Читать книгу Wyatt Earp Staffel 2 – Western - William Mark D. - Страница 9

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Freunde,

Ihr wißt, daß Wyatt Earp Marshal in Dodge City war, in der rauhesten Treibherdenstadt des Westens. Im Herbst, wenn die Cowtowns stiller wurden, wenn auch die Cowboys von den umliegenden Ranches mehr und mehr ausblieben, wenn die Büffeljäger wieder auf ihre Reise in den hohen Norden waren, dann verließ der Marshal die Stadt und setzte sich in den Sattel. Es gab vielerlei Beschäftigungsmöglichkeiten für einen Mann seines Schlages.

Anfang September 1876 war er mit seinem vierrädrigen Highländer unterwegs zu den Black Bills in South Dakota. Wenn er sehr viel Zeit hatte, nahm er zu weiten Reisen gern einen Wagen mit, um all das mitnehmen zu können, was er unter Umständen unterwegs brauchte. Er hatte sich ja nie vorher festgelegt. So wußte er auch jetzt noch nicht, ob er in den Goldgräberlagern um Deadwood arbeiten würde, oder ob er den ihm in einem Regierungsschreiben angebotenen Job als Begleiter von Landmessern annehmen sollte. Im Grunde war es ja einerlei, was er tat.

Er war schon ein sehr bekannter Mann in den Weststaaten, als er sich in jenem Herbst den schwarzen Bergen oben in Dakota mit seinem Gefährt näherte.

Die Geschichte, die nun folgt, Freunde, hat mir ein steinalter Mann erzählt, der am Rande der Stadt Deadwood lebt. Pat Coverleav ist einer der wenigen lebenden Männer, die den großen Marshal Wyatt Earp gekannt haben. Coverleav hat ihm sogar gegenübergestanden und in die Mündung seines berühmten Buntline-Revolvers gesehen. Der heute Hundertjährige sagte mir, daß es der höllischste Augenblick seines langen Lebens gewesen sei.

Der Reiter, der bewegungslos auf dem Hügel hielt, spähte die Straße hinunter.

Er trug eine scheußliche Maske. Eigentlich war sie nur ein schmutzig weißes Tuch, das den ganzen Kopf verhüllte. Die Zipfel fielen bis auf Brust und Schultern.

Das war nichts Ungewöhnliches unter Straßenräubern.

Aber um die Seh- und Atemschlitze waren häßliche Flecken gemalt. Und das machte die Maske so widerlich. Von weitem sah sie wie ein Totenkopf aus. Sie wirkte brutal wie ihr Träger selbst, dessen ganze Haltung eine einzige Drohung zu sein schien.

Ein grober Strick hielt das Tuch um den Hals des Mannes zusammen. Er baumelte auf den Rücken hinunter, so, als ob der Mann vom Galgen abgeschnitten worden ware.

Er trug eine schwarze Wyoming-Jacke, ein weißes Hemd und enge Lewis-Hosen. Tief an der rechten Hüfte hatte er einen schweren fünfundvierziger Colt, in dessen schwarzem Knauf ein elfenbeinernes Andreas-Kreuz eingelegt war.

Wenn der Reiter nicht ansehnlich war, so war es doch sein Pferd. Der hochbeinige Rappe stand wie aus Erz gegossen. So, als ob er wüßte, daß sein Herr absolute Ruhe brauchte.

»Da kommen sie!« rief er den drei Männern zu, die, hinter niedrigem Buschwerk verdeckt, auf der anderen Seite des Weges kauerten.

»Yeah, Boß!« rief ein riesenhafter Kerl, der ein kleines schwarzes Dreieckstuch vorm Gesicht trug. Er lief hinter den Büschen entlang, einen Hang hinauf und stand auf einem Gesteinsvorsprung, der in Reiterhöhe direkt über der Straße abfiel.

Der Boß war inzwischen von seinem Platz verschwunden. Er hatte seinen Rappen in ein hohes Gebüsch gedrängt. Als die Zweige hinter ihm zuschlugen, war wieder alles still.

Der Hüne oben auf dem Gesteinsbrocken hatte ein Lasso in der Hand. Er spähte noch die Straße hinunter und legte sich dann flach hin. Gespannt beobachtete er, wie aus einer dicken Staubwolke eine mit sechs Pferden bespannte Postkutsche herausschoß.

Es war die Wells-Fargo-Overland von Midland nach Deadwood.

Wild hieb der Kutscher auf die Pferde ein. Die enge Passage hier zwischen den Büschen am Hügel war ihm wohl nicht geheuer, da sie für einen Überfall wie geschaffen war.

Und schon stürmten zwei der Banditen aus dem Hinterhalt heraus und jagten auf ihren Gäulen neben der Kutsche her.

Umsonst versuchte die Overland, die Angreifer abzuschütteln. Die Rustler waren schneller als der schwerfällige Wagen und brachten mit ihren kehligen Schreien Verwirrung in das Gespann.

Der Riese auf dem Hügel sprang jetzt auf. Mit sicherer Hand schleuderte er dem ersten der Postpferde ein Lasso um den Hals. Dann jumpte er von dem Stein hinunter und schlang das andere Ende des Seils um einen Buschwurzelstumpf.

Mit einem scharfen Ruck spannte sich das Seil und das Pferd kam zu Fall. Gleich darauf wälzten sich auch die anderen Tiere des Sechsergespanns am Boden. Mit donnerndem Krach, gebrochener Deichsel und zertrümmerten Rädern stürzte die schwere Overlandkutsche auf die Seite.

In hohem Bogen wurde der Fahrer in den Sand geschleudert.

Eine gewaltige Staubwolke wirbelte hoch und stand sekundenlang über dem Schauplatz des Geschehens.

Der rotbärtige Mann von der Overland hatte den rechten Arm gebrochen. Dennoch riß er sich hoch, zog mit schmerzverzerrtem Gesicht den Colt aus dem Halfter und richtete ihn auf die herkulische Gestalt des Banditen, der das Lasso um das Leitpferd geworfen hatte.

Der Hüne hatte reglos das Abziehen der Staubwolke abgewartet. Als er jetzt sah, wie der Kutscher den Colt zog, zerrte er seinen eigenen Revolver aus dem Halfter und stieß ihn wie einen Stock nach vorn. Dreimal flog seine Linke flach über den Hammer.

Drei glühende Bleigeschosse schlugen in den Körper des Overlandmannes. Er fiel nach vorn und blieb mit ausgebreiteten Armen im Straßenstaub liegen.

Da ertönte die harte Stimme des Boß’ von den Büschen herüber: »Macht die Gäule los!«

Die drei Banditen schirrten sofort die Pferde aus.

Einen Augenblick nur standen die Tiere zitternd da, dann besannen sie sich und stürmten wie von Teufeln gejagt davon.

Der Riese schickte ihnen ein heiseres »Heiooh!« nach und trat dann an die umgestürzte Kutsche. Mit der Linken riß er den Wagenschlag auf, in der Rechten hatte er noch den Revolver.

Plötzlich fuhr er zurück, steckte den Colt ins Halfter und zog sich das Tuch vom Gesicht. Langsam wischte er sich mit der Hand über den Mund und stieß einen dünnen Pfiff durch eine Zahnlücke aus. »Bist du wahnsinnig!« brüllte der Boß aus seinem Versteck heraus. »Willst du uns alle an den Galgen bringen!«

Hastig knotete der Hüne sich wieder das Tuch vor das Gesicht.

Oben aus der hochgeschlagenen Tür der Kutsche kam der Kopf einer jungen Frau heraus. Sie hatte ein bildschönes blasses Gesicht mit dunklen Augen. Sie hob den Kopf und sah die Banditen mit angstgeweiteten Augen an. Dann entdeckte sie plötzlich den Toten im Straßenstaub. Ihr Gesicht wurde aschgrau und ihre Augen starr.

Der Hüne hatte seine Verwunderung geschluckt, trat wieder an die Kutsche heran und griff nach der Frau.

Sie schrie auf.

Der Mann zerrte sie hinaus und ließ sie auf den Boden nieder. Aber er hatte seine klobigen Fäuste noch um ihre Oberarme gekrallt und stierte ihr ins Gesicht.

Aus der Kehle der jungen Frau rang sich ein heiserer Schrei.

»Dunc!« zischte der Boß. »Laß sie los! Ich bin nicht daran interessiert, mir einen US-Marshal auf den Hals zu locken!«

»Sucht die Karre durch!« schnarrte die Stimme des Boß’ wieder los.

Und jetzt kam Leben in die Gestalten.

Dunc schwang sich auf die Kutsche hinauf und blickte in den offenen Wagenschlag hinein. »Heavens! Hier gibt’s ja noch so ein Gespenst! Komm raus, Süße!«

Wieder erschien der Kopf einer Frau.

Dunc fuhr zurück. »Goddam, das ist ihre Mutter!«

Der riesige Dunc packte die Frau am Arm, zerrte sie hoch und schob sie vom Wagen.

Sie landete zum Gespött der Männer auf dem Boden, richtete sich sofort auf und blickte mit wachsbleichem, besorgtem Gesicht auf die junge Frau.

Die Rustler machten sich geräuschvoll an die Durchsuchung der Overland. Weil sie nichts fanden, rissen sie vor Wut die Sitzpolster heraus und schleuderten sie auf die Straße.

Ein Polsterstück traf die ältere Frau am Kopf. Sie brach sofort zusammen, ohne einen Laut von sich zu geben.

Der Maskierte in den Büschen zischte: »Idioten! Wenn ihr weiter nichts könnt, dann sattelt gefälligst um!«

Dunc hatte im Paketraum zwischen den Rädern zwei Postsäcke gefunden, die er aufriß. Er schleuderte den Inhalt auf die Straße, trampelte wütend darauf herum und schob seinen gewaltigen Schädel erneut in den Paketraum.

Ein hartgesichtiger blonder Bursche mit kalten pulvergrauen Augen riß das Polster vom Kutschbock, trat die Bordwand ein und blickte in den Sitzkasten. Enttäuscht hob er den Kopf und sah zu dem Gebüsch hinüber, in dem der Boß wartete.

»Was ist los, Dunc?« rief der.

»Es ist nichts da, Boß!«

»Das kann doch nicht sein!« Fast hätte der Boß seinem Rappen die Sporen gegeben und wäre auf die Straße gesprengt. Im letzten Augenblick besann er sich und hielt inne.

Er wußte, daß die junge Frau ihn erkannt hätte. Wenn es ihm auch gelungen war, seine Stimme meisterhaft zu verstellen – an seiner Figur hätte sie ihn trotz der Maske erkannt.

»Macht Schluß!« rief er. »Wir reiten!«

Dunc und die beiden anderen Banditen warfen sich auf ihre Pferde und stürmten in einer Wolke über den Hügel davon.

*

Viele Meilen weiter südlich sprang ein dickleibiger Mann aus der Sonderpost, die die kleine Stadt Smithwick und die Wells-Fargo-Strecke hier kreuzte.

Er war für diese Gegend reichlich seltsam gekleidet, trug einen Zylinderhut mit Band und blanker Messingschnalle, enge Bostonhosen und einen eleganten Rock nach neuester St. Louis-Mode. Die kleine Reisetasche aus hellbraunem Krokodilleder schien sein einziges Gepäck zu sein. In hastigen Schritten überquerte er die Straße, steuerte direkt auf einen schlaksigen Burschen zu, der die Daumen in den Waffengurt gehakt hatte und auf der linken Brustseite einen fünfzackigen Blechstern trug.

»Hallo, Sheriff, wo finde ich hier einen Mietstall?«

Der Hüter des Gesetzes betrachtete sich das erhitzte Gesicht des Dicken amüsiert. »Einen Mietstall?« Dann streckte er seinen überlangen Arm aus. »Da drüben!«

Der Dicke dankte und schoß davon.

Grinsend blickte Sheriff Dave Hotgins hinter ihm drein. »Was dieser komische Heilige im Mietstall suchen mag«, brummte er vor sich hin. »Reiten kann doch so ein wandelndes Faß bestimmt nicht. Und der Saloon liegt doch genau gegenüber…«

Der Hüter des Gesetzes sollte nur wenige Minuten später mit offenen Augen und aufgesperrtem Mund erleben, daß das wandelnde Faß recht gut reiten konnte!

Der Dicke saß auf einem Fuchs, hatte seine Reisetasche hinter dem Sattel aufgeschnallt und sprengte im Kavalleriegalopp die Mainstreet hinunter.

Dann jagte er auf der Straße nach

Deadwood dahin. Die grandiose Gebirgslandschaft, die links den Horizont säumte, interessierte ihn nicht. In der Ferne zeichneten sich die bizarren Gipfel der Big Bad Lands in den hellen wolkenlosen Spätnachmittagshimmel. Diese berüchtigten Berge lagen schon im Gebiet der als besonders gefährlich und grausam geltenden Pineridge-Indianer.

Der Zylindermann gönnte sich keine Rast. Stundenlang preschte er mit dem schnellfüßigen Gaul schon nach Norden, als er plötzlich auf der Höhe einer Bodenwelle innehielt und nach vorn starrte.

Nur eine halbe Meile etwa vor ihm rollte ein leichter hochrädriger Highlander über die Straße dahin.

Der Dicke brachte seinen Fuchs wieder in Gang und folgte dem Wagen. Je näher er dem Gefährt kam, desto deutlicher konnte er den Rücken des Mannes erkennen, der den Wagen lenkte. Es war ein breiter, kantiger Rücken. Der Mann trug einen schwarzen Texashut und eine schwarze Jacke.

Als der Dicke auf der Höhe des Wagens war, wandte der Mann auf dem Kutschbock den Kopf.

Der Dicke hatte plötzlich das sichere Gefühl, daß der Mann ihn nicht erst jetzt bemerkt hatte. Es war ein hochgewachsener Mann mit sonnenverbranntem Gesicht, aus dem ein Paar tiefblauer langbewimperter Augen hervorblickten. Es war ein eckiges, hartes Gesicht.

Der Dicke trieb sein Tier an den Wagen heran und blickte den Mann forschend an. Dann nahm er seinen Zylinder ab und wischte sich durch das Schweißband. »Hallo, Mister!«

Der Mann auf dem Wagen tippte an den breiten Rand seines Hutes und sagte auch: »Hallo, Mister.« Dabei spielte ein kleines Lächeln um seinen Mundwinkel.

Der Zylindermann plinkerte den anderen an. »Sie kommen gewiß aus dem Süden?«

»Yeah.«

»Das dachte ich mir«, meinte der Dicke.

»Und Sie kommen gewiß direkt aus St. Louis.«

Der Dicke zog die Brauen hoch. »Ja wie kommen Sie darauf?«

Der andere warf einen kurzen Blick auf die Kleidung des Zylindermannes und entgegnete: »Ich glaube, dazu braucht man keine Apachennase zu haben.«

Jetzt grinste der Dicke. »Soll ich Ihnen was sagen? Ich habe auch keine Apachennase und sage Ihnen sogar, wie Sie heißen.«

»Na«, versetzte der andere, ohne den Weg aus den Augen zu lassen.

»Sie sind Wyatt Earp.«

Mit einem Ruck nahm der Mann die Zügel hoch und warf den Kopf herum.

»Das ist nicht schlecht, Mister…«

Da zog der Dicke seinen grauen Zylinder, so, als habe er auf der Gordonstreet in St. Louis einen Bekannten getroffen, und sagte: »Ich bin Napoleon Beaulieu.«

»Wie war das?«

»Beaulieu.«

»Und was tut Napoleon dabei?«

Beaulieu lächelte: »Das ist eine verrückte Geschichte, Mister Earp, und ich bin nicht sicher, ob Sie Lust haben, sie anzuhören.«

Wyatt nahm eine schwarze Zigarre aus der Jackentasche, riß ein Zündholz an der Stiefelsohle an und blickte den sonderbaren Dicken durch die kleine kräuselnde Tabakwolke an. »Schießen Sie los.«

»Ich will Sie nicht aufhalten, Mister Earp.«

»Das tun Sie schon. Erzählen Sie also.«

»Hm – ich werde mir auch eine Krautrolle anzünden«, ächzte der Dicke und nahm ein elegantes Lederetui aus der Tasche, zog eine helle Zigarre daraus hervor und griff nach dem brennenden Streichholz, das Wyatt Earp schon für ihn angerissen hatte.

»Das war also so. Meine Mutter war eine ganz normale Frau. Ein Mädchen aus St. Louis. Und mein Vater war…«

»Franzose«, unterbrach ihn Wyatt.

»Wie kommen Sie darauf?«

»Meine Apachennase.«

»Hören Sie weiter. Mein Vater war also Franzose und kam Anno sechsunddreißig nach St. Louis. Ja, so passierte das Unglück.«

»Ist es ein Unglück?« forschte Wyatt, wobei er sich Mühe gab, ernst zu bleiben.

»Doch, ja. Mein Vater war ein unruhiger Mann. Er fuhr ein paar Jahre später wieder nach Europa und kam nicht wieder.«

»Und alles, was er der ganz normalen Frau dagelassen hatte, war ein kleiner Napoleon.«

»So ist es, Mister Earp. Aber die Story ist noch nicht zu Ende.« Beaulieu kratzte sich hinterm Ohr. »Wie wäre es, wenn ich Ihnen den Rest später erzähle? Das Spannendste wissen Sie ohnehin schon.«

»Nichts dagegen.«

»Ich wundere mich nämlich, daß Sie sich nicht wundern, daß ich weiß, wer Sie sind.«

Der Marshal zog die Augenbrauen zur Stirnmitte hoch. Das gab seinem Gesicht einen Zug scherzhaften Ernstes. »Es wundert mich schon, aber ich kann es verdauen. Es gibt eine Menge Leute, die mich kennen. Allerdings, ich muß gestehen, daß wenige darunter sind, die einen Zylinderhut tragen.«

»Mister Earp. Ich will gleich mit offenen Karten spielen. Ich bin Ihnen gefolgt…«

»Ach –?«

»Ja, ich war in Dodge und habe da von Ihrem Deputy Masterson erfahren, daß Sie hier herauf zu den Black Hills wollten.«

Wyatt rieb sich das eckige Kinn. »Und da sind Sie mir diesen ganzen Weg nachgeritten?« Er warf einen ungläubigen Blick auf den Fuchs.

»Nein, nicht geritten. Das wäre mir schlecht bekommen. Ich hatte Glück, konnte einige Extrakutschen bekommen, die nördlich fuhren und kam gut bis nach Smithwick. Da habe ich diesen Gaul gemietet.«

Der Marshal nickte. »Und was haben Sie auf dem Herzen, Mister Beaulieu?«

Der Dicke rutschte aus dem Sattel und vertrat sich die Beine. Dann sah er zu dem Marshal auf.

»Kann ich einen Augenblick auf den Bock kommen? Da sitzt sich’s besser.«

»Natürlich. Vielleicht können wir dann sogar weiterfahren und Sie erzählen mir unterwegs die andere Story.«

Der Dicke kletterte auf den Wagen, nahm den Zügel seines Pferdes und schlug ihn um einen kurzen Wagenholm.

Der Marshal trieb den Falben an.

»Es ist keine Story, Mister Earp. Es ist im Gegenteil eine höllisch wichtige Sache, die ich Ihnen vorzutragen habe.« Wieder und wieder mußte sich der Zylindermann den Schweiß von der Stirn wischen. »Ich bin von der Wells Fargo Company.«

»Ein beruhigender Job«, versetzte Wyatt.

»Wir haben hier oben eine wichtige Overland-Linie von Deadwood hinüber nach Midland laufen. Die Kutsche wird seit einem halben Jahr in regelmäßigen Abständen überfallen.«

»Das soll’s geben.«

Beaulieu warf dem Missourier einen raschen Seitenblick zu. »Die Sache ist so, Mister Earp, daß man sich in St. Louis dahingehend einig geworden ist, etwas Entscheidendes dagegen zu unternehmen.«

»Ein guter Gedanke.«

»Hören Sie weiter. Mister Dickinson, der Chief in St. Louis, hat sich an die Armee gewandt. Sie können sich denken, was dabei herausgekommen ist…«

»Nein.«

»Nun, gar nichts. Die Armee hat erstens andere Aufgaben, als die Overland zu begleiten, und dann dürfte es wenig Sinn haben, zu erwarten, daß sich die Banditen ausgerechnet dann, wenn eine Schwadron Kavallerie neben der Overland galoppiert, sehen lassen. Sie warten ganz einfach, bis die Kutsche wieder alleine kommt.«

»Kann ich den Boys nicht verdenken.«

Beaulieu rieb sich das feiste Kinn. »Ja, so sieht die Sache aus. Deshalb haben wir es anders gemacht und ein paar harte Schützen angeworben, die die Linie begleiten sollten.«

»Auch ein guter Gedanke.«

»Nein, brachte nichts ein. Jim Gennan aus Austin hat bei uns in St. Louis seinen Vorschuß auf den Job kassiert und kam nie in Deadwood an.«

»Das ist sicher eine Eigenheit von ihm.«

»Ganz sicher. Deshalb machte Dickinson es bei Floys Lambridge anders. Er sagte ihm, daß er das erste Geld nach der ersten Fahrt kassieren könne.«

»Richtig.«

Beaulieu ließ den Kopf auf die Brust sinken. »Lambridge überlebte die erste Fahrt nicht. Er liegt auf dem Kreuzhügel bei Midland.«

»Lat Calligans erste Fahrt endete auch auf dem Kreuzhügel bei Midland. Ebenso erging es Grag Foolham und Jesse Coopan. Vor zwei Monaten gelang es uns, Hanc Villers-Fisher anzuwerben…«

Wyatt warf den Kopf herum. »VillersFisher, den Revolvermann aus Texas?«

»Genau den.«

»Und?«

»Er liegt auch bei den andern.«

Wyatt spannte seine kantigen braunen Fäuste um die Zügelleinen. »Scheint ja ein gemütlicher Job zu sein, den die Wells-Fargo da zu vergeben hat.«

»Ganz sicher.«

Nach einer Weile fragte der Missourier: »Ist die Story zu Ende?«

»No.«

»Dachte ich mir.«

»Ich hatte einen anderen Gedanken. Die drei Abenteurer und der Schießer aus Texas waren nicht die Männer für diesen Job.«

»Wer weiß.«

»Auch der Boß und die andern im Office in St. Louis waren meiner Ansicht.«

»Aha«, tat der Marshal uninteressiert.

»Wir sind alle der festen Ansicht, daß es nur einen einzigen Mann gibt, der diesen Job übernehmen könnte.«

»Aha.«

»Dieser Mann heißt Wyatt Earp«, sagte der Dicke hart, ohne den Marshal anzusehen.

Wyatts Gesicht blieb unbewegt. Er blickte auf die Straße.

»Wir wissen natürlich alle, daß Sie einen festen Job in Dodge unten haben.«

»Dann wissen Sie ja genug.«

»Trotzdem habe ich mich auf die Reise nach Kansas gemacht, Marshal.«

Der Missourier blickte ihn voll an. »Wollen Sie nicht lieber zurückreiten, Mister, ehe wir zu weit im Land der Roten sind?«

Beaulieu schüttelte energisch den Kopf. »No, Mister Earp. Ich bin Ihnen einige hundert Meilen nachgereist, um mit Ihnen zu sprechen…«

»Das haben Sie doch getan.«

Da griff Beaulieu in seine Brieftasche und brachte ein beachtliches Bündel mit Zehndollarnoten hervor. »Mister Dickinson läßt Ihnen den Lohn im voraus auszahlen.«

Wyatt blickte längst wieder auf den Weg. »Das ist sehr gentlemanlike von Mister Dickinson. Aber ich nehme keinen Lohn für einen Job, den ich nicht antrete.«

Beaulieu beugte sich heftig vor. »War es Ihr Land, Marshal, um das Sie drüben in Colorado gekämpft haben, als Sie mit dem Landmesser zogen? Waren es Ihre Rinder, die Bill Hoogeeter unten bei Wichita stahl? War es Ihre Sache, sich allein in einer feigen Stadt gegen ein Scheusal wie Milt Rice zu stellen?«

»Ich war nicht allein.«

»Yeah, ich weiß. Ein einziger Mann war gegen Pic bei Ihnen.«

Ein sonderbares Lachen zog über das Gesicht des Missouriers. »Aber was für ein Mann. Doc Holliday wiegt im Gunfight ein Dutzend Klasseschützen auf. Das ist überhaupt ein Gedanke: Vielleicht können Sie ihn für den Job anwerben. Ich hatte bei ihm den Eindruck, daß es ihm nicht allzuviel ausmacht, bald auf irgendeinem Kreuzhügel zu landen.«

Beaulieu schüttelte den Kopf. »Ich habe ihn in Dodge gesehen. Er saß im Long-Branch-Saloon.«

»Haben Sie mit ihm gesprochen?«

»Ja, er hatte gerade ein Spiel gegen den dicken Rancher Webster gewonnen. Dann war der Saloon plötzlich leer. Die Leute hatten genug von ihm. Weil er zu oft gewinnt. Ich weiß es auch nicht. Jedenfalls habe ich ihn gesprochen. Er lachte, als ich ihm erzählte, was mich nach Dodge geführt habe.«

»Kann ich mir denken.«

»Das war eigentlich alles. Er sagte nur: Good luck!«

»War doch schon eine ganze Menge!«

»Ich will zugeben, Bat Masterson hat mich gewarnt. Aber wissen Sie, ich habe einen dicken Schädel, und manchmal setze ich ihn durch.«

Der Marshal schüttelte den Kopf. »Sie können sich an den fünf Fingern ausrechnen, daß sich kein Mensch nach solch einem Job drängen wird. Die Strecke ist zu lang. Da bieten sich für Wegelagerer mehr als genug Möglichkeiten, Scharfschützen aufzustellen.«

»Es ist mir klar, Marshal, daß Sie kein Selbstmörder sein wollen. Aber wir haben gedacht, daß es vielleicht etwas ausmacht, wenn die Bande wüßte, daß Sie als Gunman fahren.«

Wyatt lachte still vor sich hin. »Sie dürfen nicht zuviel auf einen Namen geben, Mister. Er gilt hier im alten Westen nichts!«

Es blieb wieder eine Weile still zwischen den beiden. Plötzlich hob der Marshal den Kopf und blickte nach vorn. Dann drückte er den Zylinder, nahm die Zügelleinen in die Hand und rief: »Ich borge mir Ihr Pferd!« Er riß die Leinen vom Wagenholm und schwang sich, ohne eine Antwort des verblüfften Wells-Fargo-Mannes abzuwarten, in den Sattel des Fuchses, trieb das Tier an und galoppierte bald in einer Staubwolke nach Norden davon.

Beaulieu hatte sich gefaßt, wischte sich über die Stirn und trieb nun den Falben an, der mit dem leichten Wagen ebenfalls davongaloppierte.

Als Beaulieu den Marshal erreicht hatte, hielt er an und blickte entsetzt auf das Bild, das sich ihm hier bot. Neben einer halbzertrümmerten, umgestürzten Postkutsche lag ein Mann.

Drüben am Wegrain saßen zwei Frauen mit bleichen Gesichtern und starrten ihnen aus angstgeweiteten Augen entgegen.

Der Marshal war abgestiegen und ging auf den niedergeschossenen Postkutscher zu. Er drehte ihn auf den Rücken, warf einen Blick in das Gesicht des Toten und ging auf die Frauen zu.

Die junge Frau sprang auf und wich zu rück. Ihr hübsches Gesicht war von wilder Angst verzerrt. Ihre Lippen bebten.

Wyatt tippte an den Hut. »Sie waren in der Overland?« fragte er.

Die ältere Frau erhob sich stöhnend. Wyatt sah erst jetzt, daß sich quer über ihre Stirn ein blauroter Streifen zog. »Ja«, sagte sie zitternd.

»Was wollen Sie von uns?« rief die junge Frau erregt. »Wir haben Ihnen nichts getan! Bitte…«

Auch Beaulieu war abgestiegen. Er starrte entsetzt auf den Toten und kam dann zu Wyatt heran. Als er die ängstlichen Gesichter der Frauen sah, rief er begütigend: »Haben Sie doch keine Angst. Das ist Wyatt Earp, und ich bin von der Wells-Fargo-Company.«

Wyatt blickte auf die Verletzung der älteren Frau. »Wenn ich Ihnen helfen kann. Ich habe etwas Verbandszeug und Whisky drüben auf meinem Wagen…«

»Lassen Sie uns in Ruhe!« rief die junge Frau immer noch in panischer Angst.

»So glauben Sie mir doch!« beteuerte der Wells-Fargo-Mann. »Er ist Wyatt Earp! Sie haben seinen Namen bestimmt schon gehört.«

»Wyatt Earp ist Sheriff unten in

Dodge«, sagte die ältere Frau hart und warf dem Marshal einen abweisenden Blick zu.

»Daher kommt er doch gerade!« sagte Beaulieu heftig. »Ich bin ihm nachgeritten. Wegen der Linie…«

Wyatt blickte die junge Frau an. »Ich kann Sie mit dem Wagen mitnehmen bis in die Stadt. Wenn Sie vorn auf dem Kutschbock sitzen wollen.«

Die junge Frau blieb bei den Büschen stehen, während sich die ältere willenlos von Beaulieu zu dem Wagen führen ließ.

Wyatt blickte in ihr hübsches, völlig verängstigtes Gesicht. »Sie können doch nicht hierbleiben, Miß. In wenigen Stunden ist es dunkel.«

Trotzdem verharrte die Frau auf dem Fleck. Sie blickte den Marshal aus ihren großen dunklen Augen ängstlich an. Endlich öffnete sie die Lippen. »Sind Sie wirklich Wyatt Earp?«

»Yeah.« Der Missourier lächelte schwach, öffnet seine Jacke, und da sah die Frau auf seiner linken Brustseite den fünfzackigen silbernen Kreisstern.

Langsam ging sie zum Wagen hinüber.

Als die beiden Frauen auf dem Kutschbock saßen, stieg Wyatt hinter ihnen auf und nahm die Zügel hoch.

Beaulieu zog sich in den Sattel.

Wyatt brachte den Falben in Gang, ließ ihn hundert Yards laufen und hielt dann wieder an. Er zog einen kurzen Campspaten hinten unter einer Segeltuchdecke hervor und sagte nur: »Ich komme gleich zurück.«

Die Frauen und Beaulieu sahen ihm nach.

Als er nach einer Weile zurückkam, fragte der Wells-Fargo-Mann: »Was haben Sie getan?«

»Den Toten begraben«, entgegnete der Missourier, stieg auf, nahm den Zügel und setzte seinen Falben in Gang.

Der Weg wurde offener und führte durch die freie Prärie nach Nordwesten.

Wyatt blickte nach vorn. Dennoch beobachtete er scharf den Horizont nach allen Seiten hin. Niemand bemerkte es.

Die Sonne war längst im Westen hinter den Bergen versunken. Allmählich senkten sich die Schatten der Nacht über das Land.

Wyatt hielt den Wagen bei einer Buschgruppe an.

Die ältere Frau blickte sich nach ihm um. »Was haben Sie vor?«

»Wir werden hier lagern.«

»Lagern?« fragte die Frau entsetzt.

»Wir können nicht in die Dunkelheit fahren. Es wird eine mondlose Nacht, und ich kenne die Gegend hier nicht.«

»Mister Earp hat recht«, fiel Beaulieu ein und stieg vom Pferd.

*

Als das erste Grau des neuen Tages über die dräuenden Gipfel der Big Bad Lands kroch, schlug Beaulieu die Decke auseinander, sattelte seinen Fuchs, packte seine Tasche auf und blieb vor Wyatt stehen.

Es sah so aus, als ob der Marshal schliefe. Aber plötzlich hörte Beaulieu ihn sagen: »Sie wollen zurück?«

Beaulieu nickte. »Ja.«

»Wollen Sie nicht den Tag abwarten?«

»Nein. Je eher ich losreite, desto früher bin ich wieder in Smithwick.«

Der Wells-Fargo-Mann sah, daß er die Winchester griffbereit neben sich liegen und den Waffengurt noch umgeschnallt hatte.

