, Damned, war das ein Schlag!«

Wyatt blickte sich um. »Wo ist der Mayor?«

»Hier«, kam die zaghafte Stimme des Bürgermeisters vom Hoftor her.

»Kommen Sie! Wir beide müssen ihn tragen.«

»Kann Mister Black nicht mithelfen?«

»Nein, Mister Black wird uns den Weg weisen und die Türen öffnen!« entschied Wyatt. »Kommen Sie endlich und packen Sie mit an.«

Nur widerwillig näherte sich das Stadtoberhaupt und half, den Sheriff-Mörder wegzuschleppen.

Der rotnasige Sam Black führte die Männer über eine enge Gasse zu seinem Hof und weiter zum Stall.

Bennie Thompson kam gerade zu sich, als Black draußen vor der tatsächlich sehr massiven Futterkammer den Riegel vorwarf.

»So«, meinte der Kleine, »der sitzt auf Nummer Sicher, Mister Earp. Was passiert jetzt?«

»Was soll denn um Himmels willen noch passieren?« fragte der Mayor erschrocken.

»Nichts weiter«, erklärte Wyatt. »Der Mann bleibt in dem Gefängnis. Ich sehe, hier ist eine kleine Luke, durch die ihm Essen gereicht werden kann. Die Kammer ist groß genug…«

»Sie hat sogar ein Örtchen mit einem Abfluß nach draußen«, meinte der zwergenhafte Sam Black kichernd. »Der Halunke ist also gut aufgehoben.«

»Wie lange soll er denn da drin bleiben?« forschte Miller.

»Bis zur Verhandlung.«

»Und wann wird die sein?«

»Wenn Richter Cordell Zeit hat.«

Der Mayor wischte sich durch den Kragen.

»Wohl ist mir bei der Geschichte nicht zumute, Earp, das kann ich Ihnen sagen. Wir haben uns da eine böse Geschichte eingebrockt. Bill Thompson wird kommen und seinen Bruder suchen.«

»Sicher wird er das. Ich habe ihn auf der Pferdewechsel-Station getroffen. Und ich habe ihm gesagt, daß ich Ben in der Stadt getroffen habe. Er ist sicher längst hier.«

Miller unterbrach den Postfahrer. »Was denn? Mit Bill Thompson haben Sie auch gesprochen?«

Wyatt nickte.

»Wenn er gewußt hätte, daß Sie es waren, der seinen Bruder hinter Schloß und Riegel gebracht hat, würde er Sie in Stücke gerissen haben.«

»Das hat er versucht, auch ohne zu wissen, wie es um Ben steht.«

»Und –?«

In diesem Augenblick zerriß eine ohrenbetäubende Detonation die Luft. Steinsplitter und Holzstücke wirbelten bis in die Gasse herüber.

Wyatt rannte zum Hoftor.

»Was war denn das?« fragte Miller keuchend hinter ihm.

»Das Sheriff Office!« sagte Wyatt ruhig.

»Glauben Sie im Ernst, daß die Cowboys Thompson in die Luft sprengen wollten?« fragte Black den Missourier.

»Nein. Sie haben nur eine Wand herausgesprengt. Und zwar garantiert so, daß Ben nichts abgekriegt hätte, wenn er noch im Loch säße.«

Die drei lauschten in die Dunkelheit.

»Das fängt ja gut an«, ächzte der Mayor.

»Aber es muß durchgestanden werden«, versetzte Wyatt. »Wenn Sie noch mehr Schwächen zeigen, Mayor, tanzen Ihnen die Treiber auf dem Kopf herum.«

»Aber sie werden Ben doch suchen?«

»Sicher werden sie das. Und wenn sie merken, daß er nicht mehr da ist, müssen sie annehmen, daß er getürmt ist…«

*

Wyatt hatte sich von dem mutigen kleinen Mann und dem Mayor getrennt. Er wollte gerade sein Pferd in der Gasse losmachen, als er Peshaurs Stimme bis auf die Gasse neben Smokys Saloon hinaus hörte.

»Das war also Essig. Macht nichts. Ben ist uns zuvorgekommen.«

Plötzlich hörte Wyatt die Stimme von Bill Thompson.

»Komisch finde ich es doch. Es ist sonst gar nicht die Art meines Bruders, auf und davon zu laufen. Wen hat er denn zu fürchten? Der Mayor, dieser feiste Halunke, hätte es nie und nimmer gewagt, ihm Widerstand entgegenzusetzen. Daran gibt’s keinen Zweifel. Und wer hätte ihn sonst aufhalten wollen?«

Peshaur gab zu bedenken: »Der Postfahrer, dieser verdammte Earp hatte doch einen Höllennerv!«

Thompson lachte böse: »Ja, den hatte er.«

Das Gespräch drehte sich bald wieder um andere Dinge.

Der Missourier saß schon im Sattel, als er Peshaur halblaut sagen hörte:

»Los, Lad, laß den Rancher kommen.«

Wyatt rutschte sofort wieder aus dem Sattel und preßte sich dicht an die Hauswand. Durch einen Spalt des Fensters konnte er erkennen, daß ein hochgewachsener Mann von vielleicht fünf­undvierzig Jahren hereingeführt wurde. Er trug graue Kleidung und einen breitrandigen Hut.

Geg ging auf ihn zu.

»Hallo, Mister Rooper. Ich hoffe, daß alles in Ordnung ist. Sie sagten also, daß Cliff Benston oben in Montana fünfundzwanzig Bucks für ein Texas-Rind zahlt?«

Der Rancher hatte ein kerniges, ernstes Gesicht.

»Yeah, so ist es. Er zahlt den Preis übrigens für jedes Rind, weil Rinder oben eine Seltenheit sind. Die Leute zahlen da für ein Pfund Fleisch irrsinnige Preise.«

»Es ist gut«, entschied Peshaur. »Sie haben das Geschäft vermittelt. Fünfhundert Bucks waren dafür vereinbart. Hier ist die Hälfte. Den Rest kriegen Sie oben in Montana. All right?«

Der Rancher nickte. »All right.«

»Good, dann reiten Sie los, und bestellen Sie Benston, daß wir mit der Herde auf dem Trail seien.«

»Mit wieviel Tieren?« forschte der Rancher.

»Mit zweitausend.«

Rooper zog die Brauen zusammen.

»Ich hatte Ihnen doch gesagt, daß das Wahnsinn ist. Sie bekommen eine so große Herde nicht über die großen Gebirgspässe und auch nicht durch die Schluchten. Das ist alles schon von anderen Leuten vor Ihnen probiert worden. Nehmen Sie dreihundert Rinder, und wenn Sie die Hälfte davon über die Strecke bringen, haben Sie doch ein anständiges Geschäft gemacht.«

Peshaur grinste schmutzig.

»Doch, ja, ein anständiges Geschäft schon – aber kein gutes. Und ich werde ein gutes Geschäft machen, Mister Rooper. Ich bringe zweitausend Rinder auf den Trail.«

»Und wieviel wollen Sie davon nach Montana durchbringen?«

»Sie sagten ja, daß man in den ­Mountains hundert Stück einbüßen müßte.«

Rooper schüttelte den Kopf.

»Sie haben mich nicht richtig verstanden, Mister. Ich sagte: Wenn Sie dreihundert Rinder mitnehmen, werden Sie die Hälfte verlieren.«

Peshaur zog die Brauen zusammen.

»Wollen Sie damit etwa sagen, daß ich von zweitausend Longhorns die Hälfte verlieren könnte?«

»Mehr, viel mehr. Sie schaffen es nicht, eine so gewaltige Herde über den Tecca-Paß zu bringen. Die Pfade sind oft so schmal, daß kaum ein einzelnes Rind Platz hat. Und vergessen Sie nicht, daß diese Paßpfade von schroffen Abgründen gesäumt sind. Wenn die Herde unruhig wird, stürzt sie sich selbst in die Tiefe. Ich sagte ja schon: Das war alles schon da. Jimmy Cahoon versuchte vor zwei Jahren nur vierhundert Longhorns über die Berge nach Montana zu bringen –«

»Und –?« fragte Peshaur lauernd.

»Er war froh, daß er ganze dreißig Rinder ans Ziel brachte. Und er schwor, daß er es nie wieder versuchen würde.«

»Well, ich werde mir die Sache überlegen, Rooper. Trotzdem können Sie Benston sagen, daß ich über tausend Longhorns bringen werde, und wenn die Bergpfade uns bis in die Wolken führen würden.«

Rooper setzte seinen Hut auf. Ehe er den Türdrücker faßte, fragte er:

»Sind die Tiere all Ihr Eigentum, Mister Peshaur?«

Der Texaner zog die Augen zu engen Spalten zusammen.

»Was soll diese Frage, Rancher?«

»Benston wüßte gern, woher die Tiere kommen, die er kauft.«

Peshaur nahm eine gepuderte Zigarre aus der Reverstasche seiner Jacke, riß ein Streichholz an und sagte durch die Rauchwolke:

»Yeah, es sind alles meine Tiere. Erstklassige, starke Longhorns aus dem Panhandle…«

Rooper ging.

Und eigentlich hätte Wyatt auch reiten können. Was gingen ihn schließlich die Viehgeschäfte Peshaurs an? Aber er blieb. Die letzte Antwort, die der Treiber dem Rancher gegeben hatte, war ihm doch recht merkwürdig vorgekommen.

Und kaum war der Rancher gegangen, als Peshaur lachend und in hämischem Ton sagte:

»Wenn er wüßte, woher die Rinder wären, würde er wahrscheinlich von dem Geschäft abspringen!«

Die andern Männer lachten mit.

Thompson meinte: »Willst du wirklich mehr als tausend Tiere über die Mountains treiben, Geg?«

»Ich versuche es.«

»Du wirst kein Glück haben. Rooper hat recht: Die Paßwege sind oft unpassierbar. Du kannst es mir glauben. Ich bin einmal mit Ben oben über den Tecca geritten. Ich sage dir, es war eine Schinderei.«

»Einerlei«, versetzte Peshaur hart. »Die Tiere kosten mich keinen Cent. Jeff Callagan und Charly McIntosh haben sie in den letzten drei Wochen zusammengetrieben. Die Herde ist längst unterwegs. Ich könnte den Trail also gar nicht mehr aufhalten. Und ehrlich gestanden, mir ist es einerlei, wieviel Rinder unterwegs durchgehen. Wichtig ist nur, daß wir das Geschäft machen. Ich verdiene ja an jedem Rind hundert Prozent. Und wenn Benston tatsächlich fünfundzwanzig gute Bucks zahlt, so habe ich schon bei hundert Rindern 2.500 Bucks verdient. Und da ich nur mit zwei Leuten zusammenarbeite, mache ich in jedem Fall ein enormes Geschäft. Die Treiber kriegen normalen Lohn. No, Fellow, das wird das Geschäft. Rooper selbst springt über die Klinge dabei. Ist nicht zu ändern.«

Da wurde die Tür aufgestoßen, und der Rancher trat wieder ein.

»Peshaur, es ist keine besonders feine Art, an den Türen zu lauschen. Aber ich habe es getan. Und ich bin froh, daß ich es getan habe!« Er warf das Bündel Banknoten auf den Tisch. »Hier ist Ihr Geld, Freund. Ich verzichte auf das Geschäft. Dann werden die Leute in Montana eben weiterhin auf Rinderfleisch verzichten müssen.«

Damit ging er hinaus.

Es war einen Augenblick still in dem kleinen Raum.

Dann lachte Geg Peshaur auf.

»Er hat sich selbst sein Grab geschaufelt, dieser alte Trottel!« stieß er wild hervor.

»Hättest du ihm die Bucks nicht ohnehin abgenommen?« fragte Bill Thompson grinsend.

»Sicher. Aber erst oben in Montana.«

»Und was willst du jetzt machen?«

»Abe Clinholm wird ihn auslöschen.«

»Clinholm?« wollte der Bruder des Mörders Ben Thompson wissen. »Ich denke, den hast du hinter diesem Earp hergeschickt?«

»Yeah, aber er wird bald zurück sein. Und dann bekommt er einen neuen Auftrag.« Ein häßliches Grinsen flog bei diesen Worten über das Gesicht des Cowboys. »Die Herde zieht weiter. Was geht es mich schließlich an, wenn der Mittelsmann des Aufkäufers in Montanta vor die Hunde geht? Rooper ist mit diesem Benston befreundet. Und da er hier in der Nähe eine Ranch hat, hat Benston ihn beauftragt, Rinder aufzukaufen und einen Trailboß mit ein paar Leuten zu suchen, die den Teufel nicht fürchten. Dieser Trailboß bin ich. Ich habe es Rooper gesagt.«

»Du hast ihn draußen im Camp getroffen?«

»Er kam vorgestern zu uns und sprach mit Eddie Cramer. Da ich ihn vom vergangenen Jahr her kannte, habe ich mich sofort eingeschaltet und ihm allein erklärt, daß ich eine Herde frei hätte. Eine Herde und eine Crew, die sie notfalls in die Hölle treiben würde. Rooper bot fünfundzwanzig Bucks pro Rind. So lief die Sache an.«

Thompson nickte. »Dann sieh zu, daß Abe Clinholm bald zurückkommt, sonst macht dieser Rancher noch Lärm.«

Peshaur grinste. »Lärm? Wo denn? Die Boys drüben im Saloon sind betrunken. Außerdem sind es meine Freunde. Und das Pack hier in der Stadt hat sich längst verkrochen. Der einzige Wolf in dieser Gegend war der Missourier. Clinholm wird inzwischen dafür gesorgt haben, daß er nicht mehr bellen kann…«

Es war für Wyatt höchste Zeit, zu verschwinden. Das, was er da gehört hatte, erfüllte ihn mit großer Sorge.

Mit Sorge um den alten Jim Duffy, der statt seiner die Overland-Kutsche nach Russell fahren sollte.

Wyatt gab dem Tupfschimmel die Sporen und sprengte aus der Stadt.

*

Mattschimmerndes Sternenlicht beleuchtete ihm spärlich den Weg. Er kannte ihn ja genau, schließlich befuhr er ihn seit Monaten zu jeder Tages- und Nachtzeit mit seinem holprigen Vierspänner.

Den Rancher vor dem beabsichtigten Überfall zu warnen, war sinnlos und überflüssig. Der Mann wuße nach dem Vorgefallenen ohnehin, daß er von den Cowboys nichts Gutes zu erwarten hatte. Er würde ganz von selbst auf der Hut sein.

Wyatt ritt im gestreckten Galopp auf den silbernschimmernden Wagenspuren durch die Nacht nach Westen.

So sehr er unterwegs auch Umschau hielt, er konnte keinen Reiter entdecken.

Aber Clinholm mußte doch die Straße nach Ellsworth zurückkommen.

Aber der ausgesandte Mörder kam nicht.

War Clinholm ein Mörder? Hatte er Duffy erreicht, bevor er in Russell angekommen war?

Möglich war es schon.

Wyatt trieb den alten Schimmel vorwärts. Er wollte das Tier nicht tot­hetzen und legte hin und wieder eine kurze Rast ein. Schließlich aber verlangte das Tier diese Pausen immer öfter und in immer kürzeren Abständen.

Der Missourier spähte über den Weg – aber er konnte weder etwas von einem einzelnen Reiter noch sonst irgend etwas Aufälliges bemerken.

Es war weit nach Mitternacht, als er jäh die Zügelleinen hochnahm.

Er ließ den Schimmel nur noch langsam vorwärtstraben, hielt ihn dann an und starrte auf den Körper, der mitten zwischen den Wagenspuren lag.

Wyatt rutschte aus dem Sattel. Er kniete neben dem reglosen Körper nieder.

Es war Jim Duffy.

Er hatte seine letzte Fahrt gemacht.

Eine Kugel hatte ihn links hinten im Rücken getroffen und wahrscheinlich vom Kutschbock geworfen.

Von der Kutsche selbst war nichts zu sehen.

Wyatt erhob sich und wischte sich durchs Gesicht. Er machte sich jetzt bittere Vorwürfe, daß er nicht selbst weitergefahren war. Durch den Tausch hatte er den Alten in den sicheren Tod getrieben.

Aber war es nicht einer jener rätselhaften Zufälle, der dafür gesorgt hatte, daß der Missourier weiterleben konnte? Ein anderer unbedeutender Mann hatte sterben müssen, um seinem Leben einen weiteren Verlauf zu ermöglichen. Das Schicksal hatte diesen Wyatt Earp ausersehen, noch eine lange Reihe von Jahren in diesem rauhen Lande zu leben und zu wirken.

Nein, darüber dachte der bedrückte Mann in diesem Augenblick gewiß nicht nach. Der Tod des alten Postfahrers hatte ihn tief getroffen.

Als er wieder in den Sattel stieg und weiter nach Westen ritt, hatte er sich geschworen, nicht eher zu rasten und zu ruhen, bis er jenen Mann gefunden hatte, der dem alten Jim Duffy die tödliche Kugel in den Rücken geschickt hatte.

Die Kugel, die eigentlich ihm gegolten hatte. Diese Tatsache bestärkte den Vorsatz des Missouriers nur noch.

*

Jeff Collins, der Boß der Overland Company, die zwischen Abilene und Coleman eine Postlinie betrieb, rieb sich den Schlaf aus den Augen, als der Missourier bei ihm eintrat.

»Wyatt! Da sind Sie ja! Was ist passiert? Die Pferde kamen spät abends allein hier auf der Station an.«

Wyatt berichtete, was geschehen war.

Jeff Collins, ein Mann in den Fünfzigern, erhob sich aus seinem Sessel und sah Wyatt mit einem durchdringenden Blick an. Seine braunen Hände stützten sich auf die grüne Schreibtischplatte, während er jetzt sagte:

»Ich habe Sie für einen brauchbaren Mann gehalten, Earp. Für einen Mann jedenfalls, auf den man sich verlassen kann. Ich sehe mich schmählich getäuscht. Sicher, Jim Duffy ist ein alter Fahrer und hätte die Kutsche zweifellos sicher nach hier gebracht. Ja, ich bin sogar sicher, daß er sie überdies noch ein paar Jahre recht ordentlich durch die Gegend geschaukelt hätte. Aber ich habe Ihnen seinen Job gegeben, Earp. Und Sie haben ihn eigenmächtig wieder mit Jim getauscht. Ich will nicht wissen, ob er Sie darum gebeten hat, denn ich weiß, daß er am Kutschbock hing…«

»Das hat er nicht!« unterbrach Wyatt. »Ich habe ihn augefordert, die Overland nach hier zu bringen…«

»Weil Sie nach Ihren Revolvergeschäften sehen wollten!« sagte Collins scharf. »Ich habe es geahnt, Earp. Es ist etwas an Ihnen und in Ihren Augen, das jene Leute haben, die von der Schnelligkeit ihres Colts leben. Vielleicht hat das bis heute nur in Ihnen geschlummert und ist jetzt geweckt worden. Sie sind ein Revolvermann, Earp…«

»Mister Collins!« Wyatt trat dicht an den Schreibtisch seines Chefs heran.

»Doch, Earp. Ich habe es schon längst befürchtet. Sie sind ein hervorragender Schütze, und es macht Ihnen Spaß, zu schießen und andere Menschen zu töten. Sie brauchen sich keine Mühe zu geben. Ich habe Sie durchschaut. Vielleicht können Sie nicht einmal etwas dazu. Es ist eben Ihr Schicksal…«

Wyatts bronzebraunes Gesicht hatte sich jäh verfärbt.

»Sie irren sich, Mister Collins. Die Leute in Ellsworth waren in Not. Ich habe es einfach für meine Pflicht gehalten, Ihnen beizustehen. Das Gesetz…«

»Ach, das Gesetz!« rief der Postmeister dröhnend. »Was schert Sie das Gesetz? Sie sind kein Peace-Officer! Was geht Sie also das Gesetz an? Sie hätten auf dem Kutschbock bleiben müssen!«

»Sicher«, sagte Wyatt dumpf. »Dann läge ich jetzt statt des Alten auf der Straße, mit dem Gesicht nach unten…« Er wandte sich um und ging hinaus.

Mit hartem Gesicht sah Collins hinter ihm her. Erst viel, viel später sollte er einsehen, daß er dem Mann unrecht getan hatte. Jetzt ließ er ihn gehen. Nein, er hätte ihn nicht entlassen, dazu gab es zu wenig brauchbare Leute für den Job. Schließlich hatte er ja jetzt mit einem Schlage zwei Leute verloren.

Wyatt Earp ging von selbst. Er hätte ohnehin jetzt die Verfolgung Abe Clinholms aufgenommen und mit Peshaur abgerechnet, aber er wäre sicher zur Overland zurückgekehrt.

Die harten Worte des Chefs jedoch hatten ihm ein Zurückkehren verleidet. Er brachte Duffys Tupfschimmel in den Stall und holte sein braunweiß geschecktes Indianerpony heraus, sattelte es, schob seine alte Parker-Büchse in den Scabbard und ritt nach Osten zurück.

*

Der Mann, der beim ersten grauen Licht des neuen Tages in Ellsworth einritt, hatte nur noch wenig mit dem Postfahrer gemein, der gestern mittag aus der Stadt gefahren war.

Irgend etwas im Gesicht dieses jungen Mannes hatte sich verändert. Ein harter, scharfer Zug lag um seinen Mund.

Wyatt suchte das Anwesen des kleinen Schneiders Sam Black auf. Er überzeugte sich davon, daß Ben Thompson noch eingesperrt war. Dann, als er von Black gehört hatte, daß sich die Anführer der Treiber im City Hotel einquartiert hatten, zog er sich wieder in den Sattel und ritt auf die Mainstreet zurück.

Oben an der Fassade des großen Holzbaues flammte ein erster orangenroter Sonnenstrahl auf, als Wyatt Earp vor dem gegenüberliegenden Stepwalk abstieg und sich auf die Vorbautreppe der City Hall setzte.

Der erste Mensch, den er gewahrte, war der Schmied. Er kam hemdsärmelig die Straße herunter und blieb stehen; verwundert musterte er den Mann auf der Treppe. Sofort sah der erfahrene Menschenkenner, daß dieser Mann ein anderer geworden war, daß er zurückgekommen war, um abzurechnen.

Als der Schmied sah, daß der Missourier keinen Blick von der Frontfassade des Hotels ließ, ging er weiter.

Gewalttätigkeit lag in der Luft. Der alte Schmied hatte es in der Nase. Er hätte seine abgewetzte Schürze gegen eine goldbraune Flasche Ohio-Rum verwetten mögen, daß es heute morgen Verdruß in der Stadt gab. Schließlich hatte er gestern erlebt, wie dieser Missourier schießen konnte.

Und wenn so ein Mann zurückkam, dann war etwas gefällig. Unwillkürlich zog der Meister des Hammers den Kopf tiefer zwischen die Schultern und schritt eiliger als gewöhnlich seiner Werkstatt zu.

*

Geg Peshaur wußte nicht zu sagen, was ihn zu dieser Stunde ans Fenster gezogen hatte; jedenfalls fuhr er mit einem Ruck hoch, als er erwacht war, und ging noch schlaftrunken auf nackten Füßen zum Fenster.

Als er den Mann mit den harten Augen drüben auf der Vorbautreppe sitzen sah, schob er den Kopf wie ein Raubvogel vor und riß die Augen sperrangelweit auf.

Sah er denn richtig? War das nicht dieser vertrackte Missourier, den Abe gestern abend weggeputzt hatte?

Hell and devils! Kein Zweifel, er war es tatsächlich.

Der Cowboy fuhr zurück, wischte sich durchs verschlafene Gesicht und sah noch einmal hin.

Wirklich, ein Zweifel war ausgeschlossen: Der Mann, der da drüben auf der Treppe hockte und herüberstarrte, war niemand anders als Wyatt Earp.

Der Rindermann George Peshaur hatte plötzlich einen schalen Geschmack im Munde. Er wandte sich zurück ins Zimmer und zog sich langsam an.

Dann ging er hinüber zu Bill Thompson.

Der Spieler richtete sich im Bett auf.

»Was ist los?«

»Er ist unten.«

»Wer?«

»Wyatt Earp.«

»Bist du verrückt?« Thompson stützte sich auf den linken Ellbogen und wischte sich durchs Gesicht.

»Absolut nicht. Geh ans Fenster und überzeuge dich selbst. Er sitzt drüben auf der Vorbautreppe der City Hall und starrt hier rüber.«

Thompson war mit einem Satz aus dem Bett heraus. Aber ehe er zum Fenster ging, blickte er den Cowboy an und fragte:

»Ich denke, Clinholm hat ihn erledigt?«

»Yeah, das dachte ich auch.«

Der Spieler zog sich plötzlich mit Windeseile an.

Peshaur sah ihm nachdenklich zu. Auf einmal meinte er:

»Auf wen er wohl wartet?«

Thompson warf den Kopf herum.

»Hey, du hast doch vor diesem Bastard keine Angst?«

Peshaur grinste. »No, ich nicht.« Damit ging er hinaus.

*

In einem Zimmer, das zum Hof hinausführte, war zu diesem Zeitpunkt ein Mann damit beschäftigt, sich mit äußerster Sorgfalt anzukleiden. Er war groß und sehr schlank, hatte schmale weiße Hände und ein auffallend bleiches Gesicht. Seine Augen waren pulvergrau und hart; sie lagen unter dünnen scharfen Brauen, die seltsam schroff aus dem kalkigen Gesicht heraussprangen.

Um den schmallippigen Mund hatten sich zwei scharfe Falten eingegraben. Das Haar war schwarz, kurz und strähnig.

Der Mann trug einen dunklen Anzug nach der neuesten St.-Louis-Mode, und ein blütenweißes Hemd, um das er sich soeben eine dünne schwarze Samtschleife band. Die hochhackigen Schuhe waren spiegelblank. Der peinlich sauber gebürstete schwarze Stetson vollendete den sonderbaren Eindruck, den dieser Mann machte.

Peshaur klopfte in dem Augenblick an die Tür, als der Mann sich dem patronengespickten Kreuzgurt tief um die Hüfte schnallte und den rechten Colt im Halfter lockerte.

»Yeah«, sagte er leise.

Der Cowboy trat ein. Er warf einen Blick auf die elegante Erscheinung des anderen, in dem sich Spott und Furcht zugleich spiegelten. Überhaupt sah dieser George Peshaur völlig anders aus als der Mann, den er besuchte. Der Vieh­­treiber hatte ein rauhes, zerfurchtes Gesicht von dunkler Farbe, gegerbt von Sonne, Wind und Regen. Seine braunen Augen hatten einen tückischen Ausdruck. Er war mittelgroß und vierschrötig. Seine derbe Kleidung war die eines Rindermannes.

»Hallo, Abe – ausgeschlafen?«

Der Mann mit dem kalkigen Gesicht warf dem Eintretenden nur einen kurzen Blick zu, band sich die dünnen Halteriemen der Colthalfter um die Oberschenkel, nahm vom Nachttisch ein Paar hellgelbe Lederhandschuhe, streifte sie über und ging wortlos an Peshaur vorbei aus der Tür durch den Korridor zur Treppe.

Der Cowboy folgte ihm hinunter.

»Er redet nicht mit mir, der vornehme Mister Clinholm«, spöttelte Peshaur. »Aber der Spleen wird dir noch vergehen, Amigo, wenn ich dir sage, wer draußen auf dich wartet.«

Clinholm stieg die Treppe weiter hinunter.

»Da unten sitzt der Mann, der Bennie Thompson überrumpelt und Bill verprügelt hat! Derselbe Bursche, der mich drüben im Jail eingesperrt hat, der Mann, der dreißig harten Jungs die Stirn geboten hat – derselbe Mann, den du gestern abend erledigt hast!«

Wie Geschosse hatte der Cowboy die einzelnen Sätze abgefeuert.

Abe Clinholm hatte jäh innegehalten und war stehengeblieben. Langsam wandte er den Kopf und blickte den Cowboy mit seinen kalten Fischaugen an.

»Das ist nicht wahr«, sagte er mit einer schnarrenden, leicht näselnden Stimme.

Peshaur stieß den Kopf in Raubvogelmanier vor.

»Doch, es ist wahr. Er sitzt drüben auf der Treppe der City Hall. Derselbe Mann, den du gestern abend verfehlt hast.«

Clinholm senkte den Kopf, und kam langsam drei Stufen zurück. Dicht vor dem Cowboy blieb er stehen.

»Sagen Sie das nicht noch einmal, Mister Peshaur. Abe Clinholm hat noch nie einen Mann verfehlt.«

Respektlos lachte der Treiber.

»Aber diesmal hast du vorbeigeschossen, Brother! Tja, das passiert schließlich in der Aufregung jedem einmal.«

»Schweigen Sie, Mister Peshaur. Sie wissen genau, daß ich niemals aufgeregt bin.«

»Mister! Wenn ich das schon höre!« schimpfte der Kuhtreiber. »Ich kann deine feinen Manieren nicht leiden, Abe. Nenn’ mich Geg wie die andern auch. Ich bin kein Mister. Ebensowenig wie du. Wir sind beide Dreckskerle. Daran ist nichts zu ändern. Drüben im Osten, wo man sich so anredet, können sie uns nicht brauchen. Also leben wir hier im Dreck; du mit dem Colt und ich mit der Bullpeitsche. Da gibt’s keinen Unterschied.«

Clinholms Augen blieben audruckslos.

»Zwischen Ihnen und mir besteht ein gewaltiger Unterschied, Mister Peshaur. Und nun lassen Sie mich in Frieden frühstücken. Anscheinend bestand Ihr Frühstück schon aus einigen Gläsern Whisky. Anders kann ich es mir nicht erklären, daß Sie zu so früher Stunde schon Gespenster sehen.«

Der Cowboy schoß heran und packte den Ärmel des Revolvermannes.

»Gespenster? Abe, es ist so, wie ich sage: Draußen hockt der Kerl auf der Treppe und…«

Der Schießer schüttelte den Arm des Cowboys ab wie ein lästiges Insekt, ging an einen der Tische, winkte dem Mann an der Rezeption und bestellte sein Frühstück.

Es bestand aus einer Tasse Tee und einer Scheibe Brot mit Butter.

Der Rindermann hatte sich in einigem Abstand aufgebaut und beobachtete den Revolvermann bei der Mahlzeit.

Schließlich hielt es ihn nicht mehr, und er schob sich an den Tisch.

»Sag mal, kannst du allen Ernstes noch in Ruhe frühstücken, wenn draußen ein halbwilder hungriger Wolf auf dich lauert?«

Der Revolverschwinger hob den Kopf und blickte unter der Krempe seines Hutes kühl in Peshaurs Gesicht.

»Es haben schon viele Männer auf mich gewartet, Mister. Es gibt keinen, der noch lebt. Ich habe also keinen Grund mich zu beeilen oder gar aufzuregen.«

Peshaur wischte sich über die Nase. Dann blickte er auf die eine Scheibe Brot.

»Und das nennst du Essen? Das ist was für eine Katze oder für einen Vogel…«

Wie eine Marionette erhob sich ­Clinholm. Steif hingen seine Arme neben seinen Hüften.

»Ich bitte Sie, mich in Ruhe zu lassen, Mister Peshaur. Nachher können Sie mir sagen, was Sie zu sagen haben.«

»Was ich zu sagen habe!« stieß der Cowboy grimmig hervor und wandte sich ab. »Verdammter Idiot!« zischte er, als er außer Hörweite war.

*

Wyatt Earp saß immer noch draußen auf der Treppe und fixierte das Haus.

Das Leben in der kleinen Stadt erwachte allmählich. Hin und wieder überquerte ein Bürger die Mainstreet, verschwand in einem Store oder holte irgendwo ein Pferd aus einem Stall, mit dem er die Stadt verließ.

Dann war plötzlich der kleine Schneider Black da. Mit großen wasserhellen Augen blickte er den Missourier an.

»Mister Earp! Das ist doch nicht Ihr Ernst? Drüben im Hotel wohnen alle drei! Thompson, Peshaur und Abe Clinholm!«

»Ich weiß es.«

Der Schneider hob beschwörend beide Hände.

»Aber Sie wollen sich doch nicht als Schießscheibe hierhin setzen?«

»Nein.«

»Was haben Sie denn vor?«

»Ich warte.«

Der Kleine rollte die Augen und zupfte sich an seiner blauroten Nase.

»Und auf wen warten Sie?«

»Auf den Mörder von Jim Duffy.«

Der Schneider schüttelte den Kopf.

»Sie haben keine Chance, Mister Earp. Abe Clinholm ist ein echter Colt-man. Er harkt Sie auseinander, noch ehe sie an Ihren Colt gedacht haben. Thompson ist ein gefährlicher Spieler und Geg Peshaur ist ein halbwilder Rindermann. Sicher, Thompson ist eine Bestie wie sein Bruder, und Geg Peshaur ist ein ganz verdammter Bandit. Aber Clinholm ist gefährlicher: Er schießt wie der Teufel. Er hat vor einem Jahr drüben in Salina Tom Braddock umgelegt, und die Leute erzählen, daß er in Abilene Wild Bill Hickok im Gunfight schwer verletzt habe.«

Wyatt nickte. »Ja, das kann sein.«

»Sie sind ein ganz verdammter Dickschädel, Wyatt!« krächzte der kleine Mann ärgerlich. »Jetzt kommt einmal ein vernünftiger Mensch hier in die Stadt, schon setzt er sich als Schießscheibe für ein Bandentrio auf den Plan!«

Er wandte sich um und ging nach Hause.

Wyatt blickte weiter unverwandt auf das Hotel.

Es war schon sieben Uhr durch.

*

Glenn Powell, der Besitzer des City Hotels, hatte den Mann drüben auf der Vorbautreppe auch erspäht. Von seinem Office aus. Er rief seinen Hausmeister, einen riesigen Neger, und befahl ihm: »Tom, du behältst den Mann drüben im Auge.«

»Yes, Massa.« Der Schwarze fletschte seine großen weißen Zähne und verschwand.

In Humpys Barber Shop standen die beiden ersten Kunden hinter der Gardine und beäugten den Mann auf der Treppe.

Der kahlköpfige, dicke Pat Howland rümpfte die Nase und stieß den jungen Ed Lambrage an.

»Hey, Ed, das gibt Verdruß.«

Lambrage zog die Schultern hoch. Er war der Sohn des Schulmeisters und interessierte sich nicht sonderlich für den Fall. Seine Gedanken waren bei Nancy Miller, der Tochter des Bürgermeisters. Der junge aschblonde Mann ahnte sicher nicht, daß er noch in dieser Stunde sterben müßte.

In Frank Holborns General-Store, direkt neben der City Hall, standen mehrere Frauen und redeten schnatternd durcheinander.

»Das ist ja furchtbar!«

»Weshalb unternimmt niemand etwas dagegen?«

»Das wird ja immer schlimmer hier in der Stadt!«

Eine hagere Frau mit verhärmtem Gesicht und blauen Augen meinte:

»Eine Stadt ohne Polizei ist wie eine Welt ohne Gott!«

Frank Holborn nickte. Er stand hinter der Gardine und blickte zusammen mit seinem Clerk Jonny zu dem Mann auf der Treppe hinüber.

Drüben, neben dem City Hotel, war das Haus von Doc O’Connor. Der Arzt, ein Riese von Gestalt, mit grauem Haar und einem borstigen Seehund-Schnauzbart, paffte eine gewaltige Tabalkwolke vor sich hin. Die Zigarre wanderte von einem Mundwinkel in den anderen. Doc O’Connor hatte die Daumen in den Ausschnitten seiner bestickten roten Weste und schüttelte den Kopf.

»Es ist zum Weinen!« preßte er an der Zigarre vorbei durch die Zähne.

»Geh nicht zu nah ans Fenster«, mahnte seine Frau, eine zierliche Brünette von vielleicht vierzig Jahren. »Der Mann ist lebensmüde, sonst wäre er nicht zurückgekommen.«

»Das verstehst du nicht, Peggy. Jim Bleasdale hat mir eben erzählt, daß sie den alten Duffy erschossen haben. Sie haben ihn vom Kutschbock geschossen, neun Meilen vor Russell. Die Kugel steckte im Rücken des alten Postfahrers!«

»Und deshalb kommt dieser Mann zurück?« fragte die Frau hart.

»Ja«, versetzte der Mann, ohne sich umzudrehen. »Und verdammt noch mal, ich kann mir nicht helfen – er ist seit Jahren der erste Bursche, der mir imponiert!«

»Imponiert?« wiederholte die Frau bitter. »Imponiert er dir auch noch, wenn er zusammengeschossen drüben im Behandlungszimmer auf deinem Tisch liegt?«

Der Arzt stieß den Rauch durch die Nase aus, nahm seinen Hut vom Wandhaken und stampfte hinaus. Er überquerte die Straße mit großen Schritten und blieb vor Wyatt Earp stehen.

Der Postfahrer blickte nicht auf. Er behielt nach wie vor das Hotel im Auge.

Der Arzt schleuderte seinen Zigarrenstummel von sich.

»Hören Sie, Earp, wenn Sie jemanden brauchen, dann denken Sie an mich.«

Der Missourier warf dem grauhaarigen Riesen einen kurzen Blick zu.

»Thanks, ich werde es nicht vergessen.«

Der Arzt wandte sich um und ging zu seinem Haus zurück.

*

Mittlerweile war es halb acht geworden. Die ersten Strahlenbündel der Morgensonne fielen wärmend in die Mainstreet, brachen sich an den Häusergiebeln und Vorbaubalken und färbten die unschönen Fassaden, die die Straße beiderseits säumten, mit einem freundlichen Licht.

In der Halle des City Hotels erhob sich in diesem Augenblick der blaßgesichtige Revolvermann, zog seinen Hut etwas weiter in die Stirn, lockerte mit einem tausendfach geübten Griff den rechten Colt und ging zur Tür.

Da trat ihm der Hotelbesitzer entgegen.

»Mr. Clinholm, ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie das Haus durch einen anderen Ausgang verlassen würden.«

Das Gesicht des Coltman blieb ausdruckslos.

»Wo ist Mr. Peshaur?«

»Er hat das Hotel durch eben jenen Ausgang verlassen, den ich auch Ihnen empfohlen habe.«

»Und Bill Thompson?«

Der Hotelier hatte einen faden Geschmack im Munde, als er diesen Namen hörte; er sagte jedoch sehr höflich:

»Auch dieser Herr hat unser Haus bereits verlassen.«

Der Revolvermann hatte plötzlich ein ganz kleines höhnisches Lächeln in den Augenwinkeln. Nun hatten sie ihn also allein gelassen, die beiden; anscheinend hatten sie einen gewaltigen Respekt vor dem Mann da draußen.

Clinholms Gesicht war plötzlich wieder starr. So starr, daß Glenn Powell erschrak.

Und als der Schießer die große Tür zur Straße öffnete, sah es aus wie Gips, dieses Gesicht.

Zahllose Augenpaare sahen den Coltman aus dem Hotel kommen, sie sahen auch, wie der Mann drüben auf der Treppe aufstand.

Die Hände des kleinen spindeldürren Barbiers Kid Humpy, die das Rasiermesser hielten, zitterten.

Der Händler Holborn hielt den Atem an. Und Doc O’Connor grub seine Zähne in die Unterlippe.

Die Luft schien in der Mainstreet stillzustehen. Und auch die Zeit.

Abe Clinholm ging über den Vorbau bis zur obersten Treppenstufe, und seine ausdruckslosen Fischaugen hingen an der Gestalt des Mannes, der ihm etwa acht Yards gegenüberstand.

Wyatt Earp stand ganz ruhig da. Es war sein erstes großes Duell, das ihm bevorstand. Sicher, er war schon in vielerlei Schießereien verwickelt gewesen und hatte selbst auch schon manchen Schuß abgegeben, aber noch niemals hatte er in einem sogenannten »stillen« Gunfight allein Mann gegen Mann gestanden.

Die Sekunden tropften scheußlich langsam in die Ewigkeit.

Clinholm warf einen prüfenden Blick über die Gestalt des jungen Mannes. Und seine seelenlosen Augen bekamen fast einen verwunderten Ausdruck, als er sah, daß der Mann drüben die Arme über der Brust verschränkte.

»Clinholm!« rief der Missourier. »Ich habe hier auf dich gewartet. Du hast Jim Duffy ermordet!«

Im Gesicht des Revolverschwingers rührte sich kein Muskel. Das farblose Weißgrau seiner Haut schien noch um einen Ton kalkiger geworden zu sein.

Da rief der Missourier. »Du hast den Falschen erwischt, Clinholm! Ich bin zurückgekommen, um mit dir über den Tod meines Freundes Duffy zu reden!«

Da öffnete der Coltman die Lippen. Es sah aus, als zerspränge eine Gipsmaske in tausend Stücke, als er jetzt sprach.

»Ich habe mit dir nichts zu reden, Earp.«

»Aber erschießen wolltest du mich? Statt meiner hast du einen armen Teufel umgelegt. In den Rücken hast du ihn geschossen, Clinholm. Du bist ein ganz gemeiner Mörder!«

Steif und bewegungslos hingen die Arme des Schießers neben den blanken Knäufen seiner Waffen. Kein Muskel in seinem Gesicht zuckte. Der ganze Mann schien aus Gips zu sein. Ein weißer Körper in einem dunklen Anzug. Er war das Bild eines Revolvermannes, dieser Abraham Clinholm aus Kansas City. Peshaur hatte ihn für den geplanten Trail angeworben. Seine Aufgabe war es, alle Männer aus dem Weg zu räumen, die dem rigorosen Treiber in die Quere kamen.

Der alte Postkutscher Jim Duffy war Clinholms erstes Opfer gewesen.

Und der junge Wyatt Earp sollte das zweite sein.

Es gab in dieser Minute niemanden in der kleinen Stadt, der daran zweifelte. Er hatte nicht die geringste Chance, der junge Missourier. Wenn er sich auch zweimal im Laufe von vierundzwanzig Stunden als guter Schütze erwiesen hatte – ein Duell mit einem echten Coltman – das war etwas ganz anderes.

Es gab keinen Mann in Ellsworth, der den Schießer Abe Clinholm nicht kannte. Vor sieben Jahren hatte man seinen Namen in der Stadt zum erstenmal gehört. Damals war er mit Rube Clooster und seiner Bande gekommen und hatte oben am Hang die Plains für Clooster freigekämpft. Damals hatten drei kleine Siedler dran glauben müssen. Zwei alte Männer und ein junger Bursche. Alle waren sie dem kalkgesichtigen Revolverschwinger mit der Sixgun gegenübergetreten; und alle lagen sie oben auf dem Friedhof.

Zwei Jahre später war Clinholm mit dem Raubrancher Flanagan in der Stadt aufgetaucht und hatte in Smokys Saloon den Farmer Ramborey getötet. Ramborey war so verblendet gewesen, der Aufforderung des Revolvermannes, den Colt zu ziehen, nachzukommen. Das war sein Tod gewesen.

Was sollte dieser junge Postfahrer aus Missouri gegen den Schießer zu bestellen haben?

Wenig.

Nichts!

Doc O’Connor zerbiß verzweifelt die Spitze seiner Zigarre. Am liebsten hätte er die Winchester von der Wand gerissen und dem Gipsgesicht eine Kugel zugeschickt. Aber es war ein ungeschriebenes Gesetz des Westens, daß sich niemand in ein »stilles« Duell mischen darf.

Clinholm öffnete seine Lippen noch einmal.

»Hast du Mörder gesagt, Earp?«

»Mörder!« wiederholte der Missourier so deutlich, daß man es auf fünfzig Yards hin hören konnte.

Der Schießer schob den Unterkiefer vor.

»Das war eine Beleidigung, und es war auch das letzte was du gesagt hast!«

Jetzt mußte die Auffordernung »Zieh!« kommen. Dann würde der Revolvermann seinen Colt aber auch schon in der Hand haben.

Aber ehe dieser Ruf kam, erlebten mehr als drei Dutzend Augenpaare, die hinter zugezogenen Gardinen auf die Straße starrten, wie sich der Missourier in Bewegung setzte und auf den Revolvermann zuging.

»Halt!« stieß Clinholm verblüfft hervor.

Wyatt Earp ging weiter.

»Halt!« brüllte der Schießer heiser.

Aber der Missourier ging vorwärts.

»Halt!« Der Schrei des Revolvermannes gellte über die Straße. Und gleich darauf zuckte seine gelbbehandschuhte Rechte zum Colt.

Die Menschen hinter den Fenstern hatten den Atem angehalten. Alle hatten sie gesehen, wie Clinholms Rechte zum Coltgriff fuhr – und da wie angewachsen kleben blieb.

Mit einem unsagbar entsetzten Blick stierten die Augen des Schießers in die Revolvermündung, die ihm da aus der Faust seines Gegners entgegenstarrte.

Wie es eigentlich passiert war, hatte niemand gesehen. Tatsache aber war, daß der Missourier plötzlich in der linken Hand einen Revolver hatte, dessen Lauf genau auf die Brust des Schießers zielte.

Wenn Clinholm zuvor schon blaßgesichtig gewesen war – hatte seine Gesichtsfarbe etwas Weißgraues, Fahles. Die wässrigen Fischaugen stierten immer noch auf den Colt in der Faust des Postfahrers.

Dann hob er den Blick forschend in das Gesicht seines Gegners.

Wyatt stand kaum drei Yards vor ihm.

Da sprangen die Lippen Clinholms auseinander.

»Nein!« Heiser preßte sich der Laut durch die Kehle. »Nein – das ist nicht wahr! Du… du hast keinen Colt in der Hand! Du hast nicht schneller gezogen als ich…«

Kaltes Entsetzen, Fassungslosigkeit und maßlose Verblüffung standen im Blick des berufsmäßigen Schießers. Dies war die bitterste Stunde seines Lebens. Ein anderer war ihm zuvorgekommen!

Da war also ein ganz gewöhnlicher junger Postfahrer aufgetaucht, hatte vor dem Haus auf ihn gewartet und ihn auf eine ganz eisige Tour fertiggemacht.

Hart ruhte der Blick des Missouriers auf der Schußhand Clinholms.

»Heb die Hände hoch!« befahl er leise.

Clinholm rührte sich nicht.

»Heb sie hoch, Clinholm, alle beide!«

Der drohende Unterton in der Stimme des Missouriers veranlaßte den Revolverschwinger nun doch, die Hände bis in Brusthöhe hochzunehmen.

Wyatt trat sofort an ihn heran, riß ihm die beiden Colts aus den Halftern und warf sie auf die Straße.

Clinholm starrte unentwegt auf den großen Revolver in der linken Hand seines Gegners.

Wohin sich die Waffe auch bewegte, der Blick des Schießers folgte ihr. Es war die erste Hand mit einem Colt, die ihn besiegt hatte. Seine eigenen Colts lagen abseits im Staub der Straße. Und damit war die Stärke Abe Clinholms gebrochen. Ohne Revolver war er ein Nichts, ein nutzloses Etwas. Und das fühlte er in dieser Minute grausam deutlich.

Wyatt packte ihn am Arm und schob ihn vorwärts.

Genau aufs Sheriff Office zu.

Die Sprengung in der Nacht hatte ein Stück aus der linken Seitenwand gerissen, die Zellen aber unversehrt gelassen.

Der Revolvermann Abraham Clinholm kam in die Zelle, in der gestern noch Ben Thompson gesteckt hatte.

Aber diese heiße Stunde sollte noch nicht vorüber sein.

Als der Missourier auf die Straße trat, kam ihm von drüben der hünenhafte Arzt entgegen.

»Alles in Ordnung?« fragte er nur, als er neben Wyatt stand.

Der Missourier nickte, und als er sich zufällig umdrehte, sah er an der Ecke des Sheriff Office die Zwergengestalt des Schneiders Black stehen; der kleine Mann grinste ihm zu.

Und dann geschah es.

Wyatt, der auf das Hotel zugehen wollte, um sich auch Peshaur vorzuknöpfen, wirbelte plötzlich herum, und sein Revolver brüllte auf.

Über die Balustrade des Nachbarhauses stürzte der Körper eines Mannes. Das Gewehr, das er in der Hand gehabt hatte, lag neben ihm auf der Straße.

Aller Augen richteten sich auf den Mann.

Es war Bill Thompson.

Er war tot.

Doc O’Connor brauchte ihn nicht mehr zu untersuchen.

Wyatt stand vier Yards vor der Vorbautreppe des Hotels, als die Hölle loszubrechen schien. Von den Hotelfenstern, vom Dach her, von der Ecke drüben – von überallher blitzte es plötzlich auf.

Mit einem Hechtsprung war der Missourier unter den schützenden Vorbauplanken verschwunden.

Die vier Leute, die Geg Peshaur aufgestellt hatte, waren keine Meisterschützen, aber sie feuerten wie verrückt.

Eine Kugel, die der sechsundzwanzig­­jährige texanische Cowboy Owen Brastrup abgeschickt hatte, prallte von dem Metallschild, das auf einem Vorbaupfosten befestigt war und den Namen des Hotelbesitzers trug, ab, sirrte quarrend und jaulend als Querschläger über die Straße und zerschmetterte die Scheibe des Barbershops.

Ed Lambrage, der hinter der Scheibe gestanden hatte, sackte lautlos in sich zusammen. Die verirrte Kugel hatte ihn tödlich getroffen.

Der dicke Pat Howland fuhr sich entsetzt über den kahlen Schädel.

Doc O’Connor hatte einen Streifschuß am linken Oberam abbekommen. Fluchend rannte er ins Haus, riß zum Entsetzen seiner Frau die Winchester von der Wand und stieß den Lauf über die Fensterbank.

Im gleichen Augenblick fiel drüben ein hagerer, staubiger Bursche lang auf die Straße.

Eine Kugel des Missouriers hatte ihn von den Beinen gerissen.

Aber immer noch feuerten drei Heckenschützen wild auf die Straße. Diese drei waren im Hotel, das heißt, der Cowboy Jeff Hutkins lag oben auf dem Dach.

Wyatt robbte unter dem Vorbau weiter bis zur Gassenmündung, verließ seinen Unterschlupf, füllte die Colttrommel mit frischen Patronen, zog auch den rechten Revolver und sprang zum Entsetzen der Leute, denen er während des Kampfes geradezu ans Herz gewachsen war, auf die Straße.

Es waren genau drei Schüsse, die er gedankenlos abfeuerte. Drei blitzschnelle Schüsse.

Und die Waffen der drei Heckenschützen verstummten.

Die Ellsworther haben dieses sagenhaft anmutende Gefecht niemals vergessen. Das, was dieser einzelne Mann, dieser fremde Postfahrer, am frühen Morgen des 19. August 1872 getan hatte, sollte zur Historie werden. Hundert Bücher würden die Geschichte erzählen, Schreiber würden sie anderen, erdachten Helden andichten. Und kaum drei Jahrzehnte später würden die Kinder von Ellsworth, denen die Alten von jenem heißen Morgen erzählten, ungläubig und ein wenig lächelnd die Köpfe darüber schütteln.

Hat es so etwas denn damals wirklich gegeben? Und war dieser Wyatt Earp tatsächlich so schnell und so sicher, so waghalsig und so kaltblütig?

Doch, Freunde, er war es. Er ganz allein war es wirklich. Wenn es heute auch ähnlich von hundert anderen Männern berichtet wird. Einen Mann, der so hervorragend schoß, so genau traf und dabei noch so überlegt und kaltblütig war, hat der alte Westen nur einmal gesehen.

Von dieser Stunde an würde der Name Wyatt Earp über die Plains getragen werden, weit über die Savanne hin, in die anderen Städte der Prärie, er würde hinauf zu den Bergen gebracht werden, in den nächtlichen Erzählungen an den Lagerfeuern der Cowboys und Holzfäller genannt werden.

Der große, wirklich historische Held des Wilden Westens war in dieser Stadt geboren worden. Oben in der kleinen Kansasstadt Ellsworth. Gewiß, es gab viele Männer, die eisern das Gesetz vertraten, und auch viele, die ihr Leben dafür einsetzten. Aber es gab keinen, in dem sich so viele Vorzüge vereinigten wie in dem Missourier Wyatt Earp.

Ja, vier Jahre später sollte unten in Dodge ein Mann von sich reden machen, der den Missourier im Revolverschießen nahezu erreichte, sein Name war Doc John Holliday. Aber diese Treffsicherheit war das einzige, was dieser zwielichtige Mann mit dem großen Wyatt Earp gemeinsam haben sollte. Bei dem Missourier kamen das Auftreten hinzu, seine Erscheinung, sein Blick, seine eiserne Entschlossenheit und Härte und nicht zuletzt auch seine Klugheit und Gerechtigkeit.

*

Genau um acht Uhr herrschte Ruhe in der Stadt.

Der tote Spieler Bill Thompson war weggeschafft worden.

Die vier Cowbowys, die Wyatt ausgeschaltet hatte, lebten alle noch. Drei Treiber hatten einen Armschuß, einer war oben rechts in der Brust getroffen worden.

War es Zufall?

Nein, es war kein Zufall.

Drüben, aus dem Barber-Shop, wurde der tote Ed Lambrage hinausgetragen, den die verirrte Kugel eines Heckenschützen getroffen hatte.

Wyatt wunderte sich nicht sehr, daß Geg Peshaur das Hotel und auch die Stadt auf einem Schleichweg verlassen hatte. Diese Abfuhr hatte dem rigorosen Treiber vorerst genügt.

Doc O’Connor meinte, daß er vielleicht mit zwanzig Mann zurückkommen könnte.

Wyatt schüttelte den Kopf.

»Das wird er sicher nicht. Er hat gar keine Zeit dazu. Dieser Halunke hat ganz etwas anderes vor.«

Und das war richtig. Peshaur mußte sich um seinen Rindertrail kümmern, der längst auf dem Weg nach Nordwesten war.

Die Stadt Ellsworth sollte den wilden Kuhtreiber nie wieder sehen.

*

Es war weit nach Mittag.

Die Hitze schien in der Mainstreet zu stehen. Kein Lufthauch fächelte Kühlung heran.

Wyatt hockte im Vorbauschatten des Sheriff Office und blickte die Straße hinunter nach Westen, wo in der Ferne unter einer Wolke von Staub ein Gefährt auftauchte.

Es war die Overland-Postkutsche.

Und als die vier Gäule vor der Poststation haltmachten, sprang ein Mann vom Kutschbock, den Wyatt genau kannte. Es war der Posthalter Collins selbst. Er hatte keinen Führer gefunden und mußte nun selbst die Tour abfahren, schließlich hatte er mit mehreren Städten einen Vertrag.

Der große Mann warf einen Blick auf Wyatt und kam dann auf ihn zu. »Hallo!«

»Hallo.« Wyatts Antwort klang nicht sehr freundlich.

Collins ließ sich neben ihm nieder.

»Suchen Sie vielleicht einen Job?«

Der Missourier schüttelte den Kopf.

»Äh! Seien Sie nicht so dickköpfig. Sie waren mein bester Mann. Ich bin etwas zu hitzig gewesen. Gestern abend erinnerte mich der alte Reep daran, wie Sie die drei Wegelagerer damals ganz allein und auf einsamer Strecke mit drei Schüssen kampfunfähig geschossen haben. Es ist so, Wyatt, daß ich es mir einfach nicht leisten kann, einen Mann wegzuschicken. Und einen so guten erst recht nicht. Die Schießerei gestern war sicher ein Zufall, und ich bin sicher, daß Sie so bald nicht mehr zum Colt greifen werden.«

Wyatt erhob sich mit einem Ruck und blickte auf den Mann nieder.

»Doch, Mister Collins. Heute morgen hat es hier eine Schießerei gegeben. Zwei Menschen sind dabei getötet worden und vier verletzt.«

Collins stand langsam auf.

»Was war denn los?«

»Eine Schießerei. Ich sagte es Ihnen doch«, versetzte Wyatt kühl.

Collins hob die Schultern. »Was geht das mich an. Es wird überall im Westen geschossen.«

»Ich habe geschossen«, meinte Wyatt. »Ich habe einen Heckenschützen mit einer Kugel oben von der Balustrade heruntergeholt und vier andere verwundet.«

Die Augen des Postmeisters wurden weit. »Nein…«

»Doch«, sagte Wyatt hart. Dann wandte er sich um und schob sporen­klirrend zum Mietstall hinüber, wo er sein Pony untergebracht hatte.

Doc O’Connor hatte ein paar Schritte abseits gestanden. Er kannte Collins und kam jetzt näher.

»Haben Sie ihn entlassen?«

Collins blickte dahin, wo Wyatt verschwunden war, auf das Tor des Mietstalles.

»Yeah, das habe ich.«

Der Arzt kaute auf einem Streichholz herum. »Schön dumm«, knurrte er grimmig.

»Wer?« fragte Collins und warf den Kopf herum.

»Sie!« blitzte ihn der Riese an.

»Weshalb? Er ist ein Revolvermann!«

Da legte der Arzt dem Postmeister eine seiner schaufelartigen Hände auf die Schulter.

»Sie irren, Collins. Er ist vielleicht ein Revolverkämpfer und würde besser einen Stern tragen, – aber ein Revolvermann ist er nicht.«

»Er hat einen Mann getötet und vier andere verletzt. Er hat es mir selber gesagt.«

»Hat er Ihnen auch gesagt, wie der Mann hieß, den er in Notwehr erschoß?«

»Nein.«

»Der Mann hieß Bill Thompson.«

»Was –?« Collins hatte den Mund offenstehen. »Bill Thompson? Das ist nicht wahr!«

Der Doktor spie das Streichholz im hohen Bogen auf die Straße.

»Doch, Collins. Er hat Bill Thompson erwischt. Der Bandit hockte da oben hinter der Balustrade und schoß auf ihn. Die Cowboys hatten sich hier überall verteilt und hielten ihn unter Feuer. Eine Kugel oben aus den Fenstern traf einen Mann drüben im Barber Shop und tötete ihn. Und noch was, Collins, damit Sie wissen, weshalb Wyatt zurückgekommen ist. Er hat den Mörder Jim Duffys gestellt. Es ist Abe Clinholm.«

»Clinholm?« stieß der Postmeister ungläubig hervor. »Der Revolverschwinger aus Kansas City?«

»Genau der. Er steckt drüben im Jail. So long!« Der Arzt stiefelte über die Straße auf sein Haus zu.

Im gleichen Moment ritt der Missourier aus dem Tor des Mietstalles nach Osten aus der Stadt.

*

Der uralte Indianer mit dem pergamentfarbenen Gesicht hob schnell den Kopf, als der Reiter neben ihm hielt. Seine braunen Augen prüften erst das Pferd und dann den weißen Mann.

Wyatt blickte auf die zerlumpte Gestalt des Greises.

»Kennst du einen Rancher, der Rooper heißt?«

Der Alte nickte.

»Wo liegt seine Ranch?«

Der Indianer hob den linken Arm und wies nach Süden.

»Du mußt zweimal eine Stunde reiten, den Fluß überqueren und bei den roten Hügeln nach Westen abbiegen. Da wirst du seine Reiter treffen.«

Wyatt reichte dem Alten eine seiner Zigarren hinunter und sah zu seinem Schrecken, daß der Mann das gute Kraut zerbrach und in den Mund schob.

Kauend und grinsend winkte er dem Reiter nach.

*

Es war Nachmittag, als Wyatt in den Ranchhof der Rooper-Ranch einritt.

Am Tor stand ein junger, hartgesichtiger Bursche mit hellem Haar und grauen Augen. Er schob den weißen Hut aus der Stirn und musterte den Reiter.

»Na, Freund? Wohin wollen Sie denn?« fragte er, während er sich lässig gegen einen Torpfosten lehnte.

»Ich möchte mit dem Rancher sprechen.«

»Der ist nicht da.«

»Dann werde ich mit dem Vormann reden.«

»Der ist auch nicht da.« Der Bursche grinste frech.

Wyatt stieg vom Pferd und trat vor ihn hin. Seine Augen bohrten sich in das Gesicht des Cowboys.

»Wo ist der Rancher?«

»Auf der Weide.«

»Und der Vormann?«

»Auch auf der Weide.«

Wyatt führte sein Pferd zur Tränke und stieg dann wieder in den Sattel.

»Wie finde ich den Rancher?«

»Keine Ahnung. Unser Land ist ziemlich groß, Mister – und Ihr Pferd verdammt klein.«

Wyatt verließ den Hof und ritt nach Westen davon.

Nach einer halben Stunde sah er zwei Männer an einem kleinen Corral auf dem Gatter hocken.

Er ritt auf den Corral zu, grüßte kurz und fragte, wo er den Rancher finden könne.

Der eine der beiden Cowboys hatte rotes Haar und ein breites Bullbeißergesicht. Die Nase war platt und hatte einen eingedrückten Rücken. Die Augen des Mannes schimmerten grün und deuteten darauf hin, daß er irischer Abstammung war.

Der andere Mann war alt, hatte ein verwittertes Gesicht und einen ungepflegten Schnauzbart, dessen Enden traurig nach unten hingen.

Der Rothaarige sah den ältere Cowboy an.

»Was meinst du, Ed, sollen wir es ihm sagen?«

Der andere zog die Schultern hoch.

Da nickte der Mann mit dem Bullbeißergesicht. »Wir wissen es auch nicht.«

»Und wo ist der Vormann?« fragte Wyatt.

»Der hat keine Zeit.«

»Weshalb nicht?«

»Er muß diese Fohlen hier bewachen. Sie sind krank.«

Wyatt rutschte aus dem Sattel und setzte sich neben den Rothaarigen auf den Zaun. Er zündete sich eine Zigarre an und reichte den beiden auch eine.

»Sie sind der Vormann?«

Der Rothaarige schüttelte den Kopf.

»No, aber ich wär’ es gern. Ed hat was dagegen.«

Wyatt zog die Brauen zusammen und musterte den anderen Cowboy. Wie alt mochte der sein? Sechzig ganz sicher.

Der alte mißfarbene Filz hing ihm völlig zerknautscht und fransig auf dem grauen Schopf. Die Gesichtshaut war tiefbraun, und die Augen blickten teilnahmslos drein. Die Weidekleidung schien ihm viel zu groß zu sein und schlotterte um seinen Leib, als er jetzt vom Gatter rutschte und auf eines der Fohlen zuging.

»Er ist der Vormann?« fragte der Missourier, wobei er mit dem linken Daumen auf den Alten wies.

»Yeah. Haben Sie etwa was dagegen?«

Wyatt rieb sich das Kinn und rutschte dann auch vom Gatter, um dem Alten zu folgen.

Der drehte sich um. »Was wollen Sie?«

»Ich muß mit Ihnen sprechen, Ed.«

»Ich heiße Rake, verstanden.«

»Natürlich. Hören Sie, Mister Rake, ich habe dem Rancher einen Vorschlag zu machen. Es geht um einen Trail.«

Der Alte, der neben einem der Fohlen im Gras gekniet hatte, erhob sich wieder. Seine Augen ruhten ausdruckslos auf dem Fremden.

»Um einen Trail?«

»Ja, um einen Trail nach Montana.«

Rake ging auf das Gatter zu.

»Mac, sag dem Boß, daß einer hier ist, der mit ihm sprechen will.«

Der Rothaarige sog genießerisch an seiner Zigarre und paffte eine gewaltige Wolke vor sich hin. Er machte nicht die geringsten Anstalten, sich zu bewegen.

Da geschah etwas Eigenartiges, etwas, das Wyatt dem müden Mann nie und nimmer zugetraut hätte.

Rake packte den Stiefel des vierschrötigen Cowboys und zerrte den Mann dann daran mit einem harten Ruck vom Gatter; gleich darauf brannte eine schallende Ohrfeige im Gesicht des Iren.

Der Alte aber stand leicht gebeugt und völlig still vor ihm.

»Ich habe gesagt, du sollst dem Boß Bescheid sagen!«

Der rote Mac nickte, hob die Zigarre auf und machte sich eilends auf den Weg.

Schweigend hockte der Alte wieder neben Wyatt auf dem Gatter. »Sie haben die Leute gut im Zug«, meinte der Missourier. Der Vormann nickte.

»Ja, das ist notwendig. Die Stinktiere bekommen vierzig Dollar den Monat und möchten am liebsten keine Hand dafür rühren. Es ist nicht einfach, hier oben in Kansas Cowboys zu bekommen. Die Männer wollen alle Geld verdienen. Wer mit dem Colt umgehen kann, schließt sich entweder einer Bande von Busheaders an oder er läßt sich von irgendeinem Protz als Leibwächter anwerben. Aber richtige Sattelarbeit will möglichst keiner tun.«

Ja, so war das. Und der alte Vormann Ed Rake schien das Rezept gefunden zu haben, die Leute bei der Arbeit zu halten. Er gab jedem Mann zu seinem Monatslohn noch zehn Dollars aus seiner eigenen Tasche und hatte damit ein moralisches Recht, die Mannschaft in Trab zu halten. Eine sonderbare aber nicht dumme Art, den Betrieb in Schwung zu bringen.

Er war kein gesprächiger Mann, der alte Ed Rake. Wyatt konnte nur noch soviel von ihm erfahren, daß der Boß in der Nähe sei, drüben hinter den Hügeln.

»Dann hätten Sie mich doch auch dorthin schicken können.«

»No, hätte ich nicht. Er sitzt da und denkt – und wenn er schon mal denkt, will er von niemandem gestört werden.«

»Aber Mac stört ihn doch jetzt auch.«

»Mac? Der ist ein Büffel. Der merkt nicht, wenn ihn einer anpfeift.« Von nun an blieb er still.

Eine halbe Stunde verrann.

Die Hitze lag schwer über der Weide und ließ die Spitzen der hohen Gräser im Glutflimmer verschwinden.

Drüben im Westen stand eine große Herde.

Plötzlich hob der Alte den Kopf. Ohne sich umzuwenden, brummte er. »Jetzt kommt er.«

»Wer?«

»Der Boß.«

Wyatt blickte sich um und sah weit und breit keinen Reiter.

Der Alte stieg vom Gatter und deutete auf einen der Hügel.

Tatsächlich tauchte dort oben jetzt der Kopf eines Reiters auf. Wenige Minuten später sprengte der Rancher Wyan Rooper auf einer Fuchsstute heran.

Zwanzig Yards hinter ihm kam auf einem starkknochigen Braunen der rote Mac.

Rooper blickte den Vormann fragend an und musterte dann den Fremden.

Rake deutete mit dem Daumen auf Wyatt.

»Er will mit Ihnen sprechen, Boß.«

Der Rancher stieg ab und trat auf Wyatt zu, der ebenfalls vom Gatter gerutscht war.

»Ich bin Wyatt Earp…«

Rooper stieß sich den breiten braunen Hut aus der Stirn.

»Wyatt Earp?« unterbrach er.

»Ja.«

»Der Mann, der die Thompsons gestoppt hat?«

Wyatt nickte. »Mister Rooper, ich habe durch einen Zufall gestern abend Ihr Gespräch mit Geg Peshaur mit angehört.«

Der Rancher winkte ab, nahm sein Rauchzeug aus der Tasche und kurbelte sich eine ziemlich unförmige Zigarette.

»Erinnern Sie mich nicht daran«, knurrte er mürrisch.

Wyatt lehnte sich an das Gatter.

»Ich vermute, daß Ihr Freund Benston fest mit einer Herde von Ihnen rechnet?«

Rooper blickte seine beiden Leute an und nickte dann.

»Ja, es ist bedeutend wichtiger, als Sie ahnen. Ich schulde Benston Geld. Zweitausend Dollar. Er zahlt pro Rind mehr, als ich Peshaur gesagt habe…«

»Dreißig«, sagte Wyatt.

Rooper blickte auf. »Wie kommen Sie darauf?«

»Ich dachte es mir.«

Rooper ließ die kaum angebrannte Zigarette ins Gras fallen und zertrat sie.

»Zweitausend Dollar, wissen Sie, was das heißt.«

»Sie haben doch Vieh.«

»Ja, aber wenn ich es hier verkaufe, bin ich ein armer Mann. Hier gibt’s vier Dollar pro Rind, Mister.«

»Sicher. Und oben in Montana gibt’s dreißig.«

Rooper blickte den Missourier forschend an.

»Was wollen Sie damit sagen?«

»Bringen Sie doch selbst eine Herde auf den Trail.«

»Ich?« Rooper schlug sich vor die Brust. Ein bitteres Lächeln stand in seinem Gesicht. »Hören Sie, Earp, ich bin Eisenbahn-Ingenieur. Ich habe die Ranch da unten vor fünf Jahren von meinen Ersparnissen gekauft, weil ich glaubte, das sei ein besserer Job. Aber heute weiß ich, daß ich an diesem Job zugrunde gehen werde. Ich bin kein Rindermann. Ich weiß nicht mit Vieh umzugehen…«

»Und dann haben Sie es fünf Jahre ausgehalten?«

»Wenn schon.«

»No, Mister, wer fünf Jahre eine Ranch leitet, der ist schon hineingewachsen. Ich bin überzeugt, daß Sie sonst längst die Flinte ins Korn geworfen hätten und wieder bei der Bahn wären.«

Rooper wischte sich über die Nase. In seinen Augen war ein Erstaunen, sogar ein winziges Lächeln.

»Yeah, Freund, so unrecht haben Sie nicht. Ich liebe das Leben auf der Weide über alles. Aber ich bin am Ende. Ich habe mir damals von Benston Geld geliehen. Wir trafen uns drüben in Abilene. Er war früher auch bei der Bahn. Ich hatte das Geld dringend nötig, da eine lange Dürreperiode meinen Rinderbestand scheußlich geschmälert hatte. Jetzt ist alles längst wieder in Ordnung. Aber nun ist Benston dran. Er braucht Rinder.«

»Und Geld.«

Rooper winkte ab. »Von Geld hat er kein Wort geschrieben. Rinder braucht er. In Montana gibt’s kein Fleisch.«

»Ja, ich weiß. Deshalb bin ich zu Ihnen gekommen, Mister Rooper. Geg Peshaur hat seine Herde schon auf dem Trail. Rinder, die er von den großen Treibherden drüben vor der Stadt abgetrennt hat. Er war bei dem großen Trail von Texas dabei und hat unterwegs seine Herde regelrecht zusammengestohlen und weit vor Ellsworth nordwestlich auf die neue Route geschickt.«

»Kein dummer Gedanke!« rief der rothaarige Mac dazwischen.

»Ein schlechter Gedanke!« sagte Wyatt hart. Dann wandte er sich wieder an den Rancher. »Wenn Peshaur wirklich zweihundert Rinder über den Tecca-Paß bringt, hat Montana zwar noch längst nicht genug Fleisch, aber Benstons Not ist erst einmal gestillt.«

»Und ich schulde ihm weiterhin zweitausend Dollar.«

»Richtig. Und deshalb wollte ich Ihnen vorschlagen, daß Sie selbst eine Herde auf den Trail nach Montana bringen.«

»Ich? Aber, Mann – ich sagte Ihnen doch, daß ich kein Cowboy bin.«

»Sie haben doch eine Crew!«

Der Rancher blickte den Vormann und den roten Mac an.

»Yeah, eine Crew von drei Leuten.«

Wyatt glaubte, nicht verstanden zu haben.

»Von drei Leuten? Sie wollen doch nicht behaupten, daß drei ganze Männer die Herde da drüben, die Ranch und die Weide in Ordnung halten?«

»Genau das will ich sagen.«

»Der Vormann hier, der rote Mac und der bleichsüchtige Bursche auf der Ranch – das ist Ihre Crew?«

»Ja, leider«, antwortete der Rancher und trat mit der Absatzspitze gegen das Gatter, daß der Sporn klirrte. »Ich hatte einmal mehr Leute. Aber Geg Peshaur hat mich fertiggemacht. Schon im vergangenen Jahr hat er mit mir über den Trail nach Montana verhandelt. Um mich ein für allemal von allen dummen Gedanken abzubringen, hat der Bandit mir bei einer gewaltigen Sauferei in Smokys Saloon voriges Jahr sieben Cowboys abgeworben. Mit Mühe hatte ich inzwischen zwei neue Leute dafür bekommen, die hat er vorgestern weggeschnappt.«

Plötzlich sah Wyatt den uralten Vormann, den roten Mac und den hartgesichtigen Burschen drüben auf der Ranch mit ganz anderen Augen an. Sie waren ihrem Rancher treu geblieben. Es waren also Männer, die Charakter bewiesen hatten.

Da hörte Wyatt den Rancher sagen: »Ed, mein Vormann, hätte neunzig Dollar haben können, wenn er zu Geg gegangen wäre. Viermal waren seine Werber bei ihm. Und Mac Ferguson hat auch zwei Angebote ausgeschlagen. Hal McLean, den Sie auf der Ranch gesehen haben, hat einem Werber die Zähne eingeschlagen. Yeah, Mister, so sieht das aus.«

Wyatt grub die Zähne in die Unterlippe. Das war ja eine teuflische Geschichte. Dieser George Peshaur war ein satanischer Halunke, der seine Geschäfte bis ins kleinste vorbereitete. Da hatte er also schon im vergangenen Jahr diesen Coup eingefädelt. Der Rancher stand praktisch vor dem Ruin. Denn bei der Cowboyknappheit hier oben würde es ihm schwerfallen, sich aus diesem Loch wieder herauszureißen. Peshaur hatte natürlich so getan, als sei er es nicht gewesen, der Roopers Crew gesprengt hatte. Er war lediglich der weitplanende Mann im Hintergrund.

»Wieviel Rinder haben Sie?« fragte Wyatt.

»Fast dreitausend«, knurrte der Vormann. »Wenn man die abzieht, die in der letzten Nacht wieder gestohlen worden sind.«

Rooper erklärte: »Seit die großen Treibherden drüben vor der Stadt stehen, verschwinden von meiner Weide ständig Rinderrudel. Ich glaube nicht, daß es sich um Rustlerbanden handelt…«

»Peshaur«, unterbrach ihn der Missourier.

Der Rancher nickte. Um seinen Mund hatte sich ein harter, bitterer Zug gegraben.

Wyatt verschränkte die Arme über der Brust und sah den Rancher einen Augenblick nachdenkklich an. Dann meinte er:

»Wir sind fünf Männer. Wir können die Herde nach Montana bringen.«

Die drei warfen die Köpfe hoch.

Rooper rief: »Das ist doch Unsinn!«

Wyatt zog die Schultern hoch. »Mein Vorschlag. Nichts weiter.«

»Wie wollen Sie das denn anfangen? Peshaur hat für seine zweitausend Rinder fast zwanzig Cowboys. Wenn er auch nur mit vier Männern den Gewinn teilt. Aber er hat Treiber, nahezu zwanzig Treiber. Er kann es vielleicht schaffen. Trotzdem wird er nur einen Teil der Rinder ans Ziel bringen. Aber er ist vor uns am Ziel. Viele Tage vor uns. Schließlich ist er nach meinen Informationen schon zwei Wochen auf dem Trail. Wir könnten ihn nie einholen!«

»Nein«, antwortete Wyatt. »Die Absicht hatte ich auch nicht.«

»Was dachten Sie denn? Wenn wir einen halben Monat später mit dem kümmerlichen Rest meiner Herde tatsächlich über den Tecca-Paß kämen und wirklich bei Benston anlangten, glauben Sie denn, daß mir das etwas nützen würde? Benstons ärgste Not ist dann gestillt. Er hat Rinder und wird mir nur noch einen dünnen Preis zahlen. Und wie stehe ich dann da? Meine Herde ist weg, ich habe außerdem meine Schuld nicht eingelöst und bin ein völlig ruinierter Mann.«

»Trotzdem bleibe ich bei meinem Vorschlag. Sie haben mich nicht ausreden lassen, Mister Rooper. Wenn wir Ihre Herde auf den Trail bringen, werden wir vor Peshaur in Montana sein.«

»Was –?« Der Rancher riß die Augen auf.

Dem roten Mac fiel das Kinn auf die Brust.

Und der alte Vormann tippte sich unmißverständlich an die Schläfe.

»Ich weiß einen Weg, der uns schneller vorwärtsbringt«, sagte Wyatt.

»Einen Weg?« meinte Rooper rauh. »Nun werde ich Ihnen etwas sagen, Mann. Yul Benston lebt in Rocktown, einem kleinen Nest bei Grayling oben in Südwest-Montana. Wir müssen durch Kansas, durch eine Ecke von Colorado, quer durch ganz Wyoming, und da kommen die hohen Mountains. Der Tecca-Paß hat sie noch alle zurückgeschickt, auch die härtesten. Ich habe dreimal einen Trupp verwegener Männer auf den Trail geschickt. Die ersten sind am Sympatic-Creek gescheitert. Der nächste Treck endete oben in den Felsen der Lumbaca-Rounds, und die letzten wurden am Tecca zerschlagen. Es war Jimmy Cahoon. Ich erzählte Peshaur, daß er mit dreißig Rindern in Montana angekommen sei. Das war eine Lüge. Er ist oben am Paß gestorben. Abstürzende Rinder haben ihn mit in die Tiefe gerissen. Nur ein Mann hat sich durchbringen können, indem er sich in eine Felsnische gerettet hat, bis das Drama zu Ende war. Von ihm habe ich alles erfahren. Dieser Mann hat mit eigenen Augen gesehen, wie die Tiere oben in den Klüften auf den abschüssigen Paßpfaden plötzlich unruhig wurden. Wenn das erste Tier bockt, zurück will, störrisch wird, nimmt das Drama seinen Lauf. Panik bricht aus, die Tiere stürzen sich in ihrer Verzweiflung selbst in die Tiefe und reißen die Treiber gnadenlos mit. Der Mann, der sich aus dieser Hölle retten konnte, hat es gesehen. Er mußte miterleben, wie mehr als vierhundert Longhorns brüllend vor Todesangst an den Klüften entlangstürmten, abstürzten und die Cowboys mit in die Tiefe rissen.«

»Wo ist dieser Mann heute?« wollte Wyatt wissen.

Rooper hob den Kopf und wies auf den alten Vormann, der am Gatter lehnte und zu den Fohlen hinübersah.

»Er ist es. Er war dabei und ist allein zurückgekommen.«

Wyatt blickte den Alten stumm an. Nun wußte er, daß es fast sinnlos war, den Rancher von seinem Vorschlag zu überzeugen.

Trotzdem nahm er noch einen letzten Anlauf.

»Peshaur hat Sie vernichtet. Sie haben keine Leute mehr. Und Sie werden so bald auch keine bekommen. Es fehlen allenthalben Männer, nicht nur auf der Weide, sondern auch bei der Overland, bei den Mühlen und auch sonst überall.

Peshaur wollte Sie vernichten, weil Sie zuviel von seinem großen Geschäft wußten. Und er hätte Sie auf jeden Fall umgebracht. Das wissen Sie selbst. Jetzt treibt er eine zusammengestohlene Herde hinauf. Sie können Benston kaum noch warnen. Die Sache sieht völlig hoffnungslos aus. Sie ist es aber noch keineswegs. Ich weiß einen Weg, der uns vor Peshaur nach Rocktown bringen könnte. Uns und die Herde. Natürlich würden wir Rinder einbüßen, aber nicht so viel, wie Peshaur verlieren wird. In jedem Fall aber behielten Sie genug, um aus der Klemme zu kommen. Vielleicht sogar genug, um mit einem Gewinn zurückzukommen.«

Rooper schüttelte den Kopf.

»Ich kenne Sie nicht, und ich begreife Sie auch nicht. Ed Rake kennt den Trail. Er kennt den ganzen Weg und vor allem die Berge. Wie wollen Sie trailen? Durch die Luft?«

»Nein«, antwortete Wyatt. »Ich bin vor drei Jahren mit meinem Bruder Morgan oben in den Berge gewesen. Wir haben Berghähne geschossen. Unten in Santa Fé zahlte ein Engländer für die Federn ein Vermögen. Damals sind wir monatelang in den Bergen um den Tecca-Paß herumgekrochen. Ich weiß einen Pfad, auf dem zwei Reiter nebeneinander reiten können, der nur einmal auf etwa dreißig Yards von einem Abgrund gesäumt wird…«

»Wo soll denn das sein?« unterbrach der alte Vormann.

»Am Ende des Selone-Hochplateaus steigen die Mountains schroff wieder an. Der Pfad am Tecca-Paß führt südwestlich in die Berge hinein…«

»Das stimmt.«

»Meine Route liegt weiter nördlich.«

»Nördlich?« fragte der Alte ungläubig. »Da fallen die Felswände doch lotrecht ins Tal.«

»Ich weiß. Es ist eine verdeckte Kluft, die wir damals nur durch Zufall gefunden haben. Durch diese Kluft treibe ich dreitausend Rinder alleine hoch, wenn es sein muß.«

Wyatt ergriff den Arm den Ranchers.

»Mister Rooper. Es ist Ihre einzige Chance. Wenn Sie hierbleiben, werden Sie Benston das Geld nicht geben können. Mit drei Cowboys können Sie die Ranch nicht halten.«

Rooper schüttelte den Kopf.

»Ich kann mich nicht auf ein Vabanque-Spiel einlassen. Was meinen Sie, Ed?«

Der alte Vormann schüttelte den Kopf.

»Ich kenne den Trail. Dann können wir gleich die Ranch anzünden und die Tiere drüben die Steinbrüche von Yperny hinunterstoßen. Das kommt auf das gleiche heraus.«

Der rothaarige Mac hatte plötzlich gar kein so dummes Gesicht mehr, als er sagte:

»Wir fighten wie die Löwen für die Ranch, Mister Earp. Sie können nicht erwarten, daß wir nun alles aufs Spiel setzen…«

»Trotzdem«, meinte der Rancher, »ich danke Ihnen für den guten Willen, Mister Earp!«

Wyatt nickte und ging zu seinem Pony. Das kräftige, schnelle Tier trug ihn langsam über die Weide nach Nordwesten davon.

*

In Rob Cunnings Boardinghaus mietete er sich ein Zimmer. Als er sich gewaschen hatte, ging er hinunter in den Saloon zum Abendbrot.

Er saß kauend vor einem gewaltigen Steak, als sich der kleine Schneider zu ihm an den Tisch setzte.

»Darf ich?«

Wyatt nickte.

Der Schneider hüstelte und meinte dann:

»Ich habe noch mit Collins gesprochen. Er hat Duffy gefunden; Sie hatten dem Alten mit dem Sattelspaten ja schon ein Grab geschaufelt, nicht wahr?«

Soviel der Kleine auch von dem alten Duffy sprach und von dem Duell am Morgen, der Missourier blieb schweigsam.

Schließlich rückte der Schneider mit dem heraus, was er anbringen wollte:

»Mister Earp, was werden Sie jetzt anfangen? Collins sagte mir, daß Sie ihm den Job aufgesagt hätten.«

»Ja.«

»Und was wollen Sie nun anfangen?«

»Das weiß ich noch nicht.«

»Hm – ich wüßte einen passablen Job für Sie.«

Wyatt sah den Kleinen fragend an.

»Sie wollen mich doch nicht etwa in Ihrer Schneiderwerkstatt beschäftigen?«

»Nein, natürlich nicht. Aber die Stadt braucht einen Sheriff…«

Der Missourier winkte ab.

Aber der Zwerg blieb hartnäckig.

»Wir brauchen trotzdem einen Sheriff. Sehen Sie, Wyatt, das Gipsgesicht sitzt im Jail, und –«, flüsternd fügte er hinzu. »Bennie sitzt in meinem Stall. Wer soll die beiden Halunken morgen vormittag vor den Richter führen?«

»Dafür werden sich schon ein paar Männer finden.«

»Aber trotzdem braucht Ellsworth einen Sheriff.«

»Ich bin keiner, Mister Black.«

»Noch nicht. Aber Sie könnten dazu ernannt werden. Ihr Probestück als Hilfs-Marshal haben Sie ja gestern bereits abgelegt. Sie können sich das aussuchen. Vielleicht wird das County Sie zum Sheriff ernennen, dann haben Sie den ganzen Bezirk unter sich. Oder der Mayor fragt beim Gouverneur an, ob er Sie als Town-Marshal einstellen kann. Die Aufgaben bleiben die gleichen.«

»Ich weiß.«

»Sehen Sie«, meinte der Kleine, »drüben sitzt der Mayor am Tisch; er wartet darauf, daß ich ihn rufe. Der ganze Stadtrat sitzt bei ihm. Die Leute sind einstimmig für Sie, Wyatt.«

Der Missourier stand auf. »Ich werde es mir bis morgen vormittag überlegen.« Er ging hinaus.

Im Mietstall streichelte er den Hals seines treuen Ponys und machte anschließend noch einen Gang durch die Stadt. –

Am nächsten Vormittag, als Wyatt beim Frühstück saß, kam Black wieder herein.

»Mister Earp, ich bin schon da!«

Wyatt nickte. »Ich sehe es. Und draußen auf dem Vorbau warten die andern, nicht wahr?«

»Ja, woher wissen Sie das?« fragte der Schneider verdutzt.

»Ich kann es mir denken.«

»Sie müssen das verstehen, Wyatt, die Sache liegt uns am Herzen. Wir brauchen einen Friedens-Offizier. Das Gesetz hat es noch sehr schwer hier in dieser rauhen Stadt. Wir brauchen eine Respektsperson. Einen Mann, den die Leute achten und fürchten. Und Sie wären genau der Richtige für uns.«

Wyatt blickte nachdenklich auf seine Hände.

In dem Augenblick, als er den Kopf hob und dem Schneider eine Antwort geben wollte, wurde die Tür aufgestoßen, und ein alter, hagerer Cowboy mit tiefdunklem Gesicht, hängendem Seehundsbart und zerfetzter Hutkrempe trat ein. Er ging schnurstracks auf den Missourier zu, tippte an den Hutrand und meinte mit seiner tiefen, rauhen Stimme:

»Es ist alles klar, Mister Earp.«

Wie von einer magischen Kraft gezogen, stand der Missourier auf. Er legte den Kopf ein wenig auf die Seite und fragte leise:

»Alles klar?«

»Yeah, der Rancher wartet mit Mac, Hal und den Rindern draußen vor der Stadt!«

Über das Gesicht des Missouriers glitt ein Sonnenstrahl, der eben durchs Fenster brach.

»All right, Ed, ich hole mein Gewehr!«

Er ging hinauf, holte sein Gewehr und sein Bündel, zahlte seine Zeche, ging hinüber in den Mietstall und holte sein Pferd.

»Augenblick noch, Ed!« rief er dem alten Vormann zu. Dann trabte er zurück zu dem Vorbau des Boardinghauses.

Da stand der Schneider, der Bürgermeister und sieben ältere Männer, die ihm entgegenblickten.

»Es tut mir leid, Mister Black«, sagte Wyatt. »Sie haben sich wirklich viel Mühe gegeben. Und wenn ich einmal Sheriff werden sollte, frage ich zuerst in Ellsworth an, ob der Job zufällig frei ist. Paßt gut auf die beiden Mörder auf. Ich habe einen Job bei Wyan Roopers angenommen. So long!«

Nur der kleine Schneider hatte so viel Herz, dem Davontrabenden nachzuwinken…

Wenn Ellsworth gewußt hätte, was für ein Sheriff ihm da für immer verlorenging, hätte er sicher ein anderes Aufgebot zusammengetrommelt, um den wertvollen Mann zurückzuhalten.

Viele Jahre später, wenn der Missourier längst der berühmte Marshal von Dodge City sein sollte, ein Mann, den man von den Schneebergen Kansas bis hinunter in die glühenden Sandstädte Mexikos kannte, sollte der kleine Schneider Black einmal in einer stillen Stunde zu dem kugeligen Mayor sagen: »Wenn ich damals Mayor gewesen wäre, wäre er heute noch hier, und unsere Kinder könnten in Boston, New York und San Franzisco erzählen, daß sie aus der Stadt kommen, wo Wyatt Earp Marshal ist…«

*

Schon seit Wochen schob sich die große Herde über die Savanne nach Nordwesten.

Vor Fort Morgan oben in Colorado schlug Wyatt dem Rancher eine dreitägige Rast vor.

Nervös kratzte sich der staubbedeckte Wyan Rooper das Kinn. Er preßte die Augen zusammen und plinkerte in die untergehende Sonne.

»Können wir uns denn einen so langen Aufenthalt leisten, Wyatt?«

»Ich glaube schon.«

»Peshaur wird mit seiner Herde längst weit in Wyoming sein.«

»Sicher. Er hat den Treck von Ellsworth aus schnell eingeholt und wird jetzt oben in den Bergen sein.«

Der Rancher nahm den Hut vom Kopf und wischte sich über die heiße Stirn.

»Ich begreife nicht, wie Sie ihm zuvorkommen wollen.«

»Haben Sie Vertrauen, Mister Rooper. Wir schaffen es schon. Wenn es auch noch ein verdammt hartes Stück Arbeit ist!«

Selbst der Trail bis hier herauf war harte, schwere Treiberarbeit gewesen. Die fünf Männer sackten jeden Abend zu Tode erschöpft aus ihren Sätteln. Aber das Treib-System des Missouriers hatte sich bewährt. Niemand behielt einen festen Posten. Es ging immer rund­um, so daß niemals einer allzulange den großen Staub schlucken mußte. Der schwarze Leitstier wechselte in ständiger Folge den Führer, der ihn mit dem Lasso am Sattel fest hatte. Trotzdem war schon das zurückgelegte Stück eine furchtbare Anstrengung gewesen. Und das Schlimmste lag noch vor ihnen: der Trail hinauf in die Berge.

Während der blonde Hal Holz für ein Lagerfeuer zusammentrug, zog Wyatt sich wieder in den Sattel.

»Wohin?« forschte der Rancher.

»Ich reite in die Stadt. Es gibt einige Dinge zu kaufen…«

»Kann ich mitkommen?« fragte der rote Mac, den wohl der Gedanke an einen erfrischenden Schluck Whisky leitete.

Wyatt blickte zu der Herde hinüber. Die Tiere standen ruhig da. Auch sie waren von dem langen Weg ziemlich erschöpft.

»Meinetwegen können Sie mitkommen.«

Die beiden ritten im leichten Trab auf Fort Morgan zu. Um das alte Fort herum hatte sich in den letzten fünf Jahren eine kleine Stadt angesiedelt.

Die beiden staubbedeckten Männer ritten in die Mainstreet, als die Sonne unterging.

Als Wyatt am Sheriff Office vorbeiritt, hielt er an. Er fixierte ein kleines Plakat, das auf der Türfüllung angebracht war.

Dann stieg er vom Pferd, warf Mac seine Zügelleine zu und ging auf das Office zu.

Er sah es, noch ehe er die unterste Stufe der Vorbautreppe erreicht hatte. Zwei fettgedruckte Namen sprangen ihm entgegen: Ben Thompson und ­Abraham Clinholm, gesucht wegen Mor­des.

Wyatt wischte sich über die Augen.

Die beiden waren also entkommen! Und wahrscheinlich schon seit langem, sonst hätte der hiesige Sheriff den Steckbrief bestimmt noch nicht gehabt.

Wyatt ging zu seinem Kameraden zurück.

Der blickte ihn fragend an. »Was Besonderes?«

Der Missourier schüttelte den Kopf. »Nichts Besonderes.«

Da hatte er nun den Spieler und den gefährlichen Revolverschwinger unter Einsatz seines Lebens festgenommen und den Ellsworthern sogar die Arbeit des Einsperrens abgenommen. Und sie hatten sie entkommen lassen. Eine ganze Stadt hatte nicht Kraft genug gehabt, die beiden Mörder festzuhalten.

Während des Einkaufs im General-Store überlegte Wyatt: Die beiden würden die erlittene Schlappe nicht so hinnehmen. Sie würden ihm folgen. Vor allem der bösartige Ben Thompson würde den Tod des Bruders rächen wollen. Aber auch der gipsgesichtige Revolvermann würde Rache nehmen wollen. Schließlich hatte sein »Ruf« durch die Niederlage in Ellsworth gewaltig gelitten.

Wyatt zahlte die Waren und ging mit Hal hinaus.

Das war es also gewesen, was ihn hierhergetrieben hatte. Ein dunkles Gefühl hatte ihn in die Stadt geführt. Jetzt wußte er es.

Thompson und Clinholm waren frei. Sie würden sich an seine Fersen heften. Und es war sicher nicht allzu schwer, der breiten Fährte zu folgen, die annähernd dreitausend Rinder hinterlassen hatten.

Die beiden Reiter packten das Salz, den Kaffee, den Zucker und die Zündhölzer in die Satteltaschen und stiegen auf.

In Fergusons Gesicht zuckte es.

Wyatt bemerkte, daß er sich die Augen nach einer Schenke aussah.

»Da drüben, Mac, da ist der Saloon ›Zum toten Indianer‹. Da gibt’s sicher einen Brandy!«

Über das Gesicht des Rindermannes flog ein breites Grinsen der Dankbarkeit.

Wyatt hatte diesen Mac Ferguson in den vergangenen Wochen schätzengelernt; ihn und die beiden andern. Vor allem der grauhaarige Vormann hatte sich als erstklassiger Cowboy erwiesen.

»Ich gebe einen aus!« sagte Ferguson feixend.

»Danke, ich trinke nicht. Aber ich komme gern mit«, meinte Wyatt.

Sie banden ihre Tiere am Querholm an und zwängten sich durch die viel zu enge Tür in den dunklen Schankraum.

Hier herrschte schon Betrieb. An den Tischen saßen die Männer und spielten Poker.

An der Wand gegenüber der Tür stand ein altes Orchestrion und hämmerte den Colorado-Song.

Ferguson steuerte direkt auf die Theke zu.

Wyatt folgte ihm.

Vorn am Schanktisch lehnte ein Mann, der die Figur eines Gorillas hatte. Zweifellos war er ein Mestize; riesengroß, mit ausladenden Schultern, kurzer Stirn, starkem Haarwuchs und unsteten Augen.

Er kippte sich gerade ein volles Glas Brandy durch die Kehle und sah sich neugierig nach den beiden neuen Gästen um.

Mac bestellte eine Flasche Kentukky-Dry und zahlte gleich.

Wyatt bekam auch ein Glas und nahm einen winzigen Schluck, um sich die Kehle auszuspülen.

Das nahm der Gorilla zum Anlaß, eine dröhnende Lache anzustimmen.

»Hey, Boys!« brüllte er mit Stentorstimme. »Habt ihr das gesehen! Dieser Bursche hat nur einen Fingerhut von unserem besten Schnaps genommen! Wahrscheinlich ist ihm der Drink nicht fein genug!«

Wyatt kümmerte sich nicht um das Gejohle, nahm eine schwarze Zigarre aus der Thekenkante an.

Ferguson trank sein Glas hastig leer.

Da stieß der Gorilla ihn an. »Du, wie ist das mit deinem Freund? Ist er vielleicht Alkoholgegner?«

Schallendes Lachen der Männer an den Pokertischen.

Mac goß sich noch einen Schluck ins Glas.

»He, ich spreche mit dir. Und wenn du vielleicht noch nicht wissen solltest, wer ich bin, so möchte ich es dir sagen: Ich bin Ted Bahoo!«

Der rothaarige Cowboy feixte. Da schlug der Gorilla zu. Und er hatte eine Menge Dampf hinter den Schlag gelegt.

Mac saß am Boden, schüttelte den Kopf, erhob sich wieder und rannte in den nächsten Haken.

Diesmal stand er nicht wieder auf.

Wyatt blickte den Gorilla kühl an.

Der griff nach Fergusons Flasche.

»Das würde ich nicht tun«, sagte Wyatt schneidend.

Da ließ Bahoo die Flasche los und zog die Brauen hoch.

»Habt ihr gehört, Boys? Der Bursche wird böse! Na, dann gib dem lieben Teddy doch mal die Flasche, Freund­chen, he? Du mußt bedenken, daß wir seit Wochen oben im Camp Crok Bäume schlagen. Das macht verdammt durstig…«

»Kann sein«, versetzte Wyatt gelassen. »Aber du trinkst nicht aus dieser Flasche, die der Mann da bezahlt hat.«

Dem Riesen fiel der Unterkiefer auf die Brust.

»He –? Sag das doch noch mal, du Skunk!«

»Ein Skunk wirst du selbst sein, sonst würdest du dich nicht an anderer Leute Eigentum vergreifen!«

Bahoo riß einen schweren Haken aus der Hüfte und schleuderte ihn dem Mann entgegen.

Wyatt wich im letzten Bruchteil der Sekunde aus, und die linke Faust des Holzfällers landete krachend am Holz der Theke.

Der Riese brüllte auf und holte mit seiner rechten Pranke zu einem furchtbaren Schlag aus.

Gedankenschnell wuchtete Wyatt seine Linke als Uppercut dazwischen. Der Schlag hätte einen Stier von den Beinen reißen können. Aber Bahoo taumelte nur zurück, lehnte sich gegen die Theke und verdrehte die Augen.

Da goß der Wirt dem Benommenen ein Glas Wasser über den Kopf.

»Los, Ted, du bist wieder fit! Mach Kleinholz aus dem Burschen!«

Der Holzfäller stieß einen tierischen Schrei aus und stürzte sich nach vorn. Zwei, drei, vier Schläge pfiffen über Wyatts abgeduckten Kopf, der fünfte prallte auf die Deckung.

Da riß ein Haken in die kurzen Rippen den Gorilla herum. Aber blindwütig rannte er wieder auf den Gegner zu und hieb wie wild auf ihn ein. Ein rechter Schwinger landete seitlich am Kopf des Missouriers und ließ ein rauschendes Dröhnen zurück. Der nächste Hieb saß in Wyatts Magen. Er krümmte sich nach vorn zusammen und riß aus letzter Kraft eine Doublette zum Kinn des Holzfällers hoch.

Die Rechte warf den Riesen zur Seite – in den linken Schlag hinein. Und in dieser Linken lag die ganze Urkraft dieses eisenharten Mannes.

Es war ein Schlag, wie ihn die Männer von Fort Morgan noch nicht gesehen hatten.

Bahoo stand einen Augenblick steif da, dann sackten ihm die Arme herunter; er stierte blöde vor sich hin und brach dann wie eine übergroße Gliederpuppe in sich zusammen.

In der Schenke war es still geworden.

Aller Blicke ruhten auf dem Mann aus Missouri. Sie hatten eine Nase für das Besondere, die Leute aus den Bergen. Und dieser Mann da mit dem ernsten Gesicht und den kühl dreinblickenden Augen war ein Besonderer. Der Schlag, der den klobigen, muskelbepackten Holzfäller von den Beinen gerissen hatte, war so schnell und vernichtend gewesen wie der Prankenhieb einer Raubkatze. Wer hätte diesem schlanken sehnigen Mann eine solche Körperkraft zugetraut?

Wyatt nahm seinen Hut auf und wischte sich durchs Gesicht.

Mac Ferguson war längst zu sich gekommen; mit offenem Mund und aufgerissenen Augen hatte er den Kampf zwischen Wyatt und Bahoo verfolgt. Bei dem Hieb, den der Missourier in den Magen traf, hatte Mac die Augen zugekniffen; er war davon überzeugt, daß Wyatt fallen müsse. Aber der Missourier war stehengeblieben und hatte – selbst schwer getroffen – den hünenhaften Mann aus den Bergen mit einem einzigen kaum sichtbaren Hieb auf die Dielen geschickt. Das war ungeheuerlich. Auch der Cowboy Mac Ferguson aus Ellsworth hatte so etwas noch nicht gesehen. Jetzt sprang er auf.

»He, Earp! Das war ja ein Kanonenschlag! Damned, den Augenblick werde ich nie vergessen, und wenn ich neunzig werde. Es sah so aus, als ob der Gorilla von einem Huftritt getroffen worden wäre…«

»Wir wollen gehen.«

»Yeah –« Ferguson kostete den Sieg gebührend aus; das ließ er sich nicht nehmen. Es gab hier sicher keinen anderen Mann, der es mit Bahoo hätte aufnehmen können. »Yeah –«, sagte er noch einmal, »dann wollen wir mal gehen, Brother.« Er sah sich herausfordernd nach allen Seiten um. »Es ist ja wohl niemand mehr hier, der noch irgendwelche Wünsche an uns hat!« Er nahm seine Flasche von der Theke und ging hinter Wyatt hinaus.

Draußen sog der Missourier die Luft tief in die erhitzten Lungen ein. Der Faustschlag gegen den Schädel dröhnte in seinem Hirn. Noch immer leicht benommen, überquerte er den Vorbau, ging staksig die Treppe hinunter und wurde plötzlich von einer Stimme angerufen, die ihn bis ins Mark traf.

»Earp! Bleib stehen!«

Wyatt wirbelte herum. In beiden Fäusten lagen seine Colts.

Oben in einer Nische neben der Tür des Saloons stand der Mann, der entsprungene Mörder aus Ellsworth. Derselbe Mann, dessen Steckbrief drüben am Sheriff Office aushing.

Auch er hatte zwei Revolver in den Fäusten. Starr wie eine Statue stand er da.

In den Augen des Missouriers stand eisiges Funkeln.

Es war nur eine Zehntelsekuunde zwischen Clinholms Anruf und Wyatts Reaktion verstrichen.

Der Schießer war bestürzt über die blitzschnelle Wendung, aber ebenfalls nur den Bruchteil einer Sekunde.

Da brüllte Mac Ferguson von der Treppe: »Vorsicht, Wyatt, da drüben!«

Im nächsten Augenblick peitschten drei Schüsse über die Mainstreet von Fort Morgan.

Wie ein glühendes Stück Eisen hatte die Kugel die Schläfe des Missouriers gestreift.

Drüben kippte über das Geländer eines Vorbaus ein Mann auf die Straße; der Colt, den er in der Hand gehabt hatte, blieb neben seinem Kopf liegen.

Wyatt hatte nur Abe Clinholm im Auge. Obgleich der Schmerz von dem Streifschuß in seinem Kopf wild hämmerte und brannte – er behielt den Schießer fest im Auge.

Der Revolvermann hatte seine Schußwaffe sinken lassen, aus der Mündung des rechten Colts kroch ein dünner weißblauer Rauchfaden.

Mac Ferguson sah, daß auch aus beiden Revolvern des Missouriers dünner grauer Pulverrauch zog.

Eine volle Sekunde blieb alles reglos und starr auf der Straße. Wie aus Stein standen die Männer da.

Dann geschah es: Ganz langsam, wie von zentnerschweren Bleigewichten gezogen, brach der gipsgesichtige Schießer aus Abilene in die Knie und schlug schwer mit dem Gesicht auf die graubraunen Planken des Vorbaus auf.

Da erst schob Wyatt Earp die beiden Colts in die Halfter zurück.

Die Spannung hatte sich gelöst.

Mac Ferguson war der erste, der auf die Straße sprang. Er packte den Arm seines Kameraden.

»Wyatt, Sie sind getroffen!«

Das Blut rann aus der Streifschußwunde hellrot über die linke Gesichtsseite des Missouriers.

»Sie sind getroffen!« stieß der Cowboy noch einmal mit heiserer Stimme hervor.

Wyatt ging mit hölzernen Schritten vorwärts auf die Vorbautreppe zu, stieg die drei Stufen hinauf, überquerte die Veranda des Saloons und blieb vor der reglosen Gestalt des Schießers stehen.

Überall an den Fenstern und Türen standen die Menschen und sahen stumm vor Schreck und Verwunderung auf den großen Mann, der still vor seinem toten Gegner stand. Niemand kam heran, keiner sagte ein Wort.

Da bückte sich der Missourier und hob die beiden Revolver, die dem toten Schießer entfallen waren, auf, zerschlug die Hähne an der Steinwand des Saloons und warf sie auf die Straße.

Plötzlich wandte Wyatt sich um und schnellte auf einen kleinen Mann zu, der bei den anderen auf dem Vorbau stand, packte ihn am Kragen und zerrte ihn zu sich heran.

Der Mann hatte ein runzeliges Gesicht, abstehende Ohren und kleine tückische Augen, in denen jetzt helle Angst stand.

Wyatt herrschte ihn an: »Wo ist Peshaur?«

»Ich weiß es nicht!« stammelte der Mann.

»Lüge nicht, Bursche. Ich kenne dich genau. Du warst bei seinen Leuten in Ellsworth. Wo ist Peshaur?«

»Er ist nicht hier, Mister…«, stotterte der Cowboy.

»Und wo steckt er?«

»Ich habe Ihnen die Wahrheit gesagt: Ich weiß es nicht.«

»Du bist doch nicht allein hier?«

»Nein, ich bin mit… mit…«

»Ich werde es dir sagen: Du bist mit Abe Clinholm und dem Mann gekommen, der da drüben vor den Stepwalks liegt!«

Der kleine Cowboy blinzelte den Missourier ängstlich an.

»Ja, aber ich wußte nicht, was Abe und Randy vorhatten.«

»Dann weißt du es jetzt. Wahrscheinlich hattest du bei dem Überfall auch einen Posten.«

»Nein. Ich sollte die Pferde drüben in der Gasse bereithalten. Abe Clinholm hatte es befohlen.«

»Er ist mir also gefolgt?«

»Ja…, ich weiß es nicht. Ich glaube schon. Plötzlich sah er unten in der ­Mainstreet Ihr Pferd und wurde ganz weiß um die Nase – ja, so war es. Ich schwöre es.«

Wyatt nahm den Cowboy dicht zu sich heran.

»Wo ist Peshaur?«

»Unten am Fluß.«

»Er ist mir also auch gefolgt und umschleicht jetzt die Herde. Dachte ich mir’s doch. Und Ben Thompson ist höchstwahrscheinlich auch dabei, nicht wahr?«

»Ich kann es Ihnen nicht sagen. Ich weiß es wirklich nicht.«

Wyatt schleuderte den Zitternden gegen das Geländer.

»Verschwinde. Und wenn du Geg Peshaur und Ben Thompson triffst, dann kannst du ihnen die traurige Story berichten, die sich eben hier ereignet hat. Und vergiß nicht zu sagen, daß der Revolverschwinger vor mir stand und sein Kumpan hinter mir – und daß ich sie trotzdem beide er­wischt habe.«

»Yeah –«

»Wenn Thompson kommen will, dann soll er Peshaur gleich mitbringen!«

»Yeah.«

Der kleine Mann stiefelte eilig auf die Gasse zu, wo er drei Pferde angebunden hatte.

Wyatt machte sein Pony los und zog sich in den Sattel.

Mac folgte ihm.

Langsam ritten die beiden Männer aus der Stadt.

*

Sie sahen und hörten es schon von weitem: Die Herde wurde angegriffen.

Wyan Rooper und sein Vormann hatten sich hinter einem Gebüsch verborgen und feuerten abwechselnd aus den verschiedenen Positionen.

Wyatt trieb sein Indianerpony zu schnellster Gangart an und erreichte die Herde gerade noch früh genug, um drei Reiter mit seiner Parkerbüchse aus dem Sattel zu holen, die die Herde hatten ducheinanderbringen wollen.

Die drei Reiter lagen verwundet am Boden, als Wyatt herankam.

Es waren Peshau-Cowboys, deren Gesichter er in Ellsworth schon gesehen hatte. Einer von ihnen war der grobschlächtige Mann mit dem Bullbeißergesicht, der damals die Leute aus der Stadt geführt hatte, als Peshaur festgenommen worden war.

Rooper kam mit hochrotem Kopf angesprengt.

Der alte Vormann folgte dichtauf.

»Das war Hilfe im letzten Augenblick!« rief der Rancher, als er vom Pferd sprang. »Eine Rustlerbande von wenigstens sieben Reiter war hier. Drei haben Sie ja Gott sei Dank erwischt, Wyatt. Es gibt also überall Schurken…«

»Es sind Peshaur-Leute«, sagte Wyatt kühl und blickte auf den bulligen Cowboy. »Tut mir leid, Freund. Die Kugel sitzt im Oberschenkel. Du mußt sehen, daß du schnell nach Fort Morgan kommst, da gibt’s sicher einen Arzt. Nimm deine Kameraden mit, und sei froh, daß ich so ein schlechter Schütze bin. Hätte ja sein können, daß ich eure verdammten Schädel getroffen hätte!«

Der Cowboy raffte sich auf und humpelte mit verzerrtem Gesicht zu seinem Pferd.

Die anderen beiden folgten seinem Beispiel.

»Und vergeßt nicht, Geg Peshaur und Ben Thompson Grüße von mir zu bestellen. Wir werden sicher einen unterhaltsamen Ritt hinauf in die Berge bekommen. Und die beiden sollen nicht vergessen, Abe Clinholms Grab oben in der Stadt zu besuchen.«

Mit einem Fluch trieb der Mann mit dem Bullbeißergesicht sein Pferd an.

Der Rancher war blaß geworden. Er hatte das alles noch nicht begriffen.

»Was war mit Abe Clinholm –?«

Mac Ferguson zog die Mundwinkel nach unten.

»Wir hatten eine kleine Meinungsverschiedenheit mit einem Holzfäller in einem Saloon. Der Bursche pustete mich von den Beinen.«

»Dich?« fragte der Vormann schrill und zog die Brauen soweit unter den Hutrand, daß man sie nicht mehr sehen konnte.

»Ja, mich.«

»Da muß es aber ein Kerl gewesen sein!«

»Das war er auch. Wyatt hatte ziemlich mit ihm zu schaffen.«

»Wyatt?« fragte jetzt der Rancher verblüfft.

»Ja, er hat ihn fertiggemacht, keine Sorge. Der letzte Schlag war ein Schlag, sage ich euch… Ein Schlag, wie ihr noch nie gesehen habt. Der Muskelklotz platzte förmlich auseinander. Heavens! Ich werde das Ding nie vergessen.«

»Und was war mit Clinholm?« wollte Rooper weiter wissen.

Ferguson rollte sich in aller Gemütsruhe eine Zigarette und sah dabei zu Wyatt hinüber, wie er sich ein Taschentuch gegen die immer noch blutende Wunde an der Schläfe preßte.

Da rief der Vormann: »Wyatt ist ja verletzt!«

»Das erzähle ich euch jetzt«, meinte Ferguson gelassen. »Als wir nämlich ziemlich zerknautscht und auf Puddingbeinen aus der Kneipe schaukelten, da pfiff uns einer an. Wyatt war gerade auf der Straße. Im gleichen Augenblick fuhr er herum und hatte beide Bleispritzen in den Fäusten.« Der Cowboy schlug sich klatschend auf den Oberschenkel. »Der Habicht soll mich holen, wenn ich je so was schon erlebt habe! Er fuhr herum wie der Blitz – und hatte die Colts in den Händen. Ich habe nur nach Luft geschnappt. Und dann sah ich seitlich auf dem gegenüberliegenden Stepwalk den anderen…«

»Welchen anderen?« unterbrach ihn der Vormann ungeduldig.

»Den anderen! Ich kannte ihn auch nicht. Er hatte sich uns ja nicht vorgestellt. Jedenfalls stand oben neben der Saloontür das Gipsgesicht Clinholm – auch mit zwei Revolvern im Anschlag. Clinholm schoß. Und Wyatt schoß sofort zurück. Na ja, und was davon übrigblieb, hat Wyatt am Schädel. Der Rest liegt jetzt wohl schon auf dem Friedhof von Fort Morgan.«

Rake kratzte sich sein stoppelbärtiges Kinn.

»Du hast eine verdammt karierte Art zu erzählen, Mac. Clinholm ist also tot?«

»Yeah. Wyatt hat ihn erwischt!«

»Aber Clinholm?« fragte der alte Vormann noch mal, kniff die Augen zu und legte den Kopf auf die Seite, als habe er immer noch nicht recht verstanden.«

»Yeah – Abe Clinholm!« feixte Mac. »Und mit dem rechten Colt hat er den anderen Boy erwischt.«

»Im gleichen Augenblick?« krächzte der Vormann.

»Es sah jedenfalls so aus. Die Schüsse krachten gleichzeitig.«

Rooper stand starr vor Entsetzen da. Sein Blick glitt mit Unbehagen über die hochaufgerichtete Gestalt des Missouriers, der ihnen den Rücken zugedreht hatte und in die untergehende Sonne blickte.

Leise sagte der Vormann in die Stille:

»Abe Clinholm und einen Mann im Rücken – im gleichen Augenblick…«

Wyatt wandte sich jäh um. Sein gesicht war hart und ernst.

»Sie hatten mir keine Chance gelassen. Ich habe trotzdem zuletzt geschossen. Clinholm schoß zuerst. Ich habe nicht einmal im gleichen Augenblick die beiden Schüsse abgegeben. Das ist unmöglich. Es gibt keinen Mann, der aus zwei Colts zur selben Zeit zwei gezielte Schüsse abgeben kann. Kurz hintereinander schon –«

»Und auf die Kürze dieses Abstandes kommt es eben an«, unterbrach ihn Mac. »Bei Ihnen hörte es sich an wie ein einziger Schuß.«

Rooper kam auf Wyatt zu und sah ihm ins Gesicht.

»Es macht Ihnen zu schaffen?« fragte er halblaut.

Der Missourier nickte. »Yeah, sehr.«

»Ich verstehe das. Aber wenn Sie nicht geschossen hätten, lägen Sie jetzt oben auf dem Friedhof von Fort Morgan.«

»Ganz sicher. Wenn Clinholm nicht sofort tödlich getroffen worden wäre, hätte seine nächste Kugel in meinem Herzen gesessen.«

Rooper schluckte.

Er hatte plötzlich einen faden Geschmack im Mund.

»Ja, das ist ganz sicher. Was ich nicht begreife, ist…: wie kann ein Mann schneller schießen als Abe Clinholm?«

Wyatt blickte über das Land, das von der untergehenden Sonne mit einem purpurroten Gluthauch überzogen war.

»Es ist kein Glück, Rancher, wenn man eine schnelle Schußhand hat. Ich weiß es heute genau. Unten in Roerweath habe ich einen guten Job als Bestman verloren, weil ich zu schnell schießen konnte. Ich wurde auf der Straße in eine Schießerei verwickelt, schuldlos; zwei Kugeln hatten die Lawrence-Brothers schon auf mich abgegeben, einer hatte mir die Schulter aufgerissen, und der zweite hatte mir die rechte Hand durchschlagen. Da habe ich geschossen, mit der Linken, mit der ich bis dahin auf sieben Yards keinen Planwagen treffen konnte.«

»Und?« fragte der Rancher dumpf.

»Ich habe sie beide getroffen.«

Rooper legte dem Missourier die Hand auf die Schulter.

»Aber es war doch Notwehr. Sie hatten nicht die mindeste Schuld!«

»Natürlich nicht. Aber die Leute, die mich bis dahin gut leiden mochten, hatten plötzlich Angst vor mir. Drei Bürgerratsmitglieder sorgten dafür, daß der Rancher mich entließ. Und wie war es in Roussell? Collins fauchte mich aus einem ähnlichen Grund an und ließ mich gehen…«

»Er kam dann aber doch nach Ellsworth, um die Sache wieder glattzubügeln.«

»Ja, das hat er getan. Aber da war es zu spät.«

Rooper zündete sich eine Zigarette an und bot auch Wyatt sein Rauchzeug an.

Der lehnte ab.

Nach einer Weile meinte der Rancher: »Vielleicht wäre es das beste für Sie, wenn Sie einen Stern trügen, Wyatt. Sie sind ein Mann, der eisern auf der Seite des Gesetzes steht; und mit einem Stern auf der Brust würde Ihre Schießkunst keinem Menschen mehr mißfallen.«

Wyatt wandte den Kopf und lachte den Rancher ein wenig müde an.

»Ja, vielleicht haben Sie nicht ganz unrecht. Aber trotzdem wird es weiterhin Leute geben, die sich brennend dafür interessieren, wie schnell ich meinen Colt aus dem Halfter habe und wie genau ich treffe.«

Er sollte recht behalten. Diese Leute würde es bis an das Ende seiner Tage im alten Westen geben; sie sollten aus allen Winden kommen und begierig auf seine Hände und in seine Augen sehen. Und immer würde in ihren Blicken das gleiche lüsterne eiskalte Lauern des Schießers stehen, der es nicht lassen kann, den schnelleren Mann zu suchen, der schließlich seinem eigenen Leben ein Ende setzt.

Nein, er war kein Schießer, der Mann aus Missouri. Sein Reaktionsvermögen war ein Naturwunder, das sich bei ihm aber nicht nur im Schießen, sondern auch in jeder anderen Art der Verteidigung wie beispielsweise im Faustkampf ebenso gedankenschnell erwies.

*

Der große Trail ging weiter.

Die gewaltige Herde schob sich in einer Glocke von mehlfeinem Staub nach Nordwesten auf die Berge zu.

Es war eine unsägliche Strapaze für die fünf Männer, die Rinder beisammenzuhalten.

Hal McLean tat stumm seine Pflicht. Er hatte auch bei dem Angriff unten bei Fort Morgan eisern bei der Herde ausgehalten. Glücklicherweise stand er zu dem Zeitpunkt, als die Peshaur-Leute angriffen, hinter der Herde, wurde also von den Cowboys nicht gesehen und konnte ungestört die ausbrechenden Rinder mit Revolverschüssen aufhalten.

Mac Ferguson wurde immer einsilbiger, je weiter es in die Berge hineinging, aber auch er blieb entschlossen bei seiner Arbeit.

Ed Rake, der Vormann, hielt sich am besten.

Wyatt kam aus dem Staunen über den eisenharten Mann nicht mehr heraus. Immerhin mußte Rake doch die sechzig überschritten haben. Aber er saß im Sattel wie ein ganz Junger, kannte keine Müdigkeit, und jede Rast schien ihm zu früh zu sein.

Am schwersten trug der Rancher an den Anstrengungen des Trails. Das unaufhörliche Beitreiben ausbrechender Tiere, der entsetztliche Staub, der sich, mit dem Dunst der Tierleiber vermischt, auf die Lungen und das schweißbedeckte Gesicht legte, machte ihm arg zu schaffen. Aber er biß die Zähne zusammen und dachte nicht daran, aufzugeben.

Aber vor einem Mann zogen alle innerlich den Hut: vor dem Missourier. Er führte die Herde, trieb weitausbrechende Rudel mit unerhörtem Geschick zurück, jagte auch den versprengtesten Rindern nach, suchte immer wieder in kurzen Abstechern bessere Wegmöglichkeiten und Wasserläufe. Er war vorn, hinten und an den Seiten und suchte die andern ständig mit einem freundlichen Wort aufzumuntern. Man hätte glauben können, er sei der Boß, und es sei seine Herde, die hier getrieben würde. –

Die ersten Berge hatten sich noch leicht nehmen lassen, aber je weiter die große Herde in die Mountains kam, desto langsamer ging es vorwärts.

Das Land wurde bergig, dann felsig, stieg nicht mehr langsam an, sondern schroff und oft so steil, daß Wyatt immer wieder kleinere Umwege machen mußte.

Der Rancher hatte es längst aufgegeben, nach den Chancen zu fragen, ob sie Peshaur noch erreichen konnten oder nicht.

Jetzt war ohnehin nicht mehr an ein Zurückkehren zu denken. Jetzt mußte es durchgestanden werden.

Nach zwei harten Dursttagen hatte der Missourier etwas nördlich von der Route einen Wasserlauf entdeckt. Mitten in der Nacht, als die anderen schliefen, hatte er sich in den Sattel gesetzt und die Suche aufgenommen. Am frühen Morgen, als die anderen mit verklebten Lippen und brennendem Schlund auf ihren Decken hockten, kam er zurück, auf staubbedecktem Tier, selbst braungrau vom Flugsand gepudert.

»Vier Meilen von hier«, sagte er nur.

Mit schmerzenden Augen stierte Mac Ferguson ihn an.

»Wasser?« lallte er.

»Yeah, Wasser. Kommt mit.«

Diesmal folgte auch die Herde willig. Vielleicht witterten die Tiere den Wasserlauf schon.

Am Morgen des darauffolgenden Tages begann sich ein unangenehmer Reisegefährte zu den überaus harten Strapazen des Trails zu gesellen.

Wyatt hatte es schon in den frühen Morgenstunden bemerkt. Oben auf den Berggipfeln, weit über dem Tal, stiegen winzige Rauchsäulen in den Himmel.

Gegen neun Uhr bemerkte es Hal McLean. Er rief Wyatt an. »He, was ist das?«

»Indianer!« brüllte der alte Vormann, der den Ruf gehört hatte.

Rooper, der nicht weit weg war, hielt erschrocken inne.

»Indianer?«

Die Männer sammelten sich um den Missourier.

»Ist es wahr?« fragte der Rancher nur.

Wyatt nickte.

»Und?« krächzte Mac. »Was sind es für Halunken?«

»Cheyennes.«

Der alte Vormann blickte Wyatt groß an.

»Können es nicht auch Sioux sein?«

»Leider nicht.«

»Leider?« forschte Rooper. »Wollen Sie damit etwa sagen, daß die Cheyennen noch schlimmer sind?«

»Ja, viel schlimmer, jedenfalls als die Sioux, die südlich von hier wohnen. Die Sioux-Ogellala sind allerdings wenigstens ebenso schlimm wie die Cheyennes.«

»Was wollen sie von uns?«

Wyatt zog die Schultern hoch. Ein schwaches Lächeln stand um seine Mundlippen.

Rooper wurde blaß.

»Sie glauben, daß die Roten die Herde wollen?«

»Ich weiß es nicht, Mister Rooper.«

»Die Herde?« knurrte der Alte. »Ja, die auch.«

Rooper und der junge McLean wurden weiß im Gesicht.

Mac schluckte.

Da brüllte der Rancher plötzlich. »Aber das haben Sie doch alles gewußt, Earp!«

Wyatt blickte ihn kühl an.

»Yeah, Rancher – ich habe gewußt, daß Indianer in den Bergen sind. Und sie haben es auch gewußt.«

»Ich habe nicht gewußt, daß sie unseren Weg kreuzen!«

»Das konnte niemand wissen.«

Hal Mclean zog unwillkürlich den Kopf tiefer zwischen die Schultern und blickte zu den Bergen hinauf.

»Und was soll jetzt geschehen?« brummte Rooper.

»Wir ziehen weiter.«

Die Rauchfeuer folgten ihnen.

Bis zum Abend.

Da erloschen sie mit der sinkenden Sonne.

Wyatt sorgte dafür, daß er die Wache nach Mitternacht bekam.

Hal McLean weckte ihn. Seine Stimme zitterte, als er auf die dräuenden Gipfelsilhouetten der Bergriesen wies.

»Da oben stecken Sie, die Halunken. Ich habe sie gesehen, Earp. Ich habe sie genau gesehen.«

Wyatt blickte den Cowboy an. »Legen sie sich hin, Hal.«

Er dachte nicht daran, nach zwei Stunden Mac Ferguson zu wecken. Er wachte bis zum Morgen durch.

Gegen fünf Uhr erwachte der Vormann. Dann sprang er hoch.

»Männer! Auf!« brüllte er.

Taumelnd und schlaftrunken fuhren Rooper, McLean und Ferguson hoch.

»Wo ist Wyatt?« rief Ferguson.

Da kam der Missourier um eine Felsecke gebogen. In seiner Linken hatte er das Gewehr und in der Rechten eine große weiße Feder, deren Spitze blutrot war.

Die vier Männer blickten ihm benommen entgegen.

»Was ist das?« stotterte der Rancher.

»Eine Feder von einem Cheyenne­pfeil«, versetzte Wyatt ruhig.

»Von einem Pfeil?« stieß McLean hervor. »Haben Sie ihn gefunden.«

»Leider nicht.«

»Er wurde also auf Sie abgeschossen?«

»Yeah.«

Von dieser Stunde an wußten die Männer, daß der unheimliche Feind nicht mehr weit oben hinter den Kämmen der großen Bergrücken lauerte, sondern daß er dicht bei ihnen war, daß sie von ihm aus nächster Nähe verfolgt und ständig beobachtet wurden.

Die große Herde erlaubte es den fünf Reitern nicht, etwas dagegen zu unternehmen. Sie mußten bei den Rindern bleiben. Hier in den felsigen Hochebenen verlief sich viel schneller ein Rudel und verschwand in irgendeiner Schlucht als unten in der offenen Ebene. Die Treibarbeit verdoppelte sich also noch.

Aber der große Staub hörte allmählich auf. Auch die Hitze ließ nach. Dafür umfing sie die Kühle der Berge. Das Geräusch der zwölftausend stampfenden Rinderhufe brach sich an den Steilwänden der Schluchten und verdichtete sich zeitweise zu einem ohrenbetäubenden Dröhnen.

Als Wyatt am späten Nachmittag auf eine ziemlich enge Schlucht zuhielt, kam Rooper nach vorn.

»Was haben Sie vor, Earp?«

»Das sehen Sie doch.«

»Sie wollen auf diese Schlucht zu?«

»Ja.«

»Was soll das? Der Eingang ist kaum zwanzig Yards breit. Wir haben keine Bewegungsmöglichkeit. Die Roten können uns von oben wegputzen wie die Fliegen…«

»Sicher. Aber wir müssen weiter.«

»Nein. Es ist meine Herde!« In den Augen des Ranchers stand heller Zorn. Und aus seiner Stimme sprach die Angst.

Ferguson und der Vormann kamen auch heran.

»Wir nehmen einen anderen Kurs«, sagte der Rancher rauh.

Die beiden Cowboys blickten den Missourier an.

»Nein«, versetzte Wyatt. »Wir müssen durch die Schlucht.«

»Ich habe schon gesagt: Es ist meine Herde!« entschied der Rancher. »Und wer gegen mich ist, kann ja umkehren.«

Wyatt schüttelte langsam den Kopf.

»Ich bin nicht gegen Sie, Mister Rooper. Aber ich bestehe darauf, daß wir durch diese Schlucht trailen. Die Indianer können uns überall angreifen. Und drüben in der Schlucht können wir uns an die überhängende linke Wand halten. Da sind wir von oben überhaupt nicht zu treffen. Aber wir können unmöglich wegen der Indianer einen so gewaltigen Umweg machen, wie sie es vorhaben.«

Rooper blickte seinen Vormann an.

»Was meinen Sie, Rake?«

Der Alte kratzte sich das Kinn.

»Wyatt hat recht.«

Der Rancher nickte düster.

»Yeah – es geht also weiter.«

In vier Stunden hatte die Herde die Schlucht passiert.

Es war alles glattgegangen.

Wyatt spürte, daß ihm das Hemd am Leibe klebte. Er wußte, daß es den anderen nicht besserging.

Sie hatten diese Enge überwunden, aber noch stand ihnen das Ärgste bevor.

Hinter der Schlucht weiteten sich die Felsen zu einem breiten Kessel, der von einer grünen Büffelgrassohle bedeckt war.

Wyatt ließ das Lager aufschlagen.

Nach dem Essen losten sie die Waffen aus.

Wyatts Wache sollte um drei Uhr beginnen.

Als er die Augen aufschlug, standen die Sterne flimmernd am tiefschwarzen Firmament. Die Silhouetten der Berg­rücken schnitten das leuchtende Himmelsstück hart ab und ließen unten alles in tiefstem Dunkel versinken.

Wyatt lauschte angestrengt in die Nacht.

Die Herde stand still.

Drüben scharrte eines der Pferde.

Sein Pony vielleicht.

Wyatt wußte nicht, was es war, aber plötzlich beschlich ihn ein merkwürdiges Gefühl. Jenes Gefühl, das besonders sensible Menschen empfinden, wenn irgendeine Gefahr in ihrer Nähe ist.

Und sie war sehr nahe, die Gefahr.

Sie hatte eine rote Haut, blau­schwarzes, strähniges Haar und einen geschmeidigen Körper, der ganz in weiches Hirschleder gehüllt war.

Der Indianer schnellte sich nach vorn und riß ein Messer hoch.

Aber die Klinge stieß durch die Decke ins Erdreich.

Der weiße Mann, der geade noch da gelegen hatte, lag nicht mehr da. Er hatte sich gedankenschnell zur Seite gerollt und schmetterte dem Roten einen krachenden Faustschlag an den Schädel.

Der Indianer fiel lautlos aufs Gesicht.

Aber jetzt raschelte es auch da, wo die andern lagen.

Wyatt riß den Revolver aus den Halftern und feuerte drei Schüsse ab.

Ein gellender Aufschrei aus einer Indianerkehle – und dann brach die Hölle los.

Die Roten stimmten ihr schrilles Kriegsgeschrei an.

Dazwischen peitschten die Schüsse der Weißen.

Eine Viertelstunde später war der Spuk verraucht.

Nur Hal McLean war verschwunden.

Wyatt fand ihn im ersten Grauen des Tages, das blinzelnd über die Berg­rücken kroch und matt in den Talkessel fiel.

Der junge Cowboy lag da, wo der Kessel in eine andere Schlucht auslief, am Boden. In seinem Rücken steckte ein großer zerbrochener Pfeil.

Hal McLean war tot.

Wyatt starrte auf ihn nieder.

Da hörte er Schritte hinter sich.

Mac Ferguson stand neben ihm. Der rothaarige Bursche wischte sich durchs Gesicht und preßte die Lippen zusammen. Dann hob er den Blick und suchte die Bergrücken ab.

»Verfluchtes Pack!« zischte er heiser.

Rooper stand plötzlich hinter ihnen. Er war aschgrau im Gesicht.

»Hal…«, stammelte er.

Wyatt schob die Hände hinten in den Waffengurt.

Der Vormann kam heran, bückte sich, riß dem Toten den Pfeil aus dem Rücken und schleuderte ihn mit einem wilden Fluch zur Seite.

Sie begruben den toten Kameraden in der Talsohle und zogen weiter. Ohne Morgenkaffee. Ihre Kehlen waren wie zugeschnürt.

Sie wußten, daß die Roten ihnen weiter folgen würden.

Am Mittag, als sie auch diese Schlucht verlassen hatten, und auf ein steiniges hart ansteigendes Hochplateau zogen, riß Wyatt plötzlich die Büchse aus dem Scabbard, warf sie über den rechten Ellbogen und feuerte einen Schuß auf eine vorspringende Bergnase ab.

Das Echo brach sich an den himmelragenden Felswänden.

Ein dunkler Körper stürzte oben aus dem Gestein in die Tiefe.

Eine Feder wirbelte im Trudelflug auf die Ebene hinaus.

Wyatt stieg ab, hob sie auf und steckte sie an sein Hutband.

Als der Rancher in die Augen des Missiouriers sah, erschrak er vor deren Eiseskälte, die darin stand.

*

In der nächsten nacht starb Mc Ferguson.

Wyatt hatte kein Auge zugetan. Unentwegt hatte er das Lager in weitem Bogen umkreist.

Und doch hatte er den Cheyenne nicht herankommen hören, der den tödlichen Pfeil auf den anderen Wächter abgab.

Wyatt hörte nur das leise Schwirren des tückischen Geschosses, dann den gurgelnden, erstickten Schrei des Getroffenen.

Zweimal bellte der Revolver des Missouriers auf.

Er wußte nicht, ob auch er getroffen hatte. Aber sein feines Ohr hatte ihm die Richtung verraten, aus der der Pfeil gekommen war.

Vorsichtshalber schickte er noch drei weitere Kugeln in das Dunkel, lud die Trommel wieder auf und rannte vorwärts.

Hinter einem Stein lag die zusammengesunkene Gestalt eines Indianers.

Wyatt lief zum Lager zurück.

Rooper hatte den getroffenen und vor Schmerz stöhnenden Cowboy aufgerichtet, während der alte Vormann Wyatt mit der Büchse entgegenkam.

»Ich habe ihn schon«, sagte Wyatt dumpf. –

Erst als die Sonne ihre ersten rotgoldenen Strahlen über den Horizont auf das Plateau schickte, starb der Cowboy Mac Ferguson. Er starb mit einem Lächeln auf den Lippen.

»Wyatt«, stieß er mit brechender Stimme hervor, »ich… ich… wär so gern mit dir nach Montana gezogen…«

Dann erstarrten seine Lippen. Seine Augen blickten gläsern in die aufgehende Sonne. –

Stumm schauten die Männer eine Stunde später auf den kleinen Grabhügel.

Wyatt hatte aus zwei Holzstücken und einem Lederriemen ein kleines Kreuz gemacht, auf das er den Hut des Cowboys stülpte. –

Der bittere Trail ging weiter.

Mit drei Treibern.

Plötzlich, gegen Mittag, hielt der Rancher an.

Sie waren in felsigem, unübersichtlichem Gelände. Und hinter jedem Gesteinsbrocken konnte ein Indianer stecken.

Rooper brüllte Wyatt zu:

»Das ist doch Wahnsinn! Die machen einen nach dem anderen von uns nieder und kassieren am Schluß grinsend die Herde.«

Der Vormann kam heran.

»Es ist auch damals nicht anders gewesen, Boß.«

»Ich denke nicht daran, weiterzuziehen!« zeterte der Mann. Man sah es ihm an: Er war am Ende seiner körperlichen und seelischen Kraft angelangt. »Ich… ich kann einfach nicht mehr!« schrie er mit sich überschlagender Stimme. »Die Gewißheit, daß ich der nächste sein werde – ich oder Rake oder Sie –, es macht mich irrsinnig!«

Er rutschte aus dem Sattel und blieb da liegen, wo er den Boden berührt hatte.

Wyatt flößte ihm etwas von dem Whisky ein, den er in Fergusons Satteltasche gefunden hatte.

Der Rancher schlug die Augen auf. Seine Hände zitterten, als er sich aufrichtete, unstet hastete sein Blick hin und her.

»Wo sind sie?« stieß er heiser hervor. »Wo sind sie?« schrie er plötzlich gellend.

Die Herde war zum Stehen gekommen.

Die nahen Berggipfel hatten einen mattblauen Schimmer.

Und hier unten auf einer felsigen Hochebene quälten sich drei Menschen mit fast dreitausend Rindern durch das Land, ständig in Lebensgefahr; jeden Augenblick rechneten sie mit einem Überfall.

Wyatt richtete sich auf.

»Wir lagern hier«, sagte er seltsam schroff.

Dann ging er zu seinem Pony, schwang sich in den Sattel und ritt weg.

»Wo will er hin?« forschte der Rancher nervös.

Rake zog die Schultern hoch. In einem eisgrauen Gesicht zuckte es. Immer wieder warf er forschende Blicke umher.

Erst nach drei Stunden kam der Missourier zurück.

»Wir müssen sofort aufbrechen.«

»Das ist unmöglich!« erklärte der Rancher.

»Wir müssen!« herrschte ihn Wyatt an.

»Ich kann aber nicht, Earp! Haben Sie doch endlich ein Erbarmen. Ich bin völlig erschöpft! Ich muß noch ein paar Stunden rasten. Außerdem ist es doch schon Abend.«

Das Gesicht des Missouriers war hart wie Stein. In den Tiefen seiner Augen blitzte es auf.

»Wir müssen sofort aufbrechen, Rancher! Wir haben nur diese Chance!«

Ächzend richtete sich der Vormann auf und ging zu seinem Pferd.

Wyatt nahm die Leine des Leitbullen.

Der Rancher blickte die beiden an. Dann zischte er: »Sie sind kein Mensch, Earp! Sie sind selbst ein Büffel! Und dieser alte Kerl da paßt gut zu Ihnen!«

Seufzend und stöhnend erhob er sich und kroch in seinen Sattel. Weit vorn übergebeugt hing er da, stützte sich aufs Sattelhorn und stierte Wyatt aus glasigen Augen an.

Er war wirklich fertig.

»Es tut mir leid, Mister«, sagte der Missourier hart. »Nur noch fünf Meilen!«

»Geben Sie mir die Leine, Ed!«

Wyatt nahm den Leitbullen und ritt voran.

Langsam brach die Dunkelheit herein.

Die Herde näherte sich einem neuen Felstal. Scharf nördlich, weit ab vom Kurs.

Plötzlich tauchte Wyatt hinten bei den beiden Männern auf.

»Was soll das?« fauchte der Rancher. »Wo bringen Sie uns hin?«

»In die Hölle wahrscheinlich!« knurrte der Vormann.

Die Herde drängte vorn schon in die Schlucht. Als die letzten Tiere den Eingang passiert hatten, riß Wyatt die Colts aus den Halftern und feuerte sie in die Luft ab.

Das Geräusch der Schüsse brach sich in hundertfachem Echo an den Steilwänden. Die Herde stampfte plötzlich wie wild vorwärts.

Rake warf einen schnellen Blick auf den Missourier hinüber, dann hatte er begriffen, riß seinen Colt aus dem Halfter und feuerte mit.

Brüllend und stampfend raste die gewaltige Herde durch die Enge.

Immer wieder luden die Männer ihre Waffen, immer wieder peitschten die Schüsse los und trieben die Tiere weiter.

Wild brüllend rasten fast dreitausend Longhorns blind vor Angst nach vorn.

Plötzlich gab es ein Stocken.

Die letzten Tiere rannten gegen die Stauung an.

Wyatt feuerte weiter.

Der Vormann folgte seinem Beispiel.

Rooper begriff nichts, aber er feuerte mit.

Endlich hielt der Missourier inne. »Los, zurück.«

Rooper stieß den Kopf vor. Seine Augen quollen aus den Höhlen.

»Was sollen wir?«

»Zurück!«

Wyatt riß den Schecken herum und sprengte mit verhängten Zügeln den Schluchtweg zurück.

Ed Rake folgte ihm.

Als Rooper sah, daß sich auch die Rinder umzuwenden begannen, folgte er den beiden.

Vor dem Eingang hielt Wyatt an. Stumm blickte er auf die Tiere, die langsam wieder aus der Enge herauskamen.

Keiner der Männer sprach ein Wort.

Der alte Vormann aber hatte begriffen, was geschehen war.

Endlich trotteten die letzten Tiere aus der Schlucht.

Da wischte sich der Rancher über das schweißnasse Gesicht. Eine düstere Ahnung stieg in ihm auf. Seine Lippen sprangen auseinander, als er den Missourier ansah.

»Das war gar kein Durchgang?«

Der Reiter schüttelte den Kopf. Seine Augen hingen im Schluchteingang, wo sich allmählich der aufgewirbelte graue Steinstaub zu senken begann.

»Es war eine Sackgasse?«

»Yeah!« stieß der Vormann rauh hervor.

Plötzlich fiel es dem Rancher wie Schuppen von den Augen.

»Die Herde! Sie hat die Cheyennes überrannt –?«

Wyatts Gesicht war grau vom Steinstaub, hart und unbewegt.

»Yeah. Es war die einzige Chance.«

Der Rancher starrte in die Schlucht. Dann rutschte er plötzlich aus dem Sattel, warf seinen Hut in die Luft und stieß einen schrillen Jubelschrei aus.

Da war das Eis gebrochen. Der alte Rake glitt vom Pferd, rannte auf seinen Boß zu und umarmte ihn. Die Tränen standen den beiden Männern in den Augen.

Der Missourier hatte also das Lager der heimtückischen Rothäute ausgemacht, festgestellt, daß es in einer Schlucht lag, die keinen Ausgang hatte, und war auf den Gedanken verfallen, daß nur eine Stampede, eine rasende Tierherde die Indianer überrennen konnte.

Als die beiden Männer sich nach ihm umsahen, ritt er schon längst wieder vor der Herde her nach Westen, über das ansteigende Hochplateau auf die blauen Berge zu.

*

Die mörderischen Cheyennes waren abgeschüttelt. Der Alpdruck hatte sich gelöst.

Die Männer konnten wieder freier atmen. Und jetzt ertrugen sie die immer härter werdenden Strapazen des beginnenden Bergtrails bedeutend leichter und froheren Herzens.

Der Missourier führte die Herde nach einer Rast von einer Nacht und einem Tag mit traumwandlerischer Sicherheit über Saumpfade, durch enge Schluchten, Täler und über Berg­rücken, talauf, talab, himmelragende Berge hinauf und wieder in Täler hinunter.

Bis sie die Selone-Ebene erreichten, die zu den höchsten Bergen führte, zum Tecca-Paß, in der Nähe des fast 4000 Yards hohen Black Mounts.

Der Alte deutete auf die Bergwände, die sich immer näher schoben.

»Da drüben, links neben der dunklen Kluft, da beginnt der Aufstieg.«

Wyatt nickte. »Und wir halten drüben auf den hellen Felsen zu, über dessen Grat das Gestein rot aufleuchtet.«

Rooper und Rake hielten den Schluchtweg, den der Missourier am nächsten Tag als sie die Ebene hinter sich gebracht hatten, einfach für unpassierbar.

Aber er war passierbar, führte allmählich in die Höhe, bot sogar Lagermöglichkeiten und ließ es tatsächlich zu, daß die wenigen Männer die Herde treiben konnten.

Wyatt blieb vorn, und die beiden anderen bildeten den Schluß.

Zwei Tage kroch die Schlangenlinie aus Tierleibern durchs Gebirge.

Dann machte Wyatt an einer weiteren Felsausbuchtung Rast. Es gab allerdings weder Wasser noch Gras hier oben.

Trotzdem tat die eintägige Rast der Herde und den drei Männern gut.

Dann ging es weiter.

In einer Geröllhalde stürzten mehrere Rinder ab.

Rooper verlor den Kopf und feuerte seine Pistole ab.

Die Tiere jagten in panischer Angst vorwärts, rannten an einer Biegung über den Rand des Saumpfades und stürzten brüllend in einen gähnenden Abgrund.

Rake entriß seinem Boß die Pistole und schleuderte sie in die Tiefe.

Rooper herrschte ihn an: »Was soll das, Rake!«

Der Alte blitzte ihn an.

»Wyatt Earp hat fast dreitausend Rinder unter unsäglichen Mühen hier heraufgebracht, Mister Rooper! Da halte ich es für irrsinnig, aus lauter Nervosität plötzlich die Rinder in die Tiefe zu jagen. Dann hätten wir daheim in Kansas bleiben und uns diesen harten Trail ersparen können.«

Nur allmählich beruhigte sich die Herde.

Der Verlust war noch gering.

Wyatt hatte das Drama oben von einer weit höhergelegenen Biegung aus in verzweifelter Ohnmacht mit ansehen müssen.

*

Am Abend dieses Tages hockten die Männer stumm nebeneinander um ein kleines Lagerfeuer.

Rake hatte ein dürftiges Mahl bereitet. Die Wasservorräte waren an einem Bergrinnsal aufgefrischt worden.

Der Missourier hatte seit Tagen keine seiner Zigarren mehr geraucht. Die Strapazen hatten ihm den Geschmack an seinem geliebten schwarzen Kraut verleidet. Stumm hockte er am Boden neben Rake und starrte ins Feuer.

Plötzlich öffnete der alte Vormann die Lippen.

»Er muß den Paß längst hinter sich haben und in der Fluor-Ebene am Yellowstone sein.«

Rooper warf den Kopf hoch. »Peshaur?« An ihn hatte er längst nicht mehr gedacht.

»Yeah – er muß den Paß hinter sich haben«, sagte der Alte. Und der zuckende Feuerschein huschte über seine verwitterten Züge.

Wyatt starrte unverwandt in die langsam verlöschende Glut.

»Wenn nun alles umsonst war?« fragte der Rancher nach einer Weile heiser. »Alles umsonst? Dieser wahnsinnige Trail, Hal und Macs Tod? Die ganze Qual, die Strapazen…«

»Es war Ihre einzige Chance«, sagte der Missourier hart, stand auf und trat seinen abendlichen Kontrollgang um die Herde an.

»Ich glaube, er weiß, was er will«, brummte der Alte.

»Was kann er noch wissen?« knurrte der Rancher. »Peshaur ist längst über den Paß! Und wo stecken wir? Mitten in den Bergen!«

»Aber viele Meilen weiter nördlich, Boß. Weiter an der Grenze von Montana.«

*

Am übernächsten Tag hielt Wyatt, der wie meistens voranritt, seinen Schecken an.

Links öffnete sich durch einen Einschnitt im Felsen ein weiterer Blick über das Bergland, das hier schroff nach Südwesten hin abfiel und in eine schier endlose Ebene auslief.

Und mitten durch diese Ebene zog sich eine helle Schlangenlinie.

Wyatt wußte genau, was das zu bedeuten hatte.

Da unten zog eine Rinderherde.

Die Herde des Geg Peshaur.

Mit verschlossenem Gesicht zog der Missourier weiter.

Als Rooper und der Vormann an die Paßstelle kamen, stieß der Alte einen heiseren Schrei aus und deutete nach unten.

»Was ist das?« wollte der Rancher wissen.

»Eine Herde.«

Wyan Rooper kniff die Augen zu schmalen Spalten zusammen. »Peshaur!« stieß er heiser durch die Zähne.

Dann ließ er die Faust so hart auf den Sattelknauf fallen, daß sein Tier sich erschreckt aufbäumte.

»Peshaur! Der Bandit Peshaur hat seine Herde über den Paß gebracht! Er zieht schon weit unten im Tal, und wir stecken noch mitten im Gebirge!«

»Er trailt nach Norden!« knurrte der Vormann.

»Nach Norden!« höhnte der Rancher ergrimmt. »Und wenn er noch hundert Meilen weiter südlich zöge, wäre er Tage vor uns am Ziel. – Earp! Earp! Earp!« Sein Schrei rollte durch den schmalen Paßpfad und verklang ungehört. Das Stampfen der Rinderhufe verschluckte ihn.

Ganz plötzlich weitete sich der Saumpfad auf eine Breite von vielen hundert Yards.

Augenblicklich strömte die Herde auseinander.

Rechts und links schlossen himmelragende glatte Steilwände das kleine Plateau ab.

Rechts und links – und auch vorn.

Entgeistert starrten Rake und der Rancher auf die glatte Felswand, die sich vor ihnen auftürmte.

Er sah, daß der Missourier unbeirrt vorwärtsritt. Auf die Wand zu.

Rooper warf den Kopf herum. »Ist er wahnsinnig geworden?«

Der Alte zog die Schultern hoch.

»Wo will er hin? Es ist aus! Vorbei! Wir sind in einer Sackgasse gelandet. Viele tausend Yards hoch, direkt unter den Wolken. Es gibt nur einen einzigen Weg, und der führt zurück, zurück ins Indianerland! Wir sind am Ende!« Der Rancher stieß ein schrilles nicht enden wollendes Gelächter aus.

Indes ritt Wyatt Earp weiter auf die Felswand zu.

Rake, der an der Herde vorbeistrebte und ihm folgte, sah, daß er auf eine Einschnittstelle zuhielt, die jedoch nicht den Boden des Plateaus erreichte.

Es war unmöglich für das Vieh, da hinunterzukommen.

Auch Rooper war herangekommen.

»Was nun? Trailboß! Ist Ihre Klugheit endlich am Ende?«

Wyatt überhörte den Spott und ritt weiter. Einmal wandte er sich um.

»Halten Sie die Herde zurück.«

Rooper und der Vormann hielten an.

»Was soll das?« zischte der Rancher.

Aber Wyatt kümmerte sich nicht um ihn.

Er ritt weiter.

Rake nahm den Leitbullen und sah zu, daß die Herde zum Stehen kam.

Der Missourier ritt auf die Steilwand zu.

Dann sahen die beiden Männer ihn absteigen. Er nahm etwas aus seiner Satteltasche und hantierte eine Weile am Gestein herum.

Ganz plötzlich sprang er auf, schwang sich in den Sattel und sprengte im Galopp zurück.

Er hatte die Herde noch längst nicht erreicht, als eine ohrenbetäubende Detonation die Luft zerriß und den Boden erschütterte. Eine gewaltige Wolke von Steinstaub wirbelte hoch. Felsbrocken wurden fast bis zu dem flüchtenden Reiter hingeschleudert.

Wyatt hielt inne und wandte sich um.

Als der Staub sich endlich verzogen hatte, rissen Rake und der Rancher die Augen sperrangelweit auf.

Drüben in der Steinwand klaffte ein gewaltiges Loch. Das Licht brach sich bis auf den Boden des Plateaus Bahn.

Wyatt ritt vorwärts, blickte in den gesprengten Einbruch und kam dann zurück.

Die beiden sahen ihm erwartungsvoll entgegen.

Wyatt stieg ab, wischte sich über die Stirn, nahm sich eine Zigarre aus der Tasche, zündete sie an und gleich darauf stand eine kleine blaue Tabakswolke vor seinem harten eckigen Gesicht.

»Ed, geben Sie mir das Lasso wieder!«

Der Vormann reichte ihm den Strick, mit dem der Leitbulle geführt wurde.

Wyatt stieg auf und ritt auf die Felsbresche zu.

Die Herde folgte ihm.

Und als die beiden anderen Männer den Einschnitt erreicht hatten, hielten sie inne und starrten betroffen in die Tiefe, der ein breiter von der Natur eingeschlagener Bergpfad entgegenführte.

Mit einem Jubelschrei warf der greise Vormann die Arme in die Luft. Er blickte nach links und deutete in die Ebene.

»Da, Boß – sehen Sie, irgendwo da hinten im Nebelgrau kraucht der Bandit mit seiner Herde! Wir sind ihm eine halbe Woche voraus!«

Rooper wischte sich übers Gesicht und schob den Hut aus der Stirn. Er konnte das irgendwie nicht begreifen. Wie hatte der unheimliche Wyatt Earp das alles nur wissen können?

Aber er hatte es ja gesagt: Ich weiß einen Weg über die Berge, voller Hindernisse zwar, aber…

Ja, das hatte er gesagt. Genau das.

Und jetzt trailten sie zu Tal. Auf einem ziemlich abschüssigen Gesteinsweg, aber sie trailten nach Norden zu Tal, viele Meilen vor der Herde George Peshaurs, der den gewaltigen Umweg über den Tecca gemacht hatte.

Schon am frühen Nachmittag trieb Wyatt die Herde in eine Felsausbuchtung, die vor den am Nordhang des ­Mountains entlangstreichenden scharfen Bergwinden geschützt war.

Ein Sturzbach fiel hier aus einer fernen Quelle in ein Becken und bildete eine gewaltige Tränke für die Tiere.

Sie schlachteten ein junges Rind, und dann gab es Steaks so groß wie Satteltaschen.

Anschließend braute der Vormann einen starken Kaffee im Kupferkessel über dem Dreibein.

Die Stimmung der Männer war jetzt ausgezeichnet.

Wyatt hielt seinen Blechbecher in beiden Händen und blickte über das weite Land hinunter, das im sinkenden Abend lag.

Da tippte ihm der Rancher auf die Schulter.

»Wyatt, ich möchte Ihnen etwas sagen.«

Der Missourier blickte ihn an.

Rooper nahm seine Hand.

»Ich möchte Ihnen danken, Wyatt. Sie haben mich beschämt…« Mehr konnte der Rancher nicht über die Lippen bringen.

*

Neun Tage später zogen sie durch die bewaldete Madison Ebene talabwärts zwischen hohen Tannen nach Nordwesten.

Vor ihnen lag Montana. Das waldige Bergland. Das Paradies Amerikas, wie es Präsident Lincoln einmal genannt hatte.

In der Morgenfrühe eines sonnigen Tages zogen sie in Rockwood ein.

Wyan Rooper sprang von seinem Fuchs und stürmte auf ein kleines Holzhaus zu, aus dem ihm ein hochgewachsener, breitschultriger Mann entgegengelaufen kam.

Die beiden begrüßten einander herzlich. Dann führte der überglückliche Rancher seinen Freund Benston auf die Straße und deutete auf einen Reiter, der auf dem Schecken saß und mit ernsten Augen den Viehaufkäufer anblickte.

»Hier, Yul, das ist der Mann, der uns hergebracht hat, der den Weg im wahrsten Sinne des Wortes aus dem Felsen gesprengt hat, der uns überhaupt erst auf den Trail gebracht hat. Zweitausendfünfhundert Tiere stehen vor der Stadt!«

Benston schob sich den Hut aus der Stirn und schluckte. »Zweitausendfünfhundert? Bist du vielleicht verrückt?«

»Absolut nicht!«

Da stürmten mehrere Reiter in die Mainstreet und riefen die Botschaft aus.

Zweitausendfünfhundert Rinder stan­den vor der kleinen Stadt!

Yul Benston machte das Geschäft seines Lebens.

Und Wyan Rooper strich ebenfalls einen gewaltigen Gewinn ein. Er gab seinem alten treuen Vormann eine ordentliche Summe ab.

Dann trat er auf den Missourier zu.

»Mister Earp, ohne Sie wäre der Trail nicht denkbar gewesen. Wir haben mit fünf und später nur mit drei Treibern die große Herde hier heraufgebracht. Ich kann es immer noch nicht ganz begreifen…«

»Es war ein bißchen hart, aber es ging doch.«

»Hart?« In den Augenwinkeln des Ranchers stand ein Lächeln. »Hart sind Sie, Wyatt Earp. Ich habe nie einen härteren Mann gesehen. Jeder Rancher müßte froh sein, einen solchen Mann in seiner Crew zu haben. Ich habe Ihnen hier in den Umschlag Ihren Anteil vom Gewinn gesteckt…«

Wytt riß den Umschlag sofort auf, warf einen Blick auf das Geld und schüttelte den Kopf.

»Nein, Rancher – so war das nicht gemeint. Es ist Ihre Herde. Sie haben mir nicht meinen Anteil am Gewinn ausgezahlt, sondern genau die Hälfte abgegeben. Ich bin bestimmt ein Mann, der gern einen guten Dollar macht, aber ich lasse mir nichts schenken.«

»Schenken!« Der Rancher blickte den Missourier verblüfft an. »Wo kann denn hier die Rede von schenken sein? Sie haben doch den Trail erst ermöglicht. Und ohne Sie hätten wir ihn nicht durchgestanden!«

Soviel Mühe der Rancher sich auch gab, Wyatt bestand darauf, genau den Anteil zu erhalten, den auch der greise Vormann bekommen hatte.

»Und wenn Sie zurückkommen, Mister Rooper, dann bauen Sie sich eine neue Ranch auf, kaufen sich eine neue Texasherde und werben sich ein paar Jungs an, die Kerle sind wie Hal und Mac, Burschen, die zu Ihrem prächtigen Vormann passen.«

»Ich wüßte mir einen Mann, Earp, dem ich Monat für Monat den doppelten Lohn auszahlen möchte, wenn er auf meiner Ranch arbeiten würde.«

Der Missourier schüttelte den Kopf.

»Vielen Dank, Rancher. Ich habe etwas anderes im Sinn.«

»Aber Sie haben doch keinen Job!«

»Nein, noch nicht. Aber ich werde schon einen finden. Ich habe ja Geld genug, um über die Distanz zu kommen. Ich wollte im letzten Monat die Eltern daheim besuchen. Nun wird es aber Zeit, daß ich nach Hause reite.

»Ihre Eltern leben am Missouri?«

»Jetzt nicht mehr. Sie sind hinunter nach Lamar gezogen.«

»Sie müssen selbst wissen, was Sie tun wollen, Wyatt. Aber wenn Sie mal einen Job suchen: Bei Wyan Rooper ist für Sie immer ein Platz frei.«

Wyatt reichte ihm die Hand.

Sie hatten ein paar ruhige Tage in Rockwood verbracht. Der Rancher wohnte drüben bei seinem Freund Benston. Die beiden Cowboys waren meist zum Essen geladen.

Man hatte sich dahingehend abgesprochen, zu dritt nach Kansas zurückzureiten.

*

Als sie an einem stillen Abend in Benstons Haus um den Kamin saßen, fragte Rooper den Missourier:

»Weshalb sind Sie eigentlich nicht gleich zurückgeritten. Sie sind doch sonst ein Mann, der keine Muße kennt.«

»Ich habe auch jetzt keine Muße. Ich warte.«

»Sie warten?« forschte Benston.

»Yeah. Ich warte auf Ben Thompson.«

»Dachte ich mir’s doch!« rief der Rancher und wurde um einen Schein blasser. »Dachte ich mir’s doch, daß Sie auf ihn warten würden!«

»Weshalb tun Sie das?« wollte Benston wissen.

»Ben Thompson ist ein Sheriff-Mörder, Mister Benston.«

»Ja, ich weiß, er wird in Kansas und in Colorado steckbrieflich gesucht.«

»Eben. Und hier wird er nicht gesucht. Dafür warte ich hier auf ihn. Er ist ohnehin hinter mir her. Ich will allen unnötigen Treibjagden ein Ende bereiten. Deshalb warte ich hier auf ihn.«

»Peshaur ist bei ihm«, gab Benston zu bedenken.

Um die Lippen des Missouriers flog ein kleines Lächeln.

»Ja, das ist anzunehmen.«

»Warten Sie auch auf ihn?«

»Yeah. Er hat den Mörder für den alten Jim Duffy gedungen. Er hat die gesamte Herde, die er herbringt, zusammengestohlen. Er hat die Leute geworben, die Ben Thompson und Abe Clinholm in Ellsworth aus dem Gefängnis geholt haben. Ich habe also Grund genug, auch auf diesen Banditen zu warten.«

»Machen Sie sich das Leben durch Ihre Unnachgiebigkeit nicht selber ziemlich schwer?«

Wyatt schüttelte den Kopf, erhob sich und verabschiedete sich.

Auch der Vormann stand auf.

»Sie verstehen ihn nicht, Boß. Er ist ein Mann, der eisern auf der Seite des Gesetzes steht. Sie hatten schon recht, als Sie ihm drüben in Colorado einmal sagten, er müsse einen Stern tragen…«

*

Neun Tage später zog wieder eine Rinderherde von Süden an die Stadt heran. Sie war klein, zerrissen, abgemagert und wurde von zwölf Treibern begleitet.

Voran ritten zwei Männer, in deren Gesichtern unerbittliche Härte stand. Geg Peshaur und der Mörder Ben Thompson.

»Es geht mir nicht in den Schädel, daß wir ihn nirgends mehr gesehen haben, oben vor den Pässen!« knurrte Thompson gerade.

Peshaur schüttelte den Kopf.

»Ich habe dir ja gesagt, er kommt nicht rüber. Die Tatsache, daß er ein guter Schütze ist und eine höllische Faust führt, sagt nicht, daß er auch ein guter Trailboß ist.«

»Hm –«, brummte der Spieler, »ich traue ihm alles zu.«

»Er ist ein Satanshund, das ist klar, aber über die Berge kommt er nicht. Ich werde den Gedanken nicht los, daß er die Wahnidee gehabt hat, den Tecca-Paß irgendwie zu umgehen. Aber das ist nicht drin. Da muß er steckenbleiben. Wir selbst haben eine Menge Vieh und Leute da oben verloren. Jimmy Jirjahlke kennt die Berge wie seinen alten Sattel. Er sagte mir schon in Colorado, ehe wir nach Wyoming hinübertrailten, daß der Missourier es nicht schaffen könne. Außerdem, was willst du? Wir machen hier unser Geschäft, stärken uns und ziehen mit der Crew durch die Berge zurück. Da holen wir ihn sicher ein und pumpen ihn voll Blei.«

Thompson riß die Zügel hoch.

»Ich, Geg, ich werde ihn voll Blei pumpen. Ich allein! Ich hoffe, du hast das begriffen.«

Der Cowboy war nicht der Mann, sich so schnell einschüchtern zu lassen.

»Das bleibt abzuwarten, Ben. Wenn er mir vor die Bleispritze kommt, harke ich ihn auseinander.«

Der Spieler schoß ihm einen blitzenden Blick zu, in dem plötzlich tödlicher Haß flammte.

»Das wirst du nicht tun, Geg. Wenn du ihn tötest, bist du mein Feind.«

»Du bist ein Idiot, Ben! Ein verblendeter Idiot! Sei froh, wenn der Bursche tot ist, sonst hast du ihn ständig im Nacken. Er hat dich ins Jail gebracht, weil er ein Gesetzesfanatiker ist. Bestimmt hat dieser Kerl eines Tages einen silbernen Stern am Hemd. Und er wird dir folgen, wenn es sein muß, bis ans Ende der Welt. Davon bin ich felsenfest überzeugt. Du bist ein hirnloser Mann, Ben Thompson, sonst wüßtest du das selber. Alles was dieser Earp tut, ist verdammt genau überlegt. Er hat Rooper aufgestachelt, die Herde nach Montana auf den Trail zu bringen. Damit wollte er mich schlagen. Daß ihm der Trail nicht glückte, war sein Pech. Aber er wird überleben, dessen bin ich sicher. Dieser Halunke gehört zu der Sorte Unkraut, die kein Orkan aus den Wurzeln reißt. Er lebt – und er lauert auf uns. Vor allem auf dich. Weil du ein Sheriff-Mörder bist…«

Da holte der Spieler aus. Der Schlag riß den Cowboy aus dem Sattel.

Peshaur lag am Boden, als er sich aufrichtete, rann ein Blutfaden aus seinem rechten Mundwinkel.

Thompson war vom Pferd gesprungen und stierte ihn aus glimmenden Augen an.

Da warf der vierschrötige Cowboy seine behaarte Faust mitten in dieses gelbe faltige Gesicht.

Aber der Spieler blieb stehen. Sein Blick war glasig geworden.

»Du hirnverbrannter Idiot, du erbärmlicher Falschspieler!«

Da stürzte sich Thompson mit einem wilden Schrei auf ihn und warf ihn zur Erde. Eine wilde Keilerei sich überschlagender, brüllender und fluchender Menschenknäule begann.

Die nachfolgenden Cowboys hielten an und blickten amüsiert und stumm auf die kämpfenden Männer.

Die Herde kam zum Stehen.

Der Kampf blieb unentschieden. Sie waren gleich stark, gleich gefährlich und gleich gemein, die beiden Banditen. Keiner gab dem anderen etwas nach. Deshalb endete auch ihr Fight unentschieden.

Sie rappelten sich wieder hoch und stierten einander mit glasigen Augen an.

Dann wandte Peshaur sich um und torkelte zu seinem Pferd.

Auch Thompson langte nach einem seiner Steigbügel, griff nach dem Sattelhorn und zog sich auf seinen Gaul.

Langsam trottete die Herde weiter nach Norden.

*

Am späten Nachmittag dieses Tages sahen die Männer fern in einer Talsenke die Dächer einer kleinen Stadt auftauchen.

»Das ist Rockwood!« brüllte Peshaur, dessen Gesicht noch angeschwollen vom Kampf mit Thompson war.

Der Spieler, dessen Gesicht ebenfalls verschwollen und mit blauroten Flecken bedeckt war, knurrte:

»Woher willst du das wissen?«

Peshaur wandte sich um und rief einen seiner Treiber heran:

»Jim, siehst du die Stadt da vorn?«

»Yeah, Boß, das ist Rockwood. Ich kenne es genau!«

Ehe sie die ersten Häuser erreichten, wandte der Cowboy George Peshaur den Blick auf die dünne Weide vor der Stadt. Die kurzen Berggräser waren niedergetreten, zerstrampelt von vielen tausend Rinderhufen.

Der Rindermann sah es sofort, und er wußte, was es bedeutete.

Aber er war gehässig genug, es dem Spieler zu verschweigen.

Trotzdem sollte auch Ben Thompson die Stadt nicht ungewarnt erreichen.

An einem leerstehenden Haus, das hundertfünfzig Yards vor dem Anfang der Mainstreet stand, klebte ein großes Plakat.

Die beiden Männer ritten darauf zu und glotzten es an.

In großen Letter schrie es ihnen von der Hauswand entgegen:

Ben Thompson, Sheriff-Mörder, ich warte hier in der Stadt auf Dich!

Geg Peshaur, Viehdieb und Mordanstifter, auch auf Dich warte ich!

Ich hoffe, Ihr habt in Fort Morgan das Grab Eures Freundes Clinholm besucht.

Wyatt Earp

Die beiden Banditen sahen einander betroffen an.

Der Cowboy hatte plötzlich ein verdammt ungutes Gefühl im Magen. Er spie in weitem Bogen aus und blickte zur Mainstreet hinüber.

Der Spieler war grau im Gesicht geworden. Seine zu weit auseinanderstehenden gelben Augen hatten sich zu schießschartenschmalen Spalten zusammengezogen.

»Er ist also hier«, flüsterte er tonlos.

»Yeah!« stieß der Cowboy heiser hervor. »Er ist hier und wartet auf uns. Auf dich und mich. Und er wird verdammt wenig Zeit haben.«

Thompson stierte mit glimmenden Falkenaugen in die leere Mainstreet.

»Er hat Bill ausgelöscht…«

Peshaur deutete mit dem ausgestreckten Arm in die Mainstreet.

»Da, sieh nur, wie leergefegt! Sie warten auf dich. Auf Ben Thompson. Die Straßen sind doch überall leer, wo du auftauchst! Das hast du immerhin geschafft!«

Der Spieler riß den Colt aus dem Halfter.

»Halt’s Maul, Geg! Oder du stirbst, ehe der Wolf dich da drüben zerreißen kann.«

Peshaur lachte den anderen grimmig an.

»Schieß nur, Bennie. Deshalb läufst du ihm doch nicht weg!«

Er hob den Arm.

Die Cowboys trieben auf seinen Wink den Rest der Herde, die sie unter unsäglichen Mühen und mit vielen Verlusten über den Tecca-Paß gebracht hatten, auf die Weide vor der Stadt.

Die beiden Reiter saßen auf ihren Pferden und blickten in die Mainstreet.

Thompson wandte sich nach dem Cowboy um.

Der grinste ihn tückisch an.

»Ich lasse dir den Vortritt, Ben. Du bist der berühmtere, und auf dich ist er schärfer!«

»Du elender Feigling! Du verdammter, dreckiger Kuhtreiber. Du stinkiger Viehdieb!«

Peshaurs Lächeln erstarb und blieb in seinen Zähnen hängen.

»Es ist zu Ende, Ben. Reite los! Einer muß den Anfang machen!«

Der Spieler starrte nach vorn.

Die sinkende Sonne warf rotgoldene Strahlenbündel in die breite Straße. Kein Mensch war zu sehen. Trostlose Leere gähnte den Männern entgegen.

Und in dieser Stunde machte sich die seltsame Kraft des magischen Namens Wyatt Earp zum erstenmal bemerkbar. Es war etwas geschehen, was sich in diesem harten Lande noch tausendmal wiederholen sollte: Männer, die Tod und Teufel nicht fürchteten, verspürten einen Schauer auf dem Rücken, wenn sie daran dachten, wer da in der Stadt ihrer wartete. Ein hochgewachsener Mann mit hartem, eckigem Gesicht, tiefblauen Augen, schwarzem Haar und mit zwei alten Revolvern in den Kniehalftern.

Die Magie des Missouriers Wyatt Earp hatte ihren Anfang genommen.

Und doch ritt der Verbrecher Ben Thompson plötzlich langsam vorwärts. Mitten in die Mainstreet hinein. Er sah sich nicht mehr nach seinem Gefährten um.

Der Spieler hielt plötzlich inne.

Hatte er geträumt?

Wie war der Mann auf einmal da vorn mitten auf die Straße gekommen?

Hochaufgerichtet stand er da. Die Arme vor der Brust verschränkt. Den schwarzen Hut tief in die dunkle Stirn gezogen.

Und doch sah der Spieler schon auf vierzig Yards die Augen des anderen funkeln.

Die letzte Minute des Ben James Thompson hatte begonnen. Er hätte ihr vielleicht auf einige Zeit entrinnen können. Aber er war ein Spieler und nahm das gefährliche Spiel auf.

Vielleicht wußte er, daß er diesmal verlieren würde.

Aber er war seit eh ein Mann gewesen, der nicht aufgab.

Zwanzig Yards vor Wyatt Earp stieg er aus dem Sattel.

»Ich bin da, Earp!«

»Yeah!« klang es ihm hart entgegen.

Und dann schoß der Spieler schon. Es war unfair, aber er hatte ja nichts anderes getan, als was er sonst auch tat. Er betrog.

Die Kugel pfiff über den Körper des Missouriers hinweg.

Der hatte sich bei der Schußbewegung fallengelassen und einen Schuß aus dem rasendschnell gezogenen linken Colt abgegeben.

Und selbst diese Kugel schickte der tödliche Schütze dem Gegner nicht ins Leben. Sie traf den Spieler oben rechts in der Brust, riß ihn aber von den Beinen, warf ihn zurück und ließ ihn mit dem Schädel unglücklicherweise so hart auf einen in der Straße eingelassenen Feldstein aufschlagen, daß er reglos liegenblieb.

Als Wyatt herankam, sah er den Blick des Banditen starr an sich vorbei in den wolkenlosen Abendhimmel gehen.

Der Sheriff-Mörder Ben Thompson war tot. Ein sinnloses, verbrecherisches Leben hatte sein Ende gefunden.

Wyatt wandte sich ab und ging hinüber zum Hotel.

Er wartete.

Aber der andere Mann kam nicht.

Er kam auch nicht in der Nacht.

Und als der Missourier am nächsten Vormittag hinaus vor der Stadt ritt, sah er die Herde allein dastehen.

Geg Peshaur hatte mit seinen Männern das Weite gesucht.

Er hatte Ben Thompson in der Mainstreet fallen gesehen und war geflüchtet.

Erst viele Jahre später sollte Wyatt Earp ihn unten in Dodge am Arkansas wiedersehen…

Wyatt Earp Staffel 1 – Western

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