Читать книгу Wyatt Earp Staffel 2 – Western - William Mark D. - Страница 6

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Freunde, dies ist die Geschichte eines seltsamen Mannes. Sein Name ist Doc John Holliday. Er klingt alltäglich, dieser Name, und doch ist mit ihm die zur Legende gewordene Story eines Mannes verbunden, der neben Wyatt Earp die bedeutendste Erscheinung des Wilden Westens war. Aber dieser John Holliday war ein völlig anderer Mensch als Wyatt Earp. Er war kein Mann, der es sich in den Kopf gesetzt hatte, um jeden Preis für das Gesetz zu kämpfen. Er war ein Abenteurer von der härtesten Sorte. Nicht einmal eine positive Figur. Leider nicht. Das Schicksal, das ihm eine geradezu traumhaft schnelle Schießhand verliehen hatte, war rauh mit ihm umgegangen. Er war kein Sonntagskind, der wirklich studierte Doktor und große Spieler John Holliday. Im Gegenteil, er zählte zu der Legion der Ausgestoßenen. Wie er in das Leben des berühmten Policeofficers Wyatt Earp verstrickt wurde, erzählt die nachfolgende Geschichte. Es ist ein Kuriosum, wie es sich das Leben manchmal aussucht: Ausgerechnet der große Marshal Wyatt Earp geriet an den bedeutendsten Mann von der Gegenseite, an den Spieler Holliday; und ein launiges, seltsames Geschick wollte es, daß Wyatt nicht der Feind des gefährlichen Revolverschützen Holliday wurde. Im Gegenteil: Zum Entsetzen seiner Bewunderer wurde Wyatt sein Freund.

Am 18. Mai 1876 traf Wyatt Earp aus Wichita in der größten Treibherdenstadt des Westens, in Dodge, ein. Er hatte seinen Job in Wichita aufgegeben, da dort keine Bahnlinie lag und es dort ruhiger wurde und weil ihm der Stadtrat von Dodge City den Posten des dortigen Marshals angeboten hatte. An diesem Tage begann eine Freundschaft zwischen den beiden Männern, die über ein höllisches Jahrzehnt hinweg bis zum bitteren Ende währen sollte. Eine merkwürdig stumme, trotzige Freundschaft, die immer wieder in Gefahr war, die dem Marshal viel Sorgen und Ärger bereiten sollte, die aber in der Morgenfrühe des 26. Okotober 1881 unten in der Silverstadt Tombstone ihre historische Bewährung finden sollte.

Wyatt Earp hatte unter dieser Freundschaft gelitten; er hatte Freunde verloren und sich zahllose Gegner zugezogen. Und der schmalgesichtige, falkenäugige, ehemalige Arzt Holliday selbst sorgte unbewußt dafür, daß die Tragik seines eigenen Geschicks mehr als zehn Jahre lang das Leben des großen Wyatt Earp beschattete.

Niemand begriff, wie Doc Holliday mit einer Todesverachtung ohnegleichen in die Revolverkämpfe gehen konnte, wie er keinem Gefecht auswich, ja, wie er den Kampf suchte. Man begriff es nicht, wie man auch seine sagenhafte Schnelligkeit und Treffsicherheit nicht begriff. Nur ein Mann wußte, was den Spieler vorwärtstrieb, was ihn so kaltlütig und steinhart sein ließ, was ihn zu dem gefürchtetsten Mann des Westens gemacht hatte: Wyatt Earp. Er allein wußte, daß Doc Holliday ein kranker Mann war, und daß den Unglücklichen die Gewißheit seines Schicksals zu einer geradezu fatalen Kälte hatte erstarren lassen, vor der selbst die härtesten Männer erschauerten.

Von hier an verdunkelte sich das Leben des Wyatt Earp mit einem bitteren Ernst.

Der spätere Sheriff von Dodge City, William Masterson, sagte einmal: »Der größte von allen Großen jener Zeit war zweifellos Wyatt Earp. Und von den dunklen Sternen war der hellste der Unstern des Doc John Holliday. Ich habe alles an diesem Manne gehaßt; nur drei Dinge werde ich bis an meine letzte Stunde nicht aufhören zu bewundern: Seine Todesverachtung, seine Schnelligkeit und seine Freundschaft zu Wyatt Earp.

Freunde, ich will in diesem Band mit der Geschichte des Spielers Holliday beginnen. Es ist nur ein Anfang. Ich werde mehrere Bände benötigen, um den ganzen dramatischen Ablauf der damaligen Ereignisse für euch niederzuschreiben. Es ist die große Story, die in ihren Daten in jedem amerikanischen Geschichtenbuch steht, die ich aber für euch in all ihren erregenden Einzelheiten, da, wo sie sich abgespielt hat, aufgespürt und niedergeschrieben.

Schwefelgelb hing der Himmel über der alten Treibherdenstadt Dodge City.

Der Wind, der vom Arkansas herauswehte, trieb den groben Flugsand schmirgelnd an den Häusergiebeln entlang.

Die sonst so belebte Frontstreet lag wie ausgestorben da.

Aus einer Seitengasse sprengten drei Reiter vor das Sheriff Office, sprangen von den Pferden und stürzten auf das kleine Steingebäude zu.

Ein vierschrötiger Mann mit hervorstehenden Backenknochen und grünlich schillernden Augen stieß die Tür auf.

Der alte Sheriff William Masterson saß hinter seinem Schreibtisch und blickte auf.

Die drei Männer blieben an der Tür stehen.

Der Vierschrötige stemmte die Hände in die Hüften und spreizte die Beine. »Du hast ihn bestellt!« schnarrte er.

Masterson legte die Hände zusammen.

Da brüllte der andere: »Du hast ihn bestellt! Du verdammter Skunk! Du hast ihn uns auf den Hals gehetzt!«

Unendlich langsam erhob sich der Sheriff. Seine hellen Augen musterten die drei Männer verächtlich. Dann blickte er den Vierschötigen scharf an. »Was willst du, Milt Rice?«

Rice trat vor und riß den Colt aus dem Halfter. »Du hast Wyatt Earp bestellt! Du willst uns diesen dreckigen Schießhund auf die Jacke hetzen!«

Masterson blickte Rice ruhig an. »Du bist ein Bandit, Rice. Ganz Kansas weiß, daß du ein Bandit bist. Hier in meinem Schreibtisch liegen zwei Steckbriefe von dir…«

»Hast du ihn bestellt?« giftete Rice.

Masterson versetzte gelassen: »Yeah, ich habe ihn gebeten, hierherzukommen. Weil deine Strolche meine drei Deputies erschossen haben; weil du die Stadt und das ganze County mit deiner Bande terrorisierst…«

»Du bist es also gewesen!« zischte der Bandit. »Ich habe es geahnt. Limp Parabel hat mir verraten, daß du telegrafiert hast. Er wollte nicht sagen was… aber an wen, das habe ich aus ihm herausgequetscht. Es ist also wahr: Du verfluchte alte Ratte hast diesen Hund da unten in Wichita losgemacht!«

»Yeah, er wird kommen, Rice…«

Da spie der Colt des Banditen Feuer.

Von einer Kugel getroffen taumelte der alte Mann zur Seite; seine Finger krallten sich in die Lehne des schweren Sessels, rissen im Sturz das Möbelstück mit an die Erde.

Kalt verharrten die Augen des Mörders auf dem toten Sheriff. Dann wandte er sich ab. »Los, raus hier!«

*

Die Straße war immer noch menschenleer.

Es gab niemanden, der sich hinaustraute.

Milt Rice war in der Stadt!

Niemand in Dodge hätte sich träumen lassen, daß es so was noch gab: einen Banden-Boß, der eine ganze Stadt in seine Gewalt zu bringen suchte! Als damals vor sieben Jahren Rory Corter Topeka überfiel, hatte man den Kopf geschüttelt. Und als vor zwei Jahren der texanische Kuhtreiber Mannen Clements die Stadt Wichita stürmen und beherrschen wollte, hatte man gesagt: »Wild und Wooy Wichitia! Nun ja, das Nest liegt nahe am Indianerland und zu nahe an Texas!«

Aber Dodge, die wirklich blühende Stadt Dodge, Die Arkansas Metropole, die Endstation des berühmten Sante Fé Trails, Umschlagplatz der Büffelhäute aus dem Norden und Rindersammelstation aus dem Süden! Mehr als achthundert Häuser, sechs eng bewohnte Straßen. Eine stattliche Anzahl von Bürgern hatte in ruhigem Vertrauen auf die Sicherheit dieser Stadt hier gelebt. Sheriff Masterson hatte bisher mit rauher Hand allen wilden Burschen heimgeleuchtet.

Und nun war Milt Rice gekommen!

Der Bandit aus dem Norden.

Der Wegelagerer Milt Rice aus Rapid City in South Dakota! Der in vier Staaten steckbrieflich gesuchte Grenzgeldjäger und Postkutschendieb Milt Rice.

Sein Name wirkte wie ein Blizzard. Wie ein Orkan. Wo er auftauchte, verbreitete er Angst und Schrecken.

Als der Postkutscher Hal Geoffrey die Nachricht brachte, daß Rice in Garden City aufgetaucht sei, lachte man in der Frontstreet noch.

Und dann war er plötzlich da.

Er hatte Gil Latkins, Frank Hole und Jimmy Tucker erschossen; die drei Deputy-Sheriffs aus Mastersons Büro.

Dann hatte er Gag Fallagan draußen auf dem Galgenhügel aufgeknüpft, den Pferdehändler und Vorstand des Bürgerrates.

Daraufhin hatte Bürgermeister Hoover dem Banditen erlaubt, im Grand Hotel vorübergehend Quartier zu nehmen. Der grauhaarige Bürgermeister hatte es getan, um die Stadt vor weiteren Schreckenstaten zu bewahren.

Sheriff Masteron war zu diesem Zeitpunkt unterwegs gewesen.

In der letzten Nacht war er zurückgekommen.

Er hatte drüben an Vaughams Corral zwei der Banditen im Gunfigt niedergeschossen.

Milt war indessen auf einer nahegelegenen Farm gewesen und hatte da eine rauchende Trümmerstätte zurückgelassen. Daß zwei seiner Leute im Kampf mit dem eisgrauen Sheriff hatte dran glauben müssen, war ihm einerlei gewesen; aber daß ein Mann in der Stadt es gewagt hatte, eine Telegramm an den Marshal von Wichita aufzugeben, das war Rice ins Gedärm gefahren.

Er hatte den weithin bekannten alten Sheriff erschossen. Damit war der Bandit Rice zum Mörder geworden. Bisher hatte er selber keinen Mord ausgeführt. Nun hatte er selbst ein Menschenleben ausgelöscht!

Sheriffmord!

Sheriffmord in Dodge City!

Die Leute in der Frontstreet hatten die Schüsse im Office gehört.

Sie wußten, daß der Alte in seinem Büro war.

Und sie sahen die Tür offenstehen.

Die drei Banditen traten auf den Vorbau, überquerten ganz seelenruhig die Straße und verschwanden im Grand Hotel.

Der Banden-Boß blieb an der Rezeption stehen und schnauzte den kahlköpfigen Phil Uller an: »He, alte Eule, wo ist der Hoteleigner?«

Der alte Mann schluckte. »Mister Robinson ist nicht im Hause!«

Rice hieb dem Mann einen Faustschlag ins Gesicht, zertrümmerte die goldgeränderte Brille Ullers und achtete nicht auf die Scherben in seiner behaarten Faust. – »Wo ist Robinson?«

Im Hintergrund der Halle öffnete sich eine Tür. Ein hochgewachsener Mann von etwa fünfzig Jahren stand da. Er hatte ein kurzläufiges Schrotgewehr in der Hand. Es war der Hotelbesitzer Clint Robinson.

Die drei Banditen starrten ihn verblüfft an.

»Was wollen Sie, Rice?« fragte Robinson.

Da stieß der Bandit die Rechte auf den Coltgriff und feuerte durch den offenen Halfterboden.

Noch im Zusammensinken schoß Ronbinson das Gewehr ab.

Die beiden Begleiter des Bandenchiefs waren von dem gehackten Blei nur so gespickt.

Rice selbst hatte sich hinter einen schweren Ledersessel fallen lassen. Mit wutverzerrtem Gesicht schickte er noch eine Kugel auf den tödlich getroffenen Hotelier.

Von oben kamen mehrere Männer heruntergestürmt, die Revolver in den Fäusten.

Rices Leute.

Salt Cunnings, ein riesiger Bursche mit einem Pferdegebiß und gelber, blatternarbiger Haut, fletschte die Zähne. »Was

gibt’s denn?«

Rice schob die Unterlippe vor. »Was es gibt? Masterson hat einen Wolf bestellt!«

Cunnings grinste. »Zehn Wölfe helfen ihm nichts mehr. Schätze, du hast ihn erledigt?«

Rice nickte. »Jeff und Hanc sollen ihn aus dem Office schaffen!« Mit einem Sprung saß er auf dem Rezeptionstisch, fauchte Phil Uller an: »Verschwinde, Grandpa, sonst kannst du dich neben deinen Boß legen!«

Der alte Mann stürzte zum Ausgang.

Rice nahm eine zernagte Pfeife aus der Hosentasche, stopfte sie und setzte sie in Brand. Dicke weißblaue Tabakwolken zogen zur bestuckten Decke der Hotelhalle.

Der Bandit blickte mit stieren Augen in das Gesicht des toten Hotelbesitzers. »Schafft ihn in den Hof!« brüllte er schließlich.

Zwei Männer schleiften den toten Robinson hinaus.

Salt Cunnings ließ sich in einen der Sessel fallen. »Einen Wolf sagtest du?«

»Yeah!« knurrte der Bandenchief.

»Und – kennst du ihn?«

»Yeah. Du auch.«

»Steel Rollyce?« Rice schüttelte den Kopf. »So kleine Fische ruft ein Masterson nicht um Hilfe an.«

»Nun sag bloß, er hat es sich was kosten lassen und Wild Bill Hickock bestellt?« höhnte der Riese.

Der Boß nahm die Pfeife aus den Zähnen. »Du bist hart dran, fellow! Yeah, er hat es sich was kosten lassen. Aber er hat sich gleich den größten ausgesucht!«

Langsam stand Cunnings aus dem Sessel auf. »Wyatt Earp?« fragte er ungläubig.

Hinter einer Rauchwolke beobachtete der Boß seinen Genossen. »Yeah – wie gefällt dir das, Brother?«

Es war totenstill in der Halle geworden.

Die Banditen blickten ihren Anführer mit weit offenen Augen an.

»Yeah, Gents, so sieht das aus. Der Sheriff hat genau eine Stunde zu lange gelebt: Dieser Hund hat nach Wichita telegraphiert. Und wie ich diesen Marshal kenne, hält ihn nichts drüben in dem langweilig gewordenen alten Nest!«

Cunnings ließ sich wieder in den Sessel fallen und blickte sich unbehaglich um. »Glaubst du wirklich, daß er kommt?«

Milt reckte die mächtigen Schultern. »Ich weiß es nicht. Ich weiß nur, daß diesem Büffel kein Weg zu weit ist, einen

Outlaw zu fangen.«

»Einen!« wiederholte der kleine, säbelbeinige Charlie Gin. »Wir sind sechsundzwanzig Mann!«

Rice warf den Kopf hoch und schob sein hartes Kinn vor. »Yeah – sechsundzwanzig Mann. Glaubst du, die Zahl hält den Kerl auf? Fünfundsiebzig halbwilde Treiber hat er in Wichita vor sich gehabt! Jim Clements hat es mir selbst erzählt. Es ware das härteste Stück, das es bisher im Westen gegeben hat!«

»Treiber!« versetzte der kleine Gin verächtlich. »Wir sind keine Treiber.«

»Nein, ihr seid hirnlose Strolche!« knurrte Rice gallig.

Da schob sich ein langer, dünner Mann nach vorn. Er hatte nur noch ein Auge, drei Finger an der linken Hand, und in seiner oberen Zahnreihe klaffte eine breite Lücke. Tief auf seinem linken Oberschenkel baumelte ein übergroßer Colt. Mit einer röhrenden Baßstimme grollte er: »Und – sollen wir vielleicht jetzt in die Hosen machen?«

Rices hartes Gesicht zersprang in tausend scharfe Falten. »No, Jack – bestimmt nicht.«

»Was willst du tun?« forschte Cunnings, immer noch mit einem leisen Unbehagen in der Stimme.

»Wir bleiben hier!«

Da brach ein wahrer Höllensturm los. Die Männer warfen die Arme in die Luft und brüllten los. Gläser flogen durch den Raum, zerbarsten klirrend an den Wänden, Stühle wurden zerschlagen, und Fensterscheiben wurden zerstrümmert.

Nach einer Minute war der Spuk vorbei.

Milt Rice hob den Arm. »Holt Whisky, Leute!«

Der gerade erst erstorbene Lärm verdoppelte sich zum Orkan.

Alles rief, schrie, grölte und brüllte wild durcheinander.

Eine halbe Stunde später glich die Hotelhalle des eleganten und vornehmen Hotels einem Schlachtfeld, auf dem die Sioux gehaust hatten.

In der Frontstreet zogen die Menschen hinter den Fenstern die Köpfe ein.

Der greise Arzt Joe Gilbert stand hinter seiner Haustür und ballte die Fäuste in der Tasche zusammen. »Sie haben den Postmeister erschlagen! Die Telegraphenstation ist von ihnen besetzt. Der junge But Lanagton, der in Garden City Hilfe holen wollte, liegt im Arkansas. Jim Dupat liegt in seinem Hausflur mit eingeschlagenem Schädel. Gag Fallagan hängt draußen am Galgenbaum. Der Sheriff ist tot. Und Dodge City ist gestorben!«

Die alte Frau des Arztes nahm ihren Mann beim Arm, spürte, daß er vor Grimm zitterte und zerrte ihn von der Tür weg. »Komm, Joe, komm ins Zimmer!«

»Ich möchte meine alte Winchester vom Boden holen und dreinschießen, Frau – ja, zusammenschießen möchte ich diese Satansbrut!«

»Komm, Joe, komm!« flehte die Frau.

»Drüben bei Hopkins sitzen sieben hungrige Kinder. Der Mann war unten an der Fähre am Fluß; wer weiß, ob er noch lebt. Kein Mensch traut sich auf die Straße. Tub Leevery hat seinen Store dicht gemacht, dieser verdammte Feigling! Und kein Mensch rührt sich…«

*

Im Grand Hotel gab es am nächsten Morgen ein graues Erwachen.

Milt Rice war der erste, der die Augen öffnete. Er sprang sofort hoch, taumelte aber, stürzte gegen den Rezeptionstisch; raffte sich wieder auf und hielt sich krampfhaft mit beiden Händen am Tresen fest. Endlich kam er zu sich.

Wie ein Paukenschlag dröhnte es in seinem Schädel: Wyatt Earp!

Masterson hatte nach Wichita telegraphiert! Die Nachricht konnte nicht mehr aufgehalten werden! Drüben in Wichita saß jetzt der Wolf und hatte den Notruf bekommen!

Der Bandenchief wischte sich durch die Augen. Dann fingerte er seinem Colt aus dem Halfter und gab zwei Schüsse gegen die Decke ab.

Die Männer sprangen taumelnd hoch. Aber sie kamen nicht auf die Beine. Es war ein skurriles Bild, wie die Banditen torkelnd umherschaukelten. Ihre whiskyrauchenden Schädel brummten und dröhnten.

Und vor ihnen stand der eisenharte Milt Rice und schrie: »Los, steckt eure Köpfe ins Wasser! Der Arkansas ist zu dieser Stunde noch kalt. In zehn Minuten seid ihr wieder hier. Ihr wißt, daß wir auf ihn warten!«

Bald darauf standen die Banditen wieder in der Halle um ihren Boß.

Der hatte schon je einen Mann an die Stadteingänge geschickt, damit die Ankunft jedes Reiters und jedes Wagens frühzeitig gemeldet würde.

Salt Cunnings hockte auf dem Tresen neben Milt. »Kann er denn heute überhaupt schon hier sein?«

Rice nickte. »Doch, der kann.«

»Dann hätte er einen Eilritt machen und mindestens zehnmal den Gaul wechseln müssen.«

»Na und? Ich traue ihm alles zu.«

»Was willst du tun?«

»Bill Hutfielder und Jack Crawlins besetzen drüben die Stepwalks. Hanc Butler und Vinc Brown verbarrikadieren sich auf unserer Seite. Limp Owens und Hal Mathews halten das Arkansasufer im Süden im Auge und Tom Bliffdeale paßt oben am Nordrand auf. Jede Annäherung an die Stadt wird sofort hier gemeldet!«

Das Rudel löste sich auf. Die Banditen machten sich auf die Posten.

Ein düsterer, gewitterschwüler Tag kroch über die Stadt.

Es geschah nichts.

Die Menschen trauten sich nicht aus ihren Häusern, und am Abend, als eine ältere Frau zum Store hinüberwollte, schoß Salt Cunnings sie in den Arm.

Es war die traurigste und bitterste Stunde der alten Treibherdenstadt.

Doc Gilbert hatte mit zusammengebissenen Zähnen hinter dem Fenster gehockt, als die Frau auf der Straße umfiel. Dann sprang er auf und rannte zur Tür.

Seine Frau hielt ihn fest. »Joe, bleib hier!«

Aber der Arzt schüttelte sie ab und lief hinaus auf den Vorbau.

Zwei Kugeln klatschten dicht neben ihm in einen Vorbaupfosten.

Da brüllte Gilbert: »Ich will die Frau verbinden! Hört auf zu schießen, ihr Idioten. Wenn ihr Löcher in der Haut habt, braucht ihr auch einen Doktor!«

Milt legte seinem Genossen Salt die Hand auf den Arm und blickte amüsiert zu dem greisen Mann hinüber, der hochaufgerichtet auf dem Vorbau stand. »Laß ihn, es ist ein Knochenflicker!«

Salt warf den Kopf herum und sah den Boß aus engen Augen an. »Und? Was kümmert uns das? Wir brauchen keinen Doc! Oder… oder bist du anderer Ansicht?«

Rices Gesicht war steinhart. »Wir warten auf Wyatt Earp«, sagte er dumpf.

»Du hältst es also für möglich, daß er irgendeinen von uns verwunden kann?« fragte Cunnings nach einer Weile.

»Möglich ist alles. Du weißt, daß er der schnellste Schütze sein soll, den es gibt.«

Cunnings machte eine große, wegwischende Handbewegung. »Pah! Alles Legende! Er wird ein frecher Hund sein und natürlich mit dem Colt ganz gut umgehen können…«

»Damit stoppt man keinen Mannes Clements und keinen Bill Hogeeter!« rief Rice laut. Dann fuhr er leiser fort: »Ben Thompson war ein eisenharter Bursche, und Jack Donegan war ein Stein. Wyatt Earp hat sie alle gebrochen.«

Cunnings verzog den breiten Mund und fuhr sich mit der Linken unbehaglich durch den Hemdkragen. »Ich lasse ihm keine Chance«, sagte er dumpf. Plötzlich stand er wie von der Trantel gebissen auf. »He, Milt!«

Der andere wandte langsam den Kopf. »Ja?«

»Wozu haben wir eigentlich Cass Brisbane?«

Über das Gesicht des Bandenchiefs zuckte ein Lächeln. »Yeah, du hast recht, Brother.« Er wandte sich zur Hotelfront und brüllte: »Brisbane!«

Nach einer Weile ging oben eines der Fenster hoch, und der Oberkörper eines Mannes wurde sichtbar.

Aber welch ein Gesicht kam da zum Vorschein!

Es war grauweiß wie Gips, hatte kalte, stechende Augen, und unter der dünnen Nase zog sich der schmallippige Mund wie ein Strich dahin. Hart und eckig war dieses Gesicht, es hatte etwas Raubvogelartiges an sich. Der platte graue Hut mußte neu sein, das dünne schwarze Samtband hob sich scharf von dem Velourstoff ab.

Der Mann trug ein blütenweißes Hemd mit einer dünnen grauen Schnürsenkelkrawatte. Statt einer Jacke trug er eine bestickte graue Weste, die fest zugeknöpft war. Links blickte die schmale Quaste einer Taschenuhr aus der Tasche. Die Hände des Mannes, die das Fenster hochhielten, steckten in dünnen schwarzen Lederhandschuhen. Um die Hüften trug er einen patronengespickten Kreuzgurt, in dessen Halftern zwei elfenbeinbesetzte Colts vom Kaliber Western 44 steckten.

Dieser Mann war Cass Brisbane, der Revolvermann aus dem texanischen Panhandle. Milt Rice hatte in sich als Leibwächter angeworben.

»He, Cass, komm runter! Ich habe mit dir zu sprechen!«

Das weiße Gesicht des Schießers blieb ausdruckslos. Kein Muskel verzog sich darin.

Er ließ das Fenster wieder herunter und war zwei Minuten später unten an der Tür.

Erst jetzt, da er ganz zu sehen war, kam der sonderbare Eindruck, den dieser Mann machte, voll zur Geltung. Die engen grauen Lewishosen liefen über schwarze Texasstiefel aus, die mit Verzierungen besteppt waren. Die Stiefel waren blankgeputzt. Wie überhaupt alles an dem Mann blankgeputzt und sauber war. Er bot einen grotesk-gefährlichen Eindruck, dieser Cass Brisbane aus Texas.

Wie alt mochte er sein?

Dreißig vielleicht, vielleicht auch älter. Es war ihm nicht anzusehen. Jetzt, da er unten war, konnte man scharfe Falten in seinem kalkigen Gesicht erkennen. Er richtete seine pulvergrauen Augen auf Rice. »Was willst du?« fragte er mit einer Stimme, die einem das Frösteln auf den Rücken jagen konnte.

Milt lehnte sich gegen das Geländer und musterte den Revolvermann eingehend. »Du bist doch ein Meisterschütze, Cass?«

Der Schießer ignorierte diese Einleitung und wiederholte seine Frage.

»Du weißt doch, wen wir erwarten?« mischte sich Cunnings ein.

Der Kopf des Revolverschwingers flog herum.

Cunnings feixte dumm.

Da meinte Rice: »Ich habe einen ehrenvollen Posten für dich, Cass!«

»Du hast schon zehn ehrenvolle Posten verteilt, Milt!« versetzte Brisbane gelassen.

Milt kniff die Augen zu engen Spalten zusammen. »Das waren nur Beobachtungsposten, Cass. Du bekommst die Aufgabe, den Mann aufs Korn zu nehmen. Wo du stehen willst, ist mir einerlei. Nur treffen mußt du ihn.«

Der Schießer hob mit einem Ruck den Kopf. »Ich treffe immer, Milt.« Er hatte es nicht ganz ausgesprochen, da zuckten seine Hände zu den Colts. Dicht neben den aufgestützten Händen Rices schlugen die beiden Kugeln ins Geländerholz.

Rice hatte sich nicht bewegt. Er grinste kalt. »Laß die Scherze, Cass«, sagte er ruhig. »Wir wissen, daß du schnell bist. Aber wir warten auf einen Mann, von dem wir es auch wissen.«

Die Mundwinkel des Schießers zogen sich um eine Spur nach unten. »Was soll ich tun?«

Cunnings knurrte: »Schießen sollst du, wie Milt es gesagt hat! Und wo du stehst, ist einerlei. Am besten oben am Fenster.«

Unmerklich schoben sich die dünnen Brauen in dem kalkigen Gesicht des Revolvermannes zusammen. »Am Fenster?«

»Yeah!« rief Cunnings ungeduldig. »Und sobald du ihn siehst, schießt du.«

»Ohne Anruf?«

»Yeah! Oder willst du ihn etwa erst warnen?« höhnte der Riese.

Der Schießer zog die Brauen noch näher zusammen. »Ich bin kein Heckenschütze, Salt Cunnings!« sagte er verweisend.

»Dann ruf ihn meinetwegen an!« entschied Rice. »Aber denk daran, mit wem du es zu tun hast.«

Ohne eine Antwort wandte sich der Revolverschwinger um und ging mit staksigen, hölzernen Schritten ins Haus.

Salt Cunnings blickte ihm mit sanftem Unbehagen nach. »Ich möchte ihn nicht im Rücken haben«, sagte er leise.

»Du hast ihn nicht im Rücken«, versetzte Rice, während er sich umdrehte und wieder auf die Straße blickte. Ohne daß Salt es bemerkte, beäugte er verstohlen die beiden hellen Löcher, die die Kugeln des Schießers in das Geländerholz gerissen hatten.

*

Auch dieser Tag verrann.

In der Nacht lehnte Rice an einem Vorbaupfosten und kaute auf einem Zündholz herum.

Neben ihm, weit über das Geländer gebeugt, stand Salt Cunnings.

»Er hat uns schon den ersten Schlag versetzt, ehe er überhaupt da ist«, flüsterte Rice.

»Ich will meinen Hut fressen, wenn ich das kapiere, Milt!« stieß der Riese unwillig hervor.

Rice spie das Streichholz aus. »Er ist noch nicht hier. Und eben damit macht er uns fertig. Verstehst du?«

Cunnings schüttelte den Kopf.

»Du kannst es auch nicht verstehen, weil du kein Hirn hast. Überleg doch mal: Er weiß, daß wir auf ihn warten. Und er kommt nicht. Das heißt, er kommt, aber er ist noch nicht da. Jeder weiß, daß er kommen wird – aber er läßt uns warten. Und er weiß genau, daß uns dieses Warten zermürben wird. Ich höre seit Stunden ein dumpfes Trommeln im Schädel. Es klingt wie Hufschlag…«

»Ich höre nichts«, antwortete der Hüne und schob seinen Kopf vor, um zu lauschen.

»Es ist ein dumpfes Trommeln, Salt, wie der Hufschlag eines Pferdes. Eines einzelnen Pferdes…«

Rice schob ihn beiseite. »Er ist in der Stadt!« flüsterte er vor sich hin. »Ich habe ihn gehört; den Hufschlag seines Pferdes habe ich im Schädel dröhnen gehört. Seit Stunden. Ich habe es dir ja vorhin gesagt. Er ist da! Vielleicht schon ganz in der Nähe. Vielleicht hier hinter der nächsten Ecke. Er belauert uns – wenn er will, knallt er uns ab. Aber das tut er nicht. Er läßt uns herumstehen, sinnlos herumstehen, Salt! Er weiß, daß er uns damit mehr schlägt…«

Der Riese sah sich unbehaglich um und fuhr sich durch den schweißnassen Kragen. Dann brummte er: »Du siehst zu schwarz, Milt. Wenn er da wäre, würde er schießen, würde uns längst weggewischt haben!«

Milt fuhr herum. »Ja, du würdest schießen. Du und ich und jeder andere. Nicht aber er. Er schießt nicht aus dem Dunkel. Er ist der große Wolf, Wyatt Earp. Er hat es nicht nötig, aus dem Dunkel heraus zu schießen. Er ist ein Meisterschütze, und hinter ihm steht das Gesetz!«

»Aber er hat doch keine Chance gegen uns, Milt«, krächzte Salt Cunnings. »Was will er gegen sechsundzwanzig entschlossene Männer tun?«

Milt hob den Kopf und blickte den Hünen etwas nachdenklich an. »Sind es entschlossene Männer? Ich weiß es nicht, Salt. Ich glaube viel eher, daß es Hornochsen sind, dummdreiste Halunken, die nur auf ganz schnelle Art an Geld kommen wollen.«

»Wollen wir das nicht alle?« fragte der andere.

Der Boß nickte. »Schon, aber es hat sich uns ein Felsbrocken in den Weg geschoben. Der alte Sheriff hat ihn in letzter Minute in unseren Weg gerollt. Wir müssen ihn beiseite schaffen; wenn wir hier in der Stadt das Heft in der Hand halten wollen, müssen wir den Fight mit Wyatt Earp aufnehmen.«

Milt Rice hatte es halblaut und heiser hervorgestoßen. So, als müsse er sich das Gesagte selbst noch einhämmern.

Salt nickte. »Yeah – das wollen wir doch. Wir warten doch hier auf ihn.«

Sie warteten.

Bis der Morgen kam.

Dann stierten sie mit brennenden Augen auf die Straße, auf die Häusergiebel, deren Anblick sie mittlerweile haßten.

Sie warteten den ganzen Vormittag.

Keiner verließ seinen Posten.