Langsam trat der Marshal an den Wagen, schob das Kutschbrett hoch, griff in den Kasten und brachte einen Colt vom Kaliber Western vierundvierzig hervor. Er ließ ihn ein paarmal im Bügel um den eingeknickten Mittelfinger kreisen und meinte: »Eine schöne alte Kanone. Ich habe sie unten in Nebraska einem Tramp abgenommen, der mich überfallen wollte. Ich brauche sie nicht mehr.«

Beaulieu blickte ihn verständnislos an.

Da reichte ihm Wyatt den Revolver hin. »Nehmen Sie ihn mit, Mister. Ein Mann ohne Colt ist in diesem Land kein Mann.«

Der Dicke hob nun abwehrend beide Hände. »Thanks, Mister Earp. Aber ich bin ein sehr schlechter Schütze und habe zeitlebens noch keinen Revolver getragen.«

»Trotzdem nehmen Sie ihn meinetwegen als Andenken mit.«

Da griff Beaulieu zu. Er wog die Waffe in der Hand, ließ die Trommel rotieren und blickte in die Kammern. »Er ist ja geladen«, sagte er verblüfft.

Der Missourier nickte. »Yeah – ein ungeladener Colt ist nicht allzuviel wert.«

Er reichte Wyatt die Hand und zog sich in den Sattel.

Der Missourier blickte ihm nach, bis er im Morgennebel verschwunden war. Dann legte er sich wieder nieder, schlug sich in seine Decke und blickte zu dem Silberstreifen hinüber, der über den Gipfeln der Big Bad Lands leuchtete.

Wie lange Zeit seit dem Wegritt Beaulieus verstrichen war, wußte Wyatt nicht.

Er war wieder eingeschlafen, als ihn ein Geräusch aufweckte.

Er sprang auf und hatte seinen Buntline-Revolver in der Linken.

Lautlose Stille herrschte um ihn herum.

Er blieb stehen und lauschte mit geschlossenen Augen.

Aber es blieb alles still.

Die beiden Frauen lagen drüben in ihren Decken.

Wyatt ging zu seinem Pferd, nahm den Sattel, legte ihn auf und schnallte ihn dem Tier um. Als er aufstieg, warf er noch einen Blick auf die Schlafenden. Dann trabte er nach Süden davon.

Er war nicht sehr weit geritten.

Drei Meilen höchstens, als er es sah: Fünfundsiebzig Yards vor ihm, mitten auf dem Weg in einer Bodenwelle, lag der Wells-Fargo-Mann.

Wyatt riß den Falben herum und sprengte rechts vom Wege ab durch eine Buschreihe auf einen Hügelkamm zu. Von hier aus konnte er die nähere Umgebung gut einsehen.

Weit und breit war kein menschliches Wesen zu entdecken.

Dann ritt er auf den Weg zu, stieg neben dem Mann am Boden ab und blickte in dessen starre Augen, die gläsern und erloschen in den Himmel sahen.

Beaulieu hatte einen Schuß in den Rücken bekommen, der ihn sofort getötet haben mußte. Der Mörder hatte ihn ausgeraubt.

Nur der alte Revolver steckte noch in der Jackentasche.

Wyatt nahm ihn an sich, stand auf, wog ihn in der Hand und steckte ihn dann oben in seinen Gürtel.

Wyatt blickte zu seinem Pferd hinüber und fixierte den Campspaten, der neben dem Scabbard hing. Erst jetzt wurde ihm klar, daß er ihn völlig unbewußt mitgenommen hatte.

Der kleine Napoleon Beaulieu aus St. Louis lag wenig später in einer kühlen Grube – nicht sehr tief in der Erde Dakotas.

Wyatt stülpte den grauen Zylinderhut auf das kleine Kreuz, das er aus zwei Ästen und einem Riemenstück geformt hatte.

Dann nahm er seinen Hut ab und blickte eine Weile stumm und nachdenklich auf den frischen Erdbügel.

Als der Missourier auf seinen Falben zuschritt, war sein Gesicht hart und kalt geworden…

*

Als Wyatt ins Lager zurückkam, waren die beiden Frauen schon aufgestanden. Mit großen Augen blickten sie dem Marshal entgegen.

»Wo ist Mister Beaulieu?« fragte die ältere Frau.

Wyatt rutschte aus dem Sattel. »Er ist wieder zurückgeritten«, entgegnete er. »Ich habe ihn noch ein Stück begleitet.«

Er sah keinen Grund, die beiden Frauen von dem Tod des Wells-Fargo-Mannes zu unterrichten.

Er suchte Holz zusammen und machte ein Feuer. In einem klaren Bach, der oben aus den Bergen kam, holte er Wasser. Wortlos machte er sich daran, den Morgenkaffee aufzubrühen.

Die ältere Frau trat neben ihn. »Ich bin Susan Howard«, sagte sie düster. »Und das ist meine Nichte Ann Maxwell.«

Es kam kein längeres Gespräch zwischen den drei Menschen auf. Nur als Wyatt nach dem Frühstück den Falben wieder vor den Wagen spannte und die Decken und andere Gegenstände auflud, fragte Susan Howard: »Werden wir Deadwood heute noch erreichen?«

»Ich hoffe es.«

»Sie hoffen es nur? Dann ist es also noch ziemlich weit?«

»Es geht«, erwiderte der Marshal wortkarg.

Am frühen Nachmittag führten die Wagengeleise, die den Weg bildeten, auf eine bewaldete Höhe zu.

Der Missourier hielt an und spannte den Falben aus. Als er dem Tier den Sattel auf legte, fragte Mrs. Howard: »Wollen Sie uns etwa wieder allein lassen?«

Wyatt stieg auf. »Ich werde voranreiten und den Wald untersuchen. Ich habe nicht die mindeste Lust, in ein Wespennest zu treten.« Damit ritt er los.

Da rief ihm Ann nach: »Mister!«

Wyatt hielt den Falben an und wandte sich im Sattel um.

»Wann kommen Sie zurück?«

»In anderthalb Stunden vielleicht.«

Ann kam langsam auf ihn zu. »Geben Sie mir den Revolver, den Sie da rechts im Halfter tragen.«

Der Marshal nahm den großen 45er Colt in die Hand und wog ihn spielerisch. »Er ist ein bißchen schwer, Miß Maxwell.«

»Immerhin ist es die leichteste Waffe, die Sie bei sich tragen. Dieser große Revolver, den Sie da links tragen, stammt wohl noch aus dem Krieg?«

Wyatt überhörte den Spott. Er reichte ihr den kleinen Colt. »Können Sie damit umgehen?«

»Wenn es sein muß, schon.«

»Dann sehen Sie zu, daß Sie nach Möglichkeit nicht Mrs. Howard treffen.« Damit gab er dem Falben die Sporen und ritt los.

Fast eine Stunde ritt er zwischen den ziemlich hochstämmigen Bäumen hindurch, als er plötzlich glaubte, den Geruch von Feuer zu spüren.

Er hielt an und stieg ab.

Hundert Yards vor ihm stieg der Wald an. Das Unterholz wurde jetzt dichter.

Wyatt zwängte sich so leise wie möglich durch die Büsche und hörte schon zehn Minuten später Stimmengeräusch.

Das hohe Gebüsch begann sich unweit vor ihm zu lichten.

Oben auf der Kuppe des Hügels war ein kleines kahles Plateau.

Der Marshal schob sich robbend im Unterholz weiter, bis er die Lichtung übersehen konnte.

Drei Männer standen mitten auf dem Platz vor einem kahlen abgestorbenen Königsbaum.

Vor ihnen lag ein Mann auf den Knien, er hatte die Schleife eines Strickes um den Hals, dessen oberes Ende um einen weit vorragenden kahlen Ast geschlungen war.

Mit Tritten und Schlägen suchten die drei den Mann am Boden zum Aufstehen zu bewegen.

Wyatt beobachtete die drei Männer nun ganz scharf, und dann sah er ganz hinten am jenseitigen Rand der Lichtung mehrere Pferde weiden. Eines davon war der Fuchs des toten Wells-Fargo-Mannes.

Direkt vor dem Mann am Boden stand ein riesenhafter breitschultriger Mensch mit gewaltigen keulenartigen Armen. Über seinem Gürtel quoll ein mächtiger Bauch hervor. Sein Kragen stand weit offen und ließ eine behaarte Brust sehen. Das Gesicht des Mannes war breitflächig, grob, stoppelbärtig und brutal. Zwei hellgraue stechende Augen hafteten auf dem Mann am Boden.

»Los, steh auf, Dreckskerl, sonst ziehen wir dich vom Boden hoch!«

Der Mann blieb wimmernd an der Erde hocken.

Da brüllte der Riese seinen beiden Kumpanen zu: »Los, zieht ihn hoch, Boys.«

Die beiden anderen machten Anstalten, den Mann mit dem Strick hochzuziehen.

Da erhob sich der Marshal und trat aus dem Unterholz heraus.

Einer der beiden Handlanger des Hünen sah ihn sofort und ließ vor Schreck das Strickende los.

Der Riese brüllte ihn an: »Was soll das, Ben? Pack den Strick an! Soll Jeff ihn vielleicht alleine hochziehen?«

Auch der andere Handlanger starrte auf den Marshal.

Da wandte der Hüne den Kopf zur Seite.

Mit offenem Mund und weit aufgerissenen Augen starrte er dem Fremden am Buschrand entgegen.

Wyatt kam langsam näher. Etwa fünfzehn Yards vor dem Riesen blieb er stehen.

»He, Mann, was wollen Sie hier?«

Der Missourier kreuzte die Arme über der Brust, senkte den Kopf und antwortete: »Mir scheint, hier gibt es etwas Interessantes zu sehen.«

»Wenn Sie meinen, daß es etwas Interessantes ist, wenn ein Halunke aufgeknüpft wird, können Sie recht haben, Brother.«

»Was hat er getan?« fragte Wyatt gelassen.

Ein breites Grinsen lief über das stoppelbärtige Gesicht des Riesen. »Schätze, es geht Sie einen Dreck an. Aber ich habe das Gefühl, daß ich ohnehin unter einem Anfall von Gutmütigkeit leide. Sie sollen es also wissen: Dieser Skunk hier gehört zu den Banditen, die die Overland dauernd unten auf der Straße überfallen. Deshalb wird er baumeln. Ist das klar?«

»Wenn es stimmt, ist es klar!« gab Wyatt ruhig zurück.

Wieder lief das breite Grinsen über das aufgeschwemmte Gesicht des Riesen. »Sie haben eine verdammt spaßige Art zu reden, Freund. Zweifeln Sie etwa an der Wahrheit meiner Worte?«

Ohne auf diese Frage zu antworten, meinte der Marshal: »Sind Sie der Sheriff dieses Countys?«

Der Riese stemmte beide Fäuste in die Hüften und versetzte: »Schätze, das geht Sie einen Dreck an, Freund!«

Da sprang der Mann vom Boden auf und schrie: »Helfen Sie mir, Mister! Ich bin…«

»Halt’s Maul, Stinktier!« geiferte ihn der Hüne an. »Du bist ein Bandit und wirst gehängt. Das ist es!«

Wyatt wandte sich an den Hünen. »Wer sind Sie?«

Wieder kroch die hämische Lache über den Stoppelbart. »Auch das geht Sie einen Dreck an, Mister. Aber ich erwähnte schon, daß ich meine gutmütige Stunde habe. Sie sollen also wissen, mit wem Sie die Ehre haben. Ich bin Turkey Creek. Ich hoffe, das sagt Ihnen was.«

Wyatt hatte bei Nennung dieses Namens aufgehorcht. »Doch, das sagt mir eine ganze Menge.«

»Also, nun stören Sie uns nicht weiter. Erst wird dieser Jammerlappen hier stranguliert. Dann reden wir meinethalben weiter.«

Turkey Creek! Wyatt hatte den Namen schon gehört. Unten in Nebraska vor zwei Wochen zum erstenmal.

»Los, zurrt ihn hoch.«

»Halt!« Das Wort war aus dem Mund des Marshals gekommen. Hart und schneidend.

Die beiden Genossen Turkey Creeks standen reglos da.

Langsam wandte der Riese Wyatt den Kopf zu. In seinen Augen stand ein unheilverkündendes böses Glimmen. »Fellow, ich bin gutmütig genug, dir zu sagen, daß meine Friedlichkeit zu Ende ist. Halt jetzt das Maul, sonst baumelst du noch vor dieser Kröte.« Wieder blickte er seine Genossen an.

»Vorwärts, Jeff! Pack an. Los, Ben! Zurrt ihn endlich hoch!« In der behaarten Rechten des Riesen lag plötzlich ein Revolver.

Aber auch der Missourier hatte einen Revolver in der Faust. »Turkey Creek, tut mir leid, daß Ihre friedliche Stunde zu Ende ist. Ich wollte Ihnen nur sagen, daß es bei mir ganz zufällig ebenso ist.« Scharf und schneidend kamen die nächsten Worte: »Laßt den Strick los!«

»Zurrt ihn hoch!« donnerte Turkey.

Jeff ließ los.

Ben hatte das dicke Tauende noch in der Hand.

Da brüllte ein Schuß auf – und das starke Seil zerriß direkt über dem Kopf Ben Palmers.

Der Riese fuhr herum.

Da krachte der nächste Schuß.

Der schwere blauschimmernde Colt des Hünen lag am Boden.

Eine flammende Röte schoß über das Gesicht Turkey Creeks. Er schnappte nach Luft, dann brüllte er mit sich überschlagender Stimme: »Hell and devils! Das bezahlst du mir, du verdammter Stadtfrack!«

Mit wilden Schritten stürmte er vorwärts.

»Stop!« herrschte ihn der Marshal an. Und ein eisiger Blick zuckte dem Hünen entgegen und veranlaßte ihn stehenzubleiben. Der Marshal blickte die beiden anderen an. »Schnallt die Gurte ab!« befahl er ruhig.

Jeff ließ seinen Gurt fallen.

Ben zögerte.

»Knall ihn ab!« fauchte Turkey seinem Genossen zu.

»Laß den Gurt fallen!« sagte der Missourier bedrohlich leise.

Es war etwas in diesem Ton, das auch Ben veranlaßte, den Gurt fallen zu lassen.

Wyatt wies mit dem Buntline-Revolver zur Seite. »Geht da hinüber!«

Langsam zockelten die beiden zu der angewiesenen Stelle. Sie lag etwa zwanzig Yards von dem kahlen Baum entfernt.

Wyatt ließ seinen Revolver mit einem blitzschnellen Handsalto ins Halfter am linken Oberschenkel gleiten.

Creek hatte diesen Trick mit engen Augen beobachtet. »Good, Brother. Damit kannst du dich in St. Louis auf dem Jahrmarkt vielleicht sehen lassen, aber hier zieht das nicht. Du hast Pech gehabt!«

Mit wilden Sprüngen stürmte er dem Missourier entgegen.

Wyatt ließ ihn herankommen und wich mit zwei gedankenschnellen Rechts-Links-Bewegungen seines Kopfes den ersten Schlägen aus.

Dann zuckte seine Linke hoch. Der Schlag kam aus der Hüfte. Er war nur kurz aber diamanthart.

Turkey Creek taumelte zurück.

Aus glasigen Augen stierte er den Gegner an.

Dann rieb er sich das Kinn und lachte. Erst leise, dann laut und schwappend. »Hehehehe! Das war nicht schlecht.« Seine Augen wurden plötzlich wieder eng. »Aber es reicht auch nur für den Jahrmarkt, Brother!« Wieder rannte er wie ein gereizter Büffel gegen den drahtigen Missourier an.

Der wich erst im allerletzten Bruchteil einer Sekunde zur Seite, ließ den Tobenden vorüber und hieb ihm die rechte Handkante blitzschnell ins Genick.

Turkey Creek fiel vornüber.

Es dauerte eine volle Minute, bis er den Kopf bewegte, aufsah und sich schwerfällig erhob. »Du hast kein Glück, Brother«, stieß er grollend und dumpf hervor. »Jetzt kommt der dritte Gang, und das ist dein Ende!«

Diesmal feuerte er seine Schläge plazierter und genauer – traf aber auch jetzt nur die Deckung seines Gegners.

Der steifangewinkelte Haken, den Creek überhaupt nicht kommen sah, traf seinen Kinnwinkel und riß ihn von den Beinen.

Turkey war knock out. Er lag regungslos vor dem Missourier am Boden.

Es war sehr still auf dem Platz.

Da ging Wyatt an dem Niedergeschlagenen vorbei auf den Baum zu.

Der Mann, der den Strick noch um den Hals hatte, hob seine gefesselten Hände. »Mister!« rief er zitternd vor Angst. »Helfen Sie mir! Ich schwöre Ihnen, ich bin völlig unschuldig. Ich habe Turkey Creek bei Windover erkannt, als er mit mehreren Männern die kleine Pferdewechsel-Station vor der Stadt überfiel. Er weiß, daß ich ihn erkannt habe. Deshalb hat er mich von diesen beiden Männern entführen und hierherschleppen lassen. Er will einen Augenzeugen umbringen. Das ist Mord!«

Der Marshal zog sein Bowiemesser und zerschnitt die Handfesseln. Dann nahm er die Lassoschleife vom Hals des Mannes.

»Wie heißen Sie?«

»Abe Jeffries. Ich wohne in Deadwood. Mein Bruder war bis vor einem Monat Sheriff in Windower. Turkey

Creek hat ihn mitten auf der Mainstreet in der Dunkelheit niedergeschossen. Auch da habe ich ihn erkannt. Leider gingen meine Kugeln an seinem breiten Schädel vorbei…«

Wyatt bückte sich und hob die Waffengurte der beiden Banditen auf. Dann ging er hinüber zu dem Pferd, mit dem der Wells-Fargo-Mann im Morgengrauen unten in der Savanne das Lager verlassen hatte. »Steigen Sie auf, Mister Jeffries.«

Jeffries machte zwei unsichere Schritte nach vorn. »Was wird mit den Rustlern?«

Wyatt zog die Schultern hoch. »Sie haben mir nichts getan. Ich kenne sie nicht.«

»Aber es sind Verbrecher, Mörder!«

»Nehmen Sie den Fuchs und reiten Sie nach Windower.«

»Ja, das werde ich tun, denn diese Kerle haben mich laufen lassen. Am Lasso festgebunden, mußte ich hinter dem tragenden Braunen eines dieser Halunken herrennen. Aber ehe ich wegreite, bekommen sie von mir ihre verdiente Strafe.«

Der Mann sprang vor und riß den Colt hoch, den Wyatt dem Riesen aus der Faust geschossen hatte, stieß ihn nach vorn.

Ein Schuß peitschte auf und heulte über die Lichtung.

Dann war der Marshal bei dem Schützen und entriß ihm den Revolver. »Mann, seien Sie froh, daß Sie nichts getroffen haben!«

»Yeah!« sagte der Mann bitter.

»Steigen Sie auf den Fuchs!«

Jeffries ging mit schleppenden Schritten und gesenktem Kopf zu den Pferden hinüber.

Der Missourier blickte Jeff und Ben an. »Los, hebt ihn auf!« befahl er schneidend.

Mit finsteren Gesichtern hoben die beiden ihren bleischweren Genossen auf.

Ben blickte Wyatt an.

Der rief Jeffries zu: »Nehmen Sie die anderen Pferde auch mit. – Und ihr geht voran, da hinunter.«

Ben und Jeff schleppten Turkey

Creek, als wäre es ein erlegter Grisly.

Der Abstieg durch die Büsche war rutschig und machte den beiden eine Menge Ärger.

Wyatt blieb dicht hinter ihnen. Er hatte sich überzeugt, daß Jeffries in einem Bogen auf die Straße zuritt.

Jeff und Ben ließen Turkey ab, als sie die Wagengeleise erreicht hatten.

Da zog der Marshal zwei kräftige Lederriemen aus der Tasche und fesselte den immer noch betäubten Banditen.

Jeffries, der herangekommen war, blickte auf die beiden anderen Männer. »Und die? Sollen die vielleicht frei herumlaufen?«

»Yeah!« entschied der Marshal.

»Well«, knurrte Jeffries, »dann geben Sie mir einen Colt, damit ich die Halunken scharf im Auge behalten kann.«

Wyatt schüttelte den Kopf. »No, Mister – was Sie mit einem Colt anstellen, weiß ich ja. Bleiben Sie hier bei dem Gefangenen. Ich komme bald zurück. Vorwärts, ihr beiden!«

Jeff und Ben mußten im Laufschritt vor dem Falben herlaufen.

Als die beiden Busheaders in der Ferne den Wagen mit den beiden Frauen auftauchen sahen, wollten sie anhalten.

»Weiter!« befahl die harte Stimme des Missouriers hinter ihnen.

Die Augen Bens wurden immer größer, als er die Gesichter der Frauen auf dem Wagen erkennen konnte.

Jeff hatte den Mund offenstehen und Ben erging es nicht anders.

Ann Maxwell sah nur den Marshal an. »Wen bringen Sie uns denn da?«

»Es sind zwei Männer, die mit nach Deadwood fahren«, versetzte Wyatt knapp.

Dann befahl er den beiden, den Falben abzusatteln und vor den Wagen zu spannen.

Jeff mußte die Zügel nehmen.

Ben stand neben ihm.

Der Missourier saß hinter ihnen auf einer flachen Kiste.

Als sie Jeffries mit Turkey und den Pferden erreichten, schrie Ann gellend auf und schlug die Hände vor das Gesicht.

Turkey Creek war inzwischen wieder zu sich gekommen. Er sah mit engen Augen auf die beiden Frauen.

Ann wies mit dem ausgestreckten Arm auf ihn. »Das ist der Mann, der uns überfallen hat. Ich erkenne sein Gesicht genau!«

»Schafft ihn auf den Wagen!« gebot der Marshal den beiden Tramps.

Sie selbst mußten sich waffenlos auf ihre Pferde setzen und voranreiten.

Jetzt lag Turkey auf dem Wagen. Wyatt hatte ihn so angebunden, daß er sich von der Bordwand nicht wegrollen konnte.

Aus kleinen glimmenden Augen blickte der Rustler den hochgewachsenen Mann an, der neben ihm hinter dem Kutschbock stand und die Zügelleinen in der Hand hatte.

Endlich öffnete er die Lippen. »He, Mister, was sind Sie für ein rabiater Bursche? Was haben Sie mit uns vor?«

»Ich bringe Sie nach Deadwood zum Sheriff!«

Jeff und Ben hatten diese Worte auch gehört.

Ben, der kältere, fixierte schon seit einiger Zeit den Hügel, der kammartig neben dem Weg herlief. Plötzlich hieb er seinem Braunen die Sporen in die Weichen, daß das Tier mit einem wilden Satz vorwärts schoß und fast den Kammrand erreicht hatte, als ein pfeifendes Schwirren in der Luft war – und der hartgesichtige Ben Palmer aus dem Sattel gerissen wurde.

Eine Lassoschlinge saß fest um seine Oberarme.

Der Tramp lag an der Böschung im gelben Gras und stierte den Marshal aus bösen Augen an. »Verdammter Skunk!« stieß er gallig hervor.

»Steig auf, Ben! Und wenn du noch einmal den unterhaltsamen Einfall haben solltest, auszubrechen, mache ich mir die Mühe mit dem Lasso nicht mehr, darauf kannst du dich verlassen.«

Turkey hatte den Wurf beobachtet. Es war alles rasend schnell gegangen. Und der Bandit war ein Mann, der etwas von Lassowerfen verstand. Jetzt pfiff er leise durch die Zähne. »He, Mister«, sagte er feixend, »ich hab’ ja gesagt, daß Sie sich auf dem Jahrmarkt sehen lassen können!«

Abe Jeffries hielt sich seitlich neben dem Wagen. Hin und wieder warf er einen Blick auf den gefesselten Banditen.

Plötzlich brach es über Creeks Lippen: »Schiel mich nicht dauernd so an, du Giftmischer!«

»Halt’s Maul, Turkey. Du hast ausgespielt!«

Creek stieß einen Fluch aus. »Ausgespielt? Du hast es anscheinend verdammt eilig mit meinem Tod, Brother. Ich gedenke im Gegenteil noch eine ganze Reihe von Jahren zu leben.«

Jeffries kam nah an den Wagen heran. Es zuckte in seinem Gesicht. »Turkey, diesmal ist es aus. Dieser Mann da wird dich fertigmachen, das weiß ich. Ich habe es gewußt, von dem Augenblick an, da ich ihn gesehen habe…«

»Der Revolverschwinger?« höhnte Turkey.

»Es ist mir einerlei, Turkey, ob er ein Revolverschwinger ist oder sonst etwas. Hauptsache ist, daß er dich zusammengeschlagen und gefesselt hat. Und noch wichtiger ist, daß du gestellt bist.«

»Gestellt?« höhnte der Bandit. »Du mußt gehirnweich sein, fellow!«

»Die junge Frau hat dich erkannt. Du hast die Overland überfallen, Junge. Das ist dein Ende. Bei dem Überfall ist ein Mann irgendwie zu Tode gekommen. Die Frauen haben mir die Story genau erzählt.«

Wyatt merkte, daß die voranreitenden Männer das Tempo mehr und mehr verringerten. Er durchschaute ihre Absicht schnell: Sie wollten erreichen, daß die Stadt nicht vor Einbruch der Dunkelheit erreicht wurde. Die Nacht allein gab ihnen vielleicht noch eine Chance zur Flucht. Zwar hatten sie beide einen höllischen Respekt vor diesem Fremden bekommen, der mit Colt und Lasso gleichermaßen umgehen konnte, aber sie wußten andererseits, was ihnen blühte, wenn sie in Deadwood beim Sheriff abgegeben würden.

Deshalb trieb der Marshal die beiden zu größter Eile an.

Langsam breitete die Dämmerung ihre Schleier über die jetzt zu beiden Seiten der Straße hochansteigenden Berge.

Plötzlich sah Wyatt aus einem Hohlweg einen Dogcart herankommen, der von einem schweißnassen Rappen gezogen wurde.

Der Mann, der den Wagen lenkte, war groß, breitschultrig, trug einen sandfarbenen Stetson und einen eleganten dunklen Anzug. Er hatte graues Haar und ein von vielen Falten zerrissenes tiefbraunes Gesicht. Seine grauen Augen glitten forschend über den Treck. Und als sein Blick das Gesicht des Mädchens erfaßt hatte, sprang der Mann auf, riß die Zügelleinen hoch und setzte mit einem Sprung vom Wagen auf die Straße.

»Ann!«

»Papa!«

Ann Maxwell stürmte dem Vater entgegen, umarmte ihn und preßte sich weinend vor Freude und Erleichterung an ihn.

»Ann!« Der Mann schob sie etwas von sich und blickte ernst in ihr Gesicht. »Ann!« Dann hob er den Kopf und blickte die ältere Frau an. »Hallo, Susann!« Leise sagte er zu dem Mädchen: »Weshalb hast du sie mitgebracht? Du weißt, daß ich sie nicht mag.«

Ann hob den Kopf und blickte den Vater erschrocken an. »Aber Papa, sie hat viele Jahre für mich gesorgt. Onkel Joe ist tot – was sollte sie allein in Omaha?«

»Schon gut. Aber weshalb kommst du nicht mit der Overland? Was sind das für Männer, die euch da begleiten?«

Ann Maxwell berichtete dem Vater ihr schreckliches Erlebnis auf der Strecke.

Als Greg Maxwell den Namen Wyatt Earp hörte, warf er den Kopf hoch und musterte den Mann scharf. »Sie sind Wyatt?«

Der Missourier nickte.

Maxwell trat an den Wagen des Marshals heran. »Es freut mich, Sie kennenzulernen, Mister Earp. Und vielen Dank, daß Sie Ann und meine Schwester mitgenommen haben. Diese verteufelte Unsicherheit auf der Strecke nach Midland ist aber auch zum…«

Sein Blick war auf den Gefangenen gefallen. »He, Marshal, wen haben Sie denn da aufgeladen?«

»Es ist ein Bandit, der die Overland überfallen hat. Ihre Tochter hat ihn erkannt.«

Wyatt lud das Gepäck der Frauen hinten auf den Dogcart. Dann verabschiedeten sich die beiden.

Ann blieb noch einen Augenblick vor dem Marshal stehen. »Es tut mir leid, Mister, daß ich mich so dumm benommen habe.« Ihre Augen waren fest auf das Gesicht des Missouriers geheftet. »Aber ich glaube immer noch nicht, daß Sie Wyatt Earp sind.« Damit wandte sie sich um und lief zu ihrem Vater, der inzwischen wenig herzlich seine Schwester begrüßt hatte.

Maxwell nahm die Zügel auf. »Wir sehen uns dann ja noch in der Stadt, Mister Earp!«

Der zweirädrige Wagen rollte rasch davon.

*

Sheriff Baker war ein kleiner Mann mit hartem Gesicht und strähnigem Blondhaar.

Als die Tür seines Büros aufgestoßen wurde und die beiden Tramps hereinstolperten, hob er unwillig den Kopf. Die beiden trugen einen gefesselten Mann.

Dann kam der Missourier.

Der Sheriff stand auf und stemmte die Arme in die Hüften.

Ben und Jeff legten Turkey Creek auf den Boden nieder.

»He, was soll denn das?« rief Baker. »Das ist ja Dunc Blackburn!«

»Sie kennen ihn?« forschte Wyatt.

Baker sah auf. »Yeah. Wer sind Sie?«

»Ich komme aus Kansas. Mein Name ist Earp.«

»Earp?«

»Wyatt Earp.«

Der Sheriff stieß den Hut aus der Stirn. »Zounds! Sie sind Wyatt Earp!«

Wyatt deutete auf den Gefesselten. »Er heißt also Dunc Blackburn?«

»Ja, ich kenne ihn genau. Er hat längere Zeit hier in der Stadt gelebt. Ein wüster Bursche. Und die beiden anderen, was ist mit denen?«

»Sie waren bei Blackburn. Gestern haben sie in der Nähe des kleinen Pineridge-Creek die Overland überfallen und den Kutscher erschossen. Miß Ann Maxwell war in der Kutsche. Sie kann es bezeugen. Ebenfalls die Schwester von Mister Maxwell.«

Baker hob den Kopf. »Mrs. Howard ist auch mitgekommen?«

»Ja.«

»So, ich dachte…« Der Sheriff kratzte sich den Kopf und packte Ben und Jeff an den Ärmeln. »Los, Boys, rein ins Vergnügen!« Mit einem harten Ruck schob er die beiden in eine offenstehende Zelle. Dann beugte er sich zu Blackburn und nahm ihm die Fesseln ab.

»So, Dunc, du gehst in die Nachbarzelle. Da könnt ihr euch unterhalten. Karten liegen hinten auf dem Schemel. Es ist für alles gesorgt.«

*

Die Stadt Deadwood oben am Westrand Dakotas, dicht an der Grenze Wyomings, war eine betriebsame Stadt.

Die Stadt quoll über von Goldsuchern. Die große »Krankheit«, die vor gut dreißig Jahren Kalifornien heimgesucht hatte, war seit einiger Zeit auch hier oben in den Black Hills ausgebrochen.

Deadwood bot all denjenigen, die bereits einige mehr oder weniger große Goldkörner gefunden hatten, reichhaltige Möglichkeiten, sie auf schnellstem Wege wieder loszuwerden. In der Mainstreet gab es allein siebzehn Saloons, neun Spielsäle und drei sogenannte Tanz-Paläste.

Es war ein kleines Dodge in den Bergen.

Wyatt hatte im Cleveland Hotel ein Zimmer gemietet.

Früh am Morgen schlenderte er hinüber zum Büro der Wells-Fargo-Company.

Drüben, das große Eckhaus an der Warbystreet, wurde frisch mit grellgelber Farbe gestrichen.

Der Mann, der breitbeinig mitten auf der Straße stand und den Arbeiten zusah, war Greg Maxwell, Anns Vater.

Wyatt grüßte kurz und wollte dann weiter.

Da rief ihn Maxwell an. »Hallo, Mister Earp! Gut, daß wir uns treffen. Ich möchte etwas mit Ihnen besprechen. Können Sie einen Augenblick mit hereinkommen?«

Der Marshal nickte und folgte dem Bankier ins Haus.

