Читать книгу Wyatt Earp Staffel 14 – Western - William Mark D. - Страница 6
ОглавлениеBlechern und mißtönend schlug es von der presbyterianischen Kirche Mitternacht.
Aber Sante Fé schlief nicht.
Aus zahlreichen Schenken fiel noch Licht auf den hellen Sand der breiten Mainstreet. Im Hauptbüro des Sheriffs Office, das etwa in der Mitte der Mainstreet schräg gegenüber der City Hall lag, stand ein mittelgroßer Mann mit aschblondem Haar und bläßlichem Gesicht mitten im Raum und starrte auf den Zettel, der vor wenigen Sekunden von draußen unter der Türritze durchgeschoben war.
Ferry Gregg war siebenundzwanzig Jahre alt und vor wenigen Tagen noch sehr stolz darauf gewesen, daß die Stadt ihn als Vertreter des schwerkranken Sheriff Winters anerkannt hatte. Eigentlich war Jerry Lorayne für diesen Posten vorgesehen. Aber Lorayne hatte zu wenig Freunde im Bürgerrat gehabt, und obgleich er eigentlich der tüchtigere Mann gewesen wäre, hatte man ihm Ferry Gregg vorgezogen.
Und was hatte der einstige Sattelmacher in diesen wenigen Tagen nicht schon alles erlebt! Die Galgenmänner hatten ihn wissen lassen, daß sie einen bestimmten Gefangenen aus dem Jail heraushaben wollten. Die Bande hatte angedeutet, daß sie ihre Forderung gegebenenfalls mit einem Druck auf die Familienangehörigen Greggs zu unterstreichen wüßte.
Ferry Gregg hatte der Angst nachgegeben und sein Amt mißbraucht. Er hatte den Gefangenen in einer Nachtstunde aus dem Jail entlassen.
Dann war das Fürchterlichste passiert, was einem jungen Sheriff passieren konnte. Der berühmte Marshal Wyatt Earp aus Dodge City hatte ihm dieses Vergehen nachweisen können!
Gregg wollte flüchten – aber Wyatt Earp hatte ihn auf seinen Posten zurückgeschickt; er hatte Gregg noch einmal sein Vertrauen geschenkt. Der junge Ferry Gregg hatte sich in jener Nachtstunde geschworen, sich dieses großen Vertrauensbeweises würdig zu erweisen.
Und nun war da dieser Zettel unter der Tür durchgeschoben worden!
Ferry Gregg konnte von der Entfernung zur Tür hin nicht lesen, was auf dem Papierstück stand, doch er ahnte es.
Er wagte nicht, sich in Bewegung zu setzen, auf die Tür zuzugehen und den Zettel aufzuheben. Aber er hatte ja keine andere Wahl. Langsam und schwerfällig setzte er ein Bein vor das andere und bückte sich dann, um das Papier aufzuheben.
Es waren nur sieben Worte, die da in harter, steiler Schrift standen: ›Du läßt Gatta heute nacht noch frei.‹
Und darunter stand das große Dreieckszeichen der Galgenmännerbande.
Ferry knüllte den Zettel in der rechten Faust zusammen und schleuderte ihn dann in die äußerste Zimmerecke.
»Husten werde ich euch was«, preßte er durch die Zähne. »Verdammte Bande!«
Er zog den Schlüssel aus dem Türschloß, öffnete die Tür und trat hinaus. Sorgsam verschloß er das Office.
Als er auf dem Vorbau stand, sog er die frische Nachtluft tief in die heißen Lungen.
Drüben aus einem Saloon brach die grölende Lache eines Mannes, die von dem girrenden Gekreische einer Frau begleitet wurde.
Nebenan in einer Bar stampfte und hämmerte ein Orchestrion den New Mexico Song.
Irgendwo in einer anderen Kneipe klirrte Glas.
Eines der vielen Pferde, die vor den Vorbauten standen, scharrte mit dem Huf auf einem Stein in der Straße.
In einem Hof jaulte ein Hund den Mond an.
Santa Fé schlief noch nicht.
Der Sheriff wandte sich nach links und ging über die schweren Vorbaubohlen weiter bis zur nächsten Straßenecke, überquerte die Gassenmündung und betrat den nächsten Vorbau.
Er hatte gerade Frank Lonegans ›Trapper Home‹ hinter sich, als die Schankhaustür hinter ihm aufsprang. Ein Mann wurde wie ein Geschoß über den Vorbau hinausgeschleudert und landete mit dumpfem Aufprall auf der Straße.
Gregg hatte sich umgewandt und sah jetzt den vierschrötigen Salooner in der Tür stehen.
»Verdammter Halunke!« fluchte der Wirt. »Der Teufel soll ihn holen.«
Der Mann draußen auf der Straße erhob sich und hatte plötzlich einen Revolver in der Hand.
Ferry Gregg stand da, ohne sich zu rühren.
Und da richtete der Mann auf der Straße den Revolver auf ihn! Ferry starrte den Fremden entgeistert an.
Dann tauchte drüben im hellen Eingang der Fegefeuer Bar die hünenhafte Gestalt eines Mannes auf.
Luke Short!
Sheriff Gregg erkannte den riesigen Texaner sofort.
Der hatte die Situation sofort erkannt und rief:
»Nimm die Hände hoch, Junge, wenn du keinen Durchzug in deiner Lunge haben willst.«
Der Mann ließ den Revolver fallen und nahm erschrocken beide Hände hoch.
Luke Short ging auf ihn zu, packte ihn am Kragen und ließ ihn angewidert sofort wieder los.
»Damned, der Bursche stinkt ja wie ein Schnapsfaß!«
Der Mann war ein Zimmergeselle vom Stadtrand und hatte sich hier in der Schenke einen zuviel hinter das Halstuch gekippt. Durch den Schrecken, den der Texaner ihm eingejagt hatte, war er plötzlich fast wieder nüchtern geworden.
Gregg verzichtete darauf, ihn festzunehmen, und der Bursche lief schnell weg.
Der Texaner tippte an den Hutrand und ging seines Weges.
Ferry Gregg stand wieder allein auf dem Vorbau und blickte die Straße hinunter.
Mit einem unheimlichen Gefühl im Genick ging er weiter. Er mußte an den Zettel denken, den ihm die Banditen ins Office gesteckt hatten.
An der Ecke zur Lincoln Street sah er einen Mann an einem Vorbaupfeiler lehnen.
Jäh schrak er zusammen und blieb wie angenagelt stehen.
Dann erkannte er den Mann, der da stand: Es war Wyatt Earp.
»Hallo, Gregg! Irgendwelche Sorgen?«
Der Deputy schüttelte den Kopf. Dabei hatte er ein ganzes Bündel Sorgen!
Wyatt Earp tippte an den Hutrand, wie es vorhin Luke Short getan hatte, überquerte die Straße und war gleich darauf im Dunkel einer Seitengasse verschwunden. Ferry Gregg starrte hinüber auf die Stelle, an der der Marshal verschwunden war.
Er hätte ihm nachlaufen mögen, um ihm zuzuschreien, daß er sehr wohl Sorgen hatte, und zwar sehr gefährliche Sorgen.
Aber er tat es nicht. Er blieb stehen und starrte vor sich hin.
Erst nach Minuten wandte er sich um und ging langsam nach Hause.
Sein Haus stand oben in der Longgasse und war nicht sehr groß.
Es war dunkel hier in der engen Gasse. Aber die Leute hier fanden ihren Weg auch in der dunkelsten Nacht. So auch Ferry Gregg. Er trat auf den schmalen Vorbau hinaus und wollte den Schlüssel in das Schlüsselloch stecken.
In diesem Augenblick wurde er an der Schulter gepackt und herumgerissen. Vor ihm stand ein Mann.
Obwohl vom Schreck fast gelähmt, riß sich der Deputy zusammen und holte zum Schlag aus.
In diesem Augenblick aber erhielt er von hinten einen fürchterlichen Faustschlag ins Genick, der ihn nach vorn schleuderte. Gleichzeitig empfing ihn der Mann, der vor ihm stand, mit einem Hieb in die Magengrube.
Wie Keulenschläge hagelten die Schläge auf den Überfallenen nieder.
Ferry Gregg brach ohnmächtig zusammen und lag auf dem Vorbau seines eigenen Hauses.
Wie lange er da gelegen hatte, wußte er selbst nicht, als er zu sich kam. Am Himmel blinkten immer noch die Sterne, und oben aus der Mainstreet fiel immer noch das Licht, das die Schenken auf die Straße warfen.
Er suchte sich zu erheben, konnte aber vor Schmerz kaum auf den Beinen stehen.
Torkelnd rutschte er vom Vorbau, kniete auf der Straße, wollte sich wieder aufrichten – starrte dann aber fasziniert auf die Silhouette, die das Hoftor in den Himmel zeichnete. Die sonst so glatte Silhouette war unterbrochen.
Von einem makabren Gerüst, von einem Galgen!
Ferry Gregg vermochte den Blick nicht von den schwarzen Balken loszureißen.
Sekunden verrannen.
Der Mann merkte, daß ihm der kalte Schweiß von der Stirn in die Brauen rann. Sein Hemd klebte ihm am Leib.
Er brauchte eine volle Minute, ehe er sich wieder erheben konnte, taumelte dann auf den Vorbau zu, zerrte sich am Geländer hoch, tastete den Boden nach dem Schlüssel ab und mußte zu seiner Verblüffung feststellen, daß die Tür offen war.
Er wußte ganz genau, daß er sie vorhin nicht aufgeschlossen hatte. Er war ja gar nicht dazu gekommen.
Eisige Furcht packte ihn, als er den Drehgriff bewegte. Was wartete da drinnen auf ihn?
Nein! Er ließ den Griff los, wandte sich um, stürzte wieder auf die Straße und flüchtete. Noch einmal warf er über die Schulter einen Blick auf das grausige Gerüst, das da vor seinem Hof in den Himmel ragte.
Von panischer Furcht getrieben, hastete er der Mainstreet zu, nahm sich erst gar nicht die Mühe, die Vorbauten hinaufzuklettern, sondern lief an ihren Rändern entlang dem Office zu.
Den Schlüssel hatte er in der linken Tasche. Jetzt zerrte er ihn heraus, stieß ihn ins Schloß, drehte ihn um, riß die Tür auf, nahm den Schlüssel wieder an sich und schloß von innen ab.
Keuchend lehnte er sich in dem dunklen Raum mit dem Rücken gegen die Tür. Der Kopf hing ihm auf der Brust. Sein Atem ging schwer und rasselnd.
Es war nicht völlig finster in dem Raum. Durch die Fenster fiel ein Lichtschimmer von der Straße auf einige Gegenstände im Zimmer.
Gregg wischte sich mit dem Rockärmel den Schweiß von der Stirn und stellte erst dabei fest, daß er unterwegs seinen Hut verloren hatte.
Er tastete sich zum Tisch vor, zog die Schublade auf und nahm eine Schachtel mit Zündhölzern hervor.
Seinen zitternden Händen gelang es kaum, eines der Zündhölzer anzureißen.
Als dann der winzige gelbrote Lichtschein durch den Raum flackerte, vernahm er hinten an einem der Seitenfenster ein Geräusch.
Sofort ließ er das Zündholz fallen und zertrat es am Boden.
Mit angehaltenem Atem lauschte er in die Dunkelheit.
Seine Rechte bewegte sich zum rechten Oberschenkel, wo er im Lederhalfter immer den Revolver trug.
Leer! Der Revolver war weg.
Ein eiserner Würgegriff legte sich um die Kehle des Deputies.
Der Gewehrschrank! Da drüben standen sieben Winchestergewehre und drei Sharpsbüchsen bereit.
Gregg stürzte quer durch den Raum, erreichte den Gewehrschrank auch, riß eine der Winchesterbüchsen heraus und lud sie durch.
Mit gespreizten Beinen, die Waffe im Anschlag, stand er da und lauschte.
Wieder war das Geräusch hinten an einem der Fenster zu hören.
»Wer ist da?« schrie Gregg mit heiserer, sich überschlagener Stimme.
Gregg machte einige Schritte nach vorn und blieb wieder stehen.
Es war einen Augenblick ruhig. Dann knarrte hinten irgendwo am Fenster einer der Läden, die er vorhin von einem der Deputies hatte schließen lassen.
Der Laden wurde um einen Spalt geöffnet, und dann tauchte der Kopf eines Mannes auf.
Ferry Gregg nahm die Winchester hoch.
Der Schuß röhrte durch das Office und brach sich an den Wänden. Mechanisch zerrte der Sheriff den Ladebügel durch, und wieder zog er ab. Noch einmal den Ladebügel, und noch einmal den Stecher.
Dreimal heulte die schwere Winchester auf. Die Kugeln fraßen sich durch das zerschmetterte Glas in den Fensterladen.
Lauschend blieb der Schütze auf der Stelle stehen. Er wagte nicht hinauszustürmen, um nachzusehen, wer da in der Quergasse vor dem Fensterladen gewesen war.
Die Schüsse hatten ihn nicht etwa ermutigt, wie man hätte meinen können. Im Gegenteil: sie hatten seine Angst verdoppelt und verdreifacht. Wie eine stählernen Klammer lag sie um sein Genick und griff nach seiner Kehle.
Er legte die Winchester auf den Tisch, tastete wieder nach den Zündhölzern. Dann setzte er die kleine Flamme an den Docht der Kerosinlampe.
Blakend zuckte die gelbrote Flamme der Lampe hoch und warf ein gespenstisches Licht in das Sheriffs Office.
Gregg stand so, daß er von keinem der Fenster aus gesehen werden konnte, neben der Tür an der Wand.
Der Schweiß rann ihm jetzt stärker von der Stirn herunter und brannte ihm salzig in den Augen. Er griff mit der Linken in die Tasche, um sein Taschentuch hervorzuziehen, fand statt dessen aber ein Stück Papier, zerrte es heraus und faltete es auseinander.
Es war ein gelbliches Stück Pergament, auf das mit der gleichen steilen Schrift wie auf dem Zettel vorhin geschrieben stand:
Wenn Gatta nicht noch in dieser Nacht auf freien Fuß gesetzt wird, stirbst du, und es sterben auch die Deinen! Eine weitere Warnung folgt nicht.
Darunter wieder das große Dreieck der Graugesichterbande.
Gregg starrte mit zusammengekniffenen Augen auf die Buchstaben, die plötzlich vor ihm auf und ab zu tanzen schienen.
Seine Hand, die den Zettel hielt, begann zu zittern.
Was tun?
Wie in Trance griff er endlich nach dem großen Schlüsselbund, der neben ihm an der Wand hing, trottete vorwärts auf die schwere Bohlentür zum Zellengang zu, stieß den Schlüssel hinein und öffnete sie.
Vor ihm lag der finstere Fliesengang des Jail. Rechts waren die Zellentüren. Das Jail von Santa Fé war ziemlich groß – und doch noch nicht groß genug für diese Stadt!
Der Gefangene Gatta saß in der ersten Zelle. Gregg stieß den Schlüssel auf das große Schloß zu. Ehe er ihn umdrehte, hielt er noch einen Augenblick inne, denn er glaubte, das ernste tiefbraune Gesicht des Marshals mit den dunkelblauen großen Augen mahnend vor sich zu sehen.
Da zischte ihm die Stimme des Gefangenen wie das Gefauche einer Schlange entgegen:
»Los, mach endlich auf!«
Gregg überlegte nicht mehr. Er drehte den schweren Schlüssel dreimal um und zog die Gittertür auf.
Gatta kam mit raschen Schritten heraus, ging an ihm vorbei den Zellengang hinauf zur Bohlentür. Gregg folgte ihm und ließ ihn durch die Hoftür des Office hinaus.
Laurentino Gatta war frei. Der Freund des gefürchteten Lazaro Capucine stand unter dem Sternenhimmel im nächtlichen Sante Fé.
Er hatte sich nach der Festnahme Capucines in der Bande der Galgenmänner nach vorn spielen wollen, war aber von dem Kentucky-Mann Kid Malinen daran gehindert worden. Malinen war jedoch von dem Boß in der verlassenen Stadt westlich von Santa Fé niedergestreckt worden. Jetzt war der Weg für Laurentino Gatta frei. Er würde den Platz Capucines einnehmen und sich ihn von niemandem mehr streitig machen lassen.
Was er wert war, zeigte sich ja nun daran, daß der Große Chief seine Befreiung bewerkstelligte. Mochte der Teufel wissen, wie der Boß es angestellt hatte! Aber einerlei, das wichtigste war, daß er frei war.
Doch der Boß, der offenbar so dicke Stücke auf ihn hielt, wußte nicht, daß dieser Laurentino Gatta längst nicht über die Fähigkeiten seines Vorgängers Capucine verfügte, Gatta war eitel, selbstgefällig und prahlerisch. Als er oben auf der großen G-Ranch als Bandera aufgetreten war und dem Rancher Grant den Wind aus den Segeln nahm, hätte er sich um ein Haar durch seine grenzenlose Eitelkeit und Selbstsucht verraten, wenn ihm nicht Malinen beigesprungen wäre.
Der große Rivale war tot. Und Capucine selbst saß irgendwo in einem geheimen Berg-Camp gefangen.
Weshalb der Bandenführer der kleinen Stadt, die sich die Galgenmänner unweit von Sante Fé in einem der vergessenen Täler errichtet hatten, den Namen jenes Camps gegeben hatte, in dem Capucine saß, wußte niemand, aber es wußte ja auch niemand, wie das Lager hieß, in dem Capucine saß – niemand außer dem Big Boß.
Und wenn Laurentino Gatta es in diesem Augenblick gewußt hätte, würde er sich wohl mehr Gedanken darüber gemacht haben, daß der Chief Capucine, seinen ersten und besten Vertrauten, noch keineswegs aufgegeben hatte.
Capucine, der unten in Tombstone von Wyatt Earp festgenommen und dann in die Berge Colorados in das gefürchtete Straflager Sescattewa II gebracht worden war, hatte mit Hilfe des Oberrichters aus dem Camp fliehen können, war von Wyatt Earp in den Bergen erneut gestellt und der Gerichtsbarkeit wieder übergeben worden.
Der neue Oberrichter von Colorado hatte den gefährlichen Galgenmann nach einer Verhandlung hinter verschlossenen Türen nicht etwa zum Tod durch den Strang verurteilt – wie der Bandit es verdient hätte, sondern in ein Camp verbannt, das nahezu unbekannt war.
Aber der Große Chief der Maskenmännerbande hatte auch diesen geheimen Ort herausgefunden!
Noch aber war der Chief nicht soweit, als daß er versucht hätte, Capucine erneut zu befreien. Noch hatte er um die eigene Existenz zu kämpfen.
Er hatte hier oben in New Mexico, nahe bei Sante Fé, einen neuen Stützpunkt ausgebaut. Ein Lager, von dem aus er die große Stadt zu erobern hoffte. Er überstürzte nichts, der gerissene Fuchs.
Er hatte von seinen Leuten eine verlassene Ansiedlung wieder so aufbauen lassen, daß sie ganz wie eine friedfertige kleine Stadt wirkte, in der sich irgendwelche Auswanderer niedergelassen hatten. Niemand wäre auf den Gedanken gekommen, daß der Blacksmith Ferguson oder der Taylor Humpy oder der Salooner Griffith Galgenmänner waren. Oder daß der schlaksige Mann mit dem grauen Schnauzbart, der auf der linken Brustseite den Sheriffs-Stern trug, niemand anders als der Unterführer der Galgenmännerbande Jose Gonzales war! Daß der kleine rundliche Mann, der den Barbershop führte, der in zwei Staaten steckbrieflich gesuchte Messerstecher Frank Hellmers war. Und alle die Männer, die sich hier in Camp Ladore aufhielten, waren in Santa Fé unbekannt.
Der Big Boß wußte nicht, daß Wyatt Earp sein Camp längst aufgestöbert hatte. Die Tatsache, daß der Marshal Gatta und Malinen in der zerfallenen Stadt dicht bei Santa Fé aufgegriffen hatte, verriet dem Chief noch nicht, daß der Marshal auch schon in Ladore gewesen war. Der Bandenführer hatte angenommen, daß Gatta und Malinen sich wieder einmal selbständig gemacht und in der Gegend herumgetrieben hatten, vielleicht gar mit der Absicht, nach Santa Fé zu reiten.
Malinen war tot. Der Große Chief kannte kein Erbarmen, wenn es galt, seine Pläne durchzusetzen.
Aber auf Gatta wollte er nicht verzichten. Zu wenige seiner Unterführer waren wirklich fähige Köpfe. Doch zum erstenmal hatte sich der Desperado in einem Mann getäuscht. Der Chief hatte längst vergessen, daß er früher nicht viel von Gatta gehalten hatte. Nur die Tatsache, daß Capucine Gatta schätzte, hatte den Chief verleitet, den Mann ebenfalls zu überschätzen.
So hatte er dann die Befreiungn Gattas durchgesetzt, indem er Gregg gewaltig in die Zange genommen hatte.
Ferry Gregg war nun endgültig ein Outlaw geworden, zum Gesetzlosen. Er hatte einen gefährlichen Galgenmann, den der Marshal unter Einsatz seines Lebens gefangen hatte, aus dem Jail herausgelassen.
Gregg ging nicht mehr nach Hause. Er verließ das Office auf dem gleichen Weg wie Gatta und holte eines der Pferde aus dem Stall. Dabei erst merkte er, daß er immer noch die Winchester in der Hand hatte. Er sattelte das Tier auf, schob die Winchester in den Scabbard und zog sich in den Sattel.
Es war nur wenige Minuten nach ein Uhr, als er die Stadt verließ.
Er wußte nicht, wohin er sich wenden sollte. Er verließ Sante Fé und glaubte, daß ihn das retten könnte. Aber er lief dem Verderb entgegen.
Nur um wenige hundert Schritt hatte er den westlichen Stadtrand hinter sich gebracht, als plötzlich hinter einer Feldhütte hervor zwei Männer traten und ihm den Weg verlegten.
Gregg biß die Zähne zusammen.
»Was wollt ihr?« krächzte er.