Um halb zwölf riß dem Banden-Chief die Geduld. Er verließ den Vorbau und überquerte die Straße.

Vor dem Haus des Arztes blieb er stehen, stemmte die Hände in die Hüften und brüllte: »Doc! Komm raus!«

Es dauerte eine Weile, bis der alte Arzt vor der Tür erschien. »Was wollen Sie, Rice?« knurrte er.

»Wo ist er?«

»Wer?«

»Frag nicht so blöde, Alter, sonst fetze ich dich auseinander. Ich frage dich, wie ich den alten Sheriff gefragt habe! Antworte gefälligst. Wo ist er?«

Der Arzt wandte sich um. Ehe er im Haus verschwand, sagte er: »Wenn Sie mich fragen, Rice, müssen Sie schon deutlich sprechen. Ich weiß nicht, wen Sie suchen. Und wenn Sie nun wollen, können Sie mir getrost eine Kugel in den Rücken schicken. Ihr müßt dann sehen, wie ihr euch selbst zusammenflickt, wenn Wyatt Earp kommt und euch Löcher in die Haut schießt!«

Unbeherrscht stieß der Bandit die Hand auf den Colt. Durch den offenen Halfterboden peitschten zwei Schüsse über die Straße.

Dicht neben dem Körper des Arztes rissen die Bleigeschosse tiefe Löcher in die hölzerne Hauswand.

Der Arzt sah auf die Einschüsse. Dann blickte er sich um. »Sie sind ein tüchtiger Mann, Milt Rice!«

Damit war er im Haus verschwunden.

»Wyatt Earp!« stieß der Bandit fast lautlos durch die Zähne. »Wyatt Earp kommt! Hat er gesagt, dieser verdammte Knochenflicker!« Langsam wandte er sich um und ging zur Holvestreet hinüber. Das Eckhaus zur Frontstreet gehörte dem Bürgermeister Clint Hoover.

»Major!« brüllte der Bandit heiser.

Wie auf Kommando erschien der Bürgermeister mit wachsbleichem Gesicht in der Tür. Er sah den Bandenführer sieben Yards vor sich auf der Straße stehen. Drüben auf dem Vorbau stand Salt Cunnings. Und oben am Fenster verharrte seit fast vierundzwanzig Stunden der kalkgesichtige Mann mit der Weste und den dünnen schwarzen Handschuhen.

Clint Hoovers Hände waren schweißnaß. Er wußte, daß ihm die nächste Sekunde den Tod bringen konnte.

Schließlich hatte Rice gestern laut erklärt, daß er alle Ämter der Stadt übernehmen wolle. Da würde er auch einen seiner Leute auf den Bürgermeistersessel setzen. Den Arzt, ja, den brauchten sie, den Knochenflicker, das wollte gekonnt sein.

Clinton Hoover schluckte. Der Schweiß rann in winzigen Bächen von seiner Stirn.

Der Bandit stand vor ihm und sah ihn aus harten Augen an. »Wo ist er?« fragte er bedrohlich leise.

Der Major schluckte wieder und sagte etwas, das man aber nicht verstehen konnte, weil es einfach etwas zu leise gesprochen war.

Der gereizte Bandit sprühte ihn haßerfüllt an: »Wirst du jetzt endlich sprechen, du fette Stadtwanze, he! Oder soll ich dich mit dem Colt in zwei Hälften auseinandersägen?«

»Ich weiß nicht…, wen Sie suchen, Mister Rice!« stieß der Major stotternd und mit belegter Stimme hervor.

»Er ist hier. Seit der Nacht ist er hier! Wir wissen es. Einer meiner Leute hat ihn gesehen.«

Der Bürgermeister nickte. »Das wird richtig sein, Mister Rice. Ich weiß aber nicht, wen sie meinen.«

Da trat der Bandit auf den Stepwalk und kam auf den Bürgermeister zu. Er hatte beide Fäuste geballt und in seinen Augen stand der kalte Zorn.

Ehe er den Major erreichte, stürmte ein schwarzhaariges Mädchen an diesem vorbei und warf sich Rice entgegen.

Verdutzt blickte der Bandit in das hübsche, vor Zorn und Angst gerötete Gesicht, das dicht vor ihm war.

»Bitte, Mister Rice, lassen Sie ihn Ruhe. Er weiß es wirklich nicht!«

Das Erstaunen schwand aus den Augen des Busheader. Er stieß das Mädchen brutal zur Seite. Eisig blickte er den Major an. »Wo ist er?«

»Er weiß es nicht!« schrie das Mädchen und sprang wieder auf. »Er weiß es nicht, Sie Unmensch! Sie elender Teufel! Aber eines wissen wir alle: Wyatt Earp wird kommen und mit Ihnen abrechnen!«

Die Worte waren über die Straße gehallt, und die Menschen hinter den Gardinen hatten sie deutlich gehört.

Ganz langsam wandte sich der Bandit zur Seite und blickte Jenny Hoover, die Tochter des Majors, aus engen Augen an.

Das hübsche Mädchengesicht wurde plötzlich blaß.

Der Bandit starrte sekundenlang in Jennys flackernde Augen. Seine Hand hatte sich um den Coltgriff gekrampft.

Da trat drüben Doc Gilbert aus seinem Haus.

»Wenn Sie sie niederschießen, Rice, wird das sehr vorteilhaft für Ihren Verbleib in der Stadt sein. Die Bürger werden es zu schätzen wissen, einen Sheriff zu haben, der so mutig war, eine wehrlose Frau niederzuschießen!«

Rice wandte sich auf dem Absatz um. »Du hast ein loses Maul, Doc! Reiß es nicht zu weit auf! Ich könnte es dir stopfen!«

»Das wirst du bleiben lassen«, ersetzte Gilbert unbeirrt. »Du weißt, daß du mich brauchst. Wenn Wyatt Earp dir ein Loch in die Figur schießt, wirst du nach mir schreien.«

Der Bandenchief war plötzlich aschgrau im Gesicht. Seine beiden Revolver lagen in seinen Händen. »Doc!« bellte er heiser. »Sag diesen Namen nicht noch einmal! By, Jove, ich harke dich auseinander!« Damit ließ er die Colts zurück in die Halfter fliegen, wandte sich ab, überquerte die Straße und verschwand drüben im Hotel.

Der Arzt wischte über den Seehundschnauzbart und blickte den Major an. Dann ging auch er in sein Haus zurück.

*

Der Himmel hatte sich dräuend zugezogen, als um zwölf Uhr die Overland in die Fronstreet einrollte.

Sie kam von Osten.

Und war leer.

Auch am nächsten Tag war sie leer.

Und dann brach der 18. Mai an.

Dodge City würde diesen Tag nie vergessen.

Noch heute ist das, was sich damals in der Stadt ereignete, in den alten Annalen verzeichnet.

Die beiden Männer, die aus der Overland-Kutsche stiegen, halfen einander beim Tragen eines schweren Koffers, der dem älteren bebrillten Mann zu gehören schien.

Die Augen Brisbanes hingen an dem jüngeren Mann.

Es war ein hochgewachsener Mensch, breitschultrig und schmalhüftig. Er trug einen schwarzen ungeknifften Hut mit breitem Rand, eine schwarze Jacke und eine schwarze Hose.

Der ältere Mann trug einen grauen Anzug.

Auch Milt Rice blickte auf die beiden, die zum Hotel London hinüberschritten.

Der Doc stand vor seiner Tür.

Rice rief ihn an. »Wer ist das?«

Der Arzt warf einen Blick zu den beiden Ankömmlingen hinüber. »Beerdigungsunternehmer, sieht man doch«, gab er spöttisch zurück. Er ahnte sicher selbst nicht, wie zweideutig diese seine Antwort war.

Ein paar Banditen lachten.

Die beiden Ankömmlinge hatten das Hotel fast erreicht.

Der ältere Mann ging voran und öffnete die Tür.

Da zerschnitt die belfernde Stimme des texanischen Schießers die Luft: »Earp!«

Was dann geschah sollten die Menschen in der Frontstreet nie vergessen.

Der hochgewachsene Fremde wirbelte herum. Er ließ sich fallen, und in seinen beiden Händen blitzten die Revolver auf.

Cass Brisbane sackte hinter dem Fenstersims zusammen.

Salt Cunnings, der den Colt in der Hand hatte, brüllte auf, weil eine Kugel in seinem rechten Unterarm saß.

Hans Butler, der drüben unter dem Vorbau hockte, krümmte sich zusammen, und Vinc Brown rutschte zur Seite.

Innerhalb von fünf Sekunden hatte ein Spuk die Straße verändert und leergefegt.

Milt Rice stand steif und breitbeinig auf dem Vorbau und blickte wie erstarrt zu dem schwarzgekleideten Fremden hinüber, der jetzt wie ein Phantom hinter einer Vorbautreppe verschwand.

Die Lippen des Bandenchiefs öffneten sich und formten nur die Worte: »Wyatt Earp!«

Salt Cunnings hechtete heran, riß seinen wie versteinert dastehenden Freund zu Boden und zerrte ihn in Deckung hinter eine umgestürzte Bank.

»Was war denn das?« stammelte Salt mit bleichem Gesicht.

Auch Rice war bleich geworden. Erst jetzt schien er den Schock überwunden zu haben. Er nahm seinen Colt aus dem Halfter und gab drei schnelle Schüsse auf die Treppenkante ab. Während er die Trommel sofort wieder nachlud, sagte er rauh: »Das ist Wyatt Earp, Brother! Der Tanz hat begonnen.«

Die Menschen, die diesen rasenden und so unheimlich genauen Schußwirbel des Marshals erlebt hatten, sollten es nie vergessen. Es war aber alles so schnellgegangen, daß man es erst begriff, als es vorüber war.

Milt Rice wischte sich über die Stirn. Er stützte den Schußarm auf und stierte angestrengt zu der Treppe hinüber. »Was habe ich gesagt«, stieß er leise durch die Zähne. »Der Hund hat sich was Hübsches zur Begrüßung ausgedacht.«

Cunnings schüttelte den Kopf wie ein begossener Hund und preßte mit der Linken den verwundeten Arm. »Das war er?« stotterte er noch immer benommen. »Goddam, er ist ja über uns gekommen wie das Gewitter!«

Wieder mußte Rice sich den Schweiß, der ihm in die Augen rinnen wollte, mit dem Ärmel von der Stirn wischen. »Yeah – und ihr habt gelacht, ihr Schafsköpfe! Er ist noch keine Minute hier und hat schon ein halbes Dutzend von uns angeschossen!«

»Und wie der Skunk das gemacht hat!« Stieß Tim Harley hervor, der hinter einem Korbsessel steckte. »Das wird ein feiner Spaß. Bin neugierig, wen er noch alles erwischt, ehe er ausgepustet hat.«

Milt warf ihm einen giftigen Blick zu. »Dich bestimmt, du Hammel!«

Da bellte von oben die Stimme des Texaners herunter: »Earp! Ich habe dich sofort erkannt, obgleich ich dich nie gesehen hatte.«

»Prächtig, Freund!« rief der Mann hinter der Treppe zurück.

»Du hast keine Chance, Earp. Wenn du mich auch an der Schulter erwischt hast…«

Und dann heulten zwei brüllende Revolverschüsse aus einer Sixgun über die Straße.

Vom Dachfirst des Grandhotels stürzten zwei Männer mit Gewehren in die Tiefe.

Wyatt Earp blickte verblüfft zurück und sah hinter sich, seitlich in der Tür eines Saloons, einen Mann stehen, der ihn angrinste.

Es war ein großer, schlanker Mann im grauen Tuchanzug. Er hatte ein scharfgeschnittenes, eckiges Gesicht, das von zwei kalten hellblauen Falkenaugen beherrscht wurde. Über dem gutgeschnittenen Mund saß ein kleiner, sauber getrimmter Bart. Der Mann mochte vielleicht dreißig Jahre oder weniger älter sein.

Wyatt Earp kannte ihn genau, diesen seltsamen Mann: Es war Doc Holliday, den er vor zwei Jahren unten in Wichita kennengelernt hatte.

»Verdammt!« fauchte Rice erschrocken. »Da drüben steht noch einer, der mit ihm schießt. Hast du die beiden Schüsse gesehen? Frank Loobe und Gab Harrings sind erledigt!«

Wyatt Earps Gesicht war sofort wieder ernst. Er hatte Mastersons Nachricht bekommen und so schnell wie möglich seinen Falben bestiegen. Aber er war nur bis Hutchinson geritten, hatte das Pferd zum Verladen bei der Bahn abgegeben und selbst die Overland genommen, die noch vor dem Zug heute in Dodge eintreffen sollte.

Was seiner hier erwartete, hatte er nicht ahnen können. Er hatte dem alten Herrn nach dem Aussteigen geholfen, den Koffer zu tragen. Sein eigenes Gepäck lag noch drüben in der Kutsche.

Das war ja eine schöne Überraschung, die man ihm hier bereitet hatte. Auf den scharfen Anruf hin hatte er sofort reagiert. Allerdings waren ihm beim Aussteigen die Gestalten auf dem Hotelvorbau an den Fenstern und drüben unter den Brettern der hochliegenden Stepwalks aufgefallen. Eine seiner dunklen Ahnungen – die ihn selten getrogen hatten – war für diesen einmaligen Mann Warnung genug gewesen. Seine Reaktion hatte den Angriff drüben zerschlagen.

Und dann war Doc Holliday da!

Die beiden Meisterschüsse, mit denen der Zahnarzt die Heckenschützen getroffen hatte, die für den Marshal unsichtbar drüben hinter dem Dachfirst versteckt lagen, hatten dem Missourier vielleicht das Leben gerettet.

»Krauchen Sie nun unter den Bohlen heran, Marshal«, rief ihm Holliday zu. »Hier vor der Tür ist eine Klappe. Ich reiße sie hoch, und während Sie aussteigen, mache ich ein bißchen Feuerwerk!«

Sein Feuerwerk riß Rim Harley, der am unteren Hotelfenster erschien und auf den zurückrobbenden Marshal schoß, von den Beinen.

Auch Milt Rice bekam einen Streifschuß am linken Oberarm ab.

Der Bandenchief warf einen schnellen Blick in das bleiche Gesicht Salt Cunnings. »Hast du das gesehen?«

»Vielleicht hat er Bill Hickock mitgebracht!« stieß Cunnings heiser hervor. »Der Halunke schießt ja ebenso schnell wie der Marshal selbst!«

»Wären wir bloß weitergeritten!« zischte einer der Männer unter dem Vorbau. »Das sind ja die reinsten Schießmaschinen!«

»Ich habe mal gehört, daß der Earp noch drei Brüder hat«, knurrte Hanc Butler zurück. »Vielleicht sind die alle so gut wie er…«

»Halt’s Maul!« knurrte Milt Rice. »Wir sind noch fast zwanzig Mann…«

»Gegen zwei Schießteufel!«

*

Wyatt Earp und Doc Holliday waren längst in Sicherheit. Sie standen zu beiden Seiten der Saloontür und spähten auf die Straße.

Holliday schob neue Patronen in seine Colttrommel, und ohne den Blick von der Straße zu lassen, meinte er, so als habe man sich gerade in einem Bostoner Café getroffen: »Wie geht’s?«

Wyatt sah den Mann an. Er war kaum älter geworden. Sein Gesicht war immer noch blaßbraun, vielleicht etwas ernster noch als damals. Die Falten um den Mund waren schärfer geworden, und die tiefen Schatten unter den Augen gaben seinem Gesichtsausdruck etwas sehr Hartes, Kaltes.

»Doctor John Holliday aus Boston«, sagte Wyatt halblaut. »Ist es die Möglichkeit! Welcher Wind hat Sie denn ausgerechnet hierhergeweht?«

Holliday zog auf eine für ihn typische Art die Brauen in der Stirnmitte hoch und grinste. »Hier gibt’s ’ne Menge prächtiger Saloons, Marshal.«

»Ich denke, Sie sind Arzt?«

»In Kansas City hat mir ein Patient in den Magen getreten, dann gab’s ’ne Schießerei, und den Leuten paßte es nicht, daß ein Zahnarzt auch mit dem Colt umgehen konnte.«

Wyatt sah lange in das Gesicht des anderen.

Plötzlich begriff er. »Und jetzt suchen Sie keine Leute mehr mit kranken Zähnen, sondern nur noch Saloons?«

»So ist es.«

»Und wovon leben Sie?«

»Vom Spiel.« Holliday lachte. Es war ein leises, eindringliches Lachen, das Wyatt von nun an über ein volles Jahrzehnt hören würde.

Der Missourier ahnte in dieser heißen Minute sicher nicht, daß der Mann, der ihm da mit dem Colt in der sehnigen Hand gegenüberstand, von nun an in seinem Leben bleiben sollte.

Er war also ein Spieler geworden, der tüchtige Bostoner Zahnarzt Holliday. Jetzt sah Wyatt es auch deutlicher. Das Gesicht des Mannes war blasser geworden, noch eckiger und härter. Und die Schatten unter den Augen waren ein Zeichen von den vielen in rauchigen Saloons verbrachten Nächten. Da hatte ihn also ein unseliger Zufall aus seiner Bahn geworfen.

Wyatt ahnte noch nicht die wahren Zusammenhänge, die das tragische Geschick des John Holliday heraufbeschworen hatten.

»Sind Sie schon lange hier?« forschte der Marshal,

»Nein. Ich bin in der Nacht gekommen. Vor der Stadt hockte ein Kerl im Graben und schlief. Das machte einen ziemlich komischen Eindruck auf mich. Ich weckte ihn, und als er den Colt ziehen wollte, gab ich ihm einen Klaps über den Schädel. In der Stadt war es totenstill. Ich merkte dann auch schnell, daß was los war. Eine Bande terrorisiert seit zwei Tagen die Stadt und wartet auf einen Mann. Daß Sie dieser Mann sein könnten, erfuhr ich erst heute morgen von meinem Kollegen Gilbert. Er kam hinten über die Höfe in mein Quartier. Ich hatte mich hier bei Chalk Beeson im Long Branch Saloon einquartiert. Ohne Erlaubnis Milt Rices.«

»Milt Rice?« fragte Wyatt. »Er hat den Laden hier also verrückt gemacht.«

»Kennen Sie ihn?«

»Nicht persönlich. Aber ich habe genug von ihm gehört, um ihn an den Strick zu bringen, wenn ich ihn zu packen kriege.«

Holliday nickte.

»Sind es tatsächlich über zwanzig Mann?«

Der Arzt zog die Schultern hoch. »Weiß ich nicht. Jetzt wahrscheinlich nicht mehr. Sie haben ein paar lahmgeschossen, ich habe ein paar verstummen lassen, es werden also weniger sein.«

Verstummen lassen! Hallte es im Kopf des Marshals. Ja, das war es. Dieser John Holliday traf genau und er traf auch jedesmal tödlich. Wohingegen er selbst es sich zum Prinzip gemacht hatte, seine Gegner nach Möglichkeit nur kampfunfähig zu schießen.

»Der Sheriff hat Ihnen telegrafiert?« forschte Holliday.

»Ja. Ich bin bis Hutchinson geritten. Von da wollte ich die Bahn nehmen. Aber die trifft erst heute abend hier ein. Deshalb habe ich die Overland genommen.«

Holliday nickte. »Gemütliches Städtchen, nicht wahr?«

»Doch, ja.« Wyatt schob blitzschnell den Lauf seines langläufigen Buntline-Revolvers vor und gab einen Schuß ab.

Drüben brüllte einer der Banditen, der seine Deckung verlassen hatte, gellend auf.

Sofort schoß auch Holliday.

Limp Owens, der unten vom Arkansas heraufgekommen war, weil er die Schießerei gehört hatte, fiel mit seinem Gewehr hinter einem Mauervorsprung drüben aus einer Gasse heraus auf die Straße.

Mit dem Gesicht in den Staub.

Wyatt preßte die Zähne zusammen. »Sie sind etwas zu genau, Doc.«

Holliday warf ihm einen erstaunten Blick zu. »Wie meinen Sie das? Soll ich den Halunken vielleicht leben lassen? Jeder Colt, der da drüben noch benutzt werden kann, ist gefährlich für uns!«

Wyatt hatte plötzlich das Gefühl, daß dieser John Holliday Freude am Kampf hatte. Daß er vielleicht aus purem Zufall ausgerechnet an diesem Tag nach Dodge gekommen sein mochte, das konnte noch stimmen, aber den Kampf suchte er.

Wyatt Earp sollte das noch viele Jahre lang erfahren müssen. Gleich jetzt, in dieser Stunde würde Doc Holliday ihm ein Probestück seines sonderbaren Charakters bieten.

Der Marshal ließ seinen Blick forschend über die Straße schweifen. »Was soll das werden?«

Holliday zog die Schultern hoch. »Kleiner Maientanz mit Pulverdampf und viel Geschrei. Hübsche Stadt, dieses Dodge.« Mit der Linken angelte er eine Zigarette aus seiner Reverstasche, riß mit der gleichen Hand an der Wand ein Zündholz an und rauchte, wobei er die Straße keine Sekunde aus den Augen ließ. »Wirklich eine nette Stadt, mit bleihaltiger Luft, ziemlich nervösen Leuten und allem Drum und Dran.«

Wyatt verspürte trotz des Ernstes der Situation zum zweiten Mal einen Lachreiz in sich aufsteigen. Überhaupt wußte man bei diesem seltsamen Mann nie genau, ob man nun lachen sollte oder sich ärgern mußte. Was er sagte, war immer eine Mischung von intelligentem Spott und versteckter Wahrheit, Bosheit und Witz.

Ohne die Zigarette aus dem Mund zu nehmen, sagte er: »Ein Glück, daß ich die Taschen voller Blei habe; ich hatte sie gestern noch voller Zigaretten… Die Munition soll in Dodge teurer sein als der Tabak.« Er hustete und kniff das rechte Auge ein. »Wußten Sie übrigens, daß Sie einen Kranz spenden müssen? Zu dumm, daß ich meinen schwarzen Anzug in Topeka versetzt habe… Milt Rice wird mir seinen geben müssen, sonst kann ich Sie nicht zum Friedhof begleiten…«

Wyatt blickte auf das scharfgezeichnete Profil des ehemaligen Zahnarztes und jetzigen Spielers. »Ich verstehe Sie nicht…«

Holliday stieß eine Doppelwolke von Tabakrauch durch die Nasenlöcher nach unten. »Sheriff Masterson ist tot… Unser Freund drüben hat ihn umgelegt…, weil er Ihnen ein Telegramm geschickt hat.«

Wyatts Fäuste umspannten die Knäufe der Revolver. Er fühlte, wie ihm das Blut siedenheiß vom Herzen in den Kopf stieg. Und wie eiskalt und gelassen dieser Mann ihm das mitgeteilt hatte!

Wyatt wäre am liebsten auf den Vorbau gerannt und hätte geschossen, geschossen, was die Colts hergaben.

Er spürte, daß unter seinem Hutrand kleine Schweißperlen standen. »Milt Rice hat den Sheriff erschossen?« wiederholte er leise. Er hatte alle Mühe, den wilden, aufsteigenden Zorn hinunterzuschlucken.

Da sprangen drüben vier Banditen hinter einem Versteck hoch und rannten wild schießend schräg über die Straße.

Ehe Wyatt die Revolver in Position brachte, mußte er zusehen, wie der Mann neben ihm nach vorne sprang, vor die offene Tür, den schweren Colt wie einen Stock nach vorne stieß und die Linke blitzschnell über den Hammer fliegen ließ.

Vier rasend schnelle Schüsse peitschten über die Frontstreet. Sie waren so schnell gefallen, daß sie sich wie ein einziger anhörten.

Nur den Bruchteil von Sekunden hatte es gedauert.

Die vier Rice-Männer rollten sich im Straßenraub.

Doc Holliday stand noch vor der Tür und blickte über die Getroffenen hinweg zu der Häuserfront hinüber.

»Weg von der Tür!« zischte Wyatt.

Langsam kam der Spieler zurück.

Und im Bruchteil der Sekunden klatschten zwei Kugeln neben ihm in den Türpfosten.

Wyatt starrte fasziniert in das Gesicht seines Partners.

War dieser Mann sein Partner?

Ja, und wenn es ein grausiger Scherz war – in dieser Minute jedenfalls war der Abenteurer Holliday der Partner des Marshals Wyatt Earp. Ein Mann, der sich dem Tod kaltblütig wie kein anderer in die Bahn stellte, und der so schnell schoß, wie Wyatt Earp nie zuvor einen anderen Mann hatte schießen sehen.

Ein Naturtalent – und doch ein Verlorener. Der gut geschnittene Mund brachte nur Spott in wohlgesetzte Worte verpackt heraus… Spott auf alles, sogar auf sich selber.

*

Milt Rice lag mit zusammengebissenen Zähnen hinter der Holzverkleidung und schielte durch ein Astloch über die Straße.

»Verdammt gut haben die Hunde sich da verschanzt. Hast du den anderen schießen sehen? Ich habe nur Pulverrauch und seine Beine gesehen.«

Salt Cunnings hatte dicke Schweißperlen auf der Stirn stehen. »Ich weiß es nicht… Ich weiß nur, daß du verdammt recht hast: Er ist ein Wolf. Und sein Partner ist nicht eine Unze schlechter.«

Milt Rice war nicht der Mann, schnell weich zu werden. »Er hat uns hart zugesetzt. Aber wir sind immer noch Männer genug, ihn fertigzumachen. Ich werde ihn jetzt mit seinen Waffen schlagen. Er ist ja fair, der Skunk. Ich biete ihm ein all for all-Duell an.«

»Bist du verrückt?« fauchte Cunnings.

Milt lächelte maliziös. »No, fellow. Brisbane soll sich mit ihm schießen. Und während sich die zwei da unten auffressen, sorge ich dafür, daß unsere restlichen Leute irgendwo über die Straße kommen und das Haus von hinten und den Seiten stürmen können.«

Salt pfiff leise durch die Zähne. »Du bist doch ein Höllenhund, Milt!«

»Earp!« brüllte der Bandit mit Stentorstimme über die Straße. »Earp, hör einen Augenblick zu. Du hast eine Reihe meiner Leute weggeputzt, all right, trotzdem hast du kaum eine Chance. Ich will es kurz machen, es ist nur ein Geschäft. Ich schlage dir ein all für all-Duell vor. Was hältst du davon?«

»Eine Menge, wenn du es auch so meinst!« rief der Marshal zurück.

»All right. Unser Mann kommt auf die Straße!«

Es vergingen fünf Minuten.

Dann öffnete sich drüben die Hoteltür, und der texanische Schießer Cass Brisbane kam auf den Vorbau. Mit hölzernen Bewegungen ging er die drei Treppenstufen hinunter und blieb auf der Straßenmitte stehen.

Ehe Wyatt sich in Bewegung gesetzt hatte, war Doc Holliday auf dem Vorbau. Er hatte beide Hände in einer für ihn typischen geradezu herausfordernden Manier in der Tasche.

Vor der obersten Treppenstufe blieb er stehen. »Milt Rice«, rief er mit schneidender Stimme. »Die Blamage willst du doch einem so berühmten Mann wie Wyatt Earp nicht antun. Dieses texanische Gipsgesicht, dessen Namen niemand kennt, soll sich mit dem Marshal Earp schießen? Das ist doch ein Hintertreppenwitz, Rice. Nein, nein, da mußt du schon selber an die Luft kommen!«

Es war totenstill auf der Straße.

Rice starrte durch das Astloch über die Straße hinüber.

»Doc Holliday!« stieß er tonlos hervor.

Cunnings stieß seinen Boß grob von dem Astloch weg und starrte hindurch. »By Gosh! Er ist es! Dieses Pokerface würde ich noch in der Hölle wiedererkennen! Jetzt ist mir alles klar! Earp hat sich mit ihm verbündet! Evening, Brother. Jetzt wird es dunkel, wenn Brisbane nicht clever ist.«

Doc Holliday hob den Kopf. »He, Kleiner, verschwinde. Du machst dir sonst noch die Handschuhe auf der Straße schmutzig!«

Brisbanes kalkweißes Gesicht wurde plötzlich von einem purpurnen Rot übergossen.

Holliday ging die Treppe langsam hinunter. »Du sollst verschwinden, Gipsgesicht! Hier auf der Straße soll Wyatt Earp mit einem Mann kämpfen! Verschwinde!«

Was dann geschah, dauerte nur zwei Sekunden.

Holliday hatte den Revolverschwinger dahin gebracht, wo er ihn haben wollte: Brisbane wurde vom Zorn übermannt, stieß beide Hände auf die Colts, hatte die Waffen auch schon aus den Halftern, als es tief an der Hüfte des Spielers aufblitzte.

Die Kugel, die Brisbane noch abfeuerte, schlug fünf Yards vor Holliday in die Erde und ließ den Sand aufspritzen.

Cass Brisbane stand steif da. Die beiden Revolver in den halberhobenen Händen.

Wyatt Earp starrte auf ihn.

Auch Milt Rice starrte auf seinen Mann. Und mußte zu seinem Entsetzen erleben, daß er urplötzlich vornüber in die Knie brach und mit dem Gesicht auf die Straße fiel.

Da sprang Bill Hutfielder aus seinem Versteck und schoß.

Auch Walt Dooley und Billy Croft stießen ihre Revolver vor.

Wyatt Earp sprang auf den Vorbau und schoß.

Und mit ihm schoß Doc Holliday.

Nur Sekunden waren vergangen.

Doc Holliday kam langsam zurück. Oben in der Tür rief er: »Also, Rice, wir warten: Einen Mann für Wyatt Earp. Dein Schießhund war gerade gut genug für mich.«

Es blieb still.

Minutenlang.

Holliday zündete sich eine neue Zigarette an und lud die verschossenen Patronen nach. »Doch eine schöne Stadt, Marshal. Finden Sie nicht auch?« Dann trat er plötzlich auf den Vorbau und rief Wyatt halblaut zu: »Geben Sie mir Deckung! Los, schießen Sie!«

Er rannte los, setzte mit einem Sprung über die Treppe auf die Straße hinunter und hetzte, während Wyatt mit beiden Revolvern auf den Hotelvorbau feuerte, quer über die Straße. Drüben flog er in einem wahren Hechtsprung unter die Vorbauplanken und schoß zweimal. Dann hörte Wyatt seine aufreizende Stimme: »He, Brother, wirf die Kanone weg! Ich habe gerade eine gute Minute, sonst blase ich dich auch aus!«

Vinc Brown, der ohnehin schon verwundet war, ließ seinen Colt fallen.

»Los, verschwinde auf die Straße, da bleibst du stehen!«

Der Bandit gehorchte dieser Aufforderung sofort.

Von drüben krachten zwei Schüsse. Die Männer, die vor dem Arzthaus unter dem Vorbau hockten, hatten Holliday ausgemacht und hielten wütend ihre Colts auf ihn.

Aber eine Stepwalkstütze von ordentlicher Dicke schützte den Spieler.

Trotzdem blieben die beiden Männer für Holliday gefährlich.

Da sprang Wyatt aus dem Saloon und setzte mit mehreren raschen Sprüngen über den Vorbau nach rechts. Eine Kugel surrte über seinen Kopf, schlug gegen eine Metallkrampe und heulte jaulend als Querschläger davon.

Wyatt hatte ein großes Regenfaß erreicht, stemmte sich dagegen und warf es um.

Das Wasser rann augenlicklich durch die Bohlenritzen hinunter und trieb die beiden Banditen wie Ratten aus ihren Löchern.

Holliday ließ sie herauskommen.

»Bleispritzen wegwerfen, gents! Schnell! Sonst knallt’s!«

Die Männer gehorchten.

Milt Rice krallte die Nägel in das frische Dielenholz. »Er rollt uns auf. Dem Tempo sind unsere Boys nicht gewachsen. Holliday hat ihnen den Rest gegeben. Wenn uns in den nächsten fünf Minuten nichts einfällt, sind wir geliefert…«

»Mir fällt was ein!« stieß Cunnings hervor und robbte zum Hoteleingang zurück.

Zehn Minuten später lehnte Doc Holliday neben der Treppe, und Wyatt Earp sprang mit beiden Revolvern auf den Vorbau.

Milt Rice war verschwunden.

Nur drei verwundete Bandenmitglieder lagen vor den Bordwänden zur Straße hin.