Maxwell führte den Missourier in ein prachtvoll eingerichtetes Herrenzimmer zu ebener Erde.

»Nehmen Sie Platz, Mister Earp.«

Maxwell blieb vor dem schweren Eichenschreibtisch stehen.

»Mister Earp, zunächst möchte ich mich nochmals für Ihre Hilfe bedanken. Sie werden sich denken können, daß ich mich keineswegs nur mit Worten bei Ihnen bedanken möchte…«

Wyatt stand auf.

Maxwell hob begütigend die Hand. »Bitte, Mister Earp, behalten Sie Platz. Nein, ich habe nicht die Absicht, Ihnen Geld anzubieten.«

Wyatt setzte sich wieder.

»Sie sind doch in Dodge Marshal, nicht wahr?«

Wyatt nickte.

»Wenn ich recht vermute, wollen Sie die stille Zeit ein wenig ausnutzen. Das kann ich verstehen. Ein junger Mann braucht Bewegung und will Geld verdienen. Ist es so?«

»Yeah.« Der Missourier nahm eine seiner geliebten schwarzen Zigarren aus der Jackentasche, riß ein Zündholz an der Stiefelsohle an und brannte sich die Zigarre an.

Maxwell griff mit einer raschen Bewegung nach einer Zigarrenkiste, die hinter ihm auf dem Schreibtisch stand. »Pardon, ich bin hier oben ein halber Bauer geworden.«

»Ich habe nichts gegen Bauern«, versetzte der Marshal gelassen.

»Mister Earp, ich möchte Ihnen einen Job anbieten.«

Wyatt stand langsam wieder auf. »Vielen Dank, Mister Maxwell. Ich habe schon was in Aussicht.«

»Sollten Sie sich nicht lieber noch mein Angebot anhören, Earp?«

Wyatt blieb stehen.

Da erklärte der Bankier: »Ich besitze hier in der Nähe ein Goldgräberlager, in dem es ziemlich rauh hergeht. Ich brauche da einen Lagerboß.«

Wyatt schüttelte den Kopf.

Maxwell schob die Hände in die Tasche. »Sie haben doch noch nicht gehört, was der Job einbringt!«

Forschend ruhten die grauen Augen des Bankiers auf dem Marshal. »Ich biete fünfhundert im Monat.«

Wyatt nahm die Zigarre aus seinen blendendweißen Zahnreihen. »Ein guter Job, Mister Maxwell. Ich werde es mir überlegen.«

»Wann sagen Sie mir Bescheid?«

»Heute noch.«

Der Missourier verließ den Raum und ging durch den läuferbelegten Korridor der Flurtür zu.

Als Wyatt an der Tür war, sah er, ohne daß er nach rechts blickte, auf dem ersten Treppenabsatz eine Frau stehen.

Er spürte plötzlich, daß es Ann sein mußte.

Er sah sie nicht an, drehte den Türgriff und wollte hinaus.

»Mister Earp!«

Wyatt sah stumm zu ihr auf.

»Mister Earp.« Sie kam langsam die Treppe herunter und blieb vor ihm stehen. »Ich möchte mich bei Ihnen entschuldigen.«

»Wofür?«

»Daß ich Ihnen nicht geglaubt habe.«

»Glauben Sie mir jetzt?«

»Ja. Jimmy Hottes hat gesagt, daß Sie wirklich Wyatt Earp sind. Er hat Sie unten in Wichita schon einmal gesehen.«

»Ah.« Wyatt blickte auf die weiße Asche seiner Zigarre. »Haben Sie Jim Hottes gefragt?«

Das Mädchen wurde rot. Dann schüttelte es den Kopf. »Nein, das konnte ich doch nicht. Papa hat es getan. Er wußte, daß Jimmy Sie schon gesehen hatte, und ließ ihn holen. Jim arbeitet auf einem Claim bei uns draußen. Er ging in die Hotelhalle hinüber zu Mister Cleveland. Ich glaube, Sie saßen gerade vor einem großen Steak.«

»Mit Bohnen. Sie sind prächtig informiert.«

Ann konnte dem großen dunklen Mann in diesem Moment nicht in die Augen sehen. Leise sagte sie: »Ich danke Ihnen für alles.«

Wyatt nickte. »Schon gut, Miß Maxwell.«

*

Im Büro der Wells-Fargo-Gesellschaft saß ein kleiner blasser Mann mit einer dickglasigen Brille. Er blätterte in einem Stoß von Papieren, als der Missourier hereinkam.

Wyatt trat an den Schreibtisch, der mit einer Barriere verbunden war, die den ganzen Raum abteilte. »Sie suchen einen Gunman, Mister?«

Der kleine Mann warf den Kopf hoch, stand dann langsam auf, ging um den Tisch herum und blieb hinter der Barriere stehen. Er musterte den Fremden eingehend. »Also doch«, stieß er schließlich halblaut hervor.

Wyatt blickte ihn fragend an.

Da meinte der Kleine, wobei er seine Brille abnahm und eifig mit der Krawattenschleife polierte: »Ich habe es vor einer Stunde schon gehört. Gil Honbury erzählte es beim Barbier: Wyatt Earp ist in der Stadt. Und Sie sind doch sicher Wyatt Earp?«

»Yeah.«

Der Kleine reichte dem Missourier die blasse, mit braunen Tupfen besäte Hand über die Barriere. »Willkommen in

Deadwood, Mister Earp! Übrigens, eine ganz so große Überraschung war es für mich nicht, da Mister Beaulieu…«

»Ich weiß«, winkte Wyatt ab. »Wann geht die nächste Overland nach Midland?«

Der Kleine fuhr sich durch das Gesicht. »Hey, haben Sie ein Tempo, Marshal! Wollen Sie denn tatsächlich als Gunman mitfahren?«

»Mitreiten!«

»Bis Midland?«

»Bis Midland – wo der schöne Kreuzhügel ist, auf dem schon all die anderen liegen!«

Der kleine Cliff Cordy wischte sich über das Kinn. »Ja«, sagte er dumpf und blickte auf die rissigen Dielenbretter.

»Übermorgen also schon«, unterbrach Wyatt seine düsteren Gedanken.

Cordy hob den Kopf. »Ja, Marshal, übermorgen vormittag um elf Uhr fährt sie drüben bei der Posthalterei ab. Sechsspännig, mit Bill Natterman als Kutscher.«

Der Missourier stieß seine Zigarre in dem schweren Eichenholzascher aus. »All right, ich reite mit. Wie steht’s mit der Ladung?«

Der Wells-Fargo-Agent rieb sich den Nacken. »Tja, das ist eine dicke Sache, Mister Earp. Mit dieser Fuhre sollen Goldbarren im Wert von über hunderttausend Dollar befördert werden. Es ist die Ausbeute einer ganzen Zeit. Maxwells Gold-Bank of Dakota nimmt von den Diggern das Rohgold ab und schmilzt es zu Barren um. Unsere Aufgabe ist es, den Transport durchzuführen.«

»Sie meinen: das Gold ans Ziel zu bringen!«

Cordy nickte unsicher. »Yeah, Mister Earp. Man könnte vielleicht auch das Gold aufteilen und nach und nach verschicken. Aber es bleibt immer das gleiche.«

»Hunderttausend in Gold ist ein lohnender Brocken für Straßenräuber.«

Cordy meinte: »Mister Beaulieu wollte eigentlich selbst gekommen sein, aber anscheinend hat er Sie ja doch noch in Dodge erreicht. Er ist ein eifriger Mann und er…«

»Er ist tot«, sagte der Marshal dumpf.

Cordy fuhr auf. Er stierte in das harte, kantige Gesicht des Mannes, der da vor ihm stand. »Was haben Sie gesagt? Mister Beaulieu ist tot?«

»Yeah, er ist tot. Die Banditen, die eine Postkutsche überfallen hatten, haben ihn erschossen. Und wenn das nicht so wäre, würde ich den Job nicht nehmen, Mister Cordy.«

Wyatt ließ sich auf einen Hocker vor dem Schreibtisch nieder. »Und was geschieht, wenn die Kutsche wieder überfallen wird, wenn die Goldbarren geraubt werden?«

Cordy sagte leise: »Dann sind alle die kleinen Goldgräber ihr Geld los. Denn Maxwells Bank zahlt erst, nachdem das Gold im Depot von Midland untergebracht ist.«

Cordy schneuzte sich umständlich mit einem riesigen Taschentuch die Nase. »Ein geglückter Raubüberfall auf eine solche Menge Gold würde den Ruf unseres Unternehmens hier oben vernichten.«

»Kann ich mir denken.«

»Wir haben es diesmal so gehalten, daß niemand weiß, wann das Gold transportiert wird.«

»Ach, und bisher wußte es die ganze Stadt?«

»Das wohl nicht, aber doch eine Reihe Leute. Ach, wissen Sie, Mister Earp, wir haben auch schon einmal einen Transport völlig geheimgehalten. So wie wir es übermorgen vorhaben. Trotzdem ist die Overland überfallen worden.«

»Ja, ich weiß.«

Wyatt vereinbarte mit dem Agenten, daß er pünktlich um elf Uhr vor der Station sein wolle.

»Und mit dem Lohn…«

»Den hole ich mir in St. Louis ab, wenn ich um den Kreuzhügel in Midland herumkomme, Mister Cordy.«

»Und vergessen Sie nicht, es darf niemand erfahren.«

Wyatt lachte unergründlich. Dann ging er hinaus.

*

Am nächsten Morgen klebte vor der Tür der Wells-Fargo-Company ein großes Plakat. In riesigen schwarzen Lettern konnten die Leute da folgende Bekanntmachung lesen:

Die Overland Deadwood – Midland fährt morgen, am 4. September, um elf Uhr, hier von der Station ab. Die Kutsche transportiert Diggergold im Werte von einhunderttausend Dollar. Ich reite als Gunman.

Wyatt Earp

Mit ungläubigen Gesichtern standen die Menschen in den Vormittagsstunden vor dem Plakat. Und bald darauf entdeckten sie auch eines drüben an der Posthalterei.

Wyatt war mit seinem Falben in der Lowellstreet und ließ einen der Hinterhufe erneuern.

Pat Henderson, der junge blondhaarige Schmied, hatte die Nagelspitzen abgezwickt und das Horn geglättet. Jetzt wischte er sich die Hände an seiner grünen Schürze ab und blickte den Marshal an. »Ich hielt es erst für einen üblen Scherz, als ich es heute morgen in aller Frühe las.«

Wyatt prüfte die anderen Hufe und fand, daß sie noch gut in Ordnung waren.

»Ich gehe morgens nämlich immer oben in die Kirche. Wir sind katholisch, meine Frau und ich. Und oben am Westende der Stadt haben wir Katholiken uns eine kleine Kapelle gebaut. Es ist natürlich kein Schmuckstück, aber Sie sollten sie sich mal ansehen, Mister Earp. Eine Menge frommer Sprüche haben wir da auch an den Wänden. Einer heißt: Du sollst deinen Nächsten…«

»Den kenne ich«, erwiderte der Marshal. »Aber ich wäre nicht böse, wenn Sie mir erklären würden, was Sie mir sagen wollen.«

Der Schmied hob den Kopf. »Dunc Blackburn ist der Bruder meiner Frau.«

Das Gesicht des Missouriers wurde hart. »Tut mir leid für Sie, Blacksmith. Der Mann hat die Overland überfallen und einen Kutscher niedergeschossen.«

»Ich habe es gehört. Die Männer im Sunset Saloon haben es erzählt. Was wird mit Dunc geschehen?«

»Das ist nicht meine Sache, das muß der Richter entscheiden. Weshalb gibt er sich für Turkey Creek aus?«

»Er ist…« Der Blacksmith hielt inne und besann sich. »Ich weiß es nicht. Es macht drei Dollar.«

Wyatt zahlte und ritt davon.

In der Hotelhalle kam ihm Greg

Maxwell entgegen. »Mister Earp! Was haben Sie angestellt? Die ganze Stadt steht vor Ihren Plakaten. Was soll das? Cordy und ich wollten den Transport geheimhalten. Und nun das? Weshalb wollen Sie überhaupt als Gunman reiten? Ein Mann wie Sie ist zu schade für diesen Höllenjob. Vielleicht haben Sie noch nicht gehört, daß…«

»Ich habe alles gehört, was mit dem Job zusammenhängt«, unterbrach ihn Wyatt.

»Und was ist mit dem Job in meinem Lager!«

»Suchen Sie sich einen anderen Mann, Mister Maxwell.«

»Ich biete siebenhundert.«

Der Missourier schüttelte den Kopf.

»Tausend!«

Wyatt nahm eine Zigarre aus der Tasche. »Ich habe bei Cordy angenommen, Mister Maxwell. Und ich will Ihnen auch sagen, weshalb: Als ich von Kansas heraufkam, hatte ich die Absicht, hier oben in den Goldgräberlagern irgendwo zu arbeiten. Der Job, den Sie mir anbieten, wäre genau das Richtige gewesen. Auch mit weniger Lohn, als Sie mir anfangs boten. Unterwegs traf ich einen Mann von der Wells-Fargo-Company, der mir den Job als Gunman anbot. Ich lehnte ab.«

»Weshalb wollen Sie dann reiten?«

»Der Agent gab sich alle Mühe, mich für die Linie zu gewinnen. Er war sogar eine Nacht bei mir im Lager. Ich wundere mich, daß Ihre Tochter Ihnen nichts davon erzählt hat…«

»Sie ist eigenartig geworden, seit sie von Omaha zurückgekommen ist. Sehr eigenartig…«

»Hören Sie weiter: Dieser Agent ritt am frühen Morgen zurück. Ich folgte ihm, als ich nach einer Weile das Geräusch eines Schusses hörte. Er lag quer über den Wagengeleisen, mit einer Kugel im Rücken. Er ist ermordet und ausgeplündert worden. Ein kleiner Mann, der mehrere hundert Meilen zurückgelegt hat, um mich für diesen Job anzuwerben. Ich bewundere diesen Mann, Mister Maxwell! Deshalb habe ich jetzt angenommen.«

Der Bankier stieß die Luft geräuschvoll durch die Nase aus und umklammerte eine Stuhllehne. »Ich verstehe Sie, Mister Earp.« Er reichte dem Marshal die Hand und ging hinaus.

Gegen Mittag kam der Sheriff ins Hotel. Er klopfte an Wyatts Zimmer.

Mit hochrotem Kopf trat er ein. »Sie haben da ja einen höllischen Wirbel angerichtet, Earp. Die sechs Sitzplätze waren im Nu verkauft, und plötzlich gab es vor der Posthalterei eine Schlägerei um die Billetts. Ein Mann liegt drüben bei Doc Beverly. Sie haben ihm fast den Schädel eingeschlagen. Plötzlich gibt es mehr als zwei Dutzend Leute, die unbedingt mit der Kutsche rüber nach Midland müssen. Der Fall liegt natürlich auf der Hand: Jetzt, da die Leute wissen, daß ihr ganzes Geld transportiert wird, wollen sie am liebsten dabei sein. Das heißt, das hätten sie früher ja auch haben können. Aber sie bilden sich ein, die Fuhre sei jetzt sicher. Es sind Digger dabei, die ihr Camp jetzt gar nicht verlassen können; sie sind auf die schnelle Reise überhaupt nicht vorbereitet. Es gibt drüben in den Camps ein Höllentheater…«

Wyatt hatte seine beiden Revolver gereinigt und frisch geölt. Jetzt schob er sie in die Halfter. »Es ist gut. Das ganze bringt mich auf eine Idee: Wir könnten das Gold doch auch an einem späteren Termin transportieren. Dann kann mitkommen, wer mitkommen will.«

»Wie denn? Die Männer haben doch keine Pferde mehr. Sie haben doch fast alle ihre Gäule verkauft. Ein Pferd kostet in Deadwood mehr als zweihundert Dollar.«

»Das ist doch Wucher.«

»Natürlich ist es das. Aber der wilde Handel blüht, und niemand kann Einhalt gebieten.«

»Und – was soll geschehen?«

»Ich weiß es nicht. In dieser Stadt stimmt überhaupt eine Menge nicht Aber ich allein kann nichts ausrichten Der Major ist ein alter Mann. Eine Zeitlang hatten wir einen Town-Marshal, aber der lag eines Morgens vor dem Sunset Saloon mit einem Messer im Rücken.«

»Es gibt also – um es klar zu sagen – hier Leute, die daran interessiert sind, daß einiges nicht stimmt.«

»Genauso ist es.«

Wyatt zog die Schultern hoch. »An wen wurden die sechs Sitzplätze in der Kutsche verkauft?«

»Ich weiß es nicht. Ein Bursche aus den Camps hat, gleich als der Schalter geöffnet wurde, die Passage auf alle sechs Plätze bezahlt. Das ist nicht zu beanstanden.«

»Kennt denn niemand den Mann?«

»Nein. Mister Powell, der Posthalter, hat ihn heute zum ersten Male gesehen.«

»Ich bekomme also die Passagiere erst morgen vormittag um elf Uhr zu Gesicht?«

»Ja. Und wissen Sie, was ich denke?«

»Ja, ich ahne es schon: Sie glauben, daß die Banditen die sechs Tickets haben aufkaufen lassen, um selbst mit der Kutsche zu fahren. Oder noch schlimmer: um die Kutsche leer fahren zu lassen. Denn auch Passagiere können einen Überfall stören.«

»Genau das meine ich, Marshal«, versetzte der Sheriff schroff.

»Dagegen läßt sich nichts unternehmen.«

*

Der Wirbel um den großen Geldtransport schien die ganze Stadt erfaßt zu haben.

Der Name Wyatt Earp hatte wie eine Dynamitladung gewirkt.

»Wyatt Earp reitet als Gunman!«

Die einen waren ganz begeistert, die anderen knurrten vor Wut und Ärger, daß sie jetzt keine Pferde hatten, den Transport durch ihre eigene Gegenwart noch sicherer zu machen, schließlich war es ja ihr Gold, das da transportiert wurde.

Wyatt verließ gerade die Hotelhalle, als ihm auf dem Vorbau ein großer schlanker Mann entgegentrat. Er hatte ein hartes blasses Gesicht, stechende Augen und trug über der dunklen Lewishose einen Kreuzgurt mit zwei schweren, tiefhängenden Revolvern.

»Sie sind Wyatt Earp?« fragte er mit einer schnarrenden Stimme.

»Yeah.«

»Ich bin Ed Hees. Sagt Ihnen das was?«

»Was wollen Sie?« versetzte der Marshal kühl.

»Ich habe eine Ranch in der Nähe, mit Rindern und Pferden. Ich werde heute etwas in der Stadt verkaufen.«

Wyatt blickte den wenig sympathischen Mann forschend an. »Was geht das mich an?«

»Nichts – Mister. Eben das wollte ich Ihnen sagen.« Hees wandte sich um und schritt sporenklirrend über die Straße davon.

Wyatt sprach mit Cordy noch über Einzelheiten des Transports, dann wollte er über den Platz an der City Hall vorüber zu Johnsons Barbershop.

Eine Menschenmenge drängte sich vor der City Hall.

Links in einer Gasse daneben sah Wyatt die Köpfe einer Reihe von Pferden.

Oben auf der Treppe des Stadthauses stand Ed Hees und rief Zahlen aus.

Jetzt begriff der Missourier: Hees hatte die Gelegenheit benutzt und wollte eine Reihe seiner abgetriebensten Gäule an die Digger verschachern.

Der hagere Rancher Ed Hees, der nach Wyatts Ansicht eher wie ein Revolvermann aussah – verkaufte den Leuten seine Gäule zu Irrsinnspreisen.

Wyatt zwängte sich außen an der Menschenansammlung vorbei und verstand es einzurichten, daß er oben einige Yards neben Hees auf der Treppe des Stadthauses stand.

Eben zog ein Cowboy eine wahre Rosinante von einem Gaul in den Kreis.

»Dieser kräftige Graue ist für nur vierhundert zu haben!« rief der geschäftstüchtige Hees. Er stockte plötzlich, denn er hatte kaum vier Yards rechts neben sich den Marshal entdeckt.

Wyatt blickte den Rancher an. Dann sagte er laut: »Leute, kauft ruhig so viel Gäule, wie ihr kaufen wollt. Jeder muß wissen, wo er sein Geld unterbringt. Ich wollte euch nur folgendes sagen: Ich reite morgen allein mit der Overland. Wenn ich auch nur einen Reiter sehe, dann kehre ich um.«

Nach diesen Worten stiefelte er hinüber zu Johnsons Barbershop.

Der kleine Figaro stand in der Tür und blickte dem Missourier entgegen. In seinen blanken Augen stand helle Freude. »Goddam!« zischelte er, »das war ein wahres und gutes Wort. Diese Idioten buddeln sich monatelang die Hände wund und werfen diesem Halunken ihre Bucks für ein Rudel völlig abgetriebener Schinder in den Hals. Er ist ein Bandit, dieser Hees, ich habe es immer gesagt, und wenn der Major noch so sehr vor ihm katzbuckelt!«

Wyatt ließ sich auf den Rasiersessel nieder.

Der kleine Johnson warf ihm das Leinentuch um und meckerte weiter. »Sie sollten seine Ranch sehen. Sieht aus wie eine Festung, und seine Crew – na, lauter Banditengesichter. Haben Sie schon mal einen Rancher ohne Rinder gesehen? Ich nicht.«

»Dann ist er also Pferdezüchter?«

»Das sagt er. Und seine Pferde können Sie da drüben ja betrachten. Ein Bandit ist er.«

»Wie kann er sich denn da oben überhaupt halten?«

»Mit seinen Pferden natürlich. Außerdem hat er Geld. Seine Mannschaft hängt jeden zweiten Abend hier in der Stadt, macht die Saloons und Spielsäle unsicher, fängt immer eine neue Schlägerei an oder sorgt für eine Schießerei.«

»Nette Gegend hier.«

»Doch, ja, das kann man wohl sagen. Seit der Townmarshal tot ist, ist hier der Teufel los. Der Sheriff kommt nicht dagegen an, obwohl er ein vernünftiger Kerl ist. Er hat keine Unterstützung. Ich sage Ihnen, Mister Earp, wenn sie in Dodge aufgeräumt haben, müssen Sie herkommen. Das lohnt sich. Allerdings müssen Sie damit rechnen, daß Sie eines Morgens auch auf der Mainstreet gefunden werden, mit einem Loch im Rücken.«

»Das scheint hier eine beliebte Art zu sein, unbequeme Leute aus dem Diesseits zu befördern!«

»Leider ja. Und glauben Sie nicht, daß Sie einmal einen Schuldigen finden. Dunc Blackburn soll einen Fahrer erschossen haben. Gut, sehen Sie zu, daß er baumelt. Aber ehe Sie mit der Overland auf den Trail gehen. Der Richter bringt ihn nicht an den Strick. Er ist vierundsiebzig Jahre und froh, wenn er seine Ruhe hat. Sein Stellvertreter ist Ed Hees. Gut ausgeknobelt, nicht wahr?«

»Allerdings.«

Als Wyatt den Shop verließ, hatte sich draußen die Menge fast verzogen.

Drüben vor dem Stadthaus stand Hees mit sieben hageren, staubigen Burschen und blickte zu ihm hinüber.

Wyatt hielt auf die Mainstreet zu.

Da setzten sich die Cowboys – Hees voran – in Bewegung und schoben auf ihn zu.

Wyatt ging weiter.

Da stand der Rancher plötzlich vor ihm. Fünf Yards. Mit gespreizten Beinen und steif über den Colts hängenden Händen.

»Earp!« rief der Rancher schrill.

Wyatt ging noch zwei Schritte weiter und blieb dann stehen. Er kreuzte nach seiner Gewohnheit die Arme über der Brust.

»Was wollen Sie, Hees?«

»Sie haben mir die Käufer vertrieben und einen Schaden von fast zehntausend Dollar verursacht. Wie stellen Sie sich dazu?«

Wyatt hob den Kopf. »Ich verstehe Sie nicht, Hees. Ich habe niemanden vertrieben und auch keinen Schaden verursacht. Ich habe den Leuten lediglich mitgeteilt, daß ich allein mit der Kutsche reite. Die Wells-Fargo hat mich als Gunman angeworben und nicht ein Dutzend Goldgräber oder mehr.«

Hees stand steifbeinig da. »Keine Redereien, Earp. Sie haben mir einen Schaden von zehntausend Dollar verursacht. Den werden Sie mir ersetzen.«

»Zehntausend Dollar? Wieso, hatten Sie hier Ihre Ranch und ihr Land feilgeboten?«

»Nein, aber meine Pferde!«

»Ich habe nur ein Rudel abgetriebener kranker Klepper gesehen. So was werden Sie doch nicht Pferde nennen wollen, Hees?«

»Mac!« brüllte der Rancher, ohne den Marshal aus den Augen zu lassen.

Ein mittelgroßer Bursche mit breiten Schultern und eingeschlagener Nase schob sich zwei Schritte vor. Er hakte die Daumen in den Waffengurt. »Boß?«

»Du hast gehört, was dieser Mann gesagt hat. Er hat die Pferde, die du mit deinen Leuten oben auf der Bergweide aufgezogen hast, Klepper genannt. Er weiß nicht, wie ein gutes Pferd für diese Gegend aussehen muß. Er weiß nicht, was hier ein solches Pferd wert ist. Er weiß überhaupt eine Menge nicht, dieser Fremde.«

»Yeah, Boß.«

»Du wirst es ihm beibringen!«

Ohne irgendein weiteres Wort stieß der Cowboy seine Rechte nach unten, packte den Colt und wollte ihn hochreißen. Zu seinem Schrecken sah er selbst in eine Revolvermündung.

Der Marshal hatte seinen Buntline-Revolver in der Linken.

»Was soll das?« krächzte Mac.

Hees stieß einen heiseren Fluch aus. »Was denn?« fauchte er. »Ihr laßt euch von einem dahergelaufenen Tramp überraschen? Cowboys wollt ihr sein?«

Da sagte der Missourier ganz ruhig, ohne jede Schärfe: »Hört zu, Boys. Mich kümmern die Geschäfte von Mr. Hees nicht im mindesten. Wer aber glaubt, deshalb zum Colt greifen zu müssen, bringt sich selbst in Gefahr.«

»Reden Sie nicht, Earp. Sie kennen meine Forderung – Mac, putz ihn mir aus dem Weg!«

»Mac!« wie ein Peitschenschlag schallte der Ruf über den Platz. »Wenn du nicht gehorchst, bist du entlassen.«

Die braune Faust des Cowboys spannte sich wieder um den Hirschhornknauf seines Revolvers.

Wyatt Earp hatte den Hahn seines Buntline-Revolvers gespannt. Immer noch völlig ruhig sagte er: »Vielleicht ist es immer noch besser, Mac, entlassen zu werden als tot zu sein. Ich sehe da drüben ein verrostetes altes Schild. Es gehört der Wells-Fargo-Company, und ich glaube, es wird niemand weinen, wenn ein paar Löcher da drin sind.«

Und dann sahen die Männer von der Hees-Ranch etwas, das sie nie wieder vergessen würden.

Gedankenschnell zuckte die linke Faust des Missouriers hoch. Der Buntline-Revolver spie Feuer. Sechs Schüsse peitschten über den Platz und hörten sich wie einer an.

Mac Gibbons und Ed Hees starrten auf die rechte Hand des Marshals, in der jetzt schon der fünfundvierziger Colt lag.

»Du kannst dir die Löcher ansehen, Mac. Ich warte hier. Und wenn du dann noch weitere Wünsche hast, sprechen wir weiter.«

Der Cowboy warf einen scheelen Blick auf seinen Boß.

Ed Hees rührte sich nicht. Eiskalt blickte er den Marshal an.

Da setzte sich der Cowboy in Bewegung und schritt langsam die Mainstreet hinüber auf das Office der Wells-Fargo zu.

Auf dem Platz blieb alles still.

Bis Mac zurückkam. Und er kam ganz langsam. Die Männer, die ihn kannten, sahen, daß er um einen Schein blasser geworden war.

Mac blieb einen Schritt neben dem Boß stehen und starrte den Missourier an. Dann sagte er ganz leise und doch so, daß es jeder verstehen konnte: »In jedem Buchstaben des Wortes Office ist ein Loch.«

Der Rancher sah erst ihn an, dann den Missourier, stieß einen pfeifenden Laut durch die Zähne, wandte sich um und ging sporenklirrend in die Mainstreet hinüber.

Seine Leute folgten ihm.

Mit bleichem Gesicht starrte Ed Hees auf das Schild. Um seinen schmalen Mund war ein Zucken. »Das ist doch nicht möglich…«

Mac Gibbons und seine Kameraden standen da wie Schuljungen und blickten auf ihre Stiefelspitzen.

Bis sich Mac umwandte. »Ich nehme einen Drink!« Langsam stakste er auf den Sunset-Saloon zu.

Zögernd und mit gesenktem Kopf folgten ihm die Männer.

Ed Hees stand allein auf der Straße und starrte noch immer auf das Schild der Wells-Fargo-Company. Dann wandte er den Kopf.

Drüben auf dem Marktplatz stand noch der Marshal. Er hatte die Arme über der Brust verschränkt. Die Trommel seines langläufigen Revolvers war längst wieder gefüllt.

*

Am nächsten Vormittag rollte die Overland bei strahlendem Sonnenschein durch die Mainstreet. Sechs blank gestriegelte Füchse im schwarzen Ledergeschirr tänzelten unruhig auf der Straße.

Oben auf dem Kutschbock saß der alte Bill Natterman und blickte mit gleichgültigen Augen auf die Menschen, die sich auf den Stepwalks angesammelt hatten.

Alles sah zum Cleverland-Hotel hinüber, woher der Marshal kommen mußte.

Und dann kam er. Er trug seinen schwarzen Anzug, ein blütenweißes Hemd und eine schwarze Samtschleife. Ein Junge vom Hotel brachte ihm den aufgesattelten Falben.

Wyatt prüfte die Ledergurte des Zaumzeugs nach und nahm dann den Zügel.

Als Bill Natterman ihn sah, nahm er die schweren Zugleinen auf und setzte sein Sechsergespann in Bewegung.

Die große Overland rollte vor Maxwells Bank.

Mehrere hundert Augenpaare beobachteten, wie zwei herkulisch gebaute Männer das Gold in schweren Kisten zu der Kutsche schleppten.

Die kostbare Fracht war bald verstaut.

Der Missourier zog sich in den Sattel.

Der Kutscher zupfte sich den braunen Bart und blickte sich um. Dann sah er den Marshal an: »Wo bleiben die Fahrgäste?«

»Nicht unsere Sorge, Bill.« Wyatt zog die kleine Uhr, die ihm Daniel Loons vor Jahren in Kansas City geschenkt hatte. »Wir warten noch genau drei Minuten.«

Es war ganz still auf der Straße geworden. Alle Gespräche waren verstummt. Die Leute starrten auf den hochgewachsenen Mann, der da etwas vorgebeugt im Sattel seines hochbeinigen, schlanken Falben saß und die Straße hinunterblickte.

Drüben in der Tür des Everetts General-Store stand eine junge Frau in einem himmelblauen Kleid. Der Blick ihrer dunklen Augen schweifte über das imposante Bild der großen Kutsche und blieb schließlich auf der Figur des Gunman haften.

Da hob er leicht die Hand.

Natterman warf die Leinen hoch. »Hey! Hey!« rief er schrill und trieb die Füchse an.

Mit krachenden Ledergeräuschen und dumpfen Rollen polterte die Kutsche nach Süden aus der Mainstreet.

Der Gunman folgte ihr im leichten Trab.

*

Die Overland-Kutsche hatte für die Fahrt von Deadwood nach Midland eine Zeit von knapp drei Tagen berechnet. Das war für die mehr als hundertfünfzig Meilen und dem nur dreimaligen Pferdewechsel bei fünfmaligem Halt eine enorme Sache.

Bill Natterman fuhr seit sechzehn Jahren Postkutschen auf allen Linien. Auch die berüchtigte Strecke Deadwood – Midland hatte er bereits mehrmals befahren. Und jedesmal war die Kutsche überfallen worden. Bill wußte also, was ihm bevorstand. Das heißt, der Kutscher war keineswegs allzu gefährdet. Wenn er nicht zur Waffe griff, ließen ihn die Banditen meist ungeschoren.

Bill war ein schweigsamer Mann.

Als sie am späten Nachmittag die Station Lowell verlassen hatten, mußte der Alte doch bei sich feststellen, daß sein neuer Gunman ihn an Schweigsamkeit noch übertraf. Bis jetzt hatte er noch kein einziges Wort mit dem Kutscher gewechselt.

Da fragte der Alte, als Wyatt wieder einmal von dichtem Buschwerk gezwungen wurde, nahe an der Kutsche zu reiten: »Was die Leute bloß haben, ist doch eine ruhige Sache, finden Sie nicht auch?«

Wyatt hob den Kopf und blickte in das wetterbraune, runzlige Gesicht des Alten. »Das weiß man leider erst, wenn man es hinter sich hat, Bill.«

Der Alte runzelte die Stirn und rieb sich mit der Linken das Ohr. »Wissen Sie, eine harte Ecke haben wir schon hinter uns.«

»Ich weiß«, sagte der Marshal.

Bill blickte ihn überrascht an.

Da wies Wyatt mit dem linken Daumen über die Schulter zurück. »Sie meinen die Stelle, wo links und rechts Felssteine lagen.«

Bill zwinkerte listig und grinste dann breit. »Yeah, Sie sind ein kluger Kopf.« Und dann erinnerte er sich plötzlich daran, daß ausgerechnet an dieser Stelle der Gunman plötzlich verschwunden war.

Wyatt hatte den Weg verlassen und einen Halbkreis um die enge Passage geschlagen.

Die schwere Postkutsche rollte durch bergiges Land, verließ gegen Abend die Black Hills, rollte über die endlose Weite der Duffy-Prärie gegen Osten.

In der kleinen Ansiedlung Viewfield war die Tagesreise beendet.

Früh am nächsten Morgen ging es weiter in die von dichtem gelbem Büffelgras bewachsene Savanne, die zum Cheyenne River führte.

Wenn die Postkutschenräuber die Overland in dieser Landschaft hätten anfallen wollen, müßten der Gunman und der Kutscher sie schon von weitem sehen.

Deshalb meinte der Alte, als der Weg einmal so holprig wurde, daß er nur im leichten Trab fahren konnte: »Hier müßten sie schon platt auf dem Bauch im Gras liegen, wenn sie auf uns warten wollten.«

Wyatt nickte.

Unangefochten erreichte die Overland den Cheyenne Creek.

Das Land hinter dem Cheyenne River wurde hügelig und veranlaßte den Gunman, häufiger auf Beobachtungsritte zu gehen.

Bill sah den Marshal am späten Nachmittag nach Norden davongaloppieren.

Es verging eine Stunde.

Der Gunman kehrte nicht zurück.

Bill betrachtete mißmutig das stärker werdende Gebüsch an der Straße, ließ die Overland aber weiterrollen.

Und dann sah er plötzlich einen Mann hinter einer Wegbiegung auf der Straße stehen.

Er war mittelgroß, schmal gebaut, hatte ein dunkles Gesicht und unverkennbar indianische Gesichtszüge.

Bill ließ die Füchse weiterlaufen.

Aber der Mann wich keinen Zoll vom Fleck. Mit kohlenschwarzen Augen blickte er dem Gefährt entgegen.

Mit einem schrillen »Hoooh!« brachte Natterman die Overland in einer Wolke von mehlfeinem Staub zum Stehen.

Der Mann rührte sich auch jetzt noch nicht vom Fleck.

Bill nahm seine Pfeife aus der Tasche schlug sie am Fußbrett aus und nahm eine Handvoll Tabak aus der Jackentasche. Gelassen zündete er die Pfeife an.

Der Mann stand immer noch vorn auf der Straße.

Bill wurde es schließlich doch zu dumm. »He, Mister, ich komme schlecht an Ihnen vorbei. Sie müßten ein Stück zur Seite gehen.«

Da hatte der finstere Geselle plötzlich einen seiner langläufigen Colts in der Rechten.

Bill sog an seiner Pfeife. Nichts in seinem bärtigen Gesicht verriet, daß er innerlich erregt war.

Der Mann machte jetzt einige Schritte auf das Leitpferd zu und griff nach dessen Halfter.

»Was soll’s denn?« forschte der Kutscher leutselig. »Brauchen Sie einen Gaul?«

Der Mann sah ihn an und kam ganz langsam näher. Der, Colt in der vorgestreckten rechten Faust. Mit einem Sprung war er am Wagenschlag und riß ihn auf.

»Keine Passagiere?« fragte er mit heiserer Stimme.

»No«, versetzte Bill ruhig.

»Wo sind die Postsäcke?«

»Hinten.«

Der Mann ging um den Wagen herum.

Dann kam er wieder zurück, stand unten hinter der Deichsel und blickte den Kutscher aus engen Augen an.

»Geld raus!« sagte er rauh.

»Geld?«

»Yeah – und zwar schnell. Ich habe nicht viel Zeit.«

Bill langte in seine Tasche und brachte ein zusammengeknotetes rotweißkariertes Tuch zum Vorschein. Umständlich knüpfte er es auf und hatte dann ein paar Münzen in der Hand.

»Das ist mein Geld«, versetzte Bill. Damned! Ging es ihm durchs Hirn. Ausgerechnet jetzt ist der Gunman unterwegs und grast die Landschaft ab. »Es ist all mein Geld, Mister. Mehr brauche ich nicht. Ich kriege meine Verpflegung auf der Linie an allen Stationen. Schätze, daß Ihnen das keine Neuigkeit sein wird.«

Da riß der Mann den Hahn des Colts zurück.

»Wenn du mich wegen der paar Cents zum Großen Manitu schicken willst, Brother, dann mußt du es tun. Aber vorher kannst du mich fragen, ob ich dir meine Reichtümer nicht schenken will.«

Bill stemmte den rechten Stiefel gegen das Fußbrett, stützte den reckten Ellbogen auf und sah den Mann feixend an.

Der ließ den Colt ins Halfter gleiten. »Abknallen sollte man dich! Ich habe Hunger, verstehst du, ganz gemeinen, dreckigen Hunger.«

»Aber ich verstehe dich nicht, Brother, davon hast du noch kein Wort gesagt. Erstens gibt es überall Arbeit. Und wo man arbeitet, kriegt man Geld für Brot – und…«

Der Mann hatte den Colt wieder in der Hand. Eine jähe Blässe überzog sein dunkles Gesicht.

»Warte doch«, sagte der Kutscher schnell, »du bist entschieden zu nervös, Brother. Ich wollte noch sagen: Und dann hat der alte Bill Natterman natürlich noch Brot und Speck und Käse.«

Der Fremde starrte ihn an. »Wer ist das?«

Bill beugte sich vor und tat entsetzt: »Du kennst Bill Natterman nicht? Mußt du ein hungriger Kerl sein. Du sprichst schon eine ganze Weile mit ihm!«

Der Mann stemmte die Arme in die Hüften. »Es reicht mir, Alter. Zieh ab mit deinen Schinder. Wer vier ganze Centstücke in der Tasche hat, ist nicht der richtige Mann, mir was zu essen abzulassen.«

»Aber du irrst schon wieder!« meinte der Alte gutgelaunt, öffnete den Kutschkasten, wandte sich um und hatte plötzlick einen fünfundvierziger Colt in der Hand.

Der Mann schrak zusammen. Er hatte seinen Revolver längst wieder ins Halfter gesteckt.

Bill feixte. »Siehst du, Brother, das hier, das ist das Brot für die ganz Armen. Für die Allerärmsten sogar. Ich weiß nicht mal, ob du zu ihnen gehörst. Ich weiß nur, daß du zu diesem Job nichts taugst. Und das reicht gerade. Na –«

Bill warf den Colt zurück in den Kasten und brachte einen Kanten Brot, ein Stück Käse und einen Zipfel Wurst zum Vorschein. »Los, fang auf!« rief er gönnerhaft und warf dem Wegelagerer die Speisen zu.

Mit artistischer Gewandtheit fing der Tramp alles auf. Sofort setzte er sich an den Wegrand und machte sich mit einem wahren Heißhunger über die Sachen her.

Bill Natterman sah ihm kopfschüttelnd zu. »Tramp müßte man werden, dann könnte man wenigstens hin und wieder mit richtigem Appetit essen. Ich habe zum Beispiel nie Hunger…«

Der Mann sah nicht auf. Er stopfte Brot, Wurst und Käse in unwahrscheinlich kurzer Zeit zwischen seine großen weißen Zähne.

Dann stand er auf und wischte sich die Hände an den Hosen ab.

»Wie wäre es mit einem neuen Job?« fragte Bill sorglos.

Der Mann schüttelte den Kopf. »Ich werde nie mehr einen Job haben. Ich war auf Fellers-Ranch.«

»Auf Fellers-Ranch?« unterbrach Bill. »He, da mußt du doch ein guter Cowboy sein. Der alte Feller nimmt doch nur ausgesuchte Leute.«

»Yeah. Das war ich auch. Bis Turkey Creek kam…«

»Was faselst du da, Cowboy?«

Der Mann warf den Kopf hoch. Sein Gesicht war tiefernst. »Ich bin Mestize, mein Vater war ein Pineridge-Indianer. Und ich kann es nicht ändern…«

»Das kannst du sicher nicht«, versetzte der Alte, wobei er seine Pfeife ausklopfte.

»Es war immer schwer, aber auf Fellers-Ranch wurde es höllisch für mich. Die Boys wollen keine Rothäute. Ich konnte mich trotzdem halten, weil der Boß einen Mann brauchte, der schießen kann. Und der trotzdem was von Pferdezucht versteht. Es ging gut, bis Turkey Creek kam. Er brach in unseren Corral und nahm siebzehn Gäule mit.«

Bill nickte. Er hatte schon verstanden. »Er kam nachts – und die Boys schoben dir den Coup in die Stiefel, stimmt’s?«

»Nicht ganz. Er kam im Morgengrauen. Ich schoß zwei seiner Leute nieder. Sie waren tot. Aber Turkey Creek entkam mit den sieben anderen und den Pferden. Und Tote können nicht reden…«

Bill nickte wieder. »Du kannst ein Stück mitfahren, Brother. In der Overland werden die Feller-Leute dich kaum suchen.«

Der Mann winkte ab. »Ich treibe mich schon seit drei Wochen in der Gegend herum. Wenn ich wenigstens einen Gaul hätte, daß ich mich nach Süden absetzen könnte. Nach Texas vielleicht. Feller hat hier oben herum alle Sheriffs über mich informiert. In Silverlake habe ich vor zwölf Tagen meinen Steckbrief gesehen.« Der Blick des Mestizen ging begehrlich über die blanken Pferderücken des Overland-Gespanns. »Mit fünf Gäulen rollt die leere Kiste wohl auch?«

»Das ist schlecht, Brother. Wenn die Wells-Fargo dich erst wegen Pferdediebstahls sucht, dann wiegt der eine wirklich gestohlene Gaul mehr als Fellers siebzehn angeblich verschleppte Tiere. Dann findest du auch im Süden keinen Platz mehr. Die Company hat Geld genug, dich im ganzen Land suchen zu lassen. Ein Trail ohne Sinn.«

Bill nahm den Hut ab, wischte das Schweißleder mit seinem riesigen Taschentuch aus und fand: »Es gibt noch eine Chance. Du schießt mich nieder, dann hast du gleich sechs Gäule und niemand weiß was davon.«

Bill hielt den Mann scharf im Auge.

Langsam kroch die Hand des Verzweifelten zum Colt.

Der alte Fahrer blickte ihn ruhig an.

Sekunden verrannen.

Dann sagte Natterman: »Du kannst es nicht. Du hättest es sonst schon getan, Brother. Ich sagte ja: Es ist kein Job für dich. Steig ein. Ich schaukele dich bis in die Gegend von Midland, dann kannst du weitersehen. Inzwischen verhungerst du wenigstens nicht.«

»In Silverlake haben die Leute erzählt, daß ein Marshal aus Kansas hier oben herumkraucht. Weiß der Teufel, was er hier will. Am Ende hat Feller ihn angeworben.«

»Wyatt Earp?« fragte Bill.

Der Cowboy nickte. »Du weißt es also auch?«

»Yeah. Aber steig trotzdem ein. Er sucht dich nicht. Quetsch dich in eine dunkle Ecke und schlafe ein paar Stunden. In Loovingston mache ich Nachtstation. Da schläfst du im Stall. Der Posthalter ist ein alter Knabe. Er wird dich nicht sehen. Ist das ein Vorschlag?«

Der Cowboy rieb sich das Kinn. »Hast du ihn gesehen?«

»Wen?«

»Wyatt Earp.«

»Yeah.«

»Wo?«

»In Deadwood. Und zuletzt...« Bill wies mit dem linken Daumen über die Schulter, »zuletzt da hinten auf dem Hügel.«

Der Mann wurde aschfahl, und seine Hand fuhr zum Colt.

Das scharfe metallische Geräusch eines gespannten Revolverhahns schnitt durch die Büsche.

»Laß den Colt stecken, Mann!«

Bill blickte überrascht auf.

Drüben aus dem Gebüsch trat der Missourier.

Der Cowboy wirbelte herum und starrte ihn an. »Wyatt Earp!« entfuhr es ihm.

Wyatt kam langsam näher. Hochaufgerichtet blieb er vor dem Mestizen stehen. »Merkwürdige Angewohnheiten hast du, Mann.«

»Ich bin Dave Collins«, versetzte der Mestize heiser. »Und Sie suchen mich!«

Um die Lippen des Marshals zuckte ein kleines Lachen. »No, noch nicht. Ich habe deinen Song mitangehört. Ich hatte dich in den Büschen entdeckt. Steig ein und halte die Overland nicht weiter auf.«

Der Mestize blickte den Missourier unverwandt an. »Sie sind tatsächlich Wyatt Earp?«

Bill feixte. »Du kannst ja etwas dafür bezahlen, daß du ihn gesehen hast, Dave!«

»Steig ein!« sagte Wyatt. Und es klang wie ein Befehl.

Der Mestize trat an den Wagenschlag öffnete ihn und stieg ein.

Bill nahm die Zügelleinen hoch.

Die Fahrt ging weiter.

Wyatt verließ die Straße bald wieder.

Und zwei Stunden später stürmten plötzlich neun Reiter von einer Anhöhe auf die Straße zu.

Bill krampfte die Fäuste um die Zügelleinen.

Dann atmete er auf.

Von links preschte aus einem Gebüsch der Gunman heran. Er hatte die Winchester schußbereit über die rechte Armbeuge geworfen. Aus der Deckung heraus, die ihm der Wagen bot, feuerte er zwei Warnschüsse ab, die gefährlich dicht vor die Hufe der vordersten Reiter in den sandigen Boden schlugen.

Die Reiter rissen ihre Tiere hoch und hielten an.

»Was wollt ihr?« rief Wyatt hinüber.

»Wir suchen einen Pferdedieb!«

»In der Overland?«

Einer der Reiter, ein kleiner, hagerer Bursche mit pergamentfarbener Haut und brutal vorgeschobenem Kinn, rief zurück: »Er muß in der Gegend sein. Ein Weidereiter von Humpys Ranch hat ihn am Vormittag gesehen.«

»Dann sucht ihn.«

»Wir sind dabei, Gunman!«

»Spaßige Art, einen Mann zu suchen. Wie Straßenräuber fallt ihr die Kutsche an. Ihr wißt, wie ein Gunman auf solch eine Attacke reagiert!«

Der hagere Bursche feixte. »Blas dich nicht auf, Mann. Wir sind für Fellers Geld unterwegs.«

»Dachte ich mir«, versetzte Wyatt.

Sofort verschloß sich das Gesicht des Hageren. »Was wußtest du?«

»Daß ihr für Geld reitet.«

Die anderen Burschen lachten.

Der Hagere ärgerte sich. »Nimm die Flinte weg, Mann, wenn wir mit dir sprechen. Sonst reiten wir deine Affenschaukel in den Grund.«

»Also doch Postkutschen-Überfall«, rief der Marshal zurück.

Die Gesichter und Aufzüge der Männer machten einen denkbar ungünstigen Eindruck. Sicher handelte es sich hier nicht um einen Suchtrupp, den ein Sheriff zusammengestellt hatte, sondern um eine Rotte kaltblütiger Tagediebe, wie sie in jeder Stadt herumlungerten, die jetzt die Gelegenheit wahrnehmen wollten, Fellers Suchaktion als eine Art von Freibrief zu betrachten.

»Wenn du uns aufhalten willst, Gunman, betrachten wir dich als Feind und fegen dich weg. Wir haben sechstausend Bucks zu verdienen!«

»Schöne Summe!«

Wenn die Bande an die Kutsche kommt, wird sie sich nicht damit zufriedengeben, den Gesuchten zu greifen und auf die Ranch zu schleppen, überlegte Wyatt. Eine solche Horde würde der Willkür und der rohen Gewalt freien Lauf lassen, den Mann aufknüpfen, und wer weiß, ob sie sich dann nicht auch noch über die Kutsche hermachten, um bei dieser Gelegenheit ihre Taschen zu füllen. Das, was unter dem Passagierraum im Kutschenboden verstaut war, war dann in allerhöchster Gefahr.

Einer der Reiter setzte jetzt eine Flasche an den Hals und trank in tiefen Schlucken.

Die anderen folgten seinem Beispiel.

Und da wußte Wyatt genug. »Sucht den Mann, aber nicht an der Overland! Verschwindet!« rief er ihnen zu.

Der Hagere warf seinen Männern ein paar Worte zu, und schon schwärmte die Horde auseinander, um die Kutsche zu umringen.

Der alte Bill Natterman konnte in den nächsten Sekunden erleben, daß Dakota nie zuvor einen solchen Gunman gesehen hatte, wie eben den, der jetzt neben der Kutsche hielt.

Wyatt hatte die Winchester hochgerissen und blitzschnell fünf Schüsse abgegeben.

Oben an der Halde purzelten die Pferde nur so durcheinander, überschlugen sich und begruben ihre Reiter unter sich.

Die anderen hielten inne.

Der Hagere bleckte die Zähne.

»Verschwindet!« brüllte Wyatt dröhnend. »Ich habe noch acht heiße Kugeln bereit.«

»He!« belferte der Hagere zurück. »Du hast ein hartes Korn, old fellow. Und so was kraucht als Staubschlucker hinter einer Affenschaukel her. Wechsele den Job, Amigo. Wir brauchen noch einen schnellen Mann!«

»Ihr sollt verschwinden! Ich zähle bis drei!«

Der Hagere stieß einen Fluch aus, dann stürmte er vorwärts.

Ausschwärmend und neben den Pferdeleibern hängend preschten die Männer, die noch beritten waren, heran.

Wyatt sehoß zwei aus dem Sattel.

Der dritte rutschte nach einem Schuß, der aus dem Inneren der Kutsche kam, aus dem Sattel.

Trotzdem rollten sich die Männer zur Seite und feuerten wild aus ihren Colts auf die Overland.

Der alte Bill bekam einen Streifschuß an der Schulter ab, warf sich hinters Fußbrett und verwünschte sich, daß er nicht an seinen Colt herankonnte, der vorschriftsmäßig im Kutschkasten zu liegen hatte. Der Fahrer sollte ja unbewaffnet sein bei den Wells-Fargo-Linien.

Dafür spie der Buntline-Revolver Feuer nach allen Richtungen.

Innerhalb von drei Minuten lagen sie alle verletzt am Boden, die Burschen, die ausgezogen waren, um jeden Preis sechstausend Bucks zu erobern.

Wyatt ritt um die Kutsche herum und blickte zu ihnen hinüber.

Er sah in düstere verkniffene Gesichter.

Einer war lebensgefährlich verwundet. Aber niemand hatte noch Lust, weiterzufighten.

»Wir geben auf!« keuchte der Hagere.

»Was du nicht sagst!« fauchte Bill vom Kutschbock herunter. »Der Gunman hätte euch ausblasen sollen. Banditen seid ihr, weiter nichts!«

»Wir sind keine Banditen!« giftete der Hagere zurück. »Feller hat…«

»Halt’s Maul!« brüllte Bill. »Wir müssen weiter!«

»Und wenn ihr wieder hier durchkommt, könnt ihr euch auf einen warmen Empfang vorbereiten!« röhrte ein bulliger, untersetzter Bursche, dem das linke Auge fehlte. »Der Gunman hat mir die rechte Hand zerschossen. Damit bin ich geliefert!« Er schrie die nächsten Worte wie ein Verrückter dem Marshal entgegen: »Du hast mich vernichtet, verfluchter Dandy! Ich warte hier auf dich! Und dann breche ich dir die Knochen einzeln…«

Der Hagere war aufgesprungen. »Yeah! Verlaß dich drauf!«

Wyatt rutschte aus dem Sattel und ging auf die beiden zu. Einen Yard vor ihnen blieb er stehen und stemmte die Fäuste in die Hüften. »Wie war das?«

Der Hagere stierte ihn aus flackernden Augen an.

»Wie war das?« wiederholte der Marshal seine Frage bedrohlich leise.

Da warf sich der Einäugige herum und rannte davon, die Halde hinauf.

Wyatt blickte den Anführer scharf an. »Gib genau acht, Joe. Wenn ich dich mit deinen Tramps noch einmal in diesem Leben treffe, kommt ihr nicht mit zerschossenen Pfoten davon. Das schwöre ich dir!«

Zwei Minuten später stob die Overland-Kutsche polternd in einer Wolke von Staub davon.

Erst in der Dunkelheit erreichten die Männer die Nachtstation Loovington.

Der alte Posthalter begrüßte Bill und ließ seinen zahnlosen Mund offenstehen, als er den Gunman sah. »Hell and devils! Ist das nicht Wyatt Earp?«

Das Gesicht des Missouriers hellte sich auf. Er sprang aus dem Sattel und ging auf den Alten zu. »Mister Bleas-dale!« Er schüttelte dem rundlichen Greis erfreut die Hand.

»Wyatt Earp! Hol’s der Teufel! Mann, ich habe dich sofort wiedererkannt!«

Bill sah sich die Begrüßung feixend an.

»Was denn, ?Pat, du kennst ihn?«

»Aber ja!« rief der Alte und hielt sich den fülligen Bauch, der die Hose nur mit Mühe oben hielt. »Vor fünf Jahren haben wir uns unten in Abilene getroffen. Damals trailte er mit seinem Vater und seinen Brüdern nach Westen. Wir hatten bei Abilene einen Mordsspektakel mit den Bellow-Brothers. Ich sage dir, die Earps schlugen wie die Sioux dazwischen! Junge, wie hast du dich gemacht! Ich weiß, ich weiß, du bist ein großer Mann geworden! Der Alte wird höllisch stolz auf dich sein…«

Dave Collins horchte hinaus. Und als er sah, daß die drei Männer nach dem Ausschirren der Pferde auf die Station zugingen, huschte er aus dem Wagen zum Stall hinüber.

Es wurde ein froher Abend. Der alte Bill Natterman gestand sich ein, daß er mit mehr Vorbehalt auf diese Reise gegangen war, als nötig gewesen war. Im Gegenteil: Es war doch tatsächlich noch richtig schön geworden.

Die drei saßen in dem primitiven Wohnraum des Posthalters, bekamen ein kräftiges Essen und saßen noch lange bei Whisky und Tabak zusammen und erzählten.

Wyatt brachte in einem günstigen Augenblick in einer Schüssel Fleisch, Bohnen und Eier zu dem Mestizen hinaus, der sich im Stall versteckt hatte.

Als er das Essen verschlungen hatte, nahm er eine der Zigarren, die der Marshal ihm anbot und erklärte: »Ich werde Ihnen das nie vergessen, Mister Earp…«

Die Stunde sollte kommen, da der unglückliche Sohn der wilden Pineridges seine Worte wahrmachen konnte.

*

Spät am darauffolgenden Nachmittag hielt Natterman die Kutsche an. Sie hatten die Zusteigestation umfahren, um zu vermeiden, daß weitere Passagiere zustiegen. Das hatte der Cowboy bemerkt.

Jetzt stieg er aus.

»Es sind noch sechzehn Meilen«, sagte Bill.

Der Cowboy blickte zu dem Marshal auf. »Daß Sie mir geglaubt haben, Mister Earp…«

Der Missourier winkte ab. »Wo soll’s nun hingehen?«

Der Mann blickte nach Süden über das zum Bad River abfallende Land. »Ich weiß es nicht. Das Land ist ja weit…«

Wyatt schüttelte den Kopf. »Nehmen Sie Ihren Hut ab und lassen Sie sich von Bill eines meiner Hemden geben. Dann steigen Sie zu ihm auf den Bock!«

Der Cowboy blickte den Marshal verständnislos an. »Was soll ich?«

»Tun Sie, was ich sage!«

»Und dann –«

»Wir fahren nach Midland!«

»Aber wenn mich der Sheriff erkennt? Es kann doch sein, daß…«

»Was denn? Sie sind der zweite Gunman der Wells-Fargo-Overland! Oder ist das anders, Bill?«

Der Alte grinste. »Nicht die Spur.«

Um sechs Uhr rollte das schwere Gefährt in der Frontstreet der alten Soldatenstadt Midland ein.

Vor der Poststation zügelte Bill die Füchse.

Gleich nebenan war das Office der Wells-Fargo-Company, und ein Haus weiter war das Depot, das die Goldladung in Empfang nehmen sollte.

Die Leute im Depot waren ebenso im Bilde wie die Angestellten der Wells-Fargo und wie die Leute auf der Posthalterei.

Bill Snyder, der Posthalter, stand in der Tür und blickte den Gunman mit offenem Mund und weit offenen Augen an. »Wyatt Earp ist da! Kommt, Wyatt Earp ist da!«

Augenblicklich rannte alles nach draußen.

Jimmy Smith, ein blonder Junge mit hängenden Schultern, hämmerte die Freudenbotschaft sofort in den Telegraphen.

So eilte sie über das Land hinauf in die Black Hills. In Deadwood war die Hölle los, als der bebrillte James Hatterley aus dem Post-Office kam und die Nachricht den Leuten auf der Straße entgegenschrie. »Er ist durch! Er ist durch! Er hat das Gold nach Midland gebracht!«

Natterman brachte den Wagen vor das Depot.

Wyatt und der Cowboy schleppten unter den Augen einer Menge Schaulustiger die Kisten ins Haus.

Ein hochgewachsener Mann mit silberweißem Haar und goldgeränderter Brille begrüßte den Gunman.

»Mister Earp! Ich... ich bin einfach glücklich! Es ist also tatsächlich nichts passiert?«

»Nichts ist übertrieben – aber sagen wir, nichts von Bedeutung. Ein paar Tramps fielen uns an. Das war eigentlich alles.«

Der Depotleiter, Samuel Ehlers, führte den Marshal in sein Büro.

Dave schleppte die Kisten nach.

Ehlers konnte sich einfach nicht beruhigen. »Das ist eine Sensation, Mister Earp. Eine Sensation allerersten Ranges. Siebzehnmal rollte die Overland über die neue Linie. Und siebzehnmal wurde sie ausgeplündert. Nie hatte sie eine so gewaltige Goldladung wie heute. Es ist sagenhaft, einfach unfaßlich. Wir haben gehört, daß Sie in Deadwood sogar einen öffentlichen Anschlag gemacht haben, wonach jeder wußte, daß Sie mehr als einhunderttausend Dollars in Barrengold transportieren wollten…«

Wyatt winkte ab.

»Doch, Mister Earp. Diesen Tag dürfen Sie mit Stolz feiern, Sie haben erlebt, daß der Name eines einzigen großen Mannes genügt, eine große Schar wilder Halunken…«

Wyatt ließ sich in einen Sessel nieder und zündete sich eine Zigarre an.

Die Lobeshymnen des Depotleiters glitten über ihn hinweg. Er hatte einen faden Geschmack im Mund und ein unangenehmes Gefühl im Magen. Er wußte es sich selbst nicht zu erklären.

Ihm war der Treck einfach zu glatt gegangen.

Mister Ehlers hatte ein opulentes Mahl auffahren lassen.

Auch Bill Natterman und Dave Collins durften daran teilnehmen.

Wyatt aß und trank fast nichts.

Endlich war es soweit.

Ehlers holte zwei seiner Clerks, die die Kisten öffnen mußten.

Als der erste Deckel aufsprang – fuhr der Depotleiter wie von einer Schlange gebissen zurück.

Der schwere Kasten war bis an den Rand mit gehacktem Blei gefüllt.

Wyatt bückte sich und stieß den Kasten um.

Er war unten hohl, hatte also nur so viel Blei enthalten, daß er das erwartete Goldgewicht etwa aufwog.

In wilder Hast wurden die anderen Kisten aufgemacht.

Mit dem gleichen Erfolg.

Ehlers war bleich geworden – er sah mit entsetzten Augen auf den Marshal.

Bill Nattermann stieß den Clerk beiseite und riß die letzte Kiste auf.

Oben auf den Bleistücken lag ein zusammengefaltetes Papier. Der Kutscher reichte es seinem Gunman.

Wyatt faltete es auseinander und las:

Die Maxwell Bank of Dakota hält die öffentliche Ankündigung eines Goldtransportes von Barren im Werte von über einhunderttausend Dollar und seine Bedeckung durch einen einzigen Mann für mehr als unvorsichtig. Trotzdem hat sie den Transport durchführen lassen, um die Posträuber zu täuschen. Das Gold wird inzwischen in einem gutbedeckten Wagen der Maxwell Bank nach Midland geschafft. Das Depot wird gebeten, nichts von dem Täuschungsmanöver bekanntzugeben, um die Banditen nicht auf den Plan zu rufen.

Greg Maxwell.

Wyatt reichte dem Depotleiter das Papier.

Ehlers las die Zeilen mehrmals, ehe er sie begriff. »Aber das ist doch…« Der Mann rang sichtlich nach Atem.

Wyatt stand mit verschränkten Armen breitbeinig vor ihm. Er sagte nichts.

»Eine Gemeinheit ist es. Ein Wahnsinn. Maxwell muß verrückt geworden sein. Vorsichtig nennt er das? Ich nenne das Mißtrauen der Company und vor allem Wyatt Earp gegenüber. Was ist, wenn der Wagen jetzt angefallen wird? Wer reitet als Gunman? Heavens! Ich könnte diesen Hammel in der Luft zerfetzen…«

Wyatt nahm seinen Hut und ging langsam hinaus.

Ehlers lief hinter ihm her. »Mister Earp! Mister Earp! So bleiben Sie doch!«

Wyatt sah ihn kühl an. »Was sollte ich noch hier. Vielen Dank für das Mahl…«

Ehlers ergriff die braune Faust des Missouriers. »Bleiben Sie. Ich denke gar nicht daran, diesen Wahnsinn zu stützen. Wenn das Gold jetzt geraubt wird, trägt Maxwell allein die Schuld. Er ist schon immer ein übervorsichtiger Mann gewesen…«

Wyatt setzte seinen Hut auf, zog ihn tief in die Stirn. »Vielen Dank, Mister. Sie müssen wissen, was Sie zu tun haben. Schließlich ist es Ihr Geschäft.«

Er ging hinaus.

Dave folgte ihm.

Auch Bill Natterman schob sich hinaus auf den Vorbau.

Wyatt zwängte sich zwischen den Neugierigen hindurch, die ihn ansahen wie das siebte Weltwunder.

Am Wagen blieb der Marshal stehen. »Ich reite zurück.«

Natterman nickte. »Yeah – reiten Sie zurück, Wyatt. Vielleicht können Sie noch etwas retten!«

»Retten?« Das Gesicht des Missouriers war hart wie Eichenholz. »Maxwell hat den Wagen längst auf die Fahrt geschickt. Er muß schon über den Cheyenne Creek sein. Ich käme also in jedem Fall viel zu spät.«

»Aber das Gold?« rief der Kutscher.

»Maxwell weiß selbst, daß einhunderttausend Dollar ein Vermögen sind. Wenn es geraubt wird, ist es seine Schuld!«

Ehlers kam an die Tür.

Aber Wyatt verschwand in diesem Augenblick schon im Haus der Wells-FargoCompany.

»Wir haben einen zweiten Gunman unterwegs angeworben. Wie steht es mit dem Lohn für ihn?«

Der Leiter des Büros kramte sofort ein paar Geldscheine aus seiner Kasse. »Hier, Mister Earp!«

Eine Viertelstunde später hatte Wyatt in einem Mietstall einen siebenjährigen Braunen erstanden. Der Händler, der wie jeder andere in der Stadt, von dem glücklichen Goldtransport gehört hatte, schenkte Wyatt im Überschwang der allgemeinen Freude einen alten Sattel.

Der Missourier führte den Braunen in den Hof.

Dave Collins stand am Hoftor.

Wyatt winkte ihn heran. »Steig auf, Dave – wir reiten zurück!«

Nach hartem, anstrengendem Ritt, dem der Braune nur schwer gewachsen war, erreichten die beiden Reiter den Cheyenne Creek.

Bis zu diesem Flußlauf hatten sie keine Spur des Wagens entdecken können.

Wyatt ließ den Mestizen zurück und ritt allein am Flußufer entlang.

Nach anderthalb Stunden kam er zurück.

Der Cowboy blickte gespannt in sein Gesicht.

»Zwei Meilen von hier, direkt an der Uferböschung liegt der Wagen. Drei Tote liegen davor. Die linke Bordwand ist zertrümmert. Der Boden ist von Hufspuren aufgewühlt, sonst nichts.«

»Aber…«

»Es ist Maxwells Wagen. In großen Lettern steht sein Name auf der anderen Wagenseite.«

Der Cowboy spannte seinen Finger um einen Steigbügel seines Braunen. »Und jetzt?«

»Ich reite nach Deadwood!«

»Ich komme mit.«

Wyatt schüttelte den Kopf. »No, Amigo. Der Braune ist am Ende. Du reitest morgen früh weiter, dann ist er wieder auf den Beinen. Wir sehen uns in der Stadt wieder.« Der Marshal reichte dem Cowboy die Hand.

Minuten später sah Dave ihn am Horizont als winzigen Punkt vor einer dünnen langen Staubfontäne verschwinden.

*

Susan Howard, die Schwester des Bankiers Maxwell, war früh aufgestanden. Sie hantierte in der Küche herum, als sie draußen auf der Straße Hufschlag hörte.

Der Mann, der da vom Pferd stieg, hatte ein hartes, kantiges Gesicht und seltsam hölzerne Bewegungen, als er auf das Haus zuschritt.

Die Frau lief in die Schlafstube ihrer Nichte. »Ann, steh auf! Ich habe Angst! Es geschieht etwas Schreckliches, Kind! Steh auf! Er ist zurückgekommen.«

Das Mädchen blinzelte die Frau schlaftrunken an. »Was ist denn passiert? Wer ist zurückgekommen?«

»Wyatt Earp!«

Sofort war Ann aus dem Bett, kleidete sich an und lief hinaus.

Als sie die Haustür öffnete, stand der Missourier vor ihr. Groß, dunkel und mit düsterem Gesichtsausdruck.

»Hallo, Miß Maxwell!«

Ann stammelte verwirrt einen Gruß.

»Kann ich Ihren Vater sprechen?«

»Er schläft noch.«

»Dann wecken Sie ihn bitte.«

»Ja.«

Eine volle Stunde später betrat der Bankier den Salon. Er war peinlich sauber und elegant gekleidet wie immer.

»Morning, Mister Earp. Entschuldigen Sie, daß es ein bißchen gedauert hat – ich pflege meine Morgentoilette…«

»Wo ist das Gold?« fragte der Marshal rauh, ohne von dem angebotenen Sessel Gebrauch zu machen.

Maxwell zündete sich eine Zigarette an und ließ sich in einem schweren Korbstuhl nieder. Hin und her wippend und wiegend blickte er den Fäden des Zigarettenrauches nach. »Sie sind ein zu hastiger Mann, Earp…«

»Wo ist das Gold?« wiederholte der Missourier seine Frage.

Mit einem Ruck hielt der Bankier mit dem Wiegen inne. Vorgebeugt erklärte er: »Ich hatte acht Pferde bei Hees gekauft. Von meinem Geld, Earp…«

»Das hat niemand von Ihnen verlangt!« versetzte der Marshal schroff.

»Es war auch mein Wagen…«

»Ihre Sache. Wo ist das Gold?«

»Sie wissen es doch. Weshalb fragen Sie mich. Die Leute haben es nicht anders gewollt. Sie haben mich sogar am Vorabend Ihrer Abreise bedroht. Nach der Schießerei auf dem Marktplatz mit den Hees-Leuten. Dadurch haben Sie sich hier viel verdorben, Earp. Die Leute waren überzeugt, daß ein schießwütiger…«

Wyatts Augen wurden eng wie Schießscharten. »Hören Sie, Maxwell, ich habe Sie nur nach dem Gold gefragt!« sagte er schneidend.

Der Bankier erhob sich. An seiner linken Schläfe hämmerte eine dickgeschwollene Ader. »Es ist geraubt. Die Leute hatten Pech…«

»Pech?«

»Ja, Pech! Vielleicht war es nicht richtig von mir, ihnen nachzugeben. Sie wollten ihr Gold selber nach Midland schaffen. Aber schließlich war es ihr Gold und also auch ihre Sache…«

»Irrtum!« unterbrach Wyatt ihn scharf. »Es war Ihre Sache, Maxwell. Sie haben das Gold von den Diggern angenommen und verladen!«

Eine Blutwelle schoß über das Gesicht des Bankiers. »Wollen Sie jetzt etwa behaupten, ich hätte das Gold geraubt? Ich hätte alles so eingerichtet, damit es so kommt, wie es gekommen ist?«

»Ich habe Sie nur nach dem Gold gefragt! Nach dem Gold, das Sie in purem Metall von den Menschen angenommen und verladen haben!«

»Mister Earp, vielleicht habe ich einen Fehler gemacht, aber jetzt machen Sie auch einen. Es steht im Vertrag, den ich mit den Diggern habe, daß das Gold so lange ihr Eigentum bleibt, bis es in Midland im Depot abgegeben ist. Die Wells-Fargo hatte den Transport übernommen. Ich nur die Einschmelzung und Verladung. Wenn…«

»Sie haben über den Kopf der WellsFargo hinweg einen anderen Transport durchgeführt. Auf eigene Rechnung. Vielleicht wollten Sie nur den Ruhm und den Transportgewinn selbst einstreichen. Ich sage: vielleicht, Mister Maxwell. Aber ich sage Ihnen noch etwas: Ich werde herausfinden, was wirklich passiert ist. Und ich hoffe, daß Sie sich zumindest mit der Wells-Fargo auseinandersetzen werden.«

»Das habe ich schon getan!« Der Bankier flog am ganzen Leib. Seine gepflegten Hände zitterten. Bebend stieß er hervor: »Ich habe niemals in meinem Leben irgendeinem Menschen Schaden zugefügt, Mister Earp! Das wissen Sie so gut wie jeder andere in dieser Stadt. Ich habe die Einschmelzungs- und Verladegebühren so gering gehalten, daß kaum ein Gewinn für mich herausspringt. Ich habe den Goldgräbern Kredite gewährt, von denen ich nicht weiß, ob sie nicht eines Tages meinen Ruin bedeuten. Ich hatte immer nur ein Ziel: Aus Deadwood eine große und wohlhabende Stadt zu machen. Seit hier auf den Feldern und an den Wasserläufen Gold gefunden wird, kommen Menschen her, die hier wohnen wollen. Wenn sie durch Goldfunde reich werden, ist dies ein Nutzen für die Stadt. Ein gewaltiger Nutzen, von dessen Größe Sie wahrscheinlich keinen Begriff haben. Ich weiß überhaupt nicht, was Sie wollen!« Mit zitternden Fingern stieß er seine Zigarette in einem gewaltigen Eichenholzaschenbecher aus. »Sie hatten die Fuhre für die Wells-Fargo und haben sie durchgeführt. Als ich hörte, daß Sie frei durchgekommen sind, hätte ich mir am liebsten die Haare ausgerauft. Aber ich verstehe Sie nicht. Ihr Ruf ist doch nicht im mindesten geschädigt. Sie bekommen Ihr Geld von der Wells-Fargo und damit ist für Sie die Sache dann erledigt!«

»Sie irren, Maxwell. Wenn es so ist, wie Sie sagen, daß einige Diggers Sie beschworen haben, mir das Gold nicht mitzugeben, so gibt es noch eine große Zahl von Goldgräbern, die zweifellos der festen Überzeugung waren, daß ich das Gold bei mir hatte. Diese Leute werden jetzt…«

»Nein, Earp, Sie sind es, der irrt. Weil Sie nicht wissen können, daß mich die Digger mit hinaus in ihr Camp genommen hatten, am Abend vor ihrer Abfahrt. Es gibt also keinen Mann, der nicht gewußt hatte, was gespielt wurde…«

Wyatt kniff ein Auge ein und sah den Bankier forschend an. »Und was soll das Ganze?«

»Sie waren der Ablenker…«

»Sagen wir der Kugelfang.«

»Sie wollten es ja sein.«

»So kann man es auch nennen«, versetzte Wyatt und wandte sich brüsk ab. Mit harten, sporenklirrenden Schritten durchquerte er den Flur, und ging zur Tür.

Diesmal warf er keinen Blick auf die Treppe – und wußte doch genau, daß Ann oben auf dem Absatz stand.

Cliff Cordy sprang wie eine Feder auf, als der Marshal das Office betrat.

»Mister Earp. Sie sind schon zurück?«

Der Missourier nickte. »Yeah. Natterman kommt mit der Overland nach. Es gab ja nichts mehr zu bewachen. Damit wäre der Job wohl erledigt.«

Der Agent rieb sich über die Stirn. Dann öffnete er eine Lade seines Schreibtisches und nahm ein dickes Bündel mit Geldscheinen heraus.

»Hier ist Ihr Lohn, Marshal.«

»Mein Lohn?«

»Ja, es ist die Summe, die Mister

Beaulieu mit Ihnen verabredet hat.«

In dem ernsten Gesicht des Missouriers stand plötzlich ein verzichtendes Lächeln. »No, Mister, das geht nicht. Ich bin nach Dakota gefahren, um Geld zu verdienen, das stimmt schon. Und das da ist ein schöner Haufen Bucks. Aber ich kann sie nicht annehmen. Der kleine

Beaulieu ist nicht dafür gestorben, daß ich mir hier einen Transport mit gehacktem Blei bezahlen lasse. Thanks, Mister.«

Auf der Stirn des Agenten perlten kleine Schweißtropfen. »Sie sind stolz, Mister Earp, und ich kann Sie verstehen. Aber die Wells-Fargo ist auch stolz; sie wird das Geld niemals zurücknehmen.«

»Nicht meine Sorge. Ich habe es nicht verdient und kann es also auch nicht annehmen.«

Wyatt ließ sich auf einem Schemel nieder und streckte die Beine weit von sich. »Sagen Sie mir lieber, wie sich die Wells-Fargo zu Maxwells Übergriff stellt.«

»Der Bankier hatte es eigentlich im Sinne der Digger getan. Und die beiden Leute, mit denen ich gesprochen habe, bestätigen es mir auch. So wenig gut ich das auch finde, es wird schwer halten, Maxwell zu verklagen. Ich kann mir nicht denken, daß er etwas Böses im Schilde geführt hat.«

Wyatt lächelte müde. »Sein Pech war eben, daß er Pech hatte.«

Corey setzte sich. »Eines steht jedenfalls fest, Marshal, unser Wagen ist nicht überfallen worden.«

»Eben.«

»Und ich bin sicher, daß dies nur Ihnen zuzuschreiben ist. Der Respekt vor Ihrem Namen ist so groß, daß die Banditen sich zurückgehalten haben.«

Der Missourier schüttelte den Kopf. »Das eben glaube ich nicht.«

»Aber Ihre Kutsche ist doch durchgekommen.«

»Wenn auch – sie hatte ja kein Gold geladen.«

»Das wußten die Posträuber nicht.«

Der Marshal lächelte wieder. Dann stand er auf. »Wer weiß«, sagte er leise und ging zur Tür.

Er blieb einen Augenblick auf dem Vorbau stehen. Und als er den Kopf nach links wandte, sah er in ihr Gesicht. Ihre dunklen Augen schimmerten feucht. Langsam kam sie auf den großen Mann zu.

Wyatt sah auf sie hinab. »Miß Maxwell?«

»Ich möchte Ihnen etwas sagen –«

»Ja?«

»Wenn Ihr Herz jetzt so hart ist wie Ihr Gesicht, dann möchte ich lieber schweigen.«

Der Marshal blickte düster auf die Straße. »Ich weiß nicht, wie hart mein Herz ist, ich weiß nur, daß es hier einige Dinge gibt, die mir nicht gefallen.«

»Überall wird es Dinge geben, die einem nicht gefallen, Mister Earp.«

»Yeah. Und für mich gibt es da immer nur zwei Wege: entweder ich gehe…«

»… oder Sie bleiben«, unterbrach sie ihn.

Da nahm er den Kopf herum. Eiseskälte sprang sie aus seinen tiefblauen Augen an. »Yeah, und wenn ich bleibe, dann kämpfe ich.«

Das Mädchen schluckte. »Das weiß ich. Und deshalb wollte ich Ihnen etwas sagen. Es fällt mir nicht leicht, es zu sagen.« Bis jetzt hatte sie ihn fest angesehen. Nun aber senkte sie den Blick auf ihre Hände. »Seit ich Sie gesehen habe, hatte ich drei verschiedene Wünsche. Zuerst hatte ich Angst vor Ihnen, draußen auf der Straße. Als Sie vom Pferd stiegen, einen Blick auf die zertrümmerte Kutsche warfen und dann bei dem toten Fahrer stehen blieben, hätte ich vor Angst vergehen mögen. Als Sie sich dann umwandten und auf mich zukamen, hätte ich fast geschrien. Ihre Augen... Ich weiß nicht, es ging etwas Merkwürdiges von ihnen aus. Ich fühlte mich wie gelähmt. Vielleicht war es auch die Umgebung. Das grausige Erlebnis, die Banditen, die Schüsse, der Tote. Später wurde dann alles anders, als Sie die drei Männer brachten, und als ich Sie mit Vater sprechen sah. Ich habe oben auf der Balustrade gestanden und gesehen, wie Sie drüben vom Markt her die sechs Löcher hier in das Schild der Wells-Fargo schossen. Aber trotzdem…« Sie schluckte und sagte die nächsten Worte merkwürdig hart. »Jetzt wünschte ich, Sie würden wegreiten.«

Der Missourier sah sie nachdenklich an. Es arbeitete in seinem Gesicht. Schließlich sagte er: »Sie haben mir nur das Schlechte gesagt, Ann. Trotzdem habe ich auch das Gute herausgehört. Aber ich werde Ihren dritten Wunsch nicht erfüllen. Ich bleibe!«

Schnell warf sie den Kopf hoch. »Nein!«

Die Augen des Mannes, in denen es einen Augenblick hell gewesen war, verdunkelten sich sofort. »Hinter Smithweck wurde ein Fahrer der Wells-Fargo zusammengeschossen. Sie selbst waren dabei. Beaulieu, der an jenem Morgen das Lager verließ, um das Pferd zurück in die Stadt zu bringen, lag zwei Meilen weiter mit dem Gesicht im Dreck, eine Kugel im Rücken.«

Das Mädchen stieß einen unterdrückten Schrei aus. »Beaulieu? Das ist nicht wahr!«

»Es ist wahr«, versetzte der Mann schroff. »Und unten am Cheyenne-River liegen drei tote Goldgräber, die hier in den Claims wie die Wilden geschuftet haben und ihr Gold nach Midland gebracht haben wollten. Die ganze Stadt weiß, daß die Overland auf siebzehn Fahrten siebzehnmal überfallen wurde, und nichts geschieht.«

Eine flammende Röte schoß über das Gesicht der Frau. Bitter sagte sie: »Und dann sind Sie gekommen, der große Wyatt Earp! Er schießt wie der Teufel, und sieben harte Weidereiter kriechen wie geprügelte Hunde davon. Er hat es nicht nötig, etwas im geheimen zu tun, er proklamiert sogar auf dicken Plakaten, daß er den Goldtransport begleitet, und vor dem einen Gunman laufen die Verbrecher zwischen hier und Midland davon.«

»Den Song konnten Sie sich sparen, Miß. Wenn zwei Banditen in zwei Büschen sitzen, und der eine schießt mir ein Loch in den Rücken, dann bin ich ein toter Mann. Tot wie Beaulieu und wie die anderen, die in Midland auf dem Kreuzhügel liegen. Das ist wirklich das einzige, was zählt. Aber solange ich lebe, Miß Maxwell, bin ich den einen Weg gegangen…«

»Ich weiß«, unterbrach sie ihn heiser vor Erregung, »den Weg des Kampfes. Es ist der Weg, den Sie gehen müssen. Den Sie in Wichita und Dodge und all den anderen Orten gegangen sind. Es ist der Weg des Wyatt Earp. Und auf seiner Fährte bleibt Traurigkeit zurück und Angst. Sie bilden sich ein, ein König zu sein – dabei haben die Menschen nur Angst vor Ihnen.«

Das Gesicht des Missouriers war noch um einen Schatten düsterer geworden. »Sie irren, Ann Maxwell. Ich weiß genau, wer ich bin und wie klein ich bin. Aber niemand wird mich daran hindern, das zu tun, was ich für gut befinde. Und wenn ich Angst und Schrecken zurücklasse, dann nur bei den Schuldigen, Miß. Bei Menschen, die außerhalb des Gesetzes stehen. Und jetzt will ich Ihnen noch etwas sagen, Ann Maxwell: Als ich vor einer Stunde in die Stadt zurückkam, war ich zuerst im Sheriff-Office. Wissen Sie, was ich da gesehen habe? Einen zusammengeschlagenen Mann mit einem Stern auf der Brust. Er lag gefesselt in der Zelle, in der Dunc Blackburn und seine beiden Spießgesellen gesessen haben.«

Die junge Frau sah ihn erschrocken an. »Nein…«, stammelte sie.

»Doch, Ann, es ist so. Und so sieht Ihre Stadt aus. Ihr gepriesenes Deadwood, das keinen Mann braucht, der hart ist. Leben Sie wohl.« Er wandte sich ab und ging zum Sheriff Office hinüber.

Es dauerte Tage, bis der Sheriff wieder auf dem Posten war.

Er lag in seinem Zimmer auf dem Bett im Cleveland-Hotel, als der junge Deputy Frank Yesterday eintrat. »Sheriff! Fünf betrunkene Digger stehen vor dem Office und machen einen Höllenlärm. Sie wollen ihr Gold wiederhaben, rufen sie. Sie haben gedroht, uns die Scheiben einzuschlagen…«

Zwei Schüsse peitschten in diesem Moment über die Straße.

Baker richtete sich auf. Sein Gesicht war blaß, und Schweißperlen standen auf seiner Stirn. »Es ist gut, Frank, ich komme.« Er langte nach seinem Waffengurt, schnallte ihn um und setzte seinen Hut auf.

Frank Yesterday sah seinen Boß unsicher an. »Ich weiß nicht, Sheriff – soll ich nicht nach Wyatt Earp suchen?«

Baker schüttelte den Kopf. »Ich weiß nicht, wo er ist. Er kraucht seit Tagen in der Gegend herum und kommt erst spät abends zurück in sein Zimmer.«

Frank biß die Zähne zusammen.

Draußen auf der Mainstreet fiel wieder ein Schuß.

Der Sheriff ging hinaus.

Frank folgte ihm langsam.

Mit staksigen Schritten schlenderte der Sheriff über die Stepwalks zu seinem Büro.

Als er die Straße überquerte, sah er drüben auf seinem Vorbau mehrere Männer. Ein junger Goldgräber stand vor der Treppe und blickte dem Sheriff entgegen. In der Linken hatte er eine Flasche und in der Rechten einen Colt.

»Hey! Da kommt ja unser prächtiger Sheriff! Hallo, old Boy! Wir sind da!« Der Bursche riß den Colt hoch und feuerte einen Schuß ab.

Die Kugel schlug einen halben Yard vor dem Sheriff in den Boden, klatschte auf einen Stein und heulte quarrend als Querschläger davon.

Das Gesicht des Sternträgers war um einen Schein bleicher geworden. »Was soll das, Jim?«

Der junge Goldgräber grölte: »Wir wollen unser Gold, Sheriff! Du hast hier für Sicherheit zu sorgen. Monatelang haben wir in den Claims wie die Verrückten geschuftet! Jawohl, das haben wir, stimmt’s Boys?«

Die anderen Männer stimmten ihm geräuschvoll zu.

Der Sheriff machte einen Schritt vorwärts.

Da peitschte wieder ein Schuß auf und harkte den Boden vor der rechten Stiefelspitze des Sheriffs auf.

»Bleib stehen, Brother! Jetzt sind wir an der Reihe.«

Hufschlag war auf der Straße.

Der Sheriff blickte zur Seite und sah drei Reiter von Süden die Straße heraufkommen.

Ed Hees, Mac Gibbons und der riesige Nat Flasher. Die drei blieben zehn Yards hinter dem Sheriff stehen.

Der junge Goldgräber sah zu ihnen hinüber. »Hallo, Ed Hees, es ist gut, daß du kommst. Wir rechnen gerade mit dem Sheriff ab. Wir wollen das Geld für unser Gold.«

Der Sheriff preßte die Zähne aufeinander. Er verfluchte die Schwäche in seinen Beinen und das Dröhnen in seinem Schädel. Sein Körper war schweißnaß.

Hees lachte breit. »Nur zu, Männer. Wenn der Mann mit dem Stern das Gesetz in dieser elenden Stadt nicht wahren kann, müßt ihr es selbst tun!« Hees wandte den Kopf zu den Diggern oben auf dem Vorbau. »Macht reinen Tisch, Gents. Die Wells-Fargo hatte den Auftrag, das Gold zu transportieren. Ich wette, daß Cordy genau gewußt hat, daß das Gold nicht in den Kisten war, die so feierlich drüben eingeladen wurden!«

Augenblicklich rannten zwei der Männer am Sunset Saloon vorbei und stießen die Tür des Office der Wells-Fargo auf.

Cliff Cordy starrte den angetrunkenen Diggern entsetzt entgegen.

»Come on, Boy!« belferte ihn der vierzigjährige Joel McHards an, packte ihn am Arm und riß ihn zur Tür.

Vincent Buggerley, der andere Digger, zerrte Cordy auf den Vorbau. Hier stießen die beiden den Mann so brutal vorwärts, daß er zu Boden stürzte.

Buggerley versetzte ihm einen Tritt. »Steh auf, Fuhrmann! Jetzt wird abgerechnet!«

Clifton Cordys Gesicht blutete, seine Hände waren aufgerissen. Mühsam raffte er sich auf.

Da riß ihn ein fürchterlicher Faustschlag Buggerleys wieder von den Beinen.

Der Sheriff hatte diesem Treiben bisher in tatenloser Verbissenheit und im Bewußtsein seiner Hilflosigkeit zugesehen.

Jetzt wandte er sich nach dem blutjungen Deputy um. »Los, Frank!«

Die beiden griffen sogleich nach ihren Colts.

Da brüllte der Pferdezüchter. »He, ihr Halunken wollt doch nicht auf die Digger feuern. Der Satan soll euch beißen, wenn ihr die Kanonen zieht!«

Jetzt sah der Sheriff, daß Hees und seine Leute schon die Revolver in den Händen hatten.

Sechs verwegene Burschen sprengten heran. Es waren Hees-Leute, die hinter ihrem Boß anhielten.

»Ich werde nicht dulden, daß harmlose Goldgräber hier mißhandelt werden«, rief der Rancher.

Da brüllte ein Mann, der aus einem der anliegenden Häuser herausstürzte: »Ihr verdammten Geier! Was soll der Sheriff denn tun? Zusehen, wie die betrunkenen Digger Cliff Cordy zusammenschlagen?«

Hees blickte Mac Gibbons an.

Der Vormann trieb seinen Gaul an den Vorbau, zog eine Bullpeitsche aus dem Gurt, und gleich darauf klatschte ein scharfer Schlag durch die Luft.

Ein gellender Aufschrei.

Der Getroffene hatte einen breiten blauroten Striemen quer über dem Gesicht.

Der Sheriff blickte den Rancher an. »Wissen Sie, was das ist, Hees? Ein Überfall auf offener Straße!«

Der Rancher blickte ihn ausdruckslos an. »Mac, gib ihm die Antwort!«

Der Vormann riß seinen Gaul herum, und schon sauste die langriemige Bullpeitsche um die Beine des Sheriffs. Ein Ruck, und der Mann lag im Straßenstaub.

Indes hieben die Digger in wilder Wut auf den Wells-Fargo-Mann ein.

Noch zwei Männer in Deadwood waren nicht gewillt, das mitanzusehen. Der riesige zweite Fuhrmann der Wells-Fargo-Company kam die Straße heruntergerannt, warf sich den Diggern entgegen und wuchtete mit seinen schweren Fäusten auf die Zurückweichenden ein.

Da gab Hees seinen Leuten einen Wink.

Die Cowboys sprangen von den Gäulen und warfen sich johlend in den ungleichen Kampf.

Elmers war bald so eingekeilt, daß er kein Glied mehr rühren konnte.

Da war der greise Doc Coster plötzlich da.

»Hees!« rief er heiser. »Sind Sie wahnsinnig geworden!«

»Der Doc hält das Maul!« belferte der Rancher, ohne den Arzt anzusehen. »Wenn hier in der Stadt keine Ordnung herrscht, werde ich dafür sorgen…«

»Für Ordnung hat der Sheriff zu sorgen!« rief der Arzt unbeirrt zurück.

»Verdammter Knochenflicker!« brüllte Mac Gibbons.

Als der Arzt sah, daß die Cowboys den Kutscher mit den Revolverknäufen bearbeiteten, riß er einen der Leute zurück und schleuderte ihn auf den Vorbau zurück.

Der Bursche wurde bleich, riß seinen Colt hoch und…

In diesem Augenblick heulte vom Marktplatz her ein Schuß auf.

Die Köpfe der Männer flogen herum.

Etwa dreißig Yards vom Kampfplatz entfernt hielt Wyatt Earp auf seinem Falben. Er hatte in jeder Hand einen Revolver.

Langsam kam er näher.

Hees warf den Kopf hoch. »He, da ist ja der Kuhtreiber-Marshal!«

Wyatt hatte dem Cowboy den Colt aus der Hand geschossen.

Fünf Yards vor Hees hielt er an, stieg ab und blieb mitten auf der Straße stehen.

Hees schnarrte ihn an. »Was willst du, Earp? Auf dich haben wir hier noch gewartet. Du kannst gleich mit eingeweicht werden. Es ist dann ein Abwaschen. Los, Boys, gebt’s dem Bleikutscher!«

Vier Cowboys ließen von Cordy und Elmers ab, um sich dem Marshal entgegenzuwerfen.

Da stieß Wyatt Earp die Revolver vor. »Stehengeblieben.«

»Umzingelt ihn!« brüllte Hees.

Wyatt machte eine halbe Wendung. Aber die Situation wurde mörderisch.

Wenn er jetzt nur einen Schuß abgab, waren Corey, der Arzt und der lange Elmers verloren.

Die Cowboys rannten zu den beiden Straßenseiten über die Vorbauten vorwärts.

Da rollte polternd, stampfend, rappelnd und dröhnend die Wyoming-Overland über den Marktplatz.

Vom Kutschbock sprang mit einem federnden Satz ein Mann. Er blieb mitten auf der Straße stehen.

Mit einer blitzschnellen Bewegung schlug er seine Rockschöße zurück und hatte zwei blankläufige Colts in den Fäusten.

Hageldicht fielen die Schüsse.

Die Cowboys auf den Stepwalks stolperten und schrien auf.

Hees war aschfahl geworden. Spitz und weiß stach die Nase aus seinem Gesicht. Er warf dem Fremden, der jetzt zehn Yards hinter dem Marshal stand, einen stechenden Blick zu. »Damned! Die Colts raus, Männer…«

Die aufgewiegelten Cowboys rissen ihre Schußeisen aus den Halftern.

Aber drüben spien die Revolver des Fremden Feuer.

Wyatt Earp wandte den Kopf. Grenzenlose Verblüffung stand in seinen Augen, als er den Mann drüben auf der Straße sah.

Es war ein großer schlanker Mensch mit blaßbraunem, gutgeschnittenem Gesicht, das von zwei hellen, blitzenden Augen beherrscht wurde. Der dunkle Hut saß etwas schräg auf dem Kopf und warf einen tiefen Schatten über das Gesicht.

Noch kräuselte sich der Pulverdampf vor seiner sehnigen Gestalt.

Wyatt ließ sich auf die Erde fallen und rollte zur Seite, sprang dann wieder auf und hatte auch die Revolver in den Fäusten. »Stop, Männer!« brüllte er.

Aber Mac Gibbons stieß seinen Parkercolt blindwütig vor und feuerte auf den Fremden.

Die Kugel streifte dessen Hut.

Dafür knickte der Vormann zusammen.

Wie ein Schießphantom stand der Fremde da. Der Mann, den niemand kannte, der so schnell schoß wie der Marshal Earp.

Ed Hees krampfte die hagere Hand um seine Zügelleine. Starr hing sein Blick an dem Fremden, dann flog er zu Wyatt Earp hinüber. »Zwei Mann!« stieß er über die Lippen. »Zwei Mann – und ein Dutzend Feiglinge!« Dann wandte er seinen Schimmel und ritt zurück.

»Hees!« rief ihm der Marshal schneidend nach.

Der Rancher hielt sein Pferd an. Er wandte den Kopf und blickte über die Schulter zurück.

»Reite aus der Stadt – und laß dich nie wieder hier sehen!«

Ed Hees senkte den Kopf, ganz plötzlich schoß eine flammende Röte über sein blasses Gesicht. Er zog die Oberlippe hoch und fletschte seine großen gelben Zähne. Aber er sagte nichts.

Wyatt Earp sprang auf zwei Cowboys zu, die sich hinter einer Wassertonne verschanzt hatten und ihre Colts aufluden. Zwei Faustschläge, und dann war Ordnung.

Drei Minuten später waren die HeesLeute und die Digger entwaffnet. Keiner hatte den Mut gehabt, angesichts des Marshals und des drohenden Schattens, der immer noch reglos drüben neben der Overland stand, Gegenwehr zu leisten.

Wyatt blickte auf die Verwundeten. »Ihr verschwindet aus der Stadt. Los, auf die Gäule. Wer in einer Minute noch in der Mainstreet ist, kommt ins Jail!« Die Worte ließen keinen Zweifel darüber aufkommen, daß der Marshal sie halten würde.

Der Sheriff hatte inzwischen die Goldgräber zusammen mit seinem Deputy ins Office befördert.

Stumm standen die Digger in den beiden Zellen.

Doc Coster ging auf Wyatt zu. »Das war Hilfe im letzten Augenblick, Marshal. Und trotzdem wäre es vielleicht noch bitter geworden, wenn der Fremde nicht eingegriffen hätte. Ist ja ein teuflischer Schütze, der Mann. Kennen Sie ihn?«

Wyatt, der den halbbetäubten Wells Fargo-Mann aufgehoben hatte, wandte den Kopf und sah zu dem Fremden hinüber, der seine Colttrommel eben in aller Seelenruhe auflud. »Doch, Doc, ich kenne ihn«, sagte er. Dann trug er Cordy in das Arzthaus.

Der riesige Rock Elmers stampfte auf den Fremden zu und hielt ihm die Hand hin. »Thanks, Mister. Ohne den Marshal und Sie wäre jetzt die Hölle in der Stadt los.«

Der Fremde blickte ihn an, zog die Augenbrauen zur Stirnmitte hin hoch und nickte: »Ja, das kann sein.«

»Darf ich Sie zu einem Drink einladen?« fragte der Riese und wischte sich die schmutzigen Hände an der Hose ab.

»Doch, das dürfen Sie.«

Als die beiden am Arzthaus vorbeikamen, trat der Marshal eben heraus.

Der Fremde blieb stehen.

Wyatt machte zwei Schritte auf ihn zu und reichte ihm die Hand. »Hallo, Doc!«

»Hallo, Marshal!«

Rock Elmers blickte in das Gesicht des drahtigen Mannes. »Ein Doc ist er. Hell und devils, wenn er mit dem Messer so schnell wie mit dem Colt ist, dann muß sein Geschäft ja blühen!«

»Er ist Zahnklempner«, sagte Wyatt, und ein kleines Grinsen stand in seinen Augenwinkeln.

Elmers griff nach seiner Kinnlade. »Zahndoktor? Damned, so was hat mir noch gefehlt. Kommen Sie, Doc. Erst müssen wir einen heben!«

Zwei Stunden später wußte die ganze Stadt, daß John Holliday in der Stadt war. Der zweite Mann, dessen Name in den Middleweststaaten bekannt war. Zwar auf eine andere Art bekannt als der des Marshals, aber nicht weniger gefürchtet.

Und er hatte sich in Deadwood ja auch gleich richtig eingeführt, der ruhelose Gambler, den es aus einer sicheren Existenz, aus seiner Heimat hierher in dieses wilde rauhe Land verschlagen hatte.

Als Wyatt den Sunset-Saloon betrat, saß Holliday mit Elmers und zwei anderen Männern an einem mit grünem Stoff bezogenen Spieltisch, ein halbvolles Whiskyglas neben sich stehend und eine lange dünne Zigarette zwischen den Lippen.

Holliday sah kurz auf. Und als der Marshal schließlich hinter ihm stand, meinte er, ohne sich umzudrehen. »Einen Brandy?«

»Yeah«, sagte Wyatt leise.

Der Gambler winkte den Wirt heran. »Einen Brandy für den Marshal. Aber den besten!«

Rasch machte sich der Salooner davon und brachte das bestellte Getränk.

Wyatt nahm nur einen kleinen Schluck.

Holliday blickte auf das Glas und brummte: »Das hat sich also inzwischen auch nicht geändert.«

»No«, versetzte Wyatt und beobachtete das Spiel.

*

Spät am Abend warf Wyatt noch einen Blick in das Haus des Arztes.

Doc Holliday lehnte draußen an einem Vorbaupfeiler, als er wieder hinauskam.

Gemeinsam schlenderten sie die

Mainstreet hinunter, gingen wortlos nebeneinander her.

Wyatt verließ die Stadt durch eine Nebengasse und hielt auf einen berganliegenden Corral zu, der leer war.

Hier setzte er sich auf eines der brüchigen Gatter und zündete sich eine Zigarre an.

Holliday setzte sich neben ihn.

Unter ihnen lag die nächtliche Stadt.

»Feine Gegend«, sagte der Spieler und zog eine Zigarette aus der Reverstasche.

Wyatt nickte. »Yeah – nicht anders als Dodge. Vielleicht noch wilder.«

»Sind Sie schon lange hier?«

Der Missourier berichtete von seinem Ritt als Gunman nach Midland.

Der Gambler lachte auf eine für ihn typische Weise still vor sich hin. »Dieser Pferde-Rancher sieht aus wie ein Revolverschwinger aus dem Panhandle. – Aber wie fanden Sie meinen Auftritt?«

»Echt Holliday«, versetzte Wyatt.

»Ich meine die Schüsse?«

Der Marshal wandte den Kopf und blickte auf das scharfe Profil des Abenteurers. »Sie haben sich gebessert.«

»Nach Ihrem Geschmack.«

»Yeah. Wenn Sie ein halbes Jahr jünger gewesen wären, lägen jetzt wenigstens sieben Tote auf der Mainstreet. Sie sehen, es geht auch so.«

Holliday wischte sich bedächtig über das Gesicht. »Yeah, das stimmt. Aber ich bleibe dabei, daß ein toter Feind weniger Sorgen macht als ein noch lebender. Und die Hees-Banditen leben alle noch. In wenigen Tagen sind sie wieder fit und tauchen todsicher wieder hier auf.«

»Kann sein.«

»Bleiben Sie länger?«

»Ich weiß es nicht. Und Sie?«

»Keine Ahnung.«

Sie sprachen es nicht aus, dachten aber beide das gleiche: John Holliday war dem Marshal nachgereist. Weshalb? Vielleicht wußte er es selbst nicht genau. Ganz gewiß ahnte er in diesem Augenblick nicht, daß er ihm noch oft nachreisen würde, bis zu jenem Morgen, wo er zusammen mit ihm unten in der Silberstadt Tombstone in den Revolverkampf steigen würde, der ein besonderes Blatt in der amerikanischen Geschichte einnehmen sollte.

Stumm rauchten die beiden vor sich hin. Sie waren Freunde, ohne je darüber gesprochen zu haben. Dieser Doc John Holliday sollte der einzige echte Freund sein und bleiben, den der große Wyatt Earp in seinem ganzen Leben hatte. Es war ein Kuriosum: Ausgerechnet ein Abenteurer, ein gefährlicher Spieler, ein Mann, der haarscharf an der Grenze des Gesetzes entlangritt, war sein Freund.

Plötzlich sagte Holliday: »Es war verdammt langweilig in Dodge. Dann kam der kleine dicke Wells-Fargo-Agent und sprach von Ihnen. Da dachte ich mir, da oben in den Black Hills geht es bestimmt heißer zu.«

In der Ferne kam das Geräusch von dumpfem Hufschlag auf.

Holliday rutschte von dem Gatter und schlug seine Rockschöße auseinander.

Der Reiter hielt genau auf das Gatter zu.

»Es ist Dave Collins.«

»Der Mestize?«

»Yeah.«

Der Reiter war jetzt dicht am Corral. Als er die beiden Männer sah, hielt er an.

»Komm näher, Dave, es ist... Doc Holliday!«

Der Cowboy ritt an das Gatter heran und rutschte aus dem Sattel.

»Was Neues?«

»Eine ganze Menge, Marshal. Ich habe vier Pferde in dem Hees-Corral gesehen, die Feller gehören. Sie sind jämmerlich abgetrieben. Wahrscheinlich haben die Hunde sie im Eilritt zu den Black Hills gebracht!«

»Hees?« fragte der Gambler. »Also doch ein Bandit.«

»Daran hatte ich nie gezweifelt«, versetzte der Marshal.

Dave blickte den Spieler an. Im schwachen Sternenlicht konnte er die Gestalt und das Gesicht des Mannes gut erkennen. Das war also der berühmt-berüchtigte Doctor Holliday, von dem in allen Spielsaloons und auch an den Lagerfeuern gesprochen wurde. Wie mochte er so plötzlich hierhergekommen sein?

Da hörten die beiden den Marshal sagen: »Wir werden gleich handeln. Wartet hier!« Er stieg auf Daves Pferd und ritt zur Stadt hinunter.

Kaum eine halbe Stunde später war er zurück. Er saß auf dem Falben und hatte zwei Pferde an der Leine. Daves Braunen und einen Fuchs.

»Steigt auf«, sagte er nur.

Dann ritten die drei Männer bergan, auf die Hees-Ranch zu.

Das Tor stand offen. Anscheinend fühlten sich die Leute hier so sicher, daß sie es nicht nötig zu haben glaubten, das Tor nachts zu schließen.

Wyatt betrat den Hof.

Doc Holliday glitt wie ein Schatten hinter ihm durch das Tor.

Dave blieb auf Wyatts Anordnung am Tor.

Drüben in einem flachgestreckten Blockhaus brannte noch Licht.

Wyatt ging aufrecht auf das Tor zu und blieb vor dem Fenster stehen.

Durch das unsaubere, halbblinde Glas sah er Ed Hees vor einem Tisch sitzen und in Papieren herumwühlen.

Der Marshal klopfte an die Scheibe.

Der Mann drinnen schreckte hoch. Augenblicklich hatte er einen Revolver in seiner Hand. Mit dem Lauf stieß er die Lampe um und sprang zur Seite.

Wyatt stellte sich neben das Fenster.

Da hörte er drinnen im Haus tastende Schritte. Fast lautlos öffnete sich die Tür.

Gegen den klaren Nachthimmel erkannte der Missourier die Silhouette des Ranchers.

»Hees, ich habe mit dir zu sprechen!«

Ein hartes, metallisches Klicken; Hees hatte den Hahn gespannt. »Earp?« fragte er rauh. »Was hast du hier auf meiner Ranch zu suchen?«

»Ich sagte es ja: Ich habe mit dir zu sprechen.«

Der Rancher stieß ein hämisches Gelächter aus. »Diesmal liegst du schief, fellow.«

Er stieß einen schrillen Pfiff aus, und nur Sekunden später flog drüben auf der anderen Seite des Hofes in einem Blockhaus die Tür auf.

»Mac!« bellte der Rancher. »Wir haben Besuch! Wyatt Earp ist hier! Los, zwei Mann ans Tor! Macht alles dicht!«

Zwei Männer rannten zum Tor hinüber.

»Stop!« scholl es ihnen scharf entgegen.

Es war Doc Holliday. Er stand sechs Yards vor der Tür, ungedeckt. Er hatte nicht einmal einen Revolver in der Hand.

»Schießt doch!« schrie der Rancher mit überschnappender Stimme.

Da hechtete der Missourier heran und hieb ihm den Colt aus der Faust.

Hees war ein zäher Mann. Er rammte seine Rechte nach vorn, verfehlte aber den Marshal, der eine halbe Körperdrehung gemacht hatte. Auch sein nächster Schlag zischte ins Leere.

Dann sauste ein Handkantenschlag auf seine rechte Schulter und lähmte seinen Arm.

Wyatt riß den Mann an den Boden.

»Hört zu, Leute, ich habe mit Hees zu sprechen. Ihr seid heute schon einmal für seinen Größenwahn ins Feuer gelaufen. Bleibt drüben am Bunkhaus. Ihr könnt euch denken, daß ich nicht allein hier bin…«

»Lüge, alles Bluff«, schrie der Rancher heiser.

Mac Gibbons stand vor den Männern und blickte zur Tür hinüber. Deutlich konnte er die hochaufgerichtete Gestalt des Marshals sehen. Plötzlich wandte er sich um. »Zurück!« rief er und drängte seine Leute ins Bunkhaus.

Gleich darauf knarrten Fensterflügel laut.

Doc Holliday, der seitlich stand, sah, wie ein Gewehrlauf nach draußen geschoben wurde.

Er sprang vorwärts, duckte sich, war an der Bunkhauswand und federte plötzlich kaltblütig hoch, packte den Gewehrlauf mit beiden Händen und riß ihn nach unten.

Ein Schuß löste sich – aber Doc Holliday hatte das Gewehr draußen. Mit vier weiteren Sätzen hatte er die Bunkhausecke erreicht.

Ein Fluch scholl über den Hof. Mac Gibbons hatte ihn ausgestoßen. »Holliday, dieses Gespenst! Warte, Bursche, ich stampfe dich in den Boden!« Der Vormann stürmte blindwütig in den Hof. »Wo bist du?« brüllte er heiser.

»Hier.« Der Spieler stieß sich von der Hausecke ab.

Da blitzten zwei Schüsse auf.

Der Vormann hatte den rauchenden Colt noch in der Linken, machte einen taumelnden Schritt nach vorn und sackte dann in sich zusammen.

John Holliday schob seinen Revolver ins Halfter zurück und nahm die Büchse wieder hoch.

Der Rancher hatte die gespenstische Szene mit brennenden Augen betrachtet. Benommen torkelte er dann auf das Bunkhaus zu. »Ihr verdammten Feiglinge, verkriecht euch in den Bau und schickt ihn ins Feuer! Zwei Kerle stehen hier, zwei ganze Figuren – und ihr seid noch neun Mann! Schert euch zum Teufel! Sofort, raus aus dem Bau, alle! Ich zähle bis drei, wer dann noch auf der Ranch ist, wird niedergeknallt!«

Der cholerische Mann rannte zurück und wollte seinen Revolver aufheben.

Er fand ihn nicht, blickte auf und sah in das steinharte Gesicht des Marshals. »Gib meinen Colt zurück, Earp!«

»Du hast entschieden ein zu großes Maul, Hees!« versetzte der Marshal trocken. »Ich bin gekommen, um mit dir zu sprechen.«

»Ich habe nichts mit dir zu sprechen, verschwinde! Du kannst sie alle mitnehmen, die ganze Crew! Es sind lauter Banditen…«

»Wie du!« sagte Wyatt schnell.

Hees stand steifbeinig da und funkelte ihn an. Mit belegter Stimme fragte er. »Was soll das heißen?«

»Daß du ein Pferdedieb bist, Ed Hees. In deinem Corral stehen mehrere Gäule, die dem Rancher Feller gestohlen worden sind.«

Hees wich einen Schritt zurück. Heiser brach es von seinen Lippen: »Sag das noch mal, Earp – sag das noch mal, damit ich dich erwürgen kann!«

»Turkey Creek hat die Gäule gestohlen, und du hast sie in deinem Corral. Eine saubere Manier, zu Tieren zu kommen und dann den Pferdezüchter zu spielen!«

Wyatt sah, daß die Arme des Mannes leise zitterten. Aber er mußte den Vorstoß zu Ende führen. »Du bist ein Pferdedieb, Ed Hees. Ein ganz gewöhnlicher Pferdedieb. In der Stadt spielst du dich als Mann des Gesetzes auf, ließest einen Sheriff mit der Bullpeitsche niederreißen, hast betrunkene Goldgräber auf den Agenten der Wells-Fargo gehetzt und Männer wie Doc Coster und Rock Elmers von deinen Banditen niederknüppeln lassen. Ed Hees – du bist festgenommen!«

Mit einem Wutschrei stürmte der Rancher dem Marshal entgegen. Aber er hatte keine Chance gegen den mit allen Wassern gewaschenen Missourier. Es dauerte nur eine einzige Sekunde, dann lag er reglos im Staub, von einem haargenauen knallharten Uppercut getroffen.

Doc Holliday konnte den kleinen Mann nicht sehen, der das Bunkhaus auf der nördlichen Seite verlassen hatte und tief am Boden dahinschlich, um in die Nähe des Wohnhauses zu gelangen. Er robbte auf den Knien und schob sich Zoll um Zoll vorwärts. Zwischen seinen Zähnen hatte er ein langes Messer.

Lewt White war der gefährlichste Bursche auf der Hees-Ranch. Während sich die Cowboys im Bunkhaus zusammendrängten und in den Hof starrten, während Mac Gibbons sich in ein selbstmörderisches Gefecht mit Doc Holliday geworfen hatte, während Hees selbst versuchte, gegen Wyatt Earp anzurennen, schlich der kleine schlitzäugige Kreole Lewt White im tiefen Schlagschatten der Scheune über die ganze Länge des Hofes auf das Wohnhaus zu.

Zwanzig Yards trennten ihn noch von dem Marshal, den er vor der Hintertür stehen sah. Er schob sich jetzt noch vorsichtiger und langsamer näher.

Irvin Gray trat in die Bunkhaustür. »Marshal, was wollen Sie von uns?«

»Drüben im Corral stehen gestohlene Pferde. Ihr seid Pferdediebe.«

»Das ist nicht wahr«, rief der vierschrötige Gray zurück. »Die Tiere hat der Boß von Turkey Greek gekauft.«

»Das wird sich herausstellen. Jedenfalls hat Hees eine sonderbare Art, mit einem Sheriff oder einem Marshal zu sprechen.«

Gray war ein zäher Bursche. »Und ich finde es sonderbar, daß ein Marshal einen staatenbekannten Spieler als Backman mit sich schleppt.«

»Dafür sollte ich dir die Zähne einschlagen, Bursche. Wenn Doc Holliday nicht dazugekommen wäre, hätte es heute unten in der Stadt eine Menge Tote gegeben.«

»Er hat Mac Gibbons erschossen!«

»Mac Gibbons hat zuerst gezogen. Außerdem, Freund, er ist nicht tot!«

Gray ging von der Tür auf den dunklen Körper des Vormannes zu, wälzte ihn herum und horchte aufmerksam nach seinem Atem.

»Brinkt ihn rüber ins Bunkhaus. Doc – wo sitzt die Kugel?«

»Drüben in der Hauswand!« kam Hollidays Stimme zurück.

»Was soll das heißen?« forschte Gray.

»Es war ein Schläfenstreifschuß!«

Gray zerrte den Vormann hoch. »Wie will er das wissen? Er sollte lieber am Spieltisch…«

Holliday machte zwei schnelle Schritte vorwärts. »Kein Wort weiter, Amigo!«

Zähneknirschend schleppte der Cowboy den ohnmächtigen Vormann ins Bunkhaus hinüber.

Indes hatte der Kreole den Rand des Schlagschattens erreicht und sah mit engen Augen zu dem Marshal hinüber.

Er würde ihn töten. Er, der kleine, zeitlebens von seinen Mitmenschen verachtete Mann! Er würde ihnen allen zeigen, was er wert war. Niemand war ihm im Messerwurf überlegen.

In dem Augenblick, als er aufsprang, wirbelte der Missourier herum, der das winzige Geräusch gehört hatte.

Doc Holliday zauberte seinen rechten Colt aus dem Halfter, als die Klinge schwach aufblitzte.

Aber da krachte auch schon ein Schuß.

Der schlitzäugige Kreole Lewt White riß den Kopf hoch. Das Messer glitt aus seiner Hand. Er stürzte nach vorn und fiel mit dem Gesicht hart auf den festgestampften Lehmboden des Ranchhofes.

Wyatt starrte zu der Scheunenecke hinüber.

Da stand dicht am Haus ein Mann.

Wyatt wußte auf einmal, daß es Dave Collins war.

Sicher hätte Wyatt selbst noch geschossen, aber er hatte den Mann nur schwer ausmachen können.

Auch Holliday hatte den Abzug schon angezogen.

Aber Dave Collins hatte sein Wort wahrmachen können. Er hatte den Mann gestoppt, der den Missourier mit einem heimtückisch geschleuderten Mexikanermesser hatte ermorden wollen.

Wyatt riß den Rancher, der zu sich gekommen war, vom Boden hoch und schlang ihm einen Lederriemen um die Hände.

In diesem Augenblick entstand drüben im Bunkhaus ein entsetzlicher Lärm.

Gray und Jul Viggers lagen sich in den Haaren.

Viggers war dafür gewesen, mit dem Marshal zu sprechen. Gray war dagegen. Er hoffte noch immer auf Hees.

Die Schlägerei blieb nicht bei den beiden. Die anderen Männer, noch erregt von den Ereignissen des Tages, warfen sich mit in die Keilerei. Hocker flogen gegen die Wände, Fenster sprangen klirrend in hundert Scherben, Tische stürzten um, und wüste Schreie gellten in den Hof.

Wyatt lief auf das Bunkhaus zu.

Vor der Tür huschte ihm ein Schatten entgegen.

Es war Doc Holliday. Der Gambler zischte: »Die Jungs nehmen uns eine Menge Arbeit ab, Marshal.«

Wyatt stieß mit dem Fuß die Tür auf. Er gab einen Schuß gegen die Decke ab und brüllte: »Ruhe!«

Aber nur langsam erstarb der Lärm.

Der Rancher lehnte drüben an der Haustür und stierte mit flackernden Augen zum Bunkhaus hinüber. Dann stieß er sich plötzlich ab und rannte quer über den Hof.

Dave Collins, der noch an der Scheune stand, brüllte ihm nach: »Stop!«

Aber Hees hatte schon die Stalltür erreicht, stieß mit den gefesselten Händen den Riegel hoch und ließ sich fallen.

Daves Kugel fraß sich über dem Kopf des Ranchers in das Holz der Stalltür.

Dann war Hees wieder auf den Beinen, stieß die Tür auf und stürzte in den Stall.

Im gleichen Augenblick schlug die zweite Kugel des Mestizen auf eine Eisenkrampe der offenen Tür und fuhr jaulend in den Stall.

Hees, der gerade auf den gezähmten Mustang zustürzte, sah den Huf des Pferdes nicht mehr kommen.

Wie von Titanenkraft wurde der Rancher zurück auf die Steinplatten vor der Stallwand geschleudert.

Er war sofort tot.

Als Dave Collins eine halbe Minute später in den Stall kam, schlug der Hengst drüben immer noch wild mit den Hinterhufen nach dem Mann aus, den er getötet hatte.

Der Cowboy fand den Rancher am Boden und schleppte ihn hinaus in den Hof. Als er einen Blick auf den gräßlich zugerichteten Kopf des Mannes warf, ließ er ihn los und lief zum Bunkhaus.

Da hatte der Marshal inzwischen Ruhe geschaffen.

Eine große Petroleumlampe stand blakend auf dem rohgezimmerten Tisch und warf geisterhafte Schatten an die Wände.

Der Mestize blieb hinter Wyatt stehen. »Hees ist tot«, sagte er.

Der Cowboy stieß den Kopf vor. »Du hast ihn abgeknallt«, schrie er. »Einen Mann mit gefesselten Händen.«

In den Augen des Mestizen blitzte es auf. Fast leise sagte er: »Er ist in den Stall gelaufen. Eines der Pferde hat ihn mit dem Hinterhuf erwischt.«

»Das war Happy«, rief Jul Viggers.

Die Männer drängten an dem Marshal vorbei nach draußen. Als sie zum Bunkhaus zurückkamen, waren sie still und blieben vor dem Marshal stehen.

Viggers rieb sich das Kinn und meinte schließlich: »Er ist tot. Happy hat ihm die Schädeldecke zertrümmert. Vielleicht wollte er mit dem Hengst fliehen. Und...« Der Cowboy machte eine Pause, stieß die Luft geräuschvoll durch die Nase aus und fuhr fort: »Vielleicht ist es gut so. Ich weiß es nicht. Ich weiß nur, daß ich nach dem, was sich heute mittag auf der Mainstreet abgespielt hat, nicht weiter für Hees geritten wäre. Ich war nicht dabei, aber ich weiß, daß Hees grausam war, und Mac Gibbons war ein Mann, der rot sah, wenn er sich gekränkt fühlte.«

Wyatt warf einen Blick in das eingefallene bleiche Gesicht des Vormannes; die Cowboys hatten ihn auf sein Lager gebettet.

Jul Viggers fuhr fort: »Mister Earp, ich weiß längst, daß eine Menge schief ist hier auf der Ranch. Aber was es war, das wußte ich bis heute nicht. Ich bin seit einiger Zeit der zweite Vormann. Ich kann Ihnen nichts sagen, ich weiß nur, daß die Jungs nicht schlecht waren, als sie kamen. Sie haben einfach wie Zugochsen blind den Befehlen des Ranchers gehorcht. Es ist ein schlechter Job hier, Marshal. Aber es gibt so wenig Chancen hier oben, einen besseren Job zu kriegen.«

Wyatt sog an einer Zigarre und blickte den Cowboy an. »Wer hat die Pferde gebracht?«

»Ich weiß es nicht genau. Sie kamen in der Nacht mit einem Rudel halbwilder Kerle und tranken drüben bei Hees bis in den grauen Morgen. Der Boß hatte es nicht gern, wenn man sich um seinen Besuch kümmerte. Einen von den Burschen habe ich trotzdem gesehen. Es war ein riesiger Kerl. Noch einen halben Kopf größer als Sie. Genau kann ich ihn nicht beschreiben, ich weiß nur, daß er einen massigen Schädel und einen schweren Leib hatte.«

Wyatt nickte. »Es ist gut. Die Gäule gehören zur Fellers Ranch aus Silverlake. Der Bursche, der den Kreolen erwischt hat, wird ihretwegen steckbrieflich gesucht. Wir kommen morgen früh herauf, dann wird er die betreffenden Pferde heraussuchen.«

»All right.«

Wenig später sprengten die drei Männer zur Stadt zurück.

*

Als der Marshal am nächsten Morgen erwachte, hörte er ein leises Pochen an seiner Tür. Er kleidete sich flüchtig an, nahm den kleinen Revolver und stellte sich an die Wand neben der Tür.

»Wer ist da?«

»Jul Viggers.«

»Was gibt es denn?«

»Ich dachte, es wäre vielleicht gut, Marshal, wenn Sie es gleich wüßten. Die Ranch ist leer. Die Männer sind noch in der Nacht weggeritten.«

Wyatt öffnete die Tür.

Der schmalhüftige Cowboy stand draußen und sah ihn betreten an. »Was wird aus der Ranch?«

Wyatt sah den Vormann an. »Hees war ein Verbrecher. Das ist eine Sache für den County-Richter.«

Viggers nickte. »Mac Gibbons ist schlimm dran. Er kann zwar aufstehen und herumhumpeln, aber irgend etwas stimmt mit seinem rechten Bein und seiner rechten Hand nicht.«

»Kann sein, vielleicht trägt er eine Lähmung davon, die ihn daran hindern wird, in Zukunft allzu hastig mit dem Colt zu sein. Ich habe nichts gegen Leute mit dem schnellen Eisen, aber eine Menge gegen Strolche, die glauben, daraus eine Vorrangstellung machen zu können.«

Als Viggers gegangen war, wusch sich der Marshal, kleidete sich an und ging hinunter in die Hotelhalle zum Morgenkaffee.

Dave Collins stand im Eingang der Halle.

Wyatt winkte ihn zu sich heran. »Weshalb setzt du dich nicht an den Tisch?«

»Ich bin eine Rothaut, Mister Earp. Und ich bin es leid, mich immer wieder schief angucken zu lassen.«

»Setz dich zu mir«, sagte der Marshal hart.

Dave zog sich einen Stuhl heran und setzte sich.

Der Hotelier begrüßte den Marshal, beachtete den Cowboy hingegen nicht.

Und prompt wurde nur Kaffee für Wyatt Earp gebracht.

Wyatt nahm den Hoteleigner beim Ärmel. »Mister Cleveland, Dave Collins ist mein Freund, er hat hier im Haus ein Zimmer, und er trinkt hier seinen Morgenkaffee. Ist das klar?«

Jeff Cleveland nickte hastig und entfernte sich mit rotem Kopf.

*

Wyatt machte einen kurzen Besuch im Office der Wells-Fargo-Company.

Cordy hockte mit buntbepflastertem Gesicht hinter dem Schreibtisch. Er erhob sich sofort, als Wyatt eintrat.

»Es war hart, aber doch nicht allzuschlimm. Ich war einfach nicht auf diesen Überfall gefaßt, sonst hätte ich sicher mitgemischt.«

»Die Digger waren angetrunken, es ist ganz gut, daß Sie nicht mitgemischt haben.«

Cordy kratzte sich am Hinterkopf. »Um so kräftiger haben Sie dafür mitgemischt. Ein Glück, daß Doc Holliday dazukam, ein wahres Glück. Wer weiß, was passiert wäre! Er sieht übrigens ganz anders aus, als ich ihn mir vorgestellt habe. Als er eben hier vorbei ging, erinnerte er mich an ein Raubtier.«

»Weshalb?«

»Sein Gang hat etwas Tigerhaftes, Federndes an sich. Ich werde das Gefühl nicht los, daß dieser Mann immer sprungbereit ist, immer darauf gefaßt ist, schießen zu müssen. – Vielleicht sind Sie das ja auch, aber Ihnen merkt man es nicht an. Übrigens, am Montag geht wieder eine Kutsche über Smithweck nach Midland.«

Wyatt blickte völlig uninteressiert drein.

»Sie soll wieder eine Goldladung haben.«

»Gibt’s denn schon wieder Gold?«

»Yeah, Bud Bakerfield hat auf seinem Placer eine Nadel gefunden. Wissen Sie, was das ist?«

»Sicher, ein Goldstrich.«

»Yeah – und kurz vor der Dämmerung fanden zwei weitere Digger in ihren goldführenden Sandclaims ebenfalls Nadeln. Sie können sich denken, wie jetzt gebuddelt, gegraben und gewaschen wird. Die Männer im Western-Camp oben schuften schon seit dem Morgengrauen. Und dabei kommt dann doch meistens immer etwas heraus.«

»Ja, das denke ich auch.«

»Werden Sie als Gunman reiten?«

»Ich werde es mir überlegen. Vielleicht wollen die Leute es nicht.«

»Sie wollen es sicher…«

Als Wyatt das Büro verließ, sah er drüben den Sheriff auf sein Office zuschleichen. Ja, Baker schlich regelrecht, so mitgenommen war er noch von den Überfällen.

Wyatt ging mit ihm ins Sheriff-Office.

Baker sank in seinen Stuhl. »Ich will Ihnen kein Loblied singen, Earp – aber es war tatsächlich Rettung in letzter Minute. Hees hätte uns fertiggemacht. Ich weiß, daß er auf diese Gelegenheit gewartet hat.«

»Wissen Sie, daß er tot ist?«

»Die ganze Stadt weiß es. Vinc Owens, der Gehilfe von Lumbers Ranchers Tool, hat heute nacht die Hees-Crew getroffen. Mark Petty hat ihm alles erzählt. Es ist ein wahres Glück…«

»Hoffentlich.«

»Hees war also ein Pferdedieb. Meinen Sie nicht auch, daß er die Posträuber angeführt hat?«

Wyatt zog die Schultern hoch. »Er hatte mit Dunc Blackburn zu tun, das glaube ich sicher. Viggers erzählte mir, daß er einen Mann auf der Ranch gesehen hatte, der die Figur Blackburns hatte. Viggers kannte Blackburn wohl nicht, aber der Mann, den er mir beschrieb, der könnte Blackburn gewesen sein. Dave Collins war auf Fellers Ranch, als Turkey Creek ein Rudel Pferde aus Fellers Corral nahm. Er hat Turkey Creek gesehen…«

»Glauben Sie immer noch, daß Blackburn sich nicht nur den Namen des schießwütigen Büffeljägers zugelegt hat?«

»Ich weiß nicht. Ich denke mir, daß es nicht lange gutgehen kann, wenn sich ein kleiner Bandit immer wieder den Namen eines großen Banditen zulegt.«

»Das stimmt. Idiotischerweise habe ich keinen der Halunken erkannt, die Blackburn und die beiden anderen Halunken hier herausgehauen haben. Ich hatte Frank Yesterday heimgeschickt, stand mit dem Rücken zur Tür und hörte die Hunde erst, als sie schon in meinem Rücken waren und mir eins über den Schädel zogen.«

Wyatt blickte nachdenklich vor sich hin. »Wie lange ist Yesterday schon in der Stadt?«

Der Sheriff sah auf. »Er ist mit seinem Vater vor drei Jahren aus St. Louis heraufgekommen. Der Alte hat eine Bäckerei in der Warbystreet. Ehrbare Leute. Der Bursche hat nur einen Fehler, er ist in Ann Maxwell verliebt. Aber wer ist das nicht?«

Wyatt rieb sich das Kinn. »Das ist eine üble Geschichte, die Sache mit Blackburn. Er hat einen Postkutscher erschossen und wollte bei den Staubhügeln drüben den Schnapswirt Abe Jeffries aufknüpfen. Daß Blackburn zu den Posträubern gehört, ist also völlig klar. Es ist weder eine Posse zusammengestellt worden, den flüchtigen Mörder zu verfolgen, noch ist sonst irgend etwas geschehen.«

Baker verteidigte sich: »Ich habe einen Steckbrief nach Rapid City und Midland durchgegeben.«

»Ich glaube, den Steckbrief Turkey Creeks hat längst jeder Sheriff in Dakota in seiner Schreibtischlade.«

Baker erhob sich seufzend. »Ich weiß, Sie haben recht. Es wird hier nichts getan. Aber ich allein habe weder Geld noch die Mittel dazu, mehr gegen diese Aasgeier zu unternehmen.«

»Es kann also ein Mörder aus dem Jail entfliehen und nichts geschieht?«

Baker stützte sich schwer auf die Schreibtischkante auf. »Ich gebe Ihnen gern meinen Stern noch dazu, Earp. Vielleicht können Sie hier mehr ausrichten. Als Bullock hier wegging, habe ich den Job genommen, weil ich sonst nirgends einen kriegen konnte. Siebenmal bin ich im Dunkeln überfallen und jämmerlich zusammengeschlagen worden. Gestern, das war nicht der erste Peitschenschlag, den der bissige Gibbons mir versetzt hat…«

»Verstehe. Man wird langsam müde und zieht den Kopf ein.«

Baker nickte. »Es ist nicht viel anders.«

Als Wyatt das Office verließ, stand die Sonne schon ein wenig höher und warf ihr gleißendes Licht in die Mainstreet.

Wyatt wußte später nicht mehr zu sagen, was ihn bewogen hatte, auf Johnsons Barbershop zuzusteuern.

Der behende kleine Mann schwenkte gerade das blütenweiße Tuch als Fächer um das Kinn eines Kunden.

Es war Doc Holliday. Er richtete sich, als Wyatt eintrat, auf und betrachtete sich prüfend im Spiegel und erhob sich dann. »Hallo, Marshal.«

»Hallo Doc!«

Holliday warf ein Geldstück auf den Zahltisch, nahm seinen breitrandigen Hut vom Wandhaken und blieb an der Tür stehen.

»Prächtiger Tag heute!« sagte der kleine Barber.

Wyatt nickte. »Yeah.«

Johnson, sichtlich froh, einen anderen Kunden auf seinem Stuhl zu haben, der vielleicht gesprächiger war als der wortkarge Holliday, begann sofort von den Ereignissen der vergangenen Nacht oben auf der Hees-Ranch zu sprechen. »Es ist wirklich ein wahres Glück für die Stadt, daß Sie hergekommen sind, Marshal. Wer weiß, was der Kerl uns noch geboten hätte. Er hat dem alten Patterson ohnehin nur einen Schandpreis für die Ranch oben gezahlt. Wenn ich Viehzüchter wäre, würde ich die Finger von diesem Land da oben lassen. Wer weiß, ob sich die Crew wirklich verzogen hat. Vielleicht sind die Halunken in ihrer ersten Angst zunächst mal ein paar Meilen weit getürmt, um dann irgendwann bei Nacht und Sternenlicht zurückzukommen.«

»Die Ranch wird nicht leerstehen«, sagte Wyatt. »Ich habe schon gehört, daß sich zwei Leute darum bewerben.«

»Ach?« Johnson setzte mit dem Rasieren aus und blickte den Marshal erstaunt an. »Eine Neuigkeit, von der ich noch nichts weiß?«

»Es fehlte noch, daß die Häuser oben leerstehen bleiben. Dunc Blackburn hätte das beste Trampversteck, was er sich wünschen kann. Er würde das Tor wahrscheinlich viel besser bewachen lassen, als der selbstsichere Hees es getan hatte…«

»Dunc Blackburn?« forschte der kleine Friseur. »Glauben Sie im Ernst, daß er wiederkommen wird, wo er doch hier Gefahr läuft, Ihnen in die Hände zu geraten?«

»Er kommt zurück. Er kennt hier eine Menge Leute.«

»Ach?«

»Der Schmied Henderson beispielsweise ist mit ihm sogar verwandt.«

»Das ist mir völlig neu.«

»Es muß doch hin und wieder ein paar Dinge geben, die Ihnen nicht bekannt sind. Blackburn hat noch andere Leute hier…«

Das Messer entglitt der Hand des Barbiers. Mit weit offenen Augen starrte er den Mann an. »Sie erschrecken mich, Marshal...« Er bückte sich nach dem Messer.

»Halt!« rief Doc Holliday schneidend.

In diesem Augenblick sah Wyatt im Spiegel, wie sich hinten die Tür einen spaltbreit öffnete.

Johnson starrte auf den Revolver in der Faust Hollidays. »Was soll das, Doc?« stammelte er. »Sind Sie des Teufels…«

Im gleichen Augenblick fuhr Wyatt aus dem Rasierstuhl hoch, riß sich das weiße Tuch vom Hals und stürmte mit drei Riesensätzen auf die Tür am hinteren Ende des Ladens zu.

Den Bruchteil einer Sekunde, bevor er sie erreichte, wurde sie von außen zugezogen, und ein Schlüssel drehte sich im Schloß.

Wyatt riß an dem Drehknopf.

Entgeistert starrte Johnson auf den breiten Rücken des Missouriers. »Mister Earp! Was soll das…«

Dann zuckte der Blick des kleinen Mannes zu dem scharfen Messer, das vor ihm auf dem Boden lag. Behende bückte er sich, hatte den Griff schon in der Hand, als ihm eine Revolverkugel das Messer wieder entriß.

»Lassen Sie das!« schnitt Doc Hollidays Stimme durch den Raum.

Der Barber schüttelte den Kopf. Dann ging er an das Rasiertischchen, öffnete eine Lade – und sah plötzlich in die eiskalten hypnotisierenden Augen des Abenteurers. »Schieb die Lade zu, Amigo!« versetzte Holliday frostig.

Der kleine Mann gehorchte diesem Befehl sofort. »Was ist denn los?« begehrte er dann auf. »Ich verstehe das alles nicht, Gents…«

Wyatt hatte inzwischen den Drehgriff mit einem harten Ruck herumgeschraubt, sprang zur Seite und stieß die Tür auf.

Er blickte in einen engen Hof und sah hinter einer Regentonne einen Coltlauf hervorblicken.

Wyatt schoß sofort.

Der Revolver wurde dem Mann hinter der Tonne mit einem Stoß aus der Hand geschlagen.

»Komm raus!« rief der Marshal.

Da wurde die Tonne umgestoßen, und ein blutjunger Bursche sprang wieselflink zur Seite hinter eine offenstehende Stalltür.

Wyatt blickte sich nach dem Barbier um. »Nette Zucht ist das hier! Das ist ja noch ein Kind!«

Johnsons Gesicht war ein einziges Fragezeichen. »Ich versichere Ihnen, daß ich nicht weiß, was hier gespielt wird, Earp…«

Da stieß Holliday den Friseur beiseite, riß die Lade auf und nahm einen kleinen Parkercolt heraus.

»Aus dem Weg, Grandpa!« rief er und war gleich darauf an der anderen Seite der Tür.

Im Hof war es still.

Da duckte sich der Gambler und setzte mit einern federnden Sprung in den Hof.

Wyatt gab sofort zur Deckung des tollkühnen Mannes einen Schuß auf die Stalltür ab.

Doc Hollday hatte rechts hinter einem Kistenstapel Deckung genommen. Zwei Schüsse bellten über den Hof und rissen drüben neben der Tür fingerdicke Löcher in die Stallwand.

Da flog die Tür zu.

Der Bursche hatte sie zugezogen. Mit gespreizten Beinen, nach links vorgeschobenem Oberkörper und vorgehaltenem Colt stand er da und starrte dem großen Mann ins Gesicht, der sieben Yards vor ihm im Hof stand und einen schweren Buntline-Revolver in der linken Faust hielt.

Der Junge hatte einen feuerroten Kopf. Sein Blick hing in den Augen des Marshals. Plötzlich wurde seine Nase ganz weiß, und seine rechte Hand zitterte.

Wyatt blickte ihn fest an. »Nun, Boy, was soll das werden?«

Der Junge schluckte. Seine Hand zitterte immer mehr, er stierte entsetzt auf seinen schwankenden Colt und hob den Blick wieder zu dem Marshal hinüber.

Wyatt warf einen kurzen Seitenblick auf Holliday hinüber und sah, daß der seinen Revolver schußbereit hatte.

Da ließ er seinen Buntline-Revolver ins Halfter gleiten und ging langsam auf den Jungen zu.

»Bleiben Sie stehen!« schrie er. »Bleiben Sie stehen.« Der Missourier hielt ihn fest im Auge.

»Halt!« bellte der Junge.

Der Marshal ging weiter.

Mit schwankendem Oberkörper und verkrampftem Gesicht stand der Bursche da und starrte in die eisblauen Augen des großen Mannes.

Wyatt blieb einen Schritt vor ihm stehen.

Bebend vor Erregung und Angst stieß der Bursche hervor: »Weshalb sind Sie nicht stehengeblieben?«

»Weil du nicht schießen kannst.«

»Hier, ich… ich kann es noch!«

»Der Hahn ist nicht gespannt.«

Der Junge starrte entgeistert auf die Waffe.

Da griff die kantige braune Faust des Marshals nach dem Colt.

Der Junge wollte ihn festhalten, aber er hatte dem Griff des Mannes nichts entgegenzusetzen.

Da erst steckte Doc Holliday drüben seinen Colt weg. Er hätte sofort geschossen, wenn der Bursche den Hahn gespannt hätte.

Wyatt blickte auf die beiden leeren Halfter am gekreuzten Waffengurt. »Ein bißchen zu früh, solche Kanonen spazieren zu führen, findest du nicht auch?«

Die Lippen des Burschen zitterten. Er blickte an der eckigen Figur des Mannes hinauf. »Sie sind Wyatt Earp?«

»Ja.«

Plötzlich hellte sich sein Kindergesicht auf. Er strich sich eine blonde Haarsträhne aus der Stirn und meinte leutselig: »Ich bin Pat Coverleav. Sagen Sie, Marshal, wie macht man so was? Ich meine, wie klappt das so genau, mit Ihnen und dem Mann da drüben?«

Holliday war in den Shop zurückgegangen. Er stand jetzt oben in der Hoftür und rief: »Unser Bartkratzer hat seine Kasse ausgeleert und das Weite gesucht, Marshal!«

Wyatt blickte den Jungen an, während Holliday auf einen Schuppen zuhielt.

»Halt!« schrie da der Junge. Er war aschfahl geworden.

Holliday warf sich sofort auf den Boden und rollte zur Seite.

Drei Schüsse rissen hinter ihm die Planke eines kleinen Wagens auf.

Wyatt hatte im gleichen Augenblick den Jungen mit sich in den Stall gerissen.

»Wer steckt da drüben?« herrschte er den zitternden Burschen an.

»Ich kann es nicht sagen!«

Wyatt preßte seine Faust um das Gelenk des Jungen. »Wer steckt da drüben?«

»Ich bin kein Verräter. Und Johnson hat mir drei Dollar geschenkt…«

»Für was?«

»Dafür, daß ich immer, wenn…«

Doc Holliday hatte sich an die Mauer gerollt und platt gegen die Wand gedrückt. Plötzlich federte er hoch, und schon blitzte es an seiner Hüfte auf.

Das Schuppenfenster zersprang klirrend, und drinnen schrie ein Mann auf.

Der Spieler war längst wieder in Deckung, als drei Schüsse den Boden zerrissen, wo er gerade noch gestanden hatte.

Wyatt stieß die Stalltür auf.

Eine Gewehrkugel heulte über den Hof und schlug in den hartgestampften Lehmboden des Stalleingangs.

Wyatt blickte den Jungen an. »Tom, du bist noch ein Kind. Da drüben stecken drei Verbrecher. Du wirst doch nicht so dumm sein, dein Leben zu verpfuschen. Wer ist da drüben?«

»Ich habe mein Ehrenwort gegeben!«

»Ein Verbrecher kann kein Ehrenwort verlangen.«

»Und die drei Dollar?«

Wyatt blickte den Jungen eindringlich an. »Dunc Blackburn ist drüben?«

Da griff der Junge in die Tasche und nahm drei silberne Dollarstücke heraus, betrachtete sie noch einmal wehmütig und schleuderte sie dann in den Hof. »Ich bin jedenfalls kein Verräter!«

Der Marshal hatte den Buntline-Revolver aufgeladen und sah, daß auch Holliday seine Trommel rotieren ließ.

»Blackburn, komm raus!« rief Wyatt hart.

Es blieb still im Hof.

Holliday warf einen Blick auf die offenstehende Tür des Ladens. Er konnte bis zur Straße durchsehen.

Auf dem Vorbau standen mehrere Männer.

Damned, fuhr es dem Spieler durch den Kopf. Wenn ich sie bloß nicht ins Kreuz kriege!

Mit einem Ruck richtete er sich hoch, machte einen seiner unnachahmlichen Sprünge nach vorn und feuerte aus beiden Colts auf das Türschloß des Schuppens.

Wyatt sprang von der Stalltür weg und kniete in der Deckung hinter dem umgekippten Regenfaß. Seine Kugeln zersägten den Rest des hölzernen Türriegels.

Langsam fiel die windschiefe Tür nach vorn auf.

Holliday war wieder an der Mauer.

»Komm raus, Blackburn, sonst räuchern wir dich aus!«

Da hörte der Marshal ein winziges Geräusch hinter sich und wirbelte herum.

Der Junge kniete hinter ihm.

»Bist du verrückt, bleib im Stall! Vorwärts!«

»Turkey Creek hat drüben eine Bohle aus der Wand gewuchtet, er will durch die Seitenwand hinaus…«

Wyatt hatte ein winziges Lächeln in den Augenwinkeln. »Du bist ein kleiner Halunke, Pat. Los, marsch in den Stall!«

Während der Junge zurückrobbte, kroch Wyatt seitlich vorwärts. Mit der Rechten schleppte er das Faß am Holzring mit sich vorwärts.

Da brüllten vom Schuppen her wieder Schüsse auf und zerschlugen die Tonnenbretter.

Wyatt lag platt auf dem Boden.

Mit großen Augen starrte der kleine Tom zu ihm hinüber. »Mister Earp! Er hat die Bohle raus!«

Da stieß der Marshal das Faß zur Seite.

Prompt feuerten die beiden Gewehrschützen darauf.

Wyatt selbst war mit zwei Sprüngen an einem kleinen Kistenstapel. Er sah gerade noch, wie ein Mann, der durch die Bohlenlücke hatte schlüpfen wollen, zurückfuhr.

»Blackburn, komm endlich raus! Du hast keine Chance!«

Da röhrte die dröhnende Stimme des Tramps über den Hof. »Du bist wahnsinnig, Earp! Wenn du dir mit Gewalt die ganze Stadt auf den Hals hetzen willst, dann kannst du bleiben. Ich bin Turkey Creek, wie dieser Bengel es schon gesagt hat. Und ich schwöre dir, daß ich…«

»Halt keine Reden, Brother, komm raus!«

Da brüllte ein Gewehrschuß auf und zerfetzte die Eckkante einer Kiste.

Wyatt, der gedankenschnell zurückgefahren war, blickte jetzt entgeistert auf das daumengroße Loch in der Holzfaserung.

Was ihm da entgegenschimmerte, nahm ihm einige Augenblicke den Atem.

Gold! Hier stand das Gold. In fünf Kisten aufgestapelt. Am Ende des kleinen Hofes des Barbers Johnson. An einem Platz, wo es wohl niemals jemand gesucht oder gar vermutet hätte.

Als Wyatt zum Schuppen hinübersah, hielt er wieder den Atem an.

Der unglaubliche Zahnarzt Holliday war nur noch einen Yard von der Schuppentür entfernt! Wenn einer der Banditen einen Colt um den Türpfosten hielt, mußte er ihn treffen.

Und da geschah es schon.

Eine klobige Faust schoß nach vorn und stieß den Colt nach links.

Vielleicht hatte der Marshal noch nie in seinem Leben so schnell geschossen.

Der Junge schrie auf.

Der eiskalte Doc Holliday blickte auf den Colt, der dem Banditen aus der Hand geschossen war und jetzt einen halben Yard vor der Tür am Boden lag. Dann hob der Spieler den Blick und sah zu Wyatt Earp hinüber. Ganz langsam führte er den linken Coltlauf an den Rand des Hutes und kniff ein Auge zu.

Wyatt schüttelte den Kopf. Und als er sah, daß der tollkühne Mann wieder einen seiner irrsinnigen Schieß-Sprünge machen wollte, womöglich diesmal gar mitten vor die Tür, rief er: »Bleiben Sie an der Mauer, Doc. Ich kriege die Bande auch so raus!«

Holliday zog die Schultern hoch und schob sich zurück an die Hofmauer.

Da brüllte der Junge. »Heavens, war das ein Schuß, Mister Earp! Sie haben Abe Jeffries die Hand zerschossen!«

Wyatt warf den Kopf herum. »Wem?«

»Dem Schlangen-Wirt!«

Der Marshal wischte sich über das Kinn. »Das wird ja immer schöner. He, Jeffries, nehmen Sie wenigstens Verstand an und kommen Sie raus.«

Da brüllte der Wirt heiser zurück: »Das könnte dir so passen!«

»Neulich wollte Blackburn dich aufknüpfen, und jetzt willst du für ihn kämpfen?«

»Er gehört zu uns!« belferte die dröhnende Stimme des Riesen dazwischen.

»Prächtige Crew, wo der Boß seine Leute spaßeshalber aufknüpfen will.«

»Das war kein Spaß!« brüllte Jeffries. »Turkey wollte nicht mit mir teilen!«

Doc Holliday lachte hellauf.

Wyatt schob den Zeigefinger in das Kistenloch und spürte das kühle Metall.

»Turkey Creek, komm raus! Das Spiel ist aus! Und wenn du unbedingt eine Kugel in den Bauch haben willst, dann laß wenigstens die andern raus!«

»Die bleiben hier!«

Gleich darauf polterte es in der Hütte.

Es war klar, daß der Riese auf seine Kumpane einschlug.

Wie ein Geschoß hechtete da Doc Holliday nach vorn. Fast mitten vor der Tür verhielt er fast eine Sekunde in seiner typischen Schießstellung, mit eingeknickten Beinen und fast gerade vorgestreckten Armen.

Viermal blitzten seine Colts auf.

Die drei Revolverkugeln, die wütend durch die Tür nach draußen zischten, schlugen in die zerlöcherte Wagenplanke.

Wyatt blickte zu Holliday hinüber. Er hatte die Zähne zusammengepreßt. Dann platzte es aus ihm heraus: »Die Schufte sind es doch nicht wert, Doc!«

Der Gambler zog die Brauen hoch und blickte dann zum Laden hinüber. »Hallo, wir kriegen Besuch!« Er schob sich in eine Mauernische, die seine schlanke Gestalt eben noch zur Hoftür des Ladens hin verdeckte.

Wyatt sah oben in der Tür einen Mann stehen. Es war der Bankier. »Was ist denn hier los?« rief er zu Wyatt hinüber.

»Verschwinden Sie, Mister, hier ist die Luft verdammt ungesund!«

»Was soll das, Earp! Wollen Sie aus der Stadt eine Schießhölle machen? Ich bin mit dem Major und mit Richter Boran gekommen…«

»Sie sollen verschwinden!« herrschte ihn der Marshal an.

Turkey Creeks grollende Stimme fuhr dazwischen: »Der Richter soll diese beiden Hunde herausholen!«

»Das könnte dir so passen, Blackburn!« rief Wyatt. »Hier, Maxwell!« Er stieß mit dem Coltlauf an eine der Kisten. »Hier liegt das Diggergold! Der kleine Johnson hat es für die Tramps versteckt. Und nicht einmal sonderlich geschickt versteckt!«

Der Bankier war blaß geworden. »Was – sagen Sie da?« stotterte er.

»Yeah!« grölte Dunc Blackburn. »Der Schnüffler hat es gefunden! Los, Maxwell, wo ist der Richter? Er soll Earp und Holliday hier aus dem Hof bringen…«

»Damit du wieder türmen kannst!« rief Wyatt zurück. Dann wurde seine Stimme hart wie aufeinanderreibendes Metall. »Blackburn, oder Turkey Creek, oder wie du heißt, ich gebe dir noch eine Minute Zeit. Du bist ein Pferdedieb, und Rancher Feller würde dich augenblicklich hängen, wenn er dich in seiner Hand hätte…«

»Wenn!« röhrte der Bandit mit einem wilden Lachen.

»Und du bist ein Mörder. Du hast den Wells-Fargo-Kutscher Jim McCorney erschossen. Drüben am Cheyenne River liegen drei tote Digger an der Uferböschung. Das Gold ist hier! Du hast die Overland nicht nur auf der Fahrt von hier nach Midland überfallen, sondern auch als sie mit dem Geld vom Depot zurückkam. Beim letztenmal hat Ehlers dich reingelegt. Er hat das Geld einen Tag später mit einer Sonderpost der Wells-Fargo abgeschickt. Dafür mußte McCorney sterben. Du hast auch den anderen Wells-Fargo-Mann, den dicken

Beaulieu, erschossen und ausgeraubt! – Blackburn, die Minute hat begonnen!«

Es herrschte Totenstille im Hof.

Da stürmte plötzlich Ben Hopkins aus der Tür und warf sich sofort nach links.

Doc Holliday hechtete ihm entgegen.

Aber der Mann war waffenlos.

»An die Mauer!« zischte der Arzt.

Hopkins taumelte an Holliday vorbei und kauerte sich neben ihm an der Mauer nieder.

»Jeffries!« rief Wyatt, »das gilt auch für Sie! Wenn die Minute verstrichen ist, hole ich euch beide raus!«

Dröhnendes Poltern drang aus dem Schuppen.

Wyatt sprang hoch und war so schnell am Schuppen, daß Holliday den Kopf wandte und dem Bankier einen grienenden Blick zuwarf. »Sie sollen doch da oben verschwinden, Mister – hat der Marshal gesagt!«

Mit blassem Gesicht zog sich der Bankier zurück.

Und Wyatt Earp hatte in einem Sprung die Dachkante des Schuppens erreicht, zog sich hoch und lag gleich darauf auf dem Dach. Langsam kroch er bis zu der Stelle, wo der Bandit die Bohle aus der Seitenwand gewuchtet hatte. Geräuschvoll zog er sich bis zurn Dachrand vor.

Da feuerte unten der unbezahlbare Holliday. Wyatt nutzte die Chance und rutschte ungehört vom Dach.

Jetzt lehnte er an der Seitenwand, nur drei Zoll neben der Bretterlücke.

Vorn schoß Doc Holliday wieder.

»Aufhören!« dröhnte die schrille Stimme eines kleinen bebrillten Männchens von der Hoftür des Ladens her.

Holliday warf den Kopf herum und lachte leise.

»Was will der denn?«

»Ich bin Richter Boran…«

»Welche Ehre!« spottete der Gambler.

»Aufhören, sofort aufhören!« prustete der kleine Mann im höchsten Diskant in den Hof.

»Verschwinden Sie von der Tür, Richter«, versetzte Holliday gelassen, »sonst verirrt sich am Ende noch ein Stück Blei auf Ihre Brille!«

»Sie sind ein Satan, Doc Holliday, ich werde…«

Der Spieler wirbelte herum. Er hatte beide Colts in den Händen: »Verschwinden Sie, Boran. Und zwar sofort!« Die schneidende Kälte dieser Worte veranlaßte den kleinen Mann, augenblicklich die Flucht zu ergreifen, was ihn jedoch nicht daran hinderte, laut und schrill zu brüllen: »Das ist Bedrohung einer hohen Amtsperson, das ist…«

Holliday lachte laut auf.

Sofort fuhr er herum und gab einen Schuß zur Schuppentür hinüber ab.

Wyatt schob sich Millimeter um Millimeter vor. Jetzt konnte er schon ein Stück des Raumes übersehen.

Vorn rechts neben der Tür lag Jeffries. Eben richtete er sich stöhnend auf. Einen halben Yard neben ihm, fast im Eingang, lag sein Colt.

Von Turkey Creek war nichts zu sehen.

Blitzschnell fuhr Wyatts Fünfundvierziger in die Bretterlücke und gab zwei schnelle Schüsse in den Raumwinkel ab, den der Marshal nicht übersehen konnte.

Ein röhrender, markerschütternder Schrei erfüllte die Luft.

Dann polternder Fall.

Wyatt sah, wie Jeffries gebannt in den halbdunklen Raum starrte. Dahin, wo der Hüne liegen mußte. Dann wagte der Missourier den Sprung an der fehlenden Bohle vorbei.

Aber die Kugel des angeschossenen Tramps Turkey Creek riß noch seinen Jackenärmel auf.

»Jeffries, packen Sie den Colt!« brüllte Wyatt. »Schießen Sie ihm das Gewehr aus der Hand.«

Da bellten drinnen zwei Schüsse auf.

Wyatt lief zur Ecke, rannte weiter und warf einen kurzen Blick in den Schuppen.

Im Hintergrund lag vor allerlei Gerätschaften, alten, zerbrochenen Korbsesseln und Schaukelstühlen der riesige Bandit am Boden. Das Gewehr hatte er unter sich begraben.

Der Schlangen-Wirt hatte ihn tödlich getroffen.

Wyatt richtete sich neben dem Fenster auf.

Er sah vorn aus dem Eingang den Oberkörper des verwundeten Salooners hervorkriechen. Auf Händen und Füßen schob sich der Mann ins Freie.

Doc Holliday, der schon einen Colt vorgestoßen hatte, hielt inne und beobachtete den Verwundeten.

»Ich... ich habe ihn erschossen!« keuchte der Wirt. »Ich... wollte es nicht… aber ich habe das Gewehr nicht getroffen.«

Wyatt sprang vorwärts, über den Salooner hinweg und war im Raum. Vorsichtshalber warf er sich sofort auf den Boden.

Aber der Hüne rührte sich nicht mehr.

Die Kugel des Schankwirts hatte seine Herzspitze durchbohrt.

Auch seine Kinnlade war zerschmettert; da hatte der Marshal ihn getroffen.

Wyatt zog den schweren Körper ins Freie.

Mit stieren Blicken lehnte Abe Jeffries an einem Wagenrad und glotzte benommen vor sich hin. Er blutete aus mehreren Wunden.

Doc Holliday sah Ben Hopkins an. »Hast Glück gehabt, Amigo, bist im letzten Augenblick ausgestiegen.«

Dunc Blackburn war tot.

Daß er Turkey Creek war, schien hier kaum jemand wirklich gewußt zu haben. Die Leute kannten den Büffeljäger nur dem Namen und der Beschreibung nach. Sie hielten Blackburn mehr für einen Aufschneider, und niemand hatte es ihm ernstlich übel genommen, daß er sich scheinbar hin und wieder den Namen des Büffeljägers, der inzwischen ein bekannter Bandit geworden war, zugelegt hatte.

Jetzt erschien der Sheriff oben in der Tür.

Hinter ihm tauchte Frank Yesterday auf.

»Earp, was ist geschehen?«

»Sie kommen verdammt früh!« knurrte der Marshal und steckte sich eine seiner geliebten schwarzen Zigarren zwischen die Zähne.

»Ich glaube, wir sind wieder mal beim falschen Verein!« zischte Holliday leise durch die Zähne, nestelte eine halbzerdrückte Zigarette aus der Reverstasche, klopfte sich den Staub von seinem dunklen Anzug und ging hinaus.

Draußen auf dem Vorbau hatte sich eine Menschenmenge angesammelt.

Finster ließ der Azrt seinen Blick über die glotzenden Gesichter schweifen.

Dann ging er vorwärts.

Scheu wichen die Menschen zurück und bahnten ihm eine Gasse.

Er blickte sich nicht einmal um, der hochgewachsene, schlanke Mann. Und wie er so über den sonnüberstrahlten Marktplatz ging, dachte der Marshal, der jetzt oben in der Tür des Barbershops stand, hatte er wirklich etwas vom federnden, schleichenden Gang einer Pantherkatze an sich, dieser Doctor John Holliday.

Wyatt blickte die Leute nicht an, er wischte sich über das Gesicht, wandte sich um und ging an den großen Spiegel heran.

Damned, er war nur auf einer Seite rasiert; rechts standen die Stoppeln noch.

In aller Gemütsruhe legte er sich das weiße Tuch um, stülpte den Pinsel in den Seifennapf und seifte sich ein.

Mit geschickten Strichen schabte er sich den Rest des Bartes ab, warf eine kleine Münze auf den Zahltisch und ging mit harten, sporenklirrenden Schritten durch die stumme Menschenmauer, die sich draußen inzwischen schon gebildet hatte.

*

Von dem Gold wußten die Leute noch nichts.

Richter Boran hatte schleunigst sein Haus in der Mainstreet aufgesucht.

Auch Maxwell war nirgends zu sehen.

Erst der kleine Pat Coverleav brachte die Botschaft auf die Straße. Er warf die Arme in die Höhe, als er auf der Türschwelle erschien, und brüllte mit seiner Kinderstimme: »Wyatt Earp hat das Gold gefunden! Das Gold! Es liegt…«

Wenn ein Pulverfaß vor dem Barber-shop explodiert wäre, hätte der Wirbel, der jetzt entstand, nicht größer sein können.

Alles schrie, rannte, brüllte, schob und drängte durcheinander.

Der Junge, der erst noch umringt und mit unzähligen Fragen bestürmt wurde, mußte schließlich erleben, daß er von rauhen Fäusten zur Seite gestoßen und fast zu Boden gerannt wurde.

Nur mit großer Mühe gelang es ihm, zu entschlüpfen.

Drüben, mitten auf dem Marktplatz, ging der Marshal.

Pat blickte ihm mit großen Augen nach. Dann nahm er die Beine in die Hand und rannte los.

»Mister Earp! Mister Earp!«

Der Marshal blieb stehen und sah dem Jungen entgegen. Er ahnte in dieser Sekunde sicher nicht, daß ausgerechnet dieser Bursche, der ihm da entgegenrannte, mehr als acht Jahrzehnte später dem Mann, der die Geschichte des Wyatt Earp schreiben sollte, die Story von

Deadwood erzählen würde. Wer hätte auch jetzt im September 1876 daran denken können, daß der kleine flachsblonde Pat Coverleav hundert Jahre alt werden sollte…

»Mister Earp!« Keuchend erreichte der Junge den Marshal. »Ich muß Ihnen noch etwas sagen!«

Wyatt zog die Brauen zusammen und neigte den Kopf etwas. »Ja?«

»Die Revolver gehören meinem Vater. Ich habe sie gestern an mich genommen, weil Mister Johnson gesagt hatte, ich müsse sie tragen. Ein Wächter ohne Colt sei nur ein halber Wächter.«

»Was solltest du denn bewachen?«

»Den Hof.«

»Wußtest du, daß das Gold in den Kisten war?«

»Nein!« lachte der Junge breit. »Aber daß Blackburn im Stall war und daß Mister Johnson ihn Turkey Creek nannte, das wußte ich wohl!«

Wyatt reichte ihm die Hand. »Und denk in Zukunft daran: je eher du einen Colt in die Hand nimmst, um so schneller bist du selber tot. Wenn du mal achtzehn oder zwanzig bist, ist das anders…«

»Dann darf ich schießen?«

Wyatt wischte sich über die Augen und blickte zu dem Ameisenhaufen hinüber, den die Menschen vor dem Haus des Barbers bildeten. »Vielleicht brauchst du dann gar nicht mehr zu schießen, Pat.«

Nie würde der Bursche diese Worte vergessen.

Der Sheriff ließ das Gold in Maxwells Bank schaffen.

Mit ärgerlichem Gesicht saß der Bankier in seinem Saloon.

Ann, seine hübsche dunkeläugige Tochter, saß ihm gegenüber.

Maxwell nahm einen Schluck aus der Kaffeetasse, die seine Schwester ihm gerade hingestellt hatte, wartete, bis die Frau hinausgegangen war, und knurrte dann: »Allmählich wächst mir diese ganze Stadt zum Halse heraus!« Er rieb sich die faltige Stirn, und in seinen grauen Augen lag ein matter Glanz von großer Müdigkeit.

»Ich habe gesehen, wie sie Blackburn weggebracht haben«, sagte das Mädchen.

Der Bankier blickte auf.

»Es war der gleiche Mann, der den Kutscher niedergeschossen hat.«

Maxwell nickte. »Sicher, es steht ja nun fest, daß es Turkey Creek war. Er hat zweifellos auch den Beaulieu erschossen. Gestern erhielt der Major eine Depesche aus St. Louis, worin man bei der Wells-Fargo um nähere Angaben über den Tod des Agenten ersuchte. Ich bin das alles so leid, Ann. Erst dieser Überfall auf die Overland, in der ausgerechnet du sitzt. Wer dachte denn auch daran, daß du so unerwartet zurückkommst? Tante Susan bedeutet eine erhebliche Belastung für uns.«

»Aber Papa, sie arbeitet von morgens bis abends, und außerdem hat sie selbst Geld.«

Maxwell blickte seine Tochter nachdenklich an. »Mit dem Geld ist es nicht so schlimm. Außerdem meinte ich es anders. Sie ist krank.«

Ann krauste die Stirn.

Da sagte der Bankier: »Sie ist geisteskrank, Kind, wie unsere arme Mutter es auch war.«

Ann sprang auf. »Geisteskrank? Das wußte ich nicht. Sicher, ich habe längst gemerkt, daß sie sonderbar ist und manchmal verstört dasitzt und vor sich hin grübelt. Aber geisteskrank – nein. Weshalb hast du mir früher nie etwas darüber gesagt?«

»Du warst zu jung für solche Dinge, Ann.«

»Du hättest es mir schreiben können. Schließlich war ich jahrelang fort – bei ihr unten in Omaha.«

Maxwell strich sich über das Haar. »Wir leben hier in einem rauhen Land, Ann. Ich bin hierhergekommen, um für dich und mich eine Existenz aufzubauen. Drüben in Quincy hatte ich zuviel Feinde. Ich zerbrach an ihnen und mußte die Bank aufgeben. Hier war alles neu, jung, und jeder zählte soviel wie der andere. Aber alles hat sich irgendwie übel zugewachsen. Die Postkutschenüberfälle, der Überfall ausgerechnet auf die Overland, in der du warst, die Schießereien in der Stadt, dieser schreckliche Marshal, das alles hat mich schlimm mitgenommen.«

»Ein Glück, daß Wyatt Earp das Gold gefunden hat. Die Digger hätten dir vielleicht doch heimlich Vorwürfe gemacht.«

Maxwell nickte. »Der Major ist ein alter Mann, der Richter ist eine Niete, der Sheriff ist zermürbt – wenn ich mich nicht um alles kümmere, läuft hier vieles schief.«

»Sei froh, daß Hees tot ist. Vielleicht gehörte er mit seinen Reitern zu den

Posträubern.«

Maxwell schüttelte den Kopf. »Da muß ich dem Marshal zustimmen: Hees war ein größenwahnsinniger Revolvermann. Wahrscheinlich war das nicht sein richtiger Name, den er hier trug. Er hat eine Schar halbwilder Burschen um sich versammelt und Pferde gezüchtet…«

»Gezüchtet und gestohlen!« sagte Ann.

Maxwell nickte. »Ich glaube, wir verlassen Deadwood bald, Kind. Hier ist mir die Lebensfreude gründlich vergangen. Ich habe mich für andere Leute zerrissen und abgearbeitet. Einen Dank erntet man doch nirgends.«

»Vielleicht wird es wieder anders, besser…«, sagte das Mädchen weich.

Maxwell hob den Kopf. »Yeah, wenn dieser Earp verschwunden ist!«

Ann blickte rasch auf. »Vater, ich… liebe ihn!« stieß sie mit belegter Stimme hervor.

Der Bankier war aufgestanden und zur Tür gegangen. Mit einem scharfen Ruck wandte er sich um.

Langsam kam der Mann zurück und blieb dicht vor dem Mädchen stehen. »Ann, ich…« Er schluckte und wischte sich durch das Gesicht. »Ich weiß gar nicht, was ich sagen soll. Ich kann nur den Kopf schütteln. Du liebst diesen Mann?«

Sie nickte mutig.

»Diesen Wolf? Diesen Revolverschützen und Schläger!«

»Vater, du bist ungerecht. Er ist ein Mann, der das Gesetz vertritt. Mit frommen Sprüchen würde er schwerlich etwas erreichen.«

Maxwell winkte ab und sagte einlenkend: »Du mußt selbst wissen, was du willst, Ann. Schließlich bist du alt genug.« Und plötzlich würde seine Stimme hart und schneidend. »Aber eines mußt du jetzt schon wissen: Ich werde diesen Mann nie in meinem Hause als Schwiegersohn aufnehmen!«

Ann stützte sich gegen den Tisch. »Was sprichst du da für Worte aus, Vater? Wer hat von dir verlangt, daß du ihn aufnehmen sollst. Dieser Mann würde niemals etwas von einem Fremden annehmen. Er braucht weder dich noch mich. Er ist in den ganzen Staaten bekannt, weil er ein großer Marshal ist…«

Maxwell lachte ironisch. »Ein großer Marshal! Du bist ein Kind, Ann, sonst könntest du ihn nicht so schwärmerisch anbeten. Er ist ein Schießer, ein Mann, der von der Schnelligkeit seiner Hand lebt. Wenn er nicht zufällig Marshal geworden wäre, wäre er ein Bandit! Sieh dir doch seinen Freund an, ein Revolvermann und Kartenhai. Doctor Holliday, ein verkrachter Arzt, ein Abenteurer! Vielleicht siehst du auch bei ihm nur, daß er ein großartiger Schütze ist…«

Hastig stieß Ann hervor: »Du siehst alles schwarz und grau. Doc Holliday mag ein rastloses Leben voller Sinnlosigkeit hinter sich haben. Hier hat er nur wie ein Gentleman gehandelt. So, als trüge er selbst einen Stern. Er hat sich mit Entschlossenheit und Tatkraft an die Seite des Marshals gestellt.«

»Das macht ihn nicht besser!« unterbrach Maxwell.

»Doch, Vater, das macht ihn besser. Und nicht nur in meinen Augen. Wenn er auch ein Spieler ist und ein Abenteurer…, hier hat er sich großartig benommen.«

Maxwell winkte ab. »Sei still. Seit dieser Earp in der Stadt ist, scheint alles wie verdreht zu sein. Das ist die reinste Krankheit. Du bist nicht allein von ihr befallen. Du hättest deine Götter in Johnsons Hof sehen sollen! Wie zwei reißende Wölfe kauerten sie da, schlecht gedeckt durch dünne Faßhölzer und schmale Mauervorsprünge. Der Earp rannte in die Schußlinie hinein auf den Schuppen zu, und der Spieler gab Sperrfeuer zur Ablenkung. Wie ein guteingespieltes Gaunerduo zauberten die Kerle auf dem Hof. Holliday sprang doch allen Ernstes wie ein Indianer vor die offene Schuppentür, hinter der Blackburn, Jeffries und Hopkins mit ihren Eisen lauerten... Wölfe sind es, deine Freunde…«

»Freunde? Es sind nicht meine Freunde! Leider nicht! Und du wirst sicher niemals in die Verlegenheit kommen, den Marshal Earp als deinen Schwiegersohn zu begrüßen. Er will mich nämlich gar nicht. Vielleicht bist du damit zufrieden!« Sie wandte sich ab und lief hinaus.

Maxwell zog die Brauen hoch, schüttelte den Kopf und ging mit müden Schritten in sein Arbeitszimmer hinüber.

*

Spät am Abend hörte Wyatt ein Geräusch.

Er federte vom Bett hoch, auf das er sich noch in den Kleidern ausgestreckt hatte, zog den Colt und horchte.

Die Schritte auf dem Gang kamen huschend näher. Vor der Tür erstarb das Geräusch.

Wyatt lauschte angestrengt mit geschlossenen Augen und angehaltenem Atem nach draußen.

Ein tastendes Streifen war am Türholz, dann ein zaghaftes Klopfen.

Wyatt öffnete.

Auf dem schwachbeleuchteten Korridor sah er eine Frau.

Er erkannte sie nicht gleich. »Ja?« fragte er halblaut.

»Kann ich einen Augenblick hereinkommen, Mister Earp?« hörte er die Stimme von Susan Howard.

»Ja, bitte.«

Die Frau kam ins Zimmer.

Wyatt zündete die kleine Kerosinlampe auf dem Tisch an und schob der Frau einen Stuhl hin.

»Ich muß mit Ihnen sprechen, Mister Earp. Es handelt sich um Ann…«

Wyatt fühlte einen dumpfen Stich irgendwo tief in seiner Brust. Er setzte sich der Frau gegenüber und blickte sie aus ernsten Augen an.

»Ann… meine Nichte… Sie haben doch neulich mit ihr gesprochen?«

»Ja, das ist richtig.«

»Ist Ihnen da nichts aufgefallen?«

Wyatt überlegte. »Nein, eigentlich nicht«, sagte er unsicher.

Die Frau sah ihn lange an. Dann sagte sie: »Ann liebt Sie, Mister Earp.«

Wyatt griff mit einer eckigen, unbeholfenen Bewegung nach seinem Jackett, nahm eine Zigarre daraus hervor und fragte: »Sie erlauben, daß ich rauche?«

»Bitte«, sagte die Frau und lächelte schwach und müde. »Ich bin alt und – nein, ich bin auch nicht mehr gesund. Aber für diesen Gang war ich noch gesund genug. Ich weiß, daß es Ann nie sagen würde. Ich weiß aber auch, daß die Männer in diesem verfluchten Land taub und blind sind, wenn es um Liebe geht. Daß sie weglaufen, weiterreiten, wo sie bleiben sollten. Daß sie gar nicht merken, wenn mitten in der Prärie eine Blume blüht.« Sie senkte den Kopf und sagte weinerlich: »Seien Sie bitte nicht böse, daß ich etwas romantisch geworden bin. Ich bin eine alte Frau. Ich weiß gar nicht, ob es einen Sinn hat, daß ich zu Ihnen gekommen bin. Sicher haben Sheriffs andere Sorgen, als ein verliebtes unglückliches Mädchen. Und ich wollte auch nicht, daß Sie Ann als Frau nehmen… Das alles muß jeder selbst wissen. Ich wollte es Ihnen nur sagen.«

Wyatt nickte. Ein höllisch unbehagliches Gefühl saß in seinem Nacken.

Da stand die Frau leise ächzend auf. Fast gebeugt ging sie zur Tür. Da blieb sie stehen und blickte zu dem Mann hinüber. »Haben Sie mal einen Revolver mit einem schwarzen Knauf und einem weißen Andreaskreuz gesehen…?«

Der Marshal schüttelte den Kopf.

»Um die Black Hills herum gibt es böse Geister, Marshal. Vergessen Sie es nicht, und alles ist voll Dunkelheit und Nebel.«

Wyatt erhob sich. Das unbehagliche Gefühl, das ihn beschlichen hatte, verstärkte sich noch.

Er atmete auf, als er die Frau unten aus der Hotelhalle zum Bankhaus Maxwell hinübergehen sah.

Dann stand er am Fenster, öffnete es, stützte die Hände auf das schon rissige Holz der Fensterbank und blickte über die Dächer auf die im Sternenlicht dräuenden Berggipfel der Black Hills hinüber.

Es kam ihm alles reichlich verworren vor, was die Frau ihm da gesagt hatte. Oder wollte sie ihm etwas andeuten? Schließlich hatte sie früher lange hier in der Stadt gelebt und kannte die Leute.

Sein Blick senkte sich auf das große Bankhaus drüben an der gegenüberliegenden Straßenecke.

Die alte Frau war längst im Eingang verschwunden.

Plötzlich öffnete sich die Tür wieder, und Wyatt erkannte im schwachen Lichtschein, der aus den Fenstern eines gegenüberliegenden Saloons über die Straße fiel, daß es Ann war.

Sie ging langsam über den Vorbau und bog drüben in die Warbystreet ein.

Der Mann starrte auf die Stelle, wo sie um die Hausecke gebogen war. Er glaubte noch das schimmernde Weiß ihres Schals zu sehen.

Langsam wandte er sich um, zog seine Jacke an, nahm den Waffengurt, setzte seinen schwarzen breitkrempigen Hut auf und ging hinaus.

Die Straße war still.

Die kleinen Saloons hatten nicht viel Betrieb.

Drüben aus dem großen Sunset-Saloon kam das wenig melodische Hämmern eines uralten verstimmten Orchestrions.

Wyatt überquerte die Straße und blickte in die dunkle Gasse, die nach Südwesten hin ziemlich abschüssig zu den neuen Häusern der Digger führte, die schon so viel Geld zusammengekratzt hatten, daß sie sich ein Haus bauen konnten.

Wyatt schritt langsam die Straße hinunter.

Er sah das Weiß des Schals schon auf fünfzig Schritt durch das Dunkel schimmern.

Wyatt blickte sie nicht an; er sah die Gasse hinunter. »Es ist ziemlich spät«, sagte er dumpf.

»Ja, das ist es…«

Nach einer Weile sagte der Mann: »Ihre Tante war bei mir.«

Ann fuhr herum und starrte ihn an.

Aus der Dunkelheit heraus sah er die Augen glimmen. »Tante Susan?« fragte sie heiser.

»Ja.«

»Was… wollte sie denn?«

»Mir etwas sagen, was ich nicht wußte.«

»Ich verstehe nicht –«

»Sie hat mir etwas mitgeteilt, von dem sie annahm, daß es mich vielleicht interessieren könnte.«

Da ergriff das Mädchen die Rechte des Mannes und spannte seine weißen zartgliedrigen Finger darum. »Mister Earp. Sie dürfen ihr kein Wort glauben. Was sie auch gesagt hat! Sie… Vielleicht hat sie über meinen Vater geschmipft oder über sonst jemanden. Vielleicht über mich…«

Wyatt schüttelte den Kopf. »Nein, das hat sie nicht«, versetzte er.

»Sie hat bestimmt eine Dummheit gemacht. Ich… ich muß es Ihnen also sagen: Tante Susan ist krank. Verstehen Sie, krank im Kopf.« Ann schluckte. »Ihre Mutter war auch geisteskrank. Sie ist schon in jungen Jahren in einem Hospital in Quincy gestorben.«

Wyatt hatte plötzlich wieder das unbehagliche Gefühl im Genick.

Er hörte wie aus weiter Ferne die dunkle Stimme der jungen Frau. »Sie redet Dinge, die nicht stimmen. Ich habe es nie gewußt. Aber seit heute weiß auch ich es erst. Sie sagte heute mittag so verdrehte, verschwommene Dinge, als sie bei mir im Zimmer saß…«

Da sagte der Mann leise: »Sie hat gesagt, daß Sie mich lieben.« Dann wandte er sich um und ging langsam zurück.

Wie aus Erz gegossen stand Ann

Maxwell da und starrte ihm mit brennenden Augen nach. Ich muß ihm nachlaufen! hämmerte es in ihr. Ich muß ihm sagen, daß es wahr ist. Daß es wirklich und wahrhaftig wahr ist. Ich muß ihm sagen, daß ich mich vor Sehnsucht nach ihm verzehre, daß ich nie wieder einen Mann so lieben kann. Daß ich vorhin von meinem Zimmer aus oben im Hotel am Fenster gesehen habe…

Sie stand wie gelähmt.

Die eine wichtige Minute war in die Ewigkeit getropft. Zerronnen im Dunkel der Nacht.

In diesem Augenblick wußte Ann, daß sie diesen schönsten Traum ihres Lebens begraben konnte.

Sie hatte selbst gesagt, daß Tante Susan krank sei, geisteskrank, wahnsinnig. Daß sie eine Verrückte wäre. Und dann kam seine Antwort!

Sie hatte wie taub und blind dagestanden, seine Gestalt im Dunkel verschwimmen gesehen und war doch nicht fähig gewesen, ihm nachzulaufen oder zu rufen. Schwankend ging sie den Weg zurück.

Drüben im ersten Stock des großen Cleveland-Hotels lag ein Mann auf seinem Bett, hatte die Arme hinter den Kopf verschränkt und blickte gegen die Decke.

Sein Leben war Kampf gewesen, hatte ihm nur Härte entgegengebracht.

Seit dem frühen Tod der kleinen Willa Sutherland hatte es keine Frau von Bedeutung in seinem Leben gegeben.

Die dunkeläugige, geheimnisvolle Ann Maxwell geisterte durch seine Gedanken. Aber es war da etwas, das ihn von ihr trennte, das zwischen ihnen stand.

War es die Tatsache, daß sie die Tochter eines reichen Mannes war, eine junge Lady, die auf einer Schule in St. Louis war, oder war es ihre außergewöhnliche Schönheit, die ihn gebannt hatte?

*

Am Montagmorgen hatten sich schon früh viele Neugierige vor dem Bankgebäude und auch vor der Wells-FargoCompany eingefunden.

Sie wußten, daß heute das von Wyatt Earp wiedergefundene Gold endgültig nach Midland transportiert werden sollte.

In der Sonntagnacht hatten sie in den Saloons diskutiert, wer wohl die Kutsche als Gunman begleiten würde.

Wer wohl?

Obgleich mehrere Namen genannt wurden, dachten die Männer nur an einen Gunman: an den Marshal Earp.

Um acht Uhr kam Cliff Cordy ins

Cleveland-Hotel. Wyatt hörte die Schritte des Wells-Fargo-Agenten auf dem Korridor.

Er hörte, wie er an Doc Hollidays Tür klopfte, die gegenüber lag.

Nach längerem Klopfen öffnete Cordy die Tür.

Wyatt hörte, daß er einen unterdrückten Ruf der Verwunderung ausstieß.

Sofort war der Missourier auf den Beinen und öffnete seine Tür.

Cordy blickte sich um. »Doc Holliday ist weg…«

Der Marshal zog die Brauen zusammen.

Dann schob er Cordy beiseite und lief die Treppe hinunter.

Der Hoteleigner stand händereibend vor einer elegant gekleideten Frau, die eben mit der Wyoming Post gekommen war.

Wyatt rief ihn ungeniert an. »Mister Cleveland, ist Doc Holliday abgereist?«

Der Hotelier lächelte süßlich. »Ja, er ist in aller Herrgottsfrühe mit der Sonderpost nach Rapid City abgereist.«

Wyatt nickte und ging zurück.

Auf der untersten Treppenstufe stand der kleine blasse Cordy. Mit rauher Stimme sagte er: »Ich wollte ihn gerade bitten, ob er nicht die Overland als Gunman begleiten möchte. Sie hatten ja abgelehnt.«

»Weshalb muß es einer von uns sein?« fragte Wyatt, der den Vorwurf deutlich gehört hatte.

»Weil diesmal noch weit mehr als für 100000 Dollar Gold in der Kiste liegen! Mister Earp – wenn Sie reiten, zahlen die Leute das Doppelte!«

»Die Leute?«

»Die Digger!«

Der Missourier schüttelte den Kopf. »Ich dachte, sie mögen mich nicht?«

»Das dachten Sie! Was meinen Sie, was auf der Mainstreet los ist, wenn ich den Leuten sage, daß Wyatt Earp als Gunman mit der Overland reitet!«

»Da bin ich gespannt…«

Cordys Augen wurden weit. »Soll das heißen, daß Sie annehmen?«

»Nein«, versetzte der Marshal, »nämlich nicht das Geld der Digger. Aber ich reite. Zum alten Lohn!«

Cordy stürzte wie vom Katapult geschleudert an ihm vorbei zur Tür, riß sie auf und stürmte auf die Straße.

Mitten auf dem Damm blieb er stehen und brüllte durch die trichterförmig um den Mund gelegten Hände: »Leute! Wyatt Earp reitet als Gunman! Er…«

Seine weiteren Worte erstickten in dem Jubel, der jetzt losbrach.

Der alte Bill Natterman saß auf dem Kutschbock und grübelte vor sich hin.

Die Kutsche rollte nach Südosten aus den Black Hills heraus auf die Ebene zu, die sich zwischen den Big Badlands und dem Gebiet der Pineridges hinzog.

Der Himmel war wolkenlos blau. Nur ein leichter Wind fächelte die Gräser.

Der Kutscher blickte sich nach dem Gunman um und sah ihn mit gesenktem Kopf links seitlich hinter der Kutsche her traben.

Da hob der Alte den Arm. »Wyatt!« rief er.

Der Marshal ritt näher an den Kutschbock heran.

»Hängen Sie den Falben an den Aufsteiger und setzen Sie sich eine Weile zu mir herauf!«

Wyatt kam dem Wunsch des alten Kutschers nach.

Bill zündete seine Pfeife an und blickte nach vorn über die Rücken der Füchse. »Ich glaube, ich mache die Tour zum letztenmal.«

»Weshalb?«

»Weil ich überzeugt bin, daß bald mehr Wagen zwischen Midland und

Deadwood rollen werden. Die Strecke ist jetzt sicher.«

»Hoffentlich.«

»Sie haben den Wurm aus dem Holz gepustet, Wyatt. Ich hatte früher Hees noch im Verdacht, aber Turkey Creek war der geheime Boß der Posträuber. Ein wahres Glück, daß alles so gekommen ist. Wenn Sie nicht mit Doc Holliday an jenem Morgen im Barber Shop gewesen wären und Verdacht geschöpft hätten…«

»Ich hatte gar keinen Verdacht geschöpft. Johnson war plötzlich verdammt merkwürdig, und als ihm das Messer aus der Hand fiel, hatte Holliday plötzlich den Colt in der Hand. Im gleichen Augenblick sah ich aber schon, wie sich hinten die Tür bewegte. Der Bengel hatte wohl Stimmen gehört und wollte nachsehen, wer da war. Das war eigentlich alles.«

»Eine ganze Menge.«

Das blankgewichste Ledergeschirr der Füchse knirschte und krachte. Die vierundzwanzig Hufe trommelten über den Weg.

»Baker hat ja Frank Yesterday und drei Freiwillige hinter Johnson hergeschickt. Aber der alte Halunke war wie vom Erdboden verschwunden. Wo er geblieben ist, wußte niemand. Na, eines Tages wird irgendein Sheriff auch diesen Hehler stellen. Er hat es auf eine besonders raffinierte Art verstanden, sich unverdächtig zu machen. Ich kannte ihn nicht anders, als über Hees, Turkey

Creek, sogar den reichen Maxwell und den Major schimpfend, das machte ihn uns kleinen Leuten einfach sympathisch.«

Wyatt rutschte bald wieder zum Mißfallen des Alten, der anscheinend seine Schweigsamkeit begraben hatte, in den Sattel und ritt in Halbkreisen vor der Overland her, beobachtete das Gelände und spähte in die Bodenwellen hinein, die die Kutsche zu passieren hatte.

Von Smithweck ging es am darauffolgenden Tag nordöstlich zum CheyenneRiver hinauf.

Am späten Nachmittag sichteten sie das silbern schimmernde Band des Flusses von einer Anhöhe aus.

Wyatt, der sein Fernrohr schon absetzen wollte, hielt es plötzlich mit beiden Händen fest und fixierte einen Punkt an der Uferböschung, ganz in der Nähe der Furt.

Bill hatte ihn beobachtet. Unwillkürlich verlangsamte er die Fahrt und wartete, bis der Gunman herangekommen war. »Haben Sie etwa was entdeckt?«

»Ja, hinter der Böschung hat sich was bewegt.«

Der Alte wurde plötzlich blaß. »Konnten Sie nichts erkennen…?«

»Leider nicht. Aber ich glaube, es war der Kopf eines Menschen.«

Da hob der Gunman die Hand, warf die Zügelleinen hin und her und stob in voller Karriere nach Nordosten davon.

Der Alte sah ihn bald nur noch als winzigen Punkt in der Ferne – dann war er verschwunden.

Wyatt trieb den Falben zur höchsten Eile an. Das prächtige Tier warf die Beine in wunderbar gleichmäßigem Rhythmus, streckte sich flach und flog nur so über die Prärie dahin.

Der Missourier erreichte den Flußlauf zwei Meilen weiter nördlich von der Furt, trieb das Tier ins Wasser und suchte einen halbwegs passierbaren Übergang.

Drüben sprengte er die Böschung hinauf und preschte im Halbkreis nach Osten und schließlich nach Südwesten zurück.

Er sah schon von weitem: An der Böschung saß ein Mann und blickte ins Wasser.

Wyatt brauchte das Glas nicht zur Hand zu nehmen, er wußte plötzlich, wer da saß.

Im Trab ritt er ans Ufer. Da hielt er an.

Der Mann drüben hob den Kopf.

»Hallo, Doc!«

Wyatt trieb das erhitzte Tier durch das nur fußhohe Wasser der Furt.

»Wozu haben Sie den Umweg gemacht?« fragte Holliday, während er einen Grashalm durch seine schlanken Finger zog.

Wyatt lächelte. »Von hinten sah es aus, als hätten Sie sich hier versteckt.« Er hob den Arm und wies nach Norden. »Da drüben, sehen Sie den grauen Punkt an der hellen Uferböschung? Das ist

Maxwells Sonderkutsche.«

Holliday nickte. »Schöne Gegend hier, finden Sie nicht auch?«

»Doch.« Wyatt blickte den anderen von der Seite an, tastete dessen scharfgeschnittenes Profil mit den Augen ab. »Ich frage mich, wie Sie hierhergekommen sind, so ohne Pferd…«

Holliday grinste und zeigte seine weißen Zähne. »Wozu brauche ich denn ein Pferd, wenn ich doch gleich mit der Overland fahren kann?«

»Sie waren in Smithweck?«

»Yeah – ein Indianeragent hat mich mit einem Conestoga mitgenommen. Bis drüben auf die Anhöhe. Er fuhr zu den Pineridges hinüber. Und ich bin hier unten am Wasser entlanggelaufen. Sie hatten mir ja die Furt beschrieben…«

Wyatt erhob sich und blickte nach der Kutsche aus.

Aber der Alte ließ sich anscheinend Zeit.

Bill Natterman betrachtete den Arzt wie ein Gespenst. »Doc Holliday!« stieß er hervor. »Ist er hergeflogen, Wyatt?«

Und doch war der Alte froh, noch einen so tüchtigen Revolverkämpfer dabei zu haben. Vor allem, da der Doc kein Pferd hatte und neben ihm auf dem Kutschbock sitzen konnte.

Wyatt ritt schweigend neben dem knarrenden Gefährt.

Und dann geschah es, was Wyatt beim ersten Ritt ständig befürchtet hatte.

Aus dem niederen Buschwerk preschten plötzlich zwei Reiter wild schießend von vorne auf das Gefährt los.

Mit einem Satz war Holliday auf der Straße, jumpte an der Seite des Wagens wieder hoch, riß den Schlag auf und verschanzte sich auf dem Boden des Fahrgastraumes.

Wyatt hatte sofort den Falben vom Weg ab in die Büsche getrieben.

Wild feuernd stoben die beiden Reiter heran.

Holliday zuckte hoch, stieß die Rechte vor und zog den Coltlauf mit dem Reiter, der zwei Kugeln auf den Mann am Wagenschlag abfeuerte.

Dann drückte Holliday ab.

Der Reiter flog aus dem Sattel.

Mit wilden Schreien trieb der alte Kutscher die Füchse an.

Dammed! Wenn er nur erst die Anhöhe drüben gewonnen hätte.

Dann krachten hinter dem Wagen wieder Schüsse. Ein Reiter kam zurück und riß neben dem Kutschbock die Zügel hoch. »Stop, Alter!« rief er schneidend.

Bill war plötzlich stocktaub. »Heyahhee!« brüllte er und schwang die Peitsche.

Holliday hatte ihn gehört und sprang zum gegenüberliegenden Fenster, zerschlug das Glas mit dem Colt und sah den Mann drüben in den Büschen verschwinden.

»Heavens! Welch ein Pferd!« entfuhr es dem Gambler. Er konnte den Mann nicht mehr sehen, der hatte sich seitlich nach Indianerart neben den Pferdeleib fallen lassen.

Und John Holliday brachte es einfach nicht fertig, auf solch ein Pferd zu schießen.

Da stob von der Anhöhe der Missourier auf seinem Falben. Er stand weit vornübergebeugt in den Steigbügeln. In seiner Linken hatte er die Winchester.

Holliday blickte mit weit offenen Augen hinaus. Er hatte die Zähne hart auf die Unterlippe gepreßt.

Der Bandit auf dem Rappen feuerte unter dem Pferdeleib her einen Schuß auf den Marshal ab.

Holliday, der den Arm des Mannes nur den Bruchteil einer Sekunde sehen konnte, stieß den Colt vor und feuerte.

Aber er wußte, daß die Distanz zu groß war.

Da riß der Bandit den Rappen herum und sprengte auf seinem pfeilschnellen Pferd davon.

Auch der Marshal riß die Zügel hoch.

Der Falbe stand sofort.

Die Winchester flog in die rechte Armbeuge.

Der Schuß krachte.

Doc Holliday sah, wie der Mann seitlich aus dem Sattel glitt, sich mehrmals überschlug und dann im hohen Gras liegen blieb.

Der Spieler stieß den Wagenschlag auf und setzte mit einem weiten Sprung hinaus, dann rannte er den Hügel hinauf.

Als er mit keuchendem Atem bei dem Gestürzten ankam, kniete der Marshal schon neben ihm.

Doc Holliday blickte auf die scheußlich bemalte Maske, die sich der Mann über den Kopf gestülpt hatte.

Wyatt steckte den Colt, den er vorsorglich bereitgehalten hatte, weg, zog dem Mann die Maske hoch und starrte entgeistert in das bleiche Gesicht des Mannes, der mit starren Augen im hohen gelben Gras der Savanne lag.

»Maxwell!« entfuhr es Doc Holliday.

Wyatt war wie erstarrt. Er blickte an dem Gesicht des Toten vorbei, über dessen Körper.

Plötzlich blieb sein Auge auf dem schwarzen Coltgriff hängen, in dem ein elfenbeinfarbenes Andreaskreuz eingelegt war…

*

Die Nachricht, daß niemand als der angesehene Greg Maxwell selbst der geheime Boß der Posträuberbande gewesen war und daß er schließlich mit seinem letzten Mann, dem kleinen Barbier, auf den großen Raub ausgegangen war, wollte niemand begreifen.

Ann war zusammengebrochen. Sie mußte nach Rapid City ins Hospital gebracht werden.

Die Schwester des Bandenchefs saß mit steingrauem Gesicht in der Küche, als Wyatt und Doc Holliday zusammen mit dem Sheriff, Cordy und dem Major ins Haus kamen.

»Das weiße Andreaskreuz, Marshal – haben Sie es endlich gefunden…« Sie lächelte matt und blickte auf ihre Hände. »Er war immer ein Verbrecher. Schon als junger Mensch. Aber ich konnte nichts sagen. Weil ich ihn durchschaut hatte, wollte er mich in ein Irrenhaus bringen, damals schon…«

Unten in einem Kellerraum fanden die Männer all das, was in den vergangenen Monaten auf der heißen Strecke

Deadwood – Midland an Wertgegenständen abhanden gekommen war.

Deadwood war fassungslos.

Es dauerte Tage, bis die Menschen sich über das zurückgewonnene Gold und viele Wertstücke, die man in dem Beuteschatz des Bankiers entdeckte, freuen konnten.

Zwei Tage später führte Wyatt am Vormittag seinen Falben in den Hof des Hotels, wo ein kleiner Highlander stand. Als er alles aufgeladen hatte, zahlte er bei dem Hoteleigner seine Zeche.

Der Mann hob abwehrend die Hände. »Wie können Sie glauben, daß ich auch nur einen Cent von Ihnen nehme, Mister Earp. Ich lasse mir doch nicht die Ehre nehmen, daß Sie in meinem Hause…«

Wyatt legte das Geld auf den Tisch und ging noch einmal hinauf.

Vor Hollidays Zimmer blieb er stehen und klopfte.

»Yeah?«

Wyatt trat ein.

Der Arzt lag mit übereinandergeschlagenen Stiefeln auf dem Bett.

»Hatten Sie einen Wunsch, Marshal?« fragte er und blickte den dünnen Rauchfäden seiner Zigarette nach.

»No, nur eine Idee. Unten im Hof steht mein Wagen. Sie wollen höchstwahrscheinlich doch nach Dodge zurück. Und da dachte ich, Sie könnten sich die ziemlich kostspielige Passage ersparen…«

Der Gambler hatte ein hintergründiges Lächeln in den Augen, schwang sich hoch, nahm seinen Hut, tastete gewohnheitsmäßig nach seinen Colts und kam zur Tür. »All right, gehen wir.«

Als Doc Holliday unten bei Cleveland bezahlen wollte, hielt der Marshal ihn zurück. »Er nimmt nichts, Doc, wegen der Ehre…«

Wyatt Earp Staffel 2 – Western

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