Читать книгу Wyatt Earp Staffel 7 – Western - William Mark D. - Страница 9

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Als sie von St. Louis aufbrachen, waren sie noch sieben: der alte Ric Hellmers, seine Frau Laura, der zweiundzwanzigjährige Mike und der kleine Jim; Onkel Fred, dessen Frau Leony und die sechzehnjährige Patricia.

Die Hellmers waren von England gekommen, aus einem der Vorstädte Southamptons, wo sie alle miteinander in einer verfallenen Behausung an einem Fleet gelebt hatten.

Mit neunundfünfzig Jahren hatte sich Ric Hellmers zu der Auswanderung in die Vereinigten Staaten entschlossen.

Seine Frau hatte nie etwas anderes getan, als er wollte.

Mike verehrte den Vater so sehr, daß auch er für die Fahrt gewesen war.

Jimmy hatte geweint, weil er den kleinen Hund Berry hatte in South-ampton lassen sollen.

Vaters Bruder, Onkel Fred, und dessen Frau hatten sich dem Gedanken sofort angeschlossen und keine Bedenken gehabt, die Heimat, die ihnen doch nichts bot, zu verlassen.

Die hübsche blauäugige blondhaarige Pat war eigentlich die einzige, die wirklich ein wenig traurig gewesen war, denn sie hatte die grauen, dunklen Gassen und den Nebel ihrer Heimatstadt geliebt.

Sie hatten viele Vorhaltungen von ihren Nachbarn mit angehört, die Hellmers, aber sie hatten alles mit stoischer Ruhe über sich ergehen lassen; ihr Entschluß hatte von der ersten gemeinsamen Besprechung an festgestanden: Wir fahren!

Joel McCardiff, der angeblich in seiner Jugend einmal in Amerika gewesen war, als Kohlentrimmer auf einem Ozeandampfer, hatte ihnen abgeraten. Händeringend hatte der alte Graukopf in Hellmers Küche, die gleichzeitig den Wohnraum der beiden Familien darstellte, vor dem Vater gestanden und mit krächzender Greisenstimme ausgerufen:

»Ihr werdet es bitter bereuen, das sage ich euch. Bitter bereuen! Die Indianer kommen auf schwarzen Pferden, wild und nackt jagen sie durch die Prärie, mit feuerroten Gesichtern und gelben Augen, zu Tausenden und aber Tausenden kommen sie, um jeden Weißen zu skalpieren…«

Die schauerlichsten Stories hatte er den Hellmers erzählt. Aber es war umsonst gewesen. Vater Ric hatte nur leise und still gelächelt.

»Wir fahren, Joel«, hatte er erklärt, »weil wir fahren müssen. In England ist kein Leben mehr für uns. Fred und ich, wir schuften seit einem Vierteljahrhundert – und hocken trotzdem noch in diesem Loch hier. Wir werden uns drüben eine neue Heimat schaffen!«

Norman Anthony, ein junger Taylor, der ein Auge auf die hübsche Patricia geworfen hatte, war zum Hafen gegangen und hatte einen Steuermann, der oft in Amerika gewesen war. Er brachte ihn noch am Vorabend der Reise mit zu den Hellmers.

»Sagen Sie den Leuten doch um Himmels willen, was sie drüben erwartet, Mister Clece!« hatte der Schneider den Seemann aufgefordert.

Clece war ziemlich einsilbig, und erst als der Taylor ihm den dritten Whisky eingeschenkt hatte, löste sich seine Zunge, und er begann, ähnliche Schauergeschichten von sich zu geben, wie sie schon der grauhaarige McCardiff den Auswanderern aufgetischt hatte.

Die beiden Hellmers-Brüder aber blieben bei ihrem Entschluß: Sie bestiegen am Morgen den 6. April 1881 den britischen Frachtdampfer Benvenuto und segelten ihrer neuen Heimat entgegen.

Die Benvenuto war ein alter knarrender Kasten, der eine langsame Fahrt machte, und als der erste Sturm von Windstärke sechs aufkam, gewaltig ins Schlingern geriet.

Die sieben Engländer standen mit bleichen Gesichtern im kleinen Kabinengang, und niemand von ihnen hätte sich ernstlich gewundert, wenn das große Abenteuer da schon zu Ende gewesen wäre.

Aber der alte Seelenverkäufer schaffte die Route, wie er sie seit vielen Jahren und in manchen Stürmen geschafft hatte.

In Boston legte er an.

Und die beiden Familien betraten am 2. Juni spätnachmittags nach siebenwöchiger Fahrt amerikanischen Boden.

Aber offenbar stand kein guter Stern über ihrer Ankunft in der neuen Welt.

Bei der Untersuchung durch den Zoll stellte sich heraus, daß Patricia Hellmers in einem Korb den kleinen Hund Berry mitgenommen hatte. Ohne das Wissen der anderen war es ihr in Southampton gelungen, das Lieblingstier der ganzen Familie und den besonderen Freund des kleinen Jim mit an Bord zu bekommen. Unterwegs hatte nur ihre Mutter ihr Geheimnis entdeckt. Und in Boston gab es dann den großen Ärger.

Der kleine deutsche Schäferhund wurde ihr natürlich weggenommen – und der Schreck darüber machte das Mädchen und den kleinen Jungen regelrecht krank.

Sie blieben drei Tage in den Zollbaracken, ehe sie weiterdurften.

Am Morgen des 6. Juni brachte ein Doppelfuhrwerk ihre gemeinsame Habe zur Verladestation Arlington.

Schon im Zollbarackenlager hatten sie ihn kennengelernt. Er war dreißig Jahre alt, groß, hager, hatte ein gelbliches Gesicht und grüne Augen. Jerry Newton kam aus Manchester. Ein ehemaliger Webereihilfsarbeiter, der arbeitsscheu war und eines Tages aus unbekannten Quellen das Geld für die Überfahrt in die Staaten zusammen hatte.

Die mittellosen Hellmers interessierten ihn nicht – wohl aber die hübsche Patricia. Im Lager hatte er mehrmals versucht, sie anzusprechen, war aber jedesmal auf kühle, eindeutige Ablehnung gestoßen.

Das Mädchen empfand von der ersten Stunde an eine unerklärliche Abneigung gegen den Mann.

Auf der Verladestation war er wieder da. Dabei hatte er gar nichts zu verladen. Er war plötzlich da und lehnte an der Rückwand eines Schuppens neben dem Mädchen, das mit blassem Gesicht dastand und wein-

te.

Pat hatte allein sein wollen – mit ihrem Kummer um Berry.

Plötzlich hörte sie neben sich das Geräusch. Als sie aufsah, blickte sie in das gelbliche Gesicht Newtons.

Ein widerliches Grinsen stand in dem Gesicht des Mannes.

»Hallo, Pat!«

Das Mädchen sah ihn kühl an.

»Miß Pat für Sie, Mister Newton. – Wo kommen Sie so plötzlich her? Wir dachten, Sie wollten nach Texas. Sie sollten doch nach Dedham kommen…«

»Ich sollte! Ja, aber wer hat mir schon etwas zu sagen. Ich lasse diese Sammys reden. Sie kümmern mich wenig. Ich werde nach St. Louis fahren. Mit Ihnen.«

»Nach St. Louis? Was wollen Sie denn dort? Haben Sie nicht erzählt, daß Sie einen Onkel in Texas hätten…?«

Da ergriff der Mann plötzlich ihren Arm, spannte seine knochige Rechte darum, daß sie leise aufschrie.

Vorn an der Verladerampe hörte niemand ihren Schrei.

Aber dann plötzlich schrie der Mann.

Ein Hund hatte ihn von hinten angesprungen und wild bellend niedergerissen.

Berry!

Mit Tränen in den Augen hatte Pat das Tier erkannt. Der treue Vierbeiner war ihnen bis hierher gefolgt; die Männer in dem Zoll-Lager hatten ihn nicht halten können.

Die Freude über Berry war so groß, daß das Mädchen ihren Schreck über Newtons Überfall verschwieg.

Der Manchester Mann hatte sogar die Stirn, den Hellmers vorzulügen, er hätte den Hund aus dem Lager geschmuggelt und wäre seinetwegen hergekommen. Obgleich er das flammendrote Gesicht des Mädchens während seiner Prahlerei sah, sprach er weiter.

Seit dieser Stunde hatten die anderen Hellmers, die ihn bisher ganz und gar nicht gemocht hatten, nichts mehr gegen ihn.

So waren sie denn am Abend nach St. Louis abgefahren.

Es war eine scheußliche, rumpelnde, anstrengende Fahrt durch Massachusetts, durch den Südzipfel des Staates New York, quer durch ganz Pennsylvania, Ohio, Indiana und Illinois.

St. Louis. Damals schon breitete sich die Stadt stärker am Westufer des großen Flusses, des gewaltigen Mississippi aus, hinein in das Land, dem der von Westen kommende sagenumwobene Missouri seinen Namen gegeben hatte.

Ric und Fred Hellmers hatten sich von ihren letzten Ersparnissen zwei große Planwagen und vier Pferde gekauft.

Die Wagen waren gut, weil Fred Hellmers etwas davon verstand. Aber die Gäule waren schlecht. Schon zwischen Jefferson City und Columbia gab einer der beiden Braunen Ric Hellmers’ auf. Er schien aus einem unerfindlichen Grund zu lahmen, trottete immer langsamer und hielt den ganzen Treck auf.

Bei der Ansiedlung Prärie Home trafen die Hellmers auf einen anderen Auswanderertreck, der hier noch eine Zeitlang bleiben wollte und das Pferd für fünfzehn Dollar übernahm.

Ein Pferdehändler verkaufte ihnen für vierzig Dollar einen Fuchs, der etwas besser war als die anderen Tiere.

Nur sehr langsam kamen sie vorwärts.

An der Overland-Linie nach Kansas City arbeiteten die beiden Männer und Mike vierzehn Tage, errichteten dem Stationshalter einen neuen Schuppen und bekamen einen Schandlohn dafür.

Auch hier ließen die Hellmers eines ihrer Tiere, handelten wieder einen Fuchs ein und zogen weiter.

Newton hatte seinen Platz auf dem zweiten Wagen, auf dem Schoner Fred Hellmers; er mußte hinten auf dem Klappbrett sitzen.

Es war schon August, als sie Kansas erreichten.

Eine mittlere trübwirkende Stadt, die schon stark den Geruch des Westens trug.

Schon in Missouri hatten die Einwanderer mit Verwunderung bemerkt, daß die Männer tatsächlich patronengespickte Waffengurte und große Revolver trugen. Die Reiter hatten in kurzen Lederschuhen Gewehre stecken und Lassoseile an den Sattelknäufen hängen.

Ric Hellmers hatte die Stories, die man sich drüben im alten Europa vom Westen berichtete, nicht geglaubt.

»Das war vielleicht einmal vor fünfzig oder vierzig Jahren so«, hatte er gesagt, »aber heute doch nicht mehr. Kinder, wir haben 1881. Wir leben in einer neuen Zeit; auch der amerikanische Westen ist längst erschlossen.«

Das allerdings war ein verhängnisvoller Irrtum des Engländers.

Der Westen war keineswegs erschlossen; er war noch wild. Eigentlich wilder denn je.

Zwar hatten die Indianer ihren großen Daseinskampf nach schweren und schwersten Niederlagen anscheinend endgültig aufgegeben, dafür aber war das Gesetz noch keineswegs mächtig im mittleren Westen der Staaten. Im Gegenteil – mühsam versuchte es, sich in diesem rauhen Land Bahn zu brechen.

Obgleich Ric Hellmers von dem trostlosen Anblick der ersten echten Westernstadt, die mit einer Reihe von Steinhäusern sogar noch einen Hauch von Zivilisation abbekommen hatte, unangenehm berührt worden war, sagte er nichts.

Nur der kleine Jim meinte:

»Das sieht hier fast so aus wie auf den Bildern, die Mister Jones uns damals gezeigt hatte. Jetzt fehlen nur noch die Rinder. Und ich habe noch keinen Sheriff gesehen und keinen Schuß gehört…«

Vor Beverlys berühmt-berüchtigtem Saloon in der Shawneestreet tränkten sie die Pferde.

Oben auf dem Vorbau stand ein riesiger Mensch mit staubigem Gesicht, gewaltigem Schnauzbart und tief in die Stirn gezogenem Hut.

Er trug eine kurze schwarze Boleroweste, ein graues Hemd und ein schwarzes Halstuch. Seine Hose war eng und grauschwarz gestreift. Sie lief unten über die hochhackigen Stiefel aus.

Tief über dem rechten Oberschenkel hing in einem offenen Halfter ein schwerer Revolver.

Der kleine Jim stieß seinen Bruder Mike an und flüsterte mit einer Mischung von Angst und Ehrfurcht:

»Sieh den Mann da an, Mike, das ist ein richtiger Revolvermann. Wie Mister Jones es uns erzählt hat…«

Plötzlich stieß sich der Mann von dem Vorbaupfosten ab und stand vor Mike.

Mit rostiger Stimme und in platterem Western-Slang schnarrte er.

»Was hat die kleine Ratte da eben gesagt?«

Mike erschrak bis ins Mark vor dem Blick des Fremden.

»Mein kleiner Bruder – eh – Sie müssen das nicht so wichtig nehmen, Mister. Wir kommen aus England – wir sind auf dem Treck nach Westen.«

»Hör zu, Junge, es ist mir völlig egal, woher ihr kommt. Aber bilde dir bloß nicht ein, daß ich mich hier von irgend jemandem beleidigen lasse.«

»Niemand hat Sie beleidigt, Mister…«

Da geschah es.

Mit schreckgeweiteten Augen hatte Pat zugesehen.

Auch Jerry Newton hatte zugesehen.

Der Fremde schlug zu, hart und rücksichtslos. Mitten ins Gesicht traf der Faustschlag den Burschen.

Mike drehte sich um seine eigene Achse und torkelte zurück.

Pat schrie gellend auf.

Ric und Fred Hellmers waren an der Tränke beschäftigt und fuhren erschrocken zusammen.

Mike stand auf schwankenden Beinen da und wischte sich einen Blutfaden vom Mundwinkel.

Da kam sein Vater heran und sah verstört auf den Fremden.

»Was war los…?«

»Halten Sie sich daraus, Alter, sonst gibt’s Ärger.«

»Ärger?« mischte sich Fred Hellmers da ein. »Mir scheint, den haben wir schon.«

Der Schnauzbärtige hatte auf einmal enge Augen.

»Den haben wir schon? Well, dann muß ich dir auch eine kleben, he?«

Fred Hellmers war nicht ganz so besonnen wie sein Bruder Ric.

»Sie sollten etwas friedlicher sein, Mister. Wer hat Ihnen denn etwas getan?«

Das Leben des britischen Auswanderers Fred Hellmers hing nur noch an einem Seidenfaden.

»Was hast du gesagt, du Skunk?«

Ric wollte den Bruder zurückhalten, aber es war zu spät.

Fred Hellmers hatte noch genau zehn Sekunden zu leben.

»Niemand hat Ihnen etwas getan, Mann. Also kümmern Sie sich auch nicht um uns…«

Der texanische Tramp William Huxley Brockton kläffte heiser.

»Zieh!«

Fred Hellmers begriff nicht. Er griff zur Hosentasche, um sein buntkariertes Tuch herauszunehmen, weil er sich den Schweiß von der Stirn wischen wollte.

Da fauchte ihm auch schon der Schuß entgegen.

Eine kleine Pulverwolke stand vor dem Fremden.

Der Brite preßte beide Hände auf die Brust und starrte den Texaner aus weit geöffneten, verwunderten Augen an.

Die sechs Hellmers und Jerry New-ton hatten bewegungslos vor Entsetzen zugesehen.

Dann schrie Patricia auf. Sie klammerte sich an ihre Mutter.

Mit quälender Langsamkeit knickte Fred Hellmers auf dem linken Knie ein, stürzte dann völlig zur Seite und lag mit ausgebreiteten Armen im Staub der Straße.

Seine Frau vermochte sich nicht zu rühren.

Da riß sich Pat los und sprang auf Newton zu. Mit kreidebleichem Gesicht schrie sie ihn an:

»Sie lachen? Sie elender Feigling! Schlagen Sie diesen Menschen nieder. Er hat Onkel Fred ermordet…«

Huxley Brocktons Gesicht verzog sich zu einer diabolischen Grimasse.

»Vorsicht, Girl, ich habe noch fünf Kugeln in meinem Colt!«

Der alte Hellmers trat vor seine Tochter.

»Sie – werden es nicht wagen – auch sie niederzuschießen!« stieß er heiser hervor.

»Wer mich beleidigt, stirbt, Alter. Und jetzt gebe ich euch einen Rat. Packt den Burschen da auf einen Karren und verschwindet.«

»Das werden wir nicht tun!« rief Mike in flammendem Zorn. »Vater, ich hole den Sheriff. Es muß ja in dieser Stadt einen Sheriff geben, und…«

Da war Brockton bei ihm und packte ihn an der Schulter. Mit einem harten Ruck riß er ihn herum.

»Was und…? He, Boy! Was wolltest du sagen?«

Da war Mikes Vater neben dem Texaner.

»Lassen Sie ihn los!«

Ein gemeiner Backhander warf den Alten hintenüber. Er lag direkt neben seinem Bruder und brauchte Sekunden, um wieder zu sich zu kommen.

Mike starrte auf den niedergeschlagenen Vater.

Dann ballte er beide Hände, preßte die Zähne aufeinander und wollte sich auf den Tramp stürzen.

Aber seine Mutter und Pat klammerten sich schreiend an ihn.

Wie leblos lehnte die Frau des Toten an einem Wagenrad.

Und der kleine Jim, der ohne echte Schuld dieses ganze fürchterliche Ereignis ausgelöst hatte, kauerte tödlich erschrocken vorn zwischen den Pferden und hatte seine kleinen Hände um die Deichsel gespannt.

Wie eine Gruppe des Schreckens standen die Hellmers da.

Der Alte hatte sich ächzend erhoben und blickte auf seinen toten Bruder.

»Mike, komm, hilf mir, ihn auf den Wagen zu legen.«

Pat starrte Newton an.

»Sie lachen immer noch? Mister Newton, gehen Sie, machen Sie, daß Sie fortkommen!«

Der Manchester Mann knurrte:

»Was willst du denn, alberne Gans? Bildest du dir ein, daß ich mich wegen euch Pack hier niederknallen lasse?«

»Pack!?« Der alte Hellmers sah ihn zornfunkelnd an. »Gehen Sie, New-ton, und lassen Sie sich nie mehr bei uns sehen!«

Newton trat neben den Texaner.

Und dann hörten die Hellmers den Mann, der sich ihnen angeschlossen hatte, der ihre Gastfreundschaft genossen, der ihr Brot gegessen hatte, sagen:

»War saubere Arbeit, Mister.«

Brockton sah ihn finster an.

»Halt’s Maul, Stranger!«

»So, Mike«, erklärte Ric Hellmers, »und nun geh los und hol den Sheriff her.«

Brockton, der sich halb abgewandt hatte, blieb stehen und fixierte den Alten aus schmalen Augen.

Aber er sagte nichts.

Ric Hellmers tat, als existierte der Texaner gar nicht.

»Beeil dich, Mike!«

Der Bursche trottete davon.

Als er nach einer halben Stunde endlich zurückkam, hatte er einen blutjungen Buschen von höchstens zwanzig Jahren bei sich, der auf der linken Seite seiner Weste einen großen fünfzackigen Stern aus gestanztem Silberblech trug.

»Sind Sie der – Sheriff?« brachte Hellmers heiser hervor.

»Ich bin Jack Crowdon, ein Deputy des Sheriffs…«

»Und weshalb kommt der Sheriff nicht?«

Der Hilfssheriff grinste dumm, es sollte überlegen wirken.

»Wie stellen Sie sich das vor, Mister? Hier gibt’s andere Dinge zu erledigen, als einen toten Engländer zu sehen…«

Mit bebenden Lippen entgegnete Hellmers:

»Mister Crowton, wir werden nicht vergessen, was Sie da eben gesagt haben. Und auch Sie werden wir nicht vergessen. Jetzt sagen Sie uns noch, wie dieser Mann da heißt!«

Dabei deutete er mit einer Kopfbewegung auf den Texaner.

Brocktons Gesicht wurde um einen Schein dunkler.

»Bildest du dir etwa ernsthaft ein, John Bull, daß dieser Junge scharf darauf ist, rasch auf den Boot Hill zu kommen?«

Er feixte hämisch, wandte sich um und stampfte sporenklirrend auf die Tür der Schenke zu.

Jerry Newton folgte ihm.

Hellmers sah aus harten Augen auf seine Schwägerin, die immer noch wie eine Statue am Hinterrad ih-

res Wagens stand und nicht begriff, nichts zu sehen und auch zu hören schien.

Aus tränennassen Augen sah Patricia ihre Mutter an, ihre Lippen bebten, aber sie sagte nichts.

Laura Hellmers nahm sie am Arm und führte sie zum Wagen.

»Du wirst jetzt auf dem Kutschbock sitzen. Und den Platz deines Vaters wird Mike einnehmen. Oder was soll geschehen, Ric?«

Ihr Mann nickte nur.

Der kleine Treck setzte sich in Bewegung.

Über die Schwingarme der Pendeltür des Beverly Saloons blickte ein lauerndes grünes Augenpaar.

Der Manchester Mann folgte den beiden Wagen mit den Augen, bis er sie nicht mehr sehen konnte.

*

Stumm vor Schmerz und immer noch nicht in der Lage, den Verlust voll zu begreifen, verließen die Hellmers die Stätte des Schreckens.

Als Kansas City hinter ihnen lag, hielt Ric an.

»Mike!« krächzte er heiser, »hier werden wir ihn begraben. Hinten auf unserem Wagen liegen drei Bretter. Wir zimmern ein Kreuz daraus…«

Mit zitternder Hand schrieb Mike den Namen des Toten darauf. Mit der Farbe, die sie von drüben mitgebracht hatten, um im fernen Colorado ihr neues Haus anzustreichen.

Drei Meilen westlich vor der Stadt, in der er den Tod gefunden hatte, wurde Fred Hellmers unweit von der Overland Street in die Erde gesenkt. Er war etwas über siebenundvierzig Jahre alt, hatte ein Leben voller Armut und Sorge hinter sich und war mit hoffnungsvollem Herzen mit seiner Familie in die Neue Welt gekommen, die ihm nur noch wenige Wochen gegönnt hatte.

Für die Hellmers war er ermordet worden.

Daran gab es keinen Zweifel – für die Familie.

In der Stadt jedoch gab es keinen Mörder!

Nach den ungeschriebenen Gesetzen des Westens hatte der texanische Tramp Huxley Brockton durchaus kein Verbrechen begangen.

Der Mann, den er niedergeschossen hatte, war von ihm aufgefordert worden, zu ziehen. Er hatte eine Bewegung gemacht, die von keinem Menschen im Westen anders als ein Griff zum Colt ausgelegt worden wäre.

Daß Fred Hellmers jedoch völlig unbewaffnet war, interessierte niemanden.

Das heißt, einen rechtlich denkenden Mann hatte es auch immer interessieren müssen.

Aber es gab nicht allzu viele Männer, die sich in die Gefahr begaben, so rechtlich zu denken und zu handeln, daß man eine ernsthafte Hoffnung auf eine bessere Zeit haben konnte.

Well, in Kansas gab es einen Mann, der den Tramp Huxley Brockton nicht ungeschoren weggelassen hätte: der große Marshal Wyatt Earp, unten im fernen Dodge City an den Ufern des Arkansas.

Aber der Marshal war weit, sehr weit.

Die Hellmers’, die schon in St. Louis von ihm gehört hatten, ahnten nicht, daß sie ihm einmal begegnen sollten.

*

Sie waren weiter nach Westen gezogen.

Über Lawrence, südlich von Topeka, Council Grove, Lincolnville, Lehigh nach Hutschinson.

Hier fanden Ric und Mike Hellmers Arbeit in einer Sägemühle. Sie blieben den ganzen Winter über dort und zogen im März des folgenden Jahres weiter.

Selbst wenn sie in Hutchinson hätten bleiben wollen – es wäre unmöglich gewesen. Die Stadt hatte, wie auch Wichita, ihre große Zeit hinter sich, und es war schon ein Wunder gewesen, daß sie überhaupt Arbeit für die beiden Männer gehabt hatte.

Leony Hellmers hatte den Tod ihres Mannes noch nicht verwunden; aber sie war eine echte Britin und kämpfte die Verzweiflung nieder, die sie immer wieder anfiel.

Pat versuchte, ihrer Mutter beizustehen, ihren Schmerz zu lindern.