Holliday saß vorn auf der Treppe und lachte. Dann ging er langsam über die Straße. »Gilbert, kommen Sie ’raus, hier gibt’s ’ne Menge Arbeit!«

Der Spuk war vorbei.

Die überlegene Geschicklichkeit Wyatt Earps und die kaltblütige Frechheit Doc Hollidays hatten den Belagerungszustand in einer einzigen Stunde beendet.

Von Rices Leute waren sechs tot und elf schwer verletzt. Die anderen hatten mehr oder weniger harmlose Wunden aufzuweisen.

Die Crew des Sheriffmörders Rice war zerschlagen.

Aber er selbst und sein Spießgeselle Salt Cunnings hatten sich gerade noch rechtzeitig aus dem Staub gemacht.

Als Major Hoover hörte, wer der Partner des berühmten Marshals bei den »Aufräumungsarbeiten« gewesen war, verzog er mit süßsaurer Miene das Gesicht.

»Doc Holliday? Das ist kein Glück für Dodge! Ich hätte diesem Mann lieber nichts zu verdanken. Er hat Kansas City verlassen müssen und Abilene auch. In Topeka hat er zwei Mann getötet und eine ganze Salooneinrichtung zerstört.«

Wyatt versetzte: »Er hat sich seiner Haut gewehrt, Major.«

»Er ist ein Spieler, Marshal.«

»Ja, seine Sache. Aber hier hat er gute Hilfe geleistet. Ohne ihn stünde ich noch in der Tür des Long Branch Saloons.«

Hoover nickte mürrisch. »Ja, es ist nicht zu ändern. Ich werde ihm hundert Dollar übergeben und ihn auffordern, die Stadt zu verlassen.«

Wyatt ging grußlos davon auf Grahams kleines Hotel zu.

Holliday kam in diesem Augenblick aus Fred Roberts Barbershop. Er hatte sich rasieren lassen.

»Hallo, Marshal. Ich habe mich extra fein machen lassen für unser Souper.«

Wyatt sah ihn mitleidig an. Dann sagte er: »Good, ich komme sofort. Ich muß nur meine Sachen noch aus der Overland holen.«

Die Postkutsche hatte bis jetzt drüben vor der Postmeisterei gestanden.

Wyatt holte eine große Reisetasche heraus und sein Winchestergewehr. Dann ging er noch einmal zurück und holte seinen Sattel.

Indes hatte sich Holliday im Long Branch Saloon an einem Ecktisch niedergelassen und sich einen roten Whisky bestellt. Er ahnte nicht, daß sich über seinem Kopf schon wieder Unheil zusammenbraute.

Er stand unter einem Unstern, der schnelle John Holliday. Man wollte ihn nirgends mehr haben. Noch vor zwei Jahren, als Wyatt ihn in Wichita getroffen hatte, war er ein achtbarer Mann gewesen, ein guter Zahnarzt, ein Mensch, der offensichtlich eine ausgezeichnete Zukunft vor sich hatte.

Und wie sah es heute um ihn aus? Kaum achtundvierzig Monate später? Er war in allen Spielsaloons von Kansas bekannt und berüchtigt. Gewiß, er war kein Falschspieler, aber wenn er merkte, daß ihn andere betrügen wollten, wurde er rabiat. Seine schnelle Hand hatte nicht dazu beigetragen, seinen Ruf zu bessern.

Kaum war er in Dodge aufgetaucht, sann das Stadtoberhaupt auch schon, wie es ihn loswerden könnte.

Wyatt fand die Art jedoch, in der der Major den Spieler entfernen wollte, wenig gut. Schließlich hatte Doc Holliday als Fremder sein Leben für die Befreiung der Stadt eingesetzt.

Aber Dankbarkeit ist eine Sache edler Herzen.

Und der wohlbeleibte Major von

Dodge war leider kein edler Mann.

Wyatt sollte es noch am gleichen Abend zum zweiten Male feststellen.

Als er mit Holliday zusammen gesessen hatte, machte er noch einen Besuch bei dem Bürgermeister. Doc Gilbert und zwei andere Männer standen im Arbeitszimmer des Bürgermeisters.

»Mister Earp! Sheriff Masterson hat Sie rufen lassen. Sie sagten mir, daß er Ihnen den Posten eines Marshals hier in der Stadt angeboten hätte?«

Wyatt nickte.

Hoover ging im Zimmer auf und ab. »Ja, das ist möglich, aber Masterson war über unsere Pläne nicht genügend informiert. Wir hatten die Absicht, einen Bürger unserer Stadt als Marshal einzusetzen. Und zwar unseren bisherigen Town-Marshal Jimmy Deger.«

Doc Gilbert warf den Kopf hoch. »Das ist doch nicht Ihr Ernst, Major!«

Hoover zog die Brauen zusammen. »Doch, Doc, mein voller Ernst!«

»Deger, der Feigling, der Ihnen in der Stunde der Gefahr den Stern zurückgegeben hat, er soll County-Marshal sein? Und Wyatt Earp wollen Sie den Stuhl vor die Türe setzen? Sie müssen Ihren Verstand verloren haben, Hoover. Ich kann mir nicht denken, daß der Bürgerschaftsrat diesem Vorschlag zustimmen wird.«

Hoover lächelte jovial. »Sie haben mich nicht ausreden lassen, Doc. Ich denke nicht daran, einem Mann wie Wyatt Earp den Stuhl vor die Tür zu setzen. Masterson hat ihm einen Job hier versprochen. Und er soll ihn haben. Er kann bei Deger Chief-Deputy werden.«

»Ich bin US-Marshal, Major!«

»Ja, ich weiß…« Clint Hoover hatte es nicht gewußt. Er schluckte und hüstelte verlegen.

»Was soll ich tun, Mister Earp? Sagen Sie es mir, was soll ich tun?«

*

Als die Dunkelheit hereingebrochen war, war es so, als hätte es nie einen Mann gegeben, der Milt Rice hieß. Als hätte nie ein Kampf in der Frontstreet stattgefunden, als hätte es keinen gipsgesichtigen texanischen Schießer namens Cass Brisbane gegeben.

Rice war mit Cunnings geflohen. Die Schlappe, die er an diesem Tag erlitten hatte, würde ihn für immer aus der Stadt verbannen.

Leider sollte das ein Trugschluß sein.

*

Wyatt hatte an der Station seinen Falben abgeholt und ihn in Vaughams Corral untergebracht, wo auch Doc Hollidays Rappe stand. Dann schlenderte er durch die Frontstreet und machte noch einen Besuch bei Doc Gilbert.

Der alte Arzt emfing ihn freundlich. Er stand in Hemdsärmel da. Die helle Zigarre steckte in der Mitte des Seehundschnäuzers, und die Brille mit den dicken Gläsern saß auf der Nasenspitze. »Ich schäme mich für den Major, Mister Earp«, sagte der Arzt rauh und bot dem Besucher einen Sessel an.

Von nebenan kamen klagende Laute.

Der Arzt rümpfte die Nase und winkte ab. »Äh, es sind die Halunken von Rice. Sie jammern, aber es geht keinem besonders schlecht.«

Wyatt zog die Brauen zusammen. »Die lassen Sie da drinnen so frei herumliegen?«

»No«, der Arzt grinste listig. »Ich habe Sie an Ketten liegen. Das ist immer heilsam, auch für ehrbare Kranke, die nicht weglaufen dürfen.«

Nun mußte auch Wyatt lachen.

Gilbert sprach noch von Brisbane. »Heavens! Vor ihm hatte ich wirklich Angst. Der Mann sah aus wie ein lebendiges Gespenst…«

»Die Aufmachung, Doc, nur die Aufmachung! Schwarze Lederhandschuhe, hochgeknöpfte Weste, Kreuzgurt und elfenbeinerne Colts.«

»Er schoß auch nicht schlecht. Allerdings nicht gut genug für Ihren Partner!«

Partner! Da war es wieder, das Wort.

»Er ist ja ein Teufelskerl, dieser Doc Holliday! Ich habe heute die besten Schützen gesehen, die ich im ganzen Leben beobachten konnte. So schnell, wie Sie geschossen haben, als Sie aus der Kutsche kamen…, also, ich glaube, das gibt’s nicht wieder! Sagen Sie…«, Gilbert zog eine weißblaue Rauchwolke aus seiner Zigarre, »glauben Sie, daß dieser Holliday wirklich ein Arzt ist?«

»Ich weiß es sogar. Er ist Zahnarzt gewesen. Und sogar ein guter. Er hat mir selbst einmal einen Zahn gezogen. Und ich habe nichts gemerkt.«

»Dann ist er sicher ein guter Arzt gewesen«, sagte Gilbert nachdenklich. »Leider hat er keinen guten Ruf.«

»Ich weiß.«

»Hoover will ihn sicher rausbugsieren.«

»Auch das weiß ich schon.«

Gilbert blickte überrascht auf. »Hat er Ihnen das etwa gesagt?«

»Yeah.«

Doc Gilbert ließ seine Faust krachend auf den Tisch niedersausen. »Dieser verdammte Ochse! Der Satan soll ihn holen. Doc Holliday kann sein, wie er will. Heute hat er mit Ihnen zusammen die gefährlichste Banditen-Crew zerschlagen, die jemals die Stadt heimgesucht hat. Das darf Dodge ihm nie vergessen. Wenn er in Topeka auch einen Spielsaloon zertrümmert und Falschspieler im Duell getötet hat, das ist nicht unsere Sache. Hier hat er gekämpft wie ein Mann. Mit Ihnen zusammen gegen Freibeuter und Mörder – er hat mit einer wahren Todesverachtung gekämpft. Jeder in der Frontstreet hat es gesehen… Ich werde das nie vergessen. Und die anderen Männer auch nicht.«

Wyatt blieb noch eine Weile bei dem Arzt und ging dann.

Als er die Straße überqueren wollte, warf er noch einen Blick zum Long Branch Saloon hinüber.

Er sah die Silhouette eines Mannes vor dem Eingang lehnen.

Langsam ging er darauf zu. »Mister Holliday?«

»Mister Earp?«

»Ich denke, Sie spielen?«

»Hab’ ich schon. Die Leute haben kein Geld mehr.«

»Sie haben also gewonnen.«

»Yeah.«

»Freut mich.«

»War nicht viel. Drei Tage kann ich davon leben. Aber die Leute machen schon saure Gesichter. Sie haben nicht gern einen Gambler hier, der was vom Spiel versteht. Ihnen ist ein Mann mit Geld lieber, der dreimal verliert, wenn er einmal gewonnen hat.«

»Solange es gutgeht, ist es in Ordnung, wenn aber jetzt die Treibherden-Cowboys kommen und die Büffeljäger, dann sieht es anders aus. Dann wird wilder gespielt, dann sind andere Gambler da, die auch eine Menge vom – Spiel verstehen, und die vielleicht falsch spielen…«

»Bestimmt!« unterbrach Holliday.

»Wenn Sie das so genau wissen, weshalb setzen Sie sich dann mit solchen Leuten an den grünen Tisch?«

»Weil ich nur bei Ihnen eine größere Stange verdienen kann. Die andern lassen nur Federn, kleine Flaumfedern, verstehen Sie, Earp. Die großen Gambler lassen gelbe Dollarstücke zurück. Wenn sie betrügen, haben sie doppeltes Pech.«

»Dann schießen Sie.«

»Ich muß.«

»Weshalb?«

Holliday lachte leise. »Weil die anderen sonst schießen. Nur wer schneller schießt, hat wirklich gewonnen.«

»Ein feiner Job!«

»Wie man’s nimmt. Er ist abwechslungsreich und manchmal lukrativ.«

»Nur manchmal, das ist es, Doc. Wollen Sie nicht lieber wieder in Ihren alten Beruf zurückkehren?«

»No, gute Nacht!« Schroff wandte er sich um und ging dann in den Saloon zurück.

Wyatt blickte hinter ihm her, bis die bastgeflochtene Pendeltür hinter seiner hageren Gestalt zusammenschlug.

*

Der Marshal fand noch keinen Schlaf.

Langsam schlenderte er die kleine Straße zum Flußufer hinunter.

Ein silberner Schimmer des Sternenlichtes lag über dem leise dahinplätschernden Wasser des Arkansas.

Still stand der Mann da und blickte über den Fluß.

Plötzlich fuhr er herum.

Am Ende der Gasse war ein metallisches Geräusch aufgeklungen. Gleich darauf drang der Hufschlag eines Pferdes an das Ohr des Lauschers.

Wyatt näherte sich vorsichtig der Gassenmündung und stand den Bruchteil einer Sekunde wie erstarrt.

Drüben am letzten Haus zuckte plötzlich eine große Flamme hoch.

Wyatt zog den Colt und gab drei Schüsse ab. Dann stürzte er auf das Haus zu.

Gleich nebenan vor der Tür war eine Pferdetränke.

Der Marshal riß den schweren Holzeimer hoch, füllte ihn mit Wasser und rannte damit auf die schon bis zur Haustür hochschlagenden Flammen zu.

Stimmen flogen durch die Nacht.

Dann waren mehrere Männer neben ihm.

Weitere Eimer wurden in die Tränke getaucht. Schnell bildete sich eine Kette aus Menschen, durch deren Hände der Eimer hin und her flog.

Dann war die Tränke leer.

»Zum Fluß!« brüllte der Marshal.

Sofort bildete sich eine große Kette zum Flußufer hin. Sieben Eimer wurden in Windeseile von Hand zu Hand gereicht.

Eine halbe Stunde später war der Brand gelöscht. Auf schwelenden Balken zischte die Nässe.

Die Menschen standen um das Haus und blickten auf die verkohlten Bretter, die im Scheine der herbeigeholten Fackeln gespenstisch aussahen.

»Er ist verschwunden!« rief einer der Männer.

»Wer?«

»Wyatt Earp?«

»Das war Wyatt Earp?«

»Yeah! Wo ist er…?«

Der Marshal hatte im Laufschritt die Gasse durchmessen, war oben über die Frontstreet gerannt und eilte nun die enge Hoverstreet hindurch dem nördlichen Stadtausgang zu.

Eine seiner Ahnungen trieb ihn dorthin.

Und richtig. Ehe er die letzten Häuser erreicht hatte, schlug ihm der Geruch von Petroleum entgegen.

Er riß den Colt heraus und jagte wieder einige Schüsse in die Dunkelheit.

Wieder schlug vor ihm Hufschlag auf.

Diesmal aber war es dem heimtückischen Brandstifter nicht mehr gelungen, Feuer an das Haus zu legen, dessen Fundament er bereits mit Petroleum begossen hatte.

Ehe noch jemand auf der Gasse war, machte Wyatt kehrt.

Da gewahrte er dicht vor sich die Silhouette eines Menschen an einem Mauergiebel.

Der Colt lag in der Faust des Marshals.

Langsam ging er vorwärts.

Dann sah er trotz der Dunkelheit, daß es eine Frau war, die da an der Mauer lehnte und ihm entgegenblickte.

»Mister Earp!«

Wyatt blieb vor ihr stehen.

»Mister Earp«, sagte die Frau mir einer hellen, unsicheren Stimme, »ich bin Jenny Hoover, die Tochter des Bürgermeisters…«

Der Marshal tippte leicht an den Rand seines Hutes. »Miß Hoover?«

Das Mädchen schluckte vor Verlegenheit. »Mister, Earp, ich… ich wollte mich für meinen Vater entschuldigen. Er weiß nicht, was er getan hat. Sie haben die Stadt von Milt Rice befreit, von einem Mörder und Räuber, der uns tagelang gequält und geschunden hat…«

Wyatt winkte ab. »Schon gut, Miß – und vielen Dank.«

»Noch etwas, Mister Earp. Sie dürfen nicht gehen. Ich weiß, daß Sie nach den Eröffnungen meines Vaters wenig Lust haben werden, hier zu bleiben. Schließlich waren Sie in Wichita Marshal…«

Wyatt unterbrach sie: »Ja, Sie haben recht, ich habe wirklich nicht viel Lust, hier als Deputy zu bleiben. Wenn Mister Deger als Marshal eingesetzt worden ist, dann wird er schon einige Leute finden, die von ihm den Deputy-Stern nehmen.«

»Er hat selbst den Stern zurückgegeben, als Milt Rice in die Stadt kam!« sagte das Mädchen erregt.

Der Marshal sah Jenny verwundert an. Hatte ihr Vaer ihm nicht gesagt, daß Deger seine Tochter heiraten wolle?

Jenny mochte seine Gedanken erraten haben, als sie sagte: »Ich hasse Jim Deger, Mister Earp. Und ich habe nur einen Wunsch: daß Sie in Dodge bleiben. Es gibt noch mehr Unkraut hier als Milt Rice, gute Nacht!« Damit verschwand sie im Dunkel des elterlichen Hofes.

Wyatt blieb noch einen Augenblick stehen und sann nach. Was hatte sie eigentlich gewollt? War sie gekommen, weil sie ihrem Verehrer eins auswischen wollte? Oder hatte sie eine ernsthafte Sorge zu ihm getrieben?

Nun, wozu sollte er sich mit diesen Dingen behängen. Er würde die Stadt ohnehin verlassen. Unter einem Mann wie Jim Deger würde er nicht Hilfs-Marshal spielen. Schließlich dachte er nicht daran, die Leiter seiner beruflichen Laufbahn wieder hinunterzusteigen.

In der Frühe des nächsten Morgens stand Doc Gilbert vor Wyatts Zimmertür im Hotel London. »Marshal, kann ich einen Augenblick mit Ihnen sprechen?«

»Gleich, ich bin schon auf.«

Ein paar Minuten später saß der Arzt bei ihm im Zimmer in einem alten, abgewetzen Plüschsessel. »Darf ich rauchen?«

Wyatt, der selbst kein starker Raucher war, nickte.

»Ich habe nicht viel Hoffnung, daß mein Besuch bei Ihnen Erfolg hat«, begann der Arzt, während er sich eine helle Ohio-Big ansteckte. »Ich sagte es Ihnen gestern schon: Es war mehr als jeder von Ihnen erwartet hat, das, was Sie geleistet haben. Und Sie haben recht: Daß Holliday dazukam, war ein wahres Glück. Deshalb bin ich gestern abend noch bei ihm im Long Branch Saloon gewesen und hab’ ihm vorgeschlagen, hier in Dodge eine Praxis aufzumachen. Ich könnte ihm Medikamente leihen, auch Instrumente, bis er sich eingerichtet hat. Bestimmt ließen sich die Leute lieber von ihm ihre Zähne behandeln und gar ausreißen, als von Frank Robert, der nur ein Barbier ist.«

Wyatt lachte. Er ahnte, was kam.

Gilbert paffte eine dicke Wolke vor sich hin. »Oh, er hat mich nicht ausgelacht, Ihr Partner von gestern. Ganz im Gegenteil, er hat beste Manieren und hat mich zu einem Drink eingeladen, von dem ich erst im Morgengrauen heimkehrte. Zum Schrecken meiner Frau. Und er hat mir klargemacht, daß ich ihn so lassen müsse, wie er ist. Daß er viel zu schlecht sei, den edlen Bürgern von Dodge City die Zähne zu behandeln…«

Wyatt nickte lächelnd. »Das hätte ich Ihnen vorher sagen können, Doc. Er ist nicht mehr zu ändern. Er will es einfach nicht. Das ist es.«

Der Arzt hob den Kopf und blickte den Missourier durch eine Rauchwolke an. »Wir haben auch über Sie gesprochen, Marshal.«

Wyatt hob die Brauen ein wenig.

»Yeah, über Sie. Der Major hat Sie regelrecht hinters Licht geführt. Er hatte selbst mit Masterson verabredet, daß Sie hier den Marshalposten übernehmen sollten, wenn Sie Lust dazu hätten. Und nun kann er die Sache ja leicht verdrehen. Der Sheriff ist ja tot. Hören Sie, Earp – ich möchte Ihnen etwas sagen. In der Stadt ist noch einiges faul. Es war nicht nur die Rice-Bande, weswegen Masterson Sie kommen lassen wollte…«

»Ich weiß.«

Der Arzt machte erstaunte Augen. »Sie wissen es schon?«

»Doch, ja, hier gibt es noch mehr Unkraut.«

Doc Gilbert nickte zustimmend. »Richtig. Und das ist so hartes, zähes Unkraut, daß es eines starken Mannes bedarf, um es auszureißen. Dodge hat keinen solchen Mann. Jim Deger ist es bestimmt nicht. Sie, Wyatt Earp, Sie wären der richtige Mann dazu. Ich glaube, ich habe ihnen das schon einmal gesagt.«

»Ja, das haben Sie.«

»Sie werden nicht bleiben?«

Wyatt schüttelte den Kopf. »No, Doc – ich bin als Marshal hierhergekommen, und ich werde auch Marshal bleiben. Es gibt noch andere Cowtowns, die einen Marshal brauchen…«

Der Arzt sprang auf. »Eben, und das habe ich diesem hirnverbrannten Hoover auch gesagt. Und Doc Holliday meinte, die Stadträte von Abilene, Topeka und Kansas City würden sich um Sie reißen, er wüßte es genau.«

Wyatt wurde das Gefühl nicht los, daß Holliday in der whiskyschweren Nacht furchtbar aufgeschnitten hatte.

»Doch, so ist es!« rief der Arzt. »Und ich sehe nicht ein, daß wir für die Dummheit unseres Bürgermeister büßen sollen. Ich mache Ihnen einen Vorschlag, Mister Earp. Sie haben bis jetzt gearbeitet. Sie machen einmal ein paar Tage Pause. Und zwar als mein Gast, als mein lieber Besucher. Meine Frau kocht eine vorzügliche Warschauer Suppe, sie macht Bratkartoffeln wie eine Wiener Köchin, und das Steak können Sie am Broadway in Manhattan nicht saftiger und würziger bekommen. Unser Junge ist im Krieg oben bei Gettysburg gefallen. Er wäre heut in Ihrem Alter. Wir würden uns furchtbar freuen, Marshal, wenn Sie ein paar Tage bei uns wohnen wollten.«

Ein kleines Lachen lag auf den Lippen des harten Mannes. »Ich verstehe Sie nicht, Doc, was wollen Sie damit bezwecken?«

»Nichts – oder wenn ich ehrlich sein soll, ich möchte, daß Sie in Dodge bleiben.«

»Aber ich kann doch, selbst wenn ich Ihre freundliche Einladung annehme, nicht ewig bei Ihnen wohnen bleiben.«

»Wir würden uns freuen, einen so berühmten Mann in unserem Haus willkommen zu heißen«, sagte der alte Arzt. Und Wyatt sah ihm an, daß er das ehrlich gemeint hatte. »Wenn ganz Dodge Sie nicht zu schätzen weiß, Mister Earp – ich weiß es.«

Wyatt blickte aus dem Fenster auf die belebte Frontstreet hinunter. Er ahnte nicht, daß er eine ganze Reihe von Jahren in dieser Stadt verbringen sollte. Daß von hier aus sein Ruf als der große Pionier des Gesetzes erst richtig in das Land ziehen würde…

»All right, Doc. Eine kleine Pause kann tatsächlich nichts schaden.«

»Wunderbar!« Der Arzt richtete sich auf und schlug ihm auf die Schulter. »Kommen Sie mit Ihren Sachen rüber zu uns. Meine Frau weiß schon Bescheid.«

Wyatt lächelte still vor sich hin, packte sein Bündel, zahlte seine Rechnung und ging mit dem Arzt über die Straße.

Gerade als er das Haus hinter Gilbert betreten wollte, kam von Osten her ein Reiter die Straße herunter.

Am Long Branch Saloon stieg er vom Pferd.

Es war ein mittelgroßer Mann mit hartem braungebranntem Gesicht und grünen Augen. Tief an seiner linken Hüfte über dem Oberschenkel baumelte ein schwerer Colt.

Wyatt blickte noch einen Augenblick in dieses Gesicht und gewahrte eine brandrote Narbe, die sich vom rechten Auge quer über die Wange zum Mundwinkel zog. Sie entstellte das Gesicht des Mannes fürchterlich.

»Kommen Sie, Marshal! Hier ist meine Frau…«

Wyatt wollte ins Haus treten, als er sah, wie der Mann kurz vor der Tür des Saloons den Colt lockerte.

Gilbert hatte Wyatts Zögern bemerkt. Er kam an die Tür. Auch er sah den Mann.

»All devils! Reg Gellico!«

»Kennen Sie ihn?«

Der Arzt zog die Brauen zusammen. »Jeder hier kennt ihn. Es ist ein Spieler. Aber einer von der harten Sorte.«

Da stieß Gellico die Tür des Saloons auf. »Holliday!« rief er schneidend.

Als seine Hand zum Colt zuckte, peitschte ein Schuß auf.

Reg Gellico bekam einen Stoß, wie von einem Stock, wurde rückwärts geworfen und rutschte an einem Vorbaupfeiler hinunter.

Wyatt war sofort losgerannt.

Als er die Pendeltür des Saloons auseinanderstieß, sah er nur einen Mann in dem großen Raum. Doc Holliday. Er saß an einem der grünen Tische, hatte ein Kartenspiel vor sich liegen und den Colt daneben. Vor seiner linken Hand stand ein halbgefülltes Whiskyglas.

Wyatt sah ihn mit großen Augen an.

Da hob der Spieler den Kopf. »Hallo, Marshal! Gut geschlafen?«

Wyatt blickte auf Gellico. Dessen Gesicht war aschgrau geworden, seine Hände hingen kraftlos neben seinem muskulösen Oberkörper.

Der Mann war tot.

Wyatt betrat den Saloon und blieb vor Hollidays Tisch stehen. »Was hatte er mit Ihnen?«

Der ehemalige Zahnarzt zog die Karten mit der Geschicklichkeit eines Taschenspielers wie eine Ziehharmonika auseinander und ließ sie wieder zusammenrutschen. »Er hat in Abilene mit mir gespielt.«

»Und?«

»Und verloren!«

»Und deshalb ist er Ihnen nachgeritten?«

»Nein, er hat falschgespielt. Ich habe es ihm gesagt und einen Stuhl auf seinem Schädel zertrümmert. Dann kam der Sheriff und wollte uns beide einsperren. Die Leute hatten aber gesehen, daß Gellico falsch gespielt hatte – deshalb mußte mich der Sheriff laufen lassen. Er verwies mich aus der Stadt.«

Wyatt blickte wortlos auf den merkwürdigen Mann.

»Sie können beruhigt sein«, sagte Holliday gelassen. »Er hat zuerst gezogen.«

Das hatte Wyatt schließlich mit eigenen Augen gesehen. Er zog sich einen Stuhl heran und setzte sich an den Tisch. »Auf diese Art wird man Sie überall aus den Saloons und aus den Städten weisen, Doc.«

Da hob der Spieler das Gesicht. »Mag sein. Was hätte ich sonst tun sollen?«

»Sie hätten ihn nicht zu töten brauchen. Selbst in Notwehr nicht. Jeder andere, ja, aber Sie sind ein so hervorragender Revolverschütze, daß es Ihnen auch in dieser Sekunde nicht schwer gefallen wäre, ein anderes Ziel als dessen Herz zu nehmen.«

Holliday legte die Karten mit einem harten Ruck neben seinen Colt. »Weshalb, Marshal? Weshalb? Damit er von einem Knochenflicker wieder zusammengeleimt wird und mich ein paar Wochen später wieder anfällt? No, Sir. Ich bin doch nicht wahnsinnig.«

Wyatt stand auf. »Vielleicht haben Sie recht. Aber Sie werden nicht glücklich damit werden.«

Hollidays hartes Gesicht verdüsterte sich noch mehr. »Glücklich? Ich will nicht glücklich werden, Earp?«

*

Fast eine Woche war vergangen.

Das Leben in der Stadt lief wieder in seinen alten Bahnen. Die Bürger hatten den großen Schock, den ihnen der Bandit Milt Rice beigebracht hatte, schon fast überwunden.

Jim Deger lief mit dem Marshalstern durch die Frontstreet, ließ sich von den Leuten grüßen und machte sich einen Dreck daraus, daß jedermann wußte, daß er ein Feigling war. Hinter ihm stand ja ein mächtiger Mann: der Major Clint Hoover.

Wyatt hatte sorglose Tage bei den Gilberts verbracht. An diesem Morgen legte er nun seine Sachen zusammen und erklärte dem Arzt, daß er nun wieder aufbrechen müsse.

»Weshalb müssen Sie das?« wollte Gilbert wissen.

»Ich werde mir einen Job in einer anderen Stadt suchen. Der Major von Topeka war vor einigen Monaten in Wichita und hat mir das Amt eines Marshals in seiner Stadt angeboten.«

»Dodge braucht einen Marshal!« beharrte der Arzt.

Wyatt lachte, und diesmal wirkte er richtig jungenhaft dabei. »Ihr habt doch einen tüchtigen Marshal!«

Der Arzt unterdrückte einen Fluch. »Diese Krähe! Ich wette, wenn Sie aus der Stadt sind, ist der Teufel los. Gestern abend hörte ich, wie Hoover in der Stadtversammlung erklärte, daß Doc Holliday heute aus der Stadt gewiesen würde. Soll ich Ihnen was sagen: Wenn Deger es schafft, diesen Mann aus der Stadt zu bringen, dann können Sie reiten, Marshal.«

»Ich verstehe Sie nicht. Was habe ich damit zu schaffen?«

»Deger hat Angst, er wird einen Mann wie Holliday nie bewegen können, abzuziehen.«

»Ach, dachten Sie etwa, ich sollte dieses Amt übernehmen?«

Gilbert schüttelte den Kopf. »Nein, aber ich dachte im Gegenteil, daß Sie es verhindern können. Ich dachte…, vielleicht ist Doc Holliday Ihr Freund.«

Wyatt ließ vor Schreck seinen Hut aus der Hand fallen. »Mein Freund? Wie kommen Sie denn darauf?«

Gilbert kratzte sich das Kinn. »Hm, als ich da neulich mit ihm zusammen einige Drinks genommen hatte, sprach ich mit ihm auch über Sie. Ich sagte es Ihnen ja. Als ich darauf zu sprechen kam, daß ich es großartig fände, wie er Ihnen beigesprungen sei, da winkte er ab. Und als ich ihn fragte, ob er jedem anderen auch so geholfen hätte, schüttelte er den Kopf. Er sagte sogar: ›Nein, ganz bestimmt nicht.‹ ›Also haben Sie es nicht für die Stadt getan?‹ Da lachte er nur. ›Sicher nicht! Also haben Sie es nur für Wyatt Earp getan?‹ Da nickte er. Er sagte eigentlich nur, daß er Sie schon ziemlich lange kenne, und Sie wären ganz bestimmt der einzige Mensch auf der ganzen Welt, für den er es jederzeit wieder tun würde.« Gilbert fuhr sich durch seinen grauen Schopf. »Nun ja, da dachte ich eben, Sie wären sein Freund.«

Wyatt blickte den Arzt betroffen an. Das, was er da gehört hatte, war tief und unverlöschlich in seine Seele gedrungen. Der Verachtete und überall vertriebene Spieler hatte doch absolut keinen Grund gehabt, irgend etwas für einen Mann des Gesetzes zu tun.

Und wie hatte er sein Leben in die Schanze geschlagen! Fraglos und ohne die geringste Chance, einen Gegenwert dafür zu bekommen. Und wieder hing das Damokles-Schwert über ihm. Wieder wollte man ihn aus der Stadt vertreiben.

Aber wie hätte der Marshal ihm helfen sollen? Er war ein Outlaw, dieser John Holliday. Ein Mann, der sich den Teufel um Recht und Gesetz scherte. Er war kein Falschspieler und kein Bandit, sicher nicht, aber er war ein Abenteurer, ein Mensch, der nicht daran dachte, sich in das ohnehin so mühsam errichtete Ordnungsgefüge dieses Landes zu finden.

Der Marshal nahm sein Bündel wieder auf.

»Es ist ein Jammer um ihn, Mr. Earp«, sagte der Arzt gedankenverloren.

Wyatt rieb sich mit dem Handrücken über das Kinn. »Sicher ist es das, Doc. Aber ich kann ihm nicht helfen. Er will sich auch gar nicht helfen lassen. Solche Menschen muß man ihren Weg zu Ende gehen lassen.«

Während Wyatt zur Tür ging, wußte er, daß er nicht so dachte, wie er eben gesprochen hatte. Irgendwo in seinem Inneren hatte dieser John Holliday sich seit der Minute, da er sich unaufgefordert und mit einer wahren Todesverachtung in das Gefecht warf, einen Platz erobert. Hatte dem Marshal schon die Manier, in welcher der Spieler zu kämpfen verstand, imponiert, so hatten die Worte, die Holliday dem alten Doktor gesagt hatte, wahre Bleigewichte in das trotz aller äußeren Rauhheit so empfindliche Gemüt des Missouriers gesenkt.

Unschlüssig stand der Marshal in der Tür. Dann wandte er sich um und reichte dem Arzt die Hand. »Vielen Dank, Doc Gilbert. Sie haben es gut gemeint. Und ich werde gern an Sie und Ihre liebe Frau zurückdenken. Aber jetzt muß ich weiter. Es sollte nicht sein, daß ich in Dodge lebe.«

Im Flur verabschiedete er sich auch von der Frau.

Als er neben dem greisen Arzt auf den Vorbau trat, sich den schweren Sattel über die Schulter schwang und die Straße hinunterblickte, sagte er leise: »Merkwürdig, als die Overland in die Frontstreet rollte, hatte ich das sichere Gefühl, daß ich hier bleiben würde…« Er schüttelte den Kopf, drückte dem bekümmerten Doktor noch einmal die Hand und schlenderte über den Vorbau auf den Mietstall zu.

Als er den Long Branch Saloon hinter sich hatte, verlangsamte er plötzlich den Schritt, blieb dann stehen, wandte sich um und ging bis zu der Pendeltür zurück.

Die blendende Helle der Straße warf ein diffuses Licht in den unbeleuchteten leeren Raum.

Vorn an einem der mit grünem Tuch bespannten Tisches saß Doc Holliday. Er hatte den Kopf gesenkt, die breite Krempe seines grauen Hutes verdeckte sein Gesicht. Vor ihm stand ein halbvolles Whiskyglas und daneben lag ein Kartenspiel.

Wyatt stieß mit dem Sattel die bastgeflochtene Pendeltür auseinander und ging langsam auf den Tisch des Spielers zu.

»Hallo, Doc.«

Holliday hob den Kopf. »Hallo, Marshal.«

Wyatt blickte in das greisenhaft scheinende, kantige Gesicht des Mannes. Dann reichte er seine Rechte über den Tisch. »So long, Doc.«

Holliday nahm die Hand, drückte sie kurz und kräftig und sagte mit belegter Stimme: »So long, Marshal.«

Wyatt blieb noch einen Augenblick stehen.

Ob auch er, der Spieler, etwas von jenem Funken gespürt hatte? Ob auch ihn ein Windhauch des gemeinsamen Schicksals, das vor ihnen lag, angeweht hatte?

Der Missourier wandte sich um und verließ mit harten, sporenklirrenden Schritten den Saloon. Vor der Tür blieb er nicht stehen. Er blickte auch nicht nach rechts. Denn er wußte genau, daß er dann in die Augen des alten Joe Gilbert gesehen hätte, der immer noch vor seiner Haustür stand.

Der hochbeinige Falbe wieherte freudig, als Wyatt ihn aus dem Stall auf den Hof führte und aufsattelte.

Der Mietstallbesitzer, ein alter graubärtiger Mann, winkte ab, als Wyatt ihm das Futtergeld geben wollte. »Nichts da, Marshal. Sie haben mehr als genug für die Stadt getan…«

Als der Reiter die Straße erreichte, sah er links auf den Stepwalks eine Frau stehen. Es war Jenny Hoover. Sie trug ein himmelblaues Kleid, das unterhalb des Gürtels in einer weiten Glocke bis über ihre blanken Schuhspitzen fiel.

Wyatt hob die Hand zum Hut, als er an ihr vorüberritt.

Und als er dann nach vorne blickte, stand mitten auf der Straße ein kleiner Junge. Er hatte flachsblondes struppiges Haar, das ihm weit über die Stirn fast bis in die Augen fiel. Zwischen vollen roten Wangen blickte eine winzige mit Sommersprossen bedeckte lustige Stupsnase hervor. In den blanken blauen Augen des Knaben stand ein seltsamer Ernst.

Da der Junge keine Anstalten machte, aus dem Wege zu gehen, nahm Wyatt mit der Rechten die Zügelleine hoch und hielt den Falben an. Er beugte sich über das Sattelhorn und blickte in die runden Kinderaugen.

»Na, kleiner Mann?«

Der Junge wischte sich mit dem Jackenärmel über die Nase. »Du bist Wyatt Earp, nicht wahr?«

Der Marshal nickte lächelnd.

Und dann sagte der kleine Kerl etwas, das dem großen Mann den Atem verschlug. »Ich kenne dich schon lange. Aussehen tust du ja, wie ich gedacht habe. Und schießen tust du noch besser. Aber sonst bist du ganz anders. Wenn du nämlich so wärst, wie ich dich mir vorgestellt habe, wärest du viel freundlicher und würdest jetzt nicht aus der Stadt reiten.«

Wyatt zog die Augenbrauen hoch.

»Ja«, sagte der Kleine. »Old Bully meint das auch!«

Nachdem Wyatt das geschluckt hatte, fragte er: »Und wer ist Old Bully?«

»Mein Großvater. Er hat draußen am Rande der Stadt eine Farm.«

»Aha. Und wer bist du?«

»Ich bin Franky.«

»Ein schöner Name.«

»Findest du?« Der Kleine machte eine nutzlose Bemühung, das strähnige Blondhaar aus der Stirn zu streichen, und meinte dann: »Ich hab’ noch einen Namen, den hab’ ich von meinem toten Vater geerbt. Ich heiße Franky Rood. Mein Vater ist im Krieg gefallen. Und Mama war deshalb so traurig, daß sie auch gestorben ist. Deshalb muß sich Old Bully mit mir herumärgern. – Du hast ein schönes Pferd. Es ist noch ziemlich jung, nicht wahr?«

»Ja, noch sehr jung.«

»Ist es schnell?«

»Das ist seine beste Eigenschaft.«

Franky musterte den Falben eingehend. »Ja, man sieht es an den Hufgelenken. Es ist sicher auch ein großer Springer?«

»Doch, ja. Hast du auch ein Pferd?«

Der Kleine hob den Kopf und blickte den Marshal von der Seite an. »Sieht man mir das nicht an?«

Wyatt zog die Schultern hoch.

Da streckte Franky zwei Finger in den Mund und stieß einen Terzpfiff aus.

Im nächsten Augenblick schoß drüben aus einer Seitengasse ein braunweißgeschecktes Pony heraus. Das hübsche Tier blieb neben dem Jungen stehen. »Das ist Tom. Wie gefällt er dir?«

»Sehr gut.«

»Hat dein Pferd auch einen Namen?«

»Sicher. Es heißt Arrow.«

»Die Indianer nennen ihre Pferde so«, versetzte der Junge.

»Ich habe es von einem Indianer gekauft.«

Der kleine Bursche machte dem Marshal richtig Spaß.

Mit einem Satz saß er auf dem sattellosen Rücken des Ponys. »Reitest du nach Osten?«

»Ja.«

»Ich reite ein Stück mit dir.«

Ohne die Zustimmung des Marshals abzuwarten, setzte Franky sein Pony in Bewegung.

Nebeneinander ritten die beiden aus der Stadt.

Franky deutete auf die Steinhügel, die sich im Nordosten ausdehnten. »Da ist Luppys-Land, ich reite oft da herum. Hast du schon mal eine richtige Höhle gesehen?«

»Schon mehrere.«

»Meine hast du noch nicht gesehen. Ich habe sie auch noch keinem Menschen gezeigt. Aber du bist Wyatt Earp und kannst schweigen; wenn du willst, zeige ich sie dir. Willst du nach Topeka?«

Wyatt blickte den Dreikäsehoch verblüfft an. »Wie kommst du denn darauf?«

»Ich habe es gehört, wie du es an der Tür zu Doc Gilbert gesagt hast.«

»He, du spionierst.«

»Nur manchmal. Ich weiß eine Abkürzung auf die Straße nach Kinsley. Wenn du willst, zeige ich sie dir.«

»Doch, das würde mich freuen.«

»Wir kommen ganz nah bei meiner Höhle vorbei…«

Eine knappe Stunde später trieb der Junge sein Pony rechts vom Weg ab zu den Hügeln.

Über einen Trampelpfad ging es bergan.

Plötzlich rutschte der Kleine mit artistischer Geschwindigkeit im Trab von seinem Pferd und verschwand in den Büschen.

Tom lief einen kleinen Bogen, kam zurück wie ein gehorsamer Hund und blieb vor den Büschen stehen. Er schien diese Gegend hier zu kennen.

Es dauerte zwei Minuten, da hörte der Marshal oberhalb des Gebüsches die helle Stimme des Kindes. »Hallo, Mister Earp. Schauen Sie mal hoch! Hier bin ich!«

So sehr Wyatt das Gestein auch absuchte, er konnte Franky einfach nicht entdecken.

Nach weiteren zwei Minuten kam der Kleine wieder aus dem Gebüsch. »Na, ist es eine prima Höhle, oder nicht? Da findet mich nicht mal Milt Rice.«

Wyatt tat dem Knirps den Gefallen, die »prima Höhle« zu besichtigen. Vielleicht mochte diese Gesteinsaushöhlung in früheren Jahren Indianern als Schlupfwinkel und Versteck auf ihren Raubzügen gedient haben.

Als sie wieder auf ihren Pferden saßen, reichte der Kleine dem Marshal die Hand. »Auf Wiedersehen, Wyatt Earp. Ich hab’ mich gefreut, dich mal gesehen zu haben. Wir haben oft von dir gesprochen. Und Old Bully meint, du wärst der größte Marshal von ganz Amerika. Old Bully meint auch, daß Milt Rice wiederkommt und noch eine Menge Leute erschießt…« Unvermittelt sagte der Boy: »Ich muß jetzt gehen, Mister Earp. Ich hätte gern was als Erinnerung an dich mitgenommen. Vielleicht wirst du später noch mal so bekannt, daß mir keiner mehr glaubt, daß ich dich gekannt habe, und daß du mit mir in meiner Höhle warst.«

Wyatt lächelte. Und dann tat er das, was der kleine Franky gewiß am allerwenigsten erwartet hätte: Er nestelte seinen silbernen Fünfzack von der Brust und reichte ihn dem Jungen.

Der starrte mit runden ungläubigen Augen auf den Marshalstern. »Nein…«, stammelte er, hilflos vor Verlegenheit und Glück. »Nein…, du… willst mir doch nicht deinen Stern schenken?«

»Doch, damit kannst du am besten beweisen, daß du mich gut gekannt hast.«

Der Junge nahm den Stern, befühlte ihn und drehte ihn um. Dann las er andächtig: US-Marshal, und hinten stand tatsächlich Wyatt Earp! Mit einer gedankenschnellen Bewegung war der Stern in der Hosentasche des Kleinen verschwunden. »Ja, jetzt kann ich es immer beweisen, denn wegnehmen läßt du dir so was bestimmt von keinem Menschen!«

»Bestimmt nicht.«

Plötzlich krauste sich die Stirn des Kleinen. »Jetzt hast du aber keinen Stern!«

»Ich bekomme in Topeka einen neuen.«

»Hm. Dann…«, er druckste herum. »Dann hefte ich ihn mir an die Weste…«

Wyatt reichte dem lustigen Knirps die Hand und verabschiedete sich von ihm.

Sicher dachte er in diesem Augenblick nicht daran, daß der drollige kleine Franky Rood noch eine wichtige Rolle in seinem Leben spielen sollte.

*

Es war am späten Nachmittag.

Doc Holliday hatte sich in Leeverys Stores Tabak Durham und hellbraunes Zigarettenpapier aus St. Louis gekauft.

»Geben Sie mir noch zwei Kästen fünfundvierziger Munition.«

Der Händler zuckte zusammen. Seine Augen hingen auf dem blanken Colt, der über dem rechten Oberschenkel des Spielers hing.

Tub Leevery hatte mit eigenen Augen gesehen, wie der unheimliche Mann damit umgehen konnte.

»Wollen Sie weiterreisen?« fragte Leevery unvorsichtigerweise.

Holliday hob den Kopf und zog die Brauen zusammen. »No«, sagte er düster.

Leevery glaubte, eine Gänsehaut auf seinem Rücken zu verspüren. Er sah, wie die schlanken, nervigen Hände des Spielers Geld aus dem Gürtel nahmen.

Leevery, der seinen Fehler wiedergutmachen wollte, sagte schnell: »Wyatt Earp ist wohl ein alter Bekannter von Ihnen, Mister?«

Holliday legte das Geld auf den Tresen und knurrte: »Nein, das kann ich leider nicht behaupten. Ich kannte ihn; das ist alles.«

Leervery blickte hinter der hohen, schlanken Gestalt des Spielers drein, wie er mit elastischen, federnden Schritten den Laden verließ.

Draußen auf dem Vorbau blieb Doc Holliday plötzlich stehen.

Tub Leevery sah deutlich, wie seine harten Augen auf einmal messerscharf wurden und eine Eiseskälte auszustrahlen schienen. Der ganze Mann hatte plötzlich etwas von einer sprungbereiten Raubkatze an sich, ohne sich auch nur im geringsten bewegt zu haben.

Es waren die drei Reiter, die seine Aufmerksamkeit erregt hatten.

Drei Männer, die vor dem Long Branch Saloon haltmachten, aus den Sätteln rutschten. Der vorderste war untersetzt, vierschrötig, hatte ein breites Gesicht und Schlitzaugen. Die beiden anderen hatten ausdruckslose Cowboygesichter, waren dunkelhäutig und trugen große Sternradsporen.

Sie lockerten ihre Colts und staksten auf den Long Branch Saloon zu.

Leevery sah, wie Doc Holliday die Lippen öffnete. »Hallo, Yster!«

Die drei Männer fuhr herum.

Ihre Gesichter waren zu Masken erstarrt.

Der Schlitzäugige hatte jetzt etwas von einem Indianer an sich, als er den Kopf senkte und den Spieler drüben auf dem Vorbau musterte.

Die beiden anderen standen steif hinter ihm.

Doc Gilbert, der alte Arzt, kam gerade aus dem Haus. Er hatte einen Besuch zu machen. Ein Blick, und er begriff die Situation sofort: Es waren also wieder drei Männer gekommen, um mit Doc Holliday abzurechnen.

Es würden immer wieder Männer kommen.

Die Luft auf der Straße war zum Zerreißen gespannt.

Der vierschrötige, schlitzäugige Kreole Mac Yster stieß den kantigen Schädel wie ein Raubvogel nach vorn. »Doc Holliday! Es ist gut, daß du da bist. Wir suchen dich.«

»Dachte ich mir«, versetzte der Spieler gelassen. Dann kam er langsam auf die Straße hinunter, auf deren Mitte er stehen blieb.

Yster war höchstens noch fünfzehn Yards von ihm entfernt. »Hattest einen feinen Partner, Doc. Den hättest du behalten sollen, dann hätten wir es schwerer mit dir gehabt.«

»Schwer bleibt es für euch sowieso.«

Yster schüttelte langsam den Kopf. »No, Brother, einer von uns dreien wird dich töten, Doc.«

Hollidays Gesicht war zu Eis erstarrt. Seine kalten Augen funkelten wie Bergkristalle. »Vielleicht. Auf jeden Fall aber nehme ich euch alle drei mit.«

»Diesmal geht die Rechnung nicht auf, Doc«, krächzte Yster mit vorgezogenem Mund. »Wir drei haben nichts zu verlieren. Wir können es uns also leisten, zu sterben. Wir haben nur noch einen Wunsch: daß du auch stirbst!«

Da trat einer der hinter Yster stehenden Burschen vor. Er war ein langer, hagerer Mensch mit einem Affengesicht. Er hatte den Unterleib vorgeschoben, und auf seinem gekrümmten Rücken war die Jacke zerfetzt. »Du hast uns in Topeka auffliegen lassen, Doc Holliday. Dabei kam eine dumme Sache ’raus, als wir im Jail bei Sheriff Anderson saßen. Sie haben ’rausgefunden, daß wir in Lawrence die Bank ausgeräumt…«

»… und drei Männer erschossen haben!« versetzte Holliday hart. »Ich weiß, Gene Tucker, ich wußte es schon vorher. Ich habe es dem Sheriff nämlich erst verraten.«

Die Gesichter der drei wurden schlagartig aschgrau.

Yster preßte einen nicht wiederzugebenden Fluch durch seine gelben Zähne. Dann brüllte er: »So ist es also. Es ändert jedoch nichts an der Sache. Wir werden nun in vier Staaten gesucht, und es ist also völlig einerlei, ob wir in sieben Monaten in irgendeinem Nest aufgehängt werden oder ob wir hier auf der Mainstreet von Dodge unter deinen Kugeln fallen. Wichtig ist nur, daß du mitkommst.«

Der letzte der drei, der bis jetzt geschwiegen hatte, rief mit einer Stimme, die an das scharfe Klirren von aufeinanderreibendem Metall erinnert: »Ich werde es sein, der dich tötet, Doc Holliday.«

Der Spieler spreizte die Beine und stemmte die schlanken Hände in die Hüften. Die Rechte lag dicht über dem abgegriffenen Kolben des schweren Revolvers.

»Freut mich, daß du dir soviel zutraust, Jess Willard – ich hatte mir meinen Mörder immer ein wenig anders vorgestellt.«

»Schluß mit dem Geschwätz!« stieß Yster grimmig hervor.

»Bist du nervös?« fragte ihn der Spieler feixend. »Ich verstehe dich nicht, Mac – wo es jetzt doch mit uns zu Ende geht, können wir doch ruhig noch mal über alles sprechen.«

»Du sollst still sein!« schnauzte der Bandit.

Holliday hob die linke Hand und deutete mit dem Zeigefinger nach vorn. »Siehst du, Mac, da verstehen wir uns nicht. Du hast einfach zu schlechte Nerven. Wie so was zum Bankräuber und Mörder werden konnte, kann ich einfach nicht begreifen.«

»Halt’s Maul!« kreischte der Bandit heiser.

»Wir wollen uns doch nicht wie alte Weiber benehmen!« versetzte der Spieler. »Ihr seid Mörder, Bankräuber und Falschspieler. Ihr wolltet mich in Hookes Spielsaloon betrügen. Ich habe euch gestoppt. Dann habe ich dem Sheriff, als er ungerechtfertigterweise auch mich einlochen wollte, einen kleinen Wink gegeben, was für wertvolle Vögel er sich da eingefangen hat. Und wie wertvoll ihr seid, habt ihr bewiesen, indem ihr in Topeka ausgebrochen seid und hier auf der Frontstreet von

Dodge aufkreuzt!«

»Du sollst still sein!«

»Daß es hier einen Marshal geben könnte, der keinen Gefallen an euch hat, kümmert euch anscheinend herzlich wenig.«

Yster stieß eine heisere Lache aus. »Jim Deger? Er soll froh sein, wenn wir uns nicht um ihn kümmern.«

»Dachte ich mir. Aber noch was, Yster – dein Sohn Fred sitzt doch in den Steinbrüchen von Sescatewa und wird in drei Jahren frei sein. Dann ist die Zeit abgelaufen, die er für seinen Totschlag bekommen hat. Soll ich ihm denn nicht wenigstens einen Gruß von dir bestellen. Ich könnte ihm beispielsweise sagen, daß du hier im Duell gegen mich gefallen bist. Zusammen mit deinen Freunden Gene Tucker und Jess Willard.«

Yster stieß die Hand auf den Coltgriff.

Doch noch immer rührte sich Holliday nicht.

Dieser Mann war seiner überschnellen Hand so sicher, daß er – wie immer übrigens – wartete, bis der Gegner gezogen hatte.

Aber es zog sich noch ein weit größeres Gewitter über dem eigenwilligen Manne zusammen. Den Mann, der sich da drüben aus der Gasse hinter ihn auf die Straße schlich, konnte er nicht sehen. Außerdem übertönte das Singen einer Säge in einem Hof jedes andere Geräusch.

Doc Gilbert biß die Zähne aufeinander. Dann rief er: »Holliday, das ist ein ganz fauler Dreh hier! Hinter Ihnen steht einer mit einem Colt in der Hand!«

Der Spieler rührte sich nicht.

»Wenn du dich umdrehst, knallen wir los!« belferte Yster.

Da hörte Doc Holliday eine Stimme, deren Klang er genau kannte: Es war die Stimme des Bandenführers Milt Rice. »Hallo, Brother. Nett, dich mal von hinten zu sehen. Gib gut acht, du nimmst jetzt deine Hände hoch und rührst dich dann nicht mehr!«

Mac Yster paßte der Mann im Rücken des Gegners absolut nicht. Auch er kannte ihn. »He, Rice! Der Mann gehört uns!«

»Irrtum, Yster!« brüllte Rice zurück. »Ich hatte eine ältere Rechnung mit ihm zu begleichen. Diesmal sitzt der Fuchs im Loch. Drüben steht Salt Cunnings mit einer Winchester, und hier in der Gassenmündung habe ich Pal Fedderson postiert.«

»Wir hätten ihn allein fertiggemacht, Rice!« versetzte Mac Yster dumpf.

»Zusammengeschossen hätten wir ihn!«

»Dessen bin ich nicht so sicher«, entgegnete Rice. »Was meinst du, Salt?«

Cunning’s Stimme kam sofort zurück. »Ich bin ganz deiner Meinung, Milt!«

Rice trat noch einen Schritt näher an Holliday heran. »Ich habe einen Colt in der Hand, Doc. Die Sache ist aussichtslos. Vielleicht hättest du diese drei Landstreicher noch geschafft, aber mit einem Colt im Rücken und zwei Gewehren in den Flanken bist du aufgeschmissen. Das

siehst du doch ein? He? – Ho, es hat dir wohl die Sprache verschlagen. Schade, dein Freund mit dem Stern hätte noch etwas hierbleiben sollen…«

»Er war ja lange genug hier und hat auf dich alten Feigling gewartet«, entgegnete Doc Holliday gelassen. »Aber du hast es vorgezogen, so lange zu warten, bis er die Stadt verlassen hat.«

»Ah, jetzt ist ihm die Sprache wiedergekommen, und schon bellt dieser Köter wieder.«

»Was soll das Hin und Her mit diesem Kerl!« maulte Yster. »Wir sind hierhergekommen, um ihn zu erledigen.«

»Ich weiß«, gab Rice zurück. »Ich kam in der gleichen Absicht. Es ist nur so, Yster, daß der Stärkere bestimmt. Und der bin ich ja nun mal. Aber du sollst auch nicht leer ausgehen. Ich mache dir einen Vorschlag. Wir hängen den Kerl auf, dann haben wir alle etwas davon, und niemand braucht sich über die Kugel zu ärgern, die der andere dieser Ratte ins Leben schickt.«

Yster sah einen Augenblick vor sich hin. Dann blickte er seine beiden Genossen an.

»Good«, knurrte er schließlich. »Vorwärts, hängen wir ihn also!«

Da Doc Holliday aber reglos stehenblieb, ließ Rice den Hahn seines Revolvers knacken. »Keine Dummheiten, Doc. Du hast das gehört, was wir beschlosssen haben. Wenn du irgendeinen Unsinn machst, knalle ich dich nieder.«

Holliday lachte laut auf. »Du machst mir Spaß, Rice. Du willst doch den anderen nicht die Freude verderben? Yster kann verdammt ungemütlich werden. Du hast zwar einen Sheriff erschossen, er aber hat den Bankier Lenioff und einen Clerk umgelegt. Oben in Dakota hat er einen Salooner und einen Farmer ins Jenseits befördert. Er ist also nicht zu verachten, Rice. Du mußt immerhin mit seinem Ärger rechnen, wenn du mich von hinten abknallst.«

»Yeah!« kam Ysters Stimme herüber. Er war tatsächlich dumm genug, zu glauben, daß er sich mit den haarsträubendsten Dingen brüsten könnte, die Holliday eben über ihn geäußert hatte.

»Heb die Hände hoch, Doc!« zischte Rice, dem irgendwie nicht ganz wohl dabei war, hinter dem schnellen Holliday zu stehen. Immerhin hatte der Mann noch seinen Colt im Halfter. Und ganz Kansas wußte, daß er ein geradezu traumhaft schneller und sicherer Schütze war.

»Nein, Rice, das strengt mich zu sehr an, ich lasse meine Hände unten. Und meinen Colt behalte ich auch.«

»Er ist verrückt!« brüllte Salt Cunnings von drüben.

»Nimm die Hände hoch!« zischte Milt Rice.

Holliday antwortete nicht mehr. Er behielt den Colt und auch die Hände unten.

»Good!« knurrte Rice. »Yster, nehmt eure Bleispritzen und kommt her. Wir führen ihn zum Galgenhügel. Salt wirft ihm die Schlinge um den Hals und dann halte ich das andere Ende fest. Meinetwegen kann er dann mit seinem Colt zur Hölle fahren!«

Nur langsam näherten sich Yster und seine Männer. Sie hatten einen höllischen Respekt vor dem Teufelsschützen.

Als die drei auf sechs Yards vor Holliday standen, rief Yster: »Hol deine Leute auch, Rice. Wir wollen doch sehen, ob wir den Kerl nicht zum Galgenhügel bringen. Schließlich sind wir sechs Männer.«

Salt Cunnings und Hal Fedderson kamen jetzt auch auf die Straße.

»Vorwärts, Doc!« befahl Rice. »Wir werden zusammen einen kleinen Spaziergang machen.«

Hollidays kaltes Gesicht verzog sich zu einem spöttischen Grinsen. »In so angenehmer Gesellschaft gehe ich gern spazieren.«

Der alte Gilbert konnte sich nicht enthalten zu rufen: »Ihr verdammten Feiglinge! Wenn ihr den aufhängt, seid ihr alle Mörder. Auch du, Hal Fedderson. Auch du bist dann ein Mörder und wirst in den Staaten von jedem Marshal und jedem Sheriff gesucht! Vergiß es nicht!«

Rice richtete den Colt auf den alten Arzt. »Halt endlich dein Maul, Doc! Ich bin dein Gewäsch leid! Sieh zu, daß du in deinen Bau kommst, sonst brenne ich dir ein paar Löcher in deinen schäbigen Frack!«

Auch Babe Asmussen, der Blacksmith, kam auf die Frontstreet. Er hatte einen schweren Vorschlaghammer in der Hand. Drohend schwang er ihn über seinem Kopf. »Ihr verdammten Geier! Solange Wyatt Earp in der Stadt war, habt ihr euch nicht hergetraut. Jetzt kommt ihr mit sechs Mann hoch, um einen einzelnen Mann aufzuhängen. Wenn ihr Mut hättet, würdet ihr euch mit ihm schießen. Nacheinander. Einer von sechsen wird ja wohl eine Chance haben.«

»Ha-ha-ha!« lachte Rice dröhnend. »Das könnte euch so passen! Ihr wißt ganz genau, wie der Kerl schießt – no, Fellow, daraus wird leider nichts. Nimm deinen Hammer und verschwinde, sonst brauchst du einen Sarg!«

Langsam setzte sich der makabere Trupp in Bewegung.

Es war kein sehr langer Weg hinauf zum Galgenhügel. Er lag am Westende der Stadt direkt über dem Arkansasufer.

Holliday ging mit unbewegter Miene inmitten der Männer, die ihn bis auf den Tod haßten, die sich an dem Schauspiel, ihn hängen zu sehen, weiden wollten.

Doc Gilbert und Babe Asmussen standen mitten in der Straße.

»Man sollte eine Winchester nehmen und dreinschießen!« knurrte der Schmied.

Der Arzt nickte düster.

»Verdammte Brut!« fluchte Asmussen. »Mag dieser Holliday sein, wie er will, er hat Wyatt Earp beigestanden. Und das wiegt für mich! Man sollte eine Winchester…«

»Man sollte?« unterbrach ihn der Arzt. »Komm, Babe, hol deine Knarre, ich hole mein Gewehr auch!«

Die beiden rannten auf ihre Häuser zu.

Die Frau des Schmieds rang die Hände und warf sich ihrem Mann entgegen, als sie ihn mit dem Gewehr in den Hof kommen sah. »Babe, das kannst du nicht tun! Das darfst du nicht! Denk an deine Kinder. Milt Rice schießt dich über den Haufen, noch ehe du die Büchse hoch hast. Es sind sechst Banditen! Babe…, bitte…« Ihre Schreie gellten hinter dem wildentschlossenen Mann bis auf die Straße.

Der Arzt kam im gleichen Moment aus dem Haus, als Asmussen in der Frontstreet erschien.

»Komm, Babe, jetzt müssen wir selbst handeln!« rief der Arzt und stürmte vorwärts.

Indessen hatte der Banditentrupp mit dem Gefangenen den Stadtausgang erreicht und wollte eben das letzte Haus passieren.

Da flog oben an der Giebelwand eine Fensterklappe auf. »Halt, Hände hoch!«

Wie Revolverschüsse peitschten die drei Worte über die Straße.

Die Köpfe der Banditen flogen hoch.

Oben in der offenen Bodentür stand Wyatt Earp. In jeder Faust hatte er einen Revolver.

»Laßt die Colts fallen, Männer!«

Salt Cunnings riß seine alte Cheyenne-Pistole hoch.

Aber der Buntline-Revolver in der linken Faust des Marshals spie schon Feuer.

Und das war das Signal.

Doc Holliday schoß rasend schnell drei Schüsse ab.

Mac Yster, Gene Tucker und Hal Fedderson sackten wie vom Blitz getroffen zurück.

Wie es Milt Rice gelungen war, zwischen die Häuser zu kommen und durch eine Hoftür zu verschwinden, blieb allen rätselhaft.

Jess Willard hatte den Colt fallen lassen, stürzte sich aber, als Holliday sich abwandte, auf diesen.

Im gleichen Augenblick sprang Wyatt aus der Speichertür auf die Straße.

Er landete im Kreuz Willards, riß den Banditen zu Boden, versetzte ihm einen krachenden Faustschlag und sprang wieder hoch.

Salt Cunnings, dessen rechte Hand blutete, stürzte ihm entgegen.

Wyatts Faustschlag und Hollidays Schuß kamen im gleichen Augenblick.

Yster kniete vor der Hauswand und riß einen Colverleaf-Revolver aus der Hosentasche.

Holliday, der sich nur einmal um seine eigene Achse gedreht hatte, wirbelte herum und schoß dem Bankräuber das Pistolet aus der Faust.

Dann war es still.

»Hallo, Marshal! Wie geht’s?«

Wyatts Gesicht war hart und ernst. »Hallo, Doc! Ich glaube, wir sind quitt!«

»Yeah!« versetzte der Spieler, während er seine Colttrommel auflud. »Das sind wir, bis zum nächsten Mal.«

In diesem Augenblick kamen Gilbert und der Blacksmith um die Ecke, die Gewehre in den Fäusten. Wie angewurzelt blieben die beiden stehen und starrten auf das Bild.

»Wyatt Earp!« stieß Gilbert hervor.

»Als wir die Schüsse hörten, verschlug es uns regelrecht den Atem!« stieß der Schmied keuchend hervor.

»Hier gibt’s Arbeit für Sie, Gilbert!« meinte Holliday. »Und vielen Dank für die netten Worte an Milt Rice. Der Halunke ist getürmt. Damned, ich ahnte, daß er wiederkommen würde. Daß er nun ausgerechnet in meinem Kreuz auftauchte, war Pech.«

Gilbert ging langsam auf den Marshal zu. »Wyatt Earp…«

Der Missourier reichte dem Doktor die Hand.

»Das ist aber ein schnelles Wiedersehen. Wo kommen Sie bloß ausgerechnet in diesem Augenblick her?«

Wyatt blickte in die Gasse zurück. »Wissen Sie, ich habe einen Freund in der Stadt. Er hat eine Höhle in den Bergen. Da habe ich erst mal haltgemacht – und plötzlich hatte ich die verrückte Idee, daß ich noch mal zurückreiten müßte.«

Doc Holliday warf ihm einen grinsenden Blick zu. »Gute Idee«, sagte er halblaut. »Ich hoffe, daß ich auch noch öfters brauchbare Einfälle habe.«

Eine halbe Stunde später wußte die ganze Stadt, daß Wyatt Earp zurückgekommen war.

Es gab nur zwei Menschen, die sich nicht darüber freuten: Jim Deger und der Bürgermeister.

Wyatt und John Holliday saßen im Long Branch Saloon stumm nebeneinander. Doc Gilbert, Babe Asmussen, der Händler Leeverey und der Mietstallbesitzer saßen mit am Tisch.

Leeverey führte das große Wort. »Ich habe alles genau beobachtet. Doc Holliday hatte gerade Patronen bei mir gekauft…«

»Ein Glück!« unterbrach ihn der Schmied.

An den anderen Tischen war es still; die Männer blickten auf Wyatt Earp und den Spieler an seiner Seite.

Da wurde vorn die Tür aufgestoßen, und ein mittelgroßer Mann stand im Rahmen. Er hatte ein sehr ungleichmäßiges Gesicht mit einer fliehenden Stirn und großen Kalbsaugen. Auf seiner Brust blinkte der Stern eines Town-Marshals.

Langsam kam er an den Tisch heran.

Hier stemmte er die Hände in die Hüften und warf sich in die Brust. »Holliday, Sie verschwinden endgültig aus der Stadt!«

Totenstille im Saloon.

»Sie haben mich verstanden, noch in der Nacht verschwinden Sie!«

Der Spieler blickte den Marshal mit einem unergründlichen Blick an. Dann flog ein winziges Lächeln über sein Gesicht. »Sie sind ein großartiger Mann, Deger. Schade, daß der Stern so wenig auf Ihre Brust paßt wie das Geld in meine Tasche.«

»Wie meinen Sie das? Was soll das heißen! Wenn Sie glauben, Sie könnten mich hier verspotten, werde ich veranlassen, daß Sie die Stadt sofort verlassen, Holliday!«

Doc Holliday grinste. Dann sagte er ganz deutlich: »Du bist eine Flasche, Deger, eine ganz erbärmliche Flasche!«

Der Marshal tat, als wolle er nach dem Colt greifen.

Da lachte der Spieler schallend auf. »Verschwinde, Mann – und sieh zu, daß du mir nicht mehr begegnest. Du bist eher eine Schande für die Stadt, als ich!«

Deger stierte in das Gesicht Hollidays und dann in die verschlossenen Gesichter der anderen Männer und drehte sich mit einem Ruck um.

»He!« rief Holliday ihm schneidend nach.

Deger blieb stehen, ohne sich umzudrehen.

»Laß deinen Stern hier!«

Die Linke des Mannes tastete nach der Brust, nestelte tatsächlich den Kreisstern herunter und ließ ihn auf die Dielen fallen.

Dann ging er hinaus.

Das war die letzte Amtshandlung des Marshals Jim Deger. Der Abenteurer John Holliday hatte ihn ausgespielt; ganz einfach ausgespielt mit seiner eisigen unerschütterlichen Kälte.

*

Dodge hatte keinen Marshal mehr.

Am nächsten Morgen warteten in der Halle des Hotels London neun Männer auf den Missourier.

Die Stadtväter. Sie beknieten den Marshal, in Dodge zu bleiben.

»Was meint der Major dazu?« forschte Wyatt.

»Er hat nichts dazu zu meinen. Den Marshal, den er uns aufgedrängt hat, hat Doc Holliday abserviert. Wir suchen uns den neuen Marshal selber aus. Ganz davon zu schweigen, daß Ihre Befugnisse als US-Marshal weitaus größer sind, wären Sie uns ohnehin wilkommen gewesen, Mister Earp…«

Wyatt sah Doc Gilbert an.

Der kniff das linke Auge zu.

Da sagte der Missourier zu.

Von diesem Tage an, war er der Marshal von Dodge City. Er unterschrieb in der neuen City Hall die Urkunde (sie befindet sich noch heute im Dodger Stadt-Museum) und trat drüben im Office des toten Sheriffs William Masterson seinen Dienst an.

Vierzehn Tage später kam mit der Overland ein junger, kräftiger Bursche aus Texas. Es war William Masterson, ein Neffe des toten Sheriffs. Wyatt hatte den Burschen im vergangenen Jahr kennen- und schätzengelernt und ihn jetzt als seinen Chief Deputy eingestellt.

Mit William Masterson, den seine Freunde Bat nannten, kam ein Mann in die Stadt, der sie nie wieder verlassen sollte. Der nach Jahren das Erbe des großen Wyatt Earp antreten und noch viele Jahre Sheriff in Dodge City sein sollte.

Vielleicht ist es richtig, wenn an dieser Stelle einmal darauf hingewiesen wird, daß die Stadt Dodge ein historisches Unikum ist. Damals, als Wyatt Earp die Polizeigewalt in der Stadt übernahm, war Dodge ganze vier Jahre alt. Vorher hatten dort nur zwei kleine Zeltlager von Büffeljägern gestanden. Die Treibherden schlugen ihre Zeltstadt nur im Frühling auf, wenn sie kamen.

Ihren Höhepunkt erlebte die Stadt in der Zeit zwischen 1875 und 1880. Da war sie die bedeutendste Treibherdenstadt der Vereinigten Staaten. Sie war ein gewaltiger Handels- und Umschlagplatz und wuchs ständig. Es war die Blütezeit

Dodge Citys. Nie wieder hat die Stadt sich einen solchen Namen machen können. Nach den achtziger Jahren wurde es still um sie. Die großen Treibherden kamen nicht mehr über den Santa Fé-Trail, da die Büffel fast ausgerottet waren, und in einer bestürzenden Schnelle schmolz die Stadt wieder in sich zusammen. Heute, achtzig Jahre später, ist sie kaum viel größer als damals, da sie neben Santa Fé die Königin der Westernstädte war. Um 1910 herum hatte ein gewaltiger Brand die zu achtzig Prozent aus Holzbauten bestehende Stadt fast völlig hinweggefegt.

Von Dodge übriggeblieben ist eigentlich nur noch der große Name. Den kennt noch heute jedes Schulkind in Amerika – und jetzt auch schon in Europa.

Ja, groß war Dodge City unter Wyatt Earp. In den Jahren, in denen der eisenharte Missourier für Ruhe und Ordnung in der Stadt sorgte.

*

Es war ein Monat vergangen.

Milt Rice hatte den Weg nicht mehr zurückgefunden. Er hütete sich, noch einmal mit dem Marshal zusammenzugeraten.

Trotzdem war Wyatt Earp weiterhin auf der Hut. Er wußte, daß er die Crew des Banditen gesprengt, aber nur vorübergehend gelähmt hatte. Aber er sollte auf Granit beißen, wenn er zurückkam, der Sheriffmörder Milt Rice. Er wurde von allen Polizeistellen der Unionstaaten gesucht.

Im Marshal Office in der Frontstreet waren drei Deputys vom Schlage des schnell populär gewordenen Chief-Deputys Bat Masterson.

Bat empfand eine grenzenlose Verehrung für den großen Wyatt Earp. Er war es auch, der vieles von dem, was wir heute über Earp wissen, aufgeschrieben und festgehalten hat. Der Missourier selbst war im Grunde ein schweigsamer Mann.

Dodge hatte seine Ruhe wieder.

Mit dem Namen Wyatt Earp waren Sicherheit und Frieden in die Stadt zurückgekehrt.

Aber schon zogen wieder dunkle Gewitterwolken aus dem Süden heran. Es sollte lange dauern, bis es dem eisernen Marshal gelang, die wilde Treibherdenstadt zu zähmen.

Wenn nämlich die Herden vor der Stadt ankamen, dann wimmelte es in Dodge nur so von Menschen.

Das Gros der Treiber wohnte in der Stadt, so lange, bis die Herde verkauft waren.

Unglücklicherweise kamen die Büffeljäger fast zur gleichen Zeit aus dem Norden heran. Sie schlugen nicht mehr, wie in Lederstrumpfs Zeiten, ihre Zelte unten am Arkansas auf, sie hatten Dollars gemacht und wollten sie verleben. Sie waren wohlhabend und ließen es auch jeden fühlen, der es wissen oder nicht wissen wollte.

Der alte Streit, wer schlimmer war, die Treiber oder die Büffeljäger, ist nie entschieden worden. Vielleicht waren die Kuhtreiber wilder, aber im allgemeinen gaben die Büffeljäger ihnen nichts nach. Den Ärger mit beiden hatte der Marshal.

Und jetzt sollte Wyatt auch erfahren, was Jenny Hoover damals gemeint hatte, als sie Wyatt andeutete, es seien noch andere Dinge, die seine Anwesenheit hier erforderlich machten.

In der Wellstreet wohnte der Viehaufkäufer Jerry Lumbage. Er war ein feister Mann mit schwerem Bauch und kahlgeschorenem Hunnenschädel. Seine Lippen waren aufgeworfen und hielten stets, wenn man ihn sah, eine schwere helle Zigarre. Die kurze Nase war fleischig und breit, die Augen grau und wäßrig.

Lumbage stammte aus dem Osten. Er war vor drei Jahren in die Stadt gekommen und hatte, als die Bahn gelegt wurde, mehrere Verladeschuppen unten neben dem Stationsgebäude gebaut.

Zwar fuhr die Bahn anfangs nur alle zwei Tage, aber Lumbage hatte es verstanden, das Viehverladegeschäft im großen aufzuziehen. Er hatte mehr Leute in seinem Betrieb an den Verladeschuppen und in der Wellstreet als sonst irgendein Geschäftsmann in der Stadt.

Die Leute flüsterten: Lumbage ist der heimliche König von Dodge. Der, mit dem sie prunken konnten, und dessen Name sie gern in aller Munde wußten, hieß Wyatt Earp. Er vertrat das Gesetz. Und er gehörte schon bald zu den Sehenswürdigkeiten der Arkansasstadt.

Aber Jerry Lumbage war kein Mann, mit dem die Dodger Staat machen konnte. Zu gut war noch allen in Erinnerung, daß er damals, als die Bahn gelegt werden sollte, die Arbeiter am Schienenstrang wegkaufte, um sie in seinen Dienst zu nehmen. Damals ließ er das Vieh von Trailbossen an die Bestimmungsorte treiben. Die Bahn kam aber doch, und Lumbage stellte sich um. Er brauchte die Trailbosse nicht mehr, mietete Güterwaggons und ließ von seinen Leuten die Rinder auf die Bahn laden. Er begnügte sich nicht mit dem Rinderhandel. Bald wußte man, daß er auch Büffelhäute aufkaufte und verlud.

Er war ein steinreicher Mann, der dicke Lumbage. Aber da waren noch andere Dinge, die den Leuten mißfallen hatten. Er war ein Gegner aller Small-Rancher. Jener kleinen Leute, die sich von den Randgebieten der großen Ranches kleine Landstücke abgepachtet hatten und darauf Vieh züchteten.

Lumbage kaufte alles Land in der Umgebung auf, das er kriegen konnte. Da waren ihm die hartnäckig an ihren Weiden hängenden Small-Rancher arg im Wege.

»Ich brauche die Weide für meine Herden!« pflegte er zu sagen, wenn ihn jemand daran erinnerte, daß auch die kleinen Farmer leben müßten.

Mit nicht ganz fairen Mitteln hatte Lumbage sechs Small-Rancher vertrieben. Sie hatten, nachdem kein Cowboy bei ihnen arbeiten wollte, ihr Land für einen Spottpreis an Lumbage abgegeben.

Nicht so Joe Jefferson und Bully Rood, der Großvater des kleinen Franky.

Die beiden ließen sich nicht von ihrem Boden vertreiben. Er war ihr Eigentum, der große Rancher Jack Hutton hatte ihnen die kleinen Landstücke vor Jahren verkauft.

Unablässig bohrte Lumbage am Lebensnerv der Farmer. »Ich werde sie verjagen«, sagte er einmal im Long Branch Saloon, »und wenn ich sie eigenhändig erschlagen müßte, diese Krauter.«

Der alte Joe Jefferson hatte längst keine Arbeitskräfte mehr. Viele Jahre hatte der lange Tub Valkers bei ihm ausgehalten, aber schließlich hatte Lumbage auch ihn weggelockt. Jefferson machte seit einiger Zeit alle Arbeit allein. Aber er richtete sich dabei zu Grunde. Die Leute in der Stadt wußten es längst.

An diesem Morgen nun kam der kleine Franky auf seinem Pony in die Stadt. Vor dem Marshal Office sprang er ab, ließ das Tier einfach stehen und sprang die Vorbaustufen hinauf.

Bat Masterson, der den Kleinen bereits kannte, fuhr ihm durch den blonden Schopf. »Na, Franky, willst du deinen Freund, den Marshal, besuchen?«

Der Junge nickte und ging auf die Tür zu. Als er sie aufgestoßen hatte und den Marshal hinter dem Tisch sitzen sah, hatte er Tränen in den Augen.

Wyatt sprang auf. »Hey, Franky!«

Die Tränen rannen dem Kleinen über die roten Wangen. »Mister Jefferson ist tot!« stieß er hastig hervor.

»Jefferson, euer Nachbar?«

»Ja, er ist tot. Er liegt vor seinem Haus…«

Wyatt ritt selbst mit dem Jungen hinaus.

Ja, er war tot, der alte Farmer. Er lag neben seinem Haus, hatte eine Schaufel in der verkrampften Hand und blickte mit gläsernen Augen in den azurblauen Junihimmel.

Er hatte sich totgeschuftet, der Alte.

Lumbage hatte ihn fertiggemacht.

Franky biß sich auf die Unterlippe und konnte doch die Tränen nicht aufhalten, die über seine Wangen rollten. »Dieser verdammte Feistling! Er hat sie alle fertiggemacht. Er will auch Old Bully fertigmachen.«

Als Lumbage die Nachricht vom Tod des Farmers erfuhr, rieb er sich die Hände, steckte die Daumen in die Ausschnitte seiner zitronengelben bestickten Weste und lachte breit. »Na, also, wieder einer weniger. Wie die Fliegen kratzen sie ab. Den alten Indianerscout mache ich jetzt mit Gewalt reif. Sein Widerstand wird nicht allzu lange anhalten. Duff Corbote und Jim Calligan habe ich ihm weggeholt. Und der alte Gruney hat versehentlich im März von einem Mann bei Dunkelheit einen Schlag über den Kopf bekommen, seitdem ist er nicht mehr viel wert bei der Arbeit. Im Gegenteil, ich habe beim Stadtrat und beim Marshal eine Beschwerde eingereicht: Der Alte ist irre, er ist gemeingefährlich. Wenn er weg ist, hat Bully Rood nur noch den Bengel. Und…« Was er weiter sagte, war nicht zu verstehen.

Betty Lumbage, seine hübsche junge Frau, die er im vergangenen Winter aus Santa Fé mitbrachte, lachte leichtfertig und streichelte über den kahlen Schädel des Viehaufkäufers. »Du bist ein großartiger Mann, Jerry. Ich bewundere dich!«

Lumbage musterte seine Frau selbstgefällig und erklärte dann: »Auf Roods Weide baue ich dir ein herrliches Sommerhaus!«

Die Frau schlug die Hände zusammen und wurde puterrot. »Ein Sommerhaus? Wie wundervoll!« Und dann verzog sich ihr hübscher Mund zum Schmollen.

»Wenn doch erst dieser gräßliche Rood mit dem Bengel von dem Land verschwunden wäre…«

Der Wunsch der Betty Lumbage ging nicht so rasch in Erfüllung, wie sich das die leichtsinnige Frau gewünscht hätte.

Der kleine Franky arbeitete wie ein Wilder, um den Großvater zu entlasten. Was die anderen Leute in der Stadt mit heimlicher Freude beobachteten, sah sie mit tiefstem Mißfallen: Seit der alte Gruney abgeholt und nach Kansas City ins Hospital gebracht worden war, schaffte Franky wie ein Erwachsener.

Die junge Frau sah nicht, daß der Junge von Tag zu Tag bleicher wurde, sie sah nicht, daß es nicht mehr lange so weitergehen konnte. Sie sah nur, wenn sie in ihrem schmucken Buggy an der kleinen Ranch vorbeifuhr, daß Franky das Haus mit neuer Farbe strich, daß er den Zaun ausbesserte, daß er wie ein ausgewachsener Cowboy über die Weide fegte.

Betty Lumbage haßte den kleinen Franky mehr und mehr. Und eines Tages reifte in ihr der unbegreifliche Entschluß, den Jungen verschwinden zu lassen.

Sie war kein unbeschriebenes Blatt, die junge Frau mit der hübschen Larve. In Santa Fé hatte sie jahrelang in Bars gearbeitet und mit dem Falschspieler Ted Seroon zusammengelebt, ehe er in einem Duell erschossen wurde. Lumbage hatte sie kennengelernt, als sie Teds Erbschaft in einem Spielsaloon verpraßt hatte. Er wußte nicht viel von ihrem Vorleben. Und wenn er selbst auch ein rigoroser, egoistischer Mann war, was jetzt in der Seele seiner Frau vorging, hätte er sicher nicht gebilligt.

Die Tragödie begann an einem sonnenüberstrahlten Morgen.

Betty Lumbage hatte von Geoffrey, dem Leibwächter ihres Mannes, den kleinen Buggy anspannen lassen.

»Soll ich Sie begleiten, Madam?« fragte der hagere, hartgesichtige Mann.

Betty wehrte ab, so gern sie sich auch sonst in der Gesellschaft des düsteren Mannes aufhielt. Bei ihrem heutigen Weg wollte sie keinen Zeugen haben.

In dem kleinen Korb, der neben ihrem Sitz auf dem Wagen stand, befand sich der kleine Schokoladenkuchen, den sie in der Nacht selbst gebacken hatte.

Sie trieb die beiden Füchse an und fuhr nach Norden zu aus der Stadt.

Bat Masterson stand vor der Schmiede, als der Buggy vorbeirollte. Der Deputy blickte ihr stirnrunzelnd nach.

»Sie gefällt dir wohl, die junge Frau?« fragte der Blacksmith den Burschen.

Bat schüttelte den Kopf. »No, Mister Asmussen. Sie gefällt dem Marshal nicht, also gefällt sie auch mir nicht.«

Der Schmied lachte derb. »Auch eine Anschauung. Aber vielleicht habt ihr beide recht. Obwohl sie ja ein verdammt hübsches Gesicht hat, diese Betty; Lumbage sagte zwar, er habe sie von einer Ranch in New Mex geholt, mir ist aber, als hätte ich sie schon irgendwo anders gesehen. Ich kann mich nicht darauf besinnen, wo es war. Eines weiß ich gewiß, es war kein angenehmer Ort…«

Bat begriff den Schmied nicht. Aber er war ein gutmütiger Bursche und nickte.

Asmussen ließ den schweren Hammer auf ein glühendes Eisenstück fliegen. »Sag mal, der Marshal ist wohl nur Police-Officer. Für Frauen hat er anscheinend nichts übrig.«

Masterson schob sich den Hut in die Stirn. »Weiß ich nicht. Er hat ja auch keine Zeit. Vor Jahren war er drüben in Missouri verheiratet.«

»Ach…«

»Seine Frau ist an Typhus gestorben.«

Der Schmied wischte sich mit dem stark behaarten Unterarm über die Stirn, dann hämmerte er weiter auf dem Eisen herum. »Doch, ja«, sagte er dabei, »er ist ein prächtiger Mann, unser Marshal. Und du hast allen Grund, stolz auf ihn zu sein.«

Bat warf noch einen Blick die Straße hinunter, an deren Ausgang eben der kleine Buggy verschwand, dann schlenderte er nach einem kurzen Gruß wieder der Frontstreet zu.

*

Betty Lumbage hatte inzwischen den Weidezaun des Small Ranchers Bully Rood erreicht. Sie fuhr auf den breiten Wagengeleisen entlang und hielt Ausschau nach ihrem Opfer.

Hoffentlich sah sie der Alte nicht.

Keine fünfzig Yards vom Zaun entfernt hockte der kleine flachshaarige Franky im hohen Gras und arbeitete an einem Weidepfahl. Jetzt stand er auf und spitzte mit einem Beil den Pfahl unten an.

Die Frau ließ die Füchse vor dem Zaun auf der Höhe des Jungen halten.

Als der Kleine einmal aufblickte, sah er sie mit dem Wagen auf der Straße stehen. Er tippte nur an den Hutrand und arbeitete weiter.

Da rief ihn die Frau an. »Komm mal her, Franky.«

Langsam und mit wenig freundlichem Gesicht näherte sich der Junge dem Zaun.

Ein schwarzweißer Collie sprang um ihn herum.

Als Franky den Zaun erreicht hatte, sah er in die hellen Augen der Frau. »Was wollen Sie von mir?« fragte er barsch.

Oh, sie hätte ihn ohrfeigen mögen, diesen elenden Bengel. Da schuftete er, daß ihm der Schweiß auf der Stirn stand, nur um diese kleine Ranch zu halten. Drüben weidete eine kleine Herde, und hinten in der Ferne blickten die Dächer der Ranch über einen flachen Hügelkamm.

Betty Lumbage verstand es meisterhaft, ihre wahren Gefühle zu verbergen. »Komm her, Franky. Meine Zugstränge sind nicht straff genug. Zurre sie mir bitte etwas fester.«

Sie hatte sich nicht verrechnet. Der kleine Bursche war viel zu gut erzogen, um ihr den Wunsch abzuschlagen.

Franky kletterte durch die unteren beiden Drähte des Weidezauns und schnallte die Stränge der beiden Füchse kürzer. Wozu das gut sein sollte, leuchtete ihm nicht ein, denn der düstere Geoffrey hatte die Gäule vollkommen ordnungsgemäß eingespannt.

Die Frau sah auf den Jungen herab. Er hatte den Hut vom Kopf genommen und auf einen Weidepfahl gestülpt. Sein flachsblonder Schopf leuchtete hell in der Sonne.

Wenn ich ihm jetzt mit dem metallbeschlagenen Ende der Peitsche eins über die Schädel gäbe…, zuckte es durch das verbrecherische Hirn der Frau, dann müßte er umfallen. Denn wer weiß, ob er den Kuchen nimmt?

Blitzschnell drehte sie die Peitsche um und nahm das Ende nach oben.

Da richtete sich der Junge hoch und sah ihr in die Augen. »Right so, Madam?« fragte er.

Vor dem Blick der Kinderaugen senkte die Frau den Peitschenknauf; ein galliges, böses Lachen stand um ihren Mund.

Franky wollte sich entfernen.

Da rief die Frau ihm mit heller Stimme nach: »Komm her, Franky, ich hab’ etwas für dich. Es ist eigentlich mein Reiseproviant – ich will zur Hutton-Ranch.«

Sie deckte den Korb auf und nahm den appetitlichen kleinen Schokoladenkuchen heraus.

Franky spürte, wie ihm beim Anblick des Leckerbissens das Wasser im Munde zusammenlief. »Nein, Madam, danke schön – meinetwegen brauchen Sie den schönen Kuchen nicht anzuschneiden. Außerdem – ich mag gar keinen Kuchen.«

Die Lüge stand rot in seinem Gesicht.

Die Frau lächelte honigsüß. Dann nahm sie ein Messer aus dem Korb und schnitt ein Stück aus dem Gebäck.

Franky schluckte.

Wenn ihm die ärmste Frau drüben in der Stadt ein solches Stück Kuchen angeboten hätte, würde er mit beiden Händen zugegriffen haben. Aber von Jerry Lumbages Frau würde er nichts annehmen.

Sie reichte ihm das Stück hinunter.

»Na, komm schon, Frankieboy. Du darfst mich doch nicht kränken. Ich habe ihn selbst gebacken.«

Da nahm der Junge den Kuchen und sah darauf nieder. Der Duft, der ihm in die Nase stieg, machte ihm ordentlich zu schaffen. Verdammt, wenn es nicht noch so lang bis Mittag wäre…

»Na, ich will weiter«, sagte die Lady, hob den Zügel an, lächelte dem Kleinen zu und rief: »Laß es dir gut schmecken, Franky!«

Als der Wagen an ihm vorüber war, zog der liebe Franke eine Fratze, die – wenn Mrs. Lumbage sie gesehen hätte – sie in einiges Erstaunen versetzt haben würde.

Der Junge kroch durch den Zaun und sah auf den Kuchen.

Dann roch er daran.

Er streckte schon die Zunge heraus, um an dem blanken Schokoladenüberzug zu lecken, als ihn der Collie ansprang.

Da wurde das Gesicht des Knaben plötzlich hart. Er schleuderte den Kuchen zurück und über den Zaun und preßte durch die Zähne: »Iß deinen Kram selbst, alte Gewitterhexe!«

Damit ging er zurück zu seinen Pfählen und zu seinem Beil.

Er sah nicht den Colliehund, der wieder durch den Zaun sprang, nach dem Kuchen schnappte und das große Stück in kurzer Zeit gefressen hatte.

Vielleicht eine halbe Stunde später wollte Franky aufbrechen, weil der Großvater an den Blecheimer auf dem Ranchhof geschlagen hatte.

»Sim!« rief er.

Aber der Hund kam nicht wie gewöhnlich.

»Sim! Sim…«

Ein paar Minuten danach fand er den Hund vor dem Zaun. Er lag verkrampft da, sein von schneeweißen Haaren umgebenes Maul war braun von Schokolade…

Der Junge starrte entgeistert auf das Tier. Dann stürzte er schreiend auf die kleine Ranch zu.

Kurz nach Mittag war Franky mit seinem Pony in der Stadt. In der Frontstreet machte er vor dem Marshal Office halt.

Bat Masterson stand an der Tür.

»Ist der Marshal da?« stieß der Junge hastig hervor.

Wyatt kam an die Tür. »Na, Franky, was gibt’s denn?«

Weinend erzählte der Junge, was ihm widerfahren war.

Der Marshal und Bat Masterson hörten ihm schweigend zu.

Bat nickte. »Yeah, ich habe sie aus der Stadt fahren sehen, als ich beim Blacksmith war…«

Weil er sich auch um all die kleinen Dinge kümmern mußte und weil der kleine Franky doch sein Freund war, ritt Wyatt mit ihm hinaus auf die Ranch.

Sim war tot. Und die Schokolade klebte noch an seinem Maul.

Wyatt sah zu, wie Old Bully dem Tier eine Grube schaufelte. Hinter der kleinen Scheune.

Franky stand dabei. In seinen Augen schimmerten die Tränen. Plötzlich hob er den Kopf und sah Wyatt an. »Weshalb mußt du eigentlich nicht weinen?«

Wyatt wischte sich über die Stirn. »Es ist ziemlich heiß heute, Franky – komm, wir trinken einen Tee und reiten dann zusammen zu Mister Lumbage.«

»Nein!« rief Old Bully. »Das geht nicht. Lassen Sie nur, Marshal. Wir werden von nun an sehr auf der Hut sein. Aber tun Sie mir das nicht an, gehen Sie nicht mit dem Jungen in das Haus des Viehhändlers. Lumbage fände einen Weg, mich zu bestrafen, ich weiß es genau… Er fände einen anderen Weg.«

Wyatt schüttelte den Kopf. »Sie müssen mich richtig verstehen, Mister Rood. Das war ein klarer Mordversuch. Und wenn ich das so geschehen ließe, wäre der Stern auf meiner Brust nicht am rechten Platz.«

Franky wischte sich die Nase und blickte vor sich hin.

Wyatt mußte eine ganze Weile reden, ehe er den alten Mann überzeugt hatte.

Es war später Nachmittag, als die beiden vor dem Haus des Viehhändlers ihre Pferde anbanden.

Frankys kleine, stämmigen Beine zitterten ein wenig, als er hinter dem großen Mann in den Flur trat.

Der düstere Austin Geoffrey trat ihnen im Halbdunkel des Korridors entgegen. »Wer ist da?«

»Wyatt Earp!«

Geoffrey zuckte unmerklich zusammen. »Der Marshal? Was wollen Sie?«

»Ich möchte mit Mister Lumbage sprechen.«

»Das geht nicht.«

»Weshalb nicht?«

»Das geht Sie nichts an.«

Wyatt ging bis auf einen Schritt an den Leibwächter des Viehhändlers heran und blickte ihm in die Augen. »Weshalb geht es nicht?«

Geoffrey wich vor diesem Blick zurück.

Da sprang links eine Tür auf, und der schwammige Körper des Händlers stand vor Wyatt. »Marshal? Was wollen Sie denn hier?«

»Ich muß mit Ihnen sprechen, Mister Lumbage.«

Der Händler blickte auf das Kind. »Was will denn der Bengel hier?«

»Das erfahren Sie schon.«

»Ja – und? Was ist los?« fragte Lumbage ziemlich ungnädig und von oben herab.

»Muß ich Ihnen das hier im Korridor sagen?«

Lumbage verzog das Gesicht. »Glauben Sie, ich würde Sie dazu in meinen Salon bitten? Also los, was gibt’s?«

Wyatt blickte dem Viehhändler einen Moment in die Augen, dann sagte er ruhig. »Wie Sie wollen, Mister Lumbage. Ich bin kein Bittsteller. Sie finden sich innerhalb einer Stunde im Marshal Office ein.«

Verdutzt starrte ihn der Viehhändler an. »Was soll ich?« stotterte er entgeistert.

»Sie haben es gehört. Binnen einer Stunde.«

»Und wenn nicht?« geiferte der feiste Mann.

»Dann werden Sie geholt!«

Wyatt und der Junge verließen das Haus in dem Augenblick, als Betty Lumbage vorfuhr.

Wyatt musterte sie kurz.

Die Frau starrte mit geweiteten Augen auf das Kind und dann auf den Marshal.

»Mrs. Lumbage, ich habe Ihrem Mann gesagt, daß er sich innerhalb einer Stunde im Marshal Office einfinden soll. Sie werden ihn begleiten.«

Das einstige Barmädchen aus Santa Fé zitterte an allen Gliedern, als sie vom Wagen stieg.

Austin Geoffrey stand oben in der Tür. Sie sah in sein ausdrucksloses Gesicht.

Wyatt und der Junge stiegen auf ihre Pferde und trabten zur Frontstreet hinüber.

Die Stunde verrann. Lumbage ließ sich nicht sehen. Da gab Wyatt Bat Masterson einen Wink. Als auch der Junge aufstehen wollte, drückte der Marshal ihn auf einen Hocker zurück. »Du bleibst hier, Franky, Mister Calligan paßt auf dich auf und zeigt dir unser neuestes Gewehr.«

Steve Calligan, der zweite Deputy, nickte nur.

Wyatt und Bat Masterson verließen das Office.

Draußen kam ihnen Jeff Holms entgegen. Er war der älteste der vier Dodger Polizisten und Wyatts Stellvertreter.

Der Marshal instruierte ihn kurz und ging dann mit Bat hinüber in die Wellstreet.

Die Haustür der Lumbages war verschlossen.

Wyatt klopfte ans Fenster.

Niemand rührte sich.

Da hämmerte der Marshal mit der Faust gegen die Türfüllung.

Langsam wurde geöffnet.

Jerry Lumbage stand da und sah Wyatt kalt und höhnisch an. Er nahm die glimmende Zigarre nicht aus den Lippen, als er fragte: »Was wollen Sie?«

»Mister Lumbage, ich habe Ihnen und Ihrer Frau gesagt, daß ich Sie innerhalb einer Stunde im Marshal Office sprechen müßte, nachdem Sie mich in Ihrem dunklen Korridor abspeisen wollten. Sie sind nicht gekommen.«

»Nein, ich denke auch nicht daran.«

»Dann muß ich Sie dazu zwingen. Sie wissen, daß das sogar meine Pflicht ist.«

In Lumbages Gesicht stand ein höhnisches, ekelhaftes Grinsen.

In diesem Augenblick ging die Hoftür auf.

Mehr als zwanzig Männer schoben sich auf die Straße. Lumbages Leute.

Wyatt würdigte die Arbeiter keines Blickes. Laut sagte er: »Mister Lumbage, Ihre Frau hat dem kleinen Frank Rood heute vormittag ein Stück Kuchen angeboten, das vergiftet war. Glücklicherweise hat nur der Hund des Jungen den Kuchen gefressen. Das Tier ist verendet. Mister Lumbage, das ist versuchter Mord. Ich fordere Sie letztmalig auf, mit mir hinüber ins Office zu kommen. Es kümmert mich nicht, daß Sie Ihre Leute herbestellt und wie Bleisoldaten hinter mir aufgebaut haben. Wer sich gegen das Gesetz vergehen und sich auch in die Sache verwickeln will, der muß tun, was er nicht lassen kann. Ich würde es niemandem raten.«

Da brüllte Lumbage los: »Was wollen Sie eigentlich? Ich weiß nichts von diesem Kuchen. Und meine Frau auch nicht! Das haben Sie sich nur ausgedacht, um mir eins auswischen zu können!«

»Ich denke nicht daran, mit Ihnen hier auf der Straße darüber zu streiten, Mister Lumbage. Los, kommen Sie mit.«

Der Viehhändler kreischte wie ein angestochenes Kalb: »Rühren Sie mich nicht an, meine Leute reißen Sie in Stücke.«

Wyatt lachte hart auf. »Dann wären es keine Arbeiter, sondern Banditen. Vorwärts!« Er packte den Mann und schob ihn die Treppe hinunter. Dann blickte er in den düsteren Flur. »Mrs. Lumbage!«

Die hagere Gestalt Austin Geoffreys schob sich ihm aus dem Halbdämmer entgegen. Ausdruckslos ruhten die Augen des Coltmannes auf dem Marshal.

»Gehen Sie, Earp!«

Niemand hatte den Schlag gesehen.

Aber alle sahen, wie der lange Geoffrey auf den Vorbau stürzte und liegenblieb.

»Mrs. Lumbage!« wiederholte der Marshal schneidend.

Zögernd kam die Frau an die Tür.

Wyatt führte sie am Arm auf die Straße.

Bat Masterson folgte mit dem Viehhändler.

Plötzlich riß Lumbage sich los und stürmte auf seine Leute zu. »Ihr verdammten Feiglinge, laßt euch von diesem Bluffer schlagen! Er ist ein Bluffer, ein ganz verdammter Bluffer. Hört ihr! Und ihr seid mehr als zwanzig Männer! Packt ihn, reißt ihn auseinander! Die Stadt gehört ohnehin mir. Und wenn ihr nicht zuschlagt, seid ihr alle entlassen. Auf der Stelle.«

»Gut«, geiferte Lumbage, »ihr seid alle entlassen! Alle miteinander, ihr Feiglinge!«

Wyatt schob die Frau durch die Gasse vorwärts.

Bat folgte mit dem Viehhändler.

Die Arbeiter standen noch einen Augenblick unschlüssig da. Ein riesiger, grobknochiger Mann ballte die Fäuste. »Damned, Lumbage macht Ernst, er schmeißt uns ’raus. Wo finden wir dann Arbeit?«

»Was geht uns der Marshal an?« knurrte ein anderer. »Wenn er weg ist, kräht kein Hahn mehr nach ihm!«

»Los, drauf, Männer!«

Die Arbeiter rannten in blinder Wut vorwärts.

Da peitschten hinter ihnen zwei Revolverschüsse durch die Gasse.

Die Männer blieben stehen.

Der Riese starrte zurück und sah mitten auf der Straße Doc Holliday stehen, mit dem Revolver in der Hand.

»So wird das nichts, Leute«, sagte der Spieler scharf.

»Was wollen Sie?« knurrte der Riese grimmig.

»Ich habe was gegen Leute, die dem Marshal in den Rücken fallen wollen.«

Lumbage, der mit Masterson auch stehengeblieben war, bellte: »Ihr seid entlassen!« Mit sich fast überschlagender Stimme schrie er: »Ihr seid entlassen! Entlassen!«

»Besser entlassen als tot!« rief Doc Holliday schneidend in die darauffolgende Stille.

Der Marshal blickte die Männer, die ihm am nächsten standen, ruhig an. »Geht nach Hause, Leute. Ihr habt keinen Grund, euch hier Löcher in den Pelz schießen zu lassen. Ich habe mit Mister Lumbage und seiner Frau etwas zu besprechen. Es ist Mister Lumbages eigene Schuld, daß es auf diese Weise geschehen muß.«

Stumm blickten die Arbeiter auf die hochgewachsene Gestalt des Marshals.

Lumbage schwieg.

Bat Masterson schob ihn vorwärts.

Und als sich die Arbeiter umsahen, war Doc Holliday wie ein Spuk hinter ihnen von der Straße verschwunden.

»Er hat sich den Spieler als Rückendeckung angeworben«, meinte einer der Arbeiter.

Und von dieser Minute an begann man es dem Marshal übelzunehmen, daß er mit dem Gambler nicht verfeindet war – wie es sich nach Ansicht der Leute für einen Marshal gehörte.

Wyatt Earp hatte nicht viel von dem Verhör erwartet. Und es kam auch nicht viel dabei heraus. Dennoch hatte er es durchgesetzt, daß sich auch ein wohlhabender Bürger mit einer großen Arbeiterschar seinen Anordnungen zu fügen hatte.

Lumbage wußte tatsächlich nichts von dem vergifteten Kuchen. Dafür wurde er jedoch beleidigend und behauptete, der Marshal habe dies alles ganz einfach erfunden, um ihm die Ehre abzuschneiden.

»Ich weiß nicht, ob es da viel zu schneiden gibt«, versetzte der Marshal kalt. »Wenn Sie jedoch noch eine Äußerung machen, die ich als Beleidigung auffassen muß, setze ich Sie fest.«

Betty Lumbage leugnete ebenfalls alles.

Sie hieß den Jungen einen ganz abgefeimten, verstockten Lügner.

Wyatt erklärte, daß er selbst die Schokoladenreste um den Lefzen des toten Hundes gesehen habe.

»Die Roods werden sie dem Tier selbst eingegeben haben!« rief die Frau.

Da sprang Franky vor: »Sie lügen! Sie wissen genau, daß Old Bully kein Geld für Schokolade hat.«

Nach einer halben Stunde erklärte der Marshal: »Mrs. Lumbage. Es kann Ihnen nichts bewiesen werden. Aber der Verdacht bleibt. Ich mache Sie darauf aufmerksam, daß Sie von nun an scharf bewacht werden. Sie können jetzt beide gehen!«

Lumbage blieb stehen und sah den Marshal feindselig an. »Ich war dagegen, Earp, daß Sie hier den Marshalposten bekamen und…«

»Das weiß ich«, versetzte Wyatt ungerührt.

»Ich wußte, daß Sie Ärger in der Stadt machen!«

»Den Ärger machen Sie, Lumbage.«

»Sie sind ein typischer Polizeihund, Earp. Sie wollen der Stadt einen Zwangsgürtel anlegen, sie so behandeln, wie Sie Ihre dreckige Cowtown Wichita behandelt haben. Aber…«

Wyatt stand auf. »Ich vertrete in Dodge City das Gesetz, Mister Lumbage. Und wer sich gegen das Gesetz stellt, bekommt seine Härte zu spüren. Verlassen Sie das Office!«

»Gleich, Marshal!« sagte der Mann ölig und leise. »Ich weiß, Sie sind der Ritter ohne Furcht und Tadel. Der ganz harte, gerechte Mann. Und Sie hatten es nicht nötig, ausgerechnet hierherzukommen. Dafür hat Ihr Gambler ja auch Jim Deger ausgeschaltet.«

»Ein Marshal, der sich von einem Spieler ausschalten läßt, ist eben kein Marshal!« warf Bat Masterson erbost dazwischen.

»Ja, vielleicht. Aber es soll mich nicht kümmern. Ich weiß nur, daß Sie hier nicht alt werden, Earp«, antwortete der Viehhändler. »Leute wie Sie haben kein langes Leben.«

»Meine Sorge«, gab Wyatt gelassen zurück. »Wenn dafür ein paar Verbrecher aufgeknüpft worden sind, hat es sich immerhin gelohnt.«

Lumbage erblaßte. »Wie meinen Sie das?«

»Wie ich es gesagt habe. Es war doch klar und deutlich.«

Lumbage blieb an der Tür stehen. »Zu der Sache mit dem Bengel will ich nur noch eines sagen: Ich habe das Land von Rancher Hutton gekauft. Jefferson und Roods Land. Hier habe ich die Urkunde. Und wenn die beiden Alten das Land nicht mehr bewirtschaften können, dann verfällt es an mich! Hier steht es, alles schwarz auf weiß. Es war Pachtland, Marshal. Und es ist so gut wie mein Eigentum.«

Betroffen schwiegen die Männer.

»Ja, so ist das!« rief der Händler triumphierend. »Genau so. Sie müssen ohnehin von meinem Land runter. Old Bully ist doch fertig…«

Da hakte Wyatt ein. »Eben, das dachten Sie. Und Ihre Frau ärgerte sich wohl darüber, daß der Junge so fleißig arbeitet, nicht wahr? Deshalb wollte sie ihn umbringen!«

Betty Lumbage war wachsbleich geworden. Sie wandte sich um und ging hinaus.

»Ich rechne mit euch allen ab!« giftete der Viehhändler. »Halb Dodge steht auf meinem Boden. Es gibt niemanden, vor dem ich Angst habe.«

»Nicht einmal vor Milt Rice haben sie Angst«, sagte Wyatt.

»Nein, das stimmt. Er hat mir kein Haar gekrümmt und keines meiner Häuser auch nur beschädigt.«

»Das spricht nicht unbedingt für Sie, Lumbage. Und nun gehen Sie. Ich habe keine Zeit mehr!«

Mit verzerrtem Gesicht verließ der Viehaufkäufer das Office.

Mitten auf dem Vorbau blieb er stehen.

Drüben vor dem Grand Hotel standen seine Arbeiter.

Lumbage warf ihnen einen vernichtenden Blick zu und stampfte auf die Wellstreet zu.

Am Abend wußte Wyatt, daß der Vertrag, den Jerry Lumbage besaß, echt war. Er hatte das Land vor der Stadt, auf dem die Roods lebten, von dem Rancher käuflich erworben.

Da der Marshal dies befürchtet hatte, war er hinaus auf die große Hutton-Ranch geritten.

Der Rancher hatte ihm den Kauf bestätigt.

Wyatt sagte ihm, daß er es wenig nett von ihm fände, seine alten Pächter so zu übergehen.

Der Rancher zog die Brauen zusammen. »Was ist das? Lumbage erklärte mir doch ausdrücklich, daß er mit den beiden Farmern gesprochen habe. Sie seien damit einverstanden, weil sie ohnehin alt und müde wären…«

Es war nichts an der Tatsache zu rütteln, daß Jerry Lumbage das Land rechtmäßig erworben hatte. Wie er es auch angestellt hatte, den Rancher zu dem Verkauf zu bewegen, war einerlei. Er war der neue Besitzer. Und er würde Mittel und Wege finden, nach Jeffersons Tod auch die beiden Roods von der Weide zu vertreiben.

Wyatt beschloß, ein offenes Auge in der Angelegenheit zu behalten.

*

Am nächsten Nachmittag lehnte Wyatt in der Tür seines Büros und sah mehreren Reiter zu, die von Osten her in die Frontstreet einritten. Es waren breitschultrige, bärtige Typen, die statt der Satteldecken Tierfelle unter den Sätteln hatten.

Rauhe, verwegene Kerle, die mit blitzenden Augen die vielen Saloons und Bars in der Hauptstraße musterten.

Bat Masterson reinigte sein Gewehr. »Was sind denn das für Bürger?« fragte er.

Wyatt kaute auf einem Streichholz herum. »Büffeljäger.«

»Woran erkennen Sie die?«

»An den Fellen, an ihren Anzügen, an ihren Gesichtern. Ich habe selbst lange Zeit oben in Montana Büffel gejagt.«

Bat kam an die Tür. »Büffeljäger? Hoffentlich kommen nicht noch mehr davon in die Stadt.«

»Ganz sicher.«

»Wenn das keinen Ärger gibt.«

»Todsicher. Cowboys und Büffeljäger haben einander noch nie riechen können.«

Tatsächlich trafen im Laufe des späten Nachmittags noch so viel Jäger in der Stadt ein, daß alle Hotels vor sechs Uhr belegt waren.

In den Bars ging es hoch her.

Der Lärm währte bis spät in die Nacht. Kurz vor elf Uhr krachten plötzlich Revolverschüsse über die Straße.

In Wilborns Saloon war der Teufel los.

Wyatt, der sich in dieser Nacht nicht zur Ruhe hatte legen wollen, stürzte mit Bat auf den Vorbau.

»Mein Gewehr!« rief der Marshal dem Deputy zu, während er über die Straße rannte.

Vor Wilborns Saloon lag ein Mann auf den Dielen.

Er hatte eine klaffende Wunde an der Stirn.

Bat kam mit der Winchester und reichte sie dem Marshal.

Der stieß mit dem Kolben die Pendeltüren auseinander.

Ein Schuß peitschte ihm entgegen. Ein kleiner krummbeiniger Cowboy hatte ihn abgefeuert. Die Kugel schlug neben dem Missourier in den Türrahmen.

»Der Marshal stört uns!« grölte der Kuhtreiber. »Weg mit ihm! Drauf Boys!«

Schüsse brüllten los und die angetrunkenen Männer stürmten vorwärts.

Wyatt stand hinter dem Türpfosten, riß die Winchester hoch und schoß. Rasendschnell peitschten sieben Schüsse in den Raum; so schnell, daß Bat Masterson den Mund vor Verwunderung aufriß.

Das Heulen des schweren Gewehrs verfehlte seine Wirkung nicht.

Die Männer im Saloon blieben stehen.

Wyatt rief ihnen entgegen: »Hände hoch! Kommt einzeln raus, sonst sieht’s schlecht um euch aus.«

In zehn Minuten war der Saloon leer. Auf dem Vorbau lag ein Berg von Revolvern, und unten auf der Straße standen dreiundzwanzig texanische Kuhtreiber und siebzehn vor Grimm bebende Büffeljäger.

Der Marshal trat an die Treppe. »Hört zu, Leute. Die Colts holen morgen je ein Cowboy und je ein Büffeljäger im Office ab. Mit einem Wagen meinetwegen. Und noch eins: Das Tragen von Schußwaffen in der Stadt ist von dieser Stunde an verboten!«

Da war es wieder, das berühmte Earpsche Verbot, das vor zwei Jahren schon die Stadt Wichita in Aufruhr gebracht hatte. Würde der Marshal es auch hier durchdrücken können? Hier, wo es dreifach so wild herging wie in Wichita.

»Wer von heute an mit einer Schußwaffe in der Stadt angetroffen wird, setzt sich der Gefahr aus, niedergeschossen oder eingesperrt zu werden!«

»Er muß wahnsinnig sein!« maulte der Büffeljäger, ein rothaariger Mann mit weit vorstehenden Backenknochen.

»Drauf, Boys, schlagt ihn in Stücke!«

Da riß der Marshal die Winchester durch, das harte metallische Geräusch des Durchladens ließ die anstürmenden Männer innehalten.

Drüben, an einem dunklen Fenster über dem großen Long Branch Saloon, stand ein Mann und steckte den Colt wieder ins Halfter. Doc Holliday, der die Szene beobachtet hatte, wußte, daß der Marshal gewonnen hatte. Er wandte sich um, verließ das Zimmer und ging wieder hinunter an seinen Spieltisch.

*

Wyatt Earps Waffenverbot war das Gespräch des folgenden Tages.

Pat Kennedy, der Inhaber der City News, hatte einen großen Leitartikel über dieses Verbot in seiner Zeitung gebracht. Und die zwanzig Plakate, die der Marshal bei ihm hatte in fetten Lettern drucken lassen, hingen an sämtlichen Stadteingängen, in der Frontstreet, am Marshal Office, vor der City Hall, an der Schmiede, in der Wellstreet und an allen Saloons.

»Das wäre ein Ding, wenn er das hier durchkriegte!« meinte Doc Gilbert zu einem seiner Patienten, der sich gerade einen gichtigen Arm behandeln ließ.

Der Patient war der siebzigjährige Fred Hope. Er grinste über das ganze Gesicht. »Tja, das wär’ ein Ding!«

Da hob der Arzt den Kopf.

»Was gibt’s?« wollte Hope wissen.

Doc Gilbert kniff die Augen ein. »He, wenn das nicht Stunk gibt. Percy Roft ist in der Stadt. Damned, seine Colthalfter sind leer!«

»Roft? Der Spieler?«

»Yeah – wenn der nicht auch ein Hühnchen mit Holliday zu rupfen hat, heiße ich Abe Lincoln!«

»Das hat er bestimmt. Holliday hat ihn in Lawrence fertiggemacht. Vor einem Jahr. Roft hat ein Jahr in Kansas City wegen Betrug im Gefängnis gesessen. Es hat doch in allen Zeitungen gestanden.«

»Damned, dann gibt es bestimmt Stunk!«

Aber noch andere Augen hatten den Reiter gesehen. Zum Beispiel die Augen des wachsamen Marshals. Er kannte den Mann aus dem Keno-Saloon in Wichita, wo er ihn wegen Falschspiels und einer Schießerei festnehmen mußte. Wyatt wußte, daß Roft in Lawrence durch Holliday aufgeflogen war. Er beobachtete, wie der Spieler vom Pferd stieg und einen Mann ansprach.

Der deutete auf den Long Branch Saloon, wo Doc Holliday ein Zimmer gemietet hatte.

Wyatts Augen musterten die Gestalt des Gamblers scharf, als der über den Vorbau auf den Saloon zuging.

Nur wenige Minuten später ritten zwei Männer von Osten her in die Frontstreet. Auch sie trugen scheinbar keine Schußwaffen. Als sie das Pferd des Spielers sahen, blickten sie sich sichernd in der Straße um, rutschten ebenfalls aus den Sätteln und gingen auch auf den Saloon zu.

Für den Marshal war die Sache eindeutig.

Er schnallte seinen Waffengurt um und verließ das Office zum Hof hinaus, überquerte eine enge Laufgasse und erreichte den Hof des Long Branch Saloons.

Im Hausgang traf er den Salooner. »Morning. Wo wohnt Doc Holliday?«

»Oben, in Zimmer vier!«

»Thanks.«

Wyatt stieg die Treppe hinauf.

Vor dem Zimmer mit der Nummer vier blieb er stehen und klopfte.

Hollidays rauhe Stimme war sofort da. »Was gibt’s?«

»Ich bin’s!«

»Earp?«

»Yeah!«

Die Tür wurde geöffnet. Das blaßbraune Gesicht des Spielers erschien. Er sah müde und übernächtigt aus. »Was gibt’s so mitten in der Nacht, Marshal?«

»Nichts Besonderes. Percy Roft ist in die Stadt gekommen. Zwei Kiebitze sind bei ihm. Roft hat im linken Stiefelschaft einen Cloverleaf-Colt versteckt.«

Über das Gesicht des ehemaligen Zahnarztes sprang ein Lachen. »Das ist ja nicht viel. Aber immerhin. Wie geht’s sonst, Marshal?«

»Leidlich, und Ihnen?«

»Wunderbar!«

Wyatt sah über die Schulter Doc Hollidays hinweg in den engen Raum. Neben dem Bett des Spielers stand eine halbvolle Whiskyflasche; der Aschenbecher war voller Zigarettenreste. Das Fenster war geschlossen. Die Vorhänge zugezogen.

Wyatt meinte: »Frische Luft soll ja was Schönes sein, Doc!«

»Ganz sicher«, grinste Holliday zurück.

Der Marshal wandte sich zum Gehen. An der Treppe sagte er noch: »Und denken Sie daran: Das Tragen von Schußwaffen ist in der Stadt verboten.«

»Ja, ja«, versetzte Holliday feixend, »ich hab’ das spaßige Plakat gestern gelesen. Das kann ja heiter werden.«

Wyatt ging den gleichen Weg zurück, den er gekommen war. –

Doc Gilbert hatte seinen alten Patienten in rasender Eile abgefertigt, nahm den Hut und eilte hinüber in Fred Roberts Barber Shop. Da hatte er den Schmied gesehen.

»Babe, Percy Roft ist in der Stadt! Drüben im Long Branch Saloon.«

»Was?« Asmussen schob den kleinen Barbier zur Seite, wischte sich den Seifenschaum aus dem Gesicht und sprang hoch. »Der ist doch hinter Holliday her! Damned, das gibt Verdruß!«

»Was wollt ihr denn?« suchte der Barbier einzulenken. »Ich habe Roft kommen sehen. Er trägt keinen Colt.«

»Trotzdem«, meinte der Arzt, »wir gehen hinüber und werden uns die Sache ansehen. Vielleicht können wir ein Unglück verhüten.«

Die beiden wackeren Männer betraten kurz darauf den Long Branch Saloon.

Gilbert bestellte an der Theke einen Kentucky Dry.

Asmussen verlangte einen Fire-Point.

Der große, nach Whiskydunst und Tabaksqualm riechende Raum, lag im Halbdämmer da. Die schweren Plüschvorhänge ließen nicht viel Tageslicht herein.

Doc Gilbert sah Percy Roft an einem Tisch im Mittelgang sitzen. Er hatte sich einen Brandy kommen lassen.

Dann sah Gilbert erst die beiden anderen Männer; sie hatten in der Nähe der Tür Platz genommen.

Der Schmied griff voller Unbehagen nach seinem Hals. »Verdammt gemütlich hier, was?« flüsterte er dem Arzt zu.

Da hob drüben Percy Roft den Kopf. Er hatte ein wahres Galgenvogelgesicht – und schielte. »Salooner!« Seine Stimme klang hohl und rostig. »Doc Holliday wohnt bei Ihnen?«

Es war mehr eine Feststellung als eine Frage.

»Ja.«

»Holen Sie ihn her. Sagen Sie ihm, Percy Roft wäre hier!«

Der Salooner zuckte zusammen. Er hatte den Gast bisher nicht erkannt. Jetzt hüstelte er vor Schreck und verließ den Schankraum.

Es dauerte zehn Minuten, da betrat Doc Holliday den Saloon vom Treppenhaus her. Er ging an der langen Theke entlang, genau bis zur Mitte. »Einen Scotch!«

Der Salooner schob ihm mit zitternden Händen das Getränk hin.

Holliday sah ihn an. »Was haben Sie denn, Beeson? Sie sollten mal zum Arzt gehen. He, da steht er ja schon. Hallo, Gilbert! Sie haben doch nicht etwa Zahnschmerzen?«

Der Arzt schluckte mühsam. Er wagte einen Seitenblick dahin, wo Percy Roft saß.

Holliday hatte den Gambler längst im Thekenspiegel gesehen. Er trank seinen Whisky und ehe er das Glas abstellte, sagte er scharf: »Welcher verdammte Falschspieler wollte mich sprechen?«

Der Salooner öffnete zitternd die Lippen und starrte zu Roft hinüber, aber er konnte nichts sagen. Der Hals war ihm wie zugeschnürt.

Holliday wirbelte plötzlich gedankenschnell herum, hatte ein Federmesser hinten aus seinem Kragen gezogen und schleuderte es noch in der Wendung zu Percy Roft hinüber.

Der Gambler bekam die dünne spitze Klinge in die Brust. Er stierte verstört zu Holliday und rutschte vom Stuhl. In seiner rechten Faust hatte er den vierschüssigen Cloverleaf.

Da sprangen die beiden Männer an der Tür auf. Auch sie hatten auf einmal kleine Revolver in den Fäusten.

Die Pendeltür flog auseinander. Zwei blitzschnelle Handkantenschläge des Marshals – und die Rückenmänner Percy Rofts flogen zur Seite.

Hollidays Gesicht war kalt und reglos geblieben. Er wandte sich wieder zur Theke. »Noch einen Scotch.«

Der Vorfall hatte sich in Sekundenschnelle abgespielt. Und es war alles ganz klar: Roft und seine Genossen hatten Doc Holliday erschießen wollen.

Holliday hatte mit dem Messerwurf in Notwehr gehandelt.

Roft und die beiden hatten das Stadtgesetz, das Tragen von Schußwaffenverbot, verletzt.

Die beiden Helfer wurden eingesperrt.

Percy Roft war tot.

Das war die scharfe Spitze der Sache. Doc Holliday hatte den Widersacher getötet. Ohne Schußwaffe zwar, aber er hatte ihn getötet! Daß es in Notwehr geschehen war, schützte ihn vor jeder Strafe.

Aber mit diesem Wurf hatte er die Stadt gegen sich gebracht und nicht nur die zartbesaiteten Gemüter.

Der Major war eine Stunde später im Marshal-Office. Es war ihm ein gefundenes Fressen, die zahlreichen Beschwerden über Doc Holliday an den Mann bringen zu können.

»Solange ich hier bin, habe ich Sie noch nicht in meinem Büro gesehen, Major«, versetzte Wyatt grob. »Jetzt sind Sie da. Was gibt’s?«

»Es geht um Ihren Freund Doc Holliday«, brach es hämisch aus Hoover hervor, »um den Messerwerfer, um den Mann, der auch ohne Colt gefährlich ist wie kein anderer. Die Bürger von Dodge City verzichten darauf, einen so gemeingefährlichen Mann in ihrer Stadt zu wissen. Verstehen Sie? Die Leute verlangen seine sofortige Ausweisung! Und wenn er bis heute abend sechs Uhr nicht freiwillig gegangen ist, wird eine von mir zusammengestellte Bürgerwehr unter Leitung Jim Degers den Kerl aus der Stadt befördern!«

Wyatt erhob sich aus seinem Sessel. »Hören Sie genau zu, Major, was ich Ihnen jetzt sage. Für Recht und Ordnung in dieser Stadt sorge ich. Und niemand anders. Wer sich dagegen auflehnt, der verletzt das Gesetz. Vergessen Sie das nicht. Und was Ihren Freund Jim Deger betrifft, möchte ich Ihnen dringend raten, etwas Abstand von diesem Mann zu nehmen. Ich habe mich in seiner Heimatstadt telegraphisch über ihn erkundigt. Fragen Sie ihn einmal, was er davon hält, wenn ich diese meine Erkundigungen der Öffentlichkeit preisgeben würde. Und nun lassen Sie mich zufrieden! Ich habe zu arbeiten.«

Fauchend wandte sich der feiste Mann ab und schlurfte hinaus.

Wyatt nagte an seiner Unterlippe. Da hatte Holliday sich also auch hier sein Grab geschaufelt. Er hätte Roft nicht unbedingt zu töten brauchen. Jeder andere hätte froh sein können, wenn er sein Wurfmesser auf neun Yards überhaupt ins Ziel gebracht hätte. Er aber, der todsichere Doc Holliday, er hätte sich das Ziel wählen können. Aber er mußt vernichten. Und wenn es ihm selbst überall das Genick brach.

*

Kurz nach Mittag kamen drei von dem Major aufgehetzte Stadtratsmitglieder und erklärte, daß sie in diesem Falle einmütig hinter Hoover stünden: Doc Holliday müsse bis zum nächsten Morgen die Stadt verlassen haben. Sie dächten nicht an Gewalt, aber sie bäten den Marshal, es dem Spieler sofort eindringlich nahezulegen.

Seufzend erhob sich der Marshal und suchte den Long Branch Saloon auf.

Heute hatte Holliday noch keinen Mann gefunden, der ein Spiel mit ihm machen wollte. Der Messerwurf war den Männern ins Gebein gefahren. Ein leiser Abscheu war in ihren sonst gewiß nicht zimperlichen Gemütern gegen den Abenteurer aufgestiegen.

Wyatt blieb vor dem grünen Tisch stehen.

Holliday legte mehrere zugedeckte Karten in einer Reihe nebeneinander, deckte dann je eine Karte auf und sagte leise, ohne aufzublicken: »Der große schwarze Mann kommt über den kurzen Weg und will mich rausschmeißen.« Dann hob er den Kopf. In seinen Augen stand ein winziges Lächeln. »Ich muß gehen, nicht wahr, Marshal?«

Wyatt nickte. »Yeah – sie haben es so beschlossen.«

Holliday hob auch die anderen Karten ab. »Und wann?« fragte er nur für Wyatt hörbar.

»Bis morgen früh müssen Sie fort sein.«

Der Gambler pfiff leise durch die Zähne. Dann blickte er in sein leeres Glas. »Salooner, einen Scotch!«

»Zwei Scotch!« rief Wyatt zur Theke hinüber.

Holliday blickte auf. Er wußte ja, daß der Missourier eigentlich nie Alkohol trank. Und er verstand die Geste.

Wyatt hob das Glas, trank es halb leer und ging hinaus.

Holliday blickte sinnend hinter ihm her.

*

Es war Nachmittag.

Über der Stadt waberte die Hitze.

John Holliday lag angekleidet in seinem Zimmer auf dem Bett, hatte die Arme hinter dem Kopf verschränkt und die Absätze seiner hochhackigen Stiefel auf dem Eisenrahmen der unteren Bettkante liegen.

Von der Straße schwirrten Stimmen zu ihm herauf. Plötzlich fuhr er auf, sein Körper krampfte sich zusammen und wurde von einem fürchterlichen Hustenanfall geschüttelt.

Es dauerte Minuten. Dann lag der Mann wieder ruhig da und starrte mit nassen geröteten Augen gegen die Zimmerdecke. Die Finger hatte er zu Fäusten zusammengekrampft.

Er sah vor sich das schöne große Haus, drüben in Boston, wo er vor einigen Jahren hoffnungsvoll als junger Zahnarzt begonnen hatte. Er sah die Leute auf der Straße, die ihn höflich grüßten, er sah die eleganten jungen Damen, die in seine Sprechstunde kamen. In rascher Folge zogen die Bilder der Vergangenheit an ihm vorbei.

Da wurde zaghaft an die Tür geklopft.

Holliday riß den Colt unter dem Kissen hoch und entsicherte ihn.

»Ich bin’s«, hörte er eine Frauenstimme.

»Wer? Kommen Sie rein!«

Die Tür wurde geöffnet, und Jenny Hoover trat ins Zimmer. Sie sah entzückend aus. Das weite rosafarbene Kleid stand vorteilhaft zu ihrem frischen Gesicht und ihrem schwarzen Haar. Verlegen huschte der Blick ihrer hübschgeschnittenen Mandelaugen durch den kleinen Raum.

Holliday sah sie verblüfft an. »Was wünschen Sie?« fragte er heiser.

Jenny blickte auf die leeren Whiskyflaschen und auf den mit Zigarettenresten überhäuften Aschenbecher.

Langsam kam sie näher. In ihrer Rechten hielt sie einen Korb. »Guten Tag, Doc!«

»Guten Tag.« Der sonst so eiskalte Mann schluckte nun doch vor Verlegenheit. »Setzen Sie sich bitte…«

Jenny sah sich um.

Auf dem Stuhl lag der Waffengurt mit dem Hut.

Das Mädchen blieb stehen.

»Was führt Sie zu mir?« fragte der Mann, fuhr sich durch das Haar, band die Halsschleife und setzte sich auf die Bettkante.

Jenny Hoover blickte ihn nun fragend an. »Sie werden die Stadt verlassen, Doc?«

Der Spieler erhob sich und ging zu dem halbblinden Spiegel hinüber. »Ich habe wohl keine andere Wahl, Miß Hoover.«

»Ich heiße Jenny.«

Holliday warf mit einem Ruck den Kopf herum und sagte rauh: »Was wollen Sie?«

Flammende Röte schoß über das Mädchengesicht. »Ich habe Ihnen etwas mitgebracht. Vielleicht haben Sie eine weite Reise vor sich…«

Holliday starrte sie verblüfft an.

Da nahm Jenny das bunte Tuch von dem Korb. »Hier ist Rauchfleisch, ein Stück Käse und Melabrot…«

Holliday starrte auf die Sachen.

»Und hier in dem Lederbeutel ist ein kleiner Dank der Bürgerschaft«, erklärte das Mädchen.

Holliday kam heran, riß den großen Lederbeutel an sich, öffnete ihn und blickte hinein, er war zu einem Viertel mit goldenen Zwanzigdollarstücken gefüllt.

»Dank der Bürgerschaft!« stieß der Mann heiser hervor. »Hier!« Er warf den Beutel auf das Bett.

»Ich pfeife auf den Dank der Bürgerschaft. Aber ganz entschieden. Die Bürgerschaft weist mich aus der Stadt – und jetzt gibt sie mir auch noch Geld, damit ich ja weit genug wegreite!«

Jenny, die sich gerade auf die Stuhlkante gesetzt hatte, stand auf. »Sie irren, Doc Holliday. Das Geld ist von Doc Gilbert, Babe Asmussen und ein paar anderen anständigen Leuten. Es ist nicht so, daß die Bürgerschaft von Dodge aus lauter herzlosen Männern besteht. Ich will gestehen, daß ich betrübt über das Verhalten meines Vaters bin. Ich weiß nicht, was er gegen Sie hat, aber… Sie sind ja auch wirklich ein furchtbarer Mensch… und…« Sie preßte sich erschrocken die Hand vor den Mund. »Pardon«, murmelte sie tonlos.

Um die Lippen des Spielers grub sich ein kleines Lächeln. »Vielen Dank, Miß Jenny. Aber Sie können alles wieder mitnehmen.« Er ging zum Fenster und blickte hinaus. »Wissen Sie, ich bin gar nicht traurig, daß ich hier weg muß. Ich hatte gar nicht gehofft, hier bleiben zu können, nur…«

»Sind Sie nicht mit Wyatt Earp befreundet?«

John Holliday fuhr herum. »Mit Wyatt Earp befreundet? Wie kommen Sie denn darauf?«

»Ich dachte…«

Holliday schüttelte den Kopf. »Nein, Miß – ich habe nie einen Freund gehabt – und es ist auch ganz gut so.«

»Und dann hat der Marshal so einen Gang mit Papa gehabt, wenn er nicht Ihr Freund ist? Das versteht ja kein Mensch mehr!«

Holliday horchte auf. »Was hat der Marshal?«

»Ach, Papa wollte Sie mit einem Trupp von Männern aus der Stadt bringen lassen. Wyatt Earp hat sich energisch dagegen aufgelehnt. Er verbitte sich das, hat er gesagt. Papa hat es daheim zehnmal wiederholt.«

Holliday kam vom Fenster zurück, nahm sein Rauchzeug vom Nachttisch und drehte sich eine Zigarette. »Trotzdem, Miß Jenny – ich danke Ihnen. Machen Sie sich keine Sorgen um all diese Dinge, Sie sind noch so jung…«

»Sie sind doch selbst noch jung«, versetzte das Mädchen trotzig.

Holliday spürte, wie eine Blutwelle durch sein Herz schoß. Und doch merkte der sonst so wache Mann immer noch nicht, daß das Mädchen, das da vor ihm stand, in ihn verliebt war.

»Sie haben bei Browns vom Gartenzaun eine Kornblume gepflückt. Und als ich den kleinen Franky mit einem ganzen Strauß Kornblumen zu Ihnen schickte, haben Sie die Blumen aus dem Fenster geworfen!«

Der Spieler starrte sie entgeistert an. »Sie – Sie haben die Blumen hergeschickt? Ja, sind Sie denn des Teufels? Ihr Vater wird Sie verprügeln, der alte Grobian! Überhaupt, was würde er sagen, wenn er wüßte, daß Sie hier sind?«

»Er weiß es!«

Holliday riß die Augen auf.

»Ja, ich habe es ihm gesagt, ehe ich herkam. Laut und deutlich. Er hat zwar geprustet, aber Mama hat ihn beruhigt und ihm gesagt, daß ich alt genug wäre, selbst zu wissen, was ich zu tun hätte.« Sie ging zur Tür. »Leben Sie wohl, Doc Holliday. Ich wollte Ihnen nur sagen, daß nicht alle Leute froh sind, wenn Sie gehen. Ich habe damals, als der Marshal gehen wollte, versucht, ihn festzuhalten, weil ich nämlich befürchtete, daß Sie ihm folgen würden. Nun bleibt er hier – und Sie gehen doch.«

Holliday kam langsam auf sie zu und blieb dicht vor ihr stehen. »Jenny«, sagte er leise und eindringlich. »Sehen Sie mich an. Sehen Sie mir in die Augen. Was habe ich für ein Gesicht? Sehen Sie nicht, daß ich gezeichnet bin? Ich bin ein Verlorener…«

Das Mädchen sah ihn warm an. Purpurne Röte hatte das hübsche Gesicht übergossen. »Ich finde, Sie sehen gut aus«, sagte sie mutig. Dann wandte sie sich um und lief hinaus.

Holliday ging mit großen Schritten zum Spiegel und sah hinüber in das fleckige halbblinde Glas. Dann schüttelte er den Kopf und lachte leise vor sich hin. Diesmal hatte der sonst so elegante Mann nicht begriffen. Vielleicht war er in seiner Seele schon zu abgestumpft. Er warf noch einen kurzen Blick auf den Geldbeutel und den Korb und ging dann hinunter.

*

Der Abend kam. Und bald senkte die Nacht ihre Schatten über die brodelnde Stadt.

Die Treiber waren heute schon früh gekommen. Auch die Büffeljäger.

Die Saloons waren zum Bersten voll.

Dodge City war in seinem Element, erlebte seine größten Stunden, von denen es noch achtzig Jahre lang träumen sollte.

Über dem großen Schankraum des Long Branch Saloons schwebte eine dichte Tabakwolke.

Die Orchestrion hämmerte den Kansas-Song.

An der Theke halfen drei Männer beim Ausschank.

Sämtliche Tische waren dicht besetzt.

Holliday machte seine kleinen Spiele mit wechselndem Gewinn.

Er sah immer wieder zum großen Ecktisch hinüber, an dem Jerry Lumbage, der dicke Viehaufkäufer, um große Summen spielte.

Das Spiel war eine der großen Schwächen Lumbages. Er war ein sehr geschickter und kluger Spieler. Es gab Leute, die behaupteten, er habe sich sein großes Vermögen ausschließlich am Spieltisch erworben.

Gerade hatte er drüben zwei Büffeljäger um einen Stapel Dollarnoten erleichtert. Der vierte Whisky hatte den massigen Mann belebt.

Da stand Holliday auf, ging hinauf auf sein Zimmer, nahm den Lederbeutel mit dem Geld, füllte ihn unten mit Patronen und legte das Geld oben drauf. Dann kehrte er in den Saloon zurück.

Er ging nicht wie sonst an seinen Tisch, sondern blieb an dem Ecktisch stehen, an dem Lumbage spielte.

Die Büffeljäger waren blank. Sie gaben auf.

Lumbage wollte noch um ihre Pferde mit ihnen spielen, aber dazu fanden sie sich nicht bereit.

»Na, wer will noch satt gemacht werden!« grölte der feiste Mann angeberisch. »Wer wagt noch ein Spiel mit Jerry Lumbage?«

»Ich!« tönte es da schneidend über den Tisch.

Lumbage sah auf. »Doc Holliday? Haben Sie denn was zu verspielen?«

Der Gambler warf den Beutel auf den Tisch.

Lumbage riß die Verschnürung auf.

Kein Muskel im Gesicht des Spielers zuckte, als der Viehhändler auf die schimmernden Goldstücke blickte, die den Beutel prall zu füllen schienen.

Den Bluff merkte Lumbage nicht. Er schob den schweren Beutel zurück. »Wieviel?« fragte er nur.

»Zehntausend«, versetzte der Spieler kalt.

Lumbage wurde feuerrot. »All right. Ich setze die gleiche Summe dagegen!« rief er übermütig.

Die Büffeljäger erhoben sich.

Holliday nahm Platz. Er und Lumbage saßen allein an dem großen Tisch einander gegenüber.

Das Spiel begann.

Nach wenigen Minuten hatte Lumbage verloren. Er setzte zwanzigtausend – und verlor wieder.

Mehr Geld hatte der feiste Mann nicht bei sich. »Spielen Sie weiter?« fragte er den Gambler mit belegter Stimme.

Das Pokergesicht Hollidays war völlig ausdruckslos. »Natürlich. Wenn Sie noch was haben.«

Lumbage warf den Kopf hoch. »Wie reden Sie mit mir, Mann? Gegen mich sind Sie ein Bettler!«

»Come on, setzen Sie weiter!« gab Holliday scharf zurück.

Lumbage winkte dem Salooner. »Bringen Sie mir Tinte und Papier!«

Alle, die um den Tisch herum standen, sahen es: Jerry Lumbage hatte auf das Papier die Zahl 100 000 geschrieben.

Mit spöttischem Grinsen sah der reiche Viehaufkäufer den Spieler an. »So, Doc – gilt das?«

Holliday warf einen kurzen Blick auf das Papier. »Doch, das genügt.«

»Ich setze 100 000 gegen Ihren Gewinn!« rief Lumbage pathetisch.

Aller Augen starrten auf den Tisch.

»Nicht gegen meinen Gewinn«, sagte Holliday ruhig, »gegen alles, was ich habe. Ich kam ja nicht ohne Geld an den Tisch.« Ein kaltes Lachen stand sekundenlang um seinen feingeformten Mund.

Das Spiel begann.

Double-Poker.

Lumbage war ein Meister darin.

Aber er verlor.

Seine Hände zitterten, kalkweiß war sein Gesicht. Die Augen schienen aus den Höhlen quellen zu wollen. Dann sprang er auf und fuchtelte mit den Armen durch die Luft. »Das war all mein Bargeld, Holliday! Es liegt drüben auf der Pitts-Bank…«

Der Gambler nickte ungerührt.

Da geiferte der Händler: »Ich habe noch die Häuser und die Schuppen!«

»Wieviel?« fragte Holliday nüchtern.

»Fünfzigtausend!«

»Nicht genug.«

Die Stille im Schankraum knisterte.

Da belferte Lumbage: »Mein Land, und das Vieh…«

»Wieviel?«

»Hundertfünfzigtausend!«

Der Spieler nickte und zündete sich eine neue Zigarette an. »Schreiben Sie!«

Mit fliegenden Fingern kritzelte der Viehhändler einige Worte auf zwei neue Blätter.

Holliday nahm sie von der Tischmitte. Dann nickte er. »Um die Häuser, das Vieh und das Land. Ich setze alles.«

Es war ein hartes, heißes und bitteres Spiel.

Nach sieben brennenden Minuten war es entschieden. Jerry Lumbage hatte verloren.

Alles was er besaß. Er war in diesen Minuten ein armer Mann geworden.

Er sprang auf, lief zur Theke, ließ sich einen Whisky geben und torkelte aus dem Saloon.

Draußen auf dem Vorbau brach er zusammen.

Er hatte einen Herzschlag bekommen.

In die Totenstille, die im Schankraum herrschte, schnitt nur das Knistern von Papier.

Doc Holliday faltete die beiden Schuldscheine und schob sie in die Tasche. Auch seinen Lederbeutel und die Banknoten steckte er weg.

Ein Bündel brachte er zur Theke und reichte es dem Salooner. »Dafür trinken die Männer hier – alle. Auch die, die zum Stadtrat gehören.«

Mit harten Schritten ging er hinaus.

Bat Masterson, der die ganze Zeit an der Tür gestanden hatte, blickte wie betäubt hinter ihm drein. Dann rannte er hinüber ins Hotel London, stürmte die Treppe hinauf und hämmerte an Wyatt Earps Tür.

»Es ist etwas Tolles passiert, Marshal! Doc Holliday hat mit Lumbage gespielt!«

»Hat er gewonnen?« fragte Wyatt und rieb sich schlaftrunken die Augen.

»Ja.«

»Prächtig.«

Bat riß die Augen auf. »Sie verstehen nicht, Marshal. Er hat alles gewonnen, alles!«

»Wieso?«

»Lumbage hat mit ihm um all sein Geld, um seine Häuser, um sein Vieh und sein Land gespielt. Alles, was bis heute abend Lumbage gehörte, gehört jetzt Doc Holliday.«

»Allright«, sagte Wyatt, »mach jetzt die Tür zu und laß mich weiterschlafen.«

*

In der Morgenfrühe des nächsten Tages berichtete Austin Geoffrey, der Leibwächter der Familie Lumbage, daß Betty Lumbage die Stadt verlassen habe.

So hatte diese heiße Nacht zwei Menschen vernichtet.

Aber das erschütterte die Dodger nicht.

Viel sensationeller war die Nachricht, daß Doc Holliday verschwunden war. Der über Nacht streinreich gewordene Doktor John Holliday! Wo war er? Niemand dachte mehr daran, daß er ja vor Morgengrauen die Stadt hatte verlassen sollen.

Er kam auch am nächsten Tag nicht zurück.

Und nach einer Woche nahm der Bestman von Lumbages Betrieb die Arbeit wieder auf – alles Geld kam auf das Konto des neuen Inhabers, Doktor John Holliday. Der abwesende Spieler war einer der reichsten Männer der Stadt geworden.

*

Nach vierzehn Tagen stürzte der kleine Franky Rood ins Marshal Office.

Er schwenkte einen Brief in der Hand.

Der Marshal nahm ihn und fand darin Lumbages Schuldscheine über Land und Vieh. Dabei lag ein Zettel mit der steilen Handschrift Hollidays: »Ihr werdet ja einen ziemlich großen Zaun brauchen.«

Wyatt hatte ein dumpfes Gefühl in der Brust. Als er auf die Buchstaben blickte. Dieser unbegreifliche Mann! dachte er. Nun hatte er das große Stück Land und alles Vieh, das er Lumbage im Spiel abgewonnen hatte, dem alten Bully Rood und seinem flachsköpfigen Enkel vermacht.

Wyatt sagte nichts. Er reichte dem Jungen den wertvollen Brief zurück.

»Was wird nun?« fragte der Kleine mit banger Stimme.

»Du mußt dich tatsächlich jetzt um einen großen Zaun kümmern, Franky. Doc Holliday hat schon recht. Lumbages Land war ja groß, dazu Jeffersons Weide und eure eigene… immerhin!«

Der Junge stürmte hinaus.

Wyatt zündete sich eine schwarze Zigarre an und blickte nachdenklich durch die hellblauen Rauchwolken. Er war also gegangen, der Mann mit dem Pokergesicht. Und doch hätte ihn hier niemand mehr vertreiben können. Er war ja Bürger der Stadt geworden mit auch jetzt noch beachtlichem Grundbesitz, mit mehreren Häusern und dem Viehgeschäft, das ja jetzt auch auf seinem Namen lief.

*

An einem brutheißen Julinachmittag lehnte Bat Masterson in der Tür des Marshal-Offices. Die Frontstreet lag unter flimmernder Hitze wie im tiefen Schlaf.

Selbst in den Schatten der Vorbauten stand die Hitze. Kein Lufthauch wehte Kühlung heran.

Doc Gilbert saß im Schaukelstuhl und sog an einem Zigarettenstummel.

Fred Roberts, der kleine Barbier, hockte auf seiner schattigen Türschwelle und döste vor sich hin.

Da nahte von Osten her ein Reiter. Niemand ahnte, daß mit ihm das Unheil wieder in die Stadt einziehen sollte.

Er hatte eine seltsame Art im Sattel zu sitzen, weit vornübergebeugt, die Linke auf das Sattelhorn gestützt, die Rechte hing schlaff an seinem Körper nieder.

Um den Leib trug er einen breiten texanischen Waffengurt mit einem schweren, alten Revolver.

Er hatte ein hartes, verwittertes Gesicht, der Mann, kleine Augen und einen scharfen Mund. Das feuerrote Halstuch stach scheußlich von der mißfarbenen Weste ab.

Der Stetson war schwarz und staubbedeckt.

Bat Masterson zog die Brauen hoch und richtete sie auf. Er sah nur den großen Revolver an der Hüfte des Mannes.

Der Reiter kam näher, stieg vor dem Long Branch Saloon, der zweifellos den einladendsten Eindruck machte, aus dem Sattel, band seinen Grauen an den Zügelholm und betrat den Vorbau.

Ehe er im Saloon verschwand, rief der Hilfsmarshal ihn an. »Mister, das Tragen von Schußwaffen ist in der Stadt verboten!«

Der Mann wandte den Kopf. Seine kleinen Augen wurden noch enger und musterte Bat mit einem forschenden Blick. Erst nach einer ganzen Weile sprang sein strichdünner Mund auseinander. »Ich bin Jack Brisbane. Ich behalte meinen Colt.«

Bat zog die Brauen verwundert zusammen. Jack Brisbane? Sollte der texanische Schießer Cass Brisbane, der im Duell gegen Doc Holliday gefallen war, einen Bruder haben?

Da sagte der Mann: »Ich komme aus dem Panhandle. Ich will mit Doc Holliday und Wyatt Earp über den Tod meines Bruders sprechen.«

»Trotzdem müssen Sie die Waffe ablegen«, sagte Bat rauh und ging auf ihn zu.

Da zog der Texaner den Colt.

Es ging unheimlich schnell. »Bleib stehen, Junge. All die Scherze, die hier geboten werden, verfangen bei mir nicht. Ich habe daheim meine Ranch verlassen, um mit Doc Holliday und Wyatt Earp abzurechnen. Ich bin wochenlang geritten – bestimmt nicht, um hier meinen Colt abzugeben.«

Bat hatte ein friedliches Gemüt. Er blieb stehen. »Bedaure, Mister Brisbane, aber das Tragen von Schußwaffen ist in Dodge City verboten.«

Das Gesicht des Texaners versteinerte. »Laß mich zufrieden, Junge.« Er wandte sich um.

»Stehenbleiben!« rief Bat.

Da schoß der Mann.

Und sicher war er ein guter Schütze, aber Bat Masterson war schneller. Seine Kugel hatte den rechten Oberarm des Texaners verletzt. Brisbane hatte sein Ziel um mehrere Yards verfehlt.

Steif stand der Texaner und starrte den jungen Mann an, der jetzt auf ihn zukam und ihm den Colt aus der Hand riß. »Tut mir leid, Mister Brisbane. Diese Kunststücke kennen wir hier alle genau und beherrschen sie selber. Sie bekommen den Colt zurück, wenn Sie die Stadt verlassen.«

Brisbane stieß einen heiseren Fluch aus.

Doc Gilbert erhob sich schwerfällig aus seinem Sessel und kam heran. Dann riß er wortlos den Hemdsärmel des Texaners auf und blickte auf die Wunde. »Kommen Sie mit«, sagte er nur.

Aber der hartgesichtige Mann dachte nicht daran. Er griff in die linke Hosentasche und zog einen Derringer heraus. Der erste Schuß streckte den Deputy nieder, der dem Texaner schon den Rücken zugekehrt hatte – und die zweite Kugel riß den alten Arzt von den Beinen.

Brisbane riß sich mit den Zähnen einen Fetzen aus dem Ärmel und wickelte ihn um die nicht sehr stark blutende Wunde am Oberarm. Dann bückte er sich über den reglos daliegenden Deputy, nahm ihm den Colt weg und ging sporenklirrend in den Saloon.

Wie erstarrt hockte Fred Robert, der Barbier, auf seiner Türschwelle. Erst als der Fremde drüben im Saloon verschwunden war, als die beiden bastgeflochtenen Pendeltüren hinter seinem breiten Rücken zusammenschlugen, sprang Roberts auf und rannte hinüber in die Wellstreet.

Asmussen saß beim Mittagessen. »Was sagst du da?«

»Ja, mir war auch so, als hätte ich Schüsse gehört«, fand die Frau des Schmieds.

»Wyatt Earp und Steve Calligan sind auf der Hutton-Ranch. Der Rancher hat sie beide zu seinem Geburtstag eingeladen…«

Asmussen sprang auf. »Und Bat liegt auf dem Gesicht?«

»Er und der Doc!«

Der Blacksmith lief in den Flur, holte seine Winchester, packte seinen Hut und stürzte zur Tür.

Aber es war ein unseliger Tag.

Wenige Minuten später hockte der bullige Schmied mit zerschmettertem Bein auf dem Vorbau vor dem Long Branch Saloon.

Die Gewalttätigkeit war wieder in die Stadt eingezogen.

Und der Marshal war meilenweit entfernt auf einer großen Ranch, saß auf der Veranda und hatte merkwürdigerweise ein ungutes Gefühl in der Brust.

Aber unter welchem Vorwand sollte er die Feier verlassen?

Indessen hatte der rauhe Texaner Jack Brisbane die Stadt in Angst und Schrecken versetzt. Kälter und weniger großsprecherisch als sein eleganter Bruder stand er da und schlürfte seinen Brandy.

Die Frau des Arztes hatte ihren Mann und auch Bat Masterson ins Haus gezogen.

Doc Gilbert kam bald wieder zu sich. Er hatte nur einen starkblutenden Streifschuß an der Schläfe mitbekommen. Nach einige Schlucken Whisky war er wieder soweit hergestellt, daß er Bat Masterson die Kugel aus dem Rücken holen konnte. Dann ging der alte Arzt taumelnd hinaus und zerrte den verwundeten Schmied ins Haus.

Während er auch dessen Wunde verband, rann ihm der Schweiß von der Stirn, und er murmelte: »Es nimmt nie ein Ende in dieser Stadt. Jack Brisbane…, was will er hier? Den Bruder rächen? Dafür schießt er drei Männer nieder. Einen Sternträger! Drüben im Straßenstaub ist sein Bruder verendet, weil er einem Banditen helfen wollte, mit dem Colt in der Hand eine Stadt zu erobern. Und jetzt geht es weiter…«

Jack Brisbanes Stunde hatte noch nicht geschlagen.

Auch nicht, als am späten Nachmittag Wyatt Earp in die Stadt ritt, vom Barbier zu Doc Gilbert geschickt wurde und dann in den Saloon ging.

Brisbane stand an der Theke und musterte den Mann in der Tür. »Wer bist du?« fragte er heiser.

»Ich bin Wyatt Earp.«

Mit einem Ruck stieß Brisbane sich von der Theke ab.

Unseligerweise stieß in diesem Augenblick der kleine Barbier die Pendeltür auf und schlug sie in den Rücken und gegen den linken Arm Wyatts.

Da schoß Brisbane.

Zweimal brüllte sein alter Revolver auf.

Wyatt torkelte gegen die Tür und schlug zum Entsetzen des Barbiers auf den Vorbau hinaus.

Brisbane griff nach seinem Glas.

»Einer wäre erledigt!« stieß er tonlos durch die schmalen Lippen.

Doc Gilbert schleppte den Marshal mit dem Barbier keuchend ins Haus.

Eine Kugel steckte in der rechten oberen Brustseite die zweite saß im linken Oberschenkel.

Der kleine Barbier stand mit bleichem Gesicht dabei, als der Arzt die Kugeln entfernte.

»Ich bin schuld, Doc! Ich ganz allein! Ich habe ihm die Tür in den Rücken gestoßen, gegen den linken Arm! Ich…, oh, die Leute werden mich anspucken, und die Kinder werden mit – Fingern auf mich zeigen. Da, seht ihn euch an: Er hat Wyatt Earp umgebracht! Dieser alte Idiot hat ihm die Schankhaustür ins Kreuz gestoßen…«

»Halt endlich das Maul!« sagte der Arzt grob. »Er ist ja noch nicht tot…«

*

Als der Hilfsmarshal Steve Calligan in die Stadt kam, wartete Jack Brisbane schon auf ihn. Ein geschwätziger Mann, der für einen Drink seinen Bruder ermodet hätte, hatte ihm verraten, daß es drei Polizeileute hier gab.

Steve Calligan bekam die Kugel des schießwütigen Texaners seitlich in den Hals, als er um die Ecke der Holvestreet in die Frontstreet bog.

Er starb nicht, der unglückliche Calligan, aber zeitlebens würde er Sprechschwierigkeiten haben, durch diesen mörderischen Schuß.

Der Terror war wieder eingezogen.

Die Leute duckten die Köpfe, flüsterten nur miteinander und wurden siedendheiß an die Maitage erinnert, an die Zeit, da Milt Rice die Stadt in Angst und Schrecken versetzt hatte.

Die Nachricht, daß der Marshal mit schweren Verletzungen im Krankenraum bei Doc Gilbert liege, verbreitete sich wie ein Lauffeuer in der Stadt und der näheren Umgebung.

Am nächsten Abend hatten die Menschen in Dodge allen Grund, der Verzweiflung nahe zu sein.

Doc Gilbert glaubte seinen Augen nicht zu trauen, als er die sieben Reiter sah, die drüben vor dem Grand Hotel von den Pferden stiegen.

Harte staubige Figuren mit kantigen, stoppelbärtigen Gesichtern.

Allen voran Milt Rice, der Banden-Chief, den Wyatt Earp aus der Stadt vertrieben hatte.

Der Arzt rannte ins Krankenzimmer. »Mister Earp. Ich… sollte Sie ja schonen und müßte es. Aber das kann ich Ihnen nicht verschweigen…

Milt Rice ist in der Stadt!« Das Gesicht Gilberts war aschgrau geworden.

Wyatt richtete sich halb auf und verzog schmerzlich den Mund. »Milt Rice? Sind Sie noch gescheit?«

»Es ist so, Marshal! Er ist drüben vor dem Grand Hotel angekommen! Mit sieben Mann!«

Wyatt langte mit der linken nach seinem Waffengurt, zog den Buntline-Revolver heraus und preßte die Zähne vor Schmerz zusammen, als er sich etwas vorbeugte.

»Sie dürfen sich nicht bewegen, Earp!« rief der Arzt verstört. »Wenn die Wunde in der Brust aufbricht…«

»Helfen Sie mir, Doc! Bringen Sie mich vorn ins Zimmer ans Fenster!«

»Sie dürfen das Bett nicht verlassen, Wyatt! Wenn Sie aufstehen, dann sind Sie verloren. Sie haben zuviel Blut verloren. Damned, so glauben Sie mir doch! Was wollen Sie überhaupt? Sie können doch nicht mit ihm kämpfen. Geben Sie den Colt her!«

Wyatts Linke umspannte den schweren Revolver, die Rechte krallte sich in das weiße Laken. Er zerrte sich hoch, sein blasses Gesicht wurde flammendrot. »Dann stehe ich eben allein auf!«

Der Arzt sprang hinzu. »Sie verdammter Dickschädel! Sie werden nicht weit kommen…«

*

Nachdem er damals aus der Stadt geflohen war, hatte Milt Rice sich oben in den Bergen aufgehalten. Aus den Resten seiner Bande hatte er eine neue Crew aufgebaut. Zwei Landstreicher hatten sich ihm zugesellt.

Unablässig hatte er darauf gewartet, sich an Wyatt Earp für den empfindlichen Schlag rächen zu können.

Da war nun Gap Flanager mit der Nachricht aus der Stadt gekommen, Wyatt sei von einem Fremden zusammengeschossen worden. Auch die beiden Deputies habe es erwischt.

Die Bahn war also frei.

Milt Rice war zurückgekommen.

Mit sieben Mann.

Er zog gleich wieder in sein altes Quartier, in das Grand Hotel ein.

Der Bruder des von ihm ermordeten Besitzers kam zögernd auf den Ruf des Banditen in die Halle. »Hör zu, Robinson – du wirst dafür sorgen, daß es uns an nichts fehlt. Wenn das nicht klappt, wird es dir schlecht ergehen!«

Die Banditen machten sich nun in der Halle breit, flegelten sich auf die mit hellgelbem Plüsch bezogenen Sofas, legten ihre schmutzigen Stiefel auf die weißen Tischdecken, spuckten auf die Teppiche und gebärdeten sich überhaupt wie die Wilden.

Clint Hoover stand drüben in seinem Eckzimmer und blickte düster auf die Frontstreet hinaus.

»Jetzt gäbe ich doch was drum, wenn Doc Holliday nicht gegangen wäre«, murmelte der Major vor sich hin.

»Du hast ihn doch aus der Stadt getrieben!« begehrte die Tochter auf.

»Seid still!« mahnte die Frau des Bürgermeisters. »Holliday allein könnte die Bande auch nicht aufhalten.«

»Roberts, dieser Esel, hat den Marshal gehandicapt!« rief Hoover. »Damit sind wir allesamt erledigt. Ich bin sicher, daß Milt Rice nun all das ausführen wird, woran ihn Wyatt Earp damals gehindert hat. Und durch die Schlappe, die er gegen den Marshal erlitt, ist er zweifellos noch härter geworden…«

Er war härter geworden, der Bandit, der aus den Bergen gekommen war. Viel härter und tödlich entschlossen. Er würde jetzt kurzen Prozeß machen. Und wer sich ihm in den Weg stellte, wurde rigoros niedergeknallt.

Der Pferdeknecht aus McIntoshs Mietstall unten am Arkansasufer hatte es erfahren, ebenso Bob Laugher, der in der Bank arbeitete und Sim Abbogat auch. Mit lebensgefährlichen Verletzungen hatten die Leute sie von den Straßen geholt.

Milt Rice führte ein hartes Regiment.

Diesmal würde er sich nicht im letzten Augenblick vertreiben lassen. Ganz sicher nicht. Das hatte sich der Verbrecher geschworen. –

Doc Gilbert stand neben Wyatt und blickte zum Grand Hotel hinunter.

Der Marshal saß in einem hochlehnigen Sessel, er hatte den langläufigen Buntline-Colt in der Linken.

Das Fenster war leicht angehoben, so daß Wyatt hinausschießen konnte, wenn es notwendig war.

Unbeweglich hing die Gardine vor den beiden Männern.

Plötzlich zuckte Gilbert zusammen und griff nach seiner hämmernden Schläfenwunde. »Da kommt er!«

Ja, drüben trat jetzt Milt Rice aus dem Hoteleingang.

Er hatte eine lange, dünne Virginia zwischen den Lippen, war frisch rasiert, hatte die Hände in den Taschen und blickte die Straße hinunter. Ganz langsam überquerte er den Vorbau, kam über die Straße und hielt, genau auf das Arzthaus zu.

Wyatt hatte den Revolver hochgenommen, er spannte nun geräuschlos den Hahn.

Milt Rice ahnte nicht, daß er vor der Mündung eines so gefährlichen Revolvers spazierenging.

»Er kommt hierher!« stieß der Arzt leise durch die Lippen.

Milt Rice hämmerte in diesem Augenblick schon gegen die Haustür. »Doc! Mach auf!« rief er laut.

»Öffnen Sie!« sagte Wyatt.

Der Arzt ging zögernd zur Tür.

Als der Bandit ins Zimmer trat und sich dem Marshal gegenübersah, blieb er wie angewurzelt stehen. Aber sein Schrecken verflog rasch, als er Wyatts kalkiges Gesicht erblickte.

»He! Dachte ich mir’s doch! Wyatt ist also hier! Wie geht’s, Marshal? Lange nicht gesehen.«

Wyatt erwiderte nichts auf diesen Spott.

Rice sah erst jetzt den Revolver in der Hand des Missouriers. »Hallo! Das ist ja ein ungemütlicher Empfang!« rief er schrill und lachte dabei unsicher.

»Was wollen Sie?« fragte der Arzt mit belegter Stimme.

Rice blickte unverwandt in das kantige Gesicht des Marshals. »Wenn du schießt, Earp, machen meine Leute die Stadt dem Erdboden gleich, darauf kannst du dich verlassen! Ich gehe jetzt wieder. Und ich werde warten, bis du wieder hoch kommst. Bist du in drei Tagen nicht auf den Beinen, gebe ich dir den Rest! In drei Tagen schießen wir uns da draußen! Wir beide – du und ich!«

Damit wandte der Bandit sich ab und ging hinaus.

Wyatt blickte mit glasharten Augen hinter ihm her, wie er im flutenden Sonnenlicht die breite Straße überquerte.

Doc Gilbert preßte die Zähne aufeinander. Dann ging er zum Schrank und nahm eine große Whiskyflasche heraus. »Ich muß einen Schluck trinken. Sie auch?«

Wyatt schüttelte den Kopf.

Gilbert goß sich ein halbes Wasserglas voll. Ehe er trank, setzte er das Glas wieder ab. »Wenn ich es richtig überlege, bin ich an Ihrem Unglück schuld. Ich war es, der Sie hier festgehalten hat. Weil ich glaubte, Dodge City brauchte so einen großen, starken Mann. Und es war auch so. Aber es ist auch so, daß das Gesindel sich wie die Aasgeier immer wieder einfindet, wenn der Löwe verwundet ist!«

Wyatt blickte verbissen vor sich hin. Damned! Wenn es wenigstens einem der beiden Deputies bessergehen würde. Aber Calligan lag daheim im Bett und würde Wochen brauchen, um auf die Beine zu kommen; und Bat Mastersons Rückenverletzung hatte sich als lebensgefährlich erwiesen.

*

Es war so, als hätte sich zwischen den Maitagen und jetzt nichts geändert in der Stadt. Milt Rice hatte wieder revolverschwingend die Herrschaft an sich gerissen.

Als Jack Brisbane ihn in die Stadt hatte reiten sehen, hatte er erst abgewartet.

Gegen Abend war er dann auf das Hotel zugegangen.

Rice stand auf dem Vorbau. »Wer bist du?«

Der Texaner grinste. »Cass Brisbanes Bruder.«

Rices Gesicht hellte sich sofort auf. »Come on, follow! Hast du etwas Wyatt Earp von den Beinen geholt?«

»Yeah – aber ich bin nicht sehr stolz darauf. Irgend so ein halbblinder Kerl hat ihm die Tür in den Rücken geworfen. Sein linker Arm flog nach oben, und ich konnte schießen.«

»Das hast du ja auch gründlich besorgt«, versetzte Milt feixend. »Ich sage nicht, daß du nicht glücklich darüber bist, fellow: Der Marshal hätte dich sonst todsicher erwischt.«

»Das eben wollte ich sehen.«

Der Bandit lachte breit und zeigte sein unappetitliches Gebiß. »Du bist ein Gemütsmensch, Brisbane. Aber das war dein Bruder auch. Trotzdem haben sie ihn fertiggemacht.«

»Wie war das eigentlich?«

»Er hat sich mit Doc Holliday geschossen.«

»War es hier?«

Der Sheriffsmörder streckte den Arm aus. »Genau da, wo du stehst, da fiel er in den Sand. Holliday hatte ihn sofort erwischt.«

Der große Texaner schluckte. Sein spitzer Adamsapfel rollte auf und ab. »Worauf wartest du, Rice?«

»Ich habe dem Marshal drei Tage gegeben. Dann muß er sich mit mir schießen.«

Brisbane lachte hart auf. »Du bist ein Halunke, Milt Rice. Du weißt genau, daß er in drei Tagen nicht hochkommt. Aber du willst jedermann sagen können, was für eine Chance du ihm gegeben hast und welch ein fairer Mann du bist.«

Rice blinzelte den anderen an. »Und wenn es so wäre?«

»Deine Sache.«

»Eben.«

Rice wandte sich halb ab. »Machst du mit?«

»Sicher. Ich habe unten im Panhandle alles verkauft. Wenn ich hier fertig bin, reite ich weiter.«

»Wohin?«

»Ich suche Doc Holliday.«

»Hoffentlich hast du damit auch soviel Glück. Das mit dem Marshal – das war mehr Glück als sonstwas.«

»Ich weiß. Ich hätte ihm eine Woche gegeben, nicht drei Tage.«

»Du bist ja auch wahnsinnig«, versetzte der Bandit kalt. »Du kennst diesen Wolf nicht. Er ist glatt imstande, sich in einer Woche wieder hochzurappeln. Und wenn du ihn nur einmal schießen gesehen hättest, wärest du bedient!«

»Weshalb erledigst du ihn dann nicht gleich?«

Rice grinste wieder und kratzte sich das Kinn. »Weil ich hier in der Stadt etwas werden will. Weil ich nicht möchte, daß die Leute einmal sagen können: Er hat den großen Wyatt Earp ermordet.«

»Hast du nicht auch den Sheriff erschossen?«

»Nein, das war Salt Cunnings!« log der Bandit frech.

Er hatte seine hochfahrenden Pläne also immer noch nicht aufgegeben, der Sheriffmörder. Immer noch träumte er davon, in dieser Stadt ein Reich errichten zu können. Er war nicht klug genug, sich zu sagen, daß alles, was mit Terror aufgebaut wurde, durch Gewalt wieder verschwinden mußte. So gerissen er sonst auch war, dieses Naturgesetz war ihm unbekannt.

Vielleicht wollte er es auch nur nicht kennen.

Und es gab noch etwas, das den Verbrecher wieder hergetrieben hatte: In den langen Sommernächten hatte er immer wieder ein Mädchengesicht vor sich gesehen, das von berückender Schönheit war. Ein Augenpaar, das ihn einmal in einer heißen Minute haßerfüllt angesehen hatte.

Er würde sie bekommen! Sie mußte seine Frau werden, die schöne Jenny Hoover. Und niemand sollte ihn daran hindern!

Gleich an diesem Abend würde er dem Mädchen seine Absicht mitteilen. Das hatte er sich fest vorgenommen.

Als die Dunkelheit hereingebrochen war, machte er sich auf den Weg.

Jenny stand im Garten und nahm Wäsche von der Leine, als Milt Rice über den niedrigen Zaun jumpte.

Das Mädchen schrak zusammen.

»Nichts da, Täubchen, ich bin’s!« rief der Verbrecher.

Jenny war so erschrocken, daß sie nicht fähig war, einen Laut von sich zu geben. Wie erstarrt stand sie da und blickte in das fahle Gesicht des Mannes.

Milt Rice war dicht herangekommen und sah gierig in ihre vor Angst flatternden Augen. »Du – ich bin gekommen, um dir was Nettes zu sagen. Eine Neuigkeit gewissermaßen. Du – du wirst meine Frau!« Er lachte unangenehm und kratzte sich das Kinn.

Jenny riß die Augen auf und rang verzweifelt nach Atem.

Da erschien oben an der Hoftür der Major.

Er erschrak ebenso wie seine Tochter, als er den Banditen erkannte.

»Hoover, ich habe deiner reizenden Tochter eben erklärt, daß sie meine Frau werden wird. Ich hoffe, du hast nichts dagegen, sonst wirst du auf meinem Hochzeitstag drüben vor der City Hall an einem Hanfstrick baumeln! Hahahahaha! Schade, daß mein alter Freund Salt Cunnings das nicht mehr erleben kann, es wäre ein Hauptspaß für ihn gewesen! Ich besuche jetzt den Reverend oben in seinem Fuchsbau, es soll eine richtig schöne Hochzeit werden. Wie es sich gehört! Hahahaha!«

Mit grünlichem Gesicht stierte der Major dem Mann nach, der jetzt wieder über den Zaun auf die Straße sprang.

Jenny war einer Ohnmacht nahe.

Als die Nacht hereingebrochen war, stahl sich der Bürgermeister aus dem Haus, überquerte einige Höfe, bis er den Hinterhof des Doktorhauses erreicht hatte.

Gilbert blickte ihm finster entgegen. »Was wollen Sie?«

Hoover nahm den Hut ab. »Doc, ich muß mit dem Marshal sprechen!«

Gilbert sah den Major finster an. »Der wird wohl kaum für Sie zu sprechen sein.«

»Ich muß mit ihm sprechen. Es geht um meine Tochter!«

»Um Jenny?«

»Ja, Milt Rice war vorhin bei uns im Hof und hat gesagt, daß er Jenny heiraten wolle.«

Dem Arzt verschlug es für einen Augenblick die Sprache. Dann lachte er hart auf. »Und was soll Wyatt Earp dabei? Vielleicht den Trauzeugen spielen? Er kann sich selbst kaum rühren ohne Schmerzen…«

»Ich muß mit ihm sprechen!« beharrte der Bürgermeister mit bebender Stimme. »Haben Sie doch Erbarmen, Doc!«

»Na gut, warten Sie hier, ich will sehen, wie es ihm geht und ob er Sie sehen will.«

Es dauerte eine Minute, dann kam der Arzt zurück. »Sie sollen reinkommen«, sagte er dumpf. »Aber das eine kann ich Ihnen versichern: Wenn Sie mir den Mann aufregen, stampfe ich Sie in den Boden. Er ist der wichtigste Mann in der Stadt. Und wenn von einem Hilfe zu erhoffen ist, dann nur von ihm.«

Auf leisen Sohlen stahl sich der Major in das Krankenzimmer.

Wyatt blickte ihm nicht eben freundlich entgegen.

»Ich komme mit einer Frage zu Ihnen«, stieß der Major, durch die düstere Stille des Raumes beeinflußt, leise hervor.

»Ja?«

»Milt Rice will meine Tochter heiraten.«

Doc Gilbert schob sich hinter dem schweren Mann in den Raum. »Na also, wenigstens eine erfreuliche Botschaft!« spöttelte er gallig.

»Er war vorhin bei uns im Hof und hat es uns mitgeteilt. Ich flehe Sie an, Marshal, Sie müssen mir helfen!«

Da packte der Arzt den Bürgermeister an den Rockaufschlägen und zog ihn ergrimmt zu sich heran. »Hören Sie zu, Hoover, jetzt ist das Maß voll. Sie haben, solange Wyatt Earp in der Stadt ist, nichts getan, als dem Mann Schwierigkeiten gemacht. Und jetzt, da er sich nicht rühren kann, verlangen sie von ihm, daß er ausgerechnet Ihnen helfen soll? Jetzt reicht’s Clint Hoover! Aber endgültig!«

Der schwere Mann zitterte vor Angst. »Was soll ich denn tun? Er ist doch der Marshal. Er muß mir doch helfen können!« stammelte er.

»Ich habe gesagt: mir reicht’s!« wiederholte der Arzt böse. »Der Mann ist sterbenskrank, hat zwei Kugeln im Leib gehabt, wird von einem Banditenhaufen bedroht und soll Ihnen noch helfen? Sie sollen sich schämen, Hoover! Helfen Sie sich selbst. So wie es in der Bibel steht.«

Der Missourier seufzte verzweifelt auf. »Heute wird er Jenny ja wohl nicht holen kommen«, sagte er müde.

»Aber vielleicht schon morgen«, versetzte der Bürgermeister drängend. »Bitte, Marshal, Sie müssen mir helfen!«

»Wenn der Doc es erlaubt, können Sie morgen früh ihre Tochter herschicken. Vielleicht beruhigt Sie das.«

Da ergriff Hoover die Hand des Verwundeten. »Marshal, ich weiß, daß Sie bis zum letzten Atemzug für sie kämpfen werden. Ich danke Ihnen…«

*

Der dritte Tag war angebrochen.

Wyatt hatte sich früh am Morgen aus dem Bett gezogen, eine stärkende Mahlzeit zu sich genommen und in dem großen Sessel am Fenster Posten bezogen.

»Was soll das«, spuckte der Arzt. »Träumen Sie ernsthaft davon, morgen auf die Straße gehen zu können?«

Es lag stumm zwischen den beiden Männern: Wenn Wyatt Earp fiel, war die Stadt gefallen.

Und die Einwohner von Dodge, wußten es genau. Aber sie wußten auch, wie krank ihr Marshal war. Sie hatten keine Hoffnung mehr. Der Bandit würde ihn rücksichtslos erschießen und dann seine Herrschaft über die Stadt ausbreiten. Allein die Gegenwart des noch lebenden Marshals Wyatt Earp hinderte Milt Rice daran, irgendwelche Maßnahmen zur Übernahme der Stadt zu ergreifen. Er brauchte den persönlichen Sieg über Wyatt Earp und dessen Tod.

Der bevorstehende Kampf mit dem Marshal machte ihn dennoch ganz krank.

Obgleich er wußte, daß Wyatt Earp schwer verwundet war, bebte er in seinem Innern vor dem von ihm selbst großtuerisch geforderten Duell. Er hatte einen höllischen Respekt vor den Schießkünsten des Missouriers.

Aber was würde der kranke Mann ihm entgegensetzen können? Gar nichts. Er war fertig.

Und er, Milton Joseph Rice, der einstige Holzarbeiter aus Rapid City, er würde von sich sagen können, daß er den großen Schützen Wyatt Earp im offenen Duell besiegt hatte. Dieser Nervenkitzel allein war es, der den Banditen zu der Forderung getrieben hatte.

Trotzdem versäumte er nicht, seine Leute genau zu instruieren. Jeder hatte einen Platz auf dem Vorbau vor dem Hotel, wo er zum Zeitpunkt des Duells zu stehen hatte.

*

Am Abend des dritten Tages begleitete Doc Gilbert Jenny heimlich bei völliger Dunkelheit aus der Stadt.

Man war auf den Gedanken gekommen, sie auf Huttons Ranch zu verstecken.

Gilbert hatte durch einen Nachbarn zwei Pferde am Ende der Gasse bereitstellen lassen.

Es klappte alles.

Die beiden Tiere waren am vereinbarten Platz. Der Junge des Nachbarn hatte sie gesattelt.

Im Trab verließen Gilbert und das Mädchen die Stadt.

Spät in der Nacht ritten sie in den

Ranchhof ein.

Vormann Fenners blickte ihn neugierig entgegen. »Was wird denn das?« fragte er nicht gerade freundlich.

»Ist Mister Hutton im Haus?« rief Gilbert.

Fenners nickte. Dann rief er einen jungen Cowboy an und befahl ihm, die beiden zum Rancher zu bringen.

Hutton begrüßte den Arzt und das Mädchen, bot Ihnen zwei Sessel an und hörte mit zunehmendem Unbehagen, was Gilbert ihm vorschlug.

Er war kein sonderlich hilfreicher Mann, der wohlhabende Rancher Douglas Hutton. Und das zeigte er auch sofort. »Tut mir leid, Miß, daß ich ablehnen muß. Doc Gilbert wird mich verstehen. Ich kann es mir einfach nicht leisten, mir wegen einer so unwichtigen Sache eine Banditenschar auf den Hals zu hetzen. Vielleicht übernimmt Rice morgen die Stadt. Was glauben Sie wohl, was er mit meiner Ranch anstellt, wenn er erfährt, daß ich das Mädchen hier versteckt habe? Er zündet sie einfach an…« Hutton wiegte den Kopf und hob beschwörend die Hände. »Das müssen Sie wirklich einsehen, Doc. Ihr in der Stadt habt es immer besser, ihr seid nie so allein, habt immer irgendeinen Schutz…«

»Wir erleben es gerade«, unterbrach ihn Gilbert rauh und erhob sich. »Sparen Sie sich alle weiteren Worte, Mister Hutton. Es freut mich, in Ihnen heute einen wahren Gentleman kennengelernt zu haben. Seien Sie versichert, daß ich das nie vergessen werde.«

Die beiden verließen die Ranch und ritten langsam nach Süden zurück. Als sie an der kleinen Rood-Ranch vorbeikamen, deutete der alte Arzt auf die drei Blockhäuser. »Da ist noch Licht, Old Bully ist noch wach. Wie wär’s, wenn wir es bei ihm versuchten?«

Jenny, die vor Angst am ganzen Leib zitterte, war sofort einverstanden.

Old Bully kam gleich in den Hof, als er den Hufschlag hörte.

»Ich bin’s, Doc Gilbert!« rief der Arzt.

Begierig, eine Neuigkeit aus der unruhigen Stadt zu erfahren, führte der Alte die beiden ins Haus.

Franky, der ebenfalls den Hufschlag gehört hatte, kleidete sich in Windeseile an und kam in die Wohnstube.

Doc Gilbert trug sein Anliegen vor.

Der alte Rancher nickte sofort. »Selbstverständlich kann Miß Hoover hierbleiben. Und wenn Rice kommt, spucke ich ihm mit meiner alten Parkerflinte eine Ladung gehacktes Blei entgegen! Das schwöre ich euch…«

Jenny bekam eine kleine Stube und war glücklich, als sie sich endlich zur Ruhe legte.

Doc Gilbert ritt allein durch die Nacht zur Stadt zurück.

Und Franky ging in sein Zimmer. Aber er legte sich nicht hin. Er nahm einen Zettel und kritzelte darauf: »Lieber Großvater, ich komme bald wieder.« Dann nahm er die kleine Winchester seines Vaters, lud sie durch, hängte sie sich über die Schulter und kletterte aus dem Fenster.

Ein paar Minuten später führte er ein flinkbeiniges Pony aus dem Stall, brachte es ein Stück vom Wohnhaus weg, schwang sich auf und galoppierte los.

Doc Gilbert machte nicht gerade ein geistreiches Gesicht, als ihm daheim in seinem eigenen Hof der kleine Bursche entgegenkam.

»Was ist denn das? Sehe ich schon Gespenster?« stieß der alte Mann verstört hervor.

»Sicher nicht, Doc. Ich habe unterwegs einen weiten Bogen um Sie gemacht, weil Sie mich sonst zurückgeschickt hätten. Ich bleibe hier. Der Marshal ist mein Freund.«

Als Wyatt den Jungen sah, lächelte er schwach. »Es ist lieb von dir, Franky. Aber du kannst mir doch nicht helfen.«

»Wer weiß! Ich kann mit meiner Winchester gut umgehen. Schade, daß ich es dir nicht zeigen kann. Wenn die morgen unfair werden, knalle ich dazwischen, darauf kannst du dich verlassen!«

Wyatt lachte und mußte den Knirps wohl oder übel dabehalten.

Als der Morgen anbrach, erhob er sich von seinem Lager und kleidete sich völlig an.

Franky, der längst die Augen offen hatte, sah die Silhouette des großen Mannes gegen das Fenster. Er sah, wie der Marshal den Waffengurt umschnallte, den großen Revolver im Halfter lockerte und ihn dann schnell zog.

Unzählige Male übte er den Griff.

Franky hatte sich aufgestützt und sah dem Mann mit weit aufgerissenen Augen und offenem Mund zu. Auf einmal platzte er los: »Das ist ja toll, Mister Earp. Es gibt keinen Mann, der schneller zieht!«

Wyatt kam an das Bett des Kleinen und setzte sich. Jede Bewegung verursachte ihm höllische Schmerzen. Sanft streichelte er den blonden Schopf des Jungen. »Weißt du, Franky – das schnelle Ziehen macht es noch nicht…«

»Aber du triffst doch auch wie kein zweiter!« unterbrach ihn der Kleine.

»Auch das macht es nicht. Es ist die Situation, die das Duell bestimmt. Ich stehe nicht sicher und fest auf den Beinen. Dann fragt es sich, wie lange ich stehen muß. Ich haben ein Rauschen im Kopf – und wenn ich länger stehen muß, schwanke ich. Dagegen läßt sich nichts machen.«

Franky schluckte. »Du müßtest eben sofort schießen!«

Wyatt lächelte matt. »Das geht nicht. Ein Duell muß fair ausgeführt werden.«

»Glaubst du, daß Milt Rice fair ist?«

»Wahrscheinlich nicht, Franky – aber ich muß es sein.«

Der Junge nickte. Dann stieß er hervor: »Wenn er dich erschießt, durchlöchere ich ihn. Ich lege mich oben in das Bücherzimmer des Docs und passe scharf auf.«

»Das wirst du nicht tun. Wenn dich einer der Banditen sieht, schießt er auf dich, und wir können nicht einmal etwas sagen!«

Franky biß die Lippen zusammen.

Wyatt ging hinaus durch den Korridor in den Hof.

Der Morgen kroch silbergrau über die Dachfirste und versprach einen klaren, heißen Tag.

Wyatt stützte sich gegen die Planke eines kleinen Wagens und zog die frische Luft tief in die schmerzenden Lungen.

Da öffnet sich die Tür, und Doc Gilbert stand in ihrem Rahmen, auch völlig angekleidet. »Meine Frau macht schon den Kaffee fertig.« Er blickte in den Himmel. »Ein schöner Tag wird das…«

Wyatt nickte.

Dann kam der Doc auf dem Missourier zu. »Es ist Wahnsinn, Wyatt. Sie können nicht kämpfen. Ich werde es ihm laut sagen. So laut, daß es die ganze Straße hört.«

Wyatt schüttelte den Kopf. »Das geht nicht, Doc.«

Gilbert ging zum Hoftor, öffnete es knarrend und blickte in die kleine Holvestreet.

»Diese Feiglinge!« zischte Gilbert. »Kein Mensch ist zu sehen. Wenn der Blacksmith nicht krank im Bett läge, wäre er der einzige, der käme.« Gilbert ging zurück ins Haus und kam nach einer Weile mit einer 44er Winchester zurück. »Die behalte ich auf jeden Fall in der Hand. Und ich bleibe vorn in der Tür stehen.«

»Aber, Doc, die schießen Sie doch sofort zusammen!«

Langsam kroch der Tag in den Hof. Er beleuchtete alle Gegenstände peinlich scharf und gab ihnen ein hartes Aussehen. Es war nicht zu ändern: Der Morgen des vierten Tages war angebrochen.

»Wir können uns an den Tisch setzen, Wyatt!«

Der Marshal nickte. Langsam humpelte er hinter dem Arzt ins Haus.

Schweigend saßen die beiden Männer mit der Frau um den Tisch.

Dann kam Franky herein. Er rümpfte die Nase. »Ho, wie ist das hier still…«

Wyatt lachte. »Du kannst ja ein bißchen Krach machen. Aber das geht auch wieder nicht, weil der Doktor das Haus voller Patienten hat…«

Nach dem Frühstück ging Wyatt in den Raum, in dem Bat Masterson lag.

Der blinzelte ihm trübe und zerknirscht entgegen.

»Wie geht’s, Bat?«

»Gut, Marshal!«

»Wird schon wieder werden.«

In den Augen des Kranken stand eine stumme Frage.

Wyatt nickte. »Es muß sein, Bat. Es gibt so ein paar Dinge auf dieser Welt, die müssen eben durchgebissen werden. Vielleicht ist es in fünfzig Jahre anders. Vielleicht hat es dann kein Mensch mehr nötig, mit einem Colt am Leib durch die Landschaft zu reiten, ständig sein Leben mit Pulver und Blei verteidigen zu müssen.«

Der Bursche mühte sich, den Kopf ein wenig anzuheben. »Ich bin ein Unglücksrabe, Marshal. Sie glauben gar nicht, wie elend mir jetzt zumute ist, weil ich hier im Bett liegen soll, während Sie kämpfen müssen – kämpfen für uns alle. Für die ganze Stadt!«

Wyatt schüttelte den Kopf. »Keine Sorge, Junge. Ich habe schon oft allein dagestanden.« Aber er wußte selbst, daß ihm gar nicht so sicher zumute war, wie er sich mühte vorzugeben. Im Gegenteil; er fühlte sich hundeelend, matt, schwach, schlapp, taumelig und benommen. Kraftlos hingen Arme und Beine an seinem schmerzenden Körper.

Aber was half das alles!

Milt Rice hatte ihn zum Duell gefordert.

In der Frontstreet herrschte reges Leben.

Leben, das die Banditen schufen. Sie liefen aufgeregt hin und her und schienen stark beschäftigt zu sein.

Gilbert stand vorn im Zimmer zur Straße hin und kaute nervös an seiner Zigarette. »Es ist zum Heulen, wie man seine alten Tage verbringen muß«, knurrte er. »Ich möchte bloß wissen, welcher Teufel mich geritten hat, als ich vor dreißig Jahren aus dem friedlichen schönen St. Louis weggezogen bin.«

Im Generalstore stand Tub Leevery und starrte auf die Straße. Er wußte, was heute geschehen sollte. Er wußte es, wie alle anderen auch.

Der todkranke Marshal würde sich mit dem Verbrecher Milt Rice duellieren.

Leeverys Hände waren schweißnaß. Was geschah, wenn Rice dieses Duell gewonnen hatte? Und er mußte es ja gewinnen.

Nebenan stand hinter der dicken Gardine des Barbershops der kleine Fred Roberts. Dicke Schweißtropfen standen auf seiner zerfurchten Stirn. »Ich habe ihn in den Tod getrieben!« flüsterte er immer wieder vor sich hin. »Ich allein bin schuld daran. Nur ich!« Und plötzlich wandte er sich um, riß eine Schublade auf und nahm einen alten Revolver heraus. Mit zitternden Fingern ließ er die Trommel rotieren. Sie war leer.

Er suchte Patronen.

Er hatte keine im Haus.

Durch die Hoftür lief er zum Nachbarhaus.

Mit verstörtem Gesicht trat ihm Tub Leevery entgegen. »Robert, was wollen Sie?« stotterte er.

»Patronen!«

»Patronen?«

»Yeah – Patronen! Sechs Stück! Und schnell!«

Leeverys Hände zitterten. »Sind Sie wahnsinnig, Robert, was wollen Sie denn mit Patronen?«

»Geben Sie mir sechs Patronen!« zischte der kleine Mann.

Leevery ging ins Haus zurück. »Kommen Sie!«

Drei Minuten später verließ der Barbier mit gefüllter Colttrommel den Generalstore wieder durch die Hoftür.

In der kleinen Halle des bescheidenen Hotels London herrschte Totenstille.

Zwei Männer standen am Fenster und äugten durch die Gardinen auf die Straße.

Lewt Adams, der Besitzer und sein Sohn Harry.

Plötzlich wandte Harry sich um.

»Was hast du vor?« fragte der Vater.

»Ich hole mein Gewehr!«

»Bist du wahnsinnig?«

Harry stürmte nach oben.

Es gab noch ein paar andere Leute, die sich nicht damit begnügten, daß ihnen dieser Morgen das Herz abschnürte.

Babe Asmussen zum Beispiel, der Blacksmith mit dem zerschossenen Bein. Mit einer selbstgefertigten Krücke humpelte er um zehn nach sechs auf den Hof, durch den Laufweg hinüber in den Hof des Arztes.

Gilbert und der Marshal sahen ihn verblüfft an.

»Was soll denn das?« polterte der Doc.

»Mann, mit dem zerschossenen Bein kommen Sie hier an!« rief auch der Marshal.

»Ruhe!« knurrte der Schmied und nahm seinen uralten Loope-Colt aus dem Hosenbund, ließ die Trommel klickend rotieren und hockte sich auf einen Schemel am Fenster. »Hier bleiben ich – so lange, bis ich umfalle!«

Wyatt sah auf den kahlen Schädel des Blacksmith nieder, auf dem zahllose Schweißperlen glitzerten.

»Da ist er doch noch gekommen«, sagte der Arzt. »Wo ist der Junge?«

In diesem Augenblick trat Milt Rice drüben aus dem Eingang des Hotels.

Er hatte sich ein weißes Hemd angezogen und seinen staubigen Filz gegen einen neuen grauen Stetson eingetauscht.

Sporenklirrend und mit federndem, siegesbewußten Schritt überquerte er den Vorbau und ging mitten auf die Straße.

Seine Leute hatten sich auf ihren Plätzen aufgestellt.

Wyatt öffnete die Haustür und trat auf den Vorbau. Als er die Treppe hinunterging, fühlte er, daß ihm schwindelig wurde. Siedendheiß hämmerte das Blut in seinen Schläfen.

Gilbert stand am Fenster und preßte die Zähne knirschend aufeinander. Der Anblick des schwankenden Mannes schnitt ihm ins Herz. Mit einem Ruck nahm er das Gewehr hoch.

Der Blacksmith stieß es hinunter. »Wir müssen warten, Doc!«

Mit langsamen, kurzen Schritten und bleichem Gesicht trat Wyatt Earp auf die Frontstreet.

Nie sollten die Dodger diesen Augenblick und diese bittere Stunde vergessen.

Mitten auf der Straße, fünfzehn Yards vor Milt Rice, blieb er stehen.

Als der Bandit in die eiskalten Augen des Missouriers sah, kroch ein würgendes Gefühl in seine Kehle.

Goddam! Wie hatte er sich auf diesen Wahnsinn einlassen können! Diese Augen da drüben, die fraßen ihn ja auf!

Der Verbrecher fühlte, daß seine Hände naß wurden und zu zittern begannen. Er warf einen schnellen Blick zu seinen Leuten hinüber.

Sie würden ihn retten, falls der Marshal doch schneller schoß. Auf jeden Fall.

Verwünscht! Daß er sich auch alles so genau festgelegt hatte! Jetzt mußte er ja noch reden.

»Earp!« rief er mit krächzender Stimme, die gar nicht aus seiner eigenen Kehle zu kommen schien. »Ich habe dich zum Kampf gefordert! Wir beide werden es allein ausmachen. Und die Männer von Dodge werden dann wissen, daß… daß es ein fairer Kampf war.«

Stille.

Und in diese Stille hinein drang ein dumpfes polterndes Rollen.

Die Männer auf der Straße lauschten und hoben die Köpfe.

Und dann brauste es von Osten heran. Die Overland-Kutsche donnerte in die Mainstreet.

Die Overland war noch sieben Yards hinter ihm.

In dieser Sekunde schoß Milt Rice.

Seine Kugel pfiff am Kopf des Marshals vorbei.

Der Buntline-Revolver flog in Wyatts Hand. Eine orangerote Mündungsflamme schoß hoch. Das glühende Bleigeschoß saß in Rices rechter Hand.

Mit einem Schrei riß der Bandit den linken Colt hoch, aber da brach der Wirbelwind über die Straße…

Aus der durchrasenden Kutsche sprang ein Mann. Er trug einen eleganten dunklen Anzug und einen dunklen Hut. Wie ein Federball wurde er auf die Straße geschleudert.

Zwei Yards neben dem Marshal hielt er wie ein Phantom inne, stand bewegungslos da.

In seinen beiden Händen blitzten die Revolver auf.

Die Schüsse peitschten über die Straße.

Sie fielen hageldicht und rasendschnell.

Milt Rice sank mit seiner Kugel im Herzen nach vorn aufs Gesicht.

Und die sieben Männer oben auf dem Vorbau kippten mit ihren hochgerissenen Revolvern wie die Fliegen über das Geländer.

In weniger als einer Minute war der ganze Spuk vorüber.

Weißgrauer Pulverdampf vernebelte die Straße.

Der Missourier starrte in das kalt feixende Gesicht des Mannes, der neben ihm stand und so, als wäre nichts geschehen, seine Colts auflud.

Oben im Doktorhaus flog ein Fenster hoch. »Doc Holliday!« brüllte der kleine Franky.

Der Barbier zerschlug mit seinem Colt die große Frontscheibe seines Shops und kreischte. »Doc Holliday!«

Cap Collins stürzte auf die Straße. »Holliday!«

Dann war es einen Augenblick still.

Der Pulverrauch verzog sich.

Der Spieler nahm die beiden Revolver bei den Läufen und hielt sie dem Marshal hin. »Das Tragen von Schußwaffen ist ja wohl in der Stadt verboten, Marshal. Pardon!«

Als Wyatt die beiden Colts genommen hatte, fuhr sich Doc Holliday mit dem rechten Handrücken übers Kinn und blickte in das bleiche Gesicht des Missouriers. Dann deutete er auf den Long Branch Saloon. »Wir werden einen Scotch nehmen.«

Wyatt ließ den Kopf sinken. Seine Brust hob und senkte sich schwer. Dann wandte er sich um und ging humpelnd hinter Holliday her auf den Saloon zu.

Draußen auf der Straße stürmten die Menschen in hellen Scharen zusammen.

»Der Marshal hat ihn getroffen – und Doc Holliday… Doc Holliday! Heavens, habt ihr das gesehen? Wie ein Spuk! Goddam, wie er aus dem Wagen flog, die Beine vorstreckte und schoß, als hielte er sich an den Revolvern fest…«

Doc Gilbert, der auf dem Vorbau gestanden hatte, ging langsam ins Haus zurück. Als er in die Stube kam, sah er, daß der Blacksmith am Fenster zusammengesunken war.

Gilbert riß ihn hoch und drückte ihn in den Sessel. »Hier, trink einen Schluck!« Er hielt ihm die Flasche hin. »Wer hat dir gesagt, daß du aufstehen sollst…«

Mit zuckenden Lippen flüsterte der Schmied: »Er hat ihn getroffen! Goddam and bloddy run – er hat ihn erwischt. Trotz allem, er hat ihn erwischt!«

Gilbert rieb sich durch die Augen. »Yeah – das hat er. Und der Satan soll jeden in der Stadt braten, der diese höllische Stunde jemals vergißt!«

*

Wyatt Earp wurde bald wieder gesund.

Auch Bat Masterson kam wieder hoch. Steve Calligan, der zweite Deputy, fand sich auch wieder. Jeff Holmes, der dritte Mann mit dem Stern, ärgerte sich fürchterlich, daß er zu dieser Zeit mit einem Auftrag des Marshals in Topeka war.

Auch der Schmied stand bald wieder an seinem Amboß.

Der kleine Franky hatte seinen Marshalstern an der Jacke, als er durch die Frontstreet nach Hause ritt. Das Gewehr hatte er noch in der Hand. Es ging ja niemanden was an, daß er auf dem Brief, den Doc Holliday geschickt hatte, den Absenderstempel Great Brend ermittelt und dem Doc gestern einfach telegrafiert hatte…

Aber es gab sicher keinen glücklicheren Menschen am Abend jenes ereignisreichen Tages in der wilden Stadt Dodge City, als die hübsche Jenny Hoover. Auch wenn der zurückgekehrte Doc John Holliday es vermied, ihr in die Augen zu sehen, als er ihr im Dunkel der Stepwalks begegnete…

Wyatt Earp Staffel 2 – Western

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