Und dann sah er, daß sie Gesichtstücher trugen, die bis unter ihre Augen reichten. Ohne daß er deren Farbe erkennen konnte, wußte er, daß sie grau waren.
Graugesichter! Galgenmänner!
Ferry Gregg stemmte sich mit beiden Händen auf den Sattelknauf und umspannte ihn mit klammen Fingern.
»Mein Name ist Gregg. Ich habe vor einer halben Stunde Laurentino Gatta aus dem Jail von Sante Fé herausgelassen.«
Da trat einer der Männer an sein Pferd und reichte ihm einen Gegenstand hinauf.
Gregg griff danach. Es war ein Tuch, ein großes graues Gesichtstuch.
»Umbinden!« befahl der Mann.
Gregg setzte sein Pferd in Bewegung und ritt an den beiden vorbei.
Nach etwa vierhundert Yard sah er einen Reiter am Wegrand halten. Noch ehe er ihn erreicht hatte, sah er, daß der Mann eine Maske trug.
Der Big Boß!
Ferry Gregg erschrak bis ins Mark. Unwillkürlich hatte er die Zügel angezogen. Sein Pferd war auf der Stelle stehengeblieben.
Da nahm der andere den linken Arm hoch und winkte ihm mit einer herrischen Bewegung.
Gregg setzte seinen Gaul langsam in Trott und kam auf den Reiter zu. Als er ihn erreicht hatte, hielt er sein Pferd wieder an.
Der andere zischte ihm mit tonloser Stimme zu:
»Weiterreiten! Genau nach Westen.«
Gregg wagte nicht, irgend etwas zu fragen. Er setzte seinen Gaul in Trab und ritt nach Westen davon.
Das also war er gewesen, der Große Chief selbst. Wie leicht wäre es gewesen, ihn zu töten. Einen Revolver zu ziehen oder ein Messer. Jedenfalls glaubte das der ungetreue Gesetzesmann von Santa Fé. Er wußte nicht, daß er von zwei weiteren Galgenmännern beobachtet worden war, während er neben dem Boß hielt. Es wäre ihm nicht gelungen, die Hand auch nur zum Gurt zu bringen, geschweige denn ein Messer zu ziehen, einen Revolver oder gar die schwere Winchester.
Nach einer ganzen Reihe von Meilen wurde er von einem Posten aufgegriffen, der ihn einem anderen übergab. Der führte ihn dann in die verlassene Stadt, nach dem von den Galgenmännern aufgebauten Camp Ladore.
Ferry Gregg wurde in den Hof des Saloons gebracht, wo ihm ein Mann entgegentrat, dessen Gesicht er durch das graue Tuch nicht erkennen konnte. Der Mann reichte ihm eine Maske.
»Aufsetzen«, sagte er halblaut.
Gregg stülpte sich die Zipfelmaske über den Kopf und stellte fest, daß er durch die Augenschlitze gut sehen konnte.
Er wurde von dem Mann in einen dunklen Korridor geführt. Von dort ging es durch eine Tür in einen großen Raum, in dem sich etwa fünfzehn Männer um einen großen Tisch geschart hatten.
Sie alle trugen die Zipfelmaske und saßen stumm da.
Nachdem einige Minuten vergangen waren, erhob sich einer der Männer und sagte:
»Wir müssen noch warten. Der Boß kommt selbst.«
Gregg erschrak, als er die Stimme Gattas erkannt hatte.
Was war geschehen? Er hatte einen Galgenmann aus dem Jail von Santa Fé herausgelassen und war dann geflüchtet, um dem Verbrechen den Rücken zu kehren. Und nun war er den Galgenmännern in die Arme gelaufen.
Weshalb hatten sie ihn nicht getötet? Weshalb hatten sie ihn hierher geführt in die verlassene Stadt, von der Gregg so gut wie gar nichts gewußt hatte?
Er erinnerte sich dunkel, daß es hier in den Seitentälern des Rio Purco einmal kleine Ansiedlungen gegeben hatte, die aber schon vor einer Reihe von Jahren verlassen worden waren. Nun hatten die Banditen also eine dieser Ansiedlungen ausgebaut und zu ihrem Lager geschleppt. Aber nicht als Gefangenen, sondern als einen Mann, der eine Maske trug wie sie selbst.
Es gab keinen Zweifel mehr für Gregg, er, der am vergangenen Abend das Office von Santa Fé als Sheriff verschlossen hatte, war ein Galgenmann geworden. Ganz gegen seinen Willen saß er hier inmitten der unheimlichen Bande und starrte auf Masken, die einander glichen wie ein Ei dem anderen.
Niemand sprach ein Wort.
Dann war draußen auf der Straße Hufschlag zu hören. Gleich darauf knarrte eine Angel des Hoftores. Noch immer wurde keine Stimme laut.
Dann wurde hinten die Tür geöffnet, und zwei Männer kamen herein, die ebenfalls Masken trugen. Obwohl der Sternenschimmer nur wenig Licht in den Raum warf, sah Gregg doch, daß keiner der beiden Männer der Anführer war.
Sie blieben neben dem Eingang stehen und warteten.
Wieder verstrich eine volle Minute.
Und dann kam er.
Sein Schritt war auf dem mit Steinfliesen belegten Korridor zu hören. Leise sangen seine großen silbernen Sternradsporen.
Gleich darauf erschien er in der Tür, die von den beiden Banditen flankiert wurde.
Ferry Gregg sah jetzt, daß er sehr groß war, breite Schultern hatte und schlanke Hüften. Er hatte eine stolze, herrische, selbstbewußte Haltung.
Er blieb einen Augenblick stehen und schien die Runde zu überprüfen. Dann hob er die rechte Hand, worauf einer der Männer die Tür hinter ihm schloß. Er nahm den Stuhl am Kopfende, der – wie Gregg jetzt feststellte – für ihn freigelassen worden war, zog ihn zurück und spannte beide Hände um seine Lehne.
Greggs Augen hatten sich mittlerweile so an die Dunkelheit gewöhnt, daß er genau sehen konnte, daß der Mann helle Wapithihandschuhe trug.
Wenn es vorhin schon still gewesen war in dieser Geisterrunde, so herrschte jetzt eine wahre Grabesruhe. Auch im Hof und draußen auf der Straße gab es keinen Laut. Ladore schien so tot und leblos dazuliegen wie die verfallene Stadt, die einige Täler weit ostwärts lag.
Mit grenzenloser Verwunderung und einiger Furcht saß Ferry Gregg mitten in der Runde des gefährlichsten Clan, den es in den Weststaaten gab. Seit Monaten wurde die Bande von dem großen Marshal Earp mit größter Erbitterung gejagt und verfolgt. Sie hatte sich die abscheulichsten Verbrechen zuschulden kommen lassen und verdiente nicht nur die härtesten Strafen, sondern auch die Verachtung jedes ehrbaren Bürgers.
Und er, Ferry Gregg, bis vor wenigen Stunden noch Sheriff von Santa Fé, saß hier mitten unter dieser Gang!
Das Gespenstische, Schemenhafte des Geheimbundes kam ihm jetzt erst ganz zum Bewußtsein und erfüllte ihn mit Grauen.
Der Große Boß hatte seine Bande trotz der schweren Niederlagen, die er hatte hinnehmen müssen, wieder stark ausgebaut und einzigartig organisiert. Die Schlappen, die die Bande hatte einstecken müssen, hatte vorübergehend die Disziplin stark gelockert, aber der harte Mann an der Spitze des Clans hatte seine Leute nun wieder so zurechtgeschmiedet, wie er sie brauchte.
Nun hob der Boß plötzlich die linke Hand, und zwei Männer standen auf, um die Fensterläden zu schließen. Völlige Dunkelheit herrschte jetzt in dem Raum.
Einer der Banditen riß ein Zündholz an, dessen Schein über die Zipfelmasken geisterte und gespenstische zackige Schatten auf die Decke und die Wände warf.
Es wurde eine Kerze angezündet, die auf einem einarmigen Leuchter in der Tischmitte stand.
Fasziniert starrte Ferry Gregg auf den Lichtpunkt inmitten des Tisches. Er wußte nicht, daß auch all die anderen von dieser Lichtquelle magisch angezogen wurden.
Was hatte das zu bedeuten?
Er wußte nicht, daß der Bandenführer diesen Trick von den Irokesen übernommen hatte, die einzelne Kerze hatte den Zweck, die Konzentration der Männer aufs Äußerste anzuspannen. Indem jeder auf diesen einzigen Lichtpunkt starrte, konnten sie durch nichts abgelenkt werden. Die Stille, die in dem Raum herrschte, schien dadurch noch vertieft zu werden und gestattete es dem Bandenführer, mit leiser Stimme zu sprechen.
Und obgleich er keinen Ton in die Worte legte, hatte diese zischende Stimme etwas seltsam Demagogisches, Bannendes an sich, etwas, das die Männer den Atem anhalten ließ.
Dennoch gab es einen in dieser Gespensterrunde, den das flackernde Kerzenlicht nicht bannte und der der zischenden Stimme und den Worten des Bandenführers nicht lauschte: Ferry Gregg.
Die Gedanken des ungetreuen Sheriff waren nicht hier in diesem Raum. Gregg sah statt des Kerzenlichts das gelb-weiße Licht einer Schenke auf der Mainstreet, und in diesem Lichtschein sah er das braune Gesicht Wyatt Earps vor sich, dessen große Augen ihn forschend betrachteten. Und wieder hörte Gregg die Worte des Missouriers in seinen Ohren: »Irgendwelche Sorgen?«
Wie stolz war der junge Deputy darauf gewesen, so von dem großen Wyatt Earp begrüßt, von ihm wie ein Kollege behandelt zu werden! Und jetzt saß er hier in der Runde jener Männer, die die ärgsten Feinde des Missouriers waren.
Wie tief war er gesunken!
Sein ganzes Leben war verpfuscht für immer. Nie wieder würde er dem großen Gesetzesmann Earp unter die Augen treten können, ihm nicht und auch keinem anderen Sheriff. Keinem ehrbaren Bürger mehr, niemandem, dem das Wohl dieses Landes am Herzen lag.
Was hätte der Marshal wohl gesagt, überlegte Gregg, wenn er jetzt einen Blick in diese Verbrecherrunde hier hätte tun können? In diesen Raum, in dem hinter verschlossenen Türen und verriegelten Fensterläden die gefährliche Galgenmännerbande Beratung abhielt!
Was hätte der geflüchtete Sheriff von Santa Fé erst gesagt, wenn er gewußt hätte, daß der Marshal Earp, mit dem sich seine Gedanken so beschäftigten, in diesem Augenblick nicht ganz sieben Yard von der Tür dieses Zimmers entfernt war.
*
Nachdem Wyatt Earp mit Gregg auf der Mainstreet gesprochen hatte, war er hinüber in die kleine Letman Street gegangen, wo er nach wenigen Schritten stehen blieb und sich umwandte.
Aus dem Dunkel eines Türgangs drang die Stimme Doc Hollidays an sein Ohr.
»Er ist ziemlich unruhig, der gute Gregg.«
Der Marshal nickte und blickte auf die Mainstreet hinaus.
»Ja, Sie haben recht.«
»Ich glaube nicht, daß er das Vertrauen verdient, was Sie in ihn gesetzt haben.«
»Ich weiß es nicht, Doc. Ich mußte es riskieren. Ich habe keine andere Wahl. Wir müssen versuchen, jeden Mann auf unsere Seite zu bringen. Jeder, der in diesem Kampf nicht mit uns ist, ist leider gegen uns.«
»Eine biblische Parole«, meinte der Georgier. »Schade, daß die Leute hier so wenig vom Alten Testament wissen.«
Wyatt Earp hatte dem gestrauchelten Sheriff zwar sein Amt zurückgegeben, aber dafür gesorgt, daß ein Posten vorm Hoftor des Office stand, der alles überwachen sollte. Auf diesem Posten stand niemand anderes als Jerry Lorayne. Jerry wußte zwar nicht, weshalb der Marshal ihn dahin gestellt hatte, und er kam auch gar nicht dazu, lange darüber nachzudenken.
Kaum hatte er fünf Minuten auf seinem Posten gestanden, als er von hinten niedergeschlagen und überwältigt wurde.
Schwer gefesselt und geknebelt kam er nach einer Viertelstunde zu sich. Er lag in einem Hof neben einem Wagenrad und spürte die Kühle der Erde in seinen Körper steigen. Über sich sah er den bestirnten Nachthimmel.
Nach einiger Zeit hörte er Schüsse und wußte, daß drüben im Office geschossen wurde.
Es sollte Morgengrauen werden, ehe der Texaner Luke Short ihn durch einen Zufall hier in dieser Hofecke fand.
Wyatt Earp hatte Lorayne, den er für einen tüchtigen Mann hielt und dem er insgeheim viel mehr zutraute als dem von der Honoration der Stadt bestallten Ferry Gregg, deshalb vor das Hoftor des Sheriffs Office aufgestellt, um zu verhindern, daß Gregg bei einem Rückfall Erfolg haben könnte. Lorayne mußte jeden Mann, der den Hof des Office verließ, kommen sehen.
»Kommen Sie, Doc! Wir haben jetzt einen anderen Weg vor uns.«
Sie stiegen auf ihre Pferde und verließen die nächtliche Stadt.
Der Marshal kannte ja den Weg hinaus zum geheimen Camp der Galgenmänner. Er ritt ebenso wie vor zwei Tagen im Norden über die Hügelkämme, von denen man einen guten Ausblick in die Sandtäler hatte.
Auch wußte er, daß die Männer, die das Camp verließen, um zur Stadt zu reiten, unten durch das Tal kommen würden. Es war viel zu riskant, hoch oben über die Kämme zu ziehen.
Nach scharfem Ritt hatten sie die Stelle erreicht, von wo aus man einen Blick in das Tal der grauen Wölfe hatte.
Die beiden rutschten aus den Sätteln, ließen ihre Pferde stehen und gingen den Hügelkamm weiter hinauf und ließen sich da nieder. Der Marshal deutete in das düstere Tal, das vom Sternenlicht nur schwach beleuchtet wurde.
Verwundert blickte der Spieler auf die grauen Häuser, die rechts und links die schmale Mainstreet des Camp Ladore säumten.
»Dieser Halunke ist doch wirklich mit allen Wassern gewaschen«, kam es leise von den Lippen des Georgiers. »Sich diese versteckte Ecke auszusuchen – das ist schon ausgekocht! Niemand würde ihn und seine Bande hier in diesem Nest suchen. Sieht ganz so aus, als hätten die Schufte die Häuser wieder aufgebaut?«
»Ja. Die ganze Stadt ist aufgebaut. Und ich wette, daß sich diese Schurken tagsüber als ehrbare Bürger geben.«
»Sind Sie überzeugt, daß außer Gatta und Malinen niemand Sie hier gesehen hat?«
»Ja. Ich bin überzeugt davon. Aber es ist nicht sicher, ob der Boß nicht Verdacht geschöpft hat, daß ich hier gewesen sein könnte.«
Holliday schüttelte langsam den Kopf.
»Ich glaube nicht, daß er auf diesen Gedanken kommen wird. Dann hätte er das Nest wahrscheinlich längst ausgeräumt. Er nimmt ganz sicher an, daß Sie Gatta und Malinen da unten in dem Sandtal aufgestöbert haben.«
Unten in dem Tal der Wölfe schien sich nichts zu rühren. Nirgends ein Geräusch und nirgends ein Lichtschein.
Holliday flüsterte:
»Wo vermuten Sie den Hügelposten?«
Der Marshal deutete rechts hinüber auf die Halde, wo ein großes Tamariskengestrüpp stand.
»Da müßte es stehen.«
»Soll ich ihn mir kaufen?«
Der Missourier schüttelte den Kopf.
»Das werde ich übernehmen.« Schon schlängelte er sich wie ein Indianer davon.
Holliday sah ihn noch durch den Sand davonkriechen, als das Geräusch, das Earp gerade noch verursacht hatte, schon erstorben war.
Der Marshal schlich sich in einem Halbkreis über die Sandhalde, bis er jenseits des Tamariskengestrüpps war. Dort richtete er sich dann auf die Knie auf, um besser sehen zu können.
Das Gebüsch war ziemlich dicht, so daß er kaum etwas erkennen konnte. Er mußte also näher an das Camp heran.
Tief über den Boden geduckt, auf Zehenspitzen und Fingerkuppen, bewegte er sich vorwärts und unterschied sich jetzt in nichts mehr von einem Apachen. Wieder einmal machte sich bezahlt, was Wyatt Earp in seinen harten Jugendjahren hatte lernen müssen, als er mit dem Vater den weiten Westen durchstreifte. Ungehört kam er sieben Yard weit hinter das Gestrüpp.
Und jetzt erkannte er die Gestalt eines Mannes, der auf einem Sattel hockte, eine Decke um seine Schultern geschlagen hatte und offenbar eingenickt war. Er hielt ein Gewehr in beiden Händen und lehnte den Kopf dagegen.
Der Marshal konnte kein Risiko eingehen, nicht etwa jetzt schon aufspringen und auf den schlafenden Wächter zurennen, denn dann hätte er noch immer die Möglichkeit gehabt, einen Schrei auszustoßen, der das ganze Lager hätte aufwecken können.
Wyatt mußte also noch näher an ihn heran.
Unendlich langsam, nur Inch für Inch, schob er sich vorwärts.
Es ist sehr anstrengend, sich auf diese Weise vorwärtszubewegen. Erst lange mühevolle Übung ermöglicht es einem so schweren Mann, nur auf den Finger- und Zehenspitzen zu kriechen, ohne den Leib auf den Boden sinken zu lassen. Da nur die Fingerspitzen die Erde berührten, gab es so gut wie kein Geräusch.
Fünf Yard waren es jetzt, dann vier, jetzt nur noch drei – und dann zwei.
In diesem Augenblick hob der Wächter den Kopf.
Er blickte in das Tal hinunter auf die Häuser, schob sich den Hut aus der Stirn und schneuzte die Nase. Dann blickte er zu dem Hügelkamm hinüber, genau in die Richtung, in der der Marshal den Spieler wußte.
In diesem Augenblick drangen aus dem Tal Geräusche herauf. Sie kamen vom Taleingang her und wurden von den Hufen mehrerer Pferde verursacht.
Es war Ferry Gregg mit seinem Begleiter.
Die beiden Männer, die den ebenen Weg unten durch das Tal von Santa Fé her hatten nehmen können, waren natürlich sehr viel schneller vorwärtsgekommen als Wyatt Earp und Doc Holliday, die den mühseligen Pfad über die Hügelkämme genommen hatten.
Der Wächter erhob sich, warf die Decke von seinen Schultern und reckte die Arme, wobei er das Gewehr in der Rechten behielt.
Etwas mehr als zwei Yard hinter ihm lag, tief an den Boden gepreßt, der Missourier.
Jetzt war es doppelt gefährlich, irgend etwas zu unternehmen. Auch die Männer, die jetzt unten auf der Mainstreet standen, hätten jedes lautere Geräusch, geschweige denn einen Schrei vernehmen müssen.
Doch hatte der Missourier keine Wahl. Der Wächter mußte sich jeden Augenblick umdrehen und ihn dann unweigerlich auf dem hellen Sand entdecken.
Da geschah es auch schon. Der Mann wandte sich um. Im gleichen Augenblick erhielt er von dem hochschnellenden Missourier einen Faustschlag, der ihn genau am Kinnwinkel traf und lautlos über die Absatzspitzen nach hinten auf den Sand schlagen ließ.
Wyatt riß ihm sofort das Halstuch herunter, stopfte es zwischen seine Zähne, nahm sein Taschentuch aus der Tasche und sicherte damit den Knebel. Dann zerrte er ihm den Gurt vom Hosenbund und fesselte ihm damit Hände und Füße.
Der Mann wurde entwaffnet und an die Tamarisken geschleppt, wo Wyatt ihn mit einem weiteren Riemen an einem starken Wurzelstock festband.
Kaum war diese Arbeit getan, als der Missourier zu seinem Schrecken feststellte, daß unten zwei Männer durch die Mainstreet auf das Ende der Stadt zugingen, die letzten Häuser hinter sich ließen und sich anschickten, die Halde hinaufzusteigen.
Der Marshal kniete mit dem rechten Bein am Boden und hatte seinen großen langläufigen Buntline Special Revolver in der Linken. Gebannt fixierte er die beiden Gestalten, die da hinaufkamen.
Damned! Er konnte jetzt unmöglich schießen! Aber zwei Männer gleichzeitig zu überwältigen, das war in dieser Lage bestimmt kein Kinderspiel, wenn es obendrein noch lautlos vor sich gehen sollte.
Der Missourier entschloß sich, die Decke zu nehmen, sich auf den Sattel zu setzen und den Wächter zu mimen.
Die beiden waren bis auf etwa fünfzig Yard herangekommen, blieben dann stehen und wandten sich um.
Es gab unten in der Straße etwas zu sehen. Ein Reiter kam vom breiten Flußtal her in die Stadt, bog aber gleich hinter dem ersten Haus ein, ritt hinter den Höfen entlang und verschwand.
Die beiden standen tuschelnd da und blickten noch auf die Häuser hinunter.
Dann wandten sie sich um und stiegen den Hang weiter hinauf, auf das Tamariskengebüsch zu, wo sie ja ihren Posten wußten.
Hart umspannte die linke Faust des Missouriers den Buntline Special, dessen Mündung aus dem Spalt der Decke lugte. In der Rechten hatte er das Gewehr des Postens.
Als die Männer bis auf zehn Schritt herangekommen waren, blieben sie stehen.
»He, Chris!« rief der eine halblaut.
»Was gibt es?« zischte der Marshal zurück.
»Alles klar hier?«
»Alles klar«, gab Wyatt zurück.
Der Mann, der ihn angesprochen hatte, kam noch zwei Schritte näher und meinte:
»Der Boß ist gekommen.«
»Ja, ich weiß«, antwortete Wyatt gähnend.
Der Mann rief:
»He, ich habe das Gefühl, du bist nahe am Einpennen, Mensch.«
»Quatsch!« entgegnete Wyatt schnoddrig.
»Das laß dir nur ja nicht einfallen«, meinte der Galgenmann und schickte einen Blick ringsum über die Hügelkette. »Ich habe Bosco mitgebracht, der wird mitwachen.«
»Weshalb?« riskierte Wyatt zu fragen.
»Weshalb?« Der Mann blickte finster zu ihm hinunter. Die Augen, die über das graue Gesichtstuch sahen, schienen zu blitzen. »Du kannst vielleicht blöde Fragen stellen, mein lieber Mensch! Weißt du doch ganz genau, daß der Boß jeden Posten verdoppelt haben will, wenn er im Camp ist.«
»Ach ja, stimmt.«
»Bosco bleibt da vorne stehen.«
»Da vorne, weshalb da?« wagte Wyatt sich weiter vor.
»Weil ich es so haben will! Ihr beiden Halunken braucht nicht zusammenzustecken. Ich weiß, daß ihr dann entweder pokert oder zusammen einschlaft. So aber wird einer auf den anderen aufpassen.«
Der Mann mit dem Gesichtstuch wandte sich um und ging den Hang hinunter, ohne mit Bosco noch ein Wort gewechselt zu haben.
Jetzt sah Wyatt, daß auch dieser Bosco das Gesichtstuch trug. Es schien also geraten zu sein, ebenfalls das graue Tuch umzulegen. Der Missourier hatte vor einigen Wochen zusammen mit Doc Holliday zwei solcher Tücher erbeutet und trug das seine immer mit sich. Er nahm es jetzt aus der Tasche und band es sich um.
Bosco verharrte wie ein Baumstumpf auf dem Fleck.
Was sollte geschehen? Der gefesselte Gefangene an den Tamarisken konnte jeden Augenblick aus seiner Ohnmacht erwachen und dann irgendeinen verräterischen Laut von sich geben.
Noch hatte der Unterführer die Talsohle nicht erreicht, als das Befürchtete geschah.
Der Gefangene rührte sich und stieß einen grunzenden Ton aus. Zwar konnte der Unterführer ihn längst nicht mehr hören, aber Bosco nahm sofort den Kopf herum.
Wyatt kroch hinüber zu dem Gefangenen und zischelte dicht an seinem Ohr: »Halts Maul, Junge! Das ist deine einzige Chance. Sonst wirst du augenblicklich ausgelöscht.«
Der Gefangene schwieg.
Als Wyatt sich zu seinem Platz zurückbegeben wollte, rief Bosco mit unterdrückter Stimme:
»Was gibt es, Chris?«
»Ach, nichts.«
»Was kriechst du da hin und her?« kam es argwöhnisch von Bosco zurück.
»Ich muß mir etwas Bewegung verschaffen«, erwiderte Wyatt schnarrend. »Ich kann nicht stundenlang auf ein und demselben Punkt hocken.«
»Dann hättest du es Hellmers sagen müssen.«
Hellmers hieß also der Unterführer.
Wyatt hatte sich wieder auf dem Sattel niedergelassen und die Decke aufgenommen. Er behielt sowohl Bosco als auch den Gefangenen am Tamariskengebüsch scharf im Auge. Jeden Augenblick konnte sich Chris wieder rühren.
Aber es geschah nichts dergleichen. Offenbar war Chris’ Angst doch größer als seine Treue zur Gang.
Bosco stützte sich auf den Lauf seines Gewehres und starrte zu den Hügelkämmen hinüber. Er nahm offenbar die Aufgabe, die ihm übertragen worden war, bitter ernst. So waren die Männer, die der Big Boß brauchte.
Der Gedanke, daß der Bandenführer unten im Camp war, erregte den Marshal ungeheuer. Obgleich er genau wußte, daß der Desperado dort von einer ganzen Reihe gefährlicher Leute umgeben war, war er fest entschlossen, ins Camp hinunterzugehen.
Vielleicht war es hoffnungslos, jetzt einen Angriff auf diesen Mann zu riskieren. Hoffnungslos und gefährlich. Aber der Marshal war nicht der Mann, der aufgab, auch wenn sich die Hindernisse himmelhoch türmten.
Wie aber sollte er in die Stadt hinunterkommen, wenn dieser verteufelte Bosco dastand und ihm den Weg versperrte? Sollte er einen Angriff auf ihn unternehmen?
Fest stand, daß dieser Bosco kein Schläfer wie sein Kamerad Chris war. Aufmerksam beobachtete er nach wie vor den Hügelkamm. Wyatt hockte auf dem Sattel und starrte zu ihm hinüber.
Als der Marshal nach einer Weile zurückblickte und die Hänge hinter sich ins Auge faßte, glaubte er, das Herz müsse ihm stehenbleiben. Nur etwa dreißig Yard entfernt sah er auf dem gleichen Weg, den er genommen hatte, einen dunklen Punkt am Boden im Schatten des Hanges.
Ein Punkt wie ein großer schwarzer Stein.
Aber der Missourier wußte ganz genau, daß da vor einer Viertelstunde kein solcher Stein gelegen hatte. Da war ein Mensch!
Wyatt blickte rasch zu Bosco hinüber, und als er den unverändert dastehen sah, blickte er wieder zu dem dunklen Fleck hinüber, der nun näherkam.
Da schlich jemand auf der Spur des Marshals auf die Tamarisken zu!
Doc Holliday?
Der Missourier war sich keineswegs sicher, denn er wußte, daß der Spieler solche Strapazen keineswegs liebte. Daß der Georgier allerdings ein sehr geübter Schleicher war, wußte Wyatt ebenfalls.
Unendlich langsam kam der Mann näher, und als er auf fünfzehn Yard herangekommen war, hob er plötzlich kurz die rechte Hand.
Holliday! Jetzt wußte es der Marshal genau.
Welch ein Wagnis! Der Gambler hatte jetzt längst den Blickkreis des stehenden Postens erreicht und bewegte sich darin vorwärts.
Wyatt wollte ihm einen Wink geben, sich nicht weiter vorwärts zu bewegen, als er Bosco plötzlich zischen hörte:
»He, Chris, bist du etwa wieder eingeschlafen?«
Wyatt warf einen raschen Blick zu der Tamariske hinüber, und als sich der Gefangene dort nicht rührte, zischte er schnarrend zurück: »Du fragst zuviel, Bosco.«
Mit Besorgnis beobachtete er, wie Holliday näherkam.
Aber der Spieler bewegte sich so geschickt vorwärts, daß der Marshal unter anderen Umständen seine helle Freude daran gehabt hätte. Jetzt aber war es höllisch gefährlich.
Wyatt hatte sich erhoben und machte mehrere Schritte auf Bosco zu.
»He, siehst du da oben den grauen Fleck auf den Hügelkämmen?« zischte er dem Posten zu.
Der machte zwei Schritte vorwärts, bewegte sich dadurch weiter von Holliday weg und zog die Augenbrauen zusammen.
»Nein, ich kann nichts entdecken. Wo denn?«
Wyatt kam näher. »Warte, ich werde es dir zeigen.«
»Nein, bleib wo du bist«, fauchte ihn Bosco an.
»Du mußt verrückt sein«, knurrte Wyatt. »Wir haben die Pflicht, hier genau aufzupassen. Was glaubst du wohl, was geschieht, wenn von hier oben irgend jemand in die Stadt käme?«
Während dieser Worte bewegte sich der Marshal weiter auf Bosco zu. Aber seine Hauptsorge galt jetzt Chris, der durch den leisesten verräterischen Laut äußerste Gefahr heraufbeschwören konnte.
Da hatte der Missourier Bosco bis auf drei Schritte erreicht. Der wollte ihn ansehen. Aber Wyatt deutete zu dem Kamm hinauf.
»Da! Sieh doch da!« zischte er.
Bosco machte zwei Schritte vorwärts und knickte in das linke Knie ein.
In diesem Augenblick hechtete ihm der Missourier entgegen und riß ihn mit einem Handkantenschlag nieder.
Nur ein leiser, kaum vernehmlicher gurgelnder Laut war zu hören. Dann preßte der Marshal schon die Hand auf Boscos Mund, und als er sich davon überzeugt hatte, daß der Bandit die Besinnung verloren hatte, fesselte und knebelte er ihn auf die gleiche Weise wie Chris. Er schleppte ihn zu der Tamariske und band ihn dort unweit von dem anderen Banditen an einem Wurzelstock fest.
Doc Holliday kauerte neben dem Sattel am Boden.
»Weshalb sind Sie gekommen?« fragte der Marshal.
»Sie müssen entschuldigen, daß ich den etwas unbequemen Weg genommen habe und dadurch volle zwanzig Minuten verlor«, meinte der Georgier, »anstatt hier in zwei Minuten quer über den Hang zu Ihnen zu laufen. Aber erstens konnte ich nicht genau beobachten, was sich hier ereignete, und zweitens dachte ich mir, es würde Sie vielleicht interessieren, daß sich zwei Männer unten auf einem der Höfe fortgemacht haben und sich auf ziemlich sonderbare Weise drüben hinter dem Kamin hinauf bewegen.«
»Damned!« knurrte der Marshal. »Wo stecken die beiden?«
»Sie haben einen ziemlich weiten Weg, und da sie in der gleichen anstrengenden Reptilmanier über den Boden krauchen wie wir beide, werden sie den Kamm oben höchstwahrscheinlich in vier Minuten erreicht haben.«
»Bleiben Sie hier sitzen, und schlagen Sie sich die Decke über die Schultern. Vorhin ist einer der Unterführer hier gewesen, der Hellmers heißt. Den ich niedergeschlagen habe, ist Chris und der andere, den wir jetzt geholt haben, ist Bosco. Wenn der Unterführer heraufkommen sollte, zischeln Sie ihm zu, daß Bosco drüben über den Kamm gegangen ist, weil er glaubte, da etwas gehört zu haben.«
Holliday nickte, er war im Bilde. Also schlug er die Decke über die Schultern und ließ sich auf den Sattel nieder.
Wyatt Earp lief geduckt davon. Er hatte jetzt nicht mehr die Zeit und Muße und kaum noch Veranlassung dazu, über den Boden dahinzuschleichen. Tief geduckt lief er um die Hügelkuppe herum. Er erreichte den Platz, wo die beiden Pferde standen, genau in dem Augenblick, in dem die beiden Männer von der anderen Seite heraufkamen.
Wyatt stand jetzt halb hinter dem Kamm und hatte das Gewehr in der Hand.
»Was gibt es?« zischte er.
»Wer bist du?«
»Blöde Frage! Bosco«, zischte Wyatt zurück.
»Was machst du denn hier, Mann? Du sollst doch da drüben stehen.«
»Weiß ich, aber mir fiel auf, daß sich da irgend etwas bewegte. Was sucht ihr beide denn?«
Es vergingen drei Sekunden, dann antwortete einer der Outlaws:
»Der Boß hat uns an den Ostrand geschickt, um das Nachbartal zu beobachten.«
»Los, dann verschwindet! Das Nachbartal ist drüben und nicht hier.«
»Wissen wir. Aber wir sahen dich hier oben.«
»Los, verschwindet!« zischte Wyatt.
»Jaja, schon gut. Komm, Charly«, krächzte der Mann, und die beiden schlichen davon.
Wyatt wischte sich die winzigen Schweißperlen von der Stirn, die ihm diese höllische Situation aus der Haut gepreßt hatte.
Das war also noch einmal gutgegangen. Ein wahres Glück, daß Holliday so aufmerksam gewesen war!
Wyatt ließ die beiden Pferde zurück und begab sich auf dem gleichen Weg zur Tamariske, wo der Spieler auf ihn wartete.
»Was haben Sie jetzt vor?«
»Ich muß hinunter ins Camp.«
»Aha«, meinte der Georgier und warf einen forschenden Blick in das vom Sternenlicht schwach beleuchtete Gesicht des Gefährten.
»Sie sind ziemlich vergnügungssüchtig, wie mir scheint.«
Wyatt hatte die Zähne fest aufeinander gestoßen. Jetzt preßte er hervor: »Ich muß hinunter, Doc! Er ist in der Stadt.«
»Er? Etwa der Chief?«
»Ja.«
»Woher wissen Sie?«
»Hellmers hat es gesagt. Sie sind zwar vorsichtig, aber noch immer nicht vorsichtig genug, die Graugesichter.«
»Capucine fehlt ihnen eben an allen Ecken und Enden«, bemerkte der Spieler spöttisch.
Der Marshal stand noch neben ihm, als er plötzlich zusammenzuckte. »He, da kommt wieder einer!«
Unten in der Straße war die Gestalt eines Mannes sichtbar geworden, der ganz offenbar auf den Hang zuhielt.
»Das ist Hellmers!« rief Wyatt
»Und was jetzt?« fragte der eiskalte Georgier ohne die geringste Spur von Erregung.
»Bleiben Sie da sitzen, wo Sie sind.«
Wyatt lief zu dem gefangenen Bosco hinüber, zog ihm den Hut mit der schmalen Krempe vom Kopf, setzte ihn sich selbst auf, nahm das Gewehr und bewegte sich ein Stück von Holliday weg auf den Platz zu, auf dem Bosco vorhin gestanden hatte.
Hellmers kam jetzt den Hang herauf.
Es war eine teuflische Situation für den Missourier. Denn wenn Hellmers ihn für Bosco halten sollte, mußte er mit Blindheit geschlagen sein. Bosco war fast einen ganzen Kopf kleiner als der Marshal.
Wyatt suchte mit den Füßen eine Mulde im Boden und bohrte die Stiefel noch in den Sand, was ihn tatsächlich für die Augen des herankommenden Unterführers kleiner machen mußte.
Unverwandt blickte der Marshal zum Hügelkamm hinüber, auf das Gewehr gestützt, wie vorhin Bosco.
Doc Holliday, der nur wenige Yards von der Tamariske und den beiden Gefangenen entfernt saß, hatte seinen Revolver genommen und den Hahn gespannt. Hellmers war noch viel zu weit weg, um das Geräusch hören zu können, aber Bosco und Chris hatten es todsicher gehört.
»Paßt genau auf, Freunde!« flüsterte der Spieler. »Mein Name ist Holliday, John Henry Holliday. Schätze, daß ihr schon von mir gehört habt. Und falls nicht, wird euch das Klicken des Revolverhahns auch genug sagen. Wer auch nur einen Finger bewegt, hat ausgepustet. Die Tatsache, daß ihr noch am Leben seid, verdankt ihr der Nachsicht des Marshals. Ich bin kein Marshal und habe keinen Grund, nachsichtig zu sein, mit Leuten, die mich in Gefahr bringen. Ihr seid also gewarnt.«
Wenn die Galgenmänner auch noch einen letzten Zweifel daran gehabt hatten, wer sie überwunden hatte, so wußten sie jetzt genau Bescheid. In eisiger Erstarrung lagen sie am Fuß der Tamariske und lauschten in die Nacht hinein. Ihre Augen hafteten auf der reglosen Gestalt des Mannes drüben auf dem Sattel.
Das war also Doc Holliday!
Und weder der ehemalige Posträuber Bosco Henderson aus Dallas in Texas, noch der einstige Bahnarbeiter Chris Presley zweifelte daran, daß der Spieler seine Worte ernst meinte.
Hellmers war auf halber Höhe stehengeblieben und blickte zu Wyatt Earp hinauf.
»He«, zischelte er.
Wyatt wandte den Kopf und blickte zu ihm hinunter. Er hatte die Rechte aufs Gewehr gestützt und die Linke auf dem Kolben des Buntline Revolvers liegen.
»Was gibt es, Hellmers?« fragte er.
»Mensch, was läufst du hin und her?«
»Was ist los?«
»Ich habe dich gefragt, weshalb du nicht auf deinem Posten bist.«
»Ich bin auf meinem Posten geblieben. Chris, der Idiot, glaubte da hinten etwas gesehen zu haben. Deshalb bin ich zu ihm hinaufgegangen. Aber es ist alles in Ordnung.«
»Wenn ihr nicht auf eurem Posten bleiben könnt, fahrt ihr zur Hölle!« zischte der Unterführer, hob drohend die Faust und kehrte dann wieder um, zur Talsohle hinunter.
Er ahnte ja nicht, in welcher Gefahr er sich da befunden hatte.
Sie wurden also unten von der Stadt aus beobachtet. Welch ein Glück, daß Hellmers nicht gesehen hatte, wie der Marshal Bosco niederriß.
Der Abstieg hier die Halde hinunter zu der Frontstreet des Camps war also unmöglich.
Wyatt war davon überzeugt, daß Hellmers, falls er den Hang noch weiter beobachtete, Doc Holliday nicht sehen konnte. Es gab also nur noch eine Möglichkeit für den Missourier: Er mußte mit dem Doc den Platz tauschen.
»Doc«, flüsterte er, »kommen Sie her.«
Als Holliday neben ihm war, gab Wyatt ihm Boscos Hut und wollte schon weiter.
»Wo wollen Sie hin?« flüsterte Holliday, als der Marshal tief am Boden neben ihm lag.
»Das wissen Sie doch, Doc. In die Stadt hinunter.«
Holliday stützte sich auf das Gewehr, blickte zu den Hügelkämmen hinauf und meinte:
»Es gibt Leute, die immer verreisen müssen, dagegen kann man nichts machen. Das Verrückte an der Sache ist nur, daß sie immer an die falschen Orte reisen.«
»Es hilft nichts, Doc. Ich muß hinunter. Ich muß meine Chance wahrnehmen.«
»Chance?« kam es spöttisch von den Lippen des Spielers. »Es ist die Chance eines Fuchses gegen ein Wolfsrudel.«
»Ich weiß, aber ich habe keine Wahl.«
Der Marshal wollte keine Möglichkeit auslassen, den gefährlichen Bandenführer zu greifen. Groß war die Chance allerdings nicht, in die Stadt der Banditen hinunterzuschleichen, in ein Camp, das vollbesetzt mit Männern war, die alle Wyatts Todfeinde waren. Eine Stadt, die er kaum kannte.
Er war zwar einmal unten gewesen. Aber was hatte er da schon gesehen? Eine dunkle Hauptstraße, ein paar Nebengassen. Genauso kannte er nur das Haus, in dem damals Gatta gewesen war, und von diesem Haus auch nur den Küchenraum, in dem er Gatta und Malinen beobachtet hatte.
Langsam bewegte sich Wyatt tief am Boden vorwärts, nicht direkt die Halde hinunter, sondern von der Tamariske weg nach Westen, um einen großen Halbkreis zu beschreiben.
»Vielleicht schicken Sie mir eine Ansichtskarte, wenn Sie in der Hölle sind«, flüsterte der Spieler in seiner makabren Art nach.
Der Missourier schlich um die Halde herum und war nach einer Viertelstunde am Westhang des Tales hinter den ersten Häusern. Hier kam ihm zustatten, daß die Scheune des ersten Hofes nahe am Talhang lag und den Blick von der Straße zu dieser Talseite hin versperrte.
Wyatt bewegte sich unendlich langsam vorwärts, da er nun befürchten mußte, von irgendeinem Fenster aus gesehen zu werden. Nach einer vollen halben Stunde hatte er endlich die Rückwand der Scheune erreicht, richtete sich auf und lauschte.
In der Stadt war alles totenstill.
Der Marshal bewegte sich dicht an der Scheunenwand vorwärts. Von ihrem nördlichen Ende aus konnte er den Georgier oben am Hang wie eine Kaktusstaude stehen sehen.
Er ging zurück und bog am anderen Ende um die Scheunenecke, sah die Rückfront des Hofes vor sich, schlich an den Zaun heran, jumpte hinauf und schwang sich hinüber.
Der Hof war ziemlich eng. Er wurde zur Straße hin von einem Tor abgeschlossen, dessen Bretter ziemlich neu aussahen.
Das Wohnhaus auf der rechten Seite schien verlassen dazuliegen, denn keiner der Fensterläden war verschlossen und nirgends brannte Licht. Die Haustür stand weit offen.
Wie ein Schatten huschte der Missourier an der Wand des Stallhauses entlang auf das Tor zu.
Als er es öffnen wollte, stellte er zu seiner Befriedigung fest, daß die Angeln kein Geräusch verursachten, höchstwahrscheinlich waren sie frisch geschmiert.
Überall sah man neue Bretter und neue Holzteile, sowohl in den Türen als auch an den Fensterkreuzen und Dachbalken. Diese Stadt war gründlich instandgesetzt worden.
Der Marshal öffnete das Tor einen Spalt und blickte auf die Frontstreet von Ladore hinaus.
Es war natürlich zu gefährlich, jetzt hier auf die Straße hinauszugehen. Aber er mußte hinüber auf die andere Seite, da er wußte, daß der Chief drüben in einen der Höfe geritten war.
Das war ein Vabanquespiel. Der Boß konnte in dem zweiten wie in dem dritten, vierten, fünften oder sechsten Haus stecken. Ganz davon abgesehen, hielt der Marshal es für durchaus möglich, daß die Straße scharf bewacht wurde. Oder sollten sich die Galgenmänner etwa so sicher in ihrem Mauseloch fühlen, daß sie hier jede Wache für überflüssig hielten?
So gut wie hier oben die Hänge bewacht wurden, würde höchstwahrscheinlich auch der Taleingang zum Fluß unten bewacht werden, was die Galgenmänner möglicherweise dazu veranlaßte, auf eine Wache in der Stadt selbst zu verzichten. Aber damit durfte der Marshal nicht rechnen.
Er blickte durch den Spalt des Tores auf die Straße und wunderte sich über die Totenstille, die in der Stadt herrschte. Nirgends ein Lichtschein. Nirgends ein Laut. Nirgends ein Zeichen von Leben. Wären die Häuser nicht alle so gut in Schuß gewesen, so hätte man glauben können, sich in der toten Stadt zu befinden, die einige Täler weiter östlich lag und vom Sand der Savanne schon halb begraben war.
Gerade hatte Wyatt beschlossen, seinen Posten hier zu verlassen, um durch das Wohnhaus irgendwie in den Nachbarhof zu kommen, als er zu seiner Verblüffung sah, wie schräg gegenüber, zur Hoffront des Saloons hin, ein Fenster hochgeschoben und der Laden geschlossen wurde.
Verblüfft blickte der Marshal auf die Hoffront der Schenke. Das nächste Fenster wurde hochgeschoben. Und wieder wurde ein Laden geschlossen. Das wiederholte sich viermal.
Was hatte das zu bedeuten? Sollte dem Salooner jetzt, so spät in der Nacht, noch eingefallen sein, die Laden zu schließen?
Kaum anzunehmen. Das mußte eine andere Ursache haben.
Die Stadt war keineswegs so tot, wie es den Anschein hatte.
Wo steckte Hellmers? Lauerte er unten am Stadtausgang, an einem der letzten Häuser vor der Halde? Vermutlich hatte er den Auftrag bekommen, dort zu wachen.
Daß am Stadteingang, also zum Flußtal hinunter, Wächter stehen würden, hielt der Marshal für selbstverständlich.
Während er das Saloonhaus gegenüber forschend betrachtete, dachte er darüber nach, ob der Mann, den er von oben in die Stadt hatte reiten sehen, wirklich der Große Chief gewesen war.
Wohin hatte er sich gewandt? Weshalb war er nach Ladore gekommen? Es schien doch seine Angewohnheit zu sein, außerhalb des Camps zu nächtigen. Denn was sollte er neulich in der verlassenen Stadt gesucht haben, wenn nicht ein Nachtquartier? Dieser seltsame Mann schien es nicht zu schätzen, inmitten seiner Männer zu schlafen.
Weshalb also war er hierher gekommen?
Da! Durch eine Bretterritze blinzelte ein winziger Lichtschein in den Hof der Schenke.
In dem großen Raum, vor dem soeben die Läden geschlossen worden waren, hatte man ein Licht angezündet. Es wirkte wie Kerzenlicht. Nur ein Schimmer davon drang durch zwei ausgetrocknete Bretter hinaus. Aber nicht einmal der konnte dem scharfen Auge des Westmannes entgehen.
Was tat sich da drüben? Weshalb wurde das Licht erst angezündet, nachdem die Laden geschlossen worden waren? War da drüben in dem Haus des Saloons das Quartier des Chiefs? Hatte der vorsichtige Mann die Läden selbst geschlossen? Ihm wäre es durchaus zuzutrauen gewesen, daß er das Licht erst dann anzündete, wenn die Läden zu waren.
Das Haus hatte jedenfalls das Interesse des Missouriers geweckt. Jetzt galt es nur, über die Straße hinüber zu kommen. Sie war zwar nicht sehr breit aber hell durch den Sand und das Sternenlicht.
Die größte Sorge verursachte dem Marshal der Unterführer Hellmers. Wo hielt sich dieser Mann auf? Möglicherweise gab es noch mehrere Wächter hier im Ort. Von deren Existenz wußte der Missourier zwar nichts, aber daß Hellmers da war, das wußte er.
Wo stand dieser Mann? Das mußte der Missourier herausbringen.
Er bückte sich, tastete mit der Rechten den Boden ab, und als er einen taschenuhrgroßen Stein gefunden hatte, schleuderte er ihn weit in die Frontstreet in Richtung auf die Hügelhalde zu.
Der Stein fiel irgendwo lautlos in den Sand. Nicht einmal Wyatt selbst konnte hier im Hof den Fall hören.
Draußen blieb alles still.
Da hinten also hatte der Unterführer keinen Posten aufgestellt.
Wyatt bückte sich wieder, und als er wieder einen Stein gefunden hatte, schleuderte er ihn nicht sehr weit von der Schenke auf die gegenüberliegende Straßenseite.
Diesmal traf das Geschoß den Rand seines Vorbaues und verursachte ein Geräusch, das einem Stockhieb nicht unähnlich war.
Mit angehaltenem Atem und hellwachen Sinnen lauschte der Marshal auf die Straße hinaus. Es blieb sekundenlang still.
Dann löste sich aus dem Schlagschatten der diesseitigen Häuserfront die Gestalt eines Mannes, kam auf die Straße hinaus, wurde vom Sternenlicht getroffen und blieb lauschend stehen.
Der Mann verharrte reglos auf dem Fleck, etwa fünfzehn Yard von dem Missourier entfernt.
Hellmers.
Der Marshal erkannte ihn genau. Er war also der Straßenwächter von Camp Ladore.
Doch Wyatt mußte den Mann noch näher an sich heranlocken. Er tastete nach einem Stein und warf ihn etwa auf die Straßenmitte. Durch den schmalen Torspalt konnte er die Gestalt des Banditen noch eben sehen.
Hellmers wirbelte herum. In der rechten Faust hielt er einen Revolver, dessen Lauf im Sternenlicht blinzelte.
Da riskierte der Marshal den nächsten Stein. Er warf ihn geschickterweise so, daß Hellmers nicht etwa auf den Gedanken kam, daß hier im Hof jemand stehen konnte.
Der Bandit verharrte drüben wie angewachsen auf dem Fleck.
Wyatt überlegte, ob er einen weiteren Stein werfen sollte, als Hellmers sich in Bewegung setzte und zu Wyatts Schrecken direkt auf das Tor zuhielt.
Aber Hellmers hatte nicht die Absicht, in den Hof zu kommen. Er suchte lediglich den Schlagschatten der Fenz und des Tores zu gewinnen.
Seine Schritte knirschten im Sand. Und jetzt war auch das schleifende Geräusch, das von seinem Körper am Holz des Tores verursacht wurde, genau zu hören.
Dann sah Wyatt seinen rechten Arm, die Faust, die den Revolver hielt. Gleich darauf kam der linke Arm. Und dann das linke Bein.
Hellmers blieb genau vor dem Torspalt stehen und lauschte nach links hinunter, wo der Stein gefallen war.
Jetzt konnte der Marshal es nicht mehr wagen, Steine zu werfen.
Es war still.
Der Missourier hielt den Atem an, da der Mann, der nur wenige Inches von ihm entfernt vor dem Torspalt stand, jeden Laut gehört hätte.
»Verdammtes Rattenpack!« zischte der Bandit, in der festen Überzeugung, daß sich die Ratten in Camp Ladore schon eingenistet hatten.
Und das war im gewissen Sinne ja auch so, nur daß es Ratten auf zwei Beinen waren.
Wyatt überlegte gerade, ob er den Torflügel aufstoßen, den Mann packen, ihn in den Hof zerren und niederschlagen sollte, oder ob er warten sollte, bis Hellmers sich wieder vom Tor entfernte. Aber da wurde zu seiner Verblüffung der Flügel von draußen aufgezogen.
Hellmers kam in den Hof. Nicht etwa mit dem Gesicht nach vorn, sondern mit dem Rücken zuerst. Er behielt die Straße im Auge. Offenbar war sein Argwohn immer noch nicht beruhigt.
Das war sein Pech.
Der Gesetzesmann griff blitzschnell zu und fällte ihn mit einem einzigen Schlag zur Schläfe. Ohne den geringsten Laut, kippte der Galgenmann Frank Hellmers rückwärts und wurde von dem Missourier aufgefangen.
Wyatt fesselte ihn, knebelte ihn und er schleppte ihn zum Stallhaus hinüber, wo er sich noch die Mühe machte, ihn in der letzten Box an den Halfterring anzubinden.
Dann stand er wieder amTor und blickte auf die Straße hinaus. War die Luft jetzt rein? Konnte er es jetzt wagen, in den Hof des Saloons zu gehen?
Ehe er dieses Risiko auf sich nahm, schleuderte er einen Stein weit in den südlichen Teil der Mainstreet und wartete den Erfolg ab.
Es geschah nichts.
Auch auf einen zweiten Stein, der sogar die Fassade eines Balkons traf, ereignete sich nichts.
Da wagte der Missourier, durch den Torspalt auf die Straße zu treten, um zu lauschen. Er preßte sich aber sofort in das Dunkel der Fenz, da er mit einem Angriff rechnen mußte.
Wieder blieb alles still.
Hatte er nicht neulich einen Hund hier im Camp gehört? Wo war dieses Tier? Streunte er etwa frei herum? War jeden Augenblick mit dem Angriff des Vierbeiners zu rechnen?
Wyatt beschloß, ruhig und ohne Hast die Straße zu überqueren, um drüben im Hof der Schenke zu verschwinden.
Er hatte sich gerade von der Holzwand des Hofes abgestoßen, als geschah, was er befürchtet hatte. Schräg gegenüber rechts neben dem Saloon erschien in diesem Augenblick in der Mündung einer Quergasse ein kalbsgroßer Hund. Einen Augenblick blieb das Tier witternd stehen, ehe es den Kopf hochwarf, um einen jaulenden Bellton in die Nacht zu schicken.
Es rann dem Marshal eiskalt über den Rücken. Er hatte die Fenz schon um wenige Inches verlassen, stand aber noch eben im Schlagschatten und rührte sich nicht.
Das Tier schnupperte wieder und setzte sich dann in Bewegung. Es kam schnurgerade auf den Mann vor dem Hoftor zu.
Wyatt stand wie angenagelt da und fixierte das gewaltige Tier. Er sah seine grünen Augen glimmen.
Der Wolfshund kam bis auf drei Schritte heran und blieb dann stehen.
Da riskierte der große Tierfreund alles, indem er mit der rechten Hand leise auf die Hose klopfte und lockend flüsterte: »Komm her, Billy Boy.«
Gespannt beobachtete er den Hund.
Und tatsächlich, das Tier bewegte den Schwanz hin und her. Es kam dann näher, blieb vor dem Marshal stehen, und als er die Hand nach ihm ausstreckte, duckte es nur kurz mit dem Kopf zurück, ließ sich aber bei dem zweiten Versuch von dem Fremden streicheln.
Wyatt kniete neben ihm nieder und legte den Arm um seinen Hals.
»Na, Billy Boy«, flüsterte er dem Tier nach Indianerart in die Ohren, »wie wäre es mit uns beiden? Könnten wir nicht Freunde werden?«
Der Hund machte leise: »Huim, huim!«
Wyatt klopfte ihm auf die breite Brust und flüsterte:
»Nur Ruhe, Billy Boy! Du bist ja ein guter Bursche, wenn du auch von dem falschen Verein angeheuert worden bist.«
Der Marshal riskierte es, sich aufzurichten. Er ließ von dem Tier ab und wagte einen Schritt nach vorn auf die Straße zu.
Der große Hund blieb stehen und sah zu ihm auf. Da ging der Marshal vorwärts. Es war ein großes Risiko, da der Hund jetzt eigentlich hätte bellen müssen, wenn er wirklich ein so scharfer Wachhund war, wie der Marshal vermutete. Aber das große Tier machte nur leise: »Huim, huim.«
Wyatt klopfte leicht auf die Hose und flüsterte: »Komm, Billy Boy.«
Dann ging er weiter, hielt genau auf das Haus neben dem Schankhof zu, betrat den Vorbau und langte nach dem Drehgriff der Tür.
Die Tür war unverschlossen. Er öffnete sie und trat ein.
Der Hund war ihm gefolgt, stand jetzt in der Türöffnung und blickte mit seinen glimmenden Augen zu dem Fremden hinauf.
»Komm nur mit, Billy Boy. Vielleicht ist das gar kein schlechter Gedanke«, flüsterte der Marshal und ließ das Tier in den Hausgang.
Vorsichtig schloß er die Tür, griff nach dem Halsband des Hundes und tastete sich durch den Flur vorwärts.
Die erste Tür, die er öffnete, führte ihn in die Küche. Und von hier aus konnte er durch ein kleines Fenster in den Hof der Schenke blicken.
Genau gegenüber lagen jetzt die vier Fenster, deren Läden vorhin geschlossen worden waren und von denen durch eines Kerzenschein in den Hof drang.
Und dann machte der Marshal eine Entdeckung, die ihm das Blut in den Adern erstarren ließ. Drüben unter den Fenstern im Hof stand ein Pferd.
Es war noch aufgesattelt und hatte eigentlich nichts Besonderes an sich, wäre nicht die Satteldecke gewesen, die an ihren unteren Enden drei gelbe Punkte hatte, von denen der mittlere besonders groß war. Daß es gelbe Punkte waren, konnte der Marshal natürlich nicht erkennen, doch er kannte diese Decke genau, da er sie mehrmals in Santa Fé gesehen hatte. Sie gehörte dem Ersatz-Sheriff Ferry Gregg!
Diese Feststellung war ungeheuerlich. Sollte Gregg also doch Verrat begangen haben? Oder war er etwa gezwungen worden, hierher zu reiten? Das war kaum anzunehmen. Die Galgenmänner nahmen niemanden hierher mit, den sie nicht hier haben wollten. Wenn Gregg ihnen lästig war, hätten sie ihn umbringen können. Es konnte kaum einen Zweifel geben, der Sheriff war in das Lager der Gesetzlosen übergetreten.
Aber weshalb hatte man sein Pferd nicht abgesattelt? Ein Mann wie Gregg sorgte immer dafür, daß sein Pferd unter Dach und Fach kam, wenn er sich irgendwo aufhielt. Hatte er also die Absicht, das Camp bald wieder zu verlassen?
Wo war er? Höchstwahrscheinlich drüben in dem Raum, in dem vorhin die Läden geschlossen worden waren.
Und war Er, der Chief, auch da drüben?
Diese Frage brannte im Hirn des Westmannes wie Feuer.
Er wandte sich um. Gefolgt von dem Hund, verließ er den Küchenraum, tastete sich weiter durch den Gang in das nächste Zimmer. Hier blieb er auf der Schwelle stehen, da ihm ein Geruch von Tabakrauch und Ofenwärme entgegenschlugen.
Das Haus war also bewohnt. Weshalb hatte sein Besitzer, ganz gegen die Gewohnheiten der Leute im Westen, die Haustür in der Nacht aufgelassen? War er etwa nicht im Haus? War er etwa auch drüben im Saloonhaus?
Wyatt verließ den Raum und ging durch die Hoftür hinaus. Von hier oben konnte er nicht mehr in den Nachbarhof blicken. Er beschloß, den Hof hinten zu verlassen, um auf der Rückseite in den Hof der Schenke zu kommen.
Kaum hatte er die kleine Pforte, die zu der Parallelgasse führte, geöffnet, als ein Blick auf ein Pferd fiel, das direkt neben der Pforte angebunden war.
Es war ein hochbeiniger Brauner, der eine sternförmige Blesse unter dem Stirnhaar trug. Obwohl es hier nicht sonderlich hell war, sah der Pferdekenner aus Missouri sofort, daß es sich hier um einen ausgezeichneten Renner handelte.
Wyatt tastete das Tier ab, und als seine Hand über den Sattel glitt, fühlte er, daß die Satteltasche auf der linken Seite einen dickbauchigen Gegenstand enthalten mußte.
Er griff hinein und ertastete einen metallenen, eiförmigen Gegenstand, der ihm einen eisigen Schrecken durch die Adern zucken ließ.
Eine Wurfbombe!
Wyatt nahm das gefährliche Geschoß heraus und unterzog die Satteltaschen einer weiteren Prüfung. Er fand nur noch ein schmales Fernrohr darin, einen Notizblock mit Bleistift daran, eine zusammengefaltete Landkarte, die der Marshal ebenfalls an sich nahm, und in der anderen Tasche ein großes graues Halstuch, wie es die Galgenmänner benutzten.
Welch ein wundervolles Pferd! Der Marshal trat einen Schritt zurück, um das Tier noch einmal genau zu betrachten. Es war kaum weniger wert als sein eigener Falbhengst, der oben neben dem Rappen des Georgiers auf dem Hügelkamm stand.
Der Marshal wußte, daß der Bandenführer lange Zeit eine Schimmelstute geritten hatte. Sollte er sich jetzt von ihr getrennt und sich für diesen braunen Wallach entschieden haben?
Ausgeschlossen war es nicht, denn ein Schimmern fiel in dieser Landschaft mehr auf als oben in den Schneebergen Colorados.
Wer außer dem Chief des Geheimbundes hätte ein solches Pferd reiten können? Wenn Laz Capucine noch auf freiem Fuß wäre, hätte der Marshal ihm schon ein solches Tier zugetraut. Aber der saß ja in dem kleinen Straflager Ladore.
Wyatt machte die Zügelleine des Pferdes von dem Haken an der Fenz los und führte das Tier in den Hof, aus dem er eben gekommen war. Da band er es an, nahm den Notizblock noch einmal aus der Tasche, zog den Bleistift aus der Halterung und schrieb, so gut ihm das bei dem schwachen Sternenlicht möglich war: »Nimm Dich in acht, Boß!«
Dann schob er den Notizblock und den Bleistift wieder in die Satteltasche zurück.
Die Wurfbombe, die etwas größer war als unsere heutigen Eierhandgranaten, steckte er ein.
Den Zettel hatte er geschrieben, weil er nicht damit rechnete, den Boß in dieser Nacht noch stellen zu können. Dieses Camp war eine Stadt, in der zu viele Männer ihn verteidigen würden.
Dennoch war der Weg des Marshals durch das nächtliche Lager der Galgenmänner noch nicht beendet. Er ließ das Pferd im Nachbarhof und ging weiter, mußte aber zu seinem Ärger feststellen, daß die Pforte zum Hof der Schenke geschlossen war.
Wie kam er in den Hof?
Der Hund war immer noch neben ihm und blickte zu ihm auf.
Wyatt ging langsam weiter, kam an der Rückfront des Saloonanbaues vorbei und blieb vor der schmalen Kluft zwischen diesem Bau und der Nachbarscheune stehen.
Ob es von hier eine Einstiegsmöglichkeit in das Schankhaus gab? Er zwängte sich in die Kluft und tastete sich langsam vorwärts.
Der Hund folgte ihm.
Am Ende des Anbaues ertastete Wyatt mit seinem ausgestreckten Arm ein Fenstersims, sah darüber ein Fenster und konnte trotz der Dunkelheit, die hier herrschte, feststellen, daß das Fenster nicht ganz geschlossen war.
Vielleicht vermochte er den Sims im Sprung zu erreichen und sich im Klimmzug hinaufzuziehen. Wie aber würde der Hund reagieren?
Nein, das war zu riskant.
Er zwängte sich weiter durch den Spalt.
Als auf der linken Seite die Scheune zu Ende war, bekam er etwas mehr Luft. Wieder sah er ein Fenster des Schankraumes, das leicht zu erreichen gewesen wäre. Aber es war geschlossen.
Er schob sein Bowieknife zwischen den Rahmen und das Fensterholz und suchte das Fenster anzuheben, stellte aber sofort fest, daß das nicht ohne erhebliche Geräusche zu machen gewesen wäre. Deshalb ließ er davon ab und ging weiter.
Aber auf dieser Seite waren keine Fenster mehr. Und also auch keine Möglichkeit zum Einstieg.
Als er schließliclh die Mainstreet erreicht hatte, lauschte er aus dem Spalt heraus. Da alles still blieb, zog er sich auf den Vorbau, duckte sich unter dem breiten ersten Fenster der Schenke nieder und stand dann an der Wand zwischen Tür und Fenster. Der Hund blieb neben ihm.
Wyatt tastete mit der Rechten nach dem Griff der großen Tür und versuchte, ihn zu bewegen.
Der Griff gab nach. Die Tür war unverschlossen.
Da riskierte der Marshal den Schritt nach vorn, um in den dunklen Hausgang zu treten. Das Tier zwängte sich mit ihm hinein.
Wyatt blieb lauschend stehen. Leise machte der Hund:
»Huim, huim.«
»Psst«, flüsterte ihm der Marshal ins Ohr und ging auf Zehenspitzen weiter.
Plötzlich war ihm, als hörte er aus einem der Räume hinten die flüsternde, leise krächzende Stimme eines Mannes.
Es war ausgeschlossen, am Klang dieser Stimme ihren Besitzer zu erkennen. Dennoch wußte er genau: Der Mann, der da sprach, war niemand anderes als der Chief der Galgenmänner, jener Verbrecher, den er seit Monaten jagte und dem er mehrmals dicht auf der Fährte gewesen war.
Wyatt wagte sich noch weiter vor. Als er um eine Flurecke bog, sah er unter einer Tür hervor einen winzigen Lichtschimmer in den Gang fallen.
Kerzenlicht!
Er hatte sich also nicht getäuscht. Das da drinnen war der Raum, dessen Fensterläden vorhin geschlossen worden waren.
Mit wem sprach der Bandenführer?
Unterhielt er sich etwa mit Ferry Gregg?
Wyatt duckte sich tief an den Boden nieder. Der Hund stieß ihn mit dem Kopf an.
Da zog er das Tier dicht zu sich heran und flüsterte ihm ins Ohr:
»Ganz still sein, Billy Boy.«
Auf Zehenspitzen und Fingerkuppen bewegte er sich vorwärts.
Da! Eine Bodendiele gab unter seinem und dem Gewicht des Hundes nach und ächzte leise.
In dieser mörderischen Sekunde fiel dem Missourier der letzte Satz des Spielers ein, der jetzt oben auf der Halde wachte: »Vielleicht schicken Sie mir eine Ansichtskarte, wenn Sie in der Hölle sind.«
Der Marshal zuckte hoch und lehnte wie versteinert neben der Tür, in jeder Hand einen seiner Revolver.
Aber nichts rührte sich. Offenbar lauschte man drinnen den Worten des Chiefs.
Da wagte der Missourier sich noch einen Schritt weiter vor. Nun hatte er die Tür erreicht.
Er kauerte sich nieder und warf einen Blick durch das Schlüsselloch.
Das Bild, das sich ihm da bot, ließ ihm das Herz beinahe stillstehen.
Rund um einen großen Tisch saßen lauter Kapuzenmänner. Und unweit von der Tür mußte der Mann sitzen, der sprach. Er sprach so leise, daß Wyatt zu seinem Ärger kein Wort verstehen konnte.
Fieberhaft überlegte er, was jetzt zu tun war. Die Tür aufstoßen? Mit beiden Revolvern eindringen?
Das wäre Wahnsinn gewesen, der sichere Untergang.
Da drinnen saßen viele schwerbewaffnete Banditen, und möglicherweise standen auch noch welche an den Wänden und im Türwinkel. Zudem mochten sich sonst noch welche hier im Haus aufhalten, die mühelos den Weg nach draußen verlegen konnten.
Was hätte er gegen so viele Männer ausrichten können? Männer, von denen jeder einzelne ein gefährlicher Verbrecher war!
Dennoch verharrte er an der Tür.
Schließlich wurde seine eiserne Geduld sogar belohnt. Durch mehrere Zwischenfragen war der Chief so aufgebracht worden, daß er etwas lauter sprach. Nun waren einige Satzfetzen zu verstehen:
»Wir werden Santa Fé erobern!… um jeden Preis!… mit allen Mitteln!… nur ein wirklicher Feind, Wyatt Earp!«
Plötzlich war das scharrende Geräusch eines Stuhles zu hören.
Wyatt preßte sich dicht an die Wand und zog den Hund eng an sich heran.
Drinnen im Saal war es still geworden.
Der Marshal mußte damit rechnen, daß die Galgenmänner den Raum jetzt verlassen würden.
Er beschloß, sofort den Rückweg anzutreten, und zwar auf die Straße hinaus.
Er huschte über den Vorbau und verschwand in der Häuserspalte, durch die er in die Parallelgasse gelangte.
Im Nachbarhof wartete er darauf, daß der Bandenführer sein Pferd holen würde.
Aber er wartete vergeblich.
Nach einer Weile hörte er in dem Haus, durch das er hier in den Hof gekommen war, Geräusche, sah ein Streichholz aufblitzen und dann in dem Lichtschein das Gesicht eines bärtigen Mannes.
Die Versammlung hatte sich also aufgelöst.
Wann kam der Chief, um sein Pferd zu holen?
Oder verließ er jetzt das Haus nicht mehr?
Die Sterne begannen bereits zu verblassen, als sich der Marshal entschloß, das Camp zu verlassen. Es schlich wieder über die Straße hinüber in den Hof, in dem er Hellmers gelassen hatte, lastete sich den Mann auf die Schulter und ging, gefolgt von dem Hund, im weiten Bogen über den Talhang, bis er der Tamariskenhecke so nahe gekommen war, daß er Doc Holliday sehen konnte.
Der Ruf des Prärievogels ließ den Georgier aufhorchen.
Er kam auf den Marshal zu und atmete sichtlich auf, als er ihn erkannte. Er hatte beide Revolver in den Händen gehabt, ließ sie jetzt in die Halfter fliegen.
»Ich sehe, Sie haben sich ein Souvenier mitgebracht. Was wird mit den beiden Anhängseln da?«
»Die nehmen wir auch mit.«
»Das wird aber ziemlich schwer werden.«
»Keineswegs. Die drei Halunken werden laufen.«
Plötzlich zuckte die Hand des Georgiers zum Revolver.
»Was ist denn das? Da ist Ihnen ja ein Hund nachgekommen.«
»Jaja, ich weiß. Ein gutes Tier.«
»Und? Wollen Sie den etwa auch mitnehmen?«
»Ich habe das Gefühl, daß er sich so schnell nicht abschütteln läßt.«
»All right, nehmen wir den Köter auch noch ein paar Meilen mit.«
Während sie die Gefangenen von den Wurzelstöcken losbanden und an einer Lassoschlinge hintereinander befestigten, berichtete der Marshal dem Gefährten flüsternd, was er erlebt hatte.
»Ungefähr so habe ich es mir vorgestellt«, meinte der Georgier. Und als ihm Wyatt die Wurfbombe gezeigt hatte, nickte er. »Ja, dieses Ei paßt zu dem Schurken. Man sollte es nehmen und da unten in den Laden schleudern. Was haben Sie vor?«
Die gefesselten Galgenmänner mußten vor den beiden Reitern hertrotten. Der Marshal hatte die Lassoleine, an der sie befestigt waren, um das Sattelhorn geschlungen.
Chris und Bosco machten keinerlei Anstalten, den Marsch aufzuhalten, aber Hellmers, der noch nicht wußte, mit wem er es zu tun hatte, blieb nach den ersten Schritten halsstarrig stehen.
Da glitt der Georgier aus dem Sattel, trat mit raschen Schritten auf ihn zu, blieb vor ihm stehen und erklärte ruhig:
»Hör zu, Brother, ich habe die Absicht, mit dem Marshal nach Santa Fé zu reiten. Und zwar wollen wir zum Frühstück dort sein. Solltest du die Absicht haben, mich um mein Frühstück zu bringen, dann lernst du mich kennen. Damit wir uns verstehen: Mein Name ist Holliday, John Henry Holliday.«
Frank Hellmers schrak zurück.
Holliday? blitzte es durch sein Hirn. Der Marshal?!
Glasklar stand jetzt alles vor seinen Augen. Wyatt Earp und Doc Holliday waren es, die ihn überwunden hatten. Der Marshal hatte Camp Ladore entdeckt.
Was war mit dem Boß?
Er kam nicht zu weiteren Überlegungen, denn schon trieb der Marshal die drei wieder vorwärts.
Nach einiger Zeit blieb der Hund zurück, als Wyatt sich später noch einmal im Sattel umwandte, sah er ihn auf einer fernen Hügelkuppe stehen.
Es war ein weiter Weg, den die drei Banditen zu Fuß durch den Sand hatten zurücklegen müssen. Aber die Furcht vor den beiden Westmännern hatte sie durchhalten lassen.
Wyatt führte sie in den Hof des Jails. Er sah sofort, daß die Tür offenstand.
»Wetten, daß unser Freund Gregg den lieben Gatta auf den Ausflug mitgenommen hat?« meinte der Spieler, als sie das Office betraten.
»Ja, ich bin überzeugt davon.«
Gattas Zelle war leer.
Wyatt sog die Luft tief durch die Nase ein. Nachdenklich sah er zu, wie Holliday die drei Galgenmänner einsperrte.
Als Holliday sich umwandte und in Wyatts Gesicht sah, schien es plötzlich versteinert zu sein.
Da schüttelte der Spieler den Kopf.
»Ich glaube, Sie sollten sich nicht ärgern, Wyatt. Was macht es schon, daß der Vogel ausgeflogen ist? Sie waren es ja, der ihn gefangen hatte, also können Sie sich es auch leisten, ihn wieder fliehen zu lassen. Wenn Luke und ich geknurrt haben, Ihr Vertrauen, das Sie in den sauberen Sheriff setzten, hat uns doch imponiert.« Während er sich schon abwandte, um sich umständlich eine Zigarette anzuzünden, meinte er noch: »Ich habe mal irgendwo gelesen, daß das Vertrauen in einen Gestrauchelten eine königliche Tugend ist. Fest steht allerdings, daß ich kein König bin…«
*
Die beiden Dodger hatten den Rest der Nacht auf den Pritschen der kleinen Schlafkammer des Sheriffs Office verbracht.
Der Marshal schreckte hoch, als vorn an der Tür ein Schlüssel ins Schloß geschoben wurde.
Er sah sich um und stellte fest, daß auch Doc Holliday sich erhoben hatte. Der Georgier tastete nach seinem Hut, der vom Schemel neben dem Bett heruntergefallen war.
»Wir kriegen Besuch.«
Die Deputies kamen.
Als sie den Marshal in der Tür stehen sahen, blieben sie verblüfft stehen.
»Kommt nur rein, Boys! Es gibt einiges zu besprechen.«
Sieben Deputies hatte der Sheriff von Santa Fé unter sich. Und alle hatten sich jeden Morgen um sieben Uhr im Hauptoffice einzufinden.
Wyatt Earp erzählte ihnen nur, was er für notwendig hielt. Er sagte ihnen nicht einmal, daß Gregg geflüchtet war, sondern erklärte, daß der unglückliche Ersatzsheriff höchstwahrscheinlich von einer Verbrecherbande gezwungen worden sei, Gatta freizulassen und ihn aus der Stadt zu begleiten.
Jerry Lorayne, den Luke Short zufällig auf einem Streifzug im Morgengrauen gefunden hatte, war auch unter den Männern. Aber der untersetzte Mann hielt sich wie immer zurück.
Als Wyatt ihn ansah, berichtete Lorayne kurz, was sich ereignet hatte.
Holliday, der neben der Tür lehnte, meinte:
»Am besten stellen Sie neben jeden Posten noch einen Wächter.«
Wyatt sah die Deputies der Reihe nach an und deutete dann mit ausgestrecktem Arm auf Jerry Lorayne.
»Er ist jetzt der Chief Deputy. Ich werde mit Sheriff Winters, mit dem Mayor und den Männern vom Stadtrat sprechen. Solange Ferry Gregg nicht zurückkehrt, tritt Lorayne an seine Stelle. Ist das klar?«
Die Männer nickten.
»Ich werde später noch einmal hereinsehen. – Mr. Lorayne, teilen Sie die Tagesarbeit ein.«
»All right, Marshal«, nickte der Chief Deputy, und Wyatt konnte das Aufleuchten in seinen Augen sehen.
Die beiden Dodger verließen das Office und suchten Luke auf.
Der lag schnarchend drüben in seinem Zimmer über der Fegefeuer-Bar.
Wyatt weckte ihn und berichtete, was er und Holliday in der Nacht erlebt hatten.
»Damned«, meinte der riesige Tex, während er seine Hände rieb, »wäre gern dabeigewesen. Sie können sich darauf verlassen, daß ich dieser lieblichen Runde einen Besuch abgestattet hätte!«
»Kann ich mir vorstellen«, spöttelte Holliday. »Sie hätten wahrscheinlich die Tür eingeworfen, um sich mit den Boys zu unterhalten.«
»Der Doc hat es wieder mal erraten«, knurrte der Riese.
Aber er war keineswegs mehr so unbesonnen, wie er sich gab. Der Umgang mit Wyatt Earp und Doc Holliday hatte ihn bedeutend umsichtiger werden lassen, wenn er sein ureigenstes Wesen auch nicht ganz ablegen konnte. Im Grunde blieb er der ungestüme, herzhafte Büffel und Abenteurer, als den die beiden ihn kennen und schätzen gelernt hatten.
Nachdem ihnen Janet Black im Nebenzimmer der Fegefeuer-Bar das Frühstück aufgetragen hatte, meinte der Herkules:
»Und was jetzt?«
Wyatt hatte einen Schluck von dem dampfenden, aromatisch duftenden Kaffee genommen und lehnte sich gegen die Stuhllehne zurück.
»Das ist gar nicht so leicht zu beantworten, Luke, die Bande hat da ihr Lager aufgeschlagen, und offensichtlich hat der Chief beschlossen, Santa Fé um jeden Preis an sich zu reißen. Und wir sind drei Männer. Selbst wenn wir die sieben Jungs da drüben auf unsere Seite bringen, haben wir gegen die Bande so gut wie nichts auszurichten. Ich bin überzeugt, daß sich im Camp da draußen mehr als genug Männer aufhalten. Mag der Teufel wissen, wie es dem Schurken gelungen ist, in so kurzer Zeit wieder so viele Leute in die Sättel zu bringen!«
»Aber es muß doch irgend etwas geschehen«, knurrte der Tex.
»Natürlich. Und das werden wir allein tun.«
»Richtig so«, meinte der Hüne zufrieden grunzend. »Wann reiten wir los?«
Der Marshal winkte ab. »Wir dürfen nichts überstürzen. Die Bande hat höchstwahrscheinlich ihre Späher in der Stadt sitzen. Und spätestens in einer Stunde weiß der Chief, daß Hellmers, Bosco und Chris aus dem Camp verschwunden sind. Bald darauf wird er auch seine Wurfbombe vermissen und den Zettel in seiner Satteltasche finden.«
»Sind Sie sicher, daß er die Dinge miteinander in Verbindung bringen wird?« erkundigte sich der Riese.
»Ganz sicher«, meinte Holliday. »Wyatt beabsichtigte nichts anderes, als Verwirrung zu stiften.«
Der Tex hatte sich erhoben und ging in dem Raum mit großen Schritten unruhig auf und ab wie ein gefangener Tiger.
»Hach, am liebsten würde ich jetzt meinen Hengst satteln, um in das Nest zu reiten und mit dem Bruder abzurechnen. Schade, daß ich ihm nur eine Ohrfeige gegeben habe, als ich ihm neulich in den Blumenkasten warf. Hätte ich ihn erledigt, gäbe es eine Menge weniger Ärger und Dreck auf dieser Welt.«
Janet Black steckte ihren hübschen Kopf durch den Türspalt und blickte den Missourier an.
»Noch Kaffee?«
Der Marshal schüttelte den Kopf.
»Nein, danke, Miß Janet. Vielleicht hätten Sie eine schwarze Zigarre für mich?«
»Aber natürlich.«
Sie kam sofort mit einer Kiste an. Es war genau die Sorte, die der Marshal bevorzugte.
Die beiden anderen schmunzelten, da sie die heimliche Vorliebe der jungen Frau für den Missourier kannten. Nur er, der Marshal selbst schien davon nichts zu merken.
Er legte ein Geldstück für die Zigarre auf den Tisch und nahm das Feuer, das ihm der Tex reichte. Dann erhob er sich und trat ans Fenster. Kopfschüttelnd blickte er auf die Straße hinaus. »Nein, ich habe es mir genau überlegt, wir können und dürfen es nicht allein tun.«
Der Tex fuhr herum. »Was? Wollen Sie etwa drüben den Verein dieser Sternjungen mitnehmen?«
»Nein, aber ich muß mit dem Mayor und dem Stadtrat sprechen. Es ist unsere Pflicht, den Stadtrat von Santa Fé zu informieren.«
»Ja, unsere Pflicht«, trompetete der Riese. »Wollen Sie hören, was dabei herauskommen wird?«
»Nein«, mischte der Georgier von seinem Platz aus ein, »das möchte der Marshal nicht hören, Luke, denn er weiß es.«
»Was, er weiß es? Dann kann ich ihn nicht verstehen.«
»Das kommt schon noch, Luke. Reiten Sie nur noch eine Weile mit uns, dann lernen Sie das auch.«
Der Riese ballte die Fäuste und setzte seine Wanderung durch das Zimmer wieder fort. Dabei knurrte er unentwegt vor sich hin. »Oh, daß man sich immer nach Stadträten, Bürgermeistern und verschrobenen Vorschriften richten muß! Was ist das alles für ein verdrehter Kram. Weshalb können wir nicht hingehen, die Bande durcheinanderwirbeln und am Ende das ganze Camp in Brand setzen? Soll doch die ganze Meute zur Hölle fahren!«
Erst um elf Uhr gelang es dem Missourier, den Mayor zu sprechen. Der feine Bürgermeister von Santa Fé hatte vorher selbst für einen so berühmten Gesetzesmann wie Wyatt Earp keine Zeit.
In seinem sehr eleganten Haus empfing er den Marshal im grünen Salon, bot ihm eine Tasse Tee an und ließ sich durch keinerlei Andeutungen aus seiner würdigen Ruhe bringen.
Endlich meinte der Marshal ungehalten:
»Es wäre gut, Mayor, wenn Sie meinem Besuch etwas mehr Bedeutung und der Sache etwas mehr Wichtigkeit beimessen würden. Die Galgenmänner haben vor, Ihre schöne Stadt an sich zu reißen.«
»Nun, nun, nun, lieber Marshal, wir wollen es doch nicht übertreiben.«
Da erhob Wyatt sich und ging schnurstracks auf die Tür zu. Da blieb er noch einmal stehen, blickte zurück und sagte: »Ich erwarte von Ihnen, daß Sie in einer Stunde den Stadtrat zusammengerufen haben. Ich halte es für meine Pflicht, den Bürgern von Santa Fé zu sagen, was Sie offenbar nicht hören wollen.«
Die Tür fiel hinter ihm ins Schloß.
Doc Holliday und Luke Short hatten in der Fegefeuer-Bar auf ihn gewartet. Er berichtete kurz, und da Doc Holliday keinen Kommentar dazu gab, meinte der Tex wütend:
»Hören Sie, Marshal, weshalb machen Sie so viel Federlesens mit diesen Strolchen? Geben Sie dem Kerl doch ganz einfach einen Klaps auf die Nase. Und ich garantiere Ihnen, daß er zuhören wird.«
Um zwölf Uhr betraten die drei Männer die City Hall. Sie sahen, daß sich neun ältere Bürger im Vorraum des Beratungssaales eingefunden hatten.
Der alte Donegan, der oben in der Mainstreet die große Blackschmiede hatte, trat auf den Marshal zu.
»Was gibt es, Wyatt?«
»Warten Sie einen Augenblick, Mr. Donegan. Wenn die anderen Mitglieder des Stadtrats da sind, werde ich es Ihnen mitteilen.«
»Ich fürchte, die werden sobald nicht hier sein. Ich selbst habe erst vor einigen Minuten Bescheid bekommen.«
Da betrat der Mayor selbst den Vorraum zum Beratungssaal, griff in die Westentasche seiner zitronengelben, mit schwarzen Stickereien besetzten Weste und nahm seine goldene Uhr heraus.
»Fünf nach zwölf. Ich glaube, ich komme noch früh genug, Mr. Earp. Oder sollte das nicht der Fall sein?«
Wyatt überging diese Frage und bat die Männer in den Beratungsraum.
Der Mayor wollte vorangehen. Da griff plötzlich eine riesige Hand nach seinem Unterarm, hielt ihn fest und zog ihn zur Seite. Das war Luke Short. Er winkte dem Marshal.
»Bitte, Marshal, gehen Sie voran.« Und dann erklärte er dem feisten grauhaarigen Mayor: »Vielleicht haben Sie schon mal gehört, daß erst die Sehenden kommen und dann die Tauben.«
»Aber Mr. Short, ich verstehe nicht. Wie reden Sie mit mir? Was habe ich Ihnen denn getan?«
»Ach, gehen Sie da hinein, und verhalten Sie sich möglichst ruhig.« Der Tex schob ihn mit der Linken in den Beratungsraum.
Die Männer setzten sich gar nicht erst nieder, sondern blieben um den Tisch herum stehen und blickten den Missourier erwartungsvoll an.
Der Mayor stand vorn hinter dem Marshal. Doc Holliday blieb mit Luke Short an der Tür stehen.
Der Missourier informierte die Männer des Stadtrates von Santa Fé, soweit er glaubte, daß dies notwendig sei.
Besorgt blickten die bejahrten Herren nun drein.
Und dann wandte sich der Inhaber des großen General Stores an den Mayor:
»Wir müssen sofort etwas unternehmen!«
Der Mayor winkte ab.
»Ach, ich werde das Gefühl nicht los, daß der Marshal die Sache zu schwarz sieht.«
»Zu schwarz kann man sie gar nicht sehen«, verwies ihn der Marshal schroff.
»Wir haben doch keinen Grund, uns vor einer Bande von zwanzig Männern zu fürchten. Schließlich ist Santa Fé eine große Stadt mit mehreren Tausend Männern, die alle eine Waffe führen können. Wir bilden gewissermaßen eine ganze Armee.«
Immer und immer wieder unterbrach der Bürgermeister so die mahnende Rede des Marshals.
Plötzlich riß dem Texaner die Geduld. Mit harten Schritten kam er von der Tür auf den Mayor zu, blieb vor ihm stehen und blickte auf ihn hinunter wie auf einen Jungen.
»Hören Sie zu, Sie verdammter Hanswurst, wenn Sie den Marshal noch ein einziges Mal unterbrechen, setze ich Sie an die frische Luft! Aber da durchs geschlossene Fenster und gleich in Ihren Blumenkasten hinein, auf den gleichen Platz, auf den ich den grauen Chief befördert habe. Denn da gehören Sie nämlich hin.«
Der Bürgermeister bekam einen flammendroten Kopf.
»Aber Mr. Short, ich muß doch bitten«, protestierte er.
»Halten Sie Ihren Rand!« fuhr ihn der Tex an.
Wyatt versuchte es noch einmal und setzte den Stadtältesten die Gefahr auseinander, in der sich die Stadt befand.
Aber die Stadtväter vermochten keinen Beschluß zu fassen. Und wenn auch der Bürgermeister von jetzt an schwieg, so fand sich doch keiner, der einen nützlichen Rat hätte geben können. Zudem hatte das Gerede des Mayors die Männer in der Annahme bestärkt, daß die Sache weit weniger gefährlich sei, als der Marshal sie schilderte.
Nach einer Dreiviertelstunde verließen die drei Westmänner das Beratungszimmer.
Während sie die Mainstreet hinunterschlenderten, Wyatt Earp und Doc Hollilday schweigend, platzte der Riese plötzlich los…
»Am liebsten ginge ich zurück und würde der ganzen Bande Ohrfeigen austeilen. Was zum Teufel bildet sich dieser Verein denn ein? Haben die Galgenmänner es auf uns abgesehen oder auf Santa Fé? Was hindert uns, auf unsere Gäule zu steigen, um auf und davon zu reiten? Soll doch dieser Verein selbst sehen, wie er sich diese Schlinge vom Hals streift!«
Wyatt wandte sich um und ging ins Sheriffs Office. Sämtliche Deputies waren zufällig anwesend. Der Marshal berichtete von der mißlungenen Beratung in der City Hall.
Die Deputies blickten den Missourier unsicher an.
Einzig Jerry Lorayne meinte: »Sie können mit mir rechnen, Marshal, und soweit ich hier über die Boys zu bestimmen habe, sind wir natürlich auf Ihrer Seite.«
»Vielen Dank, Jerry«, meinte der Marshal. »Aber Sie brauchen die Zustimmung des Stadtrats zu allem, was Sie tun wollen.«
Die drei verließen das Office. Als sie wieder drüben in ihrem Quartier waren, warf sich der Tex wütend in einen Sessel, daß der in allen Fugen krachte und ächzte.
Doc Holliday lehnte neben Tür und Fenster an der Wand, hatte einen Fuß angezogen und die Arme verschränkt. Er nahm seine Zigarette aus dem Mund und meinte:
»Sie reiten doch gern, Wyatt? Ich könnte Ihnen einen schönen Ritt vorschlagen in eine ruhige Gegend. Zum Beispiel nach Tombstone, soll ein stilles Fleckchen Erde sein. Da ist jetzt ganz bestimmt nichts los. Grabesstille herrscht da! Und vielleicht wäre es ganz interessant mal wieder nachzusehen, was unser lieber Freund Ike Clanton macht.«
Mit diesen Worten hatte der Spieler dem Marshal aus dem Herzen gesprochen. Auch er hätte am liebsten hier alles stehen und liegen lassen. Wieder einmal zeigte eine Stadt ihm den kalten Rücken, obwohl es galt, sich gegen dringende Gefahr zu verteidigen.
Niemand in diesem großen Santa Fé war wirklich bereit, sich zum Kampf zu stellen. Die Bürger waren das Wohlleben schon zu sehr gewöhnt. Zu lange her schon war die letzte Bedrohung, die diese Stadt betroffen hatte.
Den Mayor ärgerte einerseits der große Einfluß, den der Marshal in der Stadt besaß und der seinen eigenen Einfluß schmälerte, und andererseits war er viel zu bequem, als daß er sich auf Kampf hätte einlassen mögen.
Ganz ähnlich stand es mit den anderen. Und die jungen Burschen im Sheriffs Office vermochten offenbar aber recht zu begreifen, weshalb der Marshal sich so ereiferte, wenn man doch im Stadtrat kaum Aufhebens von der Sache machte.
»Richtig«, trompetete der Riese aus Texas. »Der Doc hat recht, wir reiten nach Tombstone, Wyatt. In Tombstone ist Judy Holliday, da ist die schöne Nellie Cashman, da kann ich mit der grünäugigen Laura Higgins eine Partie Poker hinlegen und eine Menge Dinge mehr erledigen. Außerdem wird Virgil vielleicht froh sein, wenn ich ihn mal wieder ablöse. Hol’s der Teufel, lassen wir dieses verdammte Nest hier in seiner eigenen Selbstherrlichkeit ersticken!«
In anderen Städten hatten die Menschen Angst. Aber wenn sie von irgendeiner Gefahr bedroht wurden, lähmte die Furcht ihre Abwehrmaßnahmen. Hier war man ganz offensichtlich zu stolz, zu selbstsicher und zu faul geworden, um auch nur an Abwehr zu denken.
Der Marshal machte sich noch auf einen letzten Gang: Er suchte die größte der Zeitungen auf und sprach mit dem Redakteur, einem klugen Mann Mitte der Dreißig, der drüben aus dem alten Deutschland stammte. Es war der gleiche Mann, der damals den mahnenden Artikel geschrieben hatte, aber damit in der Bevölkerung doch nicht den Erfolg erzielt hatte, den er sich erhofft hatte.
»Sie können sich darauf verlassen, Marshal«, meinte er. »Ich werde sofort einen geharnischten Leitartikel schreiben, der die Leute wachrütteln wird.«
Er schrieb den Artikel, aber die Worte drangen nicht in die Herzen.
Santa Fé schlief am hellichten Tag.
Es war am darauffolgenden Tag gegen viel Uhr, als die drei Westmänner auf dem Hof der Fegefeuer-Bar neben ihren gesattelten Pferden standen. Der kleine Sohn des schwarzen Hausmeisters öffnete ihnen das Hoftor.
Doc Holliday blickte den Marshal an.
»Warum nicht gleich so! Hätten wir uns den Tag nicht ersparen können? Die vielen Mühen, die Gänge und die ganze Rederei?«
Der Marshal schüttelte den Kopf. »Leider nicht, Doc. Es war meine Pflicht, all diese Wege zu gehen.«
»Ja, ich weiß«, entgegnete der Spieler und zog sich in den Sattel.
Als sie auf die Mainstreet hinausritten, wurde drüben die Tür des Sheriffs Office geöffnet, und Jerry Lorayne blickte verblüfft zu den dreien hinüber. Dann kam er auf die Straße und lief dem Marshal entgegen.
»Mr. Earp, Sie wollen weg?«
Der Marshal blickte auf den Chief Deputy hinunter.
»Ja, Jerry. Leben Sie wohl. Die ganze Verantwortung liegt jetzt auf Ihren Schultern.«
»Aber Sie wollen mich… Sie wollen die Stadt doch jetzt nicht allein lassen, Marshal?«
»Die Stadt legt keinen Wert auf meine Gegenwart«, erwiderte der Missourier.
»Aber das ist doch nicht wahr, Mr. Earp. Lassen Sie sich doch von den alten Dummköpfen im Stadtrat nicht irremachen. Auch der Mayor ist nur eine aufgeblasene Nudel. Sie dürfen nichts auf das Gerede dieser Männer geben. Santa Fé braucht Ihre Hilfe! Genau wie damals, als es gegen die Harpers ging.«
Doc Holliday grinste dem Chief Deputy zu. »Hören Sie, junger Mann, wenn Sie mal das Reisefieber packt, dann empfehle ich Ihnen, einen Trip nach Tombstone zu machen. Wirklich ein idyllisches Fleckchen Erde.«
Die drei Männer ritten mitten über die breite Mainstreet von Santa Fé nach Norden hinauf. Die Nachmittagssonne warf einen goldenen Schein auf ihre Gestalten, und es krampfte dem Mann mit dem Stern, der auf der Straßenmitte stand, das Herz zusammen, als er hinter ihnen hersah.
»Hols der Teufel, dieses ganze verdammte aufgeblasene Nest! Da läßt es die drei besten Männer reiten, die es zwischen Montana und Texas, Kalifornia und dem Missouri überhaupt gibt!«
*
Sie waren im weiten Bogen über Namben auf die alte Bandeliere-Straße südlich von Los Alamos nach Westen geritten und hielten auf die alte Indianersiedlung Jemez zu.
Als sie am nächsten Nachmittag in der Ferne an die Berghänge gelehnt die weißen Steinbauten der Indianer sahen, in die die Roten immer noch mittels langer Leitern einsteigen mußten, hielt der Missourier sein Pferd an.
Der Falbhengst zog den Kopf erschrocken zurück und spielte mit seinen schwarzen Ohren. Behutsam glitt die Hand des Missouriers über die prächtige blauschwarze Mähne des Pferdes.
Ohne den Kopf zu wenden, fragte er zu dem eine halbe Pferdelänge links hinter ihm haltenden Spieler: »Was meinen Sie, Doc?«
Der Spieler, der gerade sein goldenes Etui aus der Tasche gezogen und eine seiner langen russischen Zigaretten daraus hervorgeholt hatte, riß sich ein Zündholz am rechten Daumennagel an und sagte dann:
»Meine Meinung kennen Sie ja. Von mir aus können wir zurück nach Tombstone reiten. Es wird Zeit, daß wir da alles ins reine bringen und uns dann endlich auf den Heimweg nach Dodge machen.«
Wyatt wandte langsam den Kopf und suchte die Augen des Freundes.
»Ist das wirklich Ihre Meinung, Doc?«
Holliday stieß in einer Doppelfontäne blauen Rauch durch die Nase und schleuderte das Streichholz von sich. Ohne den Marshal anzusehen, entgegnete er:
»Meine Meinung ist es schon, Wyatt. Aber wenn Sie von mir wissen wollen, wohin der Doktor Holliday jetzt reiten wird, dann sage ich Ihnen, er reitet mit Wyatt Earp zum Tal der grauen Wölfe. Wenn es sein muß, auch in die Ewigen Jagdgründe oder sonstwohin.«
In den Augenwinkeln des Missouriers stand ein Lächeln. Er wandte den Kopf zur anderen Seite und blickte in das kantige Gesicht des Texaners.
»Und Sie, Luke?«
Der Riese zog seine mächtigen Schultern hoch und ließ sie wieder fallen.
»Natürlich hätte ich gerne mit Laura Higgins gepokert – aber glauben Sie vielleicht, ich ließe Sie und den Doc allein in diese Höhle reiten?«
Schweigend setzten die drei Westmänner ihren Weg fort.
Sie ritten nach Südwesten auf das ferne Tal der grauen Wölfe zu.
Santa Fé, dem diesmal der Kampf der Maskenmänner galt, hatte darauf verzichtet, zum Gegenangriff zu rüsten.
Niemand hätte es dem Marshal verdenken können, wenn er sich nicht mehr um die Stadt gekümmert hätte. Er hatte mehr als seine Pflicht getan! Dann hätte sich die Stadt selbst helfen, hätte versuchen müssen, Militärhilfe zu bekommen und seine Bürgerwehr aufzurufen. Es war nicht die Sache des Gesetzesmannes Earp, sein Leben und das seiner beiden Freunde für einen Stadt aufs Spiel zu setzen, die ihn brüskiert hatte.
Dennoch ritt der eiserne Wyatt Earp um Santa Fé willen dem Tal der grauen Wölfe entgegen. Seinem Stern folgend, der ihn auf diesen Weg geführt hatte, der ihn einfach dazu bestimmte, gegen die Galgenmänner zu kämpfen.
Und schweigend ritten neben ihm die beiden Männer, die den gleichen Weg gewählt hatten.
Doc Holliday nicht, weil er sein Leben für das Gesetz in die Schanze schlagen wollte, für eine Legion Undankbarer, sondern ganz einfach, weil der Weg Wyatt Earps auch sein Weg war.
Und Luke Short, weil sein unzerstörbar abenteuerliches Herz für Wyatt Earp schlug. Er wäre bedenkenlos mit ihm in die Hölle geritten und empfand auch eine grenzenlose Bewunderung für den schillernden Doktor John Henry Holliday. Er mochte wohl auch längst gespürt haben, daß er von den beiden Freunden, die sonst keinen Dritten akzeptierten, als vollwertiger Freund und Gefährte aufgenommen worden war und geachtet wurde.
So ritten die drei nach Südwesten, der Marshal ein wenig voran, Doc Holliday eine halbe Pferdelänge rechts seitlich hinter ihm und noch eine Viertel-Pferdelänge auf der linken Seite hinter dem Missourier der Texaner.
Zum drittenmal ritt Wyatt Earp dem Tal der grauen Wölfe entgegen, einem Tal voller Verbrecher, zu der einst verlassenen Stadt, in der jetzt in jedem zweiten Haus ein Galgenmann wohnte!
Ohne mit den Freunden länger darüber beraten zu haben, stand es für den Marshal fest, daß er nicht etwa das ganze Camp ausheben werde, sondern nach Möglichkeit allein den Führer. Wäre der Chief erst in seiner Gewalt, dann würde die Bande ganz von selbst zerfallen.
Aber dieses Vorhaben war ebenso schwer, als wenn die drei Männer vorgehabt hätten, den Fight mit dem ganzen Camp aufzunehmen. Und wenn sie den Big Boß fangen wollten, mußten sie ohnedies damit rechnen, daß das ganze Lager über sie herfiel.
Es war ein schwerer Weg, der Ritt nach Ladore.
*
Nachdem der Big Boß den Männern gesagt hatte, was er zu sagen hatte, war die Beratung zu Ende. Es hatte zwar einige Zwischenrufe gegeben, aber als sich der Chief von seinem Platz erhoben hatte, waren alle anderen verstummt.
Stehend hatte der Bandenführer seine letzten Anweisungen gegeben und dann die Männer der Reihe nach angesehen. Offenbar schien er jeden einzelnen noch durch die Masken zu erkennen.
Gespannte Erwartung lag in dem Raum. Denn jetzt würde er bestimmen, wer sein Stellvertreter an Capucines Stelle sein würde.
Seit den großen Tagen droben am Roten See, seit den Beratungen in den Bergen Mexikos und den Zusammenkünften bei Tombstone, hatte es keine solchen Zusammenkünfte mehr gegeben. Jetzt war wieder Ordnung in die Gang gekommen, und nun würde auch der Stellvertreter bestimmt werden.
Es war erstaunlich, daß es insgesamt acht Männer waren, die sich für diesen Posten auserwählt sahen. Acht Männer!
Denn die Gruppe, die der Boß hier in das Camp geführt hatte, bestand fast nur aus Unterführern, und nur einer konnte von ihnen den Posten Capucines erhalten. Die kleinen Anhänger, die die Bande unten in Arizona und auch in New Mexico hatte, waren nur durch ihre Unterführer auf dem großen Zuge nach Santa Fé vertreten, sonst aber funktionslos und verharrten in der üblichen Angst.
Der Boß blickte dahin, wo der geflüchtete Sheriff saß, und erklärte: »Du gehörst von heute an zu uns, Gregg. Ich nehme an, daß du weißt, was das bedeutet.«
Ferry Gregg saß wie gelähmt da und hatte Mühe zu nicken. Alles, was er in diesen Nachtstunden erlebt hatte, war derart deprimierend, daß er zu keinem klaren Gedanken kommen konnte.
Plötzlich stieß der Chief den Stuhl hinter sich fort und sagte mit seiner zischenden, tonlosen Stimme:
»Und jetzt bestimme ich den Mann, der einstweilen an Capucines Stelle treten soll.«
Atemlose Stille herrschte in der Runde.
Der einunddreißigjährige Rory Webster aus Chicago, der seit neun Jahren im Westen lebte, nachdem er in seiner Heimatstadt einen Menschen ermordet hatte, erwartete nun seinen Namen zu hören, da er mehrere Male das Lob Capucines für eine gelungene Aktion hatte kassieren können
Ihm gegenüber saß sein größter Widersacher Frederic Long, ein schlanker, feingliedriger Bursche, der früher ein gefährlicher Kartenhai gewesen war, bis er eines Tages von Capucine aufgegriffen und der Bande zugeführt worden war.
An seiner linken Seite saß Matthew Gold, ein österreichischer Emigrant, der mehr auf dem Kerbholz hatte als sonst irgend jemand in dieser Runde.
Drei Plätze neben dem saß der vierschrötige John Tucker, ein ehemaliger Cowboy, der es bis zum zweiten Vormann auf einer großen texanischen Ranch gebracht hatte und eines Tages im Streit den Sohn des Ranchers erschlagen hatte. Von diesem Tag an war er ein Flüchtling, ein Verfemter, der sich in Costa Rica der Gang angeschlossen hatte. Auch er war übrigens von Capucine aufgegriffen worden.
Neben ihm saß Hardy Coldwell, ein ehemaliger Schwellenleger, der sich für einen Freund Tuckers ausgab, insgeheim aber sein größter Widersacher war. Er rechnete sich eine besondere Chance bei dem Boß aus, weil er einer der Männer war, die schon von Anfang an mit Capucine geritten waren.
Der sechste Mann in dieser Elite war der siebenunddreißigjährige ehemalige Bahnarbeiter Gordon Perkins, ein hinterhältiger Bursche, der sich in der Bande langsam, aber sicher nach vorn gespielt hatte.
Der siebente Mann war ein Italo-Amerikaner, wie Capucine und Gatta, mit Namen Jim Valetta. Eigentlich war er Capucine am ähnlichsten in Gestalt und Wesen, hatte es aber nicht verstanden, sich die Gunst des Chiefs zu erringen. Dennoch hoffte er, daß jetzt seine Stunde gekommen sei.
Nicht nur von ihm, dem Neapolitaner, sondern von allen gehaßt war der erst in allerletzter Zeit nach vorn gedrungene Laurentino Gatta, der achte Mann in dieser Runde, der sich eine Chance ausrechnete, den Platz des großen Capucine einnehmen zu können.
Sie spürten genau, wie der Boß sie nacheinander ansah: Webster, Long, Gold, Tucker, Coldwell, Perkins, Valetta und Gatta. Gebannt hingen aller Blicke an der glatten Maske des Chiefs, deren Spitze oben schwarz gefärbt war.
Zischend kam es endlich unter dem grauen Tuch hervor:
»Gatta – er wird vorerst Capucines Stelle einnehmen.«
Für eine Sekunde ging eine Bewegung durch die Runde. Dann herrschte wieder tiefes Schweigen unter den Maskenmännern.
Der Boß ging zur Tür, öffnete sie und verließ den Raum.
Da stand Gatta auf, hob die Hand und sagte:
»Eine Viertelstunde bleiben wir noch hier.«
Niemand widersprach. Schließlich war er jetzt der neue Capucine.
Einzig Valetta dachte über die sonderbaren Worte des Chiefs nach. Hatte er denn Capucine immer noch nicht aufgegeben? Glaubte er immer noch, seinen brauchbarsten Mann befreien zu können?
Die Hoffnungen des jungen Neapolitaners Valetta waren noch nicht völlig dahingeschmolzen, denn eines wußte er genau, Gatta war kein zweiter Capucine.
Erst als die Viertelstunde verstrichen war, wandte sich Gatta um und ging zur Tür. Long, Tucker, Coldwell, Webster und die anderen folgten ihm. Die jüngeren unter den Unterführern hatten Angst vor den sieben Auserwählten. Denn die Angst herrschte auch in der Gang selbst, nicht nur um sie herum.
Der Big Boß hatte das Haus nicht verlassen, sondern war eine Treppe hinaufgegangen. Oben hatte er mit einem Schlüssel, den er an einem Lederband bei sich trug, ein sehr kleines Zimmer aufgeschlossen, wo ein Bett, ein Tisch, ein Schrank und ein Stuhl standen. Er trat ans Fenster und blickte hinaus.
Von hier oben aus hatte er einen Blick über die ganze kleine Stadt. Da unten lag die Frontstreet in nächtlicher Stille da.
Er zog seine Stiefel aus, nahm die Maske vom Kopf und legte sich aufs Bett. Mit weitoffenen Augen starrte der Desperado gegen die schrägwandige Decke und überdachte seine Pläne. Es verging fast eine Stunde, ehe er in Schlaf fiel.
Es brauchte ihn niemand zu wecken. Vor Morgengrauen noch wachte er auf, erhob sich, stülpte sich die Maske über und verließ den Raum. Ungesehen kam er aus dem Haus auf die Quergasse.
Sein Pferd war verschwunden!
Er stieß einen zischenden Fluch aus und trat wütend gegen die Tür des Nachbarhofes.
Da sah er, daß sein Pferd da angebunden war. Sofort zog er es auf die Quergasse hinaus und wollte sich in den Sattel ziehen.
Aber da bemerkte er, daß die Wurfbombe nicht mehr in der linken Satteltasche steckte. Rasch durchsuchte er beide Taschen und fand den Notizblock. Er las die Worte, die der Marshal darauf geschrieben hatte.
Eilig saß er jetzt auf und verließ die Stadt.
Der Wächter, der vor dem letzten Haus stand, ging, wie es ihm aufgetragen worden war, in das Haus zurück, um den Chief unbeobachtet vorüberzulassen. Dann bezog er seinen Posten wieder.
Auch der Mann, der draußen im Tal hinter den Büschen zu wachen hatte, kehrte sich um und ritt ein Stück westwärts, bis er sicher sein konnte, daß der Boß vorüber war.
Als er sich dann umdrehte, war von dem Bandenführer auch wirklich nichts mehr zu sehen. Er hatte sich sofort in das Nachbartal gewandt.
Im weiten Bogen ritt er nach Südosten, um schließlich auf die große Fahrstraße zu treffen, auf der er, als Reiter von vielen anderen ohne jede Maskierung und ohne jedes verräterische Zeichen, das ihn als Galgenmann auswies, auf die große Stadt zuhielt.
Etwas mehr als vier Meilen südwestlich von Santa Fé lag La Cinega, eine kleine Ansiedlung, in der der Chief gut bekannt war.
Der Desperado brachte sein Pferd in den Mietstall der irischen Brüder McLean und ließ sich von dem alten Joel McLean einen Grauen geben mit durchgehangenem Kreuz und müden Augen.
»Wenn der Gaul gut genug für das letzte Stück ist, Mister, so soll es mir recht sein. Sie werden sich nicht lange in der Stadt aufhalten und Ihren Gaul schon wieder abholen.«
»Natürlich«, meinte der Bandit und ließ den kurzen forschenden Blick des Mietstallinhabers über sich ergehen.
Der Mann, der nur einen kurzen Blick in seine Augen geworfen hatte, verspürte ein seltsam unbehagliches Gefühl über seinen Rücken rinnen. Er wandte sich ab und führte den prächtigen Braunen, wie es ihm aufgetragen worden war, in den Stall.
Aber der Big Boß verließ La Cinega noch nicht. Er ritt um eine Wegbiegung von der Hauptstraße der kleinen Ortschaft und verschwand in einem winkligen Boardinghouse. Eine alte Frau kam ihm entgegen und lachte mit zahnlosem Mund.
»Aha, da sind Sie ja wieder, Mr. Miller.« Sie bedauerte insgeheim den geplagten Handelsmann, der so oft zwischen Santa Fé und Albuquerque hin und her zu reiten hatte.
Er brachte seinen alten Klepper in den Stall und ging in das Zimmer, das er immer bewohnte, wenn er sich hier aufhielt. Er ließ sich ein reichhaltiges Mittagsmahl bringen und legte sich dann bis zum Einbruch der Dunkelheit nieder.
Dann stand er auf und verließ sein Zimmer. Die Alte unten im Flur fragte nichts. Er hatte ihr einmal erklärt, daß er erst abends in die Stadt hinüberreiten könnte, da erst dann die Geschäftsleute Zeit für ihn hätten.
Er kam ihr nicht einmal sonderbar vor, zumal er ihr immer einen kleinen Stoß von prächtigen Silberdollars in die verknöcherte, gichtige Greisenhand drückte.
Mit der hereinbrechenden Dunkelheit ritt der Big Boß der Maskenmännerbande auf die Stadt zu.
Die Lichter in den Schenken waren angezündet und warfen durch Buntglasscheiben ihre grellen Farbfinger auf die breite Mainstreet. Auch in den anderen Häusern waren die Lampen angezündet worden.
Der Verbrecher ritt an den ersten Häusern vorbei und bog dann rechts in die Pecos Street ein, die zu dem alten Fort Marcy hinüber führte. Nach etwa dreihundert Yard hielt er vor einer schmalbrüstigen alten Schenke an, stieg vom Pferd und warf die Zügelleinen über den Querholm.
Als er über die eine Stufe den niedrigen Vorbau betrat, verließ gerade ein hochgewachsener Mensch die Schenke. Das Licht fiel aus dem Schankraum auf das Gesicht des Bandenführers.
Der Fuß des anderen stockte. Er blickte zur Seite und sagte dann:
»Hallo.«
Der Desperado blieb stehen. Finster zog er seine kräftigen Brauen zusammen.
Der andere schien erschrocken zu sein.
»Entschuldigen Sie, ich glaube, ich habe Sie schon einmal gesehen.«
»Wüßte nicht wo«, gab der Outlaw zurück.
»Ist es nicht irgendwo zwischen Roswell, Lincoln und Carrizozo gewesen? Ich meine, es müßte mit Billy the Kid zusammenhängen.«
Über das Gesicht des Verbrechers flog ein Schatten.
»Billy the Kid? Sind Sie verrückt geworden, Mann?«
Der andere ging verwirrt davon.
Dieses Gesicht! Er hatte es doch schon irgendwo gesehen!
Er ahnte nicht, wie nah er mit seiner Bemerkung der Wirklichkeit gekommen war. Er hatte wirklich das Gesicht eines Mannes gesehen, der mit dem Verbrecher Billy the Kid zu tun gehabt hatte.
Der Große Boß begab sich in die Schenke und warf einen Blick über den langen schmalbrüstigen Raum.
Vorn an den Tischen blickten ein paar Männer auf, betrachteten ihn und wandten sich dann wieder ihren Pokerpartien zu.
Nur der Wirt, der gerade mit dem Rücken zur Tür gestanden hatte, um Gläser zu spülen, hatte den Mann in der Tür eingehend im großen Thekenspiegel beobachtet.
Dem Bandenchief war das natürlich nicht entgangen, aber es kümmerte ihn nicht im geringsten. Er durchmaß den Raum und nahm hinten an einem der letzten Tische Platz. Er blieb nicht sehr lange in der alten Schenke. Offenbar war der Mann, den er hier erwartet hatte, nicht gekommen. Er ging also wieder, nahm seinen Gaul und zog ihn hinter sich her durch das Ostende der Stadt.
Der Mann aus Lincoln war nicht der einzige, der glaubte, den Fremden zu kennen. Oben auf dem weiten Platz vor dem uralten San Marino Kloster begegnete der Chief zwei Männern, von denen ihm der eine gedankenvoll nachblickte und meinte:
»Hölle, den Mann sollte ich doch kennen?«
»Na und? Wer wird das schon sein«, meinte der andere und spie einen Priem aus.
»Das ist nicht irgendwer, Jonny! Laß mich nachdenken… den Mann habe ich doch schon irgendwo gesehen?«
Aber der allzu reichlich genossene Alkohol hinderte den Gunsmith Albert Jefferson daran, sich soweit zu konzentrieren, daß er sich an die frühere Begegnung mit diesem Mann erinnern konnte.
Der Anführer der Maskenmännerbande schritt weiter durch das nächtliche Santa Fé. Es waren keineswegs nutzlose Gänge, die er machte. Sie gehörten alle zu seinem Plan. Er wollte diese Stadt erobern! Er würde den Kampf seines Lebens kämpfen, um das große stolze Santa Fé zu bezwingen und dann zu beherrschen.
Er hatte nicht die mindeste Angst, daß er auf einem seiner Streifzüge dem Marshal Earp oder einem seiner Gefährten begegnen könnte.
Schließlich war er ihm schon oft genug begegnet.
Sein heutiger Streifzug durch die Stadt diente einer besonderen Erkundigung. Er wollte am übernächsten Tag seinen ersten gezielten Schlag auf den Nerv der Stadt durchführen. Der Bandit hatte nicht mehr und nicht weniger vor, als die große Western Bank mitten in der Mainstreet zu überfallen und zu plündern.
Diesen Angriff gedachte der Galgenmann nicht etwa in der Nacht, sondern am hellichten Tag durchzuführen, um mit diesem tolldreisten Überfall der Bevölkerung einen besonders großen Schrecken einzujagen.
In der Nacht, in der Wyatt Earp zum drittenmal zum Tal der grauen Wölfe ritt, hielt der Big Boß in seinem Beratungsraum hinten im Saloon die letzte Besprechung ab.
Daß Hellmers, Bosco Henderson und Chris Presley das Lager verlassen hatten, war schweigend festgestellt worden. Niemand ahnte die Entführung. Und jeder dachte nur daran, wie der Chief die drei strafen würde, wenn sie ihm je wieder unter die Augen kamen.
Jeder der Männer, die an dem Überfall teilzunehmen hatten, wurde von dem Boß persönlich genauestens in seine Aufgabe eingewiesen. Alles sollte mit der Präzision eines Uhrwerkes vor sich gehen. Bei diesem Überfall konnte nichts schiefgehen. Während Webster und Coldwell im Sheriffs Office auftauchten und die anderen Unterführer mit ebensolchen Aufträgen in die größeren Geschäfte und Häuser der Umgebung gehen würden, hatten Gatta, Tucker und der jungen Valetta den Überfall durchzuführen.
Keiner der Banditen hatte eine Frage nach Wenn und Aber, denn sie wußten alle genau, daß sie nicht allein auf der Straße sein würden. Der Boß würde schon dafür sorgen, daß noch ein Dutzend anderer Galgenmänner in der näheren und weiteren Umgebung die Überfallstelle postiert wurden. Männer, die sie selbst gar nicht kannten, die nicht einmal hier zum Camp gehörten. Der Boß hatte die Gruppe, die ihren Treffpunkt in Riepres Bar am Nordende von Santa Fé hatten, dazu aufgeboten.
Wie immer verließ der Chief eine Viertelstunde vor den anderen den Besprechungsraum.
Der Überfall war für den nächsten Vormittag um elf Uhr festgesetzt worden.
Der Boß suchte sein geheimes Quartier auf, während hier im Haus niemand ahnte, daß er noch da war.
Sein Pferd hatte er diesmal in den Hof eines der leerstehenden Häuser gebracht und in einen Stall gesperrt, von dem er wußte, daß er kaum von jemandem aufgesucht werden würde. Und wenn ja, so tat das ja auch nichts, denn die Angst und der Respekt vor dem Großen Chief waren ungeheuer.
Der Bandit lag auf seiner Pritsche, hatte die Hände in den Hosentaschen und starrte gegen die Zimmerdecke.
Der Überfall am nächsten Tag würde die Stadt in Angst und Schrecken versetzen. Er würde diesem Santa Fé zeigen, wer der Herr war! Den Gouverneur und seine Soldaten fürchtete er nicht im mindesten. Wenn ihm nicht der Marshal in die Quere kam, konnte sein Plan nicht scheitern.
Es ging ihm weit mehr um den Schrecken, den er mit seinem Überfall verursachen würde, als um die Beute. Die allerdings konnte er auch gut gebrauchen. Nicht zufällig hatte er den ersten Schlag gegen eine Bank geplant. Eine Bande mit gefüllter Kasse war eine starke Bande. Mit Geld ließ sich vieles erreichen. Es war die Stufe, der nur noch die Gewalt folgte.
Als eine Viertelstunde verstrichen war, erhob sich Gatta.
Die Männer verließen den Raum und nahmen draußen erst ihre Kapuzen ab.
Gatta, Tucker und Valetta blieben neben ihren Stühlen stehen. Als die anderen gegangen waren, schloß Gatta die Tür.
Es war nicht üblich, daß ein Galgenmann mit einem anderen über das sprach, was der Boß angeordnet hatte.
Aber Gatta war eben kein guter Stellvertreter des Boß und kein Ersatz für Capucine. Er wandte sich an Valetta, in dem er instinktiv den besseren Mann witterte.
»Bist du sicher, daß er auch alles durchdacht hat?«
Jim Valetta nickte. »Natürlich, weshalb sollte ich nicht.«
Gatta schluckte. Ihm war keineswegs wohl zumute bei dem Gedanken an den Coup und vor allem an die Rolle, die er dabei spielen sollte.
Er hatte sich auf dem Höhepunkt seiner Laufbahn gewähnt, als der Chief ihn als Vertreter Capucines ausgerufen hatte. Aber er hatte nicht an die damit verbundenen Pflichten gedacht. Daß er ausgerechnet jetzt zu den drei Männern gehören würde, die den Coup direkt durchzuführen hatten, das mißfiel ihm ungeheuer. Er war kein Mann, der eine Bank überfallen konnte. Ihm fehlte der eiskalte Nerv, den man dazu benötigte. Ja, Jim Valetta, das war der Man, der so etwas konnte, oder der sture Tucker, die beiden waren wie geschaffen für eine solche Aufgabe.
Verzweifelt hatte Gatta sich in den beiden letzten Tagen überlegt, was er tun konnte, um diesen lästigen und lebensgefährlichen Posten loszuwerden. Er hatte überlegt, ob er nicht einen Unfall vortäuschen sollte. Aber als er an die scharfen Augen seiner Neider dachte, hatte er den Gedanken daran beiseite geschoben und beschlossen, doch lieber mitzumachen. Was konnte schon passieren? Schließlich waren Valetta und Tucker neben ihm. Und draußen waren die anderen. Genau wie die Kumpane wußte er, daß der Boß alles abgesichert haben würde.
Wenn der Chief nicht nur ausgerechnet ihn dazu bestimmt hätte, die Bank zuerst zu betreten und dem Kassierer den Revolver entgegenzuhalten! Was nun, wenn der Mann geistesgegenwärtig war und sofort schoß? Vielleicht hatte er, wie es doch viele Kassierer im Westen hielten, den Revolver direkt neben sich liegen. Was, wenn der Mann blitzschnell reagierte und auf ihn schoß?
Es mußte eine fürchterliche Sache sein, eine fingerdicke Patrone aus dieser Nähe durch den Körper gefeuert zu bekommen.
Gatta selbst war ein schlechter Schütze. Als er seine ersten Schießversuche unten an der mexikanischen Grenze im Hinterhof eines Boardinghouses gemacht hatte, hatte er es nicht für möglich gehalten, daß man mit einem so unhandlichen Ding überhaupt etwas treffen konnte.
Wenn er den Revolver in die rechte Faust nahm und den Hahn spannte, war es jedesmal dasselbe gewesen. Capucine selbst hatte neben ihm gestanden und ihm freundlich zugelächelt. Dann hatte er eine leere Whiskyflasche genommen und sie knapp sieben Yard von ihm entfernt auf eine Mauer gestellt. Dann hatte Gatta den Revolver heben müssen, hatte gezielt und abgedrückt. Es war ihm danach vorgekommen als sei die Waffe selbst explodiert. Der Lauf flog hoch, und ein furchtbarer Stoß fuhr jedesmal durch seinen Arm.
Er hatte die Flasche nach dem fünfzigsten Schuß noch nicht einmal mit einer Kugel gestreift. Es war ihm rätselhaft, wie er je sollte schießen lernen.
Rätselhaft war es ihm erst recht, wie der große Capucine gedankenschnell den Revolver aus dem linken Halfter zog, kaum zu zielen schien, die Waffe nach vorn stieß und abdrückte – und drüben zersprang die Flasche dann in hundert Scherben.
Grenzenlos war Gattas Bewunderung für Meisterschützen wie Wyatt Earp und Doc Holliday, für Männer, von denen man wußte, daß sie mit überschweren Revolvern wahre Meisterleistungen vollbrachten.
Aber seinen Mangel an Schießkunst durfte er natürlich im Kreis seiner Kumpane nicht merken lassen. Jetzt, da er der Stellvertreter des Chiefs war, schon gar nicht. Dennoch trachtete er danach, die große Last, die der Big Boß ihm da aufgebürdet hatte, von sich abzuschütteln und einem anderen aufzuladen.
Er betrachtete Valetta eine Weile und überlegte, ob er ihn veranlassen sollte, seinen Job zu übernehmen. Aber nach einigem Überlegen verzichtete er darauf, weil er sich sagte, daß der gerissene Neapolitaner sich wohl kaum dafür hergeben würde.
Deshalb wandte er sich an Tucker. Er hoffte, daß der grobschlächtige, ungehobelte Mann eher zu überreden sein würde. Wie aber sollte man das anfangen? Sollte er Tucker bitten, seinen Job zu übernehmen, oder sollte er gleich den Boß herauskehren und den Wechsel einfach befehlen?
Er warf dem langen Burschen einen forschenden Blick zu und meinte dann zu einem anderen, aber so, daß Tucker es hören konnte:
»Jim ist ein ganzes Stück größer als ich. Ich glaube, er wäre besser geeignet als ich, die Bank zuerst zu betreten. Er kann schon von der Tür aus sehen, wer hinter den Schaltern steht. Die Stäbe sind immerhin ziemlich hoch, so daß ich mich schon gewaltig recken müßte, wenn ich von der Tür aus sehen wollte, wieviel Leute im Schalterraum sind.«
»Ich glaube, daß der Boß sich das schon überlegt hat«, fand Tucker. »Es ist ja gar nicht so wichtig, daß wir wissen, wie viele Leute hinterm Schalter sind. Du ziehst ja erst den Colt, wenn du vorm Kassierer stehst. Und von da aus siehst du ja auch die Leute, die sich bei ihm befinden. Das ist dann noch immer früh genug, wenn du sie zählen willst.«
Gatta hätte Tucker dafür ohrfeigen mögen, er nahm sich vor, es dem Cowboy bei Gelegenheit heimzuzahlen.
Was jetzt? Um keinen Preis wollte er selbst den Coup eröffnen. Der erste Mann war auch am meisten gefährdet, und Laurentino Gatta wollte dieser Mann um keinen Preis sein.
Wieder überlegte er, ob er nicht doch Valetta dazu bestimmen könnte. Er müßte das natürlich auf eine ganz besonders kluge Weise anfangen, denn bereden konnte er diesen Mann nicht. Und im Befehlston wollte er es ihm auch nicht sagen, das war zu riskant. Nein, einen Mann wie Valetta mußte man anders anpacken. Ihn mußte man bestechen!
Als sich die anderen erhoben, um hinauszugehen, ließ Gatta Tucker vorangehen und hielt Valetta am Ärmel zurück.
Tucker ging hinaus in den Hof und schien offenbar nicht zu merken, daß die beiden anderen ihm nicht folgten.
»Was gibt es noch, Gatta?« fragte Valetta nicht eben freundlich.
»Komm mit«, raunte ihm der andere zu und ging voran durch den Korridor in den dunklen Schankraum. Da die Frontscheiben ziemlich groß waren, fiel ausreichend Licht in den Raum, man konnte die Theke und die Flaschenborde gut erkennen.
Gatta machte eine einladende Handbewegung zur Theke und trat selbst dahinter. Er zog eine Flasche heran, zwei Gläser, goß ein und schob Valetta, der vor der Theke lehnte, eines der Gläser zu. Dann sprach er den Kumpanen in italienischer Sprache an:
»Wir sind doch Landsleute, Jim?«
»Und?« forschte Valetta argwöhnisch.
Gatta kippte seinen Drink hinunter, atmete tief und meinte dann: »Ich muß dir etwas anvertrauen, Valetta.«
Der andere schwieg und blickte ihn nur an.
In dem dunklen Raum summte eine große Fliege, die von den beiden nächtlichen Zechern aufgeschreckt worden war.
Gatta begann mit brüchiger Stimme:
»Ich habe es dem Boß nicht sagen wollen. Und natürlich auch den anderen nicht. Aber dir will ich es sagen: Neulich bei meinem Kampf mit Wyatt Earp habe ich mir die rechte Hand verletzt.«
»Bei deinem Kampf?« kam es fast spöttisch von den Lippen des Neapolitaners.
Gatta war einen Augenblick aus der Bahn geworfen, fing sich aber rasch wieder und erklärte:
»Ja, glaubst du denn, es wäre ihm so ohne weiteres gelungen, mich zu überwältigen? Es hat einen schweren harten Kampf gegeben! Wir waren drüben in der verlassenen Stadt in einem Hof, da fiel er mich plötzlich an. Durch die Überraschung gelang ihm natürlich der Angriff, aber nicht voll. Du weißt, daß ich ein kräftiger Kerl bin. Ich sprang augenblicklich wieder auf die Beine und schlug zurück. Als ich dann zum Revolver greifen wollte, traf mich wieder einer seiner Faustschläge. Ich sage dir, der Kerl schlägt zu wie ein Pferd! Ich stürzte, stolperte und habe mir dabei die rechte Hand verletzt. Als ich wieder hochkommen wollte, hatte er mich gepackt und fesselte mich.«
Valetta hatte den Kopf in beide Hände gestützt und fixierte den Kumpanen scharf…
»Und weshalb hast du uns von dieser Heldentat bisher nichts erzählt?«
»Weil ich nicht wollte, daß der Boß erfährt, daß meine rechte Hand nicht in Ordnung ist.«
»Ach«, meinte der andere, »lieber würdest du uns alle in Gefahr bringen?«
Gatta witterte Morgenluft. »Wie meinst du das?«
»Wenn der Boß gewußt hätte, daß deine rechte Hand nicht in Ordnung ist, hätte er dich ganz bestimmt nicht für eine so wichtige Rolle bei dem Überfall ausgesucht.«
»Da hast du recht.«
Ohne seine Haltung zu ändern, forschte Valetta:
»Weshalb hast du also geschwiegen?«
»Das weißt du so gut wie ich. Es galt, einen großen Job zu vergeben. Und den vergibt kein Chief an einen Mann, der seine rechte Hand nicht gebrauchen kann.«
Immer noch änderte Valetta seine Haltung nicht.
»Weißt du, was das ist, Gatta?«
Gatta schwieg.
Da stieß der andere den Kopf vor und fauchte:
»Das ist Betrug, verstehst du mich? Betrug unter Partnern. Ein Mann, der seiner rechten Hand nicht mächtig ist, ist für den Posten ungeeignet.«
Jetzt war es Gatta, der den Kopf vorstieß.
»Für welchen Posten?« schnarrte er nun rasch.
Valetta lehnte sich wieder zurück und sagte sehr ruhig:
»Für den Posten, den der Boß dir bei dem Überfall auf die Bank zugedacht hat.«
»Ja, das kann schon sein. Aber jetzt bin ich der Stellvertreter des Chiefs, und ich teile dir als meinem nächsten Unterführer mit, wie die Dinge stehen. Du wirst meine Rolle übernehmen.«
»Nein, das kann ich nicht.«
»Weshalb nicht?«
»Weil der Big Boß es anders angeordnet hat.«
»Ich ordne es neu an, und du weißt, weshalb ich es tun muß.«
Valetta nahm sein Glas auf, trank es aus und stieß es zurück. Mit langsamen Schritten verließ er die Theke.
Gatta rannte ihm nach, packte ihn am Arm und zerrte ihn herum.
»Hör zu, Valetta – du wirst es tun – und du sollst es nicht umsonst tun.«
Der Neapolitaner blickte über die Schulter zurück in das düstere Gesicht Gattas.
»Sprich deutlicher.«
»Ich habe gesagt, du wirst es nicht umsonst tun. Ich werde dich dafür bezahlen.«
»Bezahlt werde ich ohnehin für meinen Job«, brummte Valetta.
»Ich werde dir noch die Hälfte von meinem Gewinn abgeben.«
»Und die andere Hälfte? Für einen Mann, der nicht schießen kann?«
»Wer sagt, daß ich nicht schießen kann? Komm mit auf die Straße, dann werde ich es dir zeigen.«
Valetta verzog das Gesicht zu einem höhnischen Lächeln.
»Spiel dich nicht auf! Du weißt genau, daß wir jetzt nicht auf die Straße gehen können. Der Boß ist möglicherweise noch im Camp.«
»Ich kann schießen, verlaß dich darauf«, krächzte Gatta. »Nur – ich hätte gern, daß ein hundertprozentig gesunder Schütze den Teil übernimmt, den der Boß mir zugedacht hat. Es ist eine Ehre, den Coup zu führen, und du wirst diese Ehre zu schätzen wissen.«
Valetta drehte sich jetzt voll um und sah den Gefährten an, stemmte die Hände in die Hüften und wippte auf den Zehenspitzen.
»Ehre? Ich glaube, du mußt verrückt sein. Wenn du mit mir reden willst, dann drück’ dich gefälligst in Zahlen aus.«
Gatta, in die Enge getrieben, nannte ihm eine Zahl.
Da brach eine höhnische Lache von den Lippen Valettas.
In dieser Stunde bahnte sich schon die neue Rangordnung innerhalb der Galgenmännerbande an. Nicht der zur Hysterie neigende, unruhige, aufgeblasene Gatta, sondern der abwägende, gerissene Cesarino Valetta, das siebzehnte Kind eines Bäckers aus einer der engen Vorstadtgassen Neapels, der vor neun Jahren als blutjunger Bursche in dieses Land gekommen war, er würde der kommende Mann des Geheimbundes sein!
Laurentino Gatta verspielte sozusagen seinen Rang.
»Rino!« Er nannte den Kumpanen unbewußt bei seinem heimatlichen abgekürzten Vornamen anstatt Jim, wie sich Valetta hier nennen ließ. »Du verlangst zuviel, ich werde dir zwei Drittel geben.«
Aber Valetta schüttelte den Kopf.
»Nein, du gibst das Ganze oder gar nichts.«
Rasender Zorn stieg in Gatta auf. »Was fällt dir ein! Weißt du nicht, wer ich bin? Du vergißt offenbar, mit wem du sprichst. Wenn ich will, gebe ich dir den Befehl, das zu tun. Und du hast auszuführen was ich anordne.«
»Ich weiß sehr wohl, mit wem ich spreche«, entgegnete Valetta. Dann zündete er sich eine Zigarette an und wandte sich um.
Er sah nicht die Adern, die dick aus den Schläfen Gattas traten.
Plötzlich sprang Gatta auf ihn zu, packte ihn am Kragen und stieß ihn gegen einen Tisch.
Aber Valetta reagierte schnell wie eine Pantherkatze. Er stieß die Linke blitzschnell als Rammpfahl nach vorn und schlug dann einen rechten kurzen steif angewinkelten Haken, der Gatta so schwer traf, daß er sich dreimal um seine eigene Achse drehte, ehe er krachend gegen die Theke prallte.
Valetta stand mitten im Raum, mit gespreizten Beinen, leicht nach innen gesetzten Füßen, blitzblanken Stiefeln. In seiner linken Faust blitzte ein Revolver.
Gatta sah es trotz der Dunkelheit genau.
Er rieb sich durch das Gesicht, griff in das Gläserspülbecken, warf sich ein paar Hände voll Wasser ins Gesicht und griff dann nach der Flasche.
»Ach, Rino, komm, wir nehmen einen Drink. Du bekommst natürlich das Geld. Man versucht eben immer noch zu handeln. Du weißt ja, wie es bei uns drüben in der alten Heimat ist.«
Sie lehnten beide an der Theke und tranken miteinander, als ob nicht das geringste gewesen wäre.
*
Es war zwei Uhr in der Nacht, als die drei Westmänner oben auf dem Hügelkamm anlangten. Von den Sätteln aus blickten sie in die enge Talsenke auf die Stadt.
Dann stiegen sie ab.
Wyatt deutete hinunter in die Frontstreet und sagte zu dem Texaner:
»Der Posten muß da unten vor dem letzten Haus stehen. Ich halte es für möglich, daß ein zweiter Posten noch unten im Flußtal steht. Ihre Aufgabe ist also keineswegs einfach.«
Der Tex nickte, nahm sein Pferd, führte es ein Stück vom Hügel hinunter und zog sich dann wieder in den Sattel.
Die beiden Dodger standen nebeneinander. Unter ihnen lag das Camp der Galgenmänner friedlich und still da, als ob es eine Stadt sei wie jede andere.
Der Georgier deutete zu der Tamariske hinüber, hinter der sie den Wächter neulich überrascht hatten.
»Da also werde ich stehen.«
Der Marshal nickte.
Holliday ließ die Zügelleinen seines edlen Rapphengstes fallen und hob grüßend die Hand.
»Fare well, Wyatt.«
Der Marshal hob ebenfalls die Hand und antwortete leise:
»Fare well, John.«
Der Georgier setzte sich in Bewegung. Gleich darauf war er verschwunden. Wyatt wußte, daß Holliday keinen leichten Weg vor sich hatte. Möglicherweise saß nicht nur ein einzelner Wächter hinter der Tamariske, sondern auch der Mann, der sonst am Hang zu stehen hatte.
Der Missourier strich über den blanken Hals seines Falbhengstes, ließ dann auch die Zügelleinen fallen und machte sich ebenfalls auf den Weg.
Er hatte den härtesten Part gewählt: den Weg mitten in die Stadt. Während seine beiden Gefährten an den Ortsausgängen Posten beziehen sollten, würde er selbst in das Camp eindringen.
Er hatte den beiden Gefährten genau die Örtlichkeiten geschildert, die ihm selbst bekannt waren. Vor allem hatten die beiden einen genauen Lageplan des Saloons im Kopf.
Wyatt hielt sich hinter dem Hügelkamm und umging den linken Talhang so weit, bis er etwa in der Höhe der Stadtmitte war. Hier machte er sein Pferd fest. Dann schlich er sich tief an den Boden gepreßt über die Hanghöhe. Er blickte zu den Scheunenrückwänden hinunter, die ihm am nächsten waren.
Jetzt kam der gefährliche Part. Er mußte sich aufrichten und so rasch wie möglich hinunterzukommen versuchen.
Er hatte lange mit den Freunden darüber beraten, ob er von der Hanghöhe hinunter schleichen oder aber sich rasch vorwärts bewegen sollte, damit er möglichst bald in Deckung war. Sie waren übereinstimmend der Meinung gewesen, daß er so schnell wie möglich zu den Scheunen kommen mußte.
Deshalb richtete er sich jetzt halb auf und lief den Hang hinunter. Der Sand unter seinen Füßen rutschte stärker, als er es vermutet hatte. Deshalb mußte er die Geschwindigkeit des Laufes etwas bremsen.
In diesem Augenblick zerriß schrilles Gebell die Stille der Nacht. Links aus einer Gassenmündung schoß ein großer Hund heran, der mit weiten wütenden Sätzen den Hang nahm und auf den Missourier zuhielt.
Wyatt war nur für den Bruchteil eines Augenblicks stehengeblieben, hatte dann aber seinen Weg fortgesetzt, um sich aus der weithin einsichtigen Zone zu begeben, auch wenn er sich dadurch dem auf ihn zuschießenden Tier noch näherte.
Mit weiten Sätzen sprang er das restliche Drittel des Talhanges hinunter und konnte jetzt schon von der Mainstreet aus nicht mehr gesehen werden. Da hielt er inne, und erwartete den Angriff des Hundes.
Das Tier war jetzt bis auf fünfzehn Yard herangekommen. Als es sah, daß der Mann sich niederduckte, stoppte es seinen Lauf ebenfalls, setzte sein bestialisches Gebell aber fort.
Als der Hund sah, daß der Mann in der geduckten Stellung verharrte, machte er drei, vier weitere Sprünge vorwärts. Nun stand er sechs Schritte vom Marshal entfernt.
Das Gebell des Tieres war abscheulich und erfüllte das ganze Tal. Vergebens versuchte der Marshal, den Hund durch Zureden zu beruhigen.
Mit einem Sprung brachte sich der Hund noch näher an den Mann heran.
Der Missourier war auf das Äußerste gefaßt und riß das Messer aus dem Gurt.
Der Hund richtete sich auf die Hinterhand auf, fletschte drohend seine weißen Wolfszähne und setzte zum Sprung an.
In diesem Augenblick geschah etwas sehr Seltsames. Unten in der Scheunenwand war eine Klapptür aufgestoßen worden, und mit gewaltigen Sätzen fegte ein zweiter Hund heran. Er warf sich dem anderen während des Sprunges genau in die Flanke.
Rasend vor Wut überkugelten sich die beiden Tiere, keiften, bellten, schnaubten und fletschten einander an.
Aber der Kampf war schnell entschieden. Der erste Hund trollte sich davon immer noch leise grollend, während der andere zwei Schritte vor dem Marshal stehenblieb und seinem Rivalen nachsah.
Verwundert hatte der Missourier den Blitzkampf der beiden Tiere beobachtet. Und jetzt, als der erste Hund verschwunden war, wandte sich das Tier, das Wyatt gewissermaßen mit seinem Leben verteidigt hatte, zu ihm um und kam mit einem leisen ›Huim, Huim‹ an ihn heran.
Wie der Missourier schon geahnt hatte, war dies das Tier, mit dem er sich bei seinem letzten Besuch hier im Camp angefreundet hatte und das ihn ein ganzes Stück über die Hügelkämme nach Osten begleitet hatte, ehe es zurück ins Lager getrottet war.
Der Marshal kraulte dem großen Hund den Schädel, nahm das Tier am Halsband und zog es rasch mit sich zu der Scheune hinunter, hob die Klappe an und verschwand mit dem Tier im Innern des modrig riechenden Holzbaues.
Diese höllische Situation hatte er also nun überstanden. Er hatte jetzt einen vierbeinigen Freund in der Stadt, gegen den er sich allerdings mit seinem vierbeinigen Freund zu schützen hoffte. Lauschend blieb er in der Scheune stehen und wartete.
Es dauerte kaum zwei oder drei Minuten, bis er die hastenden Schritte eines Mannes hörte, der hinter der Scheune entlanglief.
Einer der Wächter also.
Der Marshal hätte sich ihn gern gegriffen, konnte aber nicht riskieren, sich draußen aufzuhalten, da möglicherweise noch weitere Leute auftauchten, um sich nach der Ursache des Lärms zu erkundigen.
Aber es blieb still. Und nach einer Weile hörte er die Schritte des Postens zurückkommen.
Er lag dicht hinter der Türklappe, die der Hund vorhin aufgestoßen hatte. Er schob die Klappe etwas auf und blickte hinaus. Da sah er ihn kommen.
Es war ein mittelgroßer Mann, der ein Gewehr in beiden Händen hielt und forschend den Hang hinaufblickte. Als er bis auf vier Schritte herangekommen war, blieb er stehen, kehrte dem Marshal den Rücken zu und blickte den Hang hinauf.
Der Missourier entschloß sich zum Angriff auf den Posten. Jeder ausgeschaltete Wächter bedeutete eine Gefahrenquelle weniger.
Ungeachtet des Geräuschs, das die schwere Holzklappe verursachte, schnellte Wyatt hoch und war mit zwei Sprüngen bei dem Mann, der sich aber schon umgedreht hatte.
Doch ehe der Mann reagieren konnte, traf ihn die kantige Faust des Marshals und riß ihn von den Beinen.
Nur ein röchelnder Laut drang über die Lippen des Überrumpelten.
Wyatt packte ihn und schleppte ihn mitsamt dem Gewehr in die Scheune hinein, wo er ihn knebelte, fesselte und an einem schweren Wagenrad festband. Camp Ladore hatte also einen Wächter weniger.
Nach einiger Zeit, die der Mann nach Beginn des Hundegebells gebraucht hatte, um hierherzukommen, war zu schließen, daß es der Posten war, der hinten am Ortsausgang den Talhang zu bewachen hatte. Demzufolge hatte der Big Boß an den Seitenhängen offenbar keine weiteren Posten ausgestellt. Oder aber er hatte nur einen einzelnen Mann bestellt, der immerzu die Runde um die ganze Stadt zu machen hatte.
Der große Wolfshund stand leise hechelnd neben dem Mann aus Missouri und blickte zu ihm auf. Es war wirklich ein sehr schöner Hund mit schwarzem Kopf, hoch aufgestellten Ohren und buschigem Schwanz. Er hatte die Freundschaft, die Wyatt Earp in jener Nacht mit ihm geschlossen hatte, nicht vergessen und sie vorhin draußen hinter der Scheune wahrhaft unter Beweis gestellt.
Als der Missourier sich jetzt durch die Scheune vorwärtstastete, folgte ihm der Hund lautlos.
Wyatt überlegte, ob das Tier in dem Scheunenbau gewesen war, bevor er hier ankam.
Als er einen großen Wagen hinter sich gelassen hatte, sah der Missourier die Tür zum Hof etwas offen stehen. Der Hund hatte sich also höchstwahrscheinlich nicht in der Scheune, sondern draußen im Hof befunden und hatte, als er das Gebell des anderen Tieres gehört hatte, den kürzesten Weg genommen, nämlich quer durch die Scheune.
Der Marshal blieb an der angelehnten Tür stehen und spähte in den Hof.
Da spürte er, daß der Hund ihn mit der Nase anstieß, Wyatt kraulte wieder seinen Kopf und blickte zu ihm nieder.
»Na, Billy Boy?« flüsterte er ihm in eines der flauschigen aufgestellten Ohren. »Schade, daß du mir nicht sagen kannst, wo wir uns hier eingeladen haben.«
Das Tier drängte ihn etwas zur Seite, schob sich an ihm vorbei und öffnete mit der Pfote das schwere Scheunentor so weit, daß es in den Hof hinaus konnte.
Es machte ein paar Schritte vorwärts, blieb dann stehen und sah sich nach dem Mann um.
Der Missourier entschloß sich, dem Tier zu folgen.
Das Sternenlicht wurde in dieser Nacht durch den zunehmenden Mond noch erheblich verstärkt und warf jetzt einen fahlen Schein auf die Frontfassade der Scheune.
Der Missourier mußte zusehen, daß er rasch hinüber an die Stallwand kam, wo tiefer Schlagschatten herrschte. Die rechte Seite des Hofes wurde durch das Wohnhaus abgeschlossen, das aber ebenfalls vom Mondlicht noch so hart gestreift wurde, daß es an seiner Seitenfront kaum Schatten bot.
Wyatt entschloß sich, auf die Stallfront zuzuhalten, und blickte dem Hund nach, der jetzt quer durch den Hof und auf die Fenz zu trottete.
Es war ein verhältnismäßig großer Hof, in dem allerlei Gerümpel stand, das dem Eindringling Deckung bot. Er hatte den Stall fast hinter sich, als er jäh zusammenschrak.
Drinnen wieherte schrill ein Pferd auf. So laut, daß es weithin zu hören sein mußte.
Der Missourier, der ein ausgezeichneter Pferdekenner war, wußte, daß es sehr wachsame Pferde gab, die ähnlich wie Hunde, Menschen warnen wollten. Er selbst besaß ja ein solches Tier und war jetzt auf der Hut.
Mit raschen Sätzen eilte er zur Fenz und wollte den großen Sperrbalken eben zurückschieben, als sich der Hund dicht neben ihm gegen den Torfhügel warf und mit dem Gewicht seines Körpers eine kleine Pforte aufstieß.
Der Marshal stand auf der Frontstreet von Camp Ladore. Behutsam schloß er die Pforte und war mit drei raschen Schritten auf dem nächsten Vorbau, der in tiefem Dunkel dalag.
Das übernächste Haus war jenes Gebäude, dem er neulich in der Nacht einen Besuch abgestattet hatte und von wo aus er dann in den Hof des Saloons hatte sehen können.
Der Marshal entschloß sich, heute den gleichen Weg zu nehmen, da er ihm ja bekannt war.
Fast lautlos bewegte er sich über die Stepwalks vorwärts, passierte das erste Haus, das zweite, und als er dessen Eingang hinter sich hatte, blieb er plötzlich stehen.
Die Haustür hatte leise geknarrt.
Reglos stand er zwischen der Tür und dem ersten Fenster, platt an die Wand gepreßt, mit angehaltenem Atem.
Da, die Tür knarrte wieder.
Schon glaubte der Missourier, daß es vielleicht ein Luftzug gewesen sei, der sie in den Angeln hin und her bewegte, als er jäh zusammenschrak.
Die flüsternde Stimme eines Mannes war zu hören:
»Komm… es war nichts.«
Der Missourier stand wie eine Statue an der Holzwand des Hauses.
Der Wolfshund war unter der Pforte stehengeblieben, durch die er mit dem Marshal auf die Straße gekommen war, offenbar gehörte er in diesen Hof.
Die Tür wurde jetzt weiter aufgestoßen. Glücklicherweise ging sie zur Straße hin auf, so daß der Marshal in ihrer Nische im Moment noch nicht gesehen werden konnte.
Zur größten Verwunderung Wyatts war es eine Frau, die zuerst auf den Vorbau trat. Sie blickte auf die Straße und sah sofort den Hund rechts vor dem Tor stehen.
»Jack, da steht ein Hund.«
»Psst«, flüsterte die Stimme des Mannes hinter ihr. »Das ist der Köter von Hellmers. Der Halunke hat sich doch mit Bosco Henderson und Chris Presley aus dem Staub gemacht. Der Köter wollte offenbar nicht mit. Verstehen kann man es ja – genug Schläge hat er von ihm bekommen! Hab’ keine Angst, der kümmert sich nicht um dich.«
Prüfend blickte der Marshal aus seiner Nische auf die Frau. Sie war mittelgroß und kräftig gebaut, hatte das Haar in einem spanischen Knoten hinten zusammen, gelegt und trug einen Conchita-Kamm.
Eine Frau im Lager der Galgenmänner! Offenbar hatte der Mann sie in der Nacht auf irgendeine Art in die Stadt eingeschmuggelt und suchte sie nun wieder hinauszubringen.
Die Disziplin unter den Maskenmännern ließ also immer noch zu wünschen übrig. Capucines Fehlen machte sich wieder einmal bemerkbar. Unter ihm wäre es gewiß keinem von der Bande eingefallen oder gar gelungen, eine Frau ins Camp mitzunehmen.
Der Mann war jetzt mit der Frau an den Vorbaurand getreten und zischelte:
»Der Posten ist verschwunden. Komm, wir müssen hier auf den Vorbauten bleiben, damit man uns vom Hang aus nicht sehen kann.«
»Bist du auch ganz sicher«, fragte die Frau, »daß dein Freund jetzt vorne Talwache hat?«
»Ja, ganz sicher, komm.«
Mit der Linken schob er die Tür zu, die Rechte hatte er um den linken Ellbogen der Frau gepreßt.
In diesem Augenblick sah er die Gestalt des Mannes in der Türnische.
Der Marshal handelte blitzschnell. Ein Hieb mit dem Revolverlauf streckte den Galgenmann nieder. Und ehe die Frau einen Schrei ausstoßen konnte, hatte sie die Hand des Marshals um ihre Kehle. Der Missourier lockerte den Griff eine Spur, preßte ihr die Revolvermündung gegen die Rippen und flüsterte:
»Keinen Laut, sonst muß ich Sie töten.«
Die Frau nickte heftig.
Da lockerte der Marshal den Griff und führte sie in den Hausgang.
»Es tut mir leid, ich muß Sie jetzt knebeln und fesseln.«
Die Frau rührte sich nicht, stand steif da und war einer Ohnmacht nahe.
Wenige Minuten später waren die beiden gefesselt. Der Marshal schleppte sie durch den Hausgang in den Hof und brachte sie hinten in dem Stallhaus unter, das nur zwei Boxen hatte.
Als er dann auf den Vorbau zurückkam, sah er den Hund noch drüben vor dem Tor sitzen.
Er hätte es sich nicht leisten können, den Galgenmann mit der Frau davongehen zu lassen, da er dem leichtsinnigen Mann nicht Vorsicht genug zutraute, die Frau auch tatsächlich unbemerkt aus dem Lager bringen zu können. Wurden die beiden aufgegriffen, so war ein Tumult nicht ausgeschlossen, der auch dem Marshal Gefahr bringen konnte.
Er setzte seinen Weg fort. Kurz darauf stand er vor der Tür jenes Hauses, dem er unlängst einen Besuch abgestattet hatte.
Die Tür war verschlossen.
Er mußte also direkt in den Hof des Saloons, der ja eigentlich auch sein Ziel war.
In der Stunde, in der der Marshal Earp das Camp der Galgenmänner betreten hatte, war es nur noch mit wenigen Männern besetzt. Die anderen hatten bereits kurz nach Schluß der Beratung im Saloon den Weg nach Santa Fé angetreten, um dort ihre Posten rechtzeitig beziehen zu können. Die anderen sollten erst im Morgengrauen die Stadt verlassen.
Im Camp Ladore befanden sich zu dieser Stunde also Laurentino Gatta, Jim Valetta, Gordon Perkins, Rory Webster, Matthew Gold, Frederic Long, John Tucker und Hardy Coldwell.
Also die Hauptakteure des Überfalls auf die Westernbank in Santa Fé.
Weiter waren noch in der Stadt der gefangene Liebhaber, Jonny Wilkins, ferner der Talwächter Marvil Hattaway, den der Marshal vorhin unschädlich gemacht hatte, und die beiden Posten an den Talausgängen. Aber die waren von Doc Holliday und Luke Short inzwischen ebenfalls angeschlichen und überwältigt worden. Gefesselt und zu handlichen Paketen verschnürt lag der eine oben hinter der Tamariske und der andere unten am Flußufer.
Nur wenige Galgenmänner waren also noch in der Stadt. Weniger Leute, als der Marshal vermutete, aber gefährlichere, als er sich träumen lassen hätte. Valetta, Gold, Webster, Long und Perkins gehörten wahrhaft zur Elite der Maskenmännerbande. Doch alle schliefen sie in ihren Häusern und ahnten nicht, daß der Wolf bereits mitten unter ihnen weilte.
Der Missourier hatte sich im letzten Augenblick doch entschlossen, nicht den Weg vorn durch das Hoftor des Saloons zu nehmen. Es war einfach zu gefährlich. Wenn es so war, wie er vermutete, nämlich daß der Saloon das bevorzugte Quartier des Big Boß war, dann war dieser Eingang ganz bestimmt gesichert.
Wyatt zwängte sich also zwischen dem Saloonbau und dem Nachbarhof durch einen Häuserspalt. Er schürfte sich die Haut an den vorspringenden Brettern und Balken auf, die in der Dunkelheit nicht zu sehen waren. Dann rutschte er fast in ein anderthalb Yard langes Loch, das plötzlich vor ihm klaffte, konnte sich im allerletzten Augenblick noch durch einen Sprung vorwärts retten. Dauernd rechnete er damit, plötzlich wieder den Hund vor sich zu haben, der ihn vorhin angegriffen hatte. Aber schließlich kam er doch hinten auf die Quergasse.
Nun beschäftigte er sich eine volle Stunde damit, das Pferd des Big Boß zu suchen. Es war weder an jener Stelle angebunden, an der er es neulich vorgefunden hatte, noch im Nachbarhof, noch in den Ställen der beiden anschließenden Höfe. Aber der Missourier mußte das Tier suchen, soviel Zeit das auch kostete, um sicher zu gehen, daß der Chief im Saloon war.
Er wandte sich deshalb zur anderen Seite der Höfe hinunter, ließ den Saloonhof aus und suchte die nächsten Stallungen durch.
Fast alle Ställe waren leer. Bis jetzt hatte er überhaupt nur ein einziges Pferd gefunden. Und das war ein starkknochiger Klepper gewesen, der mit dem edlen Wallach nicht zu vergleichen war, den der Bandenführer ritt.
Im dritten Hof hinter dem Saloon fand er wieder ein Pferd. Aber auch das war nicht der Braune, den er suchte.
Er mußte also den Weg in den Saloonhof nehmen.
Da er hier mit allen möglichen Hindernissen zu rechnen hatte, nahm er sich für das Eindringen in den Hof viel Zeit und ließ keine Vorsicht außer acht.
Die nächste halbe Stunde benötigte er, um auf die Fenz hinauf zu kommen, von dort auf ein Schuppendach zu gelangen, auf ihm platt niedergepreßt vorwärtszukriechen und sich endlich zwischen dem Geräteschuppen und dem Stallhaus in den Saloonhof herunterzulassen.
Lauschend blieb er stehen.
Da raschelte es am Boden der Stallwand. Ein großer Nager schoß über die Stiefelspitzen des Marshals vorwärts in den Hof und überquerte ihn im typischen zuckelnden Lauf der Ratten, um drüben im Schlagschatten des Saloonhauses zu verschwinden.
Der Missourier setzte seine mühevolle Suche nach dem braunen Wallach fort. Hatte er sich bisher schon mit äußerster Vorsicht durch die einzelnen Höfe und Stallungen bewegt, so arbeitete er sich nun mit der Lautlosigkeit eines Indianers vorwärts. So schob er sich an der Stallwand entlang, die dunklen Schattenstücke des teilweise sehr weit vorspringenden Daches ausnützend, bis zur Tür.
Es war ein in der Mitte geteiltes Stalltor, das er vorsichtig oben anhob und öffnete, um ein Quietschen der