Sie hatten neue Pferde, und die Schäden, die der weite Weg und der Winter dem Wagen zugefügt hatten, waren ausgebessert.

So fuhren sie am 6. März über die holprige Straße auf St. John im Stafford County zu.

Es war am Vormittag – der kleine Teck war seit fünf Uhr unterwegs.

Die Fahrt führte durch hügeliges Land, durch die sogenannte Rolling Prärie. Rechts und links des Weges lagen dreimal mannshohe Felsgesteine, und der kleine Jim, der neben dem Vater auf dem Kutschbock saß, wollte wissen, woher die Steine eigentlich kämen.

Ric Hellmers zog die Schultern hoch, wie so oft, wenn der Junge ihn in diesen Tagen etwas gefragt hatte.

Der Tod des Bruders hatte auch ihm gewaltig zugesetzt. Ihm und auch seiner Frau.

Pat war sehr still geworden.

Nur der kleine Jim hatte in seiner Kindlichkeit das Erlebnis von Kansas City längst abgeschüttelt. Mit wachen Augen nahm er alles in sich auf, und es war wieder wie damals bei der

Abfahrt das ganz große Abenteuer für ihn.

Er hatte von den anderen Straßenjungen in der Milfordstreet am Ostrand Southamptons viele wilde und blutige Geschichten über den amerikanischen Westen gehört und sie sich tiefer eingeprägt, als den Hellmers lieb war.

Mit einer geheimen bangen Sehnsucht hatte er auf die Indianer gewartet.

Sie sollten furchtbar grausam sein; aber dennoch hatte er gehofft, er würde sie wenigstens einmal von weitem sehen können. Aus sicherer Entfernung.

Aber sie waren ausgeblieben. Und er wußte nicht, daß das ein Glück für ihn und seine Familie war.

Und von weißen Desperados hatten sie ihm schon in England und auch auf dem Schiff erzählt.

Auch sie waren nirgends zu sehen.

Das war ein noch größeres Glück für den Treck, und der kleine Jimmy Hellmers wußte es nicht.

Er hatte schon auf dem Schiff zum erstenmal den Namen des großen Sheriffs Wyatt Earp gehört; einer der Matrosen hatte ihn ausgesprochen. Er hatte abends an der Reling im Kreise seiner Kameraden auf Taurollen gesessen und eine spannende Geschichte erzählt, die er erlebt haben wollte, und in der der Sheriff Earp eine große Rolle spielte. Er hatte einen gefährlichen Banditen gestellt.

Auch den Namen Doc Holliday hatte Jim damals gehört; er war in der Geschichte des rothaarigen irischen Matrosen Morgan O’Keefe vorgekommen.

In St. Louis dann hatte ein Mann auf dem Wagenplatz von Wyatt Earp gesprochen.

Jim hatte mit heißen Wangen zugehört.

Dann war unterwegs mehrfach von dem Marshal die Rede gewesen. Jim wußte nun, daß dieser Wyatt Earp einer der berühmtesten Gesetzesmänner dieses Landes war.

Plötzlich überraschte der Junge seinen Vater mit der Frage:

»Können wir nicht nach Dodge City fahren?«

»Weshalb denn das?«

Jimmy druckste eine Weile herum, dann erklärte er:

»Weil da Wyatt Earp ist.«

Der alte Hellmers schüttelte den Kopf.

»Das hätte wenig Sinn, Jim. Du hast ja gesehen, was der Sheriff von Kansas City für einen Toten übrig hatte. Er schickte einen grünen Polizeihelfer, einen Burschen, der uns sagte, daß sein Boß andere Sorgen hätte, als sich um einen Ermordeten zu kümmern.«

»Er sagte: um einen Toten, Dad.«

Der Engländer blickte seinen Sohn verblüfft an.

»Was hast du gesagt?« fragte er mit belegter Stimme.

»Der Deputy in Kansas City sagte, daß sich der Sheriff nicht um einen Toten kümmern könnte.«

Hellmers blickte wieder nach vorn, sein Gesicht war hart geworden, als wäre es aus Holz geschnitten.

»Dein Onkel ist ermordet worden, Jim!« Er hatte es rauh gesagt, fast schroff.

Der Junge erwiderte:

»Wir sagen das, Daddy. Aber die Männer in Hutchinson, denen ich es erzählte, sagen, er wäre nicht ermordet worden.«

»Unsinn. Dieser Bandit hat ihn kaltblütig ermordet. Da gibt es nichts zu reden. Es war Mord, blanker Mord.«

Es blieb eine Weile still zwischen Vater und Sohn, dann fragte Jimmy:

»Wenn es Mord war, Vater, weshalb sind wir dann nicht in Kansas City geblieben?«

»Was hätten wir da noch tun sollen, Junge? Wir hätten kein Recht bekommen, weil es in diesem Land kein Recht gibt!«

Aber der kleine Jim glaubte seinem Vater zum ersten Mal in seinem jungen Leben nicht. Daß die Menschen hier rauh und rücksichtslos waren, das hatte er inzwischen begriffen. Aber er hatte auch etwas versucht, was sein Vater offenbar nicht mehr versuchen konnte: sich in die Neue Welt einzuleben. Er hatte mit dem Jungen und den Halbwüchsigen in Hutchinson gesprochen und ihre Antworten auf seine Fragen zu verstehen versucht.

»Wenn dein Onkel zur Hüfte gegriffen hat – was du ja sagst, Jim, dann hat der andere nicht gesetzlos gehandelt, wenn er nach dem Anruf ›Ziehe!‹ geschossen hat…«

Alle hatten das gleiche gesagt.

Und immer wieder hatte er anderen Menschen dieselbe Frage gestellt: »Ist mein Onkel Fred ermordet worden oder nicht?«

Niemand hatte ihm geantwortet: Ja, er ist ermordet worden.

Der kleine Jim Hellmers hatte lange über diese Dinge nachgedacht. Und heute sprach er zum erstenmal mit dem Vater darüber. Er war fast etwas erschrocken über die Ansicht, die der Vater immer noch hatte.

Mit der Mutter, mit Tante Leony und mit Mike würde er nie über diesen Punkt sprechen.

Aber mit Pat, das hatte er sich jetzt vorgenommen.

Heute abend noch wollte er mit ihr sprechen.

Er mußte an diesem Abend ziemlich lange auf eine Gelegenheit warten.

Sie hatten das Lager mitten in der Savanne in einer winzigen Mulde aufgeschlagen.

Pat hatte lange mit der Zubereitung des Abendessens zu tun; sie half den beiden Frauen. Vor allem versuchte sie ständig, ihre Mutter zu entlasten.

Leony Hellmers hatte ihren Schmerz zwar stumm in sich hineingefressen – aber sie kränkelte seit dem gewaltsamen Tod ihres Mannes.

Endlich hatte Pat die Arbeit beendet und kam hinter den Wagen, wo sie den kleinen Neffen bei dem Schäferhund wußte.

»Jimmy…?«

»Ja!« kam die Stimme des Knaben aus der Dunkelheit.

Pat setzte sich neben ihn auf das Klappbett, auf dem sich der heuchlerische Jerry Newton viele Meilen hatte mitnehmen lassen.

Es war eine Weile still zwischen den beiden jungen Menschen.

Pat war siebzehn geworden, und der kleine Jim war genau zehn Jahre alt.

»Ich wollte dich was fragen, Pat…«

»Ja?«

»Wer ist eigentlich Doc Holliday?«

»Doc Holliday?« Das Mädchen versuchte, in der Dunkelheit das Gesicht des Jungen zu erkennen. »Wie kommst du denn darauf? – Ich glaube, er ist ein Gambler.«

»Was ist das?«

»Ein Mann, der – der Karten spielt, nehme ich an.«

»Und damit kann man berühmt werden?«

»Ist er denn berühmt?«

»Nun, die Jungen in Hutchinson sprachen von ihm, die Männer auf den Pferdewechselstationen, wo wir gerastet haben – und du hast ja auch schon von ihm gehört.«

Pat lächelte schwach.

»Weißt du, Jim, ich würde mir über diese Dinge keine weiteren Gedanken machen. Das ist doch noch nichts für dich.«

»Du kennst also seinen Namen und weißt doch nicht, wer er ist?« beharrte der Bursche.

»Ja – das heißt, ich weiß schon, wer er ist. Er ist ein Spieler und ein Revolvermann.«

»Ein Revolvermann? Wie kommst du denn darauf?«

»Ich glaube, Mike hat es einmal gesagt oder dein Vater.«

Jimmy schüttelte den Kopf.

»Das kann nicht sein. Mike hat es sicher nicht gesagt. Doc Holliday ist ein berühmter Gunman, ein Revolverkämpfer. Das ist doch etwas anderes.«

»Aha. Und weshalb soll das etwas anderes sein?«

»Ein Revolverkämpfer – ein Gunman – äh… Damned, ich wollte es doch gerade von dir erklärt haben, Pat!« sagte er verzweifelt. »Die Boys sprechen anders von Doc Holliday als sie von Kid Carvena, von Wes Hardin, von Lewt Rosenby und Cass Marowe sprechen. Das sind Revolvermänner. Schießer. Coltmen. Gefürchtete Menschen, die sich mit dem Revolver Geld verdienen. Die so sind, wie der Mann in Kansas City war.«

Pats Gesicht wurde sofort sehr ernst, und eine unmutige Falte grub sich zwischen ihre Brauen.

»Der Mann in Kansas City ist ein Mörder.«

Der Junge entgegnete rasch:

»Das ist es, worüber ich eigentlich mit dir sprechen wollte. Er ist ein Mörder. Well, dann sind auch alle anderen Revolvermänner Mörder. Ich weiß es nicht, aber die Boys sagen, daß das nicht stimmt…«

Der Junge merkte, daß er seine Kusine etwas verstimmt hatte und meinte deshalb:

»Vor allem ist Doc Holliday doch der Freund von Wyatt Earp!«

Sie lächelte wieder.

»Was du nicht alles weißt!«

»Jeder Junge weiß das hier, Pat. Ich möchte Wyatt Earp einmal sehen. Und Doc Holliday auch. Ich habe es Vater gesagt – aber er will nicht über Dodge City fahren. Vielleicht ist das eine Stadt, wo wir bleiben könnten. Maurice Fabiany in Hutchinson sagte, daß es eine Treibherdenstadt sei, wie es keine zweite im Westen gäbe. Oft seien mehr als tausend Cowboys in der Stadt.«

»Tausend Cowboys? Findest du das schön?«

»Ja.«

Pat schüttelte den Kopf. Auch sie begriff nicht ganz. Schließlich aber sagte sie doch:

»Weißt du, Jim, du bist ein kleiner Junge und wächst in dieses fremde Land vielleicht besser hinein als wir…«

»Bist du schon alt?«

»Nein, Jim. Aber ich bin doch nicht mehr so jung wie du und kann nicht mehr mit den kleinen Jungen und Mädchen sprechen, um Dinge zu erfahren, die du leicht erfahren kannst. – Weißt du, vielleicht ist es ja mit Doc Holliday etwas anderes – vielleicht ist ja ein Revolverkämpfer keiner jener Banditen, die durchs Land ziehen, um andere Menschen umzubringen, und die für diese Verbrechen noch Geld verlangen.«

»Ach, Pat, du verstehst mich nicht.«

»Ich will es versuchen. Was hältst du davon, wenn wir Mike fragen?«

Jim winkte ab.

»Mike versteht nichts davon. Der denkt nur daran, bald irgendwo zu bleiben, um ein Haus zu bauen. Der sucht nur Waldland, wo wir Bäume fällen können für das Haus…«

»Meinst du nicht, daß es besser ist, als über Doc Holliday nachzudenken?«

Jim zog die Schultern hoch und stützte den Kopf in die Hände.

»Ich nehme an, daß es ganz gut ist, über Doc Holliday nachzudenken. Er ist wie Amerika – ich meine, wie der Westen. Oder nein, er ist ganz anders. Die Boys in Hutchinson sagen, daß er ein König ist!«

Ganz ernsthaft hatte er es gesagt, und als Patricia lachte, wurde er ärgerlich.

»Du bist eine alberne Gans, Pat. Und du verstehst mich auch nicht. Sie meinten natürlich keinen König mit einer Krone und einem Hermelin und vielen Dienern und einer großen goldenen Kutsche – sie meinten es eben anders.«

»Wie denn?«

»Yeah…«

»Du sollst nicht immer yeah sagen, deine Mutter hat es dir oft genug gesagt.«

»Yeah. – Er ist jedenfalls ein König. Alle haben Angst vor ihm – und doch ist er kein Verbrecher, kein Mörder, kein Bandit.«

Pat stand auf und strich dem Kleinen durch den Schopf.

»Du denkst für deine zehn Jahre viel zuviel nach, Jimmy!«

Sie ging fort, und der Hund folgte ihr.

Jim blickte ihr nach.

»Siehst du, wollte sie ihn weiternecken, »Berry hat mich viel lieber, er kommt mit mir!«

»Wetten, daß er sofort zu mir kommt, wenn ich will?«

Das Mädchen kraulte dem hübschen Tier das dicke Fell.

Da stieß Jim einen kurzen scharfen Doppelpfiff aus, und sofort wandte sich der Hund um und schoß auf ihn zu.

Jim lachte hellauf.

»Schade, daß ich nicht um ein dickes Stück Käse mit dir gewettet habe…«

Pat rief ihm zu:

»Gute Nacht. Und sieh zu, daß dir Doc Holliday nicht im Traum erscheint!«

Da rutschte der Kleine von dem Ladebrett und sagte trotzig:

»Dann werde ich ihn bitten, mit Wyatt Earp nach Kansas City zu reiten, um den Mann, der Onkel Fred niedergeschossen hat, zum Gunfight zu fordern.«

Pat war verblüfft stehengeblieben.

»Wozu denn…?« fragte sie stok-kend.

»Zum – ach…« Jim winkte ab und ging auf den Wagen seiner Eltern zu. »Es hat keinen Zweck, dir das zu erklären, Pat. Du verstehst es doch nicht.«

*

Es war Nachmittag, anderthalb Tage später.

Der kleine Treck zog gerade hügel-ab in eines der langgezogenen Wellentäler der Rolling Prärie. Schlingernd und rumpelnd drängten die Wagen den Zugtieren in die Hinterbeine.

Und plötzlich riß der kleine Jim, der wie immer vorn neben dem Vater saß, die Augen weit auf.

»Das da! – Ein Bandit!«

Der Alte blickte auf, zog die Brauen zusammen und schluckte dann. Dennoch entgegnete er dumpf:

»Rede nicht solchen Unsinn, Junge!«

Er hatte den Wagen aber trotzdem angehalten.

Auch Mike stoppte sofort den nachfolgenden Schoner. Vor ihnen, auf dem nächsten Hügelkamm, hielt ein Reiter.

Die Hellmers konnten ihn deutlich sehen, da er kaum hundertfünf-

zig Yard von ihnen entfernt war und sich seine Konturen scharf vom blaßblauen Kansashimmel abzeichneten.

»Weshalb fahren wir nicht weiter, Dad?« fragte Jim mit nicht ganz

fester Stimme in die von den Rädern aufsteigende Staubwolke.

»Sei still!«

Der Mann auf dem Hügel war mittelgroß, hatte einen eckigen Schädel, der halslos auf dem Rumpf zu sitzen schien.

Er war mit einer braunen Weste, einem verwaschenen blauen Hemd, einer grauen Hose und einem gelben Halstuch bekleidet.

Jim sah ganz deutlich, daß er zwei Revolver trug.

»Ein Zweihandmann…«, kam es fast lautlos von seinen Lippen.

»Was ist…?« krächzte der Alte, ohne den Blick von dem Reiter zu lassen.

»N-nichts«, murmelte Jim.

Mike stieg über die Radnarbe vom Wagen und kam nach vorn zu seinem Vater.

»Der steht da wie…«

»… ein Indianer!« vollendete Jim den abgebrochenen Satz seines Bruders.

»Habe ich dir nicht gesagt, daß du still sein sollst?« herrschte ihn der Vater mit belegter Stimme an.

Mike sah zu dem Reiter hinauf.

»Er hält mitten auf der Fahrstraße.«

»Yeah, sieht so aus!«

Jim hatte runde Augen.

»Er ist sicher nicht allein«, meldete er sich trotz der Mahnung des Vaters wieder.

Und wie aufs Stichwort kamen urplötzlich noch drei weitere Reiter hinter dem Kamm hervor und pflanzten sich neben dem ersten Mann auf.

»Wie Indianer!« stieß Jim erregt hervor. »McLaurice Fabiany in Hutschinson hat gesagt…«

»Was Maurice Fabiany gesagt hat, interessiert uns im Augenblick absolut nicht, Jim!« schnitt ihm Mike schroff das Wort ab.

»Vorwärts, du gehst zu Mutter in den Wagen!« gebot Ric Hellmers dem Jungen.

Mike knurrte: »Sie haben uns den Weg verstellt.«

»Mike soll sein Gewehr holen!« rief Jim unter der Plane hervor. »Und Vater auch, dann…«

»Wenn du jetzt nicht deinen Rand hältst, bekommst du eine Tracht Prügel!« zischte Ric Hellmers seinem Jüngsten zu.

»Wir müssen weiterfahren«, fand Mike. »Es ist doch verrückt, hier noch länger auszuhalten.«

»Ja«, entgegnete der Alte.

Dann warf er sofort eine Doppelwelle in die Zügelleinen, und die Pferde zogen an.

Die Männer auf der Hügelkuppe verharrten auf der Stelle.

Hellmers musterte sie mit einem unguten Gefühl im Magen.

Damned, die wichen ja keinen Inch zur Seite.

Wahrscheinlich hatte Jim recht: Es waren Banditen.

Als die Pferde noch zehn Yard vor dem ersten Reiter waren, der wohl der Anführer der vier anderen war, hielt Ric Hellmers die Wagen wieder an.

»Wir müssen weiter, Gentleman!« rief er mit heiserer Stimme. »Und wir können hier nicht vom Weg, da über die Steine…«

Die Reiter rührten sich nicht.

»Wir müssen auf der Straße bleiben!« krächzte Hellmers, und der kleine Jim im Wagen biß die Zähne vor Angst und Zorn zusammen.

Was fiel diesen Männern ein? Wie konnten sie ihnen einfach den Weg verlegen?

So etwas taten doch nur Banditen!

Es war schwer, die beiden Wagen hoch am Hang zu halten.

»Gentlemen, wir müssen weiter!« rief der Brite mit noch unsicherer Stimme.

»Gentlemen!« zischte der Junge leise vor sich hin. »Das sind keine Gentlemen!«

»Schweig!« Seine Mutter sah ihn flehentlich an. »Hast du vielleicht vergessen, daß das Unglück in Kansas City mit dir begann? Daß du…« Sie brach ab, erschrocken über ihre eigenen Worte.

Jims kleines Gesicht war blaß geworden.

Was hatte die Mutter da gesagt? Das Unglück hätte mit ihm angefangen?

Meinte sie damit am Ende, daß er Onkel Freds Tod verschuldet hätte?

Die Frau schluchzte.

»Jimmy – ich – es ist natürlich Unsinn! Du konntest ja auch nichts dazu. Es war – ein furchtbares Unglück.«

Da drang die rauhe Stimme eines Fremden an das Ohr der beiden Menschen unter der Plane.

»Absteigen!«

Jim warf den Kopf hoch und blickte an dem Rücken des Vaters vorbei auf die Straße.

Es war der Reiter, der zuerst da gestanden hatte, er hatte gesprochen.

»Weshalb sollen wir absteigen?« entgegnete Hellmers heiser.

»Weil ich es befehle.«

Hellmers riskierte noch einen Scherz:

»Sind Sie vielleicht der Gouverneur von diesem schönen Land, Mister?«

»Mache keine albernen Witze. Mann, rutsch von deinem Kutschbock, sonst hole ich dich mit dem Colt herunter!«

Da kam die Frau unter der Plane zum Vorschein.

»Ric!« rief sie erschrocken, »tu, was er sagt! Wir haben doch weiß Gott an einem Toten genug!«

Der Brite nickte und rutschte mit düsterem Gesicht vom Wagen.

»Alle absteigen!« befahl der vorherige Sprecher.

Da stiegen auch Laura und Leony Hellmers ab.

Und Jim sprang aus dem Wagen; sein Gesicht hatte einen ernsthaften, fast traurigen Ausdruck. In die Angst vor den Männern da oben hatte sich die Betrübnis über das gemischt, was die Mutter eben gesagt hatte.

Mike und Pat standen ebenfalls neben den Wagenrädern.

Der Reiter, der bisher gesprochen hatte, sagte schnarrend:

»Ich bin Eddie Perkins-Breek! Ihr kennt mich doch?«

Hellmers schüttelte den Kopf.

»Nein, Mister – wir haben noch nichts von Ihnen gehört.«

»Dann wird es Zeit! – Boys, macht euch an die Arbeit.«

Ric Hellmers Frau schrie erschrocken auf, als die vier anderen Reiter auf die Wagen zusprengten und aus den Sätteln rutschten.

Mike trat vor seine Mutter.

»Was soll das, Gents? Wir haben euch nichts getan und…«

»Wenn der Sperling da nicht sein Maul hält, Larry, dann stopf es ihm!« rief Eddy Perkins-Breek einem vierschrötigen hartgesichtigen Burschen zu, der eben auf Ric Hellmers Wagen zustürmte.

»All right, Ed! Du kannst dich auf mich verlassen.«

Und nun machten sich die vier Banditen – Jim hatte recht: Es waren Banditen! – daran, in aller Ruhe die beiden Wagen durchzukramen.

Sie gingen dabei nicht etwa sorgfältig vor, sondern warfen sämtliche Gegenstände von den Schonern herunter auf den Wegrain.

Hellmers schüttelte den Kopf.

»Was soll das, Leute? Da findet ihr doch nichts, was einen Wert für euch hätte. Wir sind Auswanderer aus England; wir haben doch nur die paar Dinge, die man für den Treck und das Leben unterwegs braucht…«

Perkins-Breek stieß einen wütenden Fluch aus.

»Woher willst du denn wissen, was wir suchen, Mensch? Willst du etwa behaupten, daß wir Banditen wären?«

»Nein!« sagte die Frau schnell, »das will er nicht behaupten, Mister Perkins-Breek!«

Einer der Tramps schleuderte gerade eine porzellanene Waschschüssel auf den Weg, daß sie klirrend in tausend Stücke zerbrach.

»Was hat er da drin gesucht, Mister Perkins? Vielleicht ein Geheimnis?« brüllte Mike erregt.

Der Banden-Boß setzte sein Pferd langsam in Bewegung und kam bis auf vier Yard an den Burschen heran.

»Mister Perkins-Breek, wenn du nichts dagegen hast, Junge. Und was Kid Pleggstaff angeht, er hat von mir den Auftrag, das unnütze Gerümpel von den Karren zu bringen, damit die Durchsuchung leichter ist.«

»Unnützes Gerümpel«, knurrte Mike. »Eine Waschschüssel ist ein wertvoller Gegenstand für uns, Mister Perkins-Breek!«

»Sprich meinen Namen nicht so ironisch aus, Junge«, schnarrte der Outlaw, »ich habe das nicht gern!«

»Und wir haben es nicht gern, wenn unser Eigentum sinnlos zerstört wird!«

Da riß der Bandenführer eine Bullpeitsche, die er sauber aufgerollt an der rechten Schulter getragen hatte, herunter – und blitzschnell klatschte die Lederschlange auf den Burschen nieder, riß ihm den Jackenärmel auf und zerrte ihn zur Seite.

Mike Hellmers war feuerrot vor Zorn geworden.

»Weißt du jetzt, wer ich bin, Junge?« näselte Eddie Perkins-Breek.

»Ja, Perkins, Sie sind ein Bandit!«

Da machte die Linke des Verbrechers wieder eine kaum sichtbare Bewegung und die Peitsche sauste noch einmal auf den Burschen nieder.

Diesmal hinterließ sie einen blutigen Strich durch das Gesicht Mikes.

Laura Hellmers schrie schrill auf.

Jim stand mit geballten Fäusten da.

Der Vater hatte die Zähne aufeinandergebissen.

Der kleine Schäferhund verharrte, an allen Gliedern zitternd, neben Jim.

Da trat Patricia vor. Sie war blaß geworden. Aber trotzdem erklärte sie mit lauter Stimme:

»Das war keine Heldentat, Mister Perkins-Breek. Nun wissen wir wirklich, wer Sie sind. Und meinethalben können Sie mich jetzt auch mit Ihrer Kuhpeitsche schlagen!«

Der Tramp war so verdutzt, daß er sekundenlang nicht wußte, was er tun sollte.

»So«, krächzte er dann, »Sie wissen also, wer ich bin. Well, dann sagen Sie es.«

»Pat!« schrien die beiden Frauen gleichzeitig.

»Laß sie nur reden«, fauchte der Tramp.

»Pst, sei still«, flehte sie der alte Hellmers an.

»Nein, Vater, ich werde nicht still sein.«

Perkins-Breek, der die Bullpeitsche noch in der Hand hatte, beugt sich über den Sattelknauf nach vorn.

»Was möchtest du mir denn sagen, mein Täubchen?«

Pat schluckte. »Well, ich werde es für mich behalten, Mister Perkins-Breek.«

»Nein, nein!« rief der Outlaw. »Ich möchte das jetzt hören.«

Da packte Mike seine Kusine am Arm und riß sie zu sich heran. Der blaurote Striemen quer über seinem Gesicht war stärker angeschwollen und entstellte ihn schrecklich.

»Du bist still, Pat.«

Da riß Perkins-Breek, die Peitsche wieder hoch, und der junge Mike Hellmers hatte einen zweiten Striemen im Gesicht.

»Verbrecher!« schrie Pat. »Sie sind ein Verbrecher!«

»Sag das noch mal«, Perkins-Breek war plötzlich fahl im Gesicht geworden.

»Ja!« schrie Pat. »Ich sage es noch mal, noch hundertmal. Sie sind ein gemeiner Verbrecher!«

Da riß der Desperado die fürchterliche Waffe wieder hoch, aber mitten in den gellenden Schrei von Laura und Leony Hellmers fauchte ein Schuß von der Halde herunter.

Die Bullpeitsche war in zwei Teile geteilt; der Bandit hatte nun nur noch den kurzen dicken Stumpf in der Hand.

Zehn Köpfe flogen herum, und zehn Augenpaare starrten den Hügel hinauf.

Auf dem Kamm hielt ein Reiter.

Er war groß, breitschultrig und schmalhüftig. Er hatte ein wetterbraunes markant geschnittenes Gesicht, das von seinem stahlblauen Augenpaar beherrscht wurde. Sein Haar war schwarz, und seine Brauen dicht und hochgewölbt.

Er trug einen schwarzen Hut, den er tief in die Stirn gezogen hatte. Auch seine boleroartige Weste war schwarz. Sein blütenweißes Hemd wurde am Hals von einer schwarzen Samtschleife zusammengehalten. Seine Hose war ebenfalls schwarz wie Hut und Weste und lief unten über die hochhackigen, mit Sporen bewehrten Texasstiefel aus. Er trug einen breiten büffelledernen Waffengurt, an dessen beiden Seiten zwei schwere fünfundvierziger Revolver in den Halftern steckten.

Das Pferd des Fremden war ein hochbeiniger Rapphengst, dem der Kenner sofort das edle Arizona-Blut angesehen hatte.

Eddie Perkins-Breek hatte Mund und Augen aufgerissen.

Fünf Sekunden krochen über die Halde dahin.

Dann rief der Desperado: »Haben Sie etwa geschossen?«

»Yeah«, kam es metallen zurück.

Der Bandenführer sah seine verdutzt dastehenden Kumpane an und wandte den Kopf dann wieder dem Fremden zu.

»Ein Spaßvogel, was?«

»Nicht unbedingt, Perkins-Breek.«

»Eh, der Meisterschütze kennt mich.«

»Du hast wenig Grund, stolz darauf zu sein, Perkins.«

»Hört euch den an«, schnarrte der Outlaw und suchte sichtlich nach einer Entgegnung. Vor allem aber nach einer Idee, wie er den Mann schlagen konnte. Hätte er gewußt, wer ihm da gegenüberstand, dann hätte er wahrscheinlich auch genau gewußt, was zu tun war.

Aber der Desperado Eddie Perkins-Breek wußte nicht, daß der fremde Reiter, der ihm da mit einem einzigen Revolverschuß über eine Distanz, die ein normaler Colt niemals durchmessen konnte, die Peitsche zerschossen hatte, der berühmte Marshal Wyatt Earp war.

Der Wunsch des kleinen Jimmy Hellmers hatte sich schneller und spontaner erfüllt, als es sich der Junge je hätte erträumen lassen. Aber auch der Junge wußte nicht, wer der Fremde war, der da so kühn in diese brenzlige Situation eingegriffen hatte.

Da glaubte Perkins-Breek, einen guten Einfall zu haben. Er rief einem seiner Leute zu: »Jonny, es ist immer ein guter Weg gewesen, sich mit einem schnellen Mann zu verständigen, wenn man einen Drink miteinander nahm. Holt also die Flasche raus.«

Der Marshal schüttelte den Kopf.

»Laß den Fusel in der Satteltasche, Jonny, ich lege keinen Wert darauf. Und jetzt hört genau zu, Boys. Kriecht auf eure Pferde und verschwindet möglichst rasch. Ich bin ein ziemlich ungemütlicher Bursche. Täte mir leid, wenn ich euch das beweisen müßte.«

Nachdem der »Trick« des Bandenführers fehlgeschlagen war, zischte er dem untersetzten Jack Flemming zu.

»Ich habe das Gefühl, Jack, daß der Mann da lebensmüde ist.«

Der kleine Bandit machte ein paar steife Schritte zur Seite und winkelte den rechten Arm so, daß die Hand über den Revolverknauf kam.

»Yeah, Ed, das Gefühl habe ich auch. Ich glaube, wir sollten doch ein ernsteres Wort mit dem Mann sprechen.«

Der Missourier blieb im Sattel. Aus harten Augen musterte er den Desperado.

»Nimm die Hand da weg, Jacky. Das gibt Ärger für dich.«

Da stieß der Outlaw die Rechte blitzschnell auf den Revolverknauf.

Aber noch ehe er die Waffe auch nur zur Hälfte aus dem Lederschuh hatte ziehen können, brüllte ihn der Schuß des Marshals an und stieß ihm den Revolver aus der Faust.

Mit vorgeschobenem Kinn brüllte Jack Hyronimus Vaugham, der wegen zweifachen Mordes in Nebraska und Dakota gesucht wurde:

»Hölle! Ich harke dich trotzdem auseinander.«

Und fast noch schneller zuckte seine Linke zu dem zweiten Colt, aber wieder fauchte ihn ein Geschoß aus dem großen sechskantigen Revolver des Missouriers an.

Diesmal hatte die Kugel nicht nur den Colt des Tramps auf die Straße geschleudert, sondern auch die Hand, die ihn so schnell hatte ziehen wollen, verletzt.

Der Schmerzensschrei erstickte in Vaughams Kehle. Dann warf der Mörder seinem Chief einen fragenden Blick zu.

Aber Eddie Perkins-Breek wußte diesen Blick zu vermeiden.

Damned, er war in diesem Augenblick genauso ratlos wie Vaugham, denn wo hatte es bis heute einen Mann gegeben, der den höllisch schnellen Hyronimus hatte schlagen können?

Die anderen Tramps waren von der Vorstellung zwar beeindruckt, aber im Gegensatz zu ihrem Boß und Vaugham noch keineswegs erschüttert.

Der schiefgesichtige Hal Black warf sich in einer Fallrolle zu Boden, hatte den Colt gezogen und wollte schießen, aber der vierte Schuß des Dodger Marshals traf seinen linken Unterarm wie der Schlag eines Schmiedehammers.

»Ich sagte, daß ich ein ziemlich humorloser Mann bin, Boys«, kam da die metallische Stimme des Missouriers über die Halde. »Wenn ihr mit Gewalt euer nutzloses Dasein schon jetzt hier beenden wollt, dann braucht ihr nur so weiterzumachen.«

»Bilden Sie sich etwa ein, daß Sie uns alle stoppen können?« brüllte Perkins-Breek. »Fünf schnelle Männer?«

»Schnelle Männer?« wiederholte der Marshal schroff. »Du wolltest doch wohl sagen, fünf großmäulige Banditen, Perkins.« Und mit schneidender Schärfe fuhr er fort: »Und jetzt ist die Vorstellung zu Ende, Boys. Zieht euch auf eure Klepper und verschwindet.«

Mit weit offenen Augen waren die Auswanderer dieser dramatischen Szene gefolgt. Und was keiner von ihnen für möglich gehalten hatte, geschah: Eddie Perkins-Breek nahm mit einem Ruck seine Zügelleinen hoch, riß seinen Gaul herum, stieß einen lächerlichen Fluch aus und sprengte nach Süden davon.

Die anderen folgten ihrem Boß augenblicklich.

Sekundenlang standen die Hellmers-Leute wie angewachsen da, starrten hinter den davonpreschenden Banditen her, und als sich die Staubwolke senkte, die die fünf Pferde aufgewirbelt hatten, wandten sie die Köpfe und blickten den Fremden an.

Es war der kleine zehnjährige Jimmy Hellmers, der zuerst ein Wort des Dankes fand.

»Thanks, Mister«, rief er und stieß einen Jubelschrei aus, um dann sofort mit hochroten Wangen auszurufen: »Das war ja großartig! Toll war das! Sind Sie Wyatt Earp?«

»Red doch keinen Unsinn, Junge«, versuchte der alte Hellmers den Über-eifer seines Sohnes zu bremsen. Dann trat er dem Reiter entgegen, nahm seinen Hut ab und fuhr sich verlegen durch sein silbergraues Haar. »Ich weiß nicht, wie ich es sagen soll, Mister. Wir sind Ihnen zu allergrößtem Dank verpflichtet…«

Der Missourier, dem nichts so unangenehm war wie der Dank ei-

nes braven Menschen, den er über sich ergehen lassen sollte, winkte

ab.

»Schon gut, Mister. Sie sind Engländer, nicht wahr?«

»Yeah, aus Southampton.Wir sind schon im vergangenen Jahr gekommen und konnten den letzten Winter in Hutchinson bleiben.«

»Und wo soll’s noch hingehen?«

»Nach Colorado«, entgegnete Ric Hellmers.

»Noch ein schönes Stück Weg.«

»Ja, sicher. Aber wir müssen hinauf in die Berge. Oder doch jedenfalls dahin, wo viel Wald ist.«

»Wald gibt’s auch in Kansas«, sagte der Missourier.

»Das mag schon sein, Mister. Aber offenbar nicht für uns. Wir haben

es bisher in fünf Städten versucht,

auf vier Ranches bin ich gewesen, und überall hat man uns abgewiesen.«

Richard Hellmers erzählte nicht, daß er oben in Kansas City seinen Bruder verloren hatte.

Der Marshal nickte.

»Well, dann gute Fahrt! Colorado ist ein wunderbares Land. Und – vielleicht ist es ganz gut, wenn Sie ein Gewehr in die Hand nehmen, wenn Ihnen noch einmal solche Leute begegnen!«

Die Hellmers blickten ihm mit glänzenden Augen nach.

»So ein Mann muß auch Wyatt Earp sein«, sagte der kleine Jimmy.

Der Alte stülpte sich den Hut auf den Kopf und blickte seine Frau an.

Laura Hellmers war schon mit ihrer Nichte Patricia damit beschäftigt, sich um die stark angeschwollenen Striemen zu kümmern, die Perkins-Breeks Bullpeitsche in das Gesicht Mikes gerissen hatte.

»Zounds!« Der Bursche suchte seinen Schmerz tapfer zu verbeißen, und er war wie die anderen immer noch von der Tat des Fremden begeistert, der sie in so brillanter Manier aus der scheußlichen Klemme befreit hatte.

»Zounds! War das ein Mann. Ich wette, der schießt einer Fliege ein Auge aus.«

Der Alte blickte auf das zertrümmerte Gesicht, bückte sich und hob mit einer sinnlosen Geste zwei Scherben der zerschlagenen Waschschüssel auf, um sie gleich darauf wieder wegzuwerfen.

»Diese Hunde!« knirschte er.

Seine Frau, die Mike bei Pat in den besten Händen wußte, kam zu ihm und legte ihre Hand auf seine Schulter.

»Wir hatten uns versprochen, daß wir auf jeden Fall den Mut nicht verlieren wollten, Richard.«

Der Mann blickte zur Seite und nickte mürrisch.

»Ja, Laura, das hatten wir. Aber es ist bedeutend schwerer und bitterer, als ich es mir in meinen schwärzesten Träumen ausgemalt hatte…«

Der Treck in den Westen aber sollte noch bitterer für die Hellmers werden.

*

Sie waren durch das Edwards County nach Spearville gezogen und befanden sich nur etwa noch zweiundzwanzig Meilen nordöstlich von Dodge City, als der kleine Jim plötzlich am Straßenrand einen großen Stein fand, auf dem irgend jemand irgendwann »DODGE CITY 22 MILES« eingemeißelt hatte.

»Da, nur zweiundzwanzig Meilen nach Dodge, Vater!«

Der alte Hellmers hatte es anscheinend gar nicht gehört. Er war wie so oft in letzter Zeit in tiefes Nachdenken versunken.

»Da geht’s nach Dodge, Vater«, sagte der Bursche noch mal, diesmal allerdings schon sehr viel kleinlauter.

Hellmers nickte abwesend.

»Ja, Jimmy – das kann sein. Über-allhin führen irgendwelche Wege.«

»Aber der da geht nach Dodge City«, beharrte der Kleine.

»Sicher, weshalb nicht. Wir können nicht allen Wegweisern folgen. Wir müssen nach Westen, nach Colorado. Wir müssen vor dem Sommer dort sein, wenn wir noch ein Haus errichten wollen…«

Das Gelände war stark mit mannshohen Büschen besetzt – und plötzlich standen sie vor ihnen.

Fünf Reiter.

Männer mit harten, unerbittlichen Gesichtern.

Die Hellmers kannten jedes einzelne genau; es waren Eddie Perkins-Breek und seine Leute.

Jimmys Augen waren starr vor Schreck geworden.

Er sah den Vater an, sah, daß dessen Adamsapfel in dem mageren Hals auf und ab rutschte.

Auch der Vater hatte Angst.

Laura Hellmers hatte die Rechte vor Schreck aufs Herz gepreßt.

Mike, Pat und Leony Hellmers sahen aus geweiteten Augen zu den Banditen hinüber, die sie gut erkennen konnte, weil der Weg hier eine starke Krümmung machte und sich der erste Wagen ein Stück weiter vorn befunden hatte.

Der Bandenführer verzog plötzlich seinen Mund und höhnte:

»Sieh da, alte Bekannte! Wie findet ihr das, Boys?«

»Welch ein Zufall!« kam es spröde von Blacks Lippen.

Auch der Schießer Vaugham meldete sich:

»Das muß doch gefeiert werden. Und zwar am besten sofort.«

Da stieg Pat vom Wagen und kam nach vorn.

»Patricia!« schrie ihre Mutter entgeistert.

»Oh, ist das nicht wieder diese kleine Schlange?« näselte Perkins-Breek.

»Mister Perkins-Breek!« sagte Patricia Hellmers mit fester Stimme. »Sie haben uns einmal aufgehalten und unser ganzes Porzellan zerschlagen. Sie haben den Jungen da geschlagen, daß er heute noch nicht richtig auf dem rechten Auge sehen kann und aussieht, als wäre er unter die Indianer geraten. Sie haben alles durchsucht, wir haben weder Geld noch sonst etwas, das Sie interessieren könnte. Was wollen Sie also noch von uns?«

Der Outlaw hatte sie mit einer Art belustigter Verwunderung angesehen, während sie sprach.

»Well, Miß, Sie haben da einen hübschen Vortrag gehalten. Ich will nicht anstehen, Ihnen zu antworten. Was ich noch will? Zunächst einmal will ich mich für die Schüsse bedanken, die mir Ihr Liebhaber oben in den Hügeln hat zukommen lassen, sodann…«

Pat war puterrot geworden. Und wie schon ihr Vater, so vermochte auch sie ihren Ärger nicht voll zu beherrschen.

»Weshalb sagen Sie das, Mister Perkins-Breek! Sie wissen genau, daß wir den Mann überhaupt nicht kannten, daß er zufällig auftauchte, als Sie mich schlagen wollten, wie Sie Mike geschlagen haben. Wir kannten ihn nicht, und er war weg, ehe wir uns recht bedanken konnten.«

»Sie wollen also behaupten, daß Sie gar nicht wissen, wer der Schurke war?«

»Nein, wir kennen nicht einmal seinen Namen, Mister. Aber eines wissen wir: Dieser Mann war kein Schurke!«

Der Bandenführer verfärbte sich. Wieder lag wie damals jener fahlgrünliche Ton auf seinem verschlagenen Gesicht. Die bis dahin vorgetäuschte Freundlichkeit verschwand urplötzlich. Mit frostiger Kälte schnarrte er:

»Maul halten, Mensch, sonst schlage ich dir die Haut in Fetzen vom Leib! Was bildest du dir ein, du Schnepfe, he? Glaubst du etwa, daß ich auf deine glatte Larve hereinfalle wie der Cowboy neulich? Wir haben hier auf euch gewartet. Klar, daß wir uns die Knallerei von neulich nicht bieten lassen. Der großsprecherische Cowpuncher hängt schon verdorrt an einem kahlen Ast. Wir haben uns ihn noch am gleichen Abend vorgeknöpft. – Und jetzt seid ihr dran. Hal, Jack, los, räumt die Karren aus, spannt die Gäule aus und stoßt die Wagen um! Das gibt ein prächtiges Feuer!«

Die vier anderen Banditen rutschten aus den Sätteln.

Mit starren Gesichtern sahen die Hellmers, wie ihre Pferde ausgespannt wurden, und sie mußten erleben, wie die Straßenräuber sie mit Stößen und rücksichtslosen Püffen von den Wagen wegtrieben.

»Das wird erst der Anfang!« knirschte der Schießer Vaugham. »Anschließend geht’s euch ans

Fell!«

Leony Hellmers sank mit einem röchelnden Laut in sich zusammen. Eine Ohnmacht hatte sie gnädig in ihre dunklen Arme genommen.

Und dann nahm das unerbittliche Schicksal seinen Lauf.

Die vier Tramps räumten die Wagen ab, warfen, schoben, stießen und traten den armseligen Hausrat der Engländer von den beiden Schoonern – und rissen dann die Wagen mit Gejohle um.

Es war Vaugham, der das Feuer legte.

In wenigen Minuten brannte das trockene Holz der großen Prärie-schooner, für die die Briten schweres, sauer erspartes Geld gegeben hatten, wie ein Heuschober.

Mit aschfahlen Gesichtern standen die Hellmers dabei und sahen zu, wie ihr Eigentum zu Schutt und Asche wurde.

Plötzlich rannte Mike vorwärts und riß das Gewehr des Vaters aus den Trümmern.

Aber er hatte es noch nicht durchgeladen, da krachten schon zwei, drei, vier Schüsse.

Tödlich getroffen brach der Bursche vor den Trümmern seiner Habe zusammen.

Gelähmt vor Entsetzen, standen die fünf übrigen Hellmers da.

Pat wandte sich plötzlich um und rannte auf den Mörder zu.

Es war Vaugham.

Aber auch Perkins-Breek hatte den Colt in der Hand.

»Mörder!« schrie das Mädchen den beiden wild entgegen. Jaulend stand der Hund neben Jim.

Da hob der Bandenchef die Waffe und gab sechs Schüsse hintereinander in den blauen Himmel ab.

Es war also ganz klar: Hyronimus Vaugham hatte Mike Hellmers allein erschossen.

»Mörder!« schrie das Mädchen, außer sich vor Verzweiflung.

Da trieb Perkins-Breek sein Pferd auf einmal mit einem Schenkeldruck an sie heran, riß sie zu sich hinauf und sprengte davon, ehe irgend jemand etwas daran hätte ändern können.

Vaugham grinste den wie versteinert dastehenden Richard Hellmers aus bösen Augen an.

»Verschwindet!«

Er hatte beide Revolver gezogen.

Ric Hellmers war nicht in der Lage, sich zu bewegen.

Fassungslos blickte er dahin, wo Perkins-Breek mit seiner Nichte verschwunden war.

»Ihr sollt verschwinden!« schrie Vaugham und stieß die beiden Revolver vor. »Und laßt euch hier nicht mehr sehen!«

Black hatte die vier Pferde der Hellmers zusammengekoppelt und nahm sie mit.

Da ergriff Laura den Arm ihres Mannes und preßte schluchzend hervor:

»Komm, Richard – wir werden gehen. Wir – hatten es – uns ja versprochen – wir…«

Der Mann nickte. Sein Gesicht war grau und eingefallen; er schien von einer Minute zur anderen um ein Jahrzehnt gealtert zu sein.

Die Banditen hatten gewartet, bis sie gegangen waren, weiter die Overlandstraße nach Westen hinunter.

Nicht einmal den Toten hatten sie begraben dürfen.

Völlig niedergeschlagen, taub vor Schmerz und Verzweiflung, trotteten die vier Menschen davon; alles vor ihren Augen schien in wesenloses Grau zu verschwimmen.

Welten waren für sie zusammengebrochen.

Pats Mutter hatte sich an der linken Seite ihres Schwagers gehalten. Jetzt klammerte sie sich an seinem Arm.

Und die Mutter des toten Mike hielt sich rechts an ihrem Mann fest.

Fast übermächtig war die Last, die den Alten niederreißen wollte.

Neunundfünfzig Jahre trug er mit sich herum. Vor einem Jahr hatte er den Bruder verloren – und vor Minuten den Sohn.

Und das, was ihn wohl am allertiefsten schmerzte, war die Entführung Pats.

Mike war tot; er hatte keine Schmerzen und keine Sorgen mehr, suchte er sich einzureden.

Aber Pat…!

Über ihnen spannte sich der wolkenlose Himmel von Horizont zu Horizont.

Nirgends war eine Wolke zu sehen.

Dem Alten war kalt geworden.

Erst nach einer halben Stunde öffneten sich seine Lippen, und das, was er sagte, war kaum zu verstehen.

»Wir werden langsamer gehen. Denn wenn es dunkel geworden ist, kehre ich zurück und werde ihn – begraben…«

Da geschah es.

Jim, der hinter den drei Erwachsenen gegangen war, rannte plötzlich, gefolgt von Berry, nach Südwesten davon.

Der Vater bemerkte es und blieb stehen.

»Jim!« schrie er heiser. »Jim, bleib hier!«

»Jimmy!« Die Mutter preßte die Hände gegen das Herz. Ihr Schrei verhallte fast ungehört.

Der Junge rannte weiter.

»Jim!« brüllte der Vater. »So warte doch! – Wo willst du denn hin?«

Da verhielt der Junge den Schritt, wandte sich um und rief:

»Ich will nach Dodge City! Zu Wyatt Earp!«

»So warte doch! Wir – wir kommen mit…«

*

Es war schon Abend, als die vier Menschen von einer Anhöhe aus das silberne Band des Flusses in der Ferne schimmern sahen.

»Der Arkansas«, brachte Ric Hellmers krächzend über die Lippen.

»Und da – da sind Häuser!« rief Jim. »Das muß Dodge City sein!«

Und plötzlich liefen sie alle. So schnell sie konnten, hasteten sie der Stadt entgegen.

Als sie den Overlandweg nach Hutchinson erreichten, sahen sie schon die Corrals, die sich bis hinunter zum Flußufer erstreckten.

Sie waren um diese Jahreszeit leer.

Vor ihnen lag die Stadt.

In der Frontstreet, die gewissermaßen eine schwarze Stadtgrenze bildete, da sie nur auf der Nordseite mit Häusern bestanden war, herrschte reges Leben.

Niemand achtete auf die vier Engländer, die müde und zerschlagen in die Hauptstraße der alten Treibherdenstadt trotteten.

Der Vater und der kleine Jim hatten beide Frauen stützen müssen, so erschöpft waren sie.

Beim Dodge House Hotel, gleich zu Beginn der Straße, hielt der Alte an.

»Bleibt hier, setzt euch da auf die Bank. Ich werde mit Jimmy einen Sheriff suchen…«

Jim sagte laut:

»Einen Sheriff? Nein, Vater, wir suchen Wyatt Earp!«

Ein Mann kam die Stufen des Hotels hinunter, und Jim lief auf ihn

zu.

Im zuckenden Schein des Windlichts, das über der Treppe hing, sah er, daß es ein großer Mann war, mit einem gutgeschnittenen, etwas kühlen Gesicht und sehr klugen Augen.

Er trug einen schwarzen Hut, ein blütenweißes Rüschenhemd, eine grünschillernde elegante Weste und einen vornehmen schwarzen Anzug.

Seine Stiefeletten glänzten wie neu.

Jim sah aber auch unter dem offenstehenden Rock den breiten Waffengurt, der zwei mit Elfenbeinknäufen beschlagene schwere Revolver hielt.

Der kleine Jim war so von der außergewöhnlichen Erscheinung des Mannes beeindruckt, daß er einen Augenblick gar nicht sprechen konnte.

»Mister«, sagte er dann, »wo können wir Wyatt Earp finden?«

»Das Marshals Office ist drüben, gleich an der Ecke der Bridgestreet, die zum Arkansas River hinunterführt. – Ich weiß allerdings nicht, ob er in der Stadt ist.«

»Nicht…?« Der Kleine schluckte in aufkommender Angst. »Lieber Gott – was – was machen wir dann?«

Der Fremde streichelte dem Jungen über den Wuschelkopf und fragte:

»Was hast du für Sorgen, Boy?«

Da schluchzte Jimmy los, und wild brach es aus ihm heraus:

»Wir sind überfallen worden. Von fünf Banditen. Eddie Perkins-Breek war es – sie haben Mike erschossen – und Pat haben – sie mitgenommen. Die Wagen haben sie umgeworfen und verbrannt! All unsere Sachen – sie sind verbrannt…«

Der Mann ging in die Hocke und hob den Kopf des Jungen.

»Wo ist das passiert?«

Da trat Hellmers heran.

»Oben auf der Overlandstraße nach Westen. Unweit von der Abzweigung nach Dodge City.

»Und wann?«

»Heute…«

Der Mann erhob sich wieder, nahm ein silbernes Zigarettenetui aus der Tasche, öffnete es und hielt es dem Briten hin.

Der lehnte ab.

»Thanks, Mister, ich kann jetzt nicht rauchen.«

»Nehmen Sie eine Zigarette, vielleicht beruhigt sie…«

Mit zitternder Hand nahm der Engländer eine Zigarette aus dem wohlgefüllten Etui.

Er wußte so wenig wie der kleine Jim, daß der elegante Fremde niemand anders als Doc Holliday war, der Freund Wyatt Earps, der berühmte Gambler und Revolverkämpfer aus Georgia.

»Sie meinen, daß der Marshal nicht in der Stadt ist?«

»Ich weiß es nicht sicher. Aber gehen Sie nur hinüber, es sind sicher zwei von seinen Deputys im Office.«

Hellmers winkte ab.

»Auch in Kansas City kam ein Deputy, im vergangenen Jahr, als ein Bandit meinen Bruder auf offener Straße niedergeschossen hatte…«

Sie gingen trotzdem hinüber zum Office.

Ric Hellmers stand vor der großen Glasscheibe, die in der Tür eingesetzt war und auf die der Marshalstern Wyatt Earps gemalt war.

Hellmers klopfte an.

»Yeah…!« kam es von innen.

Hellmers öffnete.

Zusammen mit Jim trat er ein.

Ein großer vierschrötiger Mann von vielleicht dreißig Jahren stand drüben am Gewehrständer und hatte einen Waffengurt in der Hand, den er wahrscheinlich gerade poliert hatte.

Auf seiner Brust blitzte der Stern.

»Marshal, mein Name ist Hellmers, ich – wir haben gehört, daß Wyatt Earp hier in Dodge City ist – und weil wir – wir sind gekommen – denn nur Sie – also Jimmy meinte…«

Der Mann mit dem Stern unterbrach die konfuse Rede des verwirrten Fremden.

»Ich bin nicht Wyatt Earp. Mein Name ist Masterson. Der Boß ist nicht da…«

»Nicht in der Stadt?« warf Jimmy rasch ein.

»Nein, er ist nicht in der Stadt. Aber um was geht es? Vielleicht kann ich auch helfen.«

Es war William Bat Masterson, Wyatt Earps Chief Deputy, der bärenhafte Mann, der selbst einen großen Ruf als Policeman im Westen hatte und viel später, wenn Wyatt Earp nicht mehr in Dodge City sein würde, hier County Sheriff werden sollte.

Masterson war erfahren genug, um sofort zu sehen, daß diese Menschen in Not waren.

»Wir sind auf dem Weg nach Colorado gewesen, mit zwei großen Wagen, Mister Masterson. An der Abzweigung nach Dodge City, oben auf der Overlandstraße nach Westen, wurden wir überfallen, von fünf Banditen. Sie haben meinen Sohn Mike niedergeschossen und meine siebzehnjährige Nichte Patricia mitgenommen. Die Wagen haben sie verbrannt und alles, was wir mit uns führten. Den Toten durften wir nicht einmal begraben…«

»Es war Eddie Perkins-Breek, er hatte vier Männer bei sich«, warf Jimmy ein.

Masterson rieb sich das Kinn.

»Perkins-Breek, diese verdammte Krähe. Wahrscheinlich waren Hypro Vaugham bei ihm und Kid Plaggstaff.«

»Richtig…«

»Well, und es war also an der Abzweigung nach Dodge?«

Eine Viertelstunde später brach Bat Masterson mit drei Leuten auf, um an den Ort des Überfalls zu reiten…

Die Hellmers standen vor dem Office auf dem Vorbau.

So umsichtig der etwas ruppige Masterson war – daran hatte er nicht gedacht, daß die vier Menschen, denen so fürchterlich mitgespielt worden war, total erschöpft waren und nicht wußten, wohin sie gehen sollten.

»Setzt euch da auf die Vorbaukante«, sagte der Alte rauh. »Ich werde herumfragen, ob wir irgendwo in einer Scheune übernachten können.«

Geld hatte er nicht mehr.

Ric Hellmers überquerte die Straße und hielt auf eine der Nebengassen zu.

Jim wollte auf die Ecke der

Bridgestreet zulaufen, als ihn seine Mutter zurückrief.

»Bleib hier.«

»Ich komme sofort zurück. Vielleicht ist da um die Ecke irgendwo ein Mietstall…«

Der Junge lief um die Vorbauecke herum, der Hund folgte ihm – plötzlich hielt Jim inne.

Hinter dem Haus des Marshals Office war gerade ein Reiter angekommen und aus dem Sattel gestiegen.

Trotz der hier in der Gasse herrschenden Dunkelheit erkannte Jim sofort den Mann wieder, der ihnen neulich oben in der Prärie gegen Perkins-Breek und seine Bande beigestanden hatte.

»Mister…!«

Jim rannte auf ihn zu, klammerte sich an seine Brust und preßte seinen Kopf schluchzend gegen den Missourier.

»Mister…«

Wyatt Earp bückte sich, nahm sein Taschentuch hervor und wischte dem Jungen die Tränen aus dem Gesicht. Dann strich er ihm die blonden Haarsträhnen aus der Stirn und fragte:

»He, wir kennen uns doch?«

»Mister, ich bin so froh, daß ich Sie getroffen habe.«

»Beruhige dich, kleiner Mann, und erzähle mir dann mal, was los ist.«

»Sie haben Mike erschossen«, stieß der Junge weinend hervor. »Und Pat haben sie mitgenommen!«

»Wer hat das getan?«

»Die Leute, vor denen Sie uns damals gerettet haben.«

»Perkins-Breek?«

»Ja«, stammelte der unglückliche Bursche.

Wyatt Earp richtete sich auf und blickte finster auf die Frontstreet hinüber.

»Es war oben an der Abzweigung nach Dodge auf der Overlandstreet, da standen sie plötzlich vor uns…«

»Wo stehen eure Wagen?«

»Wir haben keine Wagen mehr. Die Banditen haben sie verbrannt. Die Wagen und alles, was wir hatten. Und als mein Bruder dann zum Gewehr greifen wollte, hat der kleine Mann ihn niedergeschossen. Und Pat haben sie mitgenommen!«

Wyatt Earp warf die Zügelleinen seines Rappen über einen Querholm und legte einen Arm um die Schultern des weinenden Kindes.

»Wo sind deine Eltern?«

»Sie stehen hier auf dem Vorbau, gleich um die Ecke. Wir haben mit Mister Masterson gesprochen. Er ist sofort mit drei Männern weggeritten.«

Der Marshal beschaffte den vier so urplötzlich völlig mittellos dastehenden Menschen ein Obdach in einem Anbau des Lester Boardinghouses.

Immer noch nicht wußten die Hellmers, wer ihnen da beistand.

*

Am folgenden Morgen standen zwei neue große Planwagen mit je einem gesunden Zweiergespann auf dem Hof.

Wyatt Earp hatte die Wagen und die Pferde für die Hellmers bestellt.

Der Alte kam in den Hof und blickte auf die Wagen.

John Lester, der Boardinghouse-Besitzer, ein dickleibiger freundlicher Mann, kam eilfertig auf den Engländer zu.

»Mister Hellmers, wie gefallen Ihnen Ihre neuen Wagen?«

»Meine…?«

»Gefallen sie Ihnen nicht? Sehen Sie nur, es ist bestes Holz und erstklassige Verarbeitung. Die Räder haben Coloradoeisen aufgezogen bekommen; das sind ganz besonders starke und dauerhafte Reifen…«

»Aber…«

»Und dann sollen Sie gleich in Rats Store alles kaufen, was Sie brauchen.«

Der Brite griff sich an die Stirn, wischte sich über die Augen und schüttelte den Kopf.

»Sie müssen sich irren, Mister. Ich habe nichts bestellt, weder die beiden Wagen noch die vier Pferde noch sonst etwas. Ich bin seit gestern ein bettelarmer Mann und weiß nicht, was ich den Meinen heute auf den Tisch stellen soll…«

»Ich habe keine Ahnung, wie das zusammenhängt, Mister Hellmers, aber die Wagen sind hergeschickt worden. Und dazu die Anweisung, daß Sie sich in Rats Store alles holen sollen, was Sie für die Weiterfahrt brauchen.«

»Aber – das ist doch unmöglich. Ich habe doch keinen Dollar mehr, Mister. Mein Geld war im Lederbeutel, der im Kutschbockkasten lag. Es war ohnehin wenig genug, hätte uns aber bis Colorado durchbringen können, bis zu den Bergen. Ich bin Sägemeister und hätte dort sicher irgendwo Arbeit gefunden, wissen Sie – aber…«

Er stockte und verspürte wieder das Würgen in der Kehle, das er seit der fürchterlichen Vormittagsstunde des vergangenen Tages kaum für Minuten losgeworden war.

Lester stützte die Hände in die Seiten.

»Also, ich weiß nicht, wie es zusammenhängt, aber die Sache geht in Ordnung. Es war sogar einer von den Deputies hier und hat sich davon überzeugt, daß die Wagen ordnungsgemäß und wie bestellt hergebracht worden sind.«

»Einer von den…«

»Yeah, Bill Tighman, einer von Wyatt Earps Leuten.«

»Von…«

Ric Hellmers begriff überhaupt nichts mehr.

Da tauchte Jim mit dem Hund hinter ihm auf, er hatte den letzten Teil des Gespräches gehört.

»Vielleicht hat unser Freund mit dem Marshal gesprochen, Vater, der Mann, der gestern einen Jungen herschickte und nachfragen ließ, ob hier noch ein Raum für uns frei wäre…«

»Ich weiß es nicht, Junge, aber – die Wagen, ich kann doch nicht einfach…«

»Sie werden es müssen«, sagte der Wirt. »Die zwei großen Wagen können doch nicht hier auf dem kleinen Hof stehenbleiben. Das werden Sie wohl einsehen. Und zu Rats Store werden Sie auch gehen müssen, denn ich hörte, daß schon eine Reihe von Dingen für Sie auf die Rampe gebracht worden sind.«

Da stieß Jim den Vater an.

»Worauf wartest du denn, Daddy…?«

Der Alte gig mit zögernden Schritten auf die Wagen zu, blickte unter die Planen, warf einen kurzen Blick auf das Zügelzeug und die Geschirre der Pferde, und dann sah er, daß Jim drüben schon auf dem Kutschbock des ersten Wagens gestiegen war.

»Steig auf, Vater, du hast doch gehört, daß wir die Wagen nehmen sollen.«

Der Engländer sah sich noch unschlüssig um.

Da erschienen oben in der Tür die Frauen. Laura Hellmers schmerzgebeugt und mit totenblassem Gesicht, neben ihr die Schwägerin Leony, die seit der Verschleppung ihrer Tochter völlig apathisch war.

Leony schien nichts mehr zu hören und zu empfinden.

Die vier Auswanderer fuhren nach Rats Store und wurden dort von dem Storinhaber freundlich begrüßt. Ohne zu fragen lud der Mann mit einem Gehilfen all jene Dinge auf, die schon auf dem Vorbau bereitgestellt worden waren. Hausrat, Lebensmittel und alles, was man eben für einen Treck benötigte.

Als Mister Rat fragte, was sie nun noch brauchten, winkte der Brite ab. Was sollte er noch brauchen? Es war ja mehr auf die beiden Wagen geladen worden, als er vorher besessen hatte.

Die Männer verabschiedeten sich ohne viel Worte und ohne noch einmal gefragt zu haben.

»Vielleicht sollten wir hinübergehen zum Office, um uns zu bedanken«, meinte Jim.

»Du hast ja gehört, daß er gar nicht in der Stadt ist«, entgegnete der Vater.

So fuhren die Hellmers aus Dodge City hinaus.

Sie wußten nicht, wem sie dieses Geschenk zu verdanken hatten. Auch waren sie zu kleinlaut geworden, um noch viel zu fragen. Ric Hellmers hatte einen Augenblick mit dem Gedanken gespielt, doch wenigstens den zweiten Wagen abzuladen. Sie brauchten ihn ja gar nicht mehr. Die Frau seines Bruders konnte ja noch in dem einen Wagen untergebracht werden; sie war ja jetzt, da sie ihren Mann und ihre Tochter verloren hatte, ganz allein.

Der Schmerz hatte sie alle verändert, schweigsam, ja, stumm gemacht.

Wollten sie eigentlich noch nach Colorado?

Niemand von ihnen dachte darüber nach. Sie folgten ganz einfach der Straße nach Westen, wie sie es bisher getan hatten.

Bat Masterson hatte ihnen versprochen, Mike unter die Erde zu bringen, und wenn der Vater am Vorabend noch fest entschlossen gewesen

war, selbst zurückzugehen, so hatte er sich zum Morgen anders besonnen.

Ganz sicher würde der Chief Deputy Wyatt Earps Mike begraben haben, und was hätte es für einen Sinn gehabt, die Mutter des Jungen und die schon so kranke Schwägerin mit der Rückfahrt an den Ort des Grauens noch zu quälen.

Deshalb war Richard Hellmers weitergefahren. Er hatte seiner Frau die Zügelleinen des zweiten Wagens in die Hand gedrückt und ihr die gleichen Worte gesagt, die sie ihm im vergangenen Jahr so oft hatte sagen müssen.

»Wir haben uns doch versprochen, durchzuhalten, was auch kommen möge.«

Ric Hellmers hatte rechts neben dem Kutschbock in einer Metallkammer und einem eigens angefertig-

ten Lederboden ein Gewehr entdeckt.

Ein zwölfschüssiges Winchestergewehr. Er hatte es nur einmal angesehen und dann nicht weiter beachtet. Er war kein Mann der Waffe und würde auch nie einer werden.

Weiter ging der schwere Treck nach Westen.

An dem Morgen, als sie Dodge City verlassen hatten, dachten sie an alles, nur ganz sicher nicht daran, daß sie den Banditen Perkins-Breek bald wiedersehen würden…

Drei Tage waren vergangen.

Der kleine Treck hatte bei Garden City das Arkansasufer verlassen, die Pferdewechselstation Long Rhole passiert und waren an jenem Morgen von der Quäkerrandsiedlung Seravalle aufgebrochen.

Am späten Nachmittag entdeckten sie etwas abseits von der Straße die Bauten einer Farm. Hellmers beschloß gegen den Rat seiner Frau, den Farmer nicht zu bitten, die Wagen während der Nacht in den Ranchhof stellen zu dürfen. Er wollte weiter. Als er aber einen Blick in das Gesicht seiner Schwägerin warf, die neben ihm saß – sie wechselten die Plätze ständig aus – lenkte er doch hinüber auf die Farm zu.

John Conally hatte vor fünfzehn Jahren hier eine Hütte gebaut, die er unter unsäglichen Mühen im Laufe der Jahre zu dieser Ranch hatte erweitern können.

Er war ein schweigsamer Mensch, den die Zeit in Kansas hart gemacht hatte und der mit einem einzigen Helfer die ganze Farm bearbeitete.

Conally stand im halboffenen Hoftor, als er die beiden Wagen auf dem etwas ansteigenden Weg herankommen sah. Mißtrauisch zog er die Brauen zusammen, wandte sich dann um und rannte hinüber in einen der Schuppen.

»Cass, hol ein Gewehr.«

Der zweiundsechzigjährige Cass Hunder humpelte mit seinem Holzbein los und angelte sich eine Flinte von der Wand.

Der Farmer selbst hatte inzwischen sein Sharpsgewehr aus dem Blockhaus geholt, es im Laufen durchgeladen und war wieder am Tor, als der Alte eben aus dem Schuppen kam.

»Zwei Wagen, hm. Sieht harmlos aus, kann aber gefährlich sein. Damals bei den Bredfords sah es auch harmlos aus, und dann waren plötzlich sieben Männer aus dem Wa-

gen gesprungen, als er schon im Hof war.«

Der Alte nickte. »Ich habe schon den ganzen Tag Schmerzen in meinem Stumpf. Das ist ein schlechtes Zeichen, denn bis jetzt ist dann noch jedesmal irgendeine Schweinerei passiert.«

»Damned, yeah«, meinte der Rancher, »ich erinnere mich. Aber diesmal wird das nichts. Darauf kannst du dich verlassen. Die Bagage kommt mir nicht in den Hof, ehe ich nicht die Wagen untersucht habe.«

Die beiden Schooner der Hellmers waren bis auf zwanzig Yard herangekommen.

Conally hatte das Tor zugeworfen und sein Gewehr durch eine Schießscharte durch die Fenz geschoben.

Hellmers hielt den Wagen an.

»Hallo, Mister. Wir wollen nur fragen, ob wir für die Nacht auf dem Hof bleiben könnten.«

»Ich komme raus«, entgegnete Conally. »Und vergeßt nicht, daß meine Leute an den anderen Schießscharten auf Posten sind.«

Der Brite winkte ab. »Wir sind harmlose Leute.«

»Natürlich, hier gibt’s nur harmlose Leute. Drei davon liegen drüben hinter der Scheune unter der Erde. Sie kamen auch mit einem Planwagen und hielten es dann für richtiger, auf uns zu schießen.«

»Wir sind Auswanderer, aus England.«

Ric Hellmers konnte ja nicht wissen, daß ausgerechnet die Engländer in Kansas seit jeher nicht sonderlich beliebt waren. (Was übrigens seltsamerweise noch heutigen Tags der Fall ist.)

»Briten?« knurrte Conally. »Dafür haben wir eigentlich keinen Platz auf der Farm.«

Hellmers stieg vom Wagen.

»Hören Sie, Mister. Hier, meine Schwägerin, ist seit einiger Zeit krank. Sie hat den Mann und die Tochter auf dem Treck verloren. Seitdem suche ich abends immer ein fe-stes Quartier. Und wenn es nur die Fenz einer Ranch ist, die uns umgibt.«

»Feine Story«, brummte Conally. »Direkt mal was anderes. Ich kenne nämlich schon eine ganze Reihe von Stories.«

Es war ganz klar, der Mann hatte schon viele schlechte Erfahrungen sammeln müssen, daß man es ihm einfach nicht übelnehmen konnte, daß er so abweisend war.

»Well, kommen Sie raus, Mister, Sie können die Wagen durchsuchen«, versuchte es Hellmers noch einmal.

Dann wurde das Tor geöffnet, und der Farmer kam heraus.

Nach wenigen Minuten wußte Conally, daß er es hier offenbar wirklich mit guten Leuten zu tun hatte.

Als sie eine Stunde später drinnen im Hof das Dreibein aufstellten, um das Abendessen vorzubereiten, kam Conally auf die Hellmers zu.

»Ihr könnt drüben im Haus das Abendbrot machen, und in den Wagen braucht ihr auch nicht zu schlafen. Cass wird euch hinüber zu der Scheune führen und zeigen, wo ihr die Nacht verbringen könnt.«

Noch war es nicht so dunkel, und Ric Hellmers stand zusammen mit dem Farmer und den beiden Frauen mitten im Hof.

Jim spielte mit dem Schäferhund Berry.

Gerade hatte der alte Cass den Kopf durch die Schuppentür gesteckt, wo er den ganzen Abend über an Beil- und Schaufelstielen gearbeitet hatte und gerufen: »Ich werde das Tor schließen, Boß!« als plötzlich harter, hämmernder Hufschlag zu hören war.

Conally rannte los. Aber es war zu spät.

Draußen peitschten Schüsse, und gleich darauf sprengten drei Reiter in den Hof.

Die Hellmers erschraken, als sie Eddie Perkins-Breek, Hyronimus Vaugham und Hal Black erkannten.

Während Vaugham den Farmer und die anderen mit dem gezogenen Revolver in Schach hielten, sprangen Perkins und Black von den Gäulen und warfen das Tor zu.

Als sich der Bandenführer dann umdrehte, glitt ein böses Lachen über sein Gesicht.

»He, das kann doch nicht wahr sein! Da sind ja wieder unsere Freunde.«

Ric Hellmers hatte seinen Schreck überwunden und ging zum Entsetzen seiner Frau auf den Banditen zu.

»Wo ist Pat, wo haben Sie sie gelassen?!«

Der Bandit lachte roh auf, und dann ließ ein Revolverschuß alle im Hof Anwesenden zusammenzucken.

»Komm raus, Perkins, oder ich hole dich!« Der Ton dieser Stimme riß dem kleinen Jim einen Jubelschrei von den Lippen.

Es war die Stimme jenes Mannes, der sie schon einmal von den Tramps befreit und der ihnen in Dodge das Quartier besorgt hatte.

Der kleine Jim hatte sich seitlich hinter den Wagen geschlichen, stieg auf das Rad und zog die Winchester leise aus dem Halfter.

Erst als er sie durchlud, wurden die Tramps aufmerksam.

Hyronimus Vaugham schoß sofort. Zwei, drei Schüsse peitschten über den Hof. Aber die Kugeln klatschten in das Stiefelbrett des Schooners; zu weit noch war der Bandit von dem Wagen entfernt.

Dann röhrte die Winchester auf. Mitten durch die linke Brustseite getroffen, brach der Mörder Hyro Vaugham zusammen.

»Der Rückschlag des Gewehres hatte dem Jungen einen furchtbaren Stoß versetzt, aber er hielt das Gewehr mit seinen beiden Fäusten fest umspannt und hatte es sofort wieder durchgeladen.

»Mister Perkins-Breek«, stieß er heiser hervor, »bewegen Sie sich nicht. Ich habe auf Sie angelegt und schieße Sie sofort nieder.«

Der Bandenführer war kreidebleich geworden.

Da brüllte Conally über den Hof.

»Richtig, Boy, halte ihn auf dem Korn, bis ich das Tor geöffnet habe.«

»Das wagst du nicht, Krautfarmer«, röhrte der Bandit.

»Und ob ich das wage, Outlaw. Es ist überhaupt kein Wagnis. Ihr seid ohnehin fertig. Draußen steht einer, dem ihr sowieso nicht entgehen könnt.«

»Meinst du etwa, daß wir uns vor dem Cowboy und dem Stadtfrack fürchten?«

Der Farmer trat an die Schießscharte und blickte hinaus.

»Ich habe es geahnt. Wyatt Earp! Heavens, und Doc Holliday ist auch dabei. So, Gentleman, jetzt macht euer Testament.«

Damit riß der Farmer den Türschließer zurück, und das Tor flog augenblicklich auf.

Eddie Perkins – Breek und Hale Black warfen sich herum.

Aber sie kamen nicht mehr dazu, die Stecher ihrer vorgestoßenen Revolver durchzuziehen.

Wie Steinstatuen standen die beiden Gunfighter vor dem Eingang. Gedankenschnell sprangen ihre Kugeln die Verbrecher an. Eddie Perkins-

Breek und Hale Black waren sofort kampfunfähig und hoben die Hände.

Hochaufgerichtet kam der Marshal in den Hof und blickte auf den Toten.

Dann hob er den Kopf, und sein Blick streifte die Gesichter der Umstehenden, bis er den Jungen oben auf dem Wagen mit dem Gewehr sah.

»Du hast geschossen, Boy?« fragte er ernst.

Der Junge ließ das Gewehr los und rutschte langsam von dem Wagen. Mit bebendem Unterkiefer stand er da und stotterte:

»Yeah. Ich habe geschossen.«

Sein Blick hing an dem großen Mann und dem fünfzackigen Stern, den er auf der Weste trug.

Und der kleine Jim Hellmers mußte unsinnigerweise daran denken, daß die von ihm so heißgeliebte Pat ihn mal gebeten hatte, doch nicht immer yeah zu sagen. Dabei gab es doch jetzt etwas ganz anderes zu bedenken: daß der große Mann, der jetzt fünf Yard vor ihm stand und ihn aus stahlblauen Augen ansah, nicht nur irgendein Cowboy oder ein namenloser Revolverschütze war, sondern niemand anders als der große Marshal Earp.

Der kleine Jim war plötzlich nicht einmal sehr erstaunt über diese Feststellung.

Es verblüffte ihn nicht einmal mehr, daß der elegant gekleidete Mann mit dem Rüschenhemd, der Fremde, den sie abends in Dodge getroffen hatten und der dem Vater eine Zigarette gegeben hatte, Doc Holliday war.

»Sie sind im richtigen Augenblick gekommen, Marshal«, meinte der Farmer. »Die Halunken hätten uns hier ganz schön ausgeräuchert.«

Den Hellmers steckte der Schrecken noch so sehr in den Gliedern, daß sie immer noch reglos und stumm in der Hofmitte standen.

Endlich öffnete Ric Hellmers die Lippen:

»Sie – sind Wyatt Earp?«

Der Marshal nickte. Und dann sah er auf die leidenden Gesichter der Frauen.

»Sie brauchen sich keine Sorgen um das Mädchen zu machen. Dieser saubere Perkins-Breek da hat sie noch in derselben Nacht, nach einer wüsten Schießerei in Lowel, wieder freigeben müssen.«

Die Frau kam zögernd ein paar Schritte auf den Missourier zu.

»Sie lebt?«

»Yeah, Madam. Und es ist ihr nicht das mindeste passiert. Nachdem sie schon während des Rittes diesem Mann da das Gesicht zerkratzt hatte, sperrte er sie gleich nach seiner Ankunft in Lowel in einem Saloonzimmer ein. Vielleicht hoffte er, sie auf die Dauer mürbe machen zu können. Er hatte das Pech, daß Doc Holliday ihn noch spät in der Nacht unten im Saloon entdeckte. Die ganze Bande war da. Flemming und Plegstaff sitzen in Lowel im Jail. Den drei anderen gelang leider die Flucht. Aber so geschickt sie es auch anstellten, wir fanden in der Morgenfrühe ihre Spur. Sie haben uns ein ziemliches Stück durch die Weltgeschichte spazierengeführt, aber jetzt ist es aus.«

»Mich können Sie nicht hängen, Marshal«, schrie da auf einmal Perkins-Breek. »Ich habe niemanden ermordet. Außerdem wußte ich nicht, daß Sie Wyatt Earp sind. Ich hatte nämlich sonst schon in Lowel…«

Der Marshal trat ganz dicht an ihn heran.

»Was hättest du, Perkins-Breek?«

Der Bandit senkte den Kopf.

»Ich habe niemanden ermor-

det«, quetschte er durch die Zähne. »Sie können mich nicht hängen lassen.«

»Ich habe dir schon einmal gesagt, Bandit, daß mir an deinem Tod nichts liegt. Ich bin sicher, daß Richter Jefferson dich wegen schweren Raub-überfalls und Beihilfe zum Mord wenigstens für fünfzehn Jahre nach

Sescattewa schicken wird. Wenn du großes Glück hast, kommst du nur nach Fort Worth.«

Wyatt hatte sich schon abgewandt, drehte dann aber den Kopf und sagte über die Schulter:

»Übrigens, damit du dir keine Illusionen machst: Das Geld, das du in Garden City auf die Bank gebracht hast, ist draufgegangen, und zwar für die beiden Wagen, die vier Pferde und den Hausrat, den die Leute ja natürlich wiederhaben mußten. Du wirst morgen unten bei mir in Dodge im Jail den einzelnen Händlern die schon ausgefüllten Anweisungen auf die Bank unterschreiben.«

Der Verbrecher war graugrün geworden.

»Das werde ich nicht tun!« krächzte er gallig.

Da riß der Missourier gedankenschnell einen linken Backhander hoch, der den rigorosen Bandenchief von den Beinen warf. Er saß am Boden und hielt sich mit der Linken die rechte Gesichtshälfte.

»Hattest du irgend etwas gesagt, Perkins-Breek?« fragte ihn der Marshal ruhig.

»Nein, Mister Earp«, knurrte der Bandit und erhob sich.

»Well, alles muß seine Ordnung haben«, erklärte Wyatt ruhig.

Hale Black, dessen rechte Hand blutete, stand mit gesenktem Kopf da.

»Los, Black«, gebot ihm der Marshal, »du wirst jetzt mit deinem Freund Perkins-Breek den toten Mörder Vaugham unter die Erde bringen.«

*

Wieder einmal hatte der Missourier dem kleinen Auswanderer-Treck im letzten Augenblick beistehen können und ihn aus einer bösen Situation befreit.

Die Hellmers hatten Patricia in Lowel in die Arme geschlossen und zogen dann weiter durch das Greeney County auf die Grenze Colorados zu.

Sie hatten Furchtbares erlebt, aber das Leben mußte weitergehen. Und das, was sich das Ehepaar Hellmers ausgemacht hatte, galt von nun an für die ganze Familie. Es wurde der Wahlspruch aller: Wir werden durchhalten, was auch immer kommen mag!

Über Sheridan, Lake Eads und Crowely kamen sie nach wochenlanger Fahrt an die Bahnstrecke Colorado Springs-Poeblo. Nördlich von der Ansiedlung Pinon fand Richard Hellmers in einem Railroad Camp Arbeit, in dem Baumstämme zu Bahnschwellen verarbeitet wurden.

Patricia und die beiden Frauen halfen in der großen Lagerküche, und der kleine Jim fand immer neue Arbeiten im Lager.

Anfang Mai hatten sie so viel Geld zusammengebracht, daß sie hoffen konnten, damit bis in die Berge zu kommen.

Im Fremont County sahen sie an einem kristallklaren Morgen zum erstenmal in der Ferne am westlichen Horizont die gigantischen Schneegipfel der Mountains.

»Die Berge!« rief Jim jubelnd.

Und in die Augen des Vaters trat ein stilles, frohes Glänzen.

Näher und näher rückten die Riesen des Felsengebirges und mit ihnen der sich über viele Hunderte von Meilen erstreckenden Bergwald an ihren Hängen.

Am 17. Mai hatte der Treck Salida verlassen und zog westwärts auf die Berge zu.

An einem glasklaren Abend erreichten sie die Stadt Garfield. Sie war nicht sehr groß, lag inmitten gewaltiger Bergwälder und glich in allem den anderen Bergstädten der Mountains.

Trotz des nahen Sommers herrschte hier oben eine empfindliche Kälte.

Der Engländer war gezwungen, in einem Boardinghouse, das während der Winterzeit als Holzfäller-Camp diente, Quartier zu nehmen.

Da schwand das Geld der Hellmers rasch dahin.

Tag für Tag, vom frühen Morgen bis zum späten Abend, lief Hellmers umher und suchte Arbeit.

»Wenn man erst Fuß fassen könnte«, sagte er immer wieder abends zu seiner Frau, »dann haben wir bald das Geld für ein eigenes Haus zusammen.«

Aber das Schicksal war offenbar immer noch gegen die Auswanderer aus der graußen Vorstadt Sou-thamptons.

Dabei schien sich zunächst alles so gut anzulassen.

Ric hatte in einer Sägemühle einen Hilfsarbeiterposten gefunden und verdiente zwar nicht viel, aber immerhin doch genug, um seine Familie durchbringen zu können.

Die Frauen arbeiteten in der Küche einer Schenke, halfen, die Speisen zuzubereiten und spülten und säuberten die sechs Gastzimmer des Fremont Saloons.

Drei Wochen erst waren sie in der Stadt, und schon zogen sich wieder schwarze Wolken über ihnen zusammen.

*

Eines Abends ritten drei Männer in die Stadt. Sie trugen helle Jacken und helle Hüte, und man konnte sofort sehen, daß sie nicht in die Berge gehörten.

Auch die Manier, wie sie die Revolver trugen, zeigte, daß sie nicht hierher paßten.

Der auffälligste von ihnen war ein langer Bursche mit gelblichem Gesicht und grünen Augen. Er hatte seinen flachkronigen Hut schräg auf dem Kopf sitzen, und das Sturmband hing bis auf die Brust hinunter.

Sehr tief über seinem rechten Oberschenkel baumelte ein Armeerevolver. Er kannte diese Typen. Es waren Männer, die nicht aus den Bergen kamen. Sie kamen auch nicht von der Hochebene Colorados.

Diese Typen stammten von weither aus dem Osten.

Die drei hatten die Theke erreicht, lehnten sich dagegen und stützten sich lässig auf die Ellbogen.

Dann sagte der Gelbgesichtige mit einem seltsam steifen Englisch:

»Dreimal Scotch.«

Der Wirt zog bedauernd die Achseln.

»Tut mir leid, ich habe nur braunen Kentucky.«

Der Gelbgesichtige zog seine grünen Augen zu schmalen Spalten zusammen und belferte:

»Keine Scherze, Mister. Wir wollen Scotch!«

Ernest Wilkins, der Salooner, schüttelte ärgerlich den Kopf.

»Ich sagte schon, daß ich nur braunen Kentucky habe, und das ist die Wahrheit.«

Der Gelbgesichtige verzog auf eine widerliche Weise den Mund, während er sich mit dem Mittelfinger der rechten Hand über seinen dünnen Schnurrbart strich.

»Well, Schnapspanscher, wir wollen nicht streiten, weil wir friedliche Leute sind. Dann gib uns einen Ohio.«

So viel Unverschämtheit verschlug dem Salooner die Sprache.

Er ließ die Hände von der Theke sinken und hatte im nächsten Augenblick die Faust des Gelbgesichtigen am Kragen.

»Die Hände immer schön oben auf dem Tisch lassen, sonst gibt’s Ärger.«

Wilkins schnappte nach Luft.

»Wenn ich Ihnen sage, daß ich nur braunen Kentucky habe, dann kann ich Ihnen keinen Ohio geben und auch sonst nichts. Und wenn es Ihnen bei mir nicht gefällt, dann reiten Sie doch am besten weiter.«

»Das könnte dir so passen, du feistes Stinktier«, zischte ihn der Gelbgesichtige an. »Wir warten hier auf ein paar Freunde.«

»Wann kommen die?« entfuhr es dem Wirt.

»Heute – morgen – übermorgen – oder vielleicht erst in einer Woche. Spielt ja keine Rolle. Du wirst uns zunächst drei Zimmer geben und dann dafür sorgen, daß ein Riesensteak auf den Tisch kommt.«

Nach dem Essen, das der Wirt in der Küche bestellt und den drei gefährlich aussehenden Gästen selbst serviert hatte, führte er sie hinauf auf ihre Zimmer.

Auf der rechten Seite am Ende des Korridors stand eine Tür offen.

Patricia Hellmers trat mit Schaufel und Besen eben auf den Gang, wollte an den Männern vorbei und blieb plötzlich wie angenagelt stehen.

»Newton«, entfuhr es ihr.

Ja, es war der Manchester Man, der sie da grinsend fixierte.

»Das ist ja eine großartige Überraschung«, näselte er. »Die hübsche Pat Hellmers!«

Das Mädchen wollte sich an ihm vorbeischieben, wurde aber von ihm aufgehalten.

»Weshalb so eilig, Süße? Laß dich doch mal ansehen. Du bist ja noch hübscher geworden. Wie lange haben wir uns jetzt nicht gesehen? Das muß doch schon über ein Jahr her sein.«

»Wir haben uns seit der Stunde nicht mehr gesehen, Mister Newton, in der Sie mit dem Mann, der Fred Hellmers erschoß, davongegangen sind.«

Newtons Gesicht hatte plötzlich etwas Maskenhaftes an sich.

»Es wird gut für dich sein, Pat, wenn du dir einen anderen Ton zulegst. Es gefällt mir nicht, wenn jemand so mit mir spricht.«

Pat wollte weiter.

Da stieß Newton sie brutal zurück.

»Warte doch. So schnell beendet man doch nicht ein Wiedersehen nach so langer Zeit.Was ist mit deinem Anhang? Wo treibt sich der Alte herum? Hat deine Mutter den kleinen Schreck in Kansas City überlebt? Und was macht Mike, der Dummkopf, der sich in Kansas City gleich die Zähne ausschlagen ließ? Hell and devils, seid ihr mit den zwei Holperkisten tatsächlich bis hierher gekommen? Die Gäule müssen euch doch schon in Kansas zusammengebrochen sein. Das muß ja ein prächtiges Bild gewesen sein, wie ihr die Karren dann selber gezogen habt.«

Die Augen des Mädchens schossen Blitze.

»Ich habe Ihnen damals gesagt, was ich von Ihnen halte, Newton, und das hat sich auch nicht geändert. Lassen Sie mich durch.«

Der Mann spreizte die Beine und verschränkte die Arme, dann stieß er eine blecherne Lache aus und meinte:

»Weißt du, daß ich deinewegen damals den irrsinnigen Treck nach Kansas City mitgemacht hatte? By gosh, was war ich doch noch für ein Idiot. Ich hätte damals schon einfach das tun sollen, was ich heute tun werde.«

Patricia erblaßte. Sie wich einen Schritt zurück.

»Was – werden Sie heute tun, Mister Newton?«

»Dieser Dickwanst hier zeigt mir jetzt mein Zimmer, und du wirst es dir merken. Denn es ist dasselbe Zimmer, in dem ich gegen elf Uhr auf dich warten werde.«

Um die Lippen des Mädchens zuckte es.

»Ich habe es immer gewußt, Sie sind ein schlechter Mensch. Nicht nur ein Feigling.« Damit rannte sie an ihm vorbei.

Der Manchester Man drehte sich um und rief ihr nach:

»Ich nehme das letzte Zimmer, Pat. Die Bude, aus der du eben gekommen bist. Elf Uhr! Vergiß es nicht, sonst wirst du es bereuen!«

*

Gegen Mitternacht schlug oben die Tür des letzten Zimmers krachend ins Schloß.

Der Wirt hörte den Engländer mit stampfenden Schritten den Gang durchqueren und dann in den Treppenflur kommen.

»Salooner!«

Wilkins hatte vor Angst den Atem angehalten.

»Salooner!« bellte der Manchester Man noch lauter.

»Ja…?« kam es zaghaft über die Lippen des Dicken.

»Komm her!«

Wilkins schob sich langsam hinter seiner Theke vor und kam an die Treppe.

»Wo ist sie?« donnerte der Brite ihm entgegen.

»Wer?«

»Frag nicht so dumm. Das Mädchen natürlich.«

»Miß Hellmers? Ich – weiß nicht, sie wohnt ja nicht hier im Haus…«

»Wo wohnt sie?«

»Bei ihren Eltern, schräg gegenüber, im Boardinghouse.«

Der Engländer stieß einen schrillen Pfiff aus, und gleich darauf schlugen oben noch zwei Türen.

Seine beiden Kumpane kamen herunter.

Hintereinander stampften die drei durch den Schankraum, auf den Vorbau und dann über die Straße.

Das kleine Boardinghouse Geigre Hamiltons lag im bleichen Mondschein. Es wirkte fahl und windschief.

Newtons wies auf die Tür.

»Wenn sie verschlossen ist, werfen wir sie ein.«

Die Tür war verschlossen, und die drei Männer warfen sich mit Berserkergewalt dagegen, bis sie nachgab und aufsprang.

Newton riß ein Zündholz an.

Ein winziger Lichtschein zuckte durch den engen Gang.

»Pat!« brüllte der Brite.

Oben ging eine Tür.

Dann blieb es still.

»Pat, ich weiß, daß du hier steckst! Komm raus, oder ich hole dich!«

Da wurden harte Schritte auf der Treppe hörbar.

Es war Ric Hellmers; er kam die Treppe herunter und blieb auf der vorletzten Stufe.

»Sie sind das, Newton! Was schreien Sie denn mitten in der Nacht hier herum?«

»Halt’s Maul, Alter. Schick das Mädchen runter, sonst geht’s euch alles schlecht.«

»Sind Sie etwa wahnsinnig geworden, Mensch?«

Newton brüllte in das Dunkel:

»Pat, komm runter, sonst knalle ich den Alten nieder!«

Da kamen rasche Schritte die Treppe herunter.

Es war Patricia, sie hatte eine kleine Kerosinlampe in der Hand und war völlig angekleidet.

»Mister Newton«, sagte sie mit rauher Stimme. »Sie sind nicht nur ein Dummkopf und ein Feigling, Sie sind auch ein Bandit. Und nun verschwinden Sie. Ich habe gewußt, daß sie kommen würden, deshalb habe ich einige Männer mit Waffen herbestellt!«

Das harte Knacken von Waffenhähnen war im Dunkel hinter ihr zu hören.

Jerry Newton machte sofort kehrt, aber an der Tür kläffte er wie ein wütender Köter:

»Das bezahlst du mir doppelt, verdammte Göre!«

Die Tür fiel hinter den dreien zu.

Nur der kleine Jim hatte auf der Treppe gestanden und nichts weiter getan, als zwei Gewehrhähne einer ungeladenen Schrotflinte gespannt.

Dann standen die Hellmers oben an den dunklen Fenstern und starrten mit vor Angst wildklopfendem Herzen auf die vom fahlen Mondlicht beleuchtete Mainstreet.

»Wir müssen weg!«

Es war der Vater, der die Stille mit diesen Worten unterbrochen hatte.

Ja, sie mußten weg.

Es gab hier in der Stadt keinen Sheriff und auch sonst niemanden, der sich für sie mit diesen Männern geschlagen hätte.

Mitten in der Nacht holten sie die Wagen in die Quergasse, spannten die Tiere davor, luden im Schweiße ihres Angesichts wortlos ihre Habe auf und zogen weiter.

Westwärts, in die Berge hinein.

*

Als Jerry Newton erwachte, war es neun Uhr. Er sprang hoch und ging sofort ans Fenster.

Drüben vorm Boardinghouse standen schon seit kurzer Zeit seine beiden Gefährten Bob Halling und Geo Lawrence.

Der Brite winkte ihnen zu. »Komme sofort!«

Nach zehn Minuten kam er.

»So, Boys, wir haben ohnehin noch Zeit, denn der Boß kommt sicher noch nicht. Da werden wir uns gleich einmal ein wenig mit diesem Pack hier beschäftigen…«

Das »Pack« war ausgeflogen.

Und Jerry Newton stieß wilde Flüche aus und hieb vor Zorn mit den Fäusten gegen die Wand.

»Los, Boys, holt die Pferde. Sie können noch nicht weit sein. Wir holen sie ein…«

Aber die Hellmers hatten schon ein großes Stück hinter sich gebracht.

Newton und die beiden anderen, die erst westwärts und dann südwärts geritten waren, gaben erst bei Einbruch der Dunkelheit die Suche

auf.

»Ich werde sie schon finden«, krächzte der Manchester Mann, aber er fand sie nicht, auch am darauffolgenden Morgen kamen die beiden Männer, auf die er gewartet hatte.

Frank O’Connor und Bred Barring.

Nach kurzer Beratung ritten die fünf Männer weiter, auf die Berge zu. Nicht in der Absicht, etwa noch die Hellmers zu suchen, sondern einem Befehl ihres Anführers zu folgen, den der krummbeinige einstige Cowboy O’Connor aus Denver mitgebracht hatte.

Unbewußt folgten Newton und die vier anderen nun den Auswanderern in die Berge hinauf.

*

Ric Hellmers hatte am Nachmittag des zweiten Tages durch einen Zufall in einem Seitental eine kleine Ansiedlung entdeckt. Die winzige Stadt Harris lag nicht ganz zwei Meilen von der Fahrstraße entfernt.

Drei Häuser auf der rechten Straßenseite, zwei auf der linken, einige Schuppen und eine kleine presbyterianische Kirche. Das war Harris, eine Stadt mit nicht einmal fünfzig Einwohnern.

»Weshalb bist du hierher gefahren, Onkel?« wollte Pat wissen. »Wenn es in Garfield keinen Sheriff gab, dann gibt es hier erst recht keinen.«

Hellmers nickte. »Ich weiß, aber wir können nicht weiterfahren, Pat. Erstens ist deiner Mutter todelend, du weißt, daß ihr die Sache mit New-ton einen bösen Schlag versetzt hat. Zweitens haben wir nicht genug Geld und auch nicht genug Proviant. Und, was das wichtigste ist, wenn uns

Newton folgt, dann können wir ihm da oben hinauf ganz sicher nicht entkommen. Wir sind nach Westen gefahren, Pat, immer nur nach Westen. Zwei Tote haben wir zurückgelassen. Dein Vater und ich hatten ausgemacht, daß wir nach Colorado fahren wollten. Wir sind in Colorado, Pat. Wo wollen wir noch hin? Unsere Fahrt wird ja ziellos und nie ein Ende haben, wenn wir nicht endlich irgendwo bleiben können. Hier, sieh dir das an. Hier sind die Wälder, von denen dein Vater geträumt hat. Hier wachsen die Bäume, aus denen Mike ein schönes großes Haus bauen wollte. Wir können nicht weiterziehen, Pat. Das ist ja kein Treck mehr. Das ist schon eine Flucht. Und wir haben keinen Grund, zu fliehen, Pat. Well, in Garfield sind wir vor Newton und den beiden Schießertypen geflüchtet, aber hier werden wir bleiben. Da unten, in diesen Häusern. Wir müssen einmal irgendwo bleiben.«

*

Joe McIntosh war weit über vierzig Jahre alt. Er hatte das kleine Bergtal vor einem Vierteljahrhundert entdeckt und sich hier angesiedelt. Er war ein gutmütiger Mann und hatte den anderen Familien, die vor neun Jahren hierher gekommen waren, geholfen, soweit es in seiner Macht stand.

Aber er war alt und müde geworden. Als jetzt jedoch Ric Hellmers mit verhärmtem Gesicht vor ihm stand, ihm mit unbeholfenen Worten seine Geschichte erzählt hatte und ihn um Hilfe bat, nickte der Alte und nagte an seiner Unterlippe.

»Ja, Hellmers. Wenn Ihnen der große Wyatt Earp geholfen hat, und wenn sich Doc Holliday mit auf den Weg gemacht hat, um Sie aus der Tinte zu holen, dann wird der alte McIntosh nicht schlecht genug sein, Ihnen die Hilfe zu versagen.«

Es schien so, als wäre die große Pechsträhne der Familie Hellmers, die eigentlich schon in Boston begonnen hatte, hier in der winzigen Bergstadt Harris endlich zu Ende.

Der alte McIntosh hatte ihnen in seinem eigenen Haus zwei Zimmer zur Verfügung gestellt, für die Zeit, bis ihr Haus, das sechste in der Stadt, stehen würde. Ja, er hatte sogar dafür gesorgt, daß sich die Männer aus den anderen Häusern mit um den Hausbau kümmern würden.

Und es fand sich auch ein Weg, den Lebensunterhalt der Familie zu bestreiten: Nur eine halbe Meile weiter nördlich hatte die Soladin-Overland-Linie eine Pferdewechselstation und ein Post Office errichtet. Der alte Postmaster, der die beiden Ämter versorgt hatte, war vor einem Monat gestorben.

In Harris gab es niemanden, der Interesse an dem Job gehabt hätte. Die Leute lebten vom Holz, das sie weit in die Städte schleppten, und wenn es auch ein hartes Brot war, so gedachten sie es doch nicht – nach fast einem Jahrzehnt – wieder aufzugeben.

Ric Hellmers bekam den Job unten in der Station, und die Familie hielt es so, daß immer zwei von ihnen auf der Station arbeiteten, während sich die anderen mit dem Hausbau befaß-

ten.

Das Geld, das die Linie für den Job bezahlte, war zwar nicht eben viel, aber es reichte doch immerhin, die Familie am Leben zu halten. So konnten sie in dem kleinen Store, den der alte McIntosh mit in seinem Haus hielt, Lebensmittel und alles andere kaufen und pendelten eigentlich nur noch zwischen der Station und Harris hin und her.

Schon nach drei Wochen war das Untergeschoß des nicht sehr großen Hauses fertig.

Fast schon hatten die Auswanderer über ihr fadendünnes neues Glück ein Großteil des Elends vergessen, das sie auf ihrem schweren Treck durch den Westen erlebt hatten.

Aber wie gesagt, es war nur ein fadendünnes Glück…

Es war an einem Mittag, kurz vor zwölf Uhr, als der kleine Jim auf einem der Postpferde in die Stadt geprescht kam, an der Baustelle absprang und keuchend auf den Vater zulief.

»Pat«, stammelte er. »Sie haben sie mitgenommen.«

»Wer?«

»Es waren zwei Männer. Einer davon war neulich mit Mister Newton in Garfield…«

Die beiden Tramps Geo Lawrence und Frank O’Connor waren zufällig auf die Station gekommen und hatten das Mädchen gesehen. Weil sie wußten, daß ihr Kumpan Newton damals so hinter der Kleinen hergewesen war, hatten sie sie kurzerhand gepackt, mit auf eins der Pferde genommen und waren mit ihr in westlicher Richtung verschwunden.

Der Junge hatte sie nicht bemerkt, da er hinter dem Corral in einem kleinen Schuppen gewesen war, wo er die Pferdegeschirre säuberte. Leider war auch an diesem Tag der Hund Berry nicht mit Pat und Jim unten auf der Station gewesen.

Richard Hellmers spürte sofort, daß das Schicksal wieder nach ihnen gegriffen hatte, daß er seiner fürchterlichen Pechsträhne immer noch nicht entronnen war. Er machte sich sofort mit zwei Männern von Harris auf die Suche. Aber als sie spät in der Nacht zurückkamen, brauchten sie gar nichts zu erklären.

Die leidgeprüften Frauen sahen ihren Gesichtern an, daß die Suche völlig erfolglos gewesen war.

Da zwang das Schicksal Richard Hellmers wieder auf den Trail, den er unbedingt hier in diesem stillen Bergtal hatte beenden wollen, denn schon wenige Tage später berichtete ihnen ein Trader, daß er an dem Central-Paß, in der Stadt Monarch, zwei Männer und eine Frau gesehen hätte, auf die die Beschreibung paßte, die Jimmy dem Mann gegeben hatte.

Betrübten Herzens und voller Sorge schieden die Auswanderer von McIntosh und dem kleinen Harris, das sie so freundlich aufgenommen hatte und in dem sie endlich eine neue Heimat zu finden gehofft hatten.

Aber die beiden Männer und die Frau, von denen die Trader gesprochen hatten, waren nicht mehr in Monarch. Ein Storebesitzer, der die drei ebenfalls gesehen haben wollte, wußte zu berichten, daß sie über den Paß weiter nach Westen gezogen wären.

In Allmont, Crawford und am nördlichsten Rand des Black Canyons hörten sie immer wieder von den dreien. Aber nirgends fanden sie eine echte Spur.

Und als sie schließlich eines Tages den Westrand Colorados erreicht hatten, wußte der alte Hellmers, daß sie einem Phantom nachjagten.

Aber trotzdem zog er weiter nach Utah hinein, um Pats Mutter wenigstens dadurch zu beruhigen, daß er immer wieder sagte:

»Wir sind ja immer noch hinter ihnen her, Leony. Und du hast ja gehört, daß sie noch vor uns ist.«

Es war ein sinnloser Treck, der sie nun schon über Tausende von Meilen quer durch die Staaten geführt, der sie drei Menschenleben gekostet und ihre Kräfte zermürbt hatte.

Es war an einem regenschweren Abend, als sie Black Rock erreich-ten.

Sie mußten bleiben, da Pats Mutter ein schweres Nervenfieber bekommen hatte.

Black Rock war eine düstere Stadt, aber vielleicht wirkte sie durch den grauschwarzen Himmel noch finsterer.

Als Ric Hellmers vom Bock herunterstieg und mit seine abgetragenen Stiefeln den sandigen Boden berührte, war ihm sterbenselend zumute.

Und ausgerechnet kam in diesem Augenblick aus einer Seitengasse auch noch ein Leichenzug. Fünfundzwanzig oder dreißig Menschen, die stumm und mit gesenkten Köpfen dem Karren mit dem Sarg folgten, den ein knochiger uralter Schimmel zog.

Mit zitternder Hand nahm der Engländer den Hut ab, krampfte die Hände in die Krempe und starrte wie mit blinden Augen in den Sand.

In Utah begrub man die Toten bei Einbruch der Dunkelheit.

»Wir müssen für Leony sofort ein Bett suchen«, mahnte ihn die Stimme seiner Frau.

Der Mann nickte. »Ich weiß.«

Und dann geschah etwas, das der alte Hellmers seit Harris fast in jeder Stadt erlebt hatte, in der sie hatten anhalten müssen.

Der kleine Jim sprang vom Wagen und verschwand im Dunkel der Vorbauten.

Als er zurückkam, sah ihm der Vater finster entgegen. Er hatte ihn bisher nicht gefragt, weil er zu sehr mit eigenen Sorgen belastet war, aber jetzt drängte sich ihm doch die Frage auf: Was hat der Junge nur, wenn wir in eine neue Stadt kommen?

»Wo warst du, Jim?«

Der Junge wischte sich über die Nase.

»Ich habe das Sheriffs Office gesucht.«

»Wozu?«

Jim druckste herum, bis er endlich mit der Wahrheit herauskam.

»Ich habe dem Trader in Harris einen Brief mitgegeben, den er weiterschicken sollte.«

»Einen Brief?«

»Ja.«

»An wen?«

»An Wyatt Earp, Vater.«

»An Wyatt Earp? Wozu denn das?«

»Ich habe ihm geschrieben, daß der Mann, der mit dem Mörder Onkel Freds zusammen war, Pat auf der Poststation hat wegholen lassen. Und ich habe ihm auch geschrieben, daß wir deswegen nicht in Colorado bleiben konnten.«

»Und? Was soll das? Glaubst du etwa, der Marshal könnte uns noch einmal helfen? Und wenn er durch die Luft fliegen könnte, hätte er siebenhundert Meilen zurückzulegen. Das sind gewiß fast tausend auf der Erde, Junge. Weshalb hast du mir es nicht gesagt? Ich hätte dir dann gleich erklärt, daß der Marshal Earp ganz andere Sorgen hat, als sich um einen kleinen Auswanderer-Treck zu kümmern, der aus den Schwierigkeiten offenbar nicht mehr herauskommt.«

»Ich weiß, Vater. Und weil er ein so großer und guter Sheriff ist, hat er ganz besonders viel zu tun, aber ich habe ihm trotzdem geschrieben, weil er doch gesagt hat, daß er uns alles Gute wünsche und daß Colorado ein so schönes Land sei…«

Der Alte rieb sich das stoppelige Kinn und legte seine Hand schwer auf die Schulter des Knaben.

»Du bist ein lieber Kerl, Jim, aber leider bist du ein Träumer. – Und was suchst du in den Sheriffs Offices, Jim?«

»Ich sage nur überall, wo wir vorbeikommen, Bescheid. Vielleicht hat der Marshal irgendwo einen Freund, der auch einen Stern trägt und dem er dann eine Nachricht schicken kann. Vielleicht hilft uns dann ein anderer Sheriff, Pat zu suchen.«

Kopfschüttelnd führte der Vater den beharrlichen Jim in die Unterkunft.

*

Der Zustand der Kranken verschlechterte sich von Tag zu Tag. Und Hellmers war schon davon überzeugt, daß sie in dieser Stadt wieder einen Toten zurücklassen würden.

Da glaubte er an einem Vormittag seinen Augen nicht trauen zu dürfen. Er stand im Hof des Boardinghouses und hackte für den Besitzer Holz.

Durch das halboffenstehende Hoftor konnte er auf die Straße sehen. Das Geräusch des Hufschlags mehrerer Pferde hatte ihn aufblicken lassen.

Weit vornübergebeugt, das Beil noch in der Hand, so stand er da und blickte auf die Reiter.

Es waren vier Männer. Und einer von ihnen war der Bandit, der mit Newton in Garfield gewesen war und kurz darauf auf der Poststation mit einem anderen Mann das Mädchen weggeschleppt hatte.

Hellmers ging wie im Tran vorwärts. Erreichte den Reiter, packte ihn mit der Linken an seinem Stiefel, riß ihn aus dem Steigbügel und zerrte den Banditen Geo Lawrence aus dem Sattel.

Völlig verdutzt saß der Tramp an der Erde und starrte ihn aus kleinen Rattenaugen an.

»He, verrückt geworden, Alter?«

Der in mehreren Staaten gesuchte Straßenräuber Frank O’Connor warf sich im Sattel herum und kreischte:

»Knall ihn doch ab, Geo!«

»Was dachtest du denn«, gab Law-rence belfernd zurück.

Und schon zuckte seine Rechte zum Colt.

Aber zu spät. Wie ein Donnerschlag traf ihn die Stumpfkante des Beils am Schädel.

Schwer betäubt sackte er hinten-über in den Straßenstaub.

Die anderen Tramps waren so verblüfft, daß sie Sekunden brauchten, um zu einem Entschluß zu kommen. Und als Frank O’Connor dann zum Revolver greifen wollte, dröhnte ihm von der anderen Seite die Baßstimme Sheriff Bakers entgegen.

»Hände weg von dem Revolver, Mann!«

Der Kopf des Tramps flog herum.

Drüben auf der Vorbaukante stand der hünenhafte Gesetzesmann und hatte ein doppelläufiges Schrotgewehr im Anschlag.

Die Tatsache vergessend, daß er allen Grund hatte, jedem Sheriff rasch den Rücken zu kehren, zeterte O’Connor:

»Dann kümmern Sie sich um den Mann hier, Sheriff. Er hat unseren Kameraden Geo Lawrence erschlagen.«

Geo Lawrence war zwar nicht tot, aber er lag mit einer klaffenden Stirnwunde im Hinterzimmer des Black Saloons, und Doc Foster machte ein bedenkliches Gesicht.

Der unselige Brite Ric Hellmers aber saß im Jail. Mit gesenktem Kopf hockte er auf der Kante seiner Pritsche und starrte in die Düsternis, die nur von einem winzigen Lichthimmel drüben aus dem Sheriffs-Office so weit erhellt wurde, daß Hellmers die Konturen der Gitterstäbe seiner Zelle erkennen konnte.

Die Erklärung des Auswanderers, Lawrence wäre einer der beiden Banditen, die seine Nichte Patricia aus der Poststation bei Harris verschleppt hatten, veranlaßte den Sheriff, der die »lästigen Auswanderer« ohnehin nicht schätzte, nur zu einer abweisenden Handbewegung.

»Vielleicht können Sie es später dem Richter sagen, Hellmers. Aber das sage ich Ihnen: Wenn der Bursche stirbt, kommen Sie an den Galgen.«

*

Nach dem kurzen Wortwechsel mit dem Sheriff hatte Frank O’Connor rasch dafür gesorgt, daß er aus dem Blickfeld des Gesetzesmannes kam.

Er beauftragte Bob Hallinger und Bred Barring, den Schwerverletzten in den Saloon zu bringen, dessen Besitzer offenbar mit ihm bekannt war.

Dann zogen sich O’Connor und die anderen zurück, denn der Wirt selbst hatte sich erboten, den Arzt zu holen.

Am darauffolgenden Morgen kam Newton mit einem weiteren Mann. Der Engländer hatte sich zu einem hundertprozentigen Tramp entwickelt; und dennoch versuchte er gewaltsam, besser zu wirken als seine Komplicen.

Er rasierte sich nach Möglichkeit täglich, wechselte seine Hemden öfter als die anderen und drückte sich vor allem gewählter aus als sie.

Dennoch war er ihresgleichen; ein Tramp, ein Landstreicher, ein echter Bandit.

Schon in Kansas City hatte er seinen Mann gefunden.

Und dieser Mann war der texanische Desperado William Huxley Brockton – der schnauzbärtige Hüne, der in Kansas City vor dem Beverly Saloon den Vater Pats rücksichtslos erschossen hatte.

Der charakterlose gelbgesichtige Newton war dem Riesen in die Schenke gefolgt und hatte einen Drink ausgegeben.

Das war seit eh und je der beste Weg, Freundschaften zu schließen.

Der nicht ungebildete Brite (soweit man dies von einem Menschen wie Newton überhaupt sagen konnte!) kam Brockton wie gerufen. Er war dabei, eine Bande auf die Beine zu stellen. Eine Crew »handfester« Leute, die rasch mit dem Revolver waren und ihm in kürzester Zeit zu mehr Geld verhelfen könnten, als er es allein je gekonnt hätte.

So war der britische Auswanderer Jerry Newton in der Neuen Welt das geworden, was er schon drüben in Europa gewesen war: ein Mensch, der auf der schiefen Bahn wandelte.

Sie hatten in Zacaria eine Bank überfallen und waren in Gemmore West mit anderen Banditen in eine Schießerei mit Soldaten des Fort verwickelt worden, weil sie da ebenfalls eine Bank hatten ausrauben wol-

len.

Sie mußten sich von Hunterville scharf westlich absetzen, da sie fünf Meilen vor der Stadt eine Overland angefallen hatten, einer von ihnen, Jake Labender, aber von einem der Wageninsassen erkannt worden war.

Sie wandten sich westlich.

Und westlich lag Kansas.

Bei Abilene fielen sie wieder eine Overland an, beraubten drei Passagiere und erleichterten sie um siebenhundert Dollar.

Ungefähr eununddreißig Meilen von Dodge City geriet die Bande mit dem Sheriff von Radice in eine Schießerei. Es war draußen in der Savanne. Der Gesetzesmann, der einen der Banditen erkannt hatte, war jedoch nur von zweien seiner Leute begleitet und mußte den Kampf aufgeben. Er floh.

Dafür aber kam O’Connor, den Brockton häufig als Kundschafter vorausschickte, mit der Botschaft: Wyatt Earp ist in der Nähe. Er soll in Cloosters gewesen sein!

Das war allerdings eine Nachricht, die den Texaner veranlaßte, schleunigst mit seinen Leuten das Weite zu suchen.

Sie verließen Kansas und ritten hinüber nach Colorado. Dem geheimnisvollen, ja rätselhaften Trieb folgend, der die Menschen, die einmal den Mississippi überschritten hatten,weiter westwärts führte.

In Colorado suchte Bill Huxley Brockton den großen Coup seines Lebens zu landen: Er fiel am hellichten Tag in Denver die Western-Union-Bank an.

Mit sieben Leuten.

Leo Daniels, der aus dem fernen Österreich stammende siebenunddreißigjährige dunkelhäutige Bandit, hatte dabei auf den Stufen des Bankhauses sein Leben lassen müssen.

Die Kugel Sheriff Hattaways hatte ihn niedergestreckt.

Die anderen waren alle entkommen.

Aber der mißtrauische und vorsichtige Huxley Brockton zerstreute seine Leute.

O’Connor allein blieb als Bote in seiner Nähe, die anderen wurden in alle Himmelsrichtungen geschickt, das heißt, nie östlich. Der große Treck nach Westen blieb.

So war Jerry Newton, der in die Neue Welt gezogen war, um ein Verbrecher zu werden, mit Geo Law-

rence und Bob Hallinger nach Garfield gekommen.

Brockton steuerte seine Leute aus sicherer Entfernung weiter über die hohen Mountains, ritt selber aber immer allein und hatte sich entschlossen, erst in Black Rock (ausgerechnet dort!) mit den anderen wieder zusammenzutreffen.

O’Connor, Lawrence und die anderen hatten sich in unmittelbarer Nähe der Stadt getroffen.

Newton kam anderntags.

Und jetzt war er da und erfuhr von den anderen die Sache mit Law-rence und einem gewissen Hellmers.

Hellmers!

Der Name schlug bei dem Briten wie ein Geschoß ein.

Er ging ins Sheriffs Office und verlangte, den »Totschläger« zu sehen.

Der Sheriff, der natürlich längst bemerkt hatte, daß O’Connor und Lawrence nicht allein gekommen waren, daß im Gegenteil eine Reihe wenig vertrauenerweckender Figuren in der Stadt aufgetaucht waren, fragte nur:

Sind Sie ein Freund von ihm oder von Lawrence?«

»Ich gehöre zu Lawrence. Und…«

»Ich kann niemand zu ihm lassen, Mister. Wenn Sie zu Lawrence und O’Connor…«

Er brach ab und hüstelte erschrocken. Jetzt hatte er also verraten, daß er den steckbrieflich gesuchten Banditen Frank O’Connor erkannt hatte.

Er hatte ihn erkannt! – und nichts gegen ihn unternommen!

Newton, der die »Visitenkarten« seiner Kumpane alle kannte, wußte die Situation gleich auszunutzen.

»Ich sehe, daß Sie en vernünftiger Bursche sind, Sheriff. Vorwärts, lassen Sie mich einen Blick auf das Gesicht dieses Halunken werfen.«

Der Gesetzesmann war feuerrot geworden vor Ärger und Scham.

»Nein«, stieß er dann heiser hervor.

Am nächsten Morgen lag er tot im Hof, hinter seinem Haus. Ein heimtückischer Messerstich hatte seinem Leben ein Ende gemacht.

Frank O’Connor duldete es nicht, einen Sheriff in seiner Nähe zu wissen, der sein Geheimnis kannte:

Aber immer noch nicht hatte New-ton den Mann im Jail gesehen.

Der Sheriff hatte nämlich den Schlüssel an einem geheimen Ort verborgen.

Mayor Fonda und ein Schlosser öffneten gegen elf Uhr gewaltsam die Türen zum Jail.

Hellmers bekam Kaffee und Brot gebracht.

Und der Mayor verkündete ihm, daß der Sheriff ermordet worden wäre.

»Das haben Ihre Freunde reichlich ungeschickt angefangen, Hellmers!« sagte er drohend.

»Freunde!« knurrte der alte Mann heiser. »Ich habe keine Freunde, Mayor.«

»Das wird sich herausstellen! Jedenfalls verschlimmert der Mord an Sheriff Bakers Ihre Lage erheblich!«

Kurz nach Mittag schickte New-ton, der Hellmers Frau an einem Fenster gesehen hatte und also jetzt seine Befürchtung bestätigt fand, zusammen mit O’Connor und zwei anderen Bandenmitgliedern eine Aufforderung an den Mayor, den Gefangenen auszuliefern. Andernfalls werde man den »Verbrecher« aus dem Jail holen, um ihn seiner verdammten Strafe zuzuführen.

Auf den Richter zu warten, wäre Zeitverschwendung.

Der Mayor ahnte mittlerweile auch, was sich da zusammenballte.

Der unselige Mann im Jail hatte das Pech gehabt, mit einer richtigen Bande zusammengeraten zu sein.

Das war sein sicherer Tod.

Ihn da noch schützen zu wollen, wäre nach Ansicht des Mayors völlig sinnlos gewesen.

Dennoch schützte er vor, den Bürgerrat einberufen zu müssen, und das könnte erst gegen Abend geschehen, da die Männer schließlich ihren Beschäftigungen nachgingen.

Nachdem der Sheriff ausgeschaltet war, machten die Tramps absolut kein Hehl mehr daraus, daß sie zusammengehörten. Sie standen und lungerten auf den Vorbauten herum, kauerten auf den Treppen und schaukelten auf den sich bis zum Knacken durchbiegenden langen Zügelholmen.

Der Mayor sah es – wie es jeder andere in der Stadt sah.

Es waren jetzt insgesamt sieben Leute, den verletzten Lawrence nicht mit eingerechnet.

Jim hielt sich meistens im Hof auf und linste durch die Ritzen zwischen den Zaunbrettern auf die Straße.

Seine Mutter mußte sich unentwegt um die kranke Schwägerin kümmern.

Das Elend der Hellmers aus South-ampton hatte seinen tiefsten Punkt erreicht.

Dem Mann drüben im Jail stand der Tod durch den Strang bevor.

Die Outlaws wollten ihn lynchen.

Und was geschah mit den beiden Frauen und dem Jungen? Mit dem zusammengeschmolzenen Rest der einst siebenköpfigen beiden Familien?

Wußten sie nicht auch, daß Geo Lawrence einer der beiden Männer war, die Patricia Hellmers entführt hatten?

Well, der Alte war sofort abgeführt worden und hatte mit niemandem sprechen können. Dennoch, war es nicht möglich, daß die anderen drei Hellmers Lawrence ebensogut als Entführer bezichtigen konnten?

Die Banditen wußten schließlich nicht, wer von ihnen alles die Entführung beobachtet hatte.

Jerry Newton hatte sich nur abends draußen aufgehalten, da er sich hütete, von den anderen Hellmers gesehen zu werden. Er hatte jedoch das Pech, im Nebenhof von Jim durch eine winzige Ritze im Zaun entdeckt zu werden.

Der Junge behielt diese Entdeckung für sich.

Am Abend schon hatte er Vaters Winchester vom Wagen geholt und durchgeladen. Obgleich er den Eltern hatte versprechen müssen, nie wieder diese furchtbare Waffe, mit der er ja im Hof des Farmers Conally ein Menschenleben ausgelöscht hatte, anzufassen.

Er hatte das Gewehr ständig griffbereit in der Hofecke stehen.

Wenn Jerry Newton auf den Gedanken gekommen wäre, den Hof zu betreten, um der Mutter oder Tante Leony etwas anzutun, hätte er ihn nicht lebend durchmessen.

Und an diesem späten Nachmittag geschah es dann.

Es ging Schlag auf Schlag, so schnell, daß selbst die Beteiligten es kaum in seiner ganzen elementaren Wucht zu erfassen vermochten.

Jim stand wieder vorn am Tor und lugte durch die Ritze.

Plötzlich glaubte er, sein Herz müßte stehenbleiben.

Von Osten her war ein Reiter gekommen.

Ein sehr großer schwerer Mann mit einem gewaltigen Schnauzbart und einem wilden Gesicht.

Jimmy Hellmers hätte diesen Mann noch nach hundert Jahren erkannt.

Es war der Mann, der seinen Onkel Fred damals drüben in Kansas City erschossen hatte! Der Mike geschlagen hatte und mit dem Mister New-ton dann in den Saloon gegangen war!

Jims rechtes Auge begann zu brennen, er wechselte auf das linke über.

Aber das Bild blieb.

Der Bandenchief William Huxley Brockton war in die Stadt gekommen.

Und bereits eine halbe Stunde nach seiner Ankunft war er beim Mayor.

Er verlangte »persönlich« die Auslieferung des Mannes, der seinen Freund Lawrence so zugerichtet hatte.

Der Mayor war schweißgebadet und nickte.

»Well, Mister – der Richter würde nichts anderes mit Hellmers tun – ich meine – also…«

»Reden Sie nicht. Vorwärts, nehmen Sie den Schlüssel, und führen Sie mich zum Jail.«

Als die beiden aus dem Haus des Mayors kamen, standen sie alle auf der Straße.

Hallinger, Barring, Lagercy, Melbert, Johnson, Vexer und sogar Frank O’Connor hatten den Nerv, sich auf die dem Jail gegenüberliegende Vorbautreppe zu setzen.

Nur Newton hielt sich in einer Türnische auf.

Die anderen standen nebeneinander und sahen gespannt dem Major und ihrem Boß entgegen.

*

Jim wußte, was geschehen sollte. Zu laut hatten sich die Tramps über alles unterhalten.

Er spannte die kleinen Fäuste um das schwere Gewehr – und wußte plötzlich, daß er es nie richtig zum Schießen heben konnte.

Ja, damals auf dem Wagen hatte er es über den Kutschbock schieben und auflegen können.

Aber jetzt…!

Da, das Astloch! Es war groß genug für die Winchesterröhren – und sogar noch groß genug, daß Jim einen genauen Blick über Kimme und Korn auf die Straße hatte.

Kurz entschlossen führte er die Mündung zur Waffe durch das Loch im Bretterzaun.

Dann wartete er.

Als Brockton und der Mayor die Straßenmitte erreicht hatten, trat drüben aus dem Sheriff Office ein Mann.

Fast wäre dem Jungen drüben bei seinem Anblick die Büchse aus dem Loch gerutscht.

Der Mann war groß, breitschultrig, hatte ein dunkles Gesicht und stahlharte blaue Augen. Sein Hemd war weiß, und links auf seiner schwarzen Weste blinkte ein Sheriffstern.

In jeder Faust hielt er einen großen fünfundvierziger Revolver.

Wyatt Earp!

In Jimmys Brust brannte ein glühendes Feuer – und Tränen traten in seine Augen.

»Wyatt Earp!« kam es lautlos über seine bebenden Lippen. »Wyatt Earp ist da! Er ist gekommen! Ich träume es nicht. Er steht tatsächlich da drüben vorm Sheriffs-Office…«

Und wie er dastand!

Wie eine Statue aus Erz.

Brocktons Fuß stockte zuerst.

Dann blieb auch der Mayor stehen.

Die Banditen, die drüben, etwa neun Yard entfernt, standen, rührten sich nicht. Der Anblick des Mannes da oben schien ihnen den Atem verschlagen zu haben.

Brockton faßte sich zuerst. Mit hochgeworfenem Kopf brüllte er:

»Was soll das denn, Mann?«

Wyatt Earp blickte den Mayor an. »Wohin wollen Sie diesen Menschen da führen, Mister Brown?«

Der Bürgermeister schluckte und glaubte, daß die Menschen, die jetzt todsicher hinter den Gardinen lauerten, das Zittern seiner Knie durch die Hosenbeine sehen müßten.

Was hat er getan? Er hatte der drohenden Gefahr ausweichen wollen und war in eine viel größere gelau-fen.

Wie hatte er auch ahnen können, daß dieser britische Auswanderer noch Freunde hatte, dieser kränklich aussehende alte Mann!

Und nicht irgendwelche Freunde!

Er war ein Sheriff. Und die Manier, wie er aufgetaucht war, wie er dastand und wie er sprach, verfehlte ihren Eindruck auch nicht auf diesen einfältigen, viel zu weichlichen Mann.

Brockton spürte wohl auch, daß die Sache irgendwie nicht ganz glatt gehen würde und daß dieser Mann da mit den harten Augen und der metallenen, schneidenden Stimme keine Strohpuppe war, aber in diesem entscheidenden Augenblick seines Lebens versagte seine sonstige Vorsicht.

»He, Brother, was wollen Sie? Und vor allem, was fällt Ihnen ein, uns hier den Weg zu versperren! Wer sind Sie denn, Mann…?«

»Mein Name ist Wyatt Earp!«

In der Seele des kleinen Jimmy Hellmers brannte das Feuer noch lodernder.

Wie sie jetzt dastanden, die großmäuligen Burschen! Wehe, wenn einer von ihnen es gewagt hätte, heimlich zum Colt zu greifen, um einen unfairen Schuß anzubringen!

Jim hätte ihn angerufen und dann den Stecher durchgezogen!

Weil er ganz genau wußte, daß sein und vor allem seines Vaters Geschick einzig noch in den Händen des Marshals lag.

Glücklicherweise waren es starke Hände!

Und schnelle Hände! Die schnellsten, die Jim Hellmers jemals gesehen hatte!

Brockton, der in Kansas wegen Wyatt Earp geflohen war, glaubte nicht recht gehört zu haben.

»Wyatt Earp?« krächzte er. »Mann – Sie erlauben sich da einen ziemlich üblen Scherz!«

Frank O’Connor war blaß geworden, als er den Namen des Mannes da oben gehört hatte.

Er ist meinethalben hier! schoß es durch den Schädel des Verbrechers.

Groß genug war schließlich das Schuldkonto, das er bisher allerdings ohne jede Reue mit sich herumgetragen hatte.

Er ist nur meinetwegen hier! Die fünfhundert Bucks will er sich verdienen, die auf meinen Kopf ausgesetzt sind.

Der Bandit Frank Joshua O’Connor dachte jedoch nicht daran, hier in Black Rock seine Freiheit oder gar sein Leben zu verlieren.

Eher würde dieser höllische Earp da sterben!

Nicht zu rasch handeln! sagte er sich. Nicht unruhig werden! Gegen einen solchen Mann muß man eiskalt bleiben, wenn man nicht todsicher untergehen wollte.

Man mußte abwarten können. Den richtigen Augenblick abpassen, um dann blitzschnell zuzuschlagen.

Frank O’Connor hätte sich wahrscheinlich sehr gewundert, wenn ihm jetzt einer gesagt hätte, daß der Marshal Earp ihn nicht kannte. Daß er nie von ihm gehört hatte und also auch nichts von seinem Steckbrief wuß-

te.

Auch ein Gesetzesmann wie Wyatt Earp konnte nicht jeden Banditen und jeden Steckbrief kennen.

O’Connor hielt sich bereit. Vielleicht war er nie in seinem Leben so eiskalt und ruhig gewesen.

Ich treffe ihn! Ich treffe ihn tödlich! Mit dem ersten Schuß!

Nur diese Gedanken waren in seinem Hirn.

Noch aber war Brockton an der Reihe. So sehr der rücksichtslose Bandit seit Jahren gefürchtet hatte, einmal dem berühmten Marshal zu begegnen – jetzt war er unbesonnener, als es selbst seine Männer begriffen.

»Selbst wenn Sie Wyatt Earp wären, Mann – was haben Sie sich hier einzumischen? Verschwinden Sie! – Es muß vor allem erst bewiesen werden, daß Sie wirklich Wyatt Earp sind!«

Welch ein Irrsinn! dachte Newton, der in sicherer Deckung stand, die Tür bereits lautlos hinter sich geöffnet hatte, um notalls im Bruchteil einer Sekunde verschwunden zu sein.

Der untersetzte Montana Man Bred Barring hatte ähnliche Gedanken wie sein Kumpan O’Connor: Er ist meinetwegen hier! Er ist hinter die Sache in Silverstone gekommen!

In der Grenzstadt Silverstone hatte der Verbrecher Bredley Jammeson Barring vor einem Dreivierteljahr am Spieltisch in der verräucherten Schenke des Holländers Frederic van Rijn den kleinen Cowboy Mort Atray erschossen.

Ohne Anruf!

Es war ein Mord gewesen.

Barring hatte sich aus der Stadt retten können und war immer weiter südlich geflohen, später südöstlich, bis er in Kansas City auf Brockton stieß.

Barring war kein so schneller Schütze wie Frank O’Connor, und dennoch nahm er sich vor, zu kämpfen. Er würde sich diesem höllischen Sternträger nicht kampflos ergeben.

Er mußte den schnellsten Schuß seines Leben abfeuern!

Aber wie gesagt: Zuerst war Brockton dran, und er machte seine Sache schlechter, als der schlechteste seiner Männer sie gemacht hätte.

Er brüllte, er schimpfte, er reizte den Marshal und war tatsächlich einfältig genug, jetzt auch noch zu prahlen:

»Wir sind schon mit ganz anderen Burschen fertig geworden! Frank! He, Frank! Was hältst du davon?«

Frank O’Connor war unansprechbar. Er hatte gar nicht gehört, daß er überhaupt gerufen worden war. Er konzentrierte sich nur auf den einen Punkt: Ich muß schneller sein und ihn mit dem ersten Schuß töten!

»Frank!« Brockton warf den Kopf zu O’Connor herum. »Was meinst du dazu, Frank, he?«

Er hätte diese Frage noch dreimal stellen können: O’Connor hörte nichts.

Er sah nur drüben auf der Vorbaukante den Marshal stehen.

Und er war überzeugt, daß er vor dem heißesten Augenblick seines Lebens stand.

Brockton hatte seine erste Runde verloren.

Und schon machte er den zweiten Fehler.

»Barring, Frank scheint zu schlafen. Ich glaubte, du erledigst die Sache hier, wie?«

Aber auch Bredley Barring hörte nichts. Der Schweiß rann ihm vom Gesicht her in breiten Bächen über den Rücken – bis in die Stiefel hinunter.

Damned, ich komme nicht gegen den Marshal auf! Er ist zu schnell. Ich darf es nicht auf einen fairen Kampf ankommen lassen.

Ich muß ihn überfallen, anspringen mit einer Kugel.

Und gleich die zweite hinterherjagen!

Brockton hatte noch nicht begriffen, daß er sich in einer schwarzen Stunde befand.

»Well, Bob!« rief er Hallinger zu. »Bring du das ins Lot, Boy!«

Der riesige Hallinger griff sich an den Schädel und knurrte dumm:

»Was meinst du, Brockton?«

Der Bandenführer stieß einen Fluch aus.

»Wo ist Newton?« brüllte er.

Nicht ganz eine Sekunde vorher hatte sich drüben die Tür geschlossen.

Der Manchester Mann stand in einem dunklen Flur, tastete sich durch den Gang weiter an der Wand entlang und stieß plötzlich gegen einen menschlichen Körper.

Dann erhielt er einen Schlag, der jedoch nur seine Schädelkante streifte, war aber so benommen, daß er auf die andere Flurseite zutorkelte.

»Habe ich dich endlich, Bandit!«

Newton mußte einen zweiten Schlag einstecken, der ihn allerdings nur an der Schulter traf.

»Ihr seid alle Banditen! Ich habe es sofort gewußt. Brockton, dieser Dreckskerl, ist euer Boß. Ich kenne ihn. Er hat vor zwei Jahren unten in Hyanney meinen Bruder niedergeknallt. Komm nur, Halunke…!«

Der fünfzigjährige Joe Brassat hätte um ein Haar den Engländer knock out geschlagen.

Aber es war sein Pech, daß der erste Schlag nicht gut getroffen hatte.

Newton senkte den Kopf und rannte auf den Gegner zu.

Brassat taumelte zurück, schlug so hart mit dem Kopf gegen die Wand, daß er betäubt war und in die Knie ging.

Jerry Newton nutzte dies sofort zur Flucht.

Er kam in den Hof und machte sich ungesehen davon.

Draußen auf der Mainstreet war die Luft zum Schneiden dick geworden, obgleich kaum anderthalb Minuten seit dem Auftauchen des Marshals vergangen waren.

Brockton brüllte Hallinger an:

»Vorwärts, Bob, wirf den Waffengurt ab und mach das Großmaul da oben fertig!«

Mit diesem faulen Trick hatte die Bande schon manchen schnellen Mann ausgeschaltet.

Denn wer das Angebot eines Faustkampfes ausschlug, mußte einen triftigen Grund haben, wenn er nicht für einen Feigling gehalten werden sollte.

»Er ist ein Großmaul, Bob. Wirf den Gurt ab, und er soll auf die Straße kommen.«

Wyatt Earp hatte mit so etwas gerechnet. Er kannte die zahlreichen Tricks der Verbrecher zu genau.

»Well«, entgegnete er, ließ zu Jim Hellmers Schrecken die beiden Revolver in den Halftern verschwinden und schnallte seinen Waffengurt auf.

Niemand hätte in diesem Augenblick daran gedacht, daß es trotz allem Brockton sein würde, dessen Geschick sich zuerst erfüllte.

Kaum hatte der Marshal den Gurt gelöst, als Brocktons Rechte zum Colt flog.

»Zieh, Earp!« schrie er geifernd.

Da fauchte ihm der Schuß schon von der linken Hand entgegen.

Zu sehr hatte der Bandit auf die Rechte des Marshals geachtet, die sich tatsächlich mit dem Öffnen der Schnalle befaßt hatte; aber seine Linke hatte er nur oberflächlich mit der gleichen Arbeit beschäftigt. Gedankenschnell war sie zum Revolver geflogen.

William Huxley Brockton fiel hintenüber.

Wyatt Earp hatte ihn mit einem scharfen Streifschuß an der Stirn getroffen.

Der Bandenführer war ausgeschaltet. Er lag ohnmächtig im Straßenstaub.

Das ist meine Chance! brach sich ein neuer Gedanke im Schädel Frank O’Connors Bahn. Ich muß jetzt Halliner auf ihn hetzen.

»Nicht kneifen, Earp!« rief er mit nicht ganz fester Stimme. »Bob, du hast den Waffengurt abgelegt. Und Sie, Earp? Haben Sie etwa Angst vor Bobby?«

Wyatt Earp nahm den Gurt jetzt ab.

Ein Triumphgefühl erfüllte den Verbrecher O’Connor. Jetzt bin ich gerettet. Denn entweder Hallinger haut ihn um oder meine Kugel.

Er ist in jedem Fall am Boden!

Bred Barring dachte nicht ganz so schnell, aber er dachte das gleiche.

Wyatt Earp trat auf die Straße.

Der kleine Jim drüben schnappte nach Luft wie ein Karpfen, der aufs Trockene geraten war.

Plötzlich zuckte der Junge zusammen. Der Gewehrlauf war mit einem kleinen Ruck zurückgeschoben worden und sank auf den Boden.

Gleich darauf wurde das Hoftor um einen Spalt geöffnet, und Jim sah zu seiner namenlosen Verblüffung Doc Holliday vor sich.

»Wie war das Jim – du wolltest doch kein Gewehr mehr anfassen?« flüsterte ihm der Spieler zu und verschwand dann wieder.

Jimmy ließ das Gewehr hinfallen und rannte ins Haus.

»Mutter!«

Die Frauen standen beide am Fenster; die Kranke hatte sich erhoben, als sie die Stimme des Dodger Marshals gehört hatte.

»Sei still, Jim«, mahnte die Mutter den Jungen.

»Doc Holliday ist da!«

»Doc Holliday? Es ist Wyatt Earp, Jimmy…«

»Ja, aber Doc Holliday ist auch da!«

Inzwischen standen sich Hallinger und der Marshal gegenüber.

Der Tramp Robert Hallinger war ebenso groß wie der Missourier, schien aber erheblich schwerer zu sein. Er hatte sich die Ärmel hochgekrempelt und zeigte jetzt ein gewaltiges Muskelpaar. Wie dicke Schnüre umspannten die Muskelstränge die Arme des Outlaws.

»Come on, Man!« rief er Wyatt mit röhrender Stimme zu.

Der Missourier blieb mitten auf der Straße stehen. Er war hochgewachsen und sehnig. Seine Schultern waren sehr breit und seine Hüften sehr schmal; er hatte die ideale Figur eines Athleten.

Hallingers Stirn war niedrig, flach und fliehend. Das wellige, schmutzige braune Haar wucherte ihm bis auf anderthalb Inches an die Nasenwurzel heran. Viel zu weit standen seine farblosen Augen auseinander. Die Nase war breit und kurz. Auch das Kinn war breit, vorgeschoben und machte fast die Hälfte des Gesichtes aus.

Dann stampfte er auf den Marshal zu, duckte den Kopf nieder und hob die Arme mit den geballten Fäusten.

Es war ein gewaltiger, weithergeholter Schwinger, den er dem Gegner entgegenschickte.

Wyatt pendelte ihn mit einer blitzschnellen Crouchbewegung aus, ließ auch den nachfolgenden linken Schwinger passieren und wuchtete dann einen knallharten rechten Haken in die kurzen Rippen des Tramps, der diesen zurückwarf.

Hallinger schnappte gewaltig nach Luft, kam dann aber röhrend wie ein verletzter Grisly wieder heran.

Wyatt stieß ihn mit einer langen Linken zurück.

»Noch nicht genug, Bob?«

»Genug? Mensch, ich zerquetsche dich jetzt!« Wild schwingend kam der Outlaw erneut heran.

Es war eine kaum sichtbare Bewegung, die tief aus der linken Hüfte des Missouriers kam, sich blitzschnell durch seinen Rumpf fortsetzte und seinen Arm hochfliegen ließ. Krachend traf der schwere Uppercut den Kinnwinkel des Banditen.

Bob Hallinger kippte langsam über die Absatzkanten nach hinten auf die Straße.

Wie erstarrt waren die Männer; niemand von ihnen hätte es für möglich gehalten, daß der bärenstarke und keineswegs etwa langsame Bob Hallinger so schnell von den Beinen zu bringen gewesen wäre.

Frank O’Connor schaltete zuerst.

Ich muß handeln, schoß es ihm durch den Kopf. Sofort. Schließlich war Brockton ausgeschaltet und

Newton verschwunden. Es gab niemanden mehr, dessen Fight mit einem höllischen Marshal er noch abwarten konnte.

Seine Hand zuckte zum Colt.

»Nicht doch, Frank!« kam da Doc Hollidays Stimme klirrend von hinten an ihn heran.

O’Connor stand steif vor Schreck da. Erst nach drei Sekunden vermochte er sich umzudrehen.

Auf dem Vorbau des Saloons sah er einen Mann an einem Vorbaupfeiler lehnen, der eine Zigarette zwischen den Lippen hielt und ihn aus kalten eisblauen Augen fixierte.

Zounds, wie war der Fremde denn gekleidet? Wie sich die Männer drüben am Rand des Westens, in den großen Städten kleideten, elegant, mit einem langschößigen schwarzen Rock, mit schwarzer Hose und weißem Hemd. Seine schwarze Samtschleife war sauber gebunden.

Was fiel diesem Kerl denn ein?!

»He, Mann, sind Sie verrückt!« bellte O’Connor den Gambler an. »Was mischen Sie sich denn hier in so scharfe Geschäfte, Mensch! Verschwinden Sie schnell, sonst…«

Der Fremde hatte seine Rockschöße zurückgenommen und strich sich über seine giftgrünschillernde Weste. Dabei war der breite Waffengurt und das mit elfenbeinernen Knäufen beschlagene Revolverpaar zu sehen.

O’Connor, der sonst so gerissene und wache Frank O’Connor stockte zwar einen Augenblick, aber er begriff nicht.

»Wer sind Sie, Mann? Tragen Sie Ihre schönen Schießeisen lieber dahin zurück, wo Sie sie hergeholt haben. Es ist verdammt gefährlich, mit solchen Kanonen hier herumzulaufen.«

Und nun wandte sich O’Connor rasch um, weil er den Marshal daran hindern wollte, den Waffengurt wieder anzulegen.

Um sich behaupten zu können, mußte er unfair handeln. Und im Grunde war er nie etwas anderes gewesen.

Er griff nach dem Colt und zog ihn aus dem Halfter.

Da peitschte vom Saloonvorbau ein Geschoß heran und stieß ihm die Waffe aus der Hand.

O’Connor warf sich herum, starrte den Fremden an, der den Revolver längst wieder im Halfter hatte, und geiferte:

»Hast du da eben etwa – geschossen – Mann?«

Holliday schob die Zigarette mit Lippenbewegungen vom rechten Mundwinkel in den linken und entgegnete:

»Wenn ich die Pulverwolke hier vor mir so betrachte, Frank, könnte ich fast annehmen, daß ich eben geschossen habe.«

»Du könntest – annehmen.«

»Yeah.«

Da wischte sich O’Connor über den Mund.

»Junge, du mußt geisteskrank sein. Hier ist es ernst, hier werden Männersachen ausgetragen. Verschwinde, oder ich harke dich auseinander.«

Holliday maß ihn kühl.

»Wie wollten Sie das anstellen, Frank?«

»Wie…!«

»Yeah, wie!«

Da stieß Tramp die Linke zu dem zweiten Revolver – und mußte erleben, daß ihm auch diese Waffe aus der Hand geschossen wurde.

Diesmal allerdings behielt der Spieler den Colt in der Faust.

Bredley Barring hatte erst recht nicht verstanden, was sein Kumpan O’Connor nicht zu begreifen vermochte. Er riß mit einer raschen Bewegung den Colt hoch – und der dritte Schuß des Georgiers stieß auch ihm wie mit Geisterhand die Waffe aus der Faust.

Mit weit offenem Mund stand O’Connor da und starrte den Fremden an wie ein Gespenst.

Barring war rasend vor Wut und wollte den zweiten Revolver ziehen.

»Laß die Bleispritze stecken, Amigo!« rief Holliday ihm zu. »Ich muß ab jetzt sparsamer mit meiner Munition sein und genauer treffen.«

Barring begriff nichts. Er warf sich zur Seite und riskierte den Fallwurf (ein Niederwerfen, währenddessen geschossen wird) und brüllte auf vor Wut und Schmerz, als Hollidays Kugel ihn ins Handgelenk traf.

Der Gambler nahm den anderen Revolver aus dem Halfter und stieß ihn nach vorn, weil er bemerkt hatte, daß Johnson und Melbat ebenfalls ihre Waffen ziehen wollten.

In diesem Augenblick erst hatte Frank O’Connor begriffen. Jetzt wußte er, wer der elegante Fremde war und wußte auch, daß die Schießproben, die er geboten hatte, keineswegs Sonntagsschüsse gewesen waren.

Dieser Mann war niemand anders als Doc Holliday.

Hölle! Wie hatte er das nur übersehen können!

Wyatt hatte inzwischen seinen Waffengurt wieder umgeschnallt und blickte den Mayor an.

»Holen Sie den Gefangenen aus dem Jail.«

Nach einem kurzen prüfenden Blick auf die Gesichter der Banditen glaubte der Mayor festgestellt zu haben, daß er besser daran tat, sich auf die Seite des Marshals zu stellen.

»All right, Mister Earp«, entgegnete er. »Ich hole Hellmers sofort raus.«

Da schrie O’Connor: »Wage es, Mayor, und du bist deines Lebens nicht mehr sicher.«

Wyatt Earp sah sich diesen Frank etwas näher an.

»Hör genau zu, Boy«, gebot er ihm dann. »Du hältst jetzt deinen Mund. Und wenn dir das schwerfällt, wird es mir noch schwerer fallen, dich nicht neben deinen Freund Bob da zu schicken.«

Hallinger war zwar längst wieder zu sich gekommen, dachte aber gar nicht daran, sich zu erheben, weil er sich nicht unnötig in die Schußlinie bringen wollte.

Sogar Bred Barring wußte, daß das Spiel zu Ende war.

O’Connor wollte es nicht glauben. Er warf sich nach vorn, ergriff einen seiner Revolver und wurde von Hollidays nächster Kugel an der Hand verletzt.

Flammendrot vor Zorn brüllte er:

»Drauf, Männer, laßt euch doch nicht verblüffen von diesen Hunden. Zieht eure Colts und knallt sie nieder! Wir werden uns doch hier nicht von zwei einzelnen Burschen zerschlagen lassen!«

Melbat wollte zum Colt greifen. Er stand nur anderthalb Yard neben Wyatt Earp und fing einen Faustschlag in die Magengrube ein, der ihn sofort aus dem Fight ausschaltete.

Johnson, der dicht neben ihm gestanden hatte, wurde vom nächsten Schlag des Missouriers getroffen und torkelte zurück.

»Hände hoch, Boys!« rief Wyatt Earp dröhnend. »Das Spiel ist endgültig zu Ende!«

Doc Holliday trat auf die Straße und nahm den Banditen die Revolver weg, die er einen nach dem anderen weit unter den Vorbau der Schenke schleuderte.

Dann wurden die Männer ins Jail gebracht.

Frank O’Connor war der letzte; käsigweiß und mit gesenktem Schädel stakste er hinter den anderen

her.

Er wußte, daß sein Weg ihn von hier aus direkt zum Galgen führte!

Ric Hellmers stand draußen auf dem Vorbau. Aus matten, müden Augen blickte er den Marshal an.

»Ich danke Ihnen, Mister Earp. Sie haben uns wieder einmal aus der Patsche geholt. Weiß der Satan, was mit uns los ist. Ich komme allmählich zu der Ansicht, daß die Schuld bei uns liegen muß…«

Wyatt Earp hatte Mühe, ihm diesen Gedanken auszureden.

»Nein, Mister Hellmers, die Schuld an Ihrem Pech liegt ganz gewiß nicht bei Ihnen. Aber trotzdem sollten Sie nicht an diesem Land verzweifeln. Es waren zwei Verbrechergruppen, an die Sie geraten sind. Beide sind jetzt hinter Schloß und Riegel.«

Hellmers nickte und knurrte dann mürrisch:

»Und morgen tauchen neue Männer auf, die mir ans Leben wollen. Das schlimmste ist die Sache mit Pat. Dieser Lawrence war einer der beiden Kerle, die das Mädchen von der Poststation weggeschleppt haben…«

Aber der schwerverwundete Bandit Geo Lawrence schwieg auf alle Fragen und Drohungen.

Jimmy rannte auf die Straße und begrüßte den Marshal. Scheu sah er Doc Holliday an.

Hellmers meinte:

»Der Junge hat Ihnen einen Brief geschrieben?«

»Yeah, und er hatte Glück, wir waren gerade dabei, uns für den Ritt nach Nevada zu rüsten.«

»Nach Nevada?«

»Yeah, ich reite schon zum viertenmal hin, auf Wildpferdjagd. Es gibt hier oben Rancher, die ein gutes Stück Geld für einen echten Mustang zahlen. Später einmal, wenn das Land hier bevölkerter ist, werden die Wildpferde auch keinen Wert mehr haben, weil sie dann nur noch drüben in der Wüste frei leben können, wo sie sich nie so gut entwickeln können wie hier im Grenzland Nevadas.«

»Zounds, da haben wir ja weiß Gott mehr Glück als Verstand gehabt.«

Holliday blickte den Jungen an.

»Für deine zehn Jahre schreibst du schon sehr schön – aber wenn du mir versprichst, nie wieder ein Gewehr in die Hand zu nehmen, jedenfalls nicht, bevor du sechzehn bist, schenke ich dir etwas.«

»Was denn?« fragte Jim rasch und wurde ob seiner Unbescheidenheit sofort flammendrot.

Holliday nahm einen winzigen Revolver aus der Tasche, den man in einer Männerhand verstecken konnte.

»Hier, ich habe ihn einmal in Santa Fé von einem Trader gekauft, weil er so echt aussah…«

Überglücklich schloß der Junge das Geschenk in seine beiden Hände. Dann trollte er sich davon.

*

Die Stadt schlief schon.

Und der Salooner war auch eingenickt. Er hatte dem Arzt versprochen, ihn zu holen, falls Lawrences Zustand sich verschlechtern sollte.

Da fuhr der Wirt plötzlich aus seinem Sessel, in dem er eingeschlafen war, hoch.

Er hatte vom Korridor her ein Geräusch gehört.

Als er aufsah, erkannte er im Halbdunkel der Tür die Gestalt des Marshals.

»Mister Earp!« stieß er schluckend hervor.

»Verschwinden Sie!«

»Yeah – sofort, natürlich…!«

Der Wirt machte, daß er hinauf in seine Schlafkammer kam.

Der Missourier trat in den Raum des Verwundeten und schloß die Tür hinter sich.

Geo Lawrence war bei vollem Bewußtsein.

Als er so plötzlich das Gesicht des Marshals über sich sah, brach ihm der Angstschweiß aus, und seine Wunde begann fürchterlich zu schmerzen.

Aus harten stahlblauen Augen sah ihn der Marshal an.

Er sagte nichts. Bewegungslos stand er nur am Fußende des Bettes und blickte in das kalkige Gesicht des Banditen.

Lawrences Lippen bebten, seine Augen zuckten, und der Schweiß rann ihm durch die Brauen hindurch beißend in die Augen.

»Was – wollen Sie von mir?« keuchte er.

»Ah, Sie können also doch sprechen!«

Lawrence bereute sofort, daß er sich so sehr hatte einschüchtern lassen.

»Ich habe nichts mit Ihnen zu schaffen, Marshal.«

Wyatt Earp blieb stehen und sah den Verbrecher weiter unverwandt an.

Lawrence vermochte diesen Blick nicht zu ertragen.

Er richtete sich keuchend auf den Ellbogen und krächzte:

»Sehen Sie nicht, daß ich – ein Sterbender bin?«

»Nein, Lawrence, das sehe ich nicht. Noch jedenfalls sterben sie nicht. Aber das kann sich sehr rasch ändern.«

Der Tramp zog die vor Schweiß glänzenden Brauen zusammen.

»Was – wollen Sie damit sagen…?«

Wyatt Earp senkte den Kopf etwas, und seine Augen lagen im Hutschatten.

Lawrence suchte sich von diesem hypnotischen Blick loszureißen, starrte zu der kleinen Kerosinlampe hinauf, die oben an der Decke hing und nur ein schwaches Licht in den Raum warf.

Dann aber wanderten seine Augen doch wieder wie von magnetischer Kraft gezogen zu dem Mann am Fußende des Bettes hin.

»Ich – weiß nicht – was Sie wollen.«

Wyatt Earp schwieg. Wie aus Stein gemeißelt war sein Gesicht.

Lawrence schluckte schwer.

Und plötzlich entrang sich seiner Brust ein heiserer Schrei.

»Lassen – Sie mich in Ruhe – ich – ich weiß nichts!«

Kein Wort kam von den Lippen des Missouriers. Reglos verharrte er auf seinem Platz.

Lawrence zerrte mit der Rechten die Decke hoch über den Kopf, vermochte aber nicht zu atmen und schob sie wieder hinunter.

»Gehen – Sie doch endlich!« krächzte er heiser.

Keine Antwort.

Und der Blick des Marshals schien noch härter und eisiger geworden zu sein.

Endlich nach Minuten öffnete Wyatt Earp die Lippen.

»Ich frage dich zum letztenmal, Geo Lawrence: Wo ist sie?«

Lawrence verfärbte sich mehr und mehr. Endlich brach es rostig von seinen Lippen:

»Johnson – hat es getan.«

»Was…?«

»Was Jerry befohlen hatte.«

Wyatt schaltete sofort. Er wußte zwar nicht, daß Jerry Newton fest zu der Bande gehörte, kannte den Engländer aber von den Berichten der Hellmers.

»Newton…?«

Lawrence nickte hastig.

»Sie lügen, Bandit. Sie wollen sich nur aus der Sache herausbringen, um Ihren Kopf zu retten.«

»Nein, ich – schwöre es!«

»Sie haben es getan!«

»Nein!« Lawrence richtete sich wieder auf, er sah schrecklich aus. Aber Wyatt Earp wußte, daß er nicht lebensgefährlich verletzt war –?und hatte keine andere Wahl, etwas über das Schicksal des Mädchens zu erfahren.

»Hör genau zu, Lawrence, ich gehe jetzt und hole Johnson. Wenn du gelogen hast, lasse ich dich mit ihm allein.«

Der Bandit hatte hektische Flekken auf den Wangen, und seine Augen schimmerten glasig.

Wyatt Earp hatte sich umgewandt und verließ den Raum.

Er trat hinaus auf die Straße und verständigte den Georgier, der da auf ihn gewartet hatte, über sein weiteres Vorhaben.

»Er behauptet, der lange Johnson sei es gewesen.«

Holliday nickte.

»Ausgeschlossen ist das nicht. Aber andererseits ist jetzt zu erwarten, daß es einer von ihnen auf den anderen schieben wird. Vielleicht wäre es klug, bei Johnson so zu tun, als sei Newton auch ergriffen worden und habe ihn verraten.«

»Richtig.«

Der Marshal überquerte die Straße und trat in das Office des toten Sheriffs.

O’Connor sah ihn zuerst. Er sprang auf und fauchte:

»Geht’s schon los, Earp? Hast du den Strick schon hängen?«

»Sie haben ein ziemlich schlechtes Gewissen, O’Connor!«

Der Marshal schloß die zweite Zelle auf, in der Johnson mit Melbat, Hallinger und Barring steckte.

»Johnson!«

Der Tramp warf den Kopf hoch.

»Was…«

»Komm raus!«

»Ich?« brach es heiser aus der Kehle des Verbrechers.

»Yeah!«

Johnson erhob sich vom Hocker.

Das kleine Windlicht, das im Zellengang hing, warf einen fahlen Schein auf sein grobes, negroides Gesicht.

Der Mann war sehr groß, kräftig, wirkte aber irgendwie plump. Dieser Eindruck kam vielleicht nicht nur von seinen überlangen Armen, sondern wohl auch von seinem ovalen Schädel, seinen schiefliegenden, weit in den Höhlen steckenden Augen, seinem stark aufgeworfenen Mund und seinen übergroßen Ohren.

Schlaksig kam er an die Zellentür.

Melbat hatte Stunden auf diesen Augenblick gewartet. Auch sein Gewissen war stark belastet. Er durfte es nicht auf eine richterliche Verhandlung ankommen lassen, denn wenn die anderen zu schweren Strafen verurteilt wurden, würden sie auch ihn belasten.

Drei von ihnen wußten, daß auch er einen Mord auf dem Kerbholz hatte.

Jetzt schnellte er von der Pritschenkante hoch, stieß Johnson vorwärts und wollte an dem gegen den Marshal stürzenden Kumpanen vorbeifliehen.

Aber Wyatt Earp war ein Mann, der grundsätzlich mit allem rechnete, er hatte den linken Fuß zurückgesetzt und verhinderte so den Sturz.

Und dann zuckte seine Rechte nach vorn und traf Melbat mit der Handkante am Hals.

Der Getroffene knickte auf dem linken Knie ein.

Und da war Johnson dumm genug, sich gegen den Marshal zu werfen.

Wie der Prankenschlag einer schweren Raubkatze, so schnell und schwer flog die Linke steif angewinkelt als Haken an Johnsons Schädel und warf ihn in den Zellengang.

Melbat bekam einen Fußtritt und flog in die Zelle zurück.

Wyatt warf die Gittertür ins Schloß.

Johnson lag noch am Boden, er war schwer betäubt.

Wyatt nahm den gefüllten Wassereimer, der in fast allen Sheriffs Bureaus, noch aus der Zeit der Indianerüberfälle stammend, gegen einen plötzlichen Brand, stand und kippte ihn über den ohnmächtigen Tramp aus.

Johnson kam sofort zu sich und richtete sich prustend auf.

»Vorwärts, ins Office!«

Von dort schob der Missourier ihn auf den Vorbau.

Johnson stand immer noch etwas benommen auf schwankenden Beinen da.

»Wo ist das Mädchen?« Hart und frostig dröhnten die Worte des Marshals in seinen Ohren.

»Was für ein…«

Doc Holliday stieß dem Tramp den Revolverknauf ins Kreuz.

»Versuche den Marshal nicht mit so unsinnigen Fragen aufzuhalten, Mann! Wo ist Patricia Hellmers?«

Johnson zuckte wie unter einem Peitschenschlag zusammen.

»Vorwärts, rede!« fuhr ihn der Missourier schroff an.

»Patricia…?«

Der Revolverhahn des Georgiers knackte.

Ein Beben ging durch den Körper des Banditen.

Aber er schwieg.

Da spielte der Marshal seinen letzten Trumpf aus.

»Jerry Newton hat gestanden, daß du das Mädchen umgebracht hast.«

Da wandte sich der Verbrecher um und starrte den Marshal aus glimmenden Augen an.

»Newton! Ihr habt ihn also auch! Und das hat er also gesagt? Hell and devils! Er ist ein dreckiges…«

»Kein Palaver!« zischte Doc Holliday.

»Well«, stieß der Outlaw heiser hervor, »er hat das also gesagt! Und trotzdem ist es nicht wahr.«

»Halt uns nicht auf, Boy!« mahnte ihn der Gambler.

Die mächtige Brust des Banditen hob und senkte sich rasch.

»Well, er hatte es mir befohlen. Ich sollte sie umbringen, weil sie ihn angespuckt und gekratzt hatte, als Law-rence sie zu ihm brachte. Nach einer Weile wurde das Zimmerfenster zertrümmert, und Newton kam mit blutigem Gesicht heraus. Er brüllte: Der Teufel soll diese Katze haben! Ich will sie nicht, das ist keine Frau, das ist ein Panther! Johnson! schrie er, du schaffst sie weg! – Yeah, das sagte er. Und was dieses Wegschaffen bei uns bedeutet, wußte jeder. – Well, ich fesselte ihr also die Hände und brachte sie nach Einbruch der Dunkelheit aus der Stadt.

»Aus welcher Stadt?« unterbrach ihn der Marshal.

»Aus Garfield.«

Sie waren also mit Patricia Hellmers nach Garfield zurückgekehrt.

»Weiter!« gebot der Missourier dem Outlaw.

»Ich ritt mit ihr aus der Stadt – und dann…«

Der Revolverheld des Gamblers bohrte sich schmerzhaft in seinen Rücken, als er abbrach.

»Und dann!?« fragte Wyatt ihn drohend.

»Dann habe ich sie laufen lassen!«

Klatsch!

Die Ohrfeige brannte in dem Gesicht des Verbrechers.

»Du lügst, du Hund!«

»Nein. Ich kann es beweisen.«

»Wie willst du es beweisen?«

»Ich habe ihr gesagt, sie solle sich nach Norden wenden, drei Fußstunden entfernt sei eine kleine Berg-ranch. Wenn sie das getan hat, kann man auf der Ranch bestimmt etwas erfahren…«

*

Wyatt Earp brach sofort auf.

Er mußte allein reiten, da er die Stadt nicht mit den gefangenen Tramps allein lassen wollte. Man konnte nie wissen, was sich dann in seiner Abwesenheit ereignet hätte. War Doc Holliday aber in Black Rock, dann konnte er getrost wegreiten.

Sechs Tage später hatte er die kleine Visher Ranch vor sich.

Es war noch früher Morgen.

Der Marshal kam scharf von Norden, von den hohen Mountains her und hatte einen Gewaltritt hinter sich.

Als er etwa noch zweihundert Yard von dem Tor entfernt war, schlug ein sehr großer Hund ein heiseres Gebell an.

Dann wurde das Tor geöffnet, und ein älterer Mann kam zum Vorschein.

Wyatt ritt auf ihn zu, vermochte sich aber durch das anhaltende Gebell des Hundes nicht mit dem Mann zu verständigen.

Deshalb rutschte er aus dem Sattel und trat nahe an den Alten heran.

»Ich suche eine Frau, Mister.«

»Hier gibt’s keine Frau«, knurrte der Alte. »Wir sind hier nur vier Männer auf der Ranch.«

»Ich suche Patricia Hellmers, Mister. Sie müßte hier auf die Ranch gekommen sein.«

»Wenn ich Ihnen sage, daß es hier keine Frau gibt, Mister, dann gibt es für Sie keine weiteren Fragen mehr.«

Da entdeckte der Rancher John Visher plötzlich auf der linken Westentasche des Missouriers den Stern.

»Sie sind ein Sheriff?«

»Yeah, mein Name ist Earp.«

Da wurde das Tor hinter dem Rancher weiter aufgerissen, und Wyatt sah neben dem großen Hund mit blassem schmalen Gesicht Patricia Hellmers stehen.

Das Mädchen rannte plötzlich auf ihn zu und warf ihm schluchzend die Arme um den Hals.

»Mister Earp!«

Als sie sich etwas beruhigt hatte, stammelte sie:

»Ich bin ja so froh, daß Sie gekommen sind. Wie haben Sie mich gefunden?«

»Einer der Banditen, ein gewisser Johnson, erklärte mir, daß er Sie bei Garfield freigelassen und hierhergeschickt hatte.«

»Das stimmt. Vielleicht hatte er es gar nicht vor, aber als er mich gefesselt aus der Stadt schleppte, redete ich ununterbrochen auf ihn ein. Ich sagte ihm, daß wir Wyatt Earp in

Harris erwartet hätten und daß er ganz sicher nach mir suchen würde…«

So hatte auch sie ihre Freiheit der Angst der Verbrecher vor dem Marshal Earp zu verdanken gehabt.

Am nächsten Morgen verließen sie die Ranch.

Das Mädchen bedankte sich bei dem alten Visher und seiner Frau, die beide zusammen mit einem uralten Knecht die Ranch bewirtschafteten, und ritt mit dem Marshal, der ein Pferd für sie bei dem Rancher erstanden hatte, davon.

Im großen und ganzen hatte Patrick Hellmers dem Marshal das bestätigen können, was der Bandit Johnson ihm schon gesagt hatte.

Sie hatte zwar fürchterliche Angst ausstehen müssen, aber es war ihr nichts passiert, nachdem sie Newton gleich so zugerichtet hatte.

*

Es war dunkel, als Wyatt Earp und Pat Hellmers in der Utah-Stadt Black Rock einritten.

Im Boardinghouse, wo Doc Holliday und die anderen Hellmers wohnten, brannte noch Licht.

Die Hellmers waren über den wirklichen Grund, der den Marshal für die ganzen Tage von der Stadt entfernt hatte, nicht unterrichtet.

Mit klopfendem Herzen stand das Mädchen im Korridor, als der alte Missourier an die Tür des großen Zimmers klopfte, aus dem er die Stimme der Familie gehört hatte.

Ric Hellmers sprang sofort auf, als er den Marshal sah.

»Gut, daß Sie kommen, Mister Earp.«

»Was ist passiert?«

»Jim ist weg!«

»Jim ist weg?«

Wyatt nahm seinen Hut ab. »Seit wann?« fragte er.

»Seit heute morgen. Seine Kammer war leer, als meine Frau ihn wecken wollte.«

»Und? Kann er nicht irgendwo mit anderen Jungen hingelaufen sein?«

»Ausgeschlossen, er kannte ja niemanden.«

Laura Hellmers sagte weinerlich: »Mister Newton wird ihn geholt haben.«

Aber ihr Mann schüttelte den Kopf.

»Nein, ich traue dem Burschen nicht den Mut zu, hierher zurückzukommen. Und selbst wenn er gewußt hat, daß Wyatt Earp nicht hier war, so wußte er doch auch, daß Doc Holliday noch in der Stadt war. Ich kann mir einfach nicht denken, daß er die Stirn hat, zurückzukommen, um den Jungen hier wegzuholen.«

Da wurde unten im Haus die Tür aufgestoßen.

Rasche, polternde Schritte kamen die Treppe herauf.

»Jimmy!« rief Ric Hellmers.

Ja, es war der Junge. Er stürmte so hastig durch den Korridor, daß er Pat, die sich in eine Türnische gedrängt hatte, völlig übersah.

»Papa!«

»Wo kommst du her?«

»Mister Newton…«

»Also doch!« stieß die Frau hervor.

»Was ist mit Mr. Newton?« forschte der Marshal.

Jim sah sich um.

»Hallo, Marshal. Sie sind wieder da? Mister Newton war heute morgen oben in meinem Zimmer, steckte mir einen Knebel in den Mund und schleppte mich durch den Hof davon.«

»Wohin?«

»In eine Scheune. Er wollte anscheinend weiter, aber es war ihm wohl zu hell geworden.«

»Und…?«

»Wir waren den ganzen Tag in dieser Scheune. Ich lag oben in den Strohballen, und er kauerte unten an einer Fensterluke. Er hatte Angst vor Doc Holliday. Ich wußte es, denn er fragte mich ein paarmal, ob Doc Holliday wirklich noch in der Stadt sei.«

»Weiter!«

»Als es dunkel wurde, flog dann plötzlich ein schwerer Stein durch das Fenster. Newton zuckte zurück und rannte sofort zu seinem Pferd. Wie vom Teufel gejagt preschte er auf der anderen Seite der Scheune hinaus und jagte davon. – Und dann war Doc Holliday plötzlich in der Scheune und suchte nach mir. Er nahm mir die Stricke ab und den ekligen Lappen aus dem Mund und sagte:

Jim brach ab.

»Was sagte er?« brummte sein Vater.

»Ich solle… Er sagte, ich könnte nach Hause gehen, wenn ich wollte…«

»Jimmy!« mahnte ihn seine Mutter.

»Well, er sagte also, ich solle schleunigst nach Hause gehen. Er war hinter Newton her. Ich glaube aber, daß er kein Pferd bei sich hatte. Wie er die Scheune gefunden hat, weiß ich nicht.«

Dann kam Doc Holliday die Treppe herauf. Er sah Patricia sofort und blinzelte ihr zu.

»Na, Jim. Du bist ja schon ein paar Stunden hier und hast sicher alles berichtet?«

»Ich – nein, ich bin Ihnen nachgelaufen. Aber irgendwo in einem Corral habe ich Sie dann endgültig verloren.«

Wyatt begrüßte den Freund und hatte nur eine Frage:

»Wie haben Sie ihn eigentlich entdeckt?«

»Hm, ich kämmte die Gassen durch, und plötzlich sah ich die einsam liegende Scheune. Ich näherte mich ihr so vorsichtig, daß ich nicht bemerkt werden konnte. Es war allerdings das zehnte oder zwanzigste einsame Gebäude, dem ich mich vorsichtig näherte. Und vielleicht wäre ich auch weitergegangen, wenn ich nicht plötzlich Zigarettenrauch gerochen hätte. Wer rauchte denn in einer Scheune? Well, und das war’s eigentlich. Leider hatte ich keinen Gaul. Ich wollte ihm noch den Weg abschneiden, durch den Corral, blieb dann auch noch weiter auf seiner Spur, weil plötzlich kein Hufschlag mehr zu hören war, aber er schien sich in Luft aufgelöst zu haben.«

»Wohin mag er so schnell verschwunden sein?«

»Keine Ahnung. Ich vermute aber, daß er sich aus dem Staub gemacht hat.«

Glücklich schloß die Mutter den Jungen in die Arme.

Leony Hellmers saß mit abwesender Miene dabei.

Da erklärte der Marshal:

»Ich habe noch jemanden gefunden, Mistreß Hellmers. Und ich glaube, Sie dürfen wirklich sehr froh sein, daß sie völlig unversehrt und gesund…«

Ein gellender Schrei zerriß die Luft.

Leony Hellmers war aufgesprungen. »Pat?!«

Wyatt nickte.

Da stürmte Jim an ihm vorbei in den Flur.

»Pat! Patty!« Er schlang seine kleinen Arme um die Kusine und konnte die Tränen nicht zurückhalten.

Berry, der Hund, jaulte und winselte laut.

Mrs. Hellmers vermochte sich nicht von der Stelle zu rühren.

Sie war fassungslos vor Glück.

Wyatt Earp und Doc Holliday traten auf den Korridor und wollten sich leise davonmachen.

Da aber hatte der alte Hellmers den Marshal am Arm gepackt.

»Mister Earp! Das werden Sie uns doch nicht antun! Jetzt, wo wir einen Grund haben, so glücklich zu sein, müssen Sie bei uns bleiben und mit uns feiern!«

»Feiern? Ich weiß nicht. Ich glaube, der Doc will dringend an seinen Spieltisch und ich…, also…«

»Hier gibt’s keinen Spieltisch, Wyatt, zum Glück nicht. Denn sonst hätte ich vielleicht gar keine Zeit gehabt, nach dem Jungen zu suchen…«

*

Brockton und seine Männer kamen vor den Richter in der Hauptstadt Utahs, in Salt Lake City.

Die Mörder wurden mit dem Urteil »lebenslänglich« nach Sescattewa geschickt.

Die anderen kamen in das Straflager Dragerton im Carbon County.

Nur einer ging straffrei aus: der Tramp Johnson.

Wyatt Earp und Patricia hatten sich für seine Freilassung eingesetzt.

Der Sheriffsmörder O’Connor hatte das schwerste Los gezogen. Er als einziger kam nach Camp I von Sescattewa, in die gefürchteten Steinbrüche, aus denen es nur noch einen Abschied gab, den Weg auf den Boot Hill der Lebenslänglichen.

*

Die Hellmers zogen mit ihren beiden Wagen weiter.

Voran ritten Wyatt Earp und Doc Holliday.

Das war eine Tatsache, die der kleine Jim sein ganzes Leben nicht mehr vergessen würde.

Sie fuhren hinter den beiden berühmtesten Männern des Wilden Westens her nach Nevada.

In das Bergland, wo der Missourier Wildpferde jagen wollte, wo Doc Holliday in den Hunter Camps am grünen Spieltisch seine Zeit verbringen würde, und wo es nördlich von Shoshone Wälder gab, die an die Wälder Colorados erinnerten, in denen sie hatten leben wollen.

Sie bauten sich dreizehn Meilen nördlich von Shoshone ein Haus, und Wyatt Earp hatte seinen Besuch zur Einweihung zugesagt.

Es wurde ein schönes, stilles Fest.

Danach begleiteten Ric, Pat und Jimmy Hellmers die beiden noch bis hinunter nach Shoshone, von wo aus sie südostwärts nach Arizona reiten würden.

Es war Mittag, als sie in Shoshone ankamen.

Die Hellmers saßen auf ihrem Wagen.

Wyatt Earp und Doc Holliday ritten nebenher.

Plötzlich schoß der Hund Berry, der sich inzwischen zu beachtlicher Größe entwickelt hatte, vom Wagen weg auf einen Vorbau, packte einen Mann, der eben in einer Schenke hatte verschwinden wollen, am Hosenbein und zerrte ihn dann auf die Straße.

Jerry Newton, der Mann aus Manchester!

Es war ein sehr unrühmliches Ende, das der Engländer seiner Banditenlaufbahn im Westen setzen lassen mußte.

Wyatt Earp brachte ihn sofort ins Sheriffs Office und sorgte dafür, daß der Verbrecher dorthin kam, wo seine Kumpane bereits waren, nach Sescat-tewa.

Der lange Treck nach Norden hatte die Familie Hellmers hart gemacht. Es war der furchtbarste Weg ihres Lebens gewesen. Aber es war zu Ende.

Sie begannen am Rande des Wüstenstaates Nevada ein neues Leben, ein Leben, das mit vieler Arbeit auch Glück brachte.

Und niemals würden diese Menschen den Marshal Earp und den Gambler Holliday vergessen, die beiden, denen sie so viel zu verdanken hatten.

Der alte Ric, sein Sohn Jimmy und die hübsche Pat standen am Ausgang der Stadt und winkten den beiden Reitern nach, bis sie im Sonnenglast des Mittags untertauchten.

*

Der Missourier und Doc Holliday ritten nach Südosten, dem fernen Arizona entgegen, wo ein neues, diesmal für sie gefährliches Abenteuer ihrer wartete.

Unten in Tombstone lauerte eine wahre Hölle auf die beiden Gunfighter aus Kansas. Vielleicht ahnte es Doc Holliday, denn er sagte, als er sich zum letztenmal umgewandt hatte und die Hellmers nicht mehr sehen konnte:

»Vielleicht hätte man eine Weile hier oben bleiben sollen. Ich werde das Gefühl nicht los, daß da unten in Arizona die Hölle los ist…«

Wyatt Earp Staffel 7 – Western

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