Читать книгу Wyatt Earp Staffel 1 – Western - William Mark D. - Страница 9
ОглавлениеDreißig Meilen südlich vom Canadian, wo die gefürchtete gelbe Ebene beginnt, lag die kleine Texasstadt Panhandle. Ihr Name war zu Beginn der siebziger Jahre im alten Westen so bekannt wie Santa Fé, Dodge City und Wichita. Bekannt und berüchtigt. Die größten Ranches der Staaten lagen im Pfannenstiel, wie das Land um die Stadt genannt wurde. Harte, große und zähe Männer hatte dieses Land, Männer, die ob ihrer Qualitäten bis hinauf nach Montana so bekannt waren wie die großen Ranches und die hervorragenden Rinder.
Aber leider kamen auch die berüchtigten Revolvermänner aus dem Panhandle, meistens sogar aus der Stadt selbst, die ja den gleichen Namen trug wie die Landschaft, in der sie lag. Der Schießer Ed Ferguson hatte dem Panhandle eine traurige Berühmtheit eingebracht. Lane Carringer und Cass Brisbane sollten noch fünf Jahre später oben am Arkansas dafür sorgen, dass dieser traurige Ruhm der kleinen Texasstadt nicht in Vergessenheit geriet.
Hal Flanagan jedoch sollte sie alle in den Schatten stellen. Er war der unheimlichste Mann, den dieses staubige Land je ausgespuckt hatte. Er war mittelgroß, hager, hatte breite Schultern und schmale Hüften. Sein kantiges Gesicht, das meist tief im Schatten des grellweißen Hutes lag, war gipsfarben und von scharfen Falten zersägt. Schiefergrau steckten die scharfen Augen in engen Schlitzen. Die Brauen waren in einem schwarzen Strich über der Nasenwurzel zusammengewachsen. Der Mund sah aus wie die scharfe Narbe eines Peitschenschlages, dünn, lang, hart und blassrot. Das Kinn schob sich weit und eckig nach vorn: Es war ein kaltes, rigoroses Gesicht, das von den grauen Augen beherrscht wurde.
In Panhandle genoss dieser Mann so etwas wie eine stummängstliche Verehrung. Er war der berühmteste Sohn der kleinen Texasstadt.
Und als er jetzt auf seinem schwarzen Hengst staubbedeckt in die breite Mainstreet einritt, blieben die Leute auf den Stepwalks stehen und sahen zu ihm hinüber.
Gewiss, es rief keiner: »Hallo, da kommt Hal Flanagan! Der große Flanagan! Hal, wie geht’s? Bist du endlich wieder da? …« Nein. Es blieb still in der Straße.
Die Abendsonne schickte ihre flammend roten Strahlen in die Stadt, und alle Gegenstände warfen riesenlange Schatten.
Vor dem Farewell-Hotel brachte Flanagan seinen Hengst zum Stehen, rutschte unsäglich langsam aus dem Sattel und schlang die Zügelleine um den Querholm. Ehe er auf den Vorbau zuschritt, lockerte er die beiden großen Revolver in den Halftern, die er tief auf den Oberschenkeln trug, wandte sich noch einmal um und blickte die Straße hinunter.
Gap Lonegan, der auf der gegenüberliegenden Straßenseite einen Geräte-Handel hatte, zuckte zusammen, als ihn der Blick des Revolvermannes traf. Schnell hob er die Hand und winkte dem »Heimkehrer« gequält lächelnd zu.
Flanagan erwiderte diesen Gruß nicht.
Auch Joe Carpentier, der die Sattlerei nebenan hatte, sah mit nicht ganz glücklichen Augen auf den Schießer.
Tub Harringay stand hinter den Gardinen seiner kleinen Bank, hatte die Hände auf dem Rücken verschränkt und die Lippen zusammengepresst. Sein massiger Schädel war vorgebeugt. Plötzlich zuckte er zusammen. Er hatte das Gefühl, der Mann drüben müsse ihn durch die Gardinen gesehen haben.
Harringay wandte sich um, riss seinen Hut vom Haken, rief vorn im Schalterraum einem Clerk etwas zu und stampfte über die Straße.
Der Schießer sah ihm ausdruckslos entgegen.
Der Bankier streckte beide Hände aus, so, als wolle er den anderen herzlich begrüßen.
Flanagan übersah diese Geste.
»Hallo! Ich sah zufällig durchs Fenster und denke: Du träumst! Er kann es doch gar nicht sein! Aber er ist es! Hal, alter Junge! Willkommen daheim …«
Die Lippen des Schießers sprangen auseinander. Hohl und rostig klang seine Stimme.
»Was willst du?«
Der Bankier versuchte, diese brüske Abweisung zu überspielen.
»Darf ich dich zu einem Drink einladen, Hal? Du hast sicher einen langen Ritt hinter dir …«
Der Revolvermann wandte sich ab. Wortlos ging er auf das Hotel zu.
Auf dem Vorbau hatten mehrere alte Männer mit knorrigen, verbrannten Gesichtern gesessen. Sie standen auf, als der Mann mit dem weißen Hut an ihnen vorbeikam.
»Hal?«
»Hallo, Hal!«
»Wie geht’s?«
»Wieder im Lande?«
Der Schießer beachtete dieses Verlegenheitsgestammel nicht. Mit der linken Stiefelspitze stieß er den Hoteleingang auf und blickte in das Halbdämmer der Halle.
Rechts, an dem kleinen Rezeptionstisch, stand ein alter, gebeugter Mann mit kahlem Schädel und ausgetrocknetem Gesicht. Unsicher blickte er den Ankömmling an.
Flanagan hielt auf ihn zu. »Ein Zimmer!«, schnarrte er.
Jeffries Abeathy schüttelte den Kopf.
»Tut mir leid, Mister. – Alles besetzt! Der Pferdemarkt, übermorgen …«
Flanagan trat nahe an den Rezeptionstisch.
»Ein Zimmer!«, wiederholte er mit leiser, drohender Eindringlichkeit.
Der alte Abeathy zuckte mit den Schultern.
»Ich bedaure sehr, Mister …« Er kannte Flanagan nicht, er war erst ein halbes Jahr in Panhandle.
Die Linke des Revolverschwingers zuckte über den Rezeptionstisch, krallte sich in die abgetragene Jacke des alten Mannes, die Rechte flog mehrmals in kurzen, harten Schlägen in Abeathys blasses Gesicht, wo sie rote Flecken hinterließ.
Aus dem linken Mundwinkel des entsetzten Hotelportiers rann ein dünner Blutfaden.
»Ein Zimmer!«, zischte Flanagan.
Da kam aus dem Büro ein großer hagerer Mann mit braunen Augen und scharfem Gesicht.
»Aber, Mister Abeathy, das ist doch Mister Flanagan! Für ihn ist hier immer ein Zimmer frei!«
Der Hoteleigner wandte sich nach einem farbigen Jungen um.
»Los, schaff den dicken Morris aus Zimmer neun! Das Zimmer bekommt Mister Flanagan!«
Der Boy nickte und schnellte die läuferbelegte Treppe hinauf.
Jimmy Dycoster, der Hoteleigner, lächelte Flanagan dünn an.
»Alles in Ordnung, Hal?«
Das schien eine passendere Behandlung für den Schießer zu sein. Er nickte, schob sich den weißen Hut aus der Stirn und knurrte: »Ein Steak, aber tellergroß, sonst werde ich ärgerlich. Und wenn ich ärgerlich werde …« Ein galliges Lächeln kroch um seine harten Lippen. »Na, du weißt schon, Jim!«
Der Hoteleigner nickte. Dann ging er in die Küche und rief dem dicken verschwitzten Koch zu: »Ein Steak, aber groß – und salze es nicht zufällig mit Rattengift!«
*
Flanagan verzehrte schmatzend sein Mahl, wischte seine Hände am Tischtuch ab und zündete sich dann genießerisch eine lange, dünne ebenholzfarbene Virginia an.
In der Hotelhalle herrschte ängstliches Schweigen. Alles dienerte um den staubigen Mann herum, mühte sich, ihm nicht unangenehm aufzufallen.
Vier Männer, die ein Pokerquartett hatten eröffnen wollen, hockten still auf ihren Plätzen und strengten sich an, den Mann mit dem weißen Hut nicht anzusehen.
Plötzlich ging die Tür auf, und ein schwerer Mann mit rotem Gesicht und Froschaugen schob sich in die Hotelhalle. Er trug elegantes graues Tuchzeug nach letzter St. Louis-Mode, hatte einen breitrandigen Melbahut auf und geschnürte Bostonstiefel an den Füßen. Über seiner schwarzen bestickten Samtweste sprang ein rüschenbesetztes weißes Hemd mit schwarzer Seidenbinde hervor.
Der Mann nahm den Hut ab und fuhr sich über das schüttere dunkle Haar. Dann blickte er über die Tische hinweg. Sein Auge blieb an dem weißen Hut des Schießers hängen.
Flanagan sah kurz auf, als der Mann an seinen Tisch trat.
»Evening, Mister Flanagan. Ich bin Ed Holyoke und möchte mit Ihnen sprechen.«
Der Revolvermann hob den Kopf und schob das Kinn vor.
»Was wollen Sie?«
»Kann ich mich dazu einen Augenblick setzen?«, fragte Holyoke, wobei er sich schon einen Stuhl heranzog.
Flanagan antwortete nicht.
Holyoke setzte sich. Er hatte seine gepflegten Hände auf der Krempe seines Hutes liegen.
»Mister Flanagan, ich habe einen Job für Sie.«
Der Revolverschwinger sog an seiner dünnen Zigarre, blies den Rauch ungeniert vor sich hin, dem anderen Mann entgegen.
Holyoke ließ sich nicht beirren. Er war ein Mann Ende der vierzig, der das Leben von allen Seiten zu kennen schien. Seine wachen wasserblauen Augen hingen an dem gipsfarbenen Gesicht des Schießers.
»Es ist ein guter Job, Mister Flanagan!«
Er machte keinen Fehler, der Menschenkenner Holyoke. Er sagte nicht: He, Flanagan! Dazu war er nicht dumm genug, er nannte ihn Mister. Und vielleicht war es das, was dem Schießer behagte.
Flanagan kniff das linke Auge ein und legte den Kopf etwas auf die Seite.
»Was ist drin?«
»Siebenhundert Dollar.«
»Und auf der anderen Seite?«, forschte der Schießer lauernd.
»Alles.«
Flanagan nickte unangenehm grinsend. Und bei diesem Grinsen kroch auch über den Rücken des abgebrühten Holzhändlers Ed Holyoke ein eisiger Schauer.
Was für ein Mensch war das, der da vor ihm saß? Der blassgesichtige Hal Flanagan. Ein Mann, der gegen gute Bucks einen Auftrag ausführte. So wie man einen Cowboy schicken konnte, ein Rudel Rinder einzutreiben, so konnte man ihn schicken, einen Mann zu töten.
Holyoke sah, dass die Hände Flanagans in dünnen schwarzen Lederhandschuhen steckten, deren weiß gegerbte Stulpen umgeschlagen waren.
Auch beim Essen hatte der Schießer sie nicht abgenommen.
Holyoke spürte ein leises Würgen im Hals.
Da fragte Flanagan: »Wo?«
»In Joplin.«
Der Texaner kniff beide Augen ein. »In Missouri?«
»Yeah.«
»Achthundert«, versetzte der Schießer gelassen.
Holyoke nickte nur.
Und dann kam die dritte Frage des Revolvermannes: »Wer?«
»Das erfahren Sie beim Abschluss des Geschäftes.«
Flanagans Hände rutschten vom Tisch.
»Haben Sie schon einmal einen Mann gesehen, der eine Katze im Sack kauft?«
Holyoke konterte sofort: »Haben Sie schon mal einen Mann gesehen, der sich selbst einen Handel verdirbt?«
Flanagan hob den Kopf etwas höher. Jetzt sah man deutlich, dass von seinen Mundwinkeln scharfe, harte Falten nach unten liefen. Sie gaben seinem bleichen Gesicht etwas Hölzernes. Es sah so aus, als sei der Unterkiefer wie bei einer Marionette beweglich eingesetzt worden.
Holyoke nahm eine Zigarre aus der Tasche, zündete sie an und meinte dann: »Sie könnten zu ihm reisen und ihm von meinem Einfall erzählen. Vielleicht bietet er Ihnen dann das Doppelte, wenn Sie mich töten. In jedem Falle aber haben Sie dann die Chance, sich den Meistbietenden von uns beiden auszusuchen.«
Flanagan schob mit dem behandschuhten Zeigefinger den Hut etwas zurück. Sein Gesicht blieb ausdruckslos.
Holyoke feixte. »All right?«
»Dann macht es tausend«, versetzte Flanagan ruhig.
Holyoke stand auf. »Natürlich, das hatte ich auch einkalkuliert.« Er griff in die Tasche und warf ein Geldbündel auf den Tisch. »Das sind fünfhundert. Morgen früh um sechs reiten Sie ab. Ich sage Ihnen am Stadtausgang den Namen.«
»Um sieben«, versetzte Flanagan.
»Um sechs!«
Da schob der Schießer mit der rechten Handkante das Geldnotenbündel zur Seite.
»Weshalb um sieben?«, forschte der Holzhändler, ohne das Geld zu nehmen.
»Weil ich bis halb sieben schlafe.«
»All right. Also um sieben. Ich bin genau am zweiundzwanzigsten September in Lamar.«
»Sie wohnen da?«
»Ja, da ist mein Geschäft. Sie bekommen an diesem Tag die restlichen fünfhundert.«
»Am vierundzwanzigsten«, entgegnete der Schießer.
Holyoke zog die Brauen zusammen.
»Was soll das? Weshalb sind Sie so eigensinnig?«
Flanagan grinste, es sah aus wie eine Teufelsgrimasse.
»Am dreiundzwanzigsten habe ich Geburtstag. Sie werden nicht verlangen, dass ich da arbeite oder reite.«
Holyoke stieß die Luft durch die Nase aus.
»Good«, knurrte er, »also erwarte ich Sie am vierundzwanzigsten September in meinem Haus in Lamar. Es ist nicht sehr weit von Joplin.«
Flanagan nickte leicht, nahm das Geldbündel auf, steckte es in die Tasche und sagte scharf: »Sie können gehen!«
Holyoke hatte kein sehr angenehmes Gefühl im Magen, als er durch die Halle ging.
In der Tür schob sich ein kleiner Mann mit grauen Haaren und scharfem Gesicht an ihm vorbei. Auf seiner linken Westenseite blinkte ein sechszackiger Stern.
Der Hoteleigner sah dem Sheriff mit Unbehagen nach, als dieser auf den Tisch des Revolvermannes zuging.
»Hallo, Flanagan!«
Der Schießer blickte auf. »Hallo, Sheriff.«
Der Hüter des Gesetzes steckte seine Hände hinten in den Waffengurt.
»Sie sind wieder in der Stadt?«
»Es sieht so aus.«
»Und was kommt nach?«, fragte der Sheriff.
Flanagan stand auf. Ganz dicht war sein bleiches Gesicht vor dem Sheriff.
»Was wollen Sie?«
»Ich habe für Ordnung zu sorgen. Ich frage Sie nur, wo Sie herkommen.«
»Das geht Sie nichts an, Dublin!«
»In Santa Fé haben Sie einen Mann erschossen!«
»Wenn Sie es schon wissen, ist es ja gut. Es war ein Falschspieler, er hat zuerst gezogen.«
»Natürlich«, versetzte der Sheriff hart. »Immer ziehen die anderen zuerst – und Sie treffen!«
»Yeah.«
»Hier herrschen Ruhe und Ordnung.«
»Yeah. Das war schon so, ehe Sie kamen, Dublin.«
»Vor allem, als Sie fort waren«, giftete der Sheriff.
»Kümmert mich nicht!«
»Ich will Sie nur darauf hinweisen, dass ich aus Kansas stamme und für Gesindel Ihrer Art nichts übrig …«
Der Revolverkolben Flanagans sauste krachend an die Schläfe des Sheriffs.
Jeff Dublin sackte in sich zusammen. Flanagan blickte sich um.
Drüben an der Rezeption standen zwei Farbige.
»Schafft ihn weg!«, rief der Schießer ihnen zu.
Zögernd kamen die Schwarzen heran!
»Weg!«, zischte Flanagan und ließ seinen Colt um den Mittelfinger rotieren, ehe er ihn zurück ins Halfter gleiten ließ.
Die Schwarzen sahen mit angstgeweiteten Augen auf die Schusswaffe und dann in das harte Gesicht des weißen Mannes.
Der ohnmächtige Sheriff wurde hinausgetragen.
Flanagan setzte sich wieder, kaute an seiner Zigarre herum und starrte vor sich hin.
Eine Viertelstunde später kamen zwei jüngere Männer in die Hotelhalle. Sie steuerten sofort auf den Schießer zu.
»He, Hal, wie geht’s?«
Flanagan sah die beiden an. Sein Gesicht blieb ausdruckslos. Er tat, als sähe er zwei Fremde. Dabei waren die beiden seine Freunde, mit denen er drüben in der alten Scheune vor vielen Jahren die Schulbank gedrückt hatte, mit denen er die ersten Kälber gestohlen und auch den großen Brand drüben in der Hillergasse gelegt hatte.
Wynn Hotter und Silk Vaugham waren inzwischen Männer geworden, vernünftige Männer. Der eine hatte einen Barbershop, und der andere arbeitete unten auf der großen Looney-Ranch. Ihre Jugendstreiche hatten sie längst vergessen. Nicht aber ihren alten Kameraden Hal Flanagan.
»Du bist zurückgekommen?«, fragte Hotter und rieb sich das Kinn. »Das ist fein, Hal. Wir haben uns fast ein halbes Jahr nicht gesehen. Inzwischen haben wir ein paarmal von dir gehört. Bist ja ein berühmter Mann geworden.«
»Yeah«, setzte Vaugham hinzu, »ich finde, die Stadt kann stolz auf dich sein!«
Flanagan blickte auf. »Was wollt ihr?« Die beiden sahen einander betreten an. »Wir dachten …«
»Haut ab!«, knurrte der Schießer.
Hotter wich erschrocken zurück.
»Ja, wenn du meinst, Hal. Natürlich wollen wir dich nicht belästigen. Komm, Silk. Dann wollen wir mal wieder Leine ziehen …«
Flanagan saß wieder allein.
Auch Butch Heather, der krummbeinige struppige Mann, der seit fünfzehn Jahren an der Ecke der Clovestreet die kleine Gazette für die Umgebung druckte, schob sich an seinen Tisch.
»Ah«, tat er überrascht, »wen sehe ich denn da? Das ist ja eine Freude! Flanagan! Wie geht’s, alter Freund?«
Er wollte dem Schießer kameradschaftlich auf die Schulter klopfen.
Der aber wich zur Seite. »Was wollen Sie?«, knurrte er auch den Zeitungsmann an.
Heather hatte plötzlich helle Angst in den kleinen von dunklen Ringen umgebenen Augen.
»Ich dachte nur …, ich habe einen großen Artikel gebracht, als Sie Cap Ronney in Santa Fé fertig gemacht haben. Panhandle-Man stoppt Falschspieler in Santa Fé. Ein Sohn unserer Stadt.«
»Halt’s Maul!«, unterbrach ihn der Schießer grob.
Von da an blieb es still um den eisigen Mann.
Bis neun Uhr.
Er wollte eben aufstehen, um auf sein Zimmer zu gehen, als sich die Tür der Halle öffnete und ein alter eisgrauer Mann hereinkam.
Er blinzelte unter buschigen Brauen durch den weiten Raum und kam dann an Flanagans Tisch.
Der Schießer blickte nicht auf.
Da bekam er plötzlich eine schallende Ohrfeige.
Wie von einer Viper gebissen schnellte er hoch, stieß den Colt vor – und hielt erschrocken inne.
Der alte Mann vor ihm blitzte ihn an. »Das war für die Ohrfeige, die du dem Sheriff gegeben hast! Hier steckst du also? Du Herumtreiber! Weshalb bist du nicht nach Hause gekommen? Müssen uns erst die Leute sagen, dass du in der Stadt bist?«
Flanagan ließ den Colt ins Halfter gleiten und setzte sich mit einem Ruck wieder hin.
»Los, komm mit!«, sagte der Alte rau.
Flanagan rührte sich nicht. Auf seiner linken Wange brannte ein roter Fleck.
Da stieß der Alte ihn an.
»Hör zu, Hal! – Dreihundert Yards von hier ist dein Elternhaus. Du hast es nicht nötig, hier wie ein Fremder zu hocken …«
»Lass mich!« Flanagan stieß den Vater zurück.
Die Augen des Alten blitzten.
»Deine Mutter wartet auf dich! Ev ist seit drei Monaten krank, sie will dich auch sehen. Und ich will auch mit dir sprechen, daheim.«
»Lass mich in Ruhe!«
Jack Flanagan legte seine zittrige Hand auf den Unterarm seines Sohnes.
»Hal«, sagte er mit brüchiger Stimme, »was du auch getan haben magst: Komm nach Hause.«
Da stieß Hal den Vater brutal zurück und fauchte: »Lasst mich zufrieden!«
Gebeugt und mit schleppendem Schritt verließ der Alte das Farewell-Hotel.
*
Und doch waren sie in Panhandle stolz auf Hal Flanagan.
Auf eine heimliche, verbotene Art.
Sie wussten ja, dass ein Revolvermann nicht die ungeteilte Achtung aller Menschen fand.
Aber Hal war ein ganz Großer. Und deshalb glaubten sie trotz allem, stolz auf ihn sein zu dürfen.
Er hatte Cap Ronney ausgelöscht. Oben in Santa Fé, inmitten von zahllosen Zeugen.
Und er hatte in Wichita Dave Bleasdale getroffen, mit einem einzigen Schuss ins Herz.
In der Zeitung hatte es gestanden.
Und Jim Donegan hatte die Nachricht außerdem noch mit der Overland hergebracht.
Aber er war anders geworden, seit er zurückgekommen war, dieser Hal Flanagan. Was war mit ihm los? Weshalb sprach er nicht einmal mehr mit seinem Vater und mit seiner kranken Schwester, die er früher doch so gernhatte?
Es gab niemanden in Panhandle, der ihn begriff …
Als er am nächsten Morgen beim ersten scheuen Sonnenstrahl, etwas vorgebeugt im Sattel sitzend, auf seinem Rappen durch die Mainstreet dem nördlichen Stadtausgang zuritt, standen sie hinter den Gardinen und sahen ihm nach, die Bürger von Panhandle.
Ihrem großen Hal Flanagan!
Auf den sie weiterhin stolz sein würden, weil es außer ihm nie einen Mann in der Stadt gegeben hatte, von dem die Leute in Abilene, Dodge City, Wichita und auch in Santa Fé sprachen …
*
Holyokes leichter Reisewagen hielt schon am Stadtausgang.
Unwillig sah der Holzhändler wie der Reiter ohne jede Eile herankam.
Flanagan hielt neben dem Wagen und blickte völlig uninteressiert in das Gesicht des Händlers, der seine Erregung nicht verbergen konnte.
Holyoke wischte sich über die Stirn. »Er heißt Chesterton, Jim Chesterton.« Flanagan nickte flüchtig.
»Wenn Sie die Sache hinter sich gebracht haben, können Sie sich bei mir in Lamar die anderen fünfhundert holen.«
»Das sagten Sie schon«, gab der Schießer zurück.
Holyoke nahm eine helle Zigarre aus einem großen Lederetui.
»Sie haben keinen Grund, spitz zu sein, Mister Flanagan. Es imponiert mir nicht, dass Sie einen alten Sheriff niederschlagen, mit niemandem sprechen, die Leute schikanieren, Ihren eigenen Vater zurückstoßen und so tun, als ging Sie Gott und die Welt nichts an.«
Ein verwunderter Zug flog über das ausdruckslose Gesicht des Texaners.
»Ich habe nicht verlangt, dass es Ihnen imponieren soll, Holyoke. Noch eine Frage: Weshalb soll der Mann sterben?«
»Meine Sache!«
Mit einer blitzschnellen Bewegung zog Flanagan die fünfhundert Dollar aus der Tasche und warf sie dem Händler ins Gesicht.
»Dann erledigen Sie sie auch selber.« Er wandte sein Pferd.
»Flanagan! Mister Flanagan!«
Holyoke sprang vom Wagen und rief keuchend hinter dem Reiter her.
»Flanagan! Mister Flanagan! Hören Sie, ich …, ich werde es Ihnen sagen!«
Der Schießer nahm den Zügel hoch. Sein Blick ruhte eisig in Holyokes Gesicht.
»Es ist so«, stieß der Händler hervor, »Jim Chesterton ist Sägemüller, der größte in der Gegend. Wir haben lange Jahre zusammengearbeitet. Und jetzt will er mich vernichten, weil …, weil …, es geht um Geld …«
»Das er von Ihnen bekommt!«, unterbrach Flanagan scharf.
Holyoke hatte fast all seine Überlegenheit verloren. Er schluckte und sagte leise, indem er auf seine Stiefelspitzen sah.
»Ja, so ist es.«
»Viel Geld?«
»Sehr viel.«
»Sie können es nicht aufbringen?«
»Nicht, ohne mich zu ruinieren.«
»Vielleicht wäre das besser!«, versetzte der Schießer rau.
Holyoke hob mit einem Ruck den Kopf.
»Nein, das werde ich nicht tun, Mister Flanagan. Das werde ich ganz bestimmt nicht tun. Eher erschieße ich ihn selber. Ich habe eine Frau geheiratet, die dreißig Jahre jünger ist als ich. Sie will etwas vom Leben haben …«
Flanagan nickte und grinste verächtlich. »All right! Geben Sie das Geld.«
Mit zitternden Händen reichte ihm Holyoke das Dollarbündel hoch.
Grußlos wandte der Revolvermann wieder sein Pferd und ritt nach Nordosten davon.
Ed Holyoke sah ihm mit brennenden Augen nach. Da hatte er es also doch geschafft, der verdammte Schießhund, ihn aus seiner Fassung zu bringen, ihn vom hohen Ross zu stoßen. Auf eine ganz kalte Manier, im letzten Augenblick.
Holyoke stieß einen Fluch aus. Und in dieser Minute belastete er sein Gewissen mit dem nächsten düsteren Vorsatz. Wenn Flanagan kam, um das restliche Geld abzuholen, würde er ihn töten. Es konnte nicht allzu schwer sein, da der Schießer sicher nicht damit rechnete.
Der Händler stand mitten auf der Straße, hinter seinem Wagen, er hatte die geballte Faust erhoben – und ließ sie plötzlich kraftlos wieder sinken.
Vielleicht würde es doch nicht so einfach sein?
Aber bis dahin hatte er ja noch eine Menge Zeit. Wenn Chesterton tot war, konnte er freier atmen. Dann würde alles anders aussehen. Da er nichts unterschrieben hatte, wusste niemand von der Schuld, die er bei Chesterton hatte. Es war Geld gewesen, dass ihm der einstige Freund auf Treu und Glauben geliehen hatte. Zwölftausend Dollar. Vor fünf Jahren. Am 1. Oktober war die Rückzahlungsfrist verstrichen.
Dann würde Chesterton kommen und das Geld haben wollen.
Holyoke hatte das Geld. Es lag auf der Bank in Lamar.
Sogar fünfzehntausend –, aber er würde sie nicht anrühren. Wie ein Hund hatte er in all den Jahren dafür geschuftet, wie ein Strafgefangener. Nichts hatte er sich gegönnt, um ihretwillen, und sie hatte ihn erhört, die schöne Jenny Walker. Seit fast einem Jahr war sie seine Frau, hatte einen glühenden Sonnenschein über sein bis dahin hartes und arbeitsreiches Leben geworfen …
Dass sie kalt war, berechnend und egoistisch, das wollte der Mann nicht sehen. Und dass sie es war, die ihn auf die Fährte Hal Flanagans geschickt hatte, wollte er auch nicht wissen. Sicher, sie hatte das nicht etwa gesagt – sie wusste ja nichts von seiner Schuld an Chesterton. Aber ihre Art, ihr Wesen gebot ihm, so zu handeln. Wenn er die Zwölftausend von der Bank genommen hätte, wäre er nicht mehr der Mann gewesen, der er in ihren Augen sein musste, um vor ihr bestehen zu können.
Holyoke wankte auf den Wagen zu, zog sich hinauf und nahm die Zügelleine auf.
Die beiden schnellbeinigen Füchse setzten sich in Bewegung.
*
Hal Flanagan hatte die gewaltige Strecke über den Canadian hinüber nach Missouri in verhältnismäßig kurzer Zeit überwunden. Er war als Texaner weite Ritte gewohnt, es machte ihm nichts aus.
Die Tagesstrecken waren so lang gewesen, dass der Rappe, als Flanagan in Joplin einritt, dem Zusammenbrechen nahe war.
Der rigorose Mann scherte sich nicht darum.
Vor einem Mietstall rutschte er aus dem Sattel.
Pat Owens, der Mietstallbesitzer, wischte seine Hände an der grünen Schürze ab, legte das Hornmesser aus der Hand und schob den Braunen, dessen Hufhorn er soeben bearbeitet hatte, knurrend zur Seite.
Dann sah er Flanagans Pferd.
Pat Owens war seit dreißig Jahren in diesem Land. Er hatte vielerlei Pferde gesehen in dieser langen Zeit. Aber noch niemals einen so abgetriebenen Gaul.
Dann erst warf er einen Blick auf den Reiter, und er erschrak.
Welch ein Gesicht!
Owens hatte bisher geglaubt, jede Gattung von Mensch gesehen zu haben. Aber das kalkige Gesicht, das ihm da entgegenstarrte, bestürzte ihn zutiefst.
Flanagan öffnete die Lippen. »Was kriege ich für den Gaul?«
Der Mietstallbesitzer sah trotz des traurigen Zustandes, in dem sich der Rappe befand, dass es ein gutes Pferd war, wusste aber auch, dass er die Spuren der ausgestandenen Strapazen vielleicht nie wieder aus dem Tier herausbekommen würde.
»Zwanzig«, sagte er, und es war ein anständiger Preis für einen so abgetriebenen Klepper.
Flanagan sagte hart: »Dreißig!«
Owens wusste nicht, was ihn dazu brachte, zu nicken. Er wandte sich um und ging ins Haus.
»Bleiben Sie, ich brauche ein neues Pferd!«, rief ihm der Texaner nach.
Owens blieb einen Augenblick unschlüssig stehen, dann ging er auf den Stall zu.
Flanagan folgte ihm. Bei einem Grauschimmel hielt er inne.
In diesem Augenblick wusste Owens, dass der Mann wirklich etwas von Pferden verstand: Dieser Graue war das beste Tier im ganzen Stall. Und doch sah man es ihm nicht an. Das heißt, selbst ein guter Pferdekenner hätte einiger Minuten bedurft, um die Vorzüge dieses Tieres festzustellen.
Der Mann mit dem weißen Hut deutete mit der behandschuhten Rechten auf das Pferd.
»Wie viel?«
»Hundertfünfzig.«
Flanagan zuckte unmerklich zusammen.
»Sind Sie verrückt?«
Owens hustete.
»Sie kommen aus Texas, Mister. Da sind die Pferde billiger. Aber ein solches Tier bekommen Sie nirgends geschenkt.«
Flanagan krächzte: »Wer will es geschenkt? Neunzig, mit den dreißig!«
Owens schüttelte den Kopf.
»Sie können Ihren Gaul wieder mitnehmen, Mister. Ich habe keinen Grund, meine Tiere zu verschenken. Ich habe Ihnen mit dreißig für Ihren Klepper schon ein Geschenk gemacht. Und jetzt soll ich mein bestes Pferd dazu verschleudern?«
Da trat Flanagan ganz nahe an den Händler heran.
»Neunzig«, sagte er bedrohlich leise.
Owens schluckte. »Es geht nicht, Mister. Die Pferde sind mein ganzes Kapital. Der Graue ist doch noch unter Brüdern hundertachtzig wert, Sie wissen es selbst.«
Flanagans Gesicht erstarrte zur Maske.
Nur der Unterkiefer bewegte sich, als er jetzt sagte: »Good, schicken Sie mir die dreißig Dollar ins Hotel rüber. Ich kaufe mir anderwärts ein Pferd.«
Danach wandte er sich um und ging auf das Hoftor zu.
Pat Owens rief ihm nach: »Ihr Name, Mister …«
Der Texaner blieb stehen und wandte sich langsam um.
»Flanagan, Hal Flanagan aus Panhandle!«
Patrick Owens stand da wie angewurzelt und starrte auf den weißen Hut des Fremden.
Flanagan? Hal Flanagan? Sollte das vielleicht der berüchtigte Schießer aus Texas sein, der drüben in Wichita Dave Bleasdale erschossen hatte, den gefährlichen Bleasdale, den eine halbe Schwadron Blauröcke monatelang gejagt und nicht gestellt hatte? Sollte es derselbe Hal Flanagan sein, von dem erst vor wenigen Monaten die Rede war, als er drüben in Santa Fé Cap Ronney getötet hatte?
Der Mann mit dem weißen Hut! Plötzlich fiel es dem Händler wieder ein. Wie ein Paukenschlag hämmerte es in seinem Hirn. Der Mann mit dem weißen Hut, so hatte es ja auch in der Gazette gestanden!
Pat Owens schluckte, dann sagte er heiser: »Es ist gut, Mister Flanagan: Neunzig Dollar.«
Der Schießer kam langsam zurück, schnallte seinem Rappen den Sattel ab, gab dem abgetriebenen Tier in herzloser Weise einen Tritt, dass es schmerzlich aufwieherte, und dann legte er dem Grauen den Sattel auf. Anschließend zählte er dem an allen Gliedern zitternden Händler neunzig Dollar hin, zog sich in den Sattel und ritt aus dem Tor hinaus.
Als Pat Owens sich in Bewegung setzte und zum Tor rannte, sah er den Texaner weit oben in der Straße reiten.
Jim Chestertons Sägemühle lag am Rande der Stadt. Es waren fünf große Bauten, in denen eine Menge Leute beschäftigt waren.
Flanagan warf einen prüfenden Blick auf die Häuser, die eine vorübergehende Frau ihm als die Chesterton-Sägerei bezeichnet hatte.
Es war nur ein kurzer Blick, den der Schießer den Häusern jedes Mannes widmete, dessen Leben er auslöschen sollte.
Dann machte er kehrt und mietete sich im Boardinghouse von Lewt Brighton ein.
Der blonde Bursche vorn an der Rezeption hätte vor Schreck fast den Federhalter und das Gästebuch fallen lassen, als er die Eintragung las. Ganz deutlich stand es da in großen, etwas starren, steilen Buchstaben: Hal Flanagan, aus Panhandle, Texas.
»Kümmern Sie sich um mein Pferd!«, rief der Schießer dem Burschen zu.
»Yeah – Mister Flanagan. Selbstverständlich.«
Während der Revolvermann sich oben im Zimmer auf seinen Stuhl fallen ließ und die staubigen Stiefel von sich streckte, rannte die Nachricht wie ein Lauffeuer durch die Stadt: Hal Flanagan ist da! Big Hal Flanagan aus Texas! Er wohnt in Brightons Boardinghouse!
Und der Texaner wusste, dass es so war. Es musste so laufen, das gehörte zu seinem Job. Das, was er jetzt gesät hatte, war die Angst. Sie würde sich über Nacht in die Herzen der Menschen hineinfressen. Es war jetzt ein Mann unter ihnen, dessen Name sie fast alle kannten. Und die ihn noch nicht gekannt hatten, würden ihn morgen früh sicher kennen. Es war einer da, der durch seinen Colt bekannt geworden war. Ein Revolvermann. Ein Mann, der davon lebte, dass er schneller war als der, den er töten sollte.
Eine festgefressene seltsame Auffassung des Gesetzes gestattete einem solchen Menschen sein makabres Handwerk. Eine starre und primitive Auffassung, die zurück ins Mittelalter gehörte: Wenn der Schießer einen Mann töten wollte, forderte er ihn zum Duell heraus. Dies geschah nur durch den Ruf »Zieh!« Zog der andere, um sich zu verteidigen, schoss der Revolvermann, und zwar ehe der Gegner abdrückte. Nur diese kurze Zeitspanne war sein Risiko. Wenn einmal einer schneller zog und abdrückte als er selbst und dazu auch noch traf, war die Laufbahn des Revolvermannes beendet.
Das geradezu Irrsinnige an diesem so genannten Duell war die Tatsache, dass der Schießer, der ja vom Töten lebte, nicht als Mörder angesehen wurde, wenn er den Menschen, den er doch bewusst vernichten wollte, getötet hatte …
Aber das war das ungeschriebene Gesetz des Westens, das allenthalben strengste Beachtung fand. Wenngleich der Schießer ob seines blutigen Handwerks auch verachtet wurde, gemieden wie eine Seuche – so hatte doch niemand das Recht, ihn als Gesetzesübertreter anzusehen oder gar zu behandeln. Diese verkrampfte, ja geradezu widersinnige Auffassung hatte manchem braven Menschen im alten Westen das Leben gekostet.
Es gab ja noch eine Chance für den Geforderten: Er konnte den Colt stecken lassen. Er brauchte nicht zu ziehen. Aber wie stand er dann da? In einem Land, wo der Colt zum Mann gehörte und wo sich der Mann so wenig davon trennte wie von seinem Sattel? Er war blamiert, fertig, unmöglich – und zudem gab der Schießer ja nicht auf – er folgte ihm so lange, bis dem so Gequälten die Galle überlief und er zum Colt griff. Dann war er noch sicherer das Opfer des Töters.
Es kam öfter vor, dass ein Schießer in die Stadt kam. Immer gab es Menschen, die einen Vertreter dieses Gewerbes für einen anderen Menschen kauften, dem sie den Tod wünschten. Aber noch nie war in der kleinen Missouristadt Joplin ein Revolvermann gewesen, der einen so gefürchteten Namen trug wie der Texaner Hal Flanagan.
Es lief alles planmäßig.
Während Flanagan friedlich und traumlos in seinem Hotelbett schlief, fraß sich die Angst durch die Stadt, kroch durch Türschlitze in die Häuser, verbreitete Schrecken und Ruhelosigkeit.
Wer hatte ihn bestellt?
Für wen?
Für mich?
Drei bange Fragen, von denen die letzte die furchtbarste war.
Und hatte nicht jeder, der hier in der Western-Stadt um sein Dasein kämpfte, irgendwann einmal etwas getan, wofür er so einen Schießer erwarten konnte?
Die meisten ganz sicher.
Die Zeit war zu rau gewesen und das Land zu wild, als dass man in friedlicher Regelmäßigkeit sein Leben hätte hier aufbauen können.
Es hatte bei fast jedem Mann in der Stadt irgendwann Punkte gegeben, die er gern von seinem Gewissen gewischt hätte.
Vor allem jetzt in dieser Stunde.
In dieser Nacht!
Dinge, die längst in Vergessenheit geraten waren, tauchten plötzlich wieder auf. Wer hat ihn mir geschickt?
Und auf einmal fand jeder einen anderen, dem er es zutrauen würde, dass er ihm den Schießer auf den Hals geschickt hatte.
Nur ein Mann lebte in der Stadt, der in dieser Nacht sorglos zur Ruhe ging. Das war der weißhaarige Sägerei-Besitzer Jim Chesterton.
Er war der Einzige, der keine Sorgen hatte – weil er nie einem Menschen wehgetan hatte. Und weil er das ganz genau wusste.
Chesterton legte sich, müde vom Tagewerk, zur Ruhe und stand erholt in der Frühe des nächsten Morgens auf.
Als er um sieben Uhr in den Hof kam, wo seine Arbeiter schon beschäftigt waren, sah er den Mann mit dem weißen Hut ins Tor reiten.
Zahllose Augenpaare in der Mainstreet waren dem Schießer auf seinem Weg gefolgt.
Die Arbeiter in der Sägerei schraken hoch.
Jim Chesterton zog die Brauen zusammen. Plötzlich fiel ihm die Sache ein, die gestern Abend Greg Fuller erzählt hatte: Ein bekannter Revolvermann war in die Stadt gekommen. Er sollte einen weißen Hut tragen …
Chesterton kam näher.
Da rutschte der Fremde aus dem Sattel, machte zwei Schritte zur Seite und blieb stehen. Ganz kalt und ruhig, so, als tue er jeden Tag das Gleiche. Die behandschuhten Hände hingen steif neben den Revolverkolben.
»Chesterton!« Hohl klang der Ruf über den Hof.
Der weißhaarige Mann blieb stehen. Und der Schießer senkte den Kopf.
»Jim Chesterton, ich bin Hal Flanagan aus Texas!«
Der greise Sägemüller öffnete den Mund.
»Ja, Mister Flanagan, was führt Sie zu mir?«
Eine heisere Lache bellte über den Hof. Der Revolvermann stieß den Kopf jäh vor.
»Ich bin deinetwegen gekommen, Chesterton!«
Die Arbeiter rührten sich nicht. Ganz steif standen sie da, wie angewurzelt vor Schreck.
Chesterton kam langsam einige Schritte näher.
»Bleib stehen!«, herrschte der Schießer ihn an.
Unwillkürlich verhielt der Mann den Schritt.
»Ich verstehe nicht, was wollen Sie von mir.«
Die völlige Harmlosigkeit des alten Mannes irritierte den Revolvermann. Trotzdem schnarrte er: »Zieh deinen Colt, Chesterton!«
Der Sägemüller wischte sich mit der Rechten fahrig über die Stirn. Er begriff das alles tatsächlich nicht. Was wollte dieser Mann von ihm, der doch wirklich keinen Feind hatte.
Wie war das überhaupt? Da drüben, etwa noch neun Yards entfernt, stand ein Mann mit einem weißen Hut, kalkigem Gesicht und harten grauen Augen. Und er hatte gerufen: Zieh deinen Colt, Chesterton!
Die Brust des alten Mannes hob und senkte sich hastig.
»Ich …, ich habe keinen Revolver bei mir«, stieß er mit belegter Stimme hervor.
Da zog Flanagan aus seinem linken Halfter den Colt, nahm ihn hoch, deutete auf eine winzige Fensterscheibe in etwa fünfzehn Yards Entfernung oben am Hausgiebel.
»Pass auf, Chesterton!«
Der Schuss krachte.
Das kleine Fensterglas zersprang klirrend.
Chesterton begriff das nicht.
Da warf ihm der Texaner den Revolver zu.
»Es sind noch vier Patronen drin! Und dass der Colt schießt, hast du ja gesehen. Heb ihn auf!«
Der Sägemüller blickte den Fremden entgeistert an. Dann sah er auf den Colt.
»Heb ihn auf!«, rief Flanagan noch einmal.
Chesterton starrte reglos auf die Waffe. »Du sollst ihn aufheben!«, schrie der Schießer.
Der alte Mann spürte, dass ihm plötzlich der Schweiß vom Nacken hinunter über den Rücken rann. Seine Beine zitterten, er glaubte, er müsse schwanken.
Wie in Trance bückte er sich und hob den schweren Revolver auf.
»Sieh nach, ob die anderen Trommelkammern noch gefüllt sind!«
Chesterton hob den Colt und ließ die Trommel mechanisch rotieren, man sah, dass er es noch nicht oft getan hatte.
»Lass den Arm sinken, so, dass der Lauf auf die Erde zeigt!«, gebot der Texaner.
Mechanisch führte der greise Mann auch diesen Befehl aus.
Ein scharfer Beobachter konnte unschwer aus der Art, in der der Revolvermann diese Befehle gab, heraushören, dass Flanagan diese Dinge gewohnt war. Sicher hatte es vor Jim Chesterton schon andere Männer gegeben, die das Gleiche hatten durchmachen müssen, die auch keinen Colt an der Hüfte trugen. Und die auch nicht sonderlich geschickt im Umgang mit Schusswaffen waren.
Aber jetzt war es der neunundfünfzigjährige Sägemüller Jim Chesterton, der an der Reihe war. Völlig verstört, fassungslos, immer noch nicht begreifend, was ihm widerfuhr, hob er den Kopf und sah den Revolvermann an. Seine Augen schienen aus den Höhlen treten zu wollen, sein Mund stand offen. Sein ganzer Körper war schweißnass.
»Du bist im Vorteil!«, rief der Texaner. »Du brauchst den Colt nur zu heben. Ich muss ihn erst ziehen.«
Mary, schoss es durch den Kopf des Sägemüllers. Mary –! Sie sitzt drüben im Haus hinter der Werkstatt und weiß von nichts. Sie ahnt nicht, was hier geschieht. Sie sitzt vielleicht in der Küche über dem Salat für das Mittagessen, während ich hier in den Staub falle, mit einem glühenden Stück Blei in der Brust.
»Mister …«
»Flanagan!«, sagte der Schießer rau. »Was gibt’s noch?«
»Mister Flanagan!«, stotterte Chesterton. »Ich verstehe das alles nicht! Was soll das bedeuten? Es ist doch nicht Ihr Ernst …«
»Es ist tödlicher Ernst, Chesterton!«
»Wie sprechen Sie mit mir? Ich habe Ihnen niemals etwas getan, das Sie berechtigt, mich so verächtlich zu behandeln. Sie sind also ein Mann, den einer hergeschickt hat. Ich weiß nicht, wer das sein könnte …«
Chesterton schnappte nach Luft. Bloß jetzt nicht schlappmachen! Er fühlte, wie sein Herz wild in der Brust hämmerte und wie es in seinem Schädel dröhnte, als er die kalten Augen des Schießers vor sich sah. Nur bei klarem Kopf bleiben! Nur das konnte ihn vor diesem berufsmäßigen Mörder retten. Hier gab es keinen Mann, der ihm sonst hätte beistehen können.
Jack, ja – einen Augenblick dachte der alte Mann an seinen Sohn, der vor vier Jahren im Kampf gegen die Texaner gefallen war. Im großen Kriege. Ach, Jack war ein großer und starker Mann gewesen, und er hätte bestimmt nicht gezögert, den Vater gegen diesen vertierten Menschen da zu verteidigen.
»Ich rufe: Zieh! Dann nimmst du den Colt hoch und schießt, Chesterton!«, befahl der Texaner.
Der Sägemüller machte einen hilflosen Schritt nach vorn. Seine letzte Minute hatte begonnen, er fühlte es. Er wusste plötzlich genau, dass sein Leben zu Ende war. Jäh und deutlich stand es vor seinem Bewusstsein.
Tausend verrückte Gedanken durchgeisterten sein Hirn. Es musste doch jetzt dunkel werden, stockfinster, damit er mich nicht mehr sieht! Ein Blitz muss aus heiterem Morgenhimmel niederfahren und diesen furchtbaren Spuk wegfegen.
Der Sheriff müsste kommen, und … Der Sheriff!
Letzter Rettungsgedanke eines gequälten Hirns.
Chesterton wandte sich zur Seite, blickte da hin, wo neben dem Tor zur großen Werkstatt mit bleichen bangen Gesichtern seine Arbeiter standen.
»Holt den Sheriff! Schnell, holt doch den Sheriff!«
Die Männer rührten sich nicht. Sie waren keine Helden und keine Selbstmörder. Alle hatten sie Kinder daheim.
Natürlich, es gab keinen unter ihnen, der dem Boss das Unglück gewünscht hätte. Im Gegenteil, es gab auch keinen unter ihnen, der Jim Chesterton nicht zu Dank verpflichtet war. Er war ein außergewöhnlicher Mann, der Boss, und hatte mit offener Hand geholfen, wo er helfen konnte. Daran gab es nichts zu rütteln.
Aber weshalb war der Revolvermann aus Texas gekommen?
Wer hatte ihn geschickt?
Da musste es doch irgendwo einen Menschen geben, der dem Boss nicht wohl wollte, der ihn hasste, seinen Tod wünschte und sogar so sehnlich herbeiwünschte, dass er den berüchtigten Schießer Flanagan aus Texas herbestellt hatte!
Sollte es im Leben des angesehenen Jim Chesterton also auch einen dunklen Punkt geben?
Es musste so sein!
Aus reiner Schießwut war der Texaner nicht hergekommen, um Chesterton zu fordern. Denn dass der weißhaarige Sägerei-Besitzer kein Revolverschütze war, das wusste jeder.
Aber jetzt, in dieser bitteren Stunde, hatten sie alle vergessen, dass er ihr Wohltäter war, der unglückliche Mann, der da mit wachsbleichem Gesicht stand und nach dem Sheriff rief.
Ein Mensch bat in höchster Not um Hilfe.
Die Männer mühten sich an ihm vorbeizusehen, auf die Erde, auf den festgestampften braunen Boden des Hofes.
In dieser letzten Minute war Jim Chesterton der einsamste Mensch der Welt. Er starrte mit glasigen Augen und offenen Lippen zu seinen Leuten hinüber.
Keinen Ton brachte er mehr durch die würgend zugeschnürte Kehle.
Sie hatten ihn verlassen.
Es war Hal Flanagans raue Stimme, die den Unglücklichen aus seinem betäubungsähnlichen Zustand in die grausame Wirklichkeit riss.
»Chesterton, sieh hierher! Ich stehe hier!«
Da wankte der unglückliche Mann mit dem weißen Haar und den schlotternden Beinen einen Schritt zur Seite.
»Ich …, kann nicht … Ich kann …«
Niemand verstand seine Worte. Es war nur ein zusammenhangloses heiseres Gegurgel, ein Röcheln fast.
»Du sollst stehen bleiben, Chesterton! Ich stehe hier. Keine unfairen Bewegungen und Finten. Hier wird ein Duell ausgetragen.«
Chesterton ließ den Kopf auf die Brust fallen. Er war bleischwer, sein Kopf, eine Zentnerlast schien ihn nach unten zu ziehen. Es rauschte in seinen Ohren, und das Herz hatte sein wildes Hämmern jäh eingestellt.
»Zieh!«, brüllte der Texaner in diese grausame Sekunde.
Chesterton rührte sich nicht.
»Zieh endlich, du Feigling!«, schrie der Schießer.
Die Männer vor dem Werkstatttor starrten auf den Mann, der bis vor wenigen Minuten noch ihr verehrter Boss gewesen war, der ihr Leben, ihr Glück und ihre Sicherheit bedeutet hatte. Einige unter ihnen, vor allem die Jüngeren, fanden jetzt, dass er sich tatsächlich wie ein Feigling benahm.
Sie ahnten ja nicht, was in dem unglücklichen Mann vorging, der kaum in seinem Leben eine Schusswaffe in seiner Hand gehabt hatte.
Niemand ahnte es.
Nur Sekunden bevor diese fürchterliche Minute abgelaufen war, schob sich ein graubärtiger Hüne aus der Mauer der Männer vor. Er machte nur einen Schritt. Dann warf er den Kopf hoch. Sein Gesicht war aschfahl. »Flanagan!«, sagte er heiser und hohl. »Lassen Sie ihn bitte …«
Da geschah es.
Jim Chesterton brach jäh nach vorn in die Knie, fiel mit dem Gesicht hart und schwer in den Staub.
Er hatte Hal Flanagans Colt noch in der Hand, die hatte sich um die Schusswaffe gekrampft.
Im Hof herrschte eisiges Schweigen.
Da setzte sich der Graubärtige in Bewegung.
»Bleib stehen!«, bellte Flanagan ihn an.
Aber der Säge-Meister Joe Cramer kümmerte sich nicht mehr um den Texaner. Er ging weiter.
Und das rechneten ihm die Arbeiter hoch an, sie würden es nie vergessen.
Cramer ging auf seinen zusammengebrochenen Boss zu, kniete neben ihm nieder, wälzte ihn auf den Rücken und sah in sein Gesicht. Nur einen Augenblick, dann erhob er sich wieder, warf dem Texaner einen hasserfüllten Blick zu und wandte sich dann an die Arbeiter.
»Er ist tot.«
Es waren nur drei Worte, aber sie fielen wie Kanonenschläge in die Gemüter der Männer.
Und drüben setzte sich Hal Flanagan jetzt in Bewegung. Mit hölzernen Schritten kam er näher. Vor dem reglosen Körper Chestertons blieb er stehen und warf nur einen kurzen Blick in sein Gesicht. Dann bückte er sich, riss dem Toten mit einem brutalen Griff den Revolver aus der starren Hand, steckte ihn ins linke Halfter, wandte sich um und ging zu seinem Pferd. Mit seltsam eckigen Bewegungen zog er sich in den Sattel und ritt aus dem Hof. Es waren kaum fünf Minuten vergangen, seit er gekommen war. Und doch hatte sich hier inzwischen eine Tragödie abgespielt.
Jim Chesterton war tot. Sein Herz hatte versagt, hatte ihm die Kugel erspart, die ihm der gefühllose Texaner zweifellos ins Leben geschickt hätte.
Was der Revolvermann zurückgelassen hatte, war kaltes Entsetzen. Eine Gruppe von Menschen, die das Scheußlichste erlebt hatte, was in diesem Land zu erleben war.
Und doch war es nur ein kleines Glied in der Kette von Grausamkeiten gewesen, die der Revolvermann Flanagan schon hinter sich zurückgelassen hatte.
Als er die Straße erreichte, seinen breiten Rücken dem Hof zukehrte, sprang ein rothaariger Bursche vor, riss seinen Colt hoch und spürte die harte Faust Joe Cramers, die ihm die Waffe aus der Hand hieb.
»Jetzt nicht mehr, Tim! Jetzt ist es zu spät …«
*
Der Texaner ritt aus der Stadt hinaus.
Es scherte ihn nicht, dass er seinem Namen in dieser Stunde einen noch dunkleren Klang, eine noch sprödere Färbung gegeben hatte.
Wie ein Wirbelwind durcheilte die Botschaft das Land. Sie eilte von der Stadt Joplin in alle Himmelsrichtungen – und sie drang auch in die kleine Missouri-Stadt Lamar.
Im großen Salon eines prächtigen, ziemlich neuen Hauses mitten in der Mainstreet von Lamar saß ein schwerer Mann mit rotem aufgedunsenem Gesicht und hervorquellenden Froschaugen hinter einem massiv eichenen Schreibtisch. Er hatte seine feisten roten Hände vor sich auf der Tischplatte liegen und starrte auf ein Zeitungsblatt.
Die schwarzen Lettern tanzten vor seinen Augen.
Da stand es ganz deutlich und klar: Sägemüller Chesterton im Duell mit Hal Flanagan umgekommen!
Holyoke lehnte sich in seinen Ledersessel zurück, steckte sich eine große helle Zigarre an und blies genießerisch kleine blaue Rauchwolken gegen die Decke.
Er war also tot, der Gegner, der Feind! Der Mann, der ihm mit der Schuldforderung den Hals abschnüren wollte.
Ed Holyoke dachte nicht einen Augenblick daran, dass Chesterton bisher nicht den leisesten Versuch gemacht hatte, ihn an die alte Schuld zu erinnern. Nie hatte der Sägemüller den Freund an das Geld gemahnt.
Jetzt war er tot – und mit ihm die Schuld.
Holyoke wischte sich mit dem Handrücken übers Kinn und hatte ein hohnvolles kleines Lachen in den Augenwinkeln stehen.
Gut gelaunt erhob er sich, nahm im Korridor seinen Melbahut von der Garderobe und ging hinaus.
Vor der Tür kam ihm eine bildhübsche junge Frau entgegen. Sie trug ein rosafarbenes Kleid, das vom Gürtel ab in einer weiten, faltenreichen Glocke bis zum Boden fiel. Der ebenfalls rosafarbene Biedermeierhut hob ihr puppiges Kindergesicht noch mehr hervor. Aber es schien nur ein Kindergesicht zu sein, bei näherem Hinsehen waren der wissende Zug um den Mund und das kalte Leuchten in den Augen deutlich zu erkennen.
Holyoke stand wie verzückt da und sah seine junge Frau an.
»Jenny, mein Gold, mein Engel – du kommst schon zurück? Geht es deiner Mutter besser?«
»Doch, ja«, sagte die Frau mit einer seltsam harten Stimme und schob sich an dem schweren Mann vorbei ins Haus.
Der Holzhändler blickte ihr wohlgefällig nach. Dann steckte er die Daumen in die Ausschnitte seiner zitronengelben Weste und ging über den breiten Vorbau auf die Treppe zu, die hinunter zur Straße führte.
Jäh verhielt er seinen Schritt.
Drüben vor dem Marshal-Office stand ein hochgewachsener dunkelhaariger Mann mit breiten Schultern, schmalen Hüften und tiefbraunem ernstem Gesicht. Er trug ein weißes Hemd, eine Samtbandkrawatte, eine offene schwarze Weste und schwarze Levishosen, die unten über die Kurzschäfte der hochhackigen Stiefel liefen.
Auf der linken Westenseite blitzte der fünfzackige Stern im silbernen Kreis.
Dieser Mann war der junge Constabler Wyatt Earp. Er war seit einiger Zeit im Marshal-Office als Hilfspolizist eingestellt. Sein Vater hatte im Norden vor der Stadt eine kleine Farm, auf der die drei Brüder Wyatts arbeiteten.
Holyoke fühlte den Blick der tiefblauen Augen des jungen Mannes in seinem Gesicht. Und plötzlich wusste er, dass er Angst vor diesem Blick hatte. Er wusste, dass er den Constabler Earp nicht leiden konnte, dass er ihn von dem Tag an, an dem der ihn drüben in der Sägerei davon abgehalten hatte, einen dunkelhäutigen Arbeiter halb tot zu schlagen, geradezu hasste.
Und jetzt stand er da, mit gespreizten Beinen und über der Brust verschränkten Armen, und sah unverwandt zu ihm herüber.
Holyoke hatte kein gutes Gefühl bei diesem Blick. Weshalb sah ihn der Kerl so an? Was wollte er?
Und dann fiel dem Händler plötzlich Jim Chesterton ein, der Freund, den er von einem texanischen Schießer hatte ermorden lassen.
Ermorden?
Wer wollte es Mord nennen? Es war ein faires Duell. Jawohl, ein faires Duell. Es sollte ihm einmal jemand sagen, es sei seine Schuld, dass Chesterton tot war!
Aber da war ja noch der Revolvermann!
Er wusste von allem. Und er hatte ja auch den Grund erfahren, weshalb Jim Chesterton hatte sterben müssen.
Holyoke sah immer noch die Augen des Constablers auf sich gerichtet. Nein, er würde sicher nicht wegsehen, nicht den Kopf heben und davongehen. Er war ein Fuchs, der alte Edward Sefton Holyoke. Er war gerissen genug, es nicht sinnloserweise mit der Polizei zu verderben. Schließlich konnte ihm der Constabler nur schaden, wenn er sein Feind war.
Holyoke verließ pfeifend den Vorbau und überquerte die Straße.
Er hielt direkt auf Wyatt Earp zu.
Vor der Treppe, die zu dem schmalen Vorbau des Marshal-Offices hinaufführte, blieb er stehen und sagte, ohne die Zigarre aus dem Mund zu nehmen: »Wie geht’s, Wyatt?«
Der Constabler bewegte den Kopf nicht.
»Danke«, sagte er halblaut.
Und nun war das Unbehagen, das Holyoke beim Blick des Hilfs-Marshals empfand, so stark, dass er sich doch weiterwandte. Schon halb der Straße zugekehrt, vernahm er die Stimme des Constablers hinter sich: »Haben Sie schon gehört, dass Ihr Freund Chesterton aus Joplin tot ist?« Holyoke blieb wie angewurzelt stehen.
Sollte der Constabler etwa wissen …? Ausgeschlossen! Es war ein purer Zufall, dass er nach Chesterton fragte. Schließlich wussten eine Menge Leute in Lamar, dass er Chesterton kannte. Man hatte sich in den verflossenen fünf Jahren hin und wieder einmal gegenseitig besucht. Da war es nur erklärlich, dass in der kleinen Stadt, in der nicht allzu viel passierte, ein Mann wie der reiche Sägereibesitzer Chesterton, der mit einem eleganten Reisewagen und zwei Schimmeln gekommen war, hier auffiel.
»Yeah, ich weiß es«, entgegnete der Händler dumpf. »Er ist im Duell von Hal Flanagan erschossen worden.«
Wyatt Earp nahm eine schwarze Zigarre oben aus der Westentasche, riss ein Zündholz an einem der Vorbaupfosten an und sagte: »Er ist nicht erschossen worden.« Holyoke fuhr herum. Aus weit offenen Augen blickte er den Constabler an. »Was sagen Sie da?«, stieß er hervor. Wyatts Gesicht war hinter einer Tabakwolke verschwunden.
Da stürmte Holyoke auf die Treppe zu, hastete auf den Vorbau und suchte mit halb geschlossenen Augen den Tabaknebel zu durchdringen, um das Gesicht des Constablers zu erkennen.
»Was haben Sie da gesagt, Earp – er ist nicht tot?«
Die Hände des Holzhändlers waren auf einmal schweißnass. Schweiß stand auch in großen Perlen auf seiner Stirn.
Chesterton war nicht tot?
Es war alles gar nicht wahr!
Der Zeitungsbericht eine gemeine Lüge!
»Aber …«, stammelte der schwere Mann und rang nach Atem, »wie ist denn das möglich?«
Seine Linke tastete über die gelbe Weste zum Herzen.
Wyatt wischte den Rauch mit einer schnellen Handbewegung zur Seite.
»Es sieht fast so aus, als seien Sie erschrocken darüber, dass er noch leben könnte«, sagte er halblaut.
Holyokes Kopf flog hoch.
»Was soll das heißen!«, stieß er heiser hervor. »Was meinen Sie damit, Earp! He?«
Wyatt lehnte sich gelassen gegen den Vorbaupfosten.
»Sie können beruhigt sein: Chesterton ist tot.«
»Aber Sie haben doch gesagt …«
»Ich habe gesagt: Er ist nicht erschossen worden!«, unterbrach ihn Wyatt schnell.
Holyoke senkte den Kopf. Seine Augen waren rot gerändert, und sein Mund mit den wulstigen, aufgeworfenen Lippen stand offen.
»Er ist aber tot –?«
»Yeah. Er hat einen Herzschlag bekommen, als Flanagan mit dem Revolver vor ihm stand!«
»Ah –!« Holyoke nickte ein paarmal, ohne den Mund zu schließen, und dann war da plötzlich ein teuflischer Gedanke in seinem Hirn.
»Das ist doch Mord! Nicht wahr? Das muss doch bestraft werden. Flanagan hat den alten Mann zu Tode erschreckt. Er ist also schuld an seinem Tod. Dafür muss er doch bestraft werden, gehängt werden muss er! Nicht wahr?«
Das Gesicht des feisten Mannes war plötzlich puterrot, die Adern an seinen Schläfen schwollen bedrohlich an.
»Gehängt werden muss er, dieser Mörder! Gehängt …«
Er rannte über die Straße davon auf den »Little Joe Saloon« zu.
Es war noch ziemlich früh am Vormittag, und trotzdem saßen schon eine Menge Leute im Schenkraum an den Tischen, spielten Poker und unterhielten sich.
Holyoke stürmte an den Schenktisch. »Eine Flasche!«
Ehe er das volle Glas an den Mund setzte, dachte er einen Sekundenbruchteil an Jenny. Er hatte ihr versprochen, dass er nicht mehr trinken wolle.
Aber dieses Versprechen musste er jetzt brechen: Es war etwas geschehen, das ihn völlig durcheinandergebracht hatte. Jim Chesterton war am Herzschlag gestorben!
Flanagan hatte ihn nicht erschossen.
Aber Flanagan wusste um die Schuld, er wusste, dass Chesterton 12 000 Dollar von ihm zu bekommen hatte.
Und jetzt würde er nach Lamar kommen und die restlichen fünfhundert für die Erledigung des Auftrages haben wollen.
Holyoke kippte das Glas hinunter. Beißend rann das scharfe Getränk durch seine Kehle.
Das nächste Glas folgte.
Und bald war die halbe Flasche leer. Mit stieren Augen blickte der Händler vor sich hin.
»Er wird kommen und das Geld haben wollen«, murmelte er vor sich hin. »Aber er wird nichts bekommen. Jim ist nicht von seiner Kugel getötet worden!«
Als Holyoke nach einer Dreiviertelstunde den Saloon verließ, stand der Constabler immer noch drüben auf dem Vorbau und sah zu ihm hinüber.
Holyoke ging auf schwankenden Füßen hinunter auf die Mainstreet, kam bis an die Treppe heran, vor deren oberster Stufe Wyatt Earp stand.
»Hören Sie, Earp! Was starren Sie mich so …, so an? He? Was soll das? Ich mag das nicht. Merken Sie sich das. Ich bin Ed… Edward Holyoke und habe es nicht nötig, mich anstarren zu lassen, verstehen Sie? Und von einem kleinen Hilfs-Marshal schon gar nicht! Klar?«
Das Gesicht des Constablers blieb unbewegt.
»Ich habe es nicht nötig!«, belferte der Holzhändler dröhnend. »Merken Sie es sich! Sie sind nicht der Mann, vor dem ich mich zu fürchten bräuchte! Ich …, ich fürchte mich überhaupt vor niemandem. Weder vor Chesterton noch vor Hal Flanagan! Vor …«
Holyoke rollte die Augen und überlegte.
Damned! Was hatte er da eben gesagt?
Welch einen Unsinn hatte er da im beginnenden Rausch von sich gegeben.
»Gehen Sie heim, Mister Holyoke«, sagte der Constabler. »Ich glaube, das ist besser.«
Blinde Wut stieg in dem Händler auf, er rannte dicht an die Treppe heran, stieß mit den Schienbeinen gegen die erste Stufe, stolperte, richtete sich wieder auf und blickte den Constabler hasserfüllt an.
»Lassen Sie mich in Ruhe, Earp! Verstehen Sie! In Ruhe sollen Sie mich lassen, Sie verdammter kleiner Krauter! Was tun Sie überhaupt mit einem Stern auf der Brust? He? Sie sollten sich hinausscheren zu den Hühnern, die Ihr Vater draußen um seine Holzbuden versammelt hat!«
Auch nach dieser Kränkung regte sich nichts im Gesicht des Constablers.
»Gehen Sie heim!«, sagte er ruhig. Holyoke hob die Hand.
»Ich gehe heim, wann es mir passt, du verdammter Polizeihund! Ganz genau, wann es mir passt!«
Holyoke sah nicht, dass sich drüben die Tür seines Hauses öffnete. Dass Jenny, seine junge Frau, mit entsetzten Augen zu ihm herüberblickte. Er merkte auch nicht, als sie plötzlich hinter ihm stand. Er hörte nur auf einmal ihre Stimme und spürte ihre Hand auf seinem Arm.
»Ed, komm nach Hause.«
Verwundert wandte er sich um.
»Ah, du bist es, Goldkind? Was willst du hier?«
»Komm nach Hause!«
Holyoke hob den Kopf und forschte in dem Gesicht des Hilfs-Marshals.
»He, hast du gehört, Jenny, was er gesagt hat? Er hat mich beleidigt, dieser verdammte Krauter! Ich habe ihm gesagt, er soll zu seinen Hühnern gehen!«
»Ed, wie kannst du Mister Earp nur so kränken? Verzeihen Sie, bitte, aber er …«
Wyatt winkte ab.
»Lassen Sie nur, Madam, ich höre darüber hinweg, ich kenne ihn ja.«
Holyoke riss sich von seiner Frau los. Mit stierem Blick fixierte er den Constabler.
»Ah, du kennst mich? Wieso kennst du mich, he? Was habe ich angestellt, dass ein wichtigtuerischer Polizist mich kennt, he? Chesterton …, Chesterton …«
Holyoke rieb sich über die heiße Stirn. Taumelnd stand er da. Dann warf er jäh wieder den Kopf hoch.
»Jedenfalls hast du kein Recht, mich zu belästigen, verdammter Polizeischnüffler!«
Erschrocken sah die Frau auf ihren Mann.
Dann sagte sie zu Wyatt: »Verzeihen Sie, bitte!«
Holyoke brüllte: »Was soll er verzeihen? Dir verzeihen? He, was soll das? Ich verstehe das nicht!« Er schwankte einen halben Schritt zurück. »Das heißt, ich verstehe es jetzt doch. Er gefällt dir, he? Der junge Kerl. Weil er groß ist und breite Schultern hat? Und Haare auf dem Kopf?« Er riss sich den breitrandigen Melbahut vom Kopf und schleuderte ihn in den Straßenstaub. »Da, sieh her! Ich habe keine Haare mehr – aber ich bin Ed Holyoke, und er ist ein armseliger Constabler …«
Jenny starrte ihn entgeistert an.
»Yeah – er gefällt dir wohl. Ich habe es längst gemerkt, dass du nach ihm schielst. Du verdammte Schlange! Immer wenn er drüben aus der Bude kommt, stehst du hinter den Gardinen … Elende Kröte …«
Die junge Frau wandte sich ab und lief auf das Haus ihres Vaters zu.
Der angetrunkene Holzhändler hatte in dieser Stunde seine Frau verloren.
Wyatt blickte ihn ungerührt an.
»Das haben Sie gut hingekriegt, Mister Holyoke. Wirklich, das muss ich sagen. Und nun verschwinden Sie endlich von der Straße, sonst bringe ich Sie so lange in eine Zelle, bis Sie wieder nüchtern sind.«
Holyoke fuhr wie vor einer Kobra zurück.
»Was …, was war das? Was hast du da eben gesagt? Du willst mich einsperren?«
Seine Hand zuckte unter die Jacke, dahin, wo er den vierschüssigen Cloverleaf-Revolver in einer Spezialtasche stecken hatte.
Der Constabler blickte ihm kühl entgegen.
»Lassen Sie den Colt in der Tasche, Mister Holyoke. Und gehen Sie endlich!«
Holyoke wich noch einen Schritt zurück. Seine Hand fuhr aus der Jackentasche. Er hatte den kurzläufigen silberblinkenden Revolver darin.
»Ich werde dich wegputzen, Earp! Einfach wegputzen. Wie Flanagan das macht. So, pass auf! So …«
Er hob den kleinen Colt nach vorn, sah dessen Lauf hin und her schwanken, blickte dann in die plötzlich zu Eis erstarrten Augen des Constablers und ließ den Revolver wieder sinken.
»Es ist gut …, ich weiß, ich bin kein Coltman. Bestimmt nicht. Aber wen ich …, wen ich vernichten will, den vernichte ich. Das …, das schwöre ich dir. Frag ihn …, frag ihn … Ha ha ha ha …« Er lachte dumm und lallend vor sich hin. »Yeah, wenn er noch reden könnte, aber das kann er ja nicht mehr. Ha ha ha ha! Und Hal Flanagan …, der …«
Er machte eine wegwischende Handbewegung durch die Luft, wandte sich ab und torkelte auf sein Haus zu.
*
Jenny war nicht zurückgekommen.
Am Abend, als sein Rausch längst verflogen war, hatte sich Holyoke aufgerafft und war hinüber in das Haus Cole Walkers, des Bürgermeisters, gegangen.
Der alte Herr sah ihm düster entgegen.
»Wo ist sie?«, fragte der Händler dumpf.
»Drin bei ihrer Mutter. Du weißt ja, dass meine Frau krank ist. Du weißt es seit vielen Tagen und hast dich nicht einmal darum gekümmert.«
Holyoke blickte auf seine Stiefelspitzen. Im Grunde hatte er den Major nie leiden mögen, aber um Jennys willen hatte er sich in die Familie aufnehmen lassen.
»Du hast dich abscheulich benommen«, sagte der Major halblaut. »Wir alle müssen uns deinetwegen schämen.«
Das Blut schoss dem unbeherrschten Mann in den Kopf.
»Was heißt wir alle? Du brauchst dich meinetwegen nicht zu schämen! Was wollt ihr überhaupt? Ich habe Jenny alles gegeben! Ich habe sogar das Hochzeitsmahl bezahlt …«
Diese Rücksichtslosigkeit ließ den alten Major erbleichen. Er erhob sich aus seiner Sofaecke.
»Mister Holyoke, ich bitte Sie, mein Haus zu verlassen!«, sagte er scharf.
Der Händler blickte den Bürgermeister entgeistert an. Wieder einmal hatte ihn sein heißes Blut in die Hölle geritten.
Da öffnete sich die Tür zum Nebenzimmer.
Jenny stand auf der Schwelle.
Holyoke sah sie an. Und alle Leidenschaft für die schöne junge Frau flammte in ihm wieder auf.
»Jenny«, stammelte er.
»Geh!«, sagte sie kalt.
Er starrte sie an.
»Geh!«
Holyoke machte ein paar unsichere Schritte auf sie zu.
Da glühten ihm die Augen der Frau böse entgegen.
»Rühr mich nicht an! Geh, und lass dich nie wieder hier sehen!«
Langsam, wie betäubt, wandte er sich um und ging mit schleppendem Schritt hinaus.
Draußen war inzwischen die Dunkelheit hereingebrochen.
Ruhig lag die Mainstreet da.
Nur vor dem Marshal-Office brannte schaukelnd das Windlicht und warf seinen Lichtschein bis auf die Straße.
Drüben aus dem großen Eastern-Saloon drang gedämpfte Musik. Es war das Orchestrion, das der Salooner sich vor einem Monat aus St. Louis hatte kommen lassen, dessen Musik Holyoke so hasste – und die Jenny so geliebt hatte. Oft hatte sie verzückt oben an ihrem Fenster gestanden und hinübergelauscht.
In solchen Minuten hätte er sie erwürgen können, weil er ahnte, dass in ihr der Wunsch brannte, auch hinüberzugehen und zu tanzen, wie die anderen Mädchen auch.
Es war still im Haus. Die farbige Köchin war längst schlafen gegangen. Und die beiden Pferdeknechte Jim und Freddy hockten höchstwahrscheinlich drüben im Saloon am Spieltisch.
Holyoke saß in der Wohnstube in einem der schweren Ledersessel und grübelte vor sich hin.
Mit Schrecken sah er die Ereignisse des verflossenen Tages vor seinem geistigen Auge vorüberziehen.
Wie hatte er sich nur so gehen lassen können!
Er konnte es in dieser Stunde selbst nicht begreifen.
Dem Constabler hatte er in seiner Rage den Colt entgegengehalten. Und der Mann hatte sich nicht gerührt. Keine Miene hatte er verzogen. Ob er so sicher war, dass er seinen eigenen Revolver schneller gezogen hätte, als er, Holyoke, den Hahn hätte spannen können? Ganz bestimmt, sonst hätte er nicht so gelassen dagestanden. Er sollte ja ein verteufelt schneller Schütze sein, dieser Wyatt Earp, sagte man in der Stadt. Wie überhaupt die ganzen Earp-Brüder harte Burschen und gute Schützen waren. Wyatt aber war irgendwie noch aus einem besonderen Holz geschnitzt, wie er im Frühjahr beim Preisschießen auf dreißig Yards mit der Sixgun dem kleinen Tonkrug den Henkel zerschossen hatte, das war schon eine höllische Sache gewesen. Und dann die Geschichte in Ellsworth, wo er die beiden Thompsons gestoppt hatte, wo er gegen eine ganze Horde wilder Treiber allein gestanden hatte. Oh …, das wusste jedermann in der Stadt. So was spricht sich rum in diesem dünn besiedelten Land.
Und er, der angesehene Holzhändler Edward Holyoke, hält diesem Mann einen Revolver entgegen!
Irrsinn.
Er hätte sich jetzt selbst dafür ohrfeigen können.
Aber was ging ihn schließlich dieser Wyatt Earp an? Viel schlimmer war das, was er Jenny angetan hatte. Er spürte in dieser Minute genau und grausam deutlich, dass er sie verloren hatte. Für immer verloren!
Dieser Gedanke zermarterte sein Gehirn, nagte in seiner Brust und quälte ihn scheußlich. Er konnte nicht mehr ohne sie leben. Wie hatte er dieses unschätzbare Glück so leichtfertig verspielen können.
Aus seinen Gedanken schreckte ihn das leise Knarren der Zimmertür hoch.
Holyoke fuhr herum.
Hinter ihm, kaum vier Yards entfernt, stand ein Mann.
Hal Flanagan!
Der Händler saß steif vor Schreck da und starrte den Eindringling an wie ein Gespenst.
Der Texaner machte drei sporenklirrende Schritte in den Raum.
»Hier bin ich, Holyoke«, sagte er mit seiner hohlen Stimme. »Wo ist das Geld?«
Vielleicht wäre der schwere Mann nicht so schnell aus dem Sessel hochgekommen, wenn er nicht diesen aufregenden Tag hinter sich gehabt hätte. Jetzt fuhr er hoch, der Cloverleaf lag in seiner Hand. Ein Flimmern stand in seinen Augen.
Aber auch der Revolvermann hatte einen Colt in der Faust.
»Du hast keine Chance, Holyoke. Ich drücke eher ab. Das weißt du selbst. Und das kannst du haben, aber vorher rückst du die fünfhundert Bucks raus!«
Holyoke blitzte den Schießer böse an.
»Ich habe diesen Colt heute schon einmal auf einen Mann gerichtet, Flanagan! Dieser Mann war ein Marshal. Und er sprach von dir und von Jim Chesterton …«
Flanagan hechtete vor, ein Faustschlag beförderte den Cloverleaf gegen die Zimmerdecke.
Der Händler sah in die kaltglänzenden Augen des Texaners.
»Was hast du da eben gesagt?«, zischte Flanagan.
Holyoke zitterte am ganzen Leib. Aber in seinem Rattenhirn war noch ein Gedanke, von dem er sich Rettung versprach.
»Verschwinden Sie, Flanagan – schnell, machen Sie, dass Sie wegkommen. Der Marshal hier weiß von der Sache!«
Flanagan blickte ihn aus engen Augen an. »Du sitzt im falschen Sattel, Holyoke. Ich habe keine Kugel abgeschickt.«
»Ich weiß, Chesterton hat einen Herzschlag bekommen. Deswegen hast du auch keinen Anspruch auf das Geld. Sei froh, dass ich die ersten fünfhundert Bucks nicht zurückverlange!«
Blitzschnell zuckte der linke Arm des Schießers hoch.
Ein krachender Faustschlag prallte gegen den Schädel des Händlers.
Holyoke fiel sofort um.
Aber Flanagan riss ihn wieder hoch, krallte seine Finger in die Jacke des anderen.
»Hör genau zu!«, zischte er den Ächzenden an. »Leg die Bucks auf den Tisch, und zwar runde tausend!«
Holyoke öffnete die Lippen, ein dünner Blutfaden zog sich aus seinem rechten Mundwinkel.
»Tausend«, stöhnte er. »Sind Sie wahnsinnig?«
Da warf ihn der nächste Faustschlag wieder von den Beinen. Und wieder riss der Texaner ihn hoch.
»Du bist an den Falschen geraten, Holyoke. Spuck die tausend Bucks aus. Wenn es länger als eine halbe Minute dauert, brauche ich zweitausend!«
Er ließ den Keuchenden los.
Holyoke knickte wieder in sich zusammen.
In Flanagans rechter Hand lag der Colt. »Beeile dich, Holyoke. Ich habe wenig Zeit!«
Da kroch der Holzhändler wie ein geprügelter Hund auf allen vieren zu einem Schrank, griff hinein, kramte darin herum und warf sich plötzlich herum.
Ein Schuss krachte.
Das heißt, es hörte sich nur wie ein Schuss an.
Aber sie hatten beide geschossen.
Holyoke hatte einen großen Revolver unten in dem Schrankfach liegen gehabt. Aber er hatte nicht getroffen. Dafür hatte Flanagans Schuss ihm die rechte Hand zerschmettert.
Holyoke war so entsetzt, dass er den Schmerz noch gar nicht spürte. Fassungslos starrte er auf seine blutende Hand.
Der Texaner kam heran, beförderte den Colt, der Holyoke entfallen war, mit einem Fußtritt in die Zimmerecke.
»Mein Geld!«, sagte er heiser.
»Ich habe kein Geld«, stieß der Händler röchelnd hervor.
Da riss der brutale Revolverschwinger ihn hoch und versetzte ihm rasend schnell eine Reihe brennender Ohrfeigen.
»Gib das Geld raus, Brother, oder ich breche dir sämtliche Knochen!«
Holyoke war am Ende. Mit der unverletzten Hand griff er in die Brusttasche und fingerte seine Brieftasche hervor.
In diesem Augenblick flog die Zimmertür auf.
Flanagan wirbelte herum.
Drüben im Türrahmen stand ein großer dunkelhaariger Mann mit einem Stern auf der Brust.
Flanagan hatte den Revolver noch in der Hand.
»Wyatt Earp!«, schrie Holyoke. »Heavens! Wyatt Earp!«
Der Constabler blickte von einem der Männer auf den anderen.
»Was willst du?«, fauchte ihn der Schießer an.
Wyatt machte einen Schritt vorwärts. Flanagan stieß den Colt vor.
»Stehen bleiben!«, zischte er.
Aber der Constabler scherte sich nicht darum. Eisige Kälte lag in seinem Blick, mit dem er den Revolvermann im Auge behielt. Als er vor ihm stand, griff er nach dem Colt, riss ihn dem Texaner aus der Hand und schleuderte ihn zur Seite.
»Hey!«, bellte Flanagan. »Bist du verrückt?«
»Was geht hier vor?«, fragte der Hilfs-Marshal ruhig.
»Brother!« Flanagan stemmte die Arme in die Hüften. »Ich habe noch einen Colt. Und wenn du wüsstest, wer ich bin …«
Das Gesicht des Constablers wurde von einem winzigen Lächeln erhellt.
»Du bist Hal Flanagan«, sagte er gleichmütig.
Der Texaner wich zurück.
Und jetzt lachte der Constabler wirklich, seine großen ebenmäßigen weißen Zähne schimmerten.
»Lass den Colt im Halfter, Flanagan, du bist links zu langsam.«
Es blitzte in den Augen des Schießers auf. Diese Beleidigung durfte er nicht schlucken. Er stieß seine Linke auf den Colt – und hielt gebannt inne: Der Mann mit dem Stern hatte in seiner linken Faust einen Revolver, dessen Mündung genau auf die Brust des Texaners zielte.
»Wozu die Spielerei, Flanagan? Ich habe dir doch gesagt, links bist du nicht schnell genug.«
Das bleiche Gesicht des Schießers schien zur Gipsmaske erstarrt zu sein. Erst nach Sekunden öffnete er die schmalen Lippen und fragte heiser: »Wer bist du?«
Holyoke zerriss die Spannung. Er sprang keuchend heran und brüllte: »Das ist Wyatt Earp, Flanagan! Wenn du ihn noch nicht kennst, wirst du ihn kennenlernen. Er wird dich fertigmachen, wie er schon andere vor dir fertiggemacht hat, oben in Ellsworth und in Salinas!«
Irgendwo im Hirn des Revolverschwingers dämmerte es … Damned! Hatte er den Namen nicht schon irgendwo gehört? Wyatt Earp? Richtig, in Santa Fé hatten einige Trail-Cowboys von ihm gesprochen.
Flanagan lachte dünn.
»Nicht schlecht, Earp, aber gib mir den anderen Colt zurück, dann machen wir das Spiel noch mal.«
Wyatt ließ seinen Revolver mit einem Handsalto zurück ins Halfter gleiten.
»Ich habe weder Zeit noch Lust, ein Spiel mit dir zu machen, Tex. Was war hier los?«
»Er hat mich bedroht, auf mich geschossen hat er!«, brüllte der Händler und hob seine blutende Hand in die Luft.
»Ich habe Geld von ihm zu bekommen. – Tausend Dollar!«, versetzte der Schießer hart.
»Lüge! Eine gemeine Lüge!«, geiferte Holyoke. »Mister Earp, Sie kennen mich …«
»Ja, ich kenne Sie«, unterbrach ihn der Constabler ironisch.
Holyoke ließ sich nicht aus der Richtung werfen. »Sie wissen, dass ich so einem Menschen kein Geld schulde!«
»Tausend Dollar!«, wiederholte Flanagan hartnäckig.
»Wofür?«
»Das geht Sie nichts an!«, brüllte Holyoke den Constabler an.
Zu spät merkte er, dass er sich mit diesem Satz verraten hatte. Hastig griff er in die Jackentasche, zog seine Brieftasche hervor und nahm ein Bündel mit Geldscheinen heraus, die er dem Texaner hinhielt.
»Hier ist das Geld, und nun verschwinden Sie!«
Flanagan steckte die Dollars ungezählt in die Tasche, ging in die Zimmerecke, hob seinen Colt auf und schob ihn ins Halfter. Dann näherte er sich sporenklirrend der Tür. Als er an dem Constabler vorbeiging, sagte er drohend: »Und wir beide sprechen uns auch noch!«
Wyatts Linke zuckte gedankenschnell hoch, packte den Westenaufschlag des Texaners und riss den Mann daran zurück.
Ganz nah waren die beiden Gesichter der Männer jetzt voreinander.
Wyatt überragte den Texaner fast um einen Kopf. Er beugte sich nieder und bohrte seinen Blick in die grauen Augen des Revolverschwingers.
»Keine hohlen Drohungen, Flanagan. Sieh zu, dass du aus der Stadt verschwindest und mir nicht mehr unter die Augen kommst.«
Aber Hal Flanagan war ein mit allen Wassern gewaschener Bursche. Ein böses Lächeln blitzte in seinen Augenwinkeln.
»Was wollen Sie, Earp? Ich habe nichts Gesetzwidriges getan.«
Holyoke, der die Angst um die Aufdeckung seines Geheimnisses schon wieder vergessen hatte, brüllte: »Er hat Jim Chesterton ermordet! Er gehört an den Galgen! Sie haben es selbst gesagt, Earp!«
Flanagan blickte nur den Constabler an. Das Geschrei des Holzhändlers rieselte von ihm ab wie Hundegekläff.
»So, Sie haben gesagt, ich gehöre an den Galgen?«, fragte er lauernd.
Er hatte jedoch kein Glück. Der Mann, der da vor ihm stand, war aus Eisenholz. Gelassen blickte er ihn an.
»Ich habe es zwar nicht gesagt, Tex, aber ich bin trotzdem der Ansicht, dass Mister Holyoke ausnahmsweise einmal recht hat.«
Flanagans Augen wurden eng wie Schießscharten. »Ach –?«
»Yeah!«, sagte der Constabler rau. »Und nun verschwinde!«
Flanagan ging zur Tür.
Es bohrte und nagte in seinem Hirn, das bis heute nichts als Schießen und Morden gekannt hatte. Er war nicht klug genug, einzusehen, dass es besser für ihn war, wenn er diese Niederlage hinnahm.
»Earp!«, schnarrte er. »Ich habe gesagt, wir sprechen noch miteinander. Und du kannst dich darauf verlassen, dass ich zu meinem Wort stehe.«
Wyatt wandte sich ihm zu. »Verschwinde«, sagte er leise. Aber es war etwas in diesem leise gesprochenen Wort, das auch der Schießer nicht überhörte. Ganz plötzlich rann ein eisiger Schauer über seinen Rücken. Aus den Augen des Missouriers schien ein Blitzstrahl zu schießen, der irgendetwas in Flanagans Raubvogelhirn lähmte.
Der rigorose Revolverschwinger und kaltblütige Vernichter Hal Flanagan stand zum ersten Mal in seinem Leben einem Mann gegenüber, der stärker war als er selber. Auch innen stärker. Das spürte der Texaner. Und das, was ihn da aus den Augen des Missouriers ansprang wie eine gewaltige Eisenklammer, war stärker als sein eigener Wille, es lähmte ihn. Er wusste nicht, dass er in diesem Augenblick etwas von der geheimnisvollen Kraft gespürt hatte, die das Schicksal Wyatt Earp mitgegeben hatte.
War er ein Mann, dessen Augen hypnotische Kraft hatten, der Missourier Wyatt Earp? Noch drei Jahrzehnte später sollten sich berufenere Männer darüber den Kopf zerbrechen. Der flachgeistige Revolverschwinger Flanagan war nicht der Mann dazu, dieses Phänomen zu enträtseln.
Er gab auf.
Zum ersten Mal in seinem Leben räumte er als kampflos Geschlagener den Plan.
Mit schnellen Schritten verschwand er im Korridor.
Gleich darauf schlug die Haustür, und eine halbe Minute später hörten die beiden den Hufschlag seines Pferdes.
Holyoke blickte gebannt auf den Constabler. Dann riss er seinen Blick los und sah auf seine blutende Hand. »Ich muss sofort zum Arzt!« Er stürzte vorwärts und rannte an Wyatt Earp vorbei hinaus.
Der Hilfs-Marshal folgte ihm langsam.
Wie ein großer Hund, den ein stärkerer Hund vertrieben hatte, war der Texaner davongegangen.
Aber wie ein Hund machte er auch kehrt. Schon nach wenigen Minuten. Als der Bann von ihm gefallen war.
Drüben im Eastern-Saloon war noch Musik und Lärm.
Flanagan brachte seinen Gaul vor den Zügelholm, rutschte aus dem Sattel, schlang die Lederriemen um das Querholz und betrat den Vorbau. Er spähte über die Pendeltür in den dicht besetzten Raum.
Dann stieß er die Türen auseinander und trat ein.
An einem Ecktisch, an dem nur zwei Männer saßen, fand er noch einen Platz.
Er setzte sich und winkte dem Salooner. »Einen roten Kentucky«, sagte er rau. »Eine Flasche?«
»Ein Glas!«
Der Salooner sah ihn mürrisch an. »Ein Glas? All right!« Dann hob er die Hand und winkte einer schmierigen Frau, die hinter der Theke stand. »Ann, einen Fingerhut Kentucky rot für diesen Gentleman!« Er rief es so laut, dass selbst der Lärm des wenig melodiös jaulenden Orchestrions übertönt wurde.
Flanagan nahm den Salooner bei der Schenkschürze und zerrte ihn zu sich heran.
»He, altes Schnapsfass …! Was sollte das?«
Man Drobny, der Wirt, blickte in das Gesicht des Texaners – und erschrak. »Nichts, Mister«, stammelte er.
Flanagan riss ihn noch näher zu sich heran und ließ ihn dann los. Der Salooner fiel rücklings auf die Dielen, mitten zwischen die Beine einiger Cowboys.
Stille. Nur das Jaulen der Musik.
Und dann bellendes Gelächter.
Einer der Cowboys, ein ellenlanger Bursche mit gelbem Gesicht und schräg stehenden Augen, schob sich heran und blickte den Texaner scharf an.
»He, Stranger, wisch meine Stiefel ab, sie stinken jetzt nach Fusel!«
Flanagan stand auf. Er holte mit der Linken aus, warf dann aber blitzschnell die geballte Rechte nach vorn. Sie traf den ungeschützten Mann genau auf den Kinnwinkel. Der lange Cowboy kippte über die Absatzspitzen zurück und blieb liegen.
Sofort stürmte ein breitschultriger, vierschrötiger Bursche heran, der bei dem Cowboy an der Theke gestanden hatte.
Flanagan schickte ihm eine Doublette entgegen, die den Cowboy zurückwarf. Er war so hart an Ohr und Kinn getroffen, dass er völlig groggy war und neben dem Langen einknickte.
Der Texaner sandte einen eisigen Blick in die Runde.
»Noch jemand?«
Ein hagerer Mann mit weit vorstehenden Backenknochen schob seinen Hut aus der Stirn.
»Sie scheinen kurz angebunden zu sein, Mister.«
»Ganz sicher«, gab Flanagan zurück.
»Wir sind hier neun Leute von der Weide.«
Der Texaner blieb ruhig stehen.
»Ich zähle die Jungs nicht, die Sehnsucht nach Schlägen haben.«
»Vielleicht habe ich keine Sehnsucht nach Schlägen«, sagte der Hagere grinsend.
»Dein Glück.«
»Vielleicht hast du dafür Sehnsucht nach einer Unze heißen Bleis!« Das Grinsen war jäh aus dem Gesicht des Cowboys gefallen.
»Diesen Wunsch wollten mir schon einige Boys vor dir einreden, Dünner!«
Der Hagere stand plötzlich breitbeinig da. Mit steif angewinkelten Armen.
Die anderen Männer rückten von ihm ab.
Auch neben und hinter Flanagan stand niemand mehr im Schussfeld. Mit einem kläglichen Schrei brach das Orchestrion seine Katzenmusik ab.
Fünf eisige Sekunden krochen durch den dunstigen Raum.
Da flog vorn die Pendeltür auseinander. Wyatt Earps hohe Gestalt stand in ihrem Rahmen.
»Flanagan!«, rief er schneidend.
Der Texaner fuhr herum.
Wyatt kam auf ihn zu.
»Bleib stehen!«, bellte ihm der Schießer entgegen.
Aber der Constabler ging weiter.
»Damned! Ich hab gesagt, du sollst stehen bleiben! Das machst du nicht ein zweites Mal mit mir, Earp!«
Wyatt ging weiter.
»Halt!«, brüllte der Texaner scharf.
Da stand Wyatt schon vor ihm. Die breite Krempe seines schwarzen Hutes warf einen harten Schatten auf sein Gesicht.
»Hal Flanagan! Ich habe dir gesagt, du sollst verschwinden!«
Hal Flanagan! Der Name fiel wie ein dumpfer Paukenschlag in den Raum.
Mit engen Augen fixierte der Texaner den Hilfs-Marshal. Dann hob er die Rechte und rieb sich das Kinn.
»All right«, presste er heiser durch die Zähne. »Ich gehe. Ich hatte nur einen Kentucky bestellt …«
Die Wirtin trollte mit dem Glas heran.
Flanagan kippte den Schnaps in den Hals, dann warf er ein Geldstück auf den Tisch und ging hinaus.
Wyatt folgte ihm. Er wartete, bis der Texaner aufgestiegen war und die Mainstreet hinunter nach Westen davonritt.
Die beiden Männer, die bei Flanagan an dem Ecktisch gesessen hatten, sahen einander bedeutungsvoll an. Dann zahlten sie ihre Zeche und traten auf den Vorbau.
»Was meinst du?«, fragte der eine, ein langer sehniger Bursche mit Schlapphut, abgerissener Kleidung und stechenden Augen.
Der andere Mann war nur mittelgroß, untersetzt und hatte ein Affengesicht.
»Yeah …« Er blickte zum Marshal-Office hinüber und sah im Schein des Windlichts den Constabler in das kleine Haus treten. »Yeah – reiten wir ihm nach, Bing!«
Der lange Bing Long nickte nur, rutschte über das Geländer direkt auf den Sattel seines hochbeinigen Kleppers und trabte die Mainstreet hinunter.
Steve Hopkins, das Affengesicht, folgte ihm auf seinem Fuchs.
*
Wenn der junge Constabler Wyatt Earp geahnt hätte, was ihm diese Nacht noch einbringen würde, hätte er die drei Männer fraglos in eine Zelle gesperrt.
Aber das gnadenlose Schicksal nahm seinen Lauf.
*
Noch wusste auch der Texaner Hal Flanagan nichts von dem, was ihm diese Nacht noch bringen sollte.
Er trabte mit verbissenem Gesicht auf der Straße nach Cherokee entlang, blickte mit stumpfen Augen in die Finsternis, und so sehr er sich auch mühte, das Bild zu verscheuchen: Immer wieder hatte er die stahlharten Augen des Constablers vor sich.
Es war eine schwüle Nacht.
Flanagan hatte nicht die Absicht, weiterzureiten. Bei einer dichten Buschgruppe hielt er an, sattelte sein Pferd ab, breitete seine Decke auf dem Boden aus, legte sich nieder, verschränkte die Arme hinter dem Kopf und blickte in die mattschimmernden Sterne auf.
Aber er sah nichts von der Schönheit dieser Nacht, der Coltman Hal Flanagan.
In seinem Hirn gärten Rachegedanken.
Sicher, er hatte das Geld, mehr als ihm der Job hatte einbringen sollen, aber er hatte in dieser Stadt auch etwas hinnehmen müssen, das ihm keine Ruhe ließ.
Ich werde zurückreiten! Er ist bestimmt noch im Office. Ich werde die Tür aufstoßen und zwei schnelle Schüsse auf ihn abgeben.
Vielleicht werden die Leute sagen: Das hat Flanagan getan!
Aber sie mussten es ihm erst beweisen. Er kannte das Gesetz, da er selbst zeitlebens scharf an dessen Grenze entlanggeritten war. Beweisen mussten sie ihm den Mord. Und dass ihnen das schwerfallen sollte, dafür würde er schon sorgen. Noch war sein Ruf als fairer Coltman unangetastet.
In Flanagans Schädel jagten sich die Gedanken. Noch kennt ihn kaum jemand, diesen Wyatt Earp. Aber wenn ich ihn leben lasse, wird ihn bald der ganze Westen kennen.
Der Texaner hatte ein Auge für einen Mann mit einer schnellen Hand. Und wie schnell die Linke des Missouriers zum Colt gezuckt war, das hatte er wohl gesehen. Es war unübertrefflich schnell gewesen. Ganz einerlei, ob der Mann nun Linkshänder war oder gar mit der Rechten ebenso schnell schoss. Dieser kleine Constabler Wyatt Earp war ein ganz gefährlicher Schütze. Das hatte sich in dem Schießerhirn Flanagans ganz klar festgefressen. Er würde entweder ein großer Marshal werden, oder ein Coltman von einzigartigem Format.
Und beides war schlecht. Ein gefährlicher Marshal war dem Revolvermann Flanagan ebenso unangenehm wie ein so schnell schießender Rivale.
Das war das Ergebnis seines Nachdenkens unter dem gestirnten Nachthimmel Missouris nahe der Grenze von Kansas.
Wenn der Panhandle-Mann geahnt hätte, dass eben dieser Wyatt Earp nur zwei Jahre später unweit von hier, drüben in der großen Treiberherdenstadt Wichita, seinem Ruhm im Kampf gegen fünfundsiebzig wilde Kuhtreiber, ein geradezu unverlöschliches Denkmal in der Geschichte der Staaten setzen sollte, hätte er vielleicht jetzt seinen Weg nach Südwesten fortgesetzt.
Aber wie hätte er das ahnen können …
Er war blind und gefährlich wie ein Wolf. Um aber ein großer Wolf sein zu können, hatte er doch nicht genug Gehirn, der Töter Hal Flanagan aus Texas.
Er erhob sich, rollte seine Decke ein, sattelte seinen Rappen und wollte gerade aufsteigen, als er den Hufschlag zweier Pferde vernahm.
Er blieb hinter den Büschen stehen und lauschte.
Jetzt waren die beiden Reiter ganz nahe. Als sie vor den Büschen waren, hielten sie an.
»Flanagan!«, hörte er eine halblaute Stimme.
»Halt’s Maul«, mischte sich die krächzende Stimme des anderen Reiters in die Wiederholung dieses Rufes. »Willst du das ganze County aufscheuchen!«
»Er kann doch hier sein! Glaubst du etwa, er sei weitergeritten?«
»Keine Ahnung? Ich geb’s auf«, versetzte der andere.
Da trat Flanagan aus den Büschen heraus.
Die beiden Pferde scheuten.
»Lasst die Revolver stecken«, schnarrte der Schießer. »Was wollt ihr?«
»He!«, rief Bing Long und ließ seine Bohnenstangenfigur aus dem Sattel rutschen. »Ich habe doch gesagt, dass er hier lagert. Steig ab, Steve!«
Die beiden wollten auf den Mann, der vor den Büschen stand, zugehen.
»Bleibt stehen!«, sagte Flanagan rau. »Was wollt ihr?«
Bing Long lachte blechern.
»Wir sind dir nachgeritten, Flanagan.«
»Das habe ich bereits gemerkt. Was wollt ihr?«
»Wir haben dir einen Vorschlag zu machen.«
Der Schießer hatte die Hände auf den Revolverkolben. »Verzichte!«
Bing Long schob sich heran.
»Du hast eben bei uns am Tisch gesessen, im Eastern Saloon, als Wyatt Earp hereinkam!«
»Halt’s Maul. Ich will den Namen nicht hören!«, fauchte der Texaner.
Steve Hopkins kam langsam näher.
»Bing hat recht. Der Vorschlag ist gut und wird dir gefallen. Auch wir mögen den Namen nicht hören. Aber garantiert hören werden wir ihn erst dann nicht mehr, wenn er auf einem Grabstein stehen wird.«
Bing Long lächelte hämisch zu den Worten seines Freundes.
»Yeah – Steve hat recht, Hal. Das musst du zugeben.«
Die beiden gefielen dem Revolverschwinger nicht, aber er knurrte nur mürrisch: »Raus mit der Sprache! Was wollt ihr?« Bing Long stemmte seine langen Arme hinten in den Waffengurt.
»Wir alleine wollen nichts, Hal. Mit dir zusammen wüssten wir genau, was wir wollen.«
»Schieß endlich los!«, mahnte Steve Hopkins.
»Yeah …« Long lachte wieder blechern. »Das ist schnell getan. Ich bin Bing Long und komme aus Kentucky, Steve Hopkins kommt aus Arkansas, und du kommst aus Texas. Jeder aus einer anderen Himmelsrichtung …«
»Was soll der Blödsinn?«, fauchte Flanagan. »Wenn ihr gekommen seid, mir das zu offenbaren, hättet ihr euch die Mühe sparen können. Ich habe zu albernen Späßen weder Zeit noch Lust! Verschwindet, aber schnell!«
Hopkins hustete und sagte: »Bing ist ein Schwätzer, Hal. Lass dir die Sache erklären. Es ist so: Wir sind Reisende, verstehst du? Wir haben uns oben in Quincy getroffen, als eine Gittertür hinter uns zuschlug …«
Bing Long lachte scheppernd.
»Yeah – und ein Sheriff kühlte sich die Beulen, die Steve ihm besorgt hatte! Wir sind Reisende …«
»Tramps!«, verbesserte der Revolvermann verächtlich.
»Wie du es nennen willst, ist uns egal«, maulte Long weinerlich.
Flanagans Stimme klirrte vor Kälte. »Verschwindet, Boys, ehe die Luft zu bleihaltig für euch wird! Ich habe heute schon Ärger genug in dieser verdammten Gegend gehabt.«
»Wir auch«, warf Steve Hopkins unbeirrt ein. »Lass dich durch das Gewäsch dieses Kamels nicht aufbringen, Hal. Hör zu! – Wir kamen hier an als Reisende, du verstehst schon. Und irgendwie hatte der Constabler was gegen uns …«
»Als ihr falschspieltet!«, unterbrach ihn der Schießer rau.
»Du siehst es falsch«, versetzte Hopkins. »Schließlich müssen wir ja leben. Nicht jeder hat eine so einträglich schnelle Hand wie du.«
Bing Long lachte wieder. Er merkte nicht, wie er den Texaner mit dieser albernen Lache verärgerte.
Dafür merkte Hopkins es. Er sagte schroff: »Hör zu, Bing. Du hast zwar den Einfall gehabt mit Hal, aber wenn du ihn mir jetzt vergraulst, schlage ich dir die Zähne ein. Ist das klar?«
»Völlig klar«, räumte Bing gemütvoll ein.
»Also«, Hopkins hüstelte wieder und nahm eine selbst gedrehte Zigarette aus der Tasche. Während das Zündholz kurz aufflammte, fuhr er fort: »Wir haben hier drei Tage im Jail gesessen. Wyatt Earp ließ uns heute Nachmittag raus mit dem Bemerken: Morgen früh seid ihr verschwunden.«
Bing lachte und fand: »Im Grunde war das sanft von ihm, denn schließlich hat er uns beim Falschspiel erwischt und eine dicke Schießerei verhütet.«
Flanagan wischte sich mit der Rechten übers Kinn. »Und?«
»Wir wollen ihm zu einem schnellen und leichten Abgang verhelfen, Old Boy. Dagegen wirst du schwerlich etwas haben. Aber die Sache hat mehrere Haken. Erstens ist der Bursche verdammt schnell und zweitens hat er mehrere Brüder, die auch gut reiten können. Und weder Kentucky, noch Arkansas, noch Texas wären ihnen zu weit. Du verstehst. Deshalb soll es ein Abwaschen werden.«
»Ich verstehe nichts!«, knurrte der Schießer.
»Das kommt gleich«, begann Hopkins wieder. »Nicht sehr weit von hier ist die Earp-Farm. Wir haben sie in Augenschein genommen.«
»Dagegen kannst du nichts haben«, warf Bing ein.
»Halt endlich dein ungewaschenes Maul!«, zischte Hopkins ihn an. »Ich begreife nicht, wie ich so lange mit einem so dämlichen Kerl durch die Savanne krauchen konnte!«
»Drei Jahre«, bemerkte Bing Long kichernd.
Hopkins stieß einen Fluch durch die Zähne.
»An der Geduld, mit der ich diesen Ochsen dulde, kannst du sehen, wie groß meine Ausdauer ist, Hal«, erklärte er. »Gib acht. Wyatt Earp ist um elf Uhr in der Stadt fertig. Dann übernimmt der alte Marshal den Dienst. Wyatt reitet dann heim. Es hat wenig Sinn, ihm aufzulauern, wie ich schon erwähnte, denn selbst wenn wir ihn an die Erde brächten – was verteufelt schwierig sein könnte – hätten wir morgen todsicher seine Brüder an den Fersen. Wie gesagt: Es muss ein Abwaschen sein. Der Ordnung halber. Das siehst du ein. Aber dazu brauchen wir dich.«
»So?«
»Yeah – hör zu. Die Earps haben drei Blockhäuser draußen. Der Alte zählt nicht mehr. Er ist im Krieg schwer verwundet worden. Und die Brut schläft unter einem Dach. Wenn wir schnell an das kleine Haus herankommen, haben die Halunken kaum eine Chance. Selbst wenn sie wie die Teufel schießen. Wir machen sie fertig. Hinten auf meinem Gaul ist genug Pulver, um den Laden mit einem hübschen Knall hochgehen zu lassen. Damit sind sämtliche Earps, die uns noch gefährlich werden könnten, in die Hölle verfrachtet. Wäre das nicht ein hübscher Gedanke?«
Flanagan rieb sich das Kinn. Er war ein misstrauischer Mann.
»Das Ganze kommt mir haarig unsinnig vor! Wenn die Brüder des Constablers auch nur halb so gut mit der Bleispritze umgehen können wie er selbst, kann das ein böses Ei werden.«
»Kann es eben nicht«, versetzte Hopkins grinsend. »Weil du nämlich nicht weißt, was wir wissen. Wir haben die Farm nämlich wirklich gründlich beobachtet, ehe wir in die Stadt kamen. So kleine Farmen gehören nun mal zu unserer Kundschaft.«
Flanagan kniff die Augen ein.
»Ihr seid also nicht nur Tramps, sondern auch Buschkriecher und Räuber.«
»Äh!«, machte Bing Long. »Wer wird denn so unschöne Worte gebrauchen. Du hast bestimmt mehr Jungens unter die Erde gebracht als wir beide zusammen, wenn wir achtzig würden. Es ist doch so wie Bing sagte: Wir müssen leben. Mit dem Spiel wird es immer schwerer, weil die Sheriffs sich immer mehr darum kümmern, was an den Spieltischen geschieht. Und zudem gibt es zu viele Burschen, die mit gezinkten Karten und Double-Assen kassieren gehen. Deshalb haben wir unser Gebiet etwas erweitert. Auf den kleinen Farmen, wo die Siedler Federvieh züchten, ist immer noch etwas zu holen. Und da gibt es die wenigsten Gewehre und die größte Angst.«
»Da habt ihr Schlauköpfe euch ausgerechnet die Earps ausgesucht!« Flanagan schob sich den Hut aus der Stirn. »Glaubt ihr allen Ernstes, mich für so eine Dummheit gewinnen zu können?«
»Wir sind sogar überzeugt davon«, antwortete Steve Hopkins. »Du weißt nämlich immer noch nicht alles. Es geht nicht nur darum, diesem Wyatt Earp eins auf die Nase zu geben. Da ist noch etwas anderes …«
»Gold!«, unterbrach Long kichernd. Hopkins versetzte ihm einen derben Stoß.
»Wenn du dein Maul noch einmal ungefragt auftust, war es das letzte Mal, Brother!« Sich an den Texaner wendend, fuhr er fort: »Dieser Ochse hat es also schon gesagt, womit ich dich überraschen wollte: Der alte Earp hat eine kleine Goldkiste. Um es genauer zu sagen: Wir sind eigens deswegen hierhergekommen.«
Flanagan war dem Lachen nahe.
»Und da stellt ihr euch so geschickt an, gleich dem gefährlichsten der Sippe in die Quere zu kommen! Sehr klug, muss ich schon sagen.«
»Du bist ein schneller Mann, Hal Flanagan«, sagte Hopkins nun etwas verärgert, »aber dir fehlt die wertvolle Gabe, zuhören und abwarten zu können.«
»Das ist es«, tat Bing noch seinen Senf dazu, was ihm jedoch augenblicklich einen Fußtritt seines prächtigen Freundes eintrug.
»Sie kommen aus Monmouth in Illinois, die Earps. Der Alte, ein himmelschreiender Geizkragen, hat nach dem Krieg zusammen mit Wyatt Siedlertrecks hinüber nach Kalifornien geführt. Mitten durch das Indianerland, durch die Sioux, die Cheyennes, die Pawnees und die Shoshonen. Dass die beiden heil aus diesen Gegenden herausgekommen sind, will schon etwas sagen …«
»Das musst du zugeben!«, unterbrach Bing und brachte sich augenblicklich außer Reichweite der Füße seines Kumpanen.
Hopkins sprach weiter: »Oben in Quincy erzählte uns ein auslaufendes Whiskyfass, dass der alte Earp eine hübsche kleine Kiste mit blanken Zwanzigdollarstücken gesammelt hat. Du musst zugeben, dass diese Mitteilung eine Reise nach Missouri wert ist. Der Kerl, der mehr Whisky als Blut in den Adern hatte, war gerade einmal nüchtern, als Bing und ich das aus ihm herausquetschten.«
»Du wolltest sagen, als ihr ihn unterwegs überfallen habt!«
»Du hast doch einen helleren Kopf, als ich dachte«, fand der vierschrötige Tramp Steve Hopkins. »Well, genauso war es. Aber der Alte hatte selbst nichts auf der Naht. Außer dieser Weisheit.«
»Er wird euch einen gewaltigen Bären aufgebunden haben!«
»Das wollte ich ihm nicht raten, denn wir haben ihm versprochen, ihm eine Handvoll Goldstücke mitzubringen, wenn wir zurückkommen. Er wohnt nämlich in Quincy, mit Tochter und Enkelkind. Und er weiß, dass wir Reisende sind, die so lange reisen würden, bis sie ihn gefunden hätten, falls er Mehl gerührt hat.«
»Yeah – das steht fest!«, glaubte Bing bekräftigen zu müssen.
Hopkins machte eine kleine Pause. Schließlich zertrat er seinen Zigarettenrest und fuhr fort: »Die Sache hat also Sohlen und Absätze, Flanagan. Ja, sie hat sogar dazu passende Stiefel, denn der Alte, der einmal auf einem Treck mit den Earps gezogen ist, wusste sogar, wo die nette kleine Kiste zu finden ist. Und das erleichtert den Job ungemein, wie du einsehen wirst.«
»Wo ist die Kiste denn?«, fragte Flanagan rau.
Bing lachte blechern. Und Steve Hopkins schüttelte den Kopf.
»No, Brother, es reicht, dass wir es wissen. Wenn du deine Arbeit tust, ist dein Anteil immer noch groß genug – und bei Weitem größer, als wenn du zehn deiner heißen Aufträge ausgeführt hättest.«
Der Ohrfeige, die Flanagan dem untersetzten Tramp zugedacht hatte, entging der durch eine flinke Kopfbewegung.
»Du bist mir entschieden zu hastig, Hal. Ich weiß nicht, ob ich dich für den Job anwerben soll.«
Flanagan fühlte, wie ihm das Blut in die Schläfen stieg.
»Hört mal zu, ihr beiden Halunken. Ich bin ein Coltman. – All right. Aber ihr seid Banditen. Ganz dreckige kleine Banditen. Wenn ihr glaubt, einen Hal Flanagan eingarnen zu können, sitzt ihr im falschen Sattel. Wie heute schon einmal ein Kerl im falschen Sattel saß. Ich bin kein Landstreicher und werde nie einer sein. Aber ich glaube, es ist nicht schade, wenn ich die Gegend von solchem Gelichter wie ihr seid, reinige. Ihr werdet mir jetzt ganz schnell sagen, wie das mit der Kiste ist, Boys, sonst …«
Das metallene Geräusch eines knackenden Revolverhahns zerriss misstönend das leise Gespräch.
Der dumme lang aufgeschossene Bing Long war zwei Schritte zurückgewichen. Ganz steif stand er da. In seiner Rechten blinkte der Lauf eines langen Revolvers.
Steve Hopkins meinte seelenruhig: »Well, du siehst es schon wieder von der falschen Seite, Flanagan. So kleine Kälber sind wir nun auch wieder nicht, wie du annimmst, sonst baumelten unsere Knochen längst einige Yards über dem Erdboden, irgendwo an einem kahlen Ast. Du bist sicher schnell mit dem Colt, aber Bing hat nun einmal seinen langen Mittelfinger am Stecher. Ich bin überzeugt, dass es ihm eine Freude sein würde, einem falschen Hund ein Loch in die Jacke zu schießen – und wenn es auch sein letzter Schuss wäre.« Hopkins hob die Hand. »Bing, mach noch einen Schritt zurück. Es wird voraussichtlich noch ein paar Minuten dauern, bis unser Freund Flanagan alles richtig eingesehen hat.«
Da lachte der Schießer rau auf.
»Ihr seid in der Tat zwei prächtige Halunken! Well, also los, was soll ich dabei tun?«
Hopkins erklärte: »Zunächst möchte ich dich darauf aufmerksam machen, dass die Nacht langsam verstreicht. Dann will ich dir sagen, dass du keinerlei Hintergedanken bei dem Coup in deinem Texanerschädel haben darfst, da wir auf alles vorbereitet sind. Wir werden jetzt gleich losreiten. Bing reitet voran, du bleibst sicherheitshalber in der Mitte, und ich werde dich hinten beschützen. Wenn du dir unterwegs darüber klar geworden bist, dass du mit deiner schnellen Hand allein nie an die Kiste kommen wirst, sind wir schon einen Riesenschritt weiter. Ich will zum Ende kommen. Das ist nämlich nur der erste Gang, anschließend haben wir einen kleineren Fisch, der aber auch leichter zu fangen ist. Fünf Meilen von hier ist die Calligan-Farm. Jeff Calligan ist tot. Aber er hat vor Jahren oben in Dakota bei den Diggers gearbeitet. Vor zwei Jahren ist er hier auf einem Feld von einem Blitzschlag getroffen worden. Auch er hatte ein paar irdische Güter gesammelt. Von einem Teil hat er sich die kleine Federvieh-Farm aufgebaut. Den Rest hat er aufbewahrt. Er hat oben in Quincy eine redselige Schwester, die wiederum mit unserem geschwätzigen Whiskyfass verwandt ist …«
»Verstehe«, nickte der Schießer.
»Noch nicht ganz. Warte ab. Wir reiten gleich los. Erst müssen alle Dinge eingehend besprochen sein.«
Hal Flanagan hatte schon mancherlei in seinem rauen Dasein erlebt. Aber zwei so raffinierte, hartgesottene Satteltramps waren ihm denn doch noch nicht über den Weg gelaufen. Seine anfängliche Verachtung für dieses Gespann hatte sich in eine Art von neugieriger Verwunderung verwandelt.
»Um es kurz zu machen: Wie viel ist für mich drin?«
»Wir kennen den genauen Inhalt der beiden Kisten nicht, Brother, aber ich schätze, dass du unter Zehntausend nicht ausgehen wirst. Was meinst du dazu?«
Flanagan überlegte nicht mehr. Für zehntausend blanke Bucks musste er eine Menge tun. Und sein Plan war auch schon gefasst. Er würde sich an dem Run beteiligen und anschließend bei passender Gelegenheit die beiden Galgenvögel einfach auslöschen. Irgendwann würde sich schon eine Gelegenheit finden, seine schnelle Hand den beiden gegenüber auszuspielen.
Vielleicht würde er ohne die Niederlage, die Wyatt Earp ihm beigebracht hatte, niemals so irrsinnig gewesen sein, sich auf diesen heißen Run einzulassen. Aber der Gedanke, dem verhassten Constabler einen vernichtenden Schlag beibringen zu können, machte ihn leichtsinniger, als er es bisher von Natur aus war.
»Well, Steve Hopkins, roll deinen Faden ab«, sagte er rau. Der Bandit entwickelte nun im Einzelnen seinen Plan. Und der Revolvermann musste zugeben, dass es ein höllisch geschickt ausgeheckter Plan war. Allerdings, ohne einen so schnellen Schützen, wie er es war, hätten sie den Coup nicht landen können.
Und Flanagan versäumte nicht, das zu erwähnen.
»Jetzt, da wir zusammengehören, kann ich es dir ja sagen«, meinte Hopkins ungeniert. »Ohne dich wäre es sogar unmöglich. Wir knacken schon eine ganze Weile an dieser Nuss und sind auch nicht erst seit heute in der Gegend. Immer wieder blieben wir vor dem gleichen Punkt stehen: Es fehlte der dritte Mann, der einen besonders schnellen Colt führt.«
»Du kannst dir denken, dass wir aufhorchten, als wir in der Schenke deinen Namen hörten.«
»Ja, das kann ich mir denken«, sagte Hal Flanagan schroff.
Aber so sehr ihn das Gold auch lockte – der Gedanke, sich mit diesen beiden Tramps ausgerechnet dem Anwesen der Earps nähern zu müssen, missfiel ihm gewaltig. Er kam zu der Überzeugung, dass er Hopkins und Long umstimmen musste.
Deshalb schlug er ihnen vor, zuerst den Zug auf die Calligan-Farm zu machen. Er wäre weniger gefährlich als bei den Earps, fand er. Und wenn das geräuschlos vonstatten gegangen sei, könne man sich immer noch überlegen, ob man sich zu den Earps wagen wolle. Sei der Run bei der Earp-Farm aber erst schiefgelaufen, müsse man damit rechnen, dass auch die Sache bei der Calligan-Farm aufgegeben werden müsse.
Bing Long war nicht dieser Ansicht. Flanagan wusste sich jedoch durchzusetzen, vor allem, da Hopkins einsah, dass der Lärm auf der nicht sehr entfernt gelegenen Earp-Farm unter Umständen so groß werden würde, dass die anderen kleinen Siedler in der Gegend aufgeschreckt werden könnten. Und es war immerhin leichter, in die ungewarnte Calligan-Farm einzudringen als in die gewarnte.
Das leuchtete Hopkins schnell ein.
»Anschließend können wir den Gang zu den Earps immer noch überlegen!«
Bing Long meckerte noch eine Weile vor sich hin, schien es dann aber auch einzusehen.
Hal Flanagan hatte seinen Texanerschädel durchgesetzt. Er dachte gar nicht mehr daran, nach der Kiste des alten Earp zu suchen. Wenn er genug Geld aus der Calligan-Farm herausbrachte, würde er die beiden abschieben und in sicherer Entfernung auf eine andere Gelegenheit warten, diesen Wyatt Earp zu vernichten.
Dass er auf diesen Gedanken gekommen war, war die Schuld Bing Longs. Er hatte während des Gespräches zweimal eingeworfen, dass auch Morgan und Virgil Earp verteufelte Schützen seien.
Der Texaner verspürte nicht die mindeste Lust, nach der Niederlage in Lamar auch noch zwischen die Colts der anderen Earps zu geraten.
Seine Stunde, mit Wyatt Earp abzurechnen, würde kommen. Dafür wollte er schon sorgen, aber vorher gedachte er, den mühelos zu erlangenden Geldsegen aus der Calligan-Farm mitzunehmen.
Hopkins schätzte den Anteil des Texaners bei dem Run gegen die Calligan-Farm wenigstens auf vier- bis fünftausend Bucks.
Wenn sich das im Dunkeln erledigen ließ, überlegte der Schießer, war es schließlich auch nicht härter, als dafür sechs, sieben Männer im Auftrag anderer Männer zu fordern. Im Gegenteil, das Risiko in seinem alten Job war bedeutend größer, als die meisten Menschen ahnten.
So hatte sich denn die Sache durch den Trick des texanischen Schießers kurz vor Mitternacht dahin gehend entwickelt, dass die drei Banditen gegen die ahnungslos kleine Calligan-Farm zogen.
Steve Hopkins hatte auch da alles bis ins Kleinste ausgekundschaftet. Auf den Gedanken, dass er hierzu den Revolvermann eigentlich nicht so notwendig gebraucht hätte, und dass er ihn im Grunde nur gegen die Earps angeheuert hatte, kam er nicht. Hopkins war auch kein sonderlich großes Licht, sonst hätte ihm aufgehen müssen, dass er das Gold der Calligan-Farm dem Schießer gewissermaßen doch nur als lockende Belohnung, als Zugabe sozusagen, versprochen hatte.
Eine halbe Meile vor der Ansiedlung hielt der voranreitende Long seinen Klepper an.
»He, Steve, wir sind weit genug.«
Der gedrungene Arkansasmann hielt sein Pferd an.
»Yeah – du hast recht.« Er blickte nach Westen hinüber, wo sich gegen den hellen Nachthimmel die Dächer einiger Holzhäuser abhoben. »Da drüben ist es!«
Flanagan warf einen Blick auf die Dächer. Dann sah er seine beiden Kumpane an.
»Und was soll jetzt geschehen?«
»Das wirst du erfahren, Fellow!«
Der Texaner rieb sich das Kinn. Er spürte eine seltsame Unruhe in sich aufsteigen. Schließlich war dies sein erster Coup als Bandit.
Der Gedanke daran machte ihm doch zu schaffen. Nicht, dass er nun als Bandit losgehen wollte, sondern, dass er so gar keine Erfahrung in diesem Gewerbe hatte.
Wieder beäugte er seine beiden Gefährten misstrauisch. Diese zerlumpten Kerle wollten eine Farm überfallen?
Das war doch Wahnsinn!
Immerhin würden ein paar Leute da wohnen, die auch mit einem Gewehr umgehen konnten. Und vor Gewehren hatte der Revolvermann Hal Flanagan Respekt. Sie überstrichen ein weiteres Feld, eine größere Entfernung, waren mit dem Colt nicht zu bekämpfen und konnten irgendwo in guter Deckung liegen, während man selbst mit dem kleinen Colt über den offenen Plan rannte.
Aber er sollte sofort hören, dass Steve Hopkins auf diesem Gebiet kein Greenhorn war.
Der Arkansasmann sagte nämlich: »So, und jetzt hört genau zu. Hal geht auf das größere Haus in der Mitte zu. Und zwar im Halbbogen nach rechts, da ist er durch die Büsche gedeckt und hat am Ende nur etwa sieben Yards offenen Hof zu überqueren. Ich wende mich nach links, zu dem kleineren Gebäude hinüber …«
»Und«, knurrte der Texaner, »gibt’s keinen Hund?«
»Natürlich, den bewacht Bing«, sagte Steve zweideutig.
»Weiter!«, brummte Bing.
Steve schob sich den Hut aus der Stirn.
»Hal bleibt direkt an der Hauswand stehen. Da kann ihn kein Schuss aus dem Wohnhaus erreichen – alle Leute, die das Haus verlassen, muss er aufhalten. Ich sorge inzwischen für das Feuerwerk, das die Farmbewohner ablenkt.«
»Willst du Feuer legen?«, forschte der Texaner misstrauisch.
»Ein kurzes Feuer. Ich muss Zeit gewinnen, um nach der Kiste laufen zu können.«
»Du weißt also genau wo sie steht?«
»Ziemlich genau!«
Flanagan hatte einen Augenblick den Gedanken, Bing auszuschalten und den Arkansasmann zu zwingen, ihn zu der Kiste zu führen. Aber er wurde das Gefühl nicht los, dass er es allein nicht schaffte. Schließlich hatten Long und Hopkins lange genug an der Nuss herumgeknackt.
»Steig ab!«, sagte Hopkins.
Dann führte er sein Pferd auf die Farm zu. Der Texaner folgte ihm.
Den Schluss bildete wohlberechneterweise Bing Long.
Da schlichen sie nun durch die Nacht, die beiden »Reitenden in Blei«, die sich den Coltman für ihr finsteres Unternehmen angeworben hatten.
So war denn die Earp-Farm in dieser Nacht um das Feuerwerk gekommen, das ihr die beiden Banditen zugedacht hatten. Es war übrigens das Glück der drei Männer gewesen, dass Flanagan von diesem Gedanken abgeraten hatte. Sie wären fürchterlich aufgelaufen. Der alte Colonel Nic Earp hatte mit seinen vier Söhnen und zwei Töchtern eine wahre Festung aus seiner Farm gemacht. Das war allerdings nicht so ohne Weiteres von außen zu erkennen. Aber nie und nimmer wäre es Long und Hopkins gelungen, die Farm zu überraschen. Immer wachte einer der Männer. Und auf den leisesten Piep hin wären die anderen auf dem Posten gewesen. Zu lange hatte der Alte den Waffenrock getragen, um sich nicht in dieser Art gegen Überfälle zu sichern. –
Der alte James Prick oben in Quincy hatte Steve Hopkins einen gewaltigen Bären aufgebunden. Was daran stimmte, war die Tatsache, dass hier bei Lamar tatsächlich die beiden Familien Earp und Calligan lebten. Prick, der Säufer, kannte sie von Monmouth (Illinois) her. Und was er mit seinem sogenannten Tipp erreichen wollte, hatte er erreicht: Long und Hopkins hatten von ihm selbst abgelassen und waren ihm dafür auf den Leim gekrochen. Dass die beiden Halunken ihn nach fehlgeschlagener Reise wieder aufsuchen würden, war nicht zu befürchten, denn er kannte die Earps. Die würden die beiden derart heimleuchten, dass ihnen jede weitere »Reise« verging. Sicherheitshalber hatte der alte Prick trotzdem seinen Wohnsitz verlegt.
Was er jedoch nicht bedacht hatte, geschah: Die Banditen wandten sich zuerst gegen die Calligan-Farm. Die hatte er gewissermaßen als weitere Lockperle ausgeworfen. Und die Tatsache, dass die beiden Banditen, die angegebenen Farmen tatsächlich unten bei Lamar finden würden, gab ihm die Sicherheit, dass sie nicht sofort umkehrten, sondern eingehende »Studien« an Ort und Stelle treiben würden, wie die Geldkisten am besten aus den Häusern zu holen seien.
Die Geldkisten waren natürlich eine glatte Erfindung des alten James Prick. Er hatte mit den Earps gerechnet, der Alte, und die beiden Verbrecher hätten auch prompt bei den Earps angefangen. Hal Flanagan war der Faktor, mit dem Prick nicht gerechnet hatte. Der Coltman hatte den nötigen Respekt vor einer Familie, deren Mitglieder selbst gut schießen konnten.
Aber das Geld reizte Flanagan doch. Allerdings das Geld in der Calligan-Farm.
Deshalb schlich der Texaner jetzt mit den beiden Verbrechern dem dunklen Hof näher.
Auf einen leisen Ruf Steves hin band er seine Zügelleine an einen Busch, ließ den Grauen stehen und schlich vorwärts auf die Blockhäuser zu.
Bing Long folgte ihm im Abstand von zehn Yards.
Er war der Mann, der den »Hund« bewachen sollte.
Den Hund Flanagan.
Darauf war der sonst so gerissene Schießer nicht gekommen.
Die beiden hatten ihrerseits vor der schnellen Hand des Texaners so viel Respekt, dass sie beschlossen hatten, ihn fest im Auge zu behalten, wohingegen sie ihm aber trotzdem den größten und schwierigsten Teil des Überfalls zugedacht hatten.
Hopkins wollte die Leute aus dem Haus locken.
Während Flanagan sie vorn im Hof aufzuhalten hatte – wobei Bing Long den Schießer bewachte – würde Hopkins hinten ins Haus eindringen.
Die beiden geriebenen Halunken rechneten dabei fest auf Flanagans schnelle Hand und auf seine Kälte. Er war ja im Augenblick, da die Leute das Wohnhaus verließen, gezwungen zu schießen.
Und wenn ein Revolvermann schoss, schoss er genau.
Das war die Rechnung Steve Hopkins’. Und die Rechnung Bing Longs.
Aber Hal Flanagan hatte auch eine Rechnung. Die sah allerdings ganz anders aus.
Der Schießer dachte gar nicht daran, mit den beiden Banditen zusammen die Farm zu verlassen. Wenn es feststand, dass Hopkins das Geld gefunden hatte, würde er die beiden töten. Das Geld war dann sein. Er hätte die beiden ohnehin nicht leben lassen, da war es seiner Meinung nach völlig einerlei, ob sie nun hier oder ein paar hundert Meilen weiter westlich ins Gras bissen.
Flanagan hatte dabei noch eine Idee: Wenn man am nächsten Tag die Leichen der beiden bei der Farm fand, musste man zu der Überzeugung kommen, dass sie von den Schüssen der Leute auf der Farm getroffen worden waren. Dann hatte man gleichzeitig die Räuber, ohne dass diese noch etwas über den Überfall aussagen konnten.
Das war Hal Flanagans Plan. Es war entschieden der schwärzeste Plan.
*
Aber noch ein Mann hatte in dieser schwülen Nacht einen Plan.
Ed Holyoke.
Als er mit der verbundenen Hand aus dem Doktorhaus kam, stand er zähneknirschend auf der Mainstreet. Er blickte zu dem Windlicht hinüber und sah plötzlich die Konturen eines Mannes auf dem Vorbau.
Holyoke wusste, dass es Wyatt Earp war. Er ging auf ihn zu.
»He, Earp! Ich wollte Sie noch was fragen. Was hatten Sie vorhin in meinem Haus zu suchen? Wie kamen Sie überhaupt hinein? Ich habe Sie nicht gerufen. Und ich möchte Ihnen ein für alle Mal erklären: Wenn ich Sie noch einmal in meinem Haus antreffe, werde ich mich beim Major und bei Richter Gordon über Sie beschweren!«
Es blieb einen Augenblick still. Das schaukelnde Windlicht warf einen weichen Schimmer auf die Gestalt des Constablers.
»Gehen Sie heim, Mister Holyoke. Es ist besser. Ich habe es Ihnen heute schon einmal gesagt!«
Mit einem zerquetschten Fluch wandte sich der Holzhändler ab, und hielt auf den »Little Joe Saloon« zu. Wyatt sah ihn durch die Pendeltür verschwinden. –
Als Holyoke herauskam, war es fast Mitternacht.
Er hatte wieder eine halbe Flasche geleert. Mit schweren Schritten überquerte er die Straße und verschwand im Hof des Bürgermeisterhauses.
Die Hoftür war unverschlossen.
Holyoke kannte ja den Weg.
Er wusste ja, in welchem Zimmer Jenny vor ihrer Heirat mit ihm gewohnt hatte.
Er wankte durch den Flur und stieß die kleine Tür mit dem Fuß auf.
Die junge Frau fuhr zu Tode erschrocken im Bett auf.
Keuchend stand der Mann in der Tür. »Komm rüber«, sagte er gepresst. »Nein!«, schrie die Frau gellend.
»Well …«, gab er ächzend zurück. »Es ist gut. So ist denn alles aus … Alles!«
Im Flur waren hastige Schritte zu hören. Der alte Major kam heran. Er hatte ein Talglicht in der Hand und sah entgeistert auf die massige Gestalt des Händlers.
»Holyoke! Ich habe Ihnen doch ausdrücklich verboten …«
Der Händler warf sich herum und stieß dem alten Mann die Linke vor die Brust. Der Stoß warf den Major um.
»Es ist aus, Jenny! Alles ist aus!«, keuchte Holyoke schwer. »Ich habe Jim Chesterton vernichtet, weil er Geld von mir zu bekommen hatte. Ich habe ihm Hal Flanagan geschickt, der hat ihn umgebracht. Deinetwegen habe ich es getan! Nur deinetwegen! Weil ich das Geld behalten wollte; weil du so viel verbrauchst! Du hast mich ruiniert. Und dann ist Flanagan hergekommen, er hat mir wieder Geld abgefordert. Und ich weiß, dass er immer wieder kommen wird, wenn er Geld braucht, weil er mich erpressen kann. Wyatt Earp ahnt sowieso schon, wie die Dinge stehen … Es ist aus! Ich reite jetzt hinter Flanagan her. Mit einem Gewehr. Vielleicht sehe ich ihn erst im Morgengrauen. Dann werde ich ihn erschießen. Dann ist er weg. Und dann komme ich zurück. Bist du dann noch nicht drüben in meinem Haus, dann werde ich auch dich erschießen …«
Mit schweren Schritten stampfte der Mann hinaus. Obgleich er wieder eine halbe Flasche getrunken hatte, war er jetzt längst nicht so taumelig wie am Vormittag.
Er ging hinüber in sein Haus, holte die Winchester aus dem Gewehrständer, lud sie durch und ging dann in den Hof.
Er zündete die Stalllaterne an und sattelte seinen Braunen. Diese Arbeit machte ihm viel Mühe, da er ja nur die linke Hand dazu benutzen konnte.
Als er schließlich aus dem Hof ritt, war es weit nach Mitternacht.
*
Als Holyoke das Haus des Majors verlassen hatte, sprang Jenny aus dem Bett und sah nach dem Vater. Er lag keuchend auf den Dielen.
»Dieser Verbrecher«, stöhnte er und versuchte, sich an der Tochter aufzurichten. »Dieser elende Bandit! Ich habe ja gleich gesagt, du sollst die Finger von ihm lassen und Morgan Earp nehmen. Er war ein anständiger Bursche und hatte dich wirklich lieb. Dieser feiste Holzwurm aber hat erst seine eigene Frau unter die Erde geärgert und dann seine schmutzigen Finger nach dir ausgestreckt. Und was hast du nun? Du bist es selber schuld, weil du habgierig und berechnend bist.« Keuchend richtete sich der Alte auf. »Du hast meinen guten Namen in der Stadt beschmutzt. Holyoke ist ein Verbrecher, er hat Jim Chesterton betrogen und ihm obendrein noch einen Revolvermann geschickt. Und jetzt reitet er mit dem Gewehr hinter dem Coltman her, den er gerufen hat! Er ist ein Verbrecher, und du bist seine Frau!«
Mit schreckensbleichem Gesicht starrte Jenny den Vater an.
Der alte Mann lehnte keuchend an der Flurwand. Das Talglicht warf einen zuckenden Schein auf seine gebeugte Gestalt.
Da hob der Major jäh die Hand.
»Hinaus! Hinaus auch du. Verlass mein Haus! Und komm nie wieder!«
Das Gesicht der Frau wurde hart. Sie wandte sich um, packte in ihrem Zimmer einige Sachen zusammen und ging hinaus.
In der Mainstreet lag eine drückende Schwüle.
Drüben wurde irgendwo knarrend ein Hoftor aufgestoßen.
Ein Reiter trabte heraus.
Es war Ed Holyoke.
Die Frau erkannte ihn trotz der Dunkelheit. Und dann rannte sie los.
Auf das Windlicht zu, das vor dem Marshal-Office hing.
Als sie die Tür aufgestoßen hatte, blickte sie verstört in das faltige Gesicht des alten Marshals.
»Ist Wyatt Earp nicht mehr hier?«
»Nein«, sagte der Marshal. »Soll er einen Gruß an seinen Bruder Morgan bestellen?«, fragte der Marshal.
Jenny überhörte diese Anzüglichkeit und ging hinaus.
Zwei Yards vor ihr stand ein Mann.
Groß und breit zeichnete sich seine tiefschwarze Silhouette gegen den Nachthimmel ab.
Jenny erkannte ihn sofort.
»Wyatt Earp!«
»Madam?«
»Sie müssen mir helfen!«
»Ich –?«
»Mein Mann – er ist betrunken. Er ist im Begriff, etwas Fürchterliches zu tun. Er will Hal Flanagan erschießen!«
Der Constabler lachte leise.
»Das dürfte ziemlich schwer sein. Außerdem hat er es schon ein paarmal versucht. Der Tex hat ihm dabei die rechte Hand zerschossen.«
»Er ist weg, ich habe ihn gesehen! Er hat gesagt, dass er das Gewehr mitnimmt!«, stieß die Frau erregt hervor.
»Kann sein.« Wyatt lehnte sich gegen einen Vorbaupfosten.
Da trat Jenny an ihn heran.
»Wyatt, ich weiß, ich habe mich scheußlich gegen Ihren Bruder benommen. Aber daran dürfen Sie jetzt nicht denken. Ich bin die Frau Ed Holyokes, und er ist betrunken. Er hat ein Gewehr mitgenommen und ist nach Westen geritten. Dahin, wohin auch Flanagan geritten ist!«
Wyatt nahm eine schwarze Zigarre aus der oberen Westentasche.
»Hören Sie, Madam – meine Aufgabe ist es, für Ruhe und Ordnung in der Stadt zu sorgen. Was die Leute draußen machen, kümmert mich nicht. Vor allem dann nicht, wenn es Leute sind wie Ed Holyoke und Hal Flanagan. Gute Nacht.«
Er ging auf die Straße, und jetzt sah die Frau, dass dort sein Pferd stand. Er musste also schon länger da gewesen sein und also auch Holyoke vorbeireiten sehen haben.
Wie taub stand sie da und starrte den Reiter an.
Es war still auf der Mainstreet.
Wyatt Earp saß im Sattel und blickte die Straße hinunter. Dann hörte die Frau, wie er wieder abstieg, die Vorbautreppe hinaufkam und auf das Office zuging.
Als er wieder herauskam, hatte er ein Gewehr in der Hand.
Jenny sprang auf ihn zu und umklammerte seinen Arm.
»Wyatt! Ich werde es Ihnen nie vergessen …«
Der Constabler machte sich los, stieg auf sein Pferd und trabte die Mainstreet hinunter.
Bangen Herzens horchte die unglückliche Frau dem Hufschlag seines Pferdes nach.
*
Als der Constabler die Stelle erreichte, wo Bing Long und Steve Hopkins auf den Texaner gestoßen waren, hielt er an.
Unten im Sand lag etwas Weißes, das seinen Blick angezogen hatte.
Es war der Zigarettenrest, den Hopkins zertreten hatte.
Wyatt stieg wieder auf. Er nahm die Zügel hoch und setzte seinen Apfelschimmel in schnellen Trab.
Genau in diesem Augenblick lief Hal Flanagan geduckt von dem letzten Busch auf das Haus zu. Mit dem ganzen Körper presste er sich dicht gegen die noch sonnenwarme Holzwand, hinter der die Menschen schliefen, denen er den Tod bringen sollte.
Von da an ging alles rasend schnell.
Mitten im Hof detonierte mit dumpfem Knall eine Pulverladung. Grellweiße Blitze zuckten hoch. Dann verstummte der Lärm, und ein prasselndes Feuer blieb zurück.
Mit aufgerissenen Augen starrte Flanagan in den Brand.
War Hopkins wahnsinnig geworden!
Das Feuer erleuchtete ja den ganzen Farmhof, warf seinen roten Schein an die Wände und ließ jeden Gegenstand deutlich erkennen.
Von den beiden Tramps war nichts zu sehen.
Flanagan klebte mit zusammengebissenen Zähnen regelrecht an der Hauswand. Es war unmöglich für ihn, seinen Platz zu verlassen. Er wäre vom Haus aus wie am helllichten Tag zu sehen gewesen.
Und die Leute im Haus hatten zweifellos Gewehre …
Da sprang die Haustür auf.
Ein alter Mann mit einem Gewehr rannte heraus.
Er sah Flanagan nicht sofort, da er auf das Feuer zurannte. Dann drehte er sich um und sah den Mann an der Hauswand.
Im gleichen Augenblick stürzte eine Frau aus dem Haus.
Der Texaner riss den Colt hoch und gab zwei blitzschnelle Schüsse ab. Dann rannte er wie von Furien gehetzt an der Hauswand entlang davon.
Die Stimme Bing Longs schlug ihm entgegen. »Stehen bleiben!«
Flanagan riss jetzt beide Colts aus den Halftern und feuerte wild auf den Busch zu, aus dem die Stimme Bing Longs gekommen war.
»Idiot!«, rief der Tramp. »Ich liege doch in Deckung. Du sollst an der Hauswand bleiben und die Leute empfangen!«
Hal Flanagan stand mitten im grellen Feuerschein, mit einem Ruck wandte er sich um. Er hatte seine beiden Colts in den vorgestreckten Fäusten.
Goddam! In was hatte er sich da eingelassen!
Jeden Augenblick mussten die Fenster auffliegen und Gewehrläufe sichtbar werden.
»Zurück ans Haus!«, rief Bing Longs blecherne Stimme in das Prasseln des Feuers hinein.
Flanagan sah, dass die Frau vor der Haustür zusammengebrochen war.
Eine junge Frau mit offenem tiefschwarzem Haar.
Drüben beim Feuer kniete der alte Mann am Boden.
Und jetzt gellten die Schreie mehrerer Kinder durch die Nacht.
Flanagan wandte sich zurück.
Bing Long schoss auf ihn.
Aber der Coltman lief im Zickzack-Kurs und erreichte die Büsche.
Bing Long hatte sich schon zurückgezogen.
Flanagan hörte den Hufschlag eines Pferdes. Er rannte vorwärts und schickte zwei Kugeln hinter dem Flüchtenden her.
Dann riss er den Kopf herum und blickte mit engen Augen in den Hof.
Schreiend stürzten vier Kinder aus der Haustür.
Der alte Mann richtete sich drüben ächzend auf und torkelte auf die wie reglos daliegende Frau zu.
Wo war Hopkins?
Flanagan fühlte, wie ihm der Schweiß über die Stirne rann.
Es war ihm plötzlich alles glasklar: Die beiden Tramps hatten ihn in die Hölle geschickt. Und sie hatten das Nest ausräumen wollen, wenn er die Krähen vertrieben hatte.
So war das gedacht gewesen.
Wo mochte Hopkins stecken?
Flanagan rannte zurück, dahin, wo er sein Pferd angebunden hatte.
Natürlich, der Arkansas-Mann war nicht dumm genug gewesen, sein Pferd auch hierzulassen.
Flanagan nahm seinen Grauen, sprang auf und ritt noch einmal an den Büschen entlang. Plötzlich riss er die Zügel hoch. Er glaubte seinen Augen nicht trauen zu können, als er drin im Haus an einem der Fenster das grinsende Affengesicht von Steve Hopkins sah.
Der Tramp war also im Haus!
Flanagan schnalzte mit der Zunge und setzte seinen Grauen in Bewegung, um den Hof zu umreiten. Er würde Hopkins abfangen. Nachdem er den Halunken den Weg freigeschossen hatte, würden sie ihm nicht mit den Bucks davonschwimmen.
Wilder Zorn brannte im Hirn des Schießers.
Da hörte er Schüsse in der Nähe. Schüsse und Schreie.
Damned! Bing Long musste auf einen Gegner gestoßen sein.
Wieder Schüsse.
Flanagan presste die Lippen zusammen, starrte noch einen Augenblick auf das verlöschende Feuer, gab seinem Grauen die Sporen und sprengte in westlicher Richtung in die Nacht davon.
Bing Long hatte in panischer Angst vor den Kugeln des Texaners sein Pferd bestiegen und in östlicher Richtung das Weite gesucht.
Schon nach wenigen hundert Yards scholl ihm aus dem Dunkel eine scharfe Stimme entgegen. »Halt!«
Long erkannte diese Stimme sofort. Er kannte sie so genau, dass sie ihn einen Augenblick lähmte.
Es war die Stimme des Constablers Wyatt Earp.
Der Tramp riss seinen Gaul herum, warf im Weiterreiten seine Parkerflinte über die linke Armbeuge und feuerte drei Schüsse ab.
Die Kugeln zischten sirrend wenige Yards an dem Constabler vorbei.
Wyatt trieb sein Pferd an und folgte dem fliehenden Banditen.
»Halt!«, brüllte er noch einmal.
»Das könnte dir so passen!«, kreischte der Tramp zurück.
Und wieder brüllte sein Gewehr auf.
In die Mündungsflamme hinein hielt Wyatt das Feuer seiner Winchester.
Die erste Kugel schon riss den Banditen aus dem Sattel.
Als der Constabler das hochbeinige Pferd Bing Longs erreichte, sah er den dunklen Körper des Mannes wenige Yards davon entfernt lang ausgestreckt am Boden liegen.
Er war tot.
Aber nicht die Kugel des Constablers hatte seinem Leben ein Ende gesetzt – sie hatte ihn oben rechts in der Schulter erwischt – der Tramp hatte sich bei dem Sturz das Genick gebrochen.
Stumm lag er am Boden und starrte mit gläsernen Augen in den Nachthimmel.
Wyatt sprang sofort wieder auf sein Pferd und hielt auf den Feuerschein zu.
Als er die Büsche erreichte, die in den Farmhof führten, schlug ihm das schrille Schreien der Kinder entgegen.
Der alte Mann, der neben der Frau am Boden kniete, riss verzweifelt das Gewehr hoch und gab einen Schuss auf den Reiter ab. Glücklicherweise verfehlte die Kugel ihr Ziel.
Der Alte sah jetzt erst den Stern auf der Brust des Reiters – und dann erkannte er auch den Mann.
»Earp! Schnell! Einer war im Haus, einer ist da hinübergelaufen …«
Wyatt blickte auf die junge Frau, die reglos am Boden lag. Ihr weißes Nachtkleid war vorn über der Brust tiefdunkel gefärbt.
Der Alte richtete sich auf. Auch sein Gesicht war blutbeschmiert.
»Sie ist tot«, stieß er heiser hervor. Wyatt sog die Luft ein. Dann sah er den Alten an.
»Sie sind auch verwundet, Mister Calligan.«
»Äh – ein Streifschuss an meinem alten Schädel. Der hindert mich nicht, noch zwanzig Jahre hier mit den vier armen Würmern zu leben!«
Er warf das Gewehr hart auf den Boden und hob die Fäuste gegen den Himmel. Der verlöschende Feuerschein zuckte über sein faltenzerrissenes Gesicht.
»Ich habe ihn gesehen, den Teufel. Da drüben stand er …, drüben am Haus, als ich herauskam. Mit zwei Schüssen hat er uns niedergestreckt. Mary muss sofort tot gewesen sein. Sie gab keinen Laut mehr von sich. Ich brach in die Knie, konnte sekundenlang nichts sehen. Als ich wieder etwas erkennen konnte, sah ich ihn drüben vor den Büschen stehen. Mit zwei Revolvern in den Fäusten, bleichem, verzerrtem Gesicht und engen Augen …«
»Hatte er einen weißen Hut auf dem Kopf?«, fragte der Constabler in einer dumpfen Ahnung.
Der Alte wischte sich durch die Augen. »Einen weißen Hut? Nein, der Hut war …, rot, hellrot, glaube ich.
»Der Feuerschein hat ihn rot gefärbt, Calligan. Der Mann trug einen weißen Hut, und ich kenne ihn genau! Es war Hal Flanagan …«
*
Der nächste Morgen war grau und wolkenverhangen.
Seit Stunden fiel ein dünner Regen. Wie ein Lauffeuer hatte sich die Schreckensbotschaft in der kleinen Stadt verbreitet.
Niemand konnte begreifen, was die Banditen auf der kleinen Farm der Calligans gesucht hatten. Sie waren die ärmsten Leute in der ganzen Umgebung und hatten Mühe genug, sich selbst durchs Leben zu bringen, seit der Mann von einem Blitz erschlagen worden war.
Mary Calligan hatte es immer schwer gehabt mit den vier Kindern. Sie und ihr Schwiegervater hatten hart arbeiten müssen, um die Kinder zu ernähren.
Und da war ein Mann in der Nacht gekommen und hatte die Frau niedergeschossen.
Mit einem tödlichen sicheren Schuss hatte er eine Kugel in ihr Herz geschickt.
Vier weinende Kinder und ein Greis standen oben auf dem Friedhof vor der offenen Grube und blickten fassungslos auf den Sarg, mit dem fremde Leute ihre Mutter in die Erde gesenkt hatten.
Der Mörder hatte einen bekannten und berüchtigten Namen: Hal Flanagan!
Der Revolverschwinger war mit den beiden Tramps Bing Long und Steve Hopkins gemeinsam auf der Calligan-Farm gewesen. Später erinnerten sich die Leute auch, dass die drei ja bereits im Eastern Saloon zusammen an einem Tisch gesessen hatten. Aber da hatten sie doch kaum etwas miteinander gesprochen.
Ob sie sich schon vorher gekannt hatten?
Kaum anzunehmen.
Einer der Banditen war tot.
Wyatt Earp hatte ihn aus dem Sattel geholt.
Die beiden anderen waren entkommen.
Aber sie hatten einen großen Wolf auf ihrer Fährte. Einen Wolf, wie sie ihn sich nicht gefährlicher und härter denken konnten.
Wyatt Earp hatte nur das Grauen des Tages bei der Farm abgewartet und war den beiden dann gefolgt.
Er fand die Spuren ihrer Pferde, die auf der Straße nach Cherokee führten.
Aber nach zwei Stunden hatte der Regen die Fährte verwischt.
Wyatt fand sie am späten Vormittag wieder, verlor sie erneut und entdeckte sie nach stundenlangem Suchen wieder auf den Wagengleisen, die zur Grenze von Kansas führten.
Er würde ihnen folgen, das wusste jeder, der ihn kannte, folgen, bis er beide gestellt hatte.
*
Wo war Ed Holyoke geblieben, als er die Stadt verlassen hatte?
Er war mit dumpfem, rauchendem und dröhnendem Schädel weitergeritten auf der Straße nach Cherokee.
Als er das Feuer sah, hatte er die Calligan-Farm schon weit hinter sich gelassen. Er kümmerte sich nicht darum und ritt weiter.
Kurz vor dem Morgengrauen, ehe der Regen kam, erreichte der Reiter die ersten Häuser von Cherokee.
Ein Junge, der Brote aus der Backstube über die Straße trug, blickte den Fremden neugierig an.
»Ist hier heute schon ein Reiter durchgekommen? Ein Mann mit einem weißen Hut?«, forschte der Händler.
»Nein!« Der Junge schüttelte den Kopf. Holyoke hielt bei dem Vorbau eines Saloons.
Dann begann der Regen.
Der Händler zog sich auf den Vorbau zurück und starrte auf die Straße. Der Tag begann.
Das Leben in der Stadt regte sich.
Die Leute blickten auf den finsteren Mann mit der verbundenen Hand. Aber niemand sprach ihn an.
Gegen Mittag stieg Holyoke auf sein Pferd und ritt durch den Regen zurück.
Plötzlich sah er hinter einer Wegbiegung einen Reiter auftauchen.
Es war der Constabler Wyatt Earp. Holyoke spannte die Linke um das Gewehr und hielt sein Pferd an.
Der Constabler kam heran.
Die beiden Männer sahen einander in die Augen.
Schließlich presste der Händler heiser hervor: »Ich suche Hal Flanagan.«
»Den suche ich auch!«
Holyoke riss die Augen auf.
»Weshalb suchen Sie ihn? Sie haben ihn doch gestern laufen lassen!«
»Er hat mit zwei Tramps die Calligan-Farm überfallen.«
»Was –?«
»Mary Calligan ist tot. Flanagan hat sie erschossen.«
Holyoke fühlte, wie sich seine Kopfhaut zusammenzog. Sein Hals war trocken, und die Zunge klebte ihm wie ein Blatt am Gaumen.
»Mary Calligan –?« Er wischte sich durchs Gesicht. Dann hob er den Kopf. »All right, Earp. Ich reite mit.«
Der Constabler schüttelte den Kopf und blickte in das über Nacht zerfallene Gesicht des anderen.
»Reiten Sie heim, Holyoke. Und wenn Sie mal das Gefühl haben sollten, einem anderen Menschen was Gutes tun zu müssen, dann denken Sie an die vier Kinder der Calligans …«
Wyatt ließ den Holzhändler mitten auf der Straße stehen, führte seinen Apfelschimmel an ihm vorbei und ritt durch die Stadt weiter nach Westen.
*
Er war schon fast drei Wochen auf der Fährte des Revolvermannes Flanagan, als er die gelbe Ebene erreichte, das staubige Land südlich vom Canadian River.
Es war mit unsäglichen Mühen verbunden gewesen, die Spur der beiden Banditen zu verfolgen.
Dass es zwei waren, hatte er schon anderthalb Tage später in der Ansiedlung Falls Creek erfahren.
Und als er die Beschreibung des zweiten Mannes gehört hatte, wusste er, dass es Steve Hopkins war, der mit Flanagan ritt. Er hatte es ohnehin gewusst, denn Bing Long hatte sich sicher nicht allein mit dem Schießer zu dem Überfall verbunden.
Die beiden Männer waren quer im Norden durch das alte Indianerland Oklahoma geritten, auf die Stadt Pawnee zu.
Da hatten sie sich einige Tage aufgehalten.
Leider hatte der Constabler mehrere Tage eine falsche Spur verfolgt, bis er dann feststellen musste, dass sich die beiden Banditen doch weiter westwärts gehalten hatten.
In Pawnee war er in dem Store, in dem Flanagan frische Wäsche und Munition gekauft hatte. Auch im Lavari-Hotel, wo die beiden geschlafen hatten, war er.
Im Blue-Bill Saloon hatte Steve Hopkins Streit mit einem texanischen Rancher bekommen. Der Rancher hatte Hopkins zum Revolverduell auf der Mainstreet aufgefordert. Als er aber erfahren hatte, wer Hopkins’ Begleiter war, hatte er schleunigst die Flucht ergriffen.
Es war verdammt kaltblütig von den beiden, so frei durch die Städte zu reiten. Immerhin mussten sie damit rechnen, nachdem Bing Long gestellt worden war, dass man oben in Missouri auch um ihre Täterschaft wusste. –
Mitten in der gelben Ebene hatte Flanagan dann kehrtgemacht. In einem weiten Bogen nach Süden durch das heiße Land.
Hopkins, der während der ganzen Ritte genügend Zeit gehabt hatte, den Revolvermann zu studieren, sagte nichts und fragte nichts.
Beim Nachtlager erklärte Flanagan kurz: »Ich reite nach Pawnee.«
»Bist du verrückt?«, entfuhr es Hopkins. »Sicher nicht.«
Sie ritten zurück nach Pawnee.
Tage später erreichten sie in der Abenddämmerung die Stadt.
Flanagan hielt seinen Grauen vor dem Saloon an, in dem Hopkins den Streit mit dem Rancher gehabt hatte.
»Jetzt werden wir es gleich wissen«, sagte er nur.
Hopkins warf den Kopf herum. »Was?«
»Ob er uns folgt.«
»Wer?«
Flanagan sah den Tramp verächtlich an.
»Du bist ein armseliger Landstreicher, Hopkins, und dumm bist du noch dazu. Es gibt nur einen Mann, dem ich es zutraue, dass er uns über Hunderte von Meilen folgt.«
»Wyatt Earp?«, stieß der Tramp hervor. »Yeah.«
»Weshalb?«
Um Flanagans Mund lag ein hartes Lächeln.
»Du wirst nicht alt werden, Hopkins. Ich fange an zu glauben, dass der dumme Long dein Gedächtnis war. – Ich habe oben bei Lamar auf der Farm eine Frau erschossen. Das war Mord. Verstehst du. Und dieser Earp weiß, dass ich es war, denn der Alte, den ich angeschossen habe, hatte ja Zeit genug, mich eingehend zu betrachten.«
Hopkins blickte düster vor sich hin. »Glaubst du wirklich, dass er uns so weit folgt?«
»Ich traue es ihm zu. Ganz von dem Steckbrief abgesehen, den sie in Lamar hinter uns her jagen.«
Hopkins wischte durch die Luft.
»Äh – vielleicht siehst du Gespenster!«
Flanagan betrat den Saloon.
Hopkins folgte ihm.
Als die beiden auf die Theke zugingen, erhob sich von einem Tisch an der Tür ein Mann.
Flanagan wandte sich blitzschnell um.
»He, Brother, wohin so eilig?«
Der Mann war im Gesicht aschgrau geworden.
Flanagan lachte hart auf.
»Vielleicht einen kleinen Gang zum Sheriff machen? He?«
Hopkins, der neben dem Schießer stand, schluckte.
Flanagan bestellte sich einen roten Kentucky dry. Ohne dabei jedoch die Tür aus den Augen zu lassen.
Hopkins rührte sich nicht vom Fleck. Auch er starrte auf den Mann, der bei ihrem Eintritt hatte hinausgehen wollen.
Nach fünf Minuten verließen sie den Saloon.
Flanagans Rechte blieb dicht beim Revolverkolben, als er aufs Pferd stieg.
Am Ende der Mainstreet knurrte er: »Noch Fragen?«
Hopkins schüttelte stumm den Kopf. Sie wussten nun, dass der Wolf auf ihrer Fährte saß.
Aber Flanagan hatte ihn abgeschüttelt. Jedenfalls war es ihm durch seinen Trick gelungen, dem Constabler in den Rücken zu kommen.
Als sie in einer Halde zwischen hohem Gesträuch ihr Nachtlager aufschlugen, lehnte sich Flanagan zurück und meinte: »Wir müssen uns trennen, Hopkins. Jeder reitet für sich allein, du weiter südlich, ich weiter nördlich. In Seminole treffen wir uns. Ich werde vor dir dort sein und auf dich warten. Aber das sag ich dir: Wenn du nicht kommst und wenn das mit der Silberader in den Red-Hills Lüge war, kannst du dich lieber gleich aufhängen.«
Hopkins war in jener schwarzen Nacht hinter der Calligan-Farm von Flanagan überrascht worden. Der Schießer hatte ihm aufgelauert auf dem Weg nach Cherokee. In seinem Zorn hatte er ihn erschlagen wollen.
Hopkins, der Fuchs, verstand sich durch eine Lüge aus der Schlinge zu ziehen. Er sagte, dass der Hauptgrund seiner und Longs Reise in den Süden eine große Silberader bei Seminole unten in Texas gewesen sei. Er selbst habe sie vor vier Jahren entdeckt und wolle sie jetzt abbauen.
Die Habgier des Schießers war durch die ihm entgangenen Goldkisten erwacht. Gut denn, hatte er sich gesagt. Was schadet es, wenn ich mit ihm reite. Es liegt in meiner Richtung. Und was ich hier oben mit ihm vorhatte, kann ich im Sand von Texas bedeutend leichter erledigen.
Hopkins seinerseits hoffte, auf dem langen Ritt eine Gelegenheit zur Flucht zu finden. Aber immer, wenn er in der Nacht aufgestanden war und das Lager hatte verlassen wollen, war Flanagan, aufgewacht.
Hopkins hatte dann immer so getan, als habe er Geräusche gehört.
Er war nicht so leicht abzuschütteln, der misstrauische Revolvermann.
*
Nach drei Tagen wusste der Missourier, dass Flanagan ihm ein Schnippchen geschlagen hatte. Der so hart geänderte Kurs konnte nur dann einen Grund haben: In den Rücken eines etwaigen Verfolgers zu kommen.
Wyatt tat das Vernünftigste, das ihm zu tun blieb: Er wartete da, wo die Spur nach Osten abbog.
Zwei Cowboys von der großen Lumbarry-Ranch hatten die beiden Reiter gesehen, als sie hinter einem Hügel scharf nach Osten abbogen.
Da Flanagan bisher eine ganz bestimmte Richtung eingehalten hatte, vermutete Wyatt, dass er wieder durch diese Gegend kommen würde. Außerdem hatte er das sichere Gefühl, dass der Schießer seiner Heimat, dem Panhandle, zustrebte. Das war das Dümmste, was er tun konnte, wenn er verfolgt wurde, aber es hatte tatsächlich den Anschein, dass es so war.
Wyatt hatte in der kleinen Stadt Strong-City Speck, Bohnen, Mehl und Brot gekauft. Draußen, am Rande der Lumbarry-Weide, hatte er sein Lager aufgeschlagen.
Aber es vergingen sechs Tage, ohne dass sich eine Spur von den beiden gezeigt hätte. Von einer dunklen Ahnung getrieben, ritt der Constabler zurück in die Stadt.
Strong-City war eine jener kleinen Zigarrenkistenstädte, wie sie überall in diesem Land zu finden waren. Eine einzige Straße, die von etwa hundert Häusern gesäumt war, ein Saloon, ein Store, ein Blacksmith, ein winziges Sheriff-Office und Wohnhäuser, das war Strong-City in Oklahoma.
Als Wyatt vor dem Store aus dem Sattel stieg, um seinen Proviantvorrat aufzufüllen, sah er zufällig schräg gegenüber, zwischen einer Reihe von Pferden, einen Gaul, den er schon einmal gesehen hatte. Es war ein schwerer kurzleibiger Fuchs mit kantigen Sprunggelenken und ungepflegtem Fell.
Die Augen des Constablers wurden messerscharf.
Dieses Pferd gehörte dem Tramp Steve Hopkins. Jedenfalls hatte er es geritten, als er nach Lamar gekommen war.
Wyatt schlang seine Zügelleinen um den Querholm und ging langsam auf die andere Straßenseite. Auf den Stepwalks ging er weiter vorwärts, als ihn plötzlich eine krächzende Stimme anrief: »He!«
Wyatt fuhr herum.
Hinter ihm in der Tür des Sheriff-Office stand ein kleiner Mann mit hartem Gesicht, engen Augen und struppigem Grauhaar. Links auf seinem karierten Hemd blitzte der Sheriff-Stern.
Wyatt ging auf ihn zu. »Ja, Mister –?« Der Sheriff musterte den Missourier eingehend.
»Was haben Sie vor, Mann?«
Wyatt, der keinen Stern mehr trug, seit er Lamar und sein County verlassen hatte, sagte schnell, indem er sich umblickte: »Da drin im Saloon ist ein Mann, den ich suche …«
Der Sheriff nickte. Er war ein abgebrühter Mann, dessen Name vor zwei Jahrzehnten einmal weithin bekannt war. Aber heute war er alt und grau. Er war froh, dass die Stadt ihn gegen ein gutes Geld angeworben hatte. Immerhin war sein Name – Jeff Bleasdale – gut genug gewesen – die Pinney-Bande der Gegend zu verscheuchen.
»Nichts da, Brother«, sagte er hart. »Hier wird nicht geschossen!«
Der Missourier griff in seine Tasche und nahm den Marshal-Stern heraus.
Bleasdale blickte mürrisch auf das blinkende Metallstück.
»Na und? Sie sind ein Marshal aus dem Norden. Sie suchen einen Mann. Alles klar. Aber hier wird nicht geschossen. Das ist noch klarer. Ich bin Jeff
Bleasdale! Haben Sie verstanden, Marshal?«
Wyatt nickte. »All right, Sheriff. Aber wenn Sie mir schon nicht beistehen wollen, so halten Sie mich wenigstens nicht auf.«
Bleasdale knurrte: »Hier wird nicht geschossen.« Leiser fügte er hinzu: »Sie sind noch ein junger Hund. Bei Ihnen beißen die Städte leichter an. Ich bin ein alter Bock. Ich war froh, als mir der Major hier den Stern anbot. Und ich habe ihm versprechen müssen, dass kein Schuss mehr in der Stadt fällt.«
Der Missourier sah den Mann ernst an. Dann war plötzlich ein kleines Lächeln in seinen Augen.
»Ein verdammt leichtsinniges Versprechen, Bleasdale. Übrigens, ich habe viel von Ihnen gehört. Mein Vater erzählte uns von Ihnen, als ich noch ein kleiner Junge war. Damals waren Sie Sheriff in Abilene.«
Bleasdale wischte sich durchs Gesicht. »Goddam, ja, es ist wahr!« Seine raue Stimme zitterte ein wenig, als er das sagte. Irgendwo in seinem Innern war er glücklich, dass einmal ein Mann gekommen war, der wirklich etwas von ihm wusste. Der wusste, dass er, Jeff Bleasdale, einmal ein ganz Großer war. Aber sofort war diese Regung wieder verschwunden.
»Trotzdem, Brother, hier wird nicht geschossen!«, stieß er rau hervor.
Wyatt lächelte. Dann griff er nach den Revolvern.
Die Rechte des Sheriffs zuckte auch zum Colt. Und dann sah der falkenäugige Mann, dass der fremde Marshal ihm seine beiden Revolver mit den Knäufen nach vorn entgegenhielt.
Bleasdale schluckte.
»By God – du hast einen höllischen Griff, Brother. Wie heißt du?«
»Wyatt Earp.«
Der alte Sheriff hob den Kopf.
»He, warst du nicht mal in Ellsworth, oder irre ich mich im Namen?«
Wyatt grinste. »Sie irren sich bestimmt.«
Der Sheriff legte den Kopf auf die Seite. »Sollte mich wundern. Wer so schnell die Knäufe nach vorn drückt, bringt die Läufe doppelt so schnell vor. Steck deinen Stern an, Brother!«
Wyatt schüttelte den Kopf.
»No, Bleasdale. Wenn ich schon ohne Colt gehen muss, gehe ich auch ohne Stern.«
»Das geht nicht gut. Wie willst du das schaffen? Komm her! Nimm deine Eisen zurück. Du musst mir aber versprechen, dass du nicht schießt. Ich will meinen Job noch ein paar Monate behalten!«
Wyatt war schon weitergegangen. Ohne Stern und ohne Schusswaffen. Kopfschüttelnd blickte ihm der Sheriff nach.
»Wyatt Earp«, flüsterte er vor sich hin. »Yeah – das ist es! Er hat die Thompson-Brüder gestoppt. Es stand doch in den Gazetten!«
Mit den beiden Revolvern lief er hinter Wyatt her, hinter dessen Rücken eben die bastgeflochtenen Pendeltüren des Saloons zusammenschlugen.
In dem schlauchartig engen Schenkraum herrschte trübes Dämmerlicht.
An den kleinen Tischen, die beiderseits des Ganges standen, saßen nur wenige Gäste.
Und oben an der Theke lehnte der Mann, den der Missourier suchte.
Wyatt rief ihn sofort an.
»Hopkins!«
Der Bandit fuhr herum. Seine Faust zuckte zum Colt, blieb aber auf dem Knauf der Waffe hängen.
Steve Hopkins war ein hartgesottener Mann. Aber der Anblick des Constablers, von dem er in den letzten Tagen schon geträumt hatte, verschlug ihm jetzt doch die Sprache.
Wyatt ging langsam vorwärts.
Da riss Hopkins die Waffe hoch.
»Stopp! Das hat sogar bei Flanagan geklappt, Earp – ich weiß. Aber bei mir nicht. Ich schieße!«
Wyatt blieb stehen.
»Du musst ein verdammt schlechtes Gewissen haben, Hopkins. Weshalb willst du auf mich schießen?«
»Weil du verdammter Skunk mich wieder einsperren willst!«
»Weshalb will ich dich einsperren?«
»Ich weiß es nicht …, äh! Bleib stehen!«
Wyatt sprang zur Seite, rollte sich an die Tische, sprang wieder hoch und war bei dem Banditen, als er den Hahn des Revolvers knacken ließ.
Nur anderthalb Yards stand der Missourier vor dem Tramp.
Er senkte den Kopf, und der Blick seiner tiefblauen Augen fraß sich in das Affengesicht des Banditen.
»Hör zu, Steve Hopkins. Du hast zusammen mit Hal Flanagan und Bing Long die Calligan-Farm bei Lamar überfallen. Dafür wirst du bestraft werden … Wenn du jetzt aber abdrückst, hast du einen Marshal erschossen. Dafür wirst du gehängt werden. Hier in der Stadt ist mein Freund Jeff Bleasdale Sheriff. Du wirst bei ihm gut aufgehoben sein und mit mir nach Lamar zurückreiten, wenn ich Flanagan gefunden habe.«
Hopkins lachte laut auf.
»Flanagan? Wenn du glaubst, dass du ihn findest, musst du verrückt sein!« Wyatt streckte die Rechte aus.
»Gib mir deinen Colt.«
»Lass die Hand unten, Earp. Du hast gehört, dass ich die Bleispritze gespannt habe. Du siehst meinen Finger am Stecher. Ich ziehe durch!«
»Gib mir deinen Colt!«
»Ich ziehe durch!«, zischte der Bandit.
»Hopkins – die Leute hier in der Stadt haben was gegen Schießereien. Vielleicht siehst du, dass ich meine Colts nicht in den Halftern habe. Ich habe sie freiwillig beim Sheriff abgegeben. Wenn du einen Fight mit mir willst, dann einen fairen. Gib deinen Colt ab.«
»Dir?«
»Dem Sheriff.«
»Dass ich verrückt wäre!«, brüllte der Tramp.
»Dann nicht.« Die Linke des Missouriers schlug dem Banditen die Waffe aus der Hand.
Hopkins, mit allen Wassern gewaschen, hechtete sofort nach vorn, wurde aber von einem rechten Handkantenschlag so hart am Hals getroffen, dass er zur Seite fiel. Ja, er knickte sogar in die Knie, kam wieder hoch und starrte den Missourier aus hasserfüllten Augen an.
»Du verdammter Skunk! Noch hast du mich nicht.«
»Aber gleich.«
Hopkins rannte los, wollte den Gegner unterlaufen, verfehlte ihn aber und flog der Länge nach auf den Boden.
»Gib es auf«, mahnte Wyatt ihn ruhig.
Aber der Arkansasmann war zu hart getroffen worden, als dass er noch Vernunft hätte annehmen können. Wie eine Sprungfeder flog er hoch und schnellte dem Constabler entgegen. Mit der Kraft der Verzweiflung warf er einen wilden Schwinger nach vorn, der pfeifend über den abgeduckten Schädel des Gegners zuckte, dann traf ihn selbst ein kurzer rechter Gerader, der ihn gegen die Theke zurückwarf.
»Gib es auf!«, mahnte ihn Wyatt noch einmal.
Aber Hopkins sah ihn nur hasserfüllt aus böse flackernden Augen an.
»Jetzt mach dein Testament, Earp. Jetzt sollst du Steve Hopkins kennenlernen!«
Und jetzt begann der Bandit zu fighten, als gelte es sein Leben. Er warf schwere und schwerste Brocken nach vorn – musste aber erleben, dass der Missourier alles, aber auch alles auf die Deckung nahm. Selbst die schnellsten Finten brachten dem Tramp nichts ein. Keuchend rannte er immer wieder gegen dieses menschliche Bollwerk aus Missouri an. Brüllend, schreiend, mit wutverzerrtem Gesicht.
Bis ihn ein linker Uppercut, den niemand im Schenkraum hatte kommen sehen, von den Beinen riss.
Hopkins hockte am Boden und stierte aus blutunterlaufenen Augen nach oben.
»Du hast Pech gehabt, Earp. So gut du auch bist!«
Und jetzt sahen es alle. Er war dahin gestürzt, wo der Revolver lag.
Steve Hopkins hatte seinen Colt in der rechten Hand.
»Es ist aus, Wyatt Earp. Und ehe ich das heiße Blei auf die Reise schicke, will ich dir sagen, dass Hal Flanagan recht hatte, als er meinte, dass du der dreckigste Kerl mit einem Stern auf der Brust wärst, den es im Westen gibt. Er wusste, dass du uns folgen würdest, dass du nicht aufgeben würdest …«
Der Missourier blickte den vor Wut keuchenden Tramp ruhig an.
»Schieß mich ruhig nieder, Hopkins. Dann stehst du endlich mit Hal Flanagan auf einer Stufe! Dann bist du auch ein Mörder.«
»Ja«, hechelte der Bandit, »ich werde dich abknallen, Earp. Weil du eine ganz verdammte Ratte bist, ein Skunk, ein streunender Wolf, der sein Opfer zu Tode hetzt …«
»Sei still, Hopkins. Weshalb hast du den Revolvermann auf die Calligan-Farm gehetzt? Was wolltest du dort?«
Die Augen des Banditen wurden eng. Fieberhaft jagten sich die Gedanken in seinem düsteren Hirn. Er hatte sofort gespürt, dass diese Frage ihm das Genick brechen sollte.
Bing Long!
Wo war er? Hatte der Hilfs-Marshal ihn gefangen, oder war Bing tot? Wenn er noch lebte, hatte er sich vielleicht dadurch zu retten versucht, indem er alle Schuld auf seinen Gefährten abgewälzt hatte. Aber vielleicht war er auch tot.
Wyatt Earp sagte schnell: »Du brauchst nichts zu sagen, Hopkins, es ist alles klar.«
Da brüllte der Bandit: »Nichts ist klar! Bing Long hat die Idee gehabt. Von Anfang an. Er sagte, auf der Farm wäre eine Goldkiste. Und er hat in Lamar auch die Idee gehabt, Flanagan anzuwerben.«
»Und du bist mit Flanagan geflüchtet, nachdem er die Frau erschossen hatte!«
»Yeah!«, keuchte der Tramp. »Er hat mich unterwegs gestellt. Ich musste ihm etwas vorschwindeln, um mit dem Leben davonzukommen. Er wollte mich umbringen, weil wir beide ihn so höllisch in die Tinte geritten hätten. Da habe ich ihm gesagt, ich wüsste unten bei Seminole eine Silberader …«
»Es ist gut, Steve Hopkins. Lass den Revolver fallen und steh auf.«
In den rotgeränderten Augen des Banditen stand ein Lauern.
»Werde ich gehängt, Earp?«, fragte er hastig.
»Ich weiß es nicht.«
»Ah, du weißt es nicht. Es ist also möglich?«
»Du hast Flanagan auf die Calligan-Farm geführt. Du trägst einen Teil der Schuld am Tod der Frau.«
Hopkins belferte los: »Das ist nicht wahr! Niemand sollte getötet werden. Was kann ich dafür, dass Flanagan sofort schoss wie ein Wahnsinniger! Er ist eben ein Revolvermann und hat sich so benommen.«
Wyatt senkte den Kopf.
»Hopkins«, sagte er gedehnt, »Mary Calligan war Mutter von vier Kindern!« Der Tramp lachte hart auf.
»Yeah, es muss ja so etwas sein. Sonst wärst du ja nicht hier, nicht wahr, Earp! Es ist also drin, dass ich an den Ast muss.«
Wyatt kreuzte die Arme über der Brust.
»Wenn ich Flanagan gegriffen habe, werde ich versuchen, Richter Gordon zu bitten …«
»Richter Gordon zu bitten?«, bellte der Tramp dazwischen. »Ha – lass das Säuseln, Earp!« Er lachte wieder hart auf. »Ich bin im Bilde, Freund, Richter Gordon sitzt in Joplin. Er wird Hal Flanagan an den Strick bringen, und mich wird er nicht davonkommen lassen!«
»Wenn du den Colt fallen lässt und mit ins Sheriff-Office kommst, Hopkins, habe ich etwas, was ich Richter Gordon erzählen könnte.«
Hopkins richtete sich langsam auf. Er hatte den Colt vorgestreckt.
»Das rollt nicht, Earp. Im Gegenteil: Ich sehe jetzt sonnenklar. Es gibt überhaupt nur einen Zeugen gegen mich: Und der bist du selbst! Du hast Bing gestellt – und du wirst Flanagan jagen. Du bist es, der mir die Schlinge um den Hals legt. Nur du allein. Und deshalb wirst du sterben!«
»Was bringt dir das ein?«, fragte der Constabler gelassen.
»Das wird sich zeigen.«
»Du kommst hier nicht raus. All diese Männer wissen jetzt, dass ich ein Marshal bin, ein Mann des Gesetzes. Wenn du mich zusammenschießt, müssen sie dich aufhalten.«
Steve Hopkins ließ den Blick schnell über die Männer im Schenkraum schweifen. Dann hob sich seine breite Brust, und in seinem Affengesicht stand ein überhebliches Grinsen.
»Du irrst dich, Earp! Die Leute kennen mich noch nicht. Ich bin Steve Hopkins und werde mir den Weg freischießen!«
Wyatt nickte. »Wie du willst. Aber dann wirst du mich in den Rücken schießen müssen, Hopkins.«
Er wandte sich um und ging langsam und mit erhobenem Kopf zwischen den Tischen zurück.
»Dreh dich um!«, geiferte der Tramp.
»Ich denke nicht daran. Wenn du schießen willst, musst du in meinen Rücken schießen.«
»Wo willst du hin?«
»Ich hole meinen Revolver.«
Wyatt war etwa neun Yards von dem Tramp entfernt, da stieß dieser den Colt vor.
Aber der Schuss, der durch den Raum peitschte, kam von der Tür her.
Jeff Bleasdale stand in den bastgeflochtenen Schwingarmen, breitbeinig und schwer stand er da. Seine harten Falkenaugen glühten.
Noch hatte er den rauchenden Revolver in der Rechten.
Nur einen Sekundenbruchteil vor dem Schuss hatte sich Wyatt fallen lassen und blitzschnell zur Seite gerollt. Er blickte zurück zur Theke, sah, wie Steve Hopkins zur Tür starrte, auf den kleinen grauhaarigen Sheriff, dann ein verzerrtes Lächeln um die Mundwinkel hatte und gleich darauf hart auf die Dielen aufschlug.
Wyatt stand auf und ging zu ihm hin. Der Colt lag neben dem Kopf des toten Tramps.
Wyatt nahm die Waffe auf und ließ die Trommel rotieren.
Es fehlte eine Kugel.
Bleasdale war Wyatt gefolgt. Er sah nur auf den Colt in Wyatts Hand.
»Du brauchst nicht zu zählen, Earp. Er hat auch geschossen, im gleichen Moment; die Kugel zischte da, wo du gestanden hast, durch die Luft und steckt drüben im linken Türpfosten. Er war ein schneller Schütze – aber nicht gut genug im Treffen.« –
Eine halbe Stunde später standen die beiden Männer vor dem Sheriff-Office.
Wyatt hatte seine Revolver wieder umgeschnallt.
Bleasdale schob den Hut zurück und sagte. »Warte einen Augenblick, Earp.« Er ging ins Office und kam gleich darauf mit einem Gewehr und einem Sattel zurück.
»Was haben Sie vor?«, forschte der Constabler verblüfft.
»Ich reite mit dir.«
»Wohin?«
»Ist mir einerlei. Flanagan fehlt ja noch.«
»Weshalb? Sie können doch die Stadt nicht ohne Sheriff lassen!«
In dem faltigen Gesicht des grauhaarigen Mannes stand ein verzichtendes Lächeln.
»Du weißt doch, wie der Job hier lief, Earp. Bei der ersten Schießerei bin ich ihn los. Das war abgemacht.«
In diesem Augenblick trat ein älterer Mann mit ernstem Gesicht von der Straße her auf den Vorbau.
»Sheriff, wo wollen Sie hin?«
Bleasdale musterte den Mann. »Ich reite weiter, Major. Der Job ist entzwei. Wie Sie es gesagt haben. Ich habe geschossen.«
Der Bürgermeister nickte. »Ich weiß, Bleasdale. Aber Sie mussten schießen. Mein Bruder war im Saloon und hat alles beobachtet. Sie sollen nur Schießereien verhüten. Wie Sie das machen, ist Ihre Sache. Dass Sie selbst dabei mal einen Schuss abgeben müssen, hat nichts damit zu tun. Packen Sie also Ihren Sattel wieder an den Haken, und bringen Sie die Winchester zurück in den Ständer.«
Bleasdale blickte den Missourier an. Dann presste er die Augen kurz zu und zwinkerte in die Sonne.
»Du hast es gehört, Earp. Du musst allein reiten …«
*
Der zweite Mann war gestellt.
Er hatte seine Strafe gefunden.
Steve Hopkins war ein gewissenloser Verbrecher gewesen. Er allein hatte den Plan mit den Überfällen ausgeheckt. Wenn Wyatt gewusst hätte, was er mit seiner eigenen Familie, mit seinen drei Brüdern, seinen beiden Schwestern und seinen Eltern oben in der Farm im Sinne gehabt hatte, wäre er wohl anders mit ihm umgesprungen.
Aber das Geschick hatte den Verbrecher ja ereilt.
Und der schnelle Schuss hatte dem wackeren Sheriff von Strong-City eine Menge seines verloren geglaubten Selbstbewusstseins zurückgegeben.
Jetzt galt es, den letzten Mann zu finden.
Den Mörder Hal Flanagan.
Dass die Jagd nach ihm das Schwerste war, war Wyatt klar. Dieser gerissene Mann hatte Hopkins auf den südlichen Kurs gesetzt, um ihn dem Constabler in die Fänge zu hetzen.
Wenn er selbst dadurch auch um die Silberader bei Seminole kam, so hatte Flanagan doch Gewissheit darüber, dass Wyatt Earp tatsächlich im Lande war und vor allem, wo er war.
Und diese Gewissheit hatte er schon nach wenigen Tagen.
Ein Gunman von der Overland erzählte in einem kleinen Saloon in der Ansiedlung Brooks-Town, dass in Strong-City ein Marshal aus Missouri einen Banditen gestellt habe.
Flanagan wusste genug.
Er entschloss sich sofort, den Ritt scharf nach Südwesten zu lenken.
Er würde über Panhandle weiter nach Süden reiten.
Hinein in den großen Sand.
Er selbst stammte aus diesem glühenden Land.
Der Missourier aber würde darin umkommen, wie schon so viele darin umgekommen waren.
Der große Sand würde ihn auffressen.
Die Gewissheit, dass Hopkins tot war – das hatte er zwei Tage später in Hoveridge erfahren –, nahm eine Last von ihm. Jetzt war er allein, hatte keinen geschwätzigen Partner mehr zu fürchten, keinen Verräter.
Die beiden Tramps waren tot.
In der kleinen Texasstadt Lodge stand es im Courant, gleich auf der ersten Seite. Flanagan las es im Barbershop.
Aber sein eigener Name stand auch da. »Gesucht wegen Mordes.« Ungerührt studierte der Schießer den Artikel. Dann faltete er die Zeitung zusammen und steckte sie ein.
Der kleine kahlhäuptige Barbier, der den Revolvermann gerade rasierte, bemerkte: »Wenn Sie so nett sein wollten, Mister, und die Zeitung hierlassen würden, wäre ich Ihnen dankbar. Die anderen Kunden wollen sie auch noch lesen. Ich kaufe nämlich nur ein Blatt.«
»Dann kaufen Sie eben einmal zwei«, versetzte Flanagan rau.
»Ich denke nicht daran, Mister. Legen Sie das Blatt hin!«
Flanagan riss sich das weiße Tuch vom Hals.
Der Barbier sprang zurück. Entsetzt blickte er in das gipsfarbene Gesicht des Texaners.
»Was soll das, Mister? Was …«
Plötzlich wurde er grüngelb um die Nase, der kleine Mann. Seine Hand mit dem Rasiermesser zitterte.
Er hatte schon vorhin, als der Mann hereingekommen war, überlegt: Wo habe ich den nur schon gesehen?
In diesem Augenblick wusste er es.
Wie Schuppen fiel es von seinen Augen. In Fulminante hatte er ihn gesehen!
In einer furchtbaren Stunde.
Auf der Mainstreet schossen sich zwei Männer. Das heißt, der eine forderte den anderen. Der andere war ein älterer Mann, er fiel sofort um. Er hatte den Colt nicht einmal aus dem Halfter gebracht, als die Kugel des anderen ihm schon im Leben saß.
Und der andere war der Mann, der jetzt vor ihm stand.
Hal Flanagan!
»Hal Flanagan!«, hörte der kleine Barbier sich selber zu seinem eigenen Schrecken sagen.
Das Gesicht des Revolvermannes erstarrte zur Maske.
Der Barbier stand steif und reglos da.
Da rissen bei dem Texaner die Fäden. Er hatte den Colt in der Hand und schoss.
Der kleine Barbier Jimmy Villerton fiel nach hinten zurück und lag still auf dem Boden. Sein weißer Kittel hatte vorn über der Brust einen dunklen Fleck.
Der Mörder flüchtete in wilder Jagd aus der Stadt.
Zwei Männer, die ihm auf nicht sehr schnellen Pferden folgen wollten, warf er ein knatterndes Colt-Feuer entgegen. Das ließ sie innehalten.
Hal Flanagan entkam.
Der schnelle Graue aus Joplin hatte ihn so weit fortgetragen, dass er keinen direkten Verfolger mehr zu befürchten brauchte.
Erst mitten in der Nacht hielt er an und schlug sein Lager in einem Waldstück auf.
Er legte sich auf seine Decke und wollte schlafen.
Aber der Schlaf kam nicht. Stattdessen krochen Gedanken in das Hirn des Revolvermannes, die er bisher nicht gekannt hatte.
Gedanken und Bilder, die ihn quälten und zermürbten.
Er sah die stürzende Frau im Feuerschein oben auf der kleinen Farm in Missouri vor sich. Dann den kleinen Barbier.
Weshalb hatte er ihn getötet?
Aus Wut? Nein! Aus Angst, weil der Mann ihn erkannt hatte.
Da war dem ersten Mord also der zweite gefolgt.
Völlig sinnloser Weise!
Aber diese Gedanken waren nur in der Nacht da. Tagsüber war der harte Mann frei von allen Skrupeln. Er verfolgte weiter sein Ziel, hielt auf die Stadt Panhandle zu und deckte sich unterwegs mit Munition und Proviant ein.
Geld genug hatte er ja.
*
Es war an einem glühend heißen Vormittag, als der Constabler Wyatt Earp in die Stadt Panhandle einritt.
Der große Sand hatte seine langen Fangarme schon bis hierher ausgestreckt. Die breite sonnenüberstrahlte Mainstreet war gelb von mehlfeinem Flugsand. Die weiß gekalkten Häusergiebel reflektierten das Licht und blendeten das Auge des Reiters.
Es war keine sehr große Stadt – eine Hauptstraße und ein paar Nebengassen. Die Häuser standen nicht eng nebeneinander wie oben in den Zigarrenkistenstädten des Nordens.
Wyatt hielt vor Red Vaughams Store an.
Der dickleibige Händler musterte den staubbedeckten Reiter, der bei ihm eintrat, neugierig.
»Ich möchte ein weißes Hemd kaufen.«
»Yeah«, knurrte Vaugham.
Wyatt suchte sich ein Hemd aus kräftigem Stoff aus.
»Weshalb muss es weiß sein, Mister?«, meinte der Händler. »Ein buntes Hemd bleibt länger sauber.«
»Das scheint nur so.« Wyatt zog das neue Hemd gleich an und zahlte. »Haben Sie auch fünfundvierziger Patronen?«, fragte er.
Der Händler riss die Augen auf, kniff sie dann wieder zu und musterte den Mann genauer. Seine Freundlichkeit war mit einem Schlage verschwunden.
»Nein, ich habe keine Munition.«
»Well, dann leben Sie wohl.«
Wyatt trat auf den Vorbau, der nicht überdacht war.
Die Sonne schleuderte eine bestialische Hitze auf die Straße. Am Ende der Mainstreet schien alles zu flimmern und zu schwimmen vor Glut.
Das also ist Panhandle, dachte der Missourier. Ungefähr so habe ich es mir vorgestellt.
Er nahm seinen Apfelschimmel und führte ihn über die Straße.
Vor Jim Dycosters Farewell-Hotel fiel ein schmaler Schatten, in den der Constabler sein Pferd bugsierte.
Dann klopfte er seinen staubbedeckten schwarzen Hut an einem Vorbaupfosten aus, sah sich noch einmal um und betrat das Hotel.
Der alte Abeathy musterte ihn über die Ränder seiner Brille hinweg.
»Kann ich ein Zimmer haben?«
Der Alte nickte. »Natürlich, Mister …«
Da wurde im Hintergrund der Halle eine mit Buntpapier beklebte Tür geöffnet.
Jim Dycoster, der Hoteleigner, stand da und sah den Gast aufmerksam an. Dann sagte er: »Nein, Jeffries! Sie irren, er kann kein Zimmer bei uns bekommen!«
Der Alte schluckte. »Wie Sie meinen, Boss.«
Wyatt blickte forschend durch den Halbdämmer in das Gesicht Dycosters. Schließlich nickte er, wandte sich um und ging hinaus.
Das Pferd ließ er in dem Schattenstreifen stehen.
Drüben in der Tür seines kleinen engen Barbershops stand der dürre Wynn Hotter.
Wyatt trat auf ihn zu.
Der Barbier sah ihm mit zusammengezogenen Brauen entgegen.
»Kann ich rasiert werden, Mister?« Hotter schüttelte den Kopf.
Wyatt wischte sich durchs Gesicht und sah sich auf der menschenleeren Straße um.
Gleich hinter der Bank war das Sheriff-Office. Und dahinter lag ein Saloon, der ein gewaltiges Schild ausgehängt hatte: Dusty Saloon.
Wyatt hielt auf die Schenke zu.
Vorn am Eingang hing ein Perlschnürenvorhang, der sich leise bewegte. Da aber nicht der geringste Windhauch ging, kam Wyatt diese Bewegung merkwürdig vor.
Trotzdem ging er auf den Saloon zu, teilte die Perlschnüre und blickte in den überfüllten Schenkraum.
Sonderbar, dass er keinen Laut auf der Straße gehört hatte, wo doch der Saloon zum Bersten gefüllt war.
Auch jetzt war es reichlich still hier.
Wyatt zwängte sich durch die Männer an die Theke.
Der Wirt, ein aufgeschwemmter Riese mit Froschaugen, blickte nicht einmal auf, als Wyatt ein Getränk bestellte. Er sagte nur: »Hier ist jetzt Schluss. Ich schenke nichts mehr aus.«
Der Missourier hatte natürlich längst gemerkt, dass man ihn hier auflaufen ließ. Hal Flanagan war hier gewesen und hatte die Stadt gegen ihn aufgehetzt. Langsam verließ der Constabler den Saloon und ging auf das Sheriff-Office zu. Es war verschlossen.
Wyatt hämmerte gegen die dünne Holztür. Es dauerte Minuten, bis er schlurfende Schritte hörte. Dann wurde die Tür geöffnet, und das gelbe Gesicht des Sheriffs blickte durch einen Spalt.
»Was wollen Sie, es ist Mittagsruhe, Mann!«
»Mein Name ist Wyatt Earp …«
Mit einem Krach flog die Tür ins Schloss. Wyatt stieß sie sofort wieder auf.
Der Sheriff wich zurück. Er hatte ein offenes Hemd, war unrasiert und stank entsetzlich nach billigem Branntwein.
»Was wollen Sie?«, krächzte er mit belegter Stimme.
»Sie sind der Sheriff?«
»Ja.«
»Und Sie schämen sich nicht, das zuzugeben?« Wyatt ließ sich auf einen Hocker fallen. »Ich suche Hal Flanagan.«
»Ich weiß …«, entfuhr es dem Sheriff. Dann sagte er hastig: »Ich kann es mir denken. Jeder, der nach Panhandle kommt, sucht Hal Flanagan. Das ist schon seit Jahren so. Er ist ein bekannter Mann und jeder will ihn einmal gesehen haben, hihihihi!«
Wyatt starrte den Sheriff entgeistert an.
War der Mann etwa verrückt? Trocken versetzte er: »Ich suche Flanagan wegen Mordes an einer Frau!«
Jeff Dublin fuhr zurück. Er war auf einmal kreidebleich.
»Yeah, ich weiß«, sagte er ernüchtert. »Ich weiß, Mister Earp.«
Er rutschte hinter seinen mit allerlei Papieren und Gerätschaften überladenen kleinen Schreibtisch in den knarrenden Korbstuhl und sank regelrecht in sich zusammen.
»Ich weiß es. Aber ich habe nichts damit zu tun.«
»Sie sind der Sheriff!«
»Yeah – aber nur, wenn Hal Flanagan es will!«
Wyatt stand auf. »Er ist in der Stadt?«
»Das weiß ich nicht.«
Wyatt ging hinaus.
Er stand mitten auf der Straße und blickte sich um.
Nichts rührte sich.
Kein Laut war zu hören.
Die Hitze flimmerte über den Dächern der Häuser und waberte über dem gelben Sand.
Neben dem Farewell-Hotel war noch ein Saloon.
»Texas-Bar« stand auf einem großen weißen Schild mit riesigen roten Lettern geschrieben.
Texas-Bar! Oben im Norden schrieben es die Salooner gern auf ihre Schenken, um ihnen einen Geruch von dem fernen weiten Land zu geben.
Wie kläglich aber machte sich das hier aus, in Texas!
Der Constabler ging auf den Saloon zu. Eine Schwingtür, die auf halber Höhe in Yardbreite angebracht war, knarrte scheußlich, als Wyatt sie aufstieß.
Der Raum war so gut wie dunkel. Dabei war er nicht klein.
Links an einem Tisch hörte Wyatt das Aufklatschen von Karten.
Da wurde gepokert.
Der Missourier ging vorwärts, bis sich seine Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten. Plötzlich verhielt der Marshal seinen Schritt.
Vorn an der Theke stand ein Mann mit einem weißen Hut. Das Weiß leuchtete herausfordernd aus dem Dunkel.
Wyatt ging weiter, einen Schritt hinter dem Mann blieb er stehen. Dann tippte er ihm auf die Schulter.
Der wandte sich langsam um.
Wyatt blickte bestürzt in das von Falten zerrissene, bärtige Gesicht eines alten Mannes.
»Was wollen Sie?«, fragte der Mann. »Sie zu einem Drink einladen, Mister.«
»Verzichte.«
Der Mann wandte sich ab.
Wyatts Blick hing an seinem Hut. Er hätte schwören mögen, dass es Hal Flanagans Hut war.
Was hatte diese Finte zu bedeuten? »Earp!«, schnitt da eine schneidende Stimme durch den Schenkraum.
Wyatt wandte sich langsam um.
Gegen das helle Licht, das von der Straße durch die Tür fiel, erkannte er die scharfe Silhouette Hal Flanagans, des Mannes, den er suchte, dem er über mehrere hundert Meilen gefolgt war.
»Flanagan, es ist gut, dass ich dich treffe«, sagte der Constabler völlig ruhig.
»Ich glaube nicht, dass es gut ist«, versetzte der Schießer.
Wyatt lachte leise. Es war ein Lachen, das späterhin noch vielen Outlaws in die Nerven schneiden sollte.
Auch der Mörder Flanagan spürte es.
»Was stehst du da an der Tür, Flanagan!«, rief Wyatt ihm zu. »Komm her.«
Tatsächlich machte der Schießer ein halbes Dutzend Schritte vorwärts und blieb dann wieder stehen.
Wyatts Augen hatten sich mittlerweile an das Dunkel gewöhnt. Er konnte den Mann nun gut erkennen.
Breitbeinig und mit steif angewinkelten Armen stand der Schießer da und starrte den Constabler aus glimmenden Augen an.
»Komm her, Flanagan!«
Da trat der Revolvermann bis auf zwei Yards vor seinen Verfolger.
Wyatt lehnte sich gegen die Theke.
»Hal Flanagan, ich habe gesagt, dass es gut ist, dass ich dich treffe. Ich habe dich nämlich gesucht!«
»Ach –!«
»Yeah – du hast oben auf einer kleinen Farm bei Lamar in Missouri eine Frau erschossen. Eine Mutter von vier Kindern!«
»Ach –!«
»Deshalb bin ich dir gefolgt. Ich wusste übrigens, dass du hierherreiten würdest. Dadurch hast du es mir einfach gemacht.«
Der Revolverschwinger stieß eine kurze raue Lache aus.
»Gib acht, Earp. Ich will dich nicht länger im Unklaren lassen. Du bist hier in Panhandle, in meiner Stadt. Die Leute hier sind alle meine Freunde – und …«, er warf einen blitzenden Blick umher, »ich möchte es keinem raten, anderer Ansicht zu sein. Was du gesagt hast, Earp, ist Unsinn. Ich war wohl in Lamar, habe aber die Farm, von der du gesprochen hast, nie gesehen.«
»Der alte Calligan, den du auch angeschossen hast, hat dich erkannt. Er hat geschworen, dass du die Frau erschossen hast.«
Flanagan lachte wieder.
»Earp – du bist ein merkwürdiger Bursche. Was glaubst du, was ich und die Männer hier in Panhandle von den Schwüren eines Greises halten, he?«
Wyatt blickte in die stumpfen Gesichter der Männer. Dann sagte er: »Damit kommst du nicht durch, Flanagan.«
»Und du kommst hier nicht mehr weg, Earp!«
Wyatt stieß sich von der Theke ab.
»Wenn diese Männer hier einem Mörder beistehen wollen, ist es ihre Sache. Ich werde jedenfalls meine Pflicht tun.«
Die Rechte des Schießers fuhr zum Colt.
Aber die schwere linke Faust des Missouriers war schneller gewesen. Krachend flog sie an den Schädel des Texaners und riss den Mann von den Beinen.
In der anderen Faust des Constablers blinkte der Colt.
»Es ist mir einerlei, Leute, ob ihr einen Mörder beschützen wollt, ob ihr den Namen eurer Stadt durch diesen Verbrecher mit Schmutz beladen wollt. Es ist ja eure Stadt.«
Niemand rührte sich.
Flanagan kniete benommen am Boden. Gedankenschnell bückte sich Wyatt und nahm ihm die beiden Colts weg.
Er legte sie hinter sich auf die Theke. Auch seine eigenen Colts legte er dazu. Flanagan stierte ihn an.
»Du hast Pech, Brother. Ich bin Hal Flanagan, und hier sind wir nicht in Lamar, sondern in Panhandle. Wer gegen mich ist, kann sein Grab schaufeln!«
»Natürlich, mit diesen Drohungen hast du die Männer eingeschüchtert. Es sind Morddrohungen, Morddrohungen eines zweifachen Mörders. Du hast nämlich nicht nur die Frau bei Lamar erschossen, sondern auch den Barbier Villerton in Lodge. Du wirst auf jeden Fall gehängt, Flanagan!«
Der Revolvermann stand mit vorgebeugtem Oberkörper da.
Wyatt konnte sein Gesicht deutlich erkennen.
Noch nie hatte er in den Augen eines Menschen so viel abgrundtiefe Bosheit schillern sehen. Lodernder Hass und grausamer Vernichtungswillen schrien ihm aus diesem Antlitz entgegen. Er hatte ja nichts mehr zu verlieren, der Coltman, der ein Mörder geworden war.
Und jetzt, da er spürte, dass ihm die Männer doch vielleicht nicht beistanden, kämpfte er.
Und er kämpfte anders, als Steve Hopkins hatte kämpfen können. Er war eine Figthernatur, dieser stiernackige, gipsgesichtige Mann aus Panhandle.
Und was jetzt begann, war der härteste Kampf, den der junge Missourier Wyatt Earp durchzustehen hatte.
Von schweren Faustschlägen getroffen, taumelte er gegen die Theke, sah immer wieder das verzerrte grinsende faunische Gesicht des Texaners vor sich, schlug zurück, hatte aber den Nachteil, dass der kleinere Mann den Fight begonnen hatte.
Flanagan hatte den Angriff geführt.
Und Wyatt stand noch in der Abwehr. Bis ihn ein empfindlicher Schlag am linken Ohr traf. Torkelnd flog er zurück.
Flanagan setzte mit einem wilden Schrei nach und holte mit der Rechten zu einem weiteren fürchterlichen Schlag aus, der das Vernichtungswerk beenden sollte.
In diese Aktion des Texaners hinein riss Wyatt einen linken Uppercut aus der Hüfte heraus hoch und landete ihn krachend an der Kinnspitze seines Gegners.
Es war der härteste Schlag, den die Männer von Panhandle je gesehen hatten.
Hal Flanagan wurde regelrecht angehoben und kippte über die Absatzspitzen zurück.
Es dauerte fast eine Minute, bis er wieder auf die Beine kam. Mit einem röhrenden Laut schob er sich dem Gegner wieder zu, schwang seine Arme, hieb wie besessen auf den Missourier ein, machte sich wieder Luft und schien erneut auf der Siegerstraße zu marschieren, als ihn eine angewinkelte Linke knallhart am Schädel traf und wieder von den Beinen riss.
Jetzt ließ Flanagan, der Mann, der den Colt brauchte, um ein großer Kämpfer zu sein, alle Fairness fahren. Er riss das Bein hoch und trat nach seinem Gegner.
Der erste Tritt, der den Missourier in den Leib traf, brachte den eisenharten Mann so in Zorn, dass er vorwärtsstürmte und einem hämmernden rechten Haken eine donnernde Linke folgen ließ.
Diese beiden Schläge hätten einen Stier gefällt.
Und Hal Flanagan war kein Stier, wenn er sich auch tierisch benahm. Er rutschte wie eine fadenlos gewordene Marionette in sich zusammen und schlug hart mit dem Schädel auf die weiß gescheuerten Dielen.
Wyatt wischte sich durchs Gesicht, wandte sich um, nahm die vier Revolver an sich und ging benommen hinaus.
Vor der Tür blieb er stehen und wartete. Es dauerte fast fünf Minuten, bis er Schritte hörte.
Hal Flanagan stand in der Tür und glotzte ihn an wie ein tödlich verwundetes Raubtier. Dann öffnete er die schmalen Lippen, die von den Schlägen Wyatts aufgesprungen waren.
»Well, das war der erste Gang. Wir werden uns schießen, Earp!«
Der Missourier nickte. »All right«, versetzte er rau.
»Heute Abend, wenn die Sonne sinkt. Hier in der Mainstreet!«
Wyatt nickte, dann legte er die beiden Revolver des Texaners auf die Vorbaubretter und ging zu seinem Pferd hinüber.
*
Es gab keinen Menschen in Panhandle, der ihm etwas zu essen oder zu trinken hätte geben wollen.
Stur führte Wyatt sein Pferd in einen Mietstall und ließ es an der großen Tränke aus einem ausgehöhlten Baumstamm saufen.
Der Mietstalleigner sah ihn mit einem fast mitleidigen Gesicht an.
»Reiten Sie weg, Mister. Sonst erleben Sie die Nacht nicht mehr.«
Daran, dass die heiße Stadt den Mörder dem Marshal hätte ausliefern müssen, dachte niemand. Er sollte mit Flanagan kämpfen, und wenn der ihn besiegte, war die Story zu Ende.
Wyatt Earp irrte indessen durch die Stadt und suchte einen Brunnen.
Die Hitze hatte ihn völlig ausgetrocknet. Und der Schatten vor dem Hotel wurde immer schmäler, bis schließlich auch der Gaul in der prallen Sonne stand.
Da stieß Wyatt die Tür des Sheriff-Office auf.
Dublin stierte ihm aus glasigen Augen entgegen.
»Was wollen Sie, Earp? Bleiben Sie drau…, draußen. Die Leute zerhacken mich, wenn sie an…, annehmen, dass ich es mit Ihnen halte …«, lallte er.
Wyatt fegte mit einem Faustschlag die Whiskyflasche vom Tisch.
Dublin schrie auf vor Schreck.
»Hören Sie, Sheriff, wenn ich in Ihrer verdammten Stadt schon schmoren muss, so geben Sie wenigstens meinem Gaul einen schattigen Platz!«
»Ja – sicher. Aber ich …«
»Wo ist Ihr Stall?«
»Gleich hier neben dem Office das Tor …«
Wyatt ging hinaus und stieß das graue Tor auf. Ein dürrer Brauner stand da und wieherte laut.
Wyatt brachte den Apfelschimmel in den Stall und schloss das Tor wieder.
Dann schlenderte er hinüber in den Mietstall und warf sich ein paar Hände von dem lauwarmen Wasser ins Gesicht.
Der Mietstalleigner saß auf einer Tonne im Schatten und hatte ein ausdrucksloses Gesicht.
Wyatt ging wieder zurück auf die Straße und ließ sich schließlich auf dem kleinen Vorbau vor dem Haus des Doktors Corry im Schatten nieder.
Der Arzt kam an die Tür.
»Es tut mir leid, Mister. Aber ich muss Sie bitten, hier wegzugehen. Ich weiß, dass es sich scheußlich anhört, aber die Leute …«
Wyatt nickte und winkte ab. »Ich weiß, die Leute.« Leise seufzend erhob er sich und schlenderte weiter.
Drüben die City Hall hatte auch einen Vorbau, dessen Dach einen breiten Schatten warf.
Wyatt ließ sich da nieder.
Es dauerte nicht lange, da schoben drüben aus dem Dusty-Saloon mehrere Männer in Weidereiterkleidung heran. Sie blieben auf der Straße stehen und blickten zu dem Mann mit dem von zahllosen Schrammen und Striemen bedeckten Gesicht hinauf.
Einer von ihnen, ein großer breitschultriger Bursche mit hagerem Gesicht und breiten Händen, lehnte sich gegen einen Vorbaupfosten, schlug die Füße übereinander und zog den Hut bis auf die Nasenwurzel herunter.
»He, Jim Brennan, wem gehört das Haus, vor dem der Mann da hockt?«
Einer der Cowboys auf der Straße spie ein dickes Stück Kautabak auf den Vorbau vor Wyatt hin und krächzte heiser: »Es gehört dem County, Nat.«
Der lange Nat feixte.
»Well, und wem gehört das County?«
»Uns!«, rief der Kautabak-Cowboy. Nat schob seinen Revolver nach vorn. »He, Missouri-Mann, steh auf. Wir haben was dagegen, wenn du wie ein kranker Hund vor unserer City-Hall hockst.« Wyatt erhob sich und kam auf den Mann zu.
»Was willst du?«
Es zuckte im Gesicht des Cowboys.
»Wir sind von der großen Looney-Ranch, Stranger – wir haben was gegen stinkende Köter.«
Wyatts tiefdunkles Gesicht verfinsterte sich. In seinen Augen stand Eiseskälte. »Ich auch, Nat«, sagte er schneidend. Da hob der Weidemann den Kopf. »Wie meinst du das, Stranger?«
»Wie ich es gesagt habe!«
Da griff der lange Nat Cradeby zum Colt. Seine Hand erstarrte aber noch vor dem Griff, denn sein Auge sah in die kreisrunde Mündung des Colts an der linken Hüfte des Missouriers.
Jim Brennan auf der Straße stieß einen leisen Pfiff durch die Zähne aus.
»Well, er ist ein Gegner für Hal. Lass ihn da oben hocken, Nat. Hal wird ihn schon fertigmachen!«
Grinsend schoben die Cowboys davon. Dann war die Straße wieder leer.
Die Stunden krochen dahin.
Die Hitze wurde nicht geringer. Kein Lufthauch fächelte durch die Straße. Die weißen Häuserwände warfen die Helle zurück und machten das Sehen schmerzhaft.
Die Kehle des zusammengesunkenen Mannes oben auf dem Vorbau der City-Hall war ausgedörrt. Wie ein trockenes Blatt klebte ihm die Zunge am Gaumen. In seinem Hals brannte ein stechender Schmerz.
Er machte keinen Versuch mehr, um etwas Trinkbares zu bitten. Wie ein Indianer hockte er da in dem allmählich kleiner werdenden Schatten und briet schließlich in der glühenden Sonne. Er fühlte sich elend und zerschlagen, hatte keine Lust mehr, aufzustehen, – nur ein Gedanke brannte noch in seinem Hirn: Ich muss auf den Abend warten.
Es gab keine Seele in dieser Stadt, die etwa Mitleid mit ihm gehabt hätte. Mit dem Mann, der mit der sinkenden Sonne sterben musste. Mit einer Kugel Hal Flanagans im Leib.
Endlich war die Frist verstrichen. Die Stepwalks füllten sich mit Menschen. Auf dem Vorbau der City-Hall allerdings fand sich keiner ein. Wie einen Aussätzigen mied die Stadt den Mann, der gekommen war, ihren großen Hal Flanagan zu holen.
Wyatt hockte noch immer in der Sonne an der Hauswand und blickte unter halb geschlossenen Lidern auf die faserigen Vorbaudielen.
Und genau um sieben Uhr trat Hal Flanagan aus der Texas-Bar. Er trug wieder seinen weißen Hut, hatte ein neues blutrotes Hemd und eine schwarze Jacke an. Auch seine Hose und seine Stiefel waren nagelneu.
Mitten auf der Straße blieb er stehen. Breitbeinig und hölzern.
»Earp!«, rief er.
Aber der Missourier war schon an der Vorbautreppe und trat auf die Straße. Zwanzig Yards staubiger Mainstreet lagen zwischen den beiden Männern. Flanagan hob den Kopf.
»Earp, jetzt wird es entschieden. Und wenn du tot bist, wirst du vor der Stadt auf dem Friedhof begraben. Deine Brüder haben kein recht, hierherzukommen.«
»Meine Brüder machen dir wohl eine Menge Sorgen«, versetzte der Constabler kalt.
»Und wenn deine Brüder kommen, werde ich dafür sorgen, dass sie auf dem Friedhof neben dir liegen!«, rief Flanagan.
Die Männer auf den Stepwalks lachten rau.
Wyatt nickte. »Das ist anständig von dir, Flanagan. Aber ich habe doch eine Bitte, die die Stadt mir erfüllen muss. Wenn ich sterbe, möchte ich nicht hier in der Erde liegen, in der Stadt, die einen Mörder geschützt hat. Vielleicht können mich die Boys der Looney-Ranch ein Stück mit hinausnehmen und dann irgendwo im Sand verscharren. Das wäre mir eine Beruhigung.«
Totenstille.
»Du siehst also auch keine Chance für dich, Earp?«, rief Flanagan heiser.
»Hauptsache, du siehst gut!«, rief der Missourier zurück.
Niemand sagte ein Wort.
»Noch eins!«, rief Wyatt. »Ich will es noch einmal sagen, was auch geschieht: Du hast oben bei Lamar die Frau ermordet und drüben in Lodge den Barbier Villerton. Du bist ein Mörder und gehörst an den Galgen! Fangen wir an!«
Flanagan hob seine Hände und rieb sie langsam an der Weste ab. Dann wandte er den Kopf. »Sheriff!«, brüllte er.
Der Hüter des Gesetzes kam auf den Vorbau. Er war also über alles instruiert.
»Was willst du, Flanagan?«, fragte er.
»Dieser Bursche da hat mich beleidigt. Wir werden das ausschießen. Damit es ein fairer Kampf ist, gib du den Startschuss!«
Dublin machte noch einen schwachen Versuch, die höllische Geschichte abzubiegen.
»Du weißt, dass ich für Ordnung in der Stadt zu …«
»Halt’s Maul!«, zischte der Schießer ihn an. »Nimm deinen Colt aus dem Halfter und zähle laut bis drei, dann gibst du einen Schuss in den Himmel ab!«
Der Sheriff bewegte sich nicht.
»Vorwärts!«, donnerte ihn Flanagan an. Da hob der Mann den Revolver. Seine Hand zitterte.
Die Stille in der Mainstreet war atembeklemmend.
Die Menschen starrten mit weit aufgerissenen Augen auf die beiden Männer. Und da brüllte der Schuss auf.
Was dann geschah, sollte die Texasstadt Panhandle nie wieder vergessen.
In der Linken des fremden Marshals lag der Colt. Wie er dahingekommen war, hatte niemand gesehen. Jedenfalls steckte er vor dem Schuss noch im Halfter. Eine so gedankenschnelle Handbewegung hatten die Männer, die an schnelle Schützen gewohnt waren, noch nicht erlebt.
Auch Hal Flanagan war rasend schnell gewesen. Seine Rechte hatte den Colt fast bis zum Korn aus dem Halfter gehabt. Und da verharrte die Hand mit der Waffe wie erstarrt.
Das Gipsgesicht des Revolvermannes war grau geworden. Seine Lippen sprangen auf.
»Nein!«, stieß er tonlos hervor. »Nein – das ist nicht wahr!«
Kalt sah ihm der Mann drüben in die Augen.
Und alle wussten es: Das Duell war entschieden, noch ehe es richtig begonnen hatte. Der Missourier hatte ihren Mann geschlagen!
Da brach es von den Stepwalks und Vorbauten nieder, überschwemmte vielfüßig und brüllend die Straße.
Die Menschen bildeten eine dichte Mauer aus ihren Leibern zwischen den beiden Schützen.
Es wogte hin und her auf der Straße, Schreien, Brüllen, Johlen und Kreischen mischte sich mit Schüssen, die in den unschuldigen Abendhimmel krachten.
Und als Wyatt Earp Luft bekam, als sich die Menschen langsam verzogen, sah er, dass der Mann mit dem weißen Hut verschwunden war.
Hal Flanagan hatte durch den unfairen Run seiner Landsleute Gelegenheit zur Flucht gefunden.
Wyatt zwängte sich durch die Leute zum Sheriff-Office.
»Wo ist er?«, fragte er nur und senkte den Kopf.
»Ich weiß es nicht, Marshal«, gab der Sheriff düster zurück.
»Ich konnte ihn in diesem Durcheinander nicht mehr sehen.«
»Sheriff!«, sagte Wyatt hart. »Sie haben heute zweimal das Gesetz verletzt! Ich warne Sie. Sagen Sie mir, wo Flanagan geblieben ist!«
Dublin blickte die Straße hinunter.
*
Der Missourier ritt aus der Stadt, nur eine halbe Stunde später.
Niemand hatte ihm den Eintritt in den »Dusty Saloon« verwehrt, wo er ein Glas Wasser getrunken hatte. Im Store hatte er seinen Munitionsvorrat aufgefüllt und einen neuen Beutel für seinen Proviant gekauft.
Dann hatte er das weiße, grelle und doch so düstere Panhandle verlassen.
An der südlichen Grenze der Looney-Weide traf er einen Tag später auf den kleinen Jim Brennan. Der Cowboy saß auf einem Weidepfahl und kaute auf einem Priem herum.
Wyatt hielt auf ihn zu.
»Hallo, Mr Earp.«
»Wo ist Hal Flanagan?«
»Ich weiß es nicht!« Der Cowboy wies hinter sich. »Ich bin doch kein Verräter. Aber der große Sand fängt schon drüben hinter den Hügeln an.«
Sieben Tage hetzte der Constabler den Mörder noch durch den glühenden Sand. Dann kam das Ende.
Wyatt hatte seit zwei Tagen keinen Tropfen Wasser mehr. Er war längst aus dem Sattel gerutscht und trottete vor seinem Gaul durch den glühenden Sand.
Als die Nacht kam, legte sich Wyatt auf seine Decke. Erst gegen ein Uhr wurde es kühler. Da erhob er sich wieder und trottete weiter. Der Spur folgend, die er seit Tagen vor sich hatte.
Und als der Morgen graute, sah er ihn.
Er lag noch drei Yards vor seinem Pferd, das erschöpft im Sand hockte.
Wyatt beugte sich über ihn und sah ihm ins Gesicht.
Er war noch nicht tot.
»Wasser …«, lallte er.
Wyatt sah ihm in die glasharten Augen. Dann nahm er ihm die Revolver ab und blickte sich um.
Kaum eine halbe Meile entfernt erkannte er die strichdünne Silhouette einer Stabkaktee, die in den grauschwarzen Himmel ragte.
Er trottete darauf zu.
Der Apfelschimmel folgte ihm.
Als die Sonne über den Horizont kroch, sah er die Häuser.
Und dann richtete er sich auf und rannte, bis er kurz vor dem ersten Haus zusammenbrach. Der Aufprall auf den sandigen Boden brachte ihn wieder zu sich. Er taumelte in den Hof an die Pferdetränke.
Ein hartgesichtiger Mann schleppte ihn zu einer rohgezimmerten Bank und brachte ihm Wasser.
Es war schon Mittag, als Wyatt wieder bei dem Revolvermann ankam.
Es war zu spät.
Wyatt hatte die Wasserflasche in der Hand und starrte auf den toten Mörder, der Mary Calligan nieder …
Dann warf er den glühenden Sand über den Körper und stieg in den Sattel.
Als er durch Panhandle ritt, sahen die Menschen an den Fenstern und Türen, dass er einen weißen Hut vorn neben dem Lasso hängen hatte. – Den Hut des Revolvermannes Hal Flanagan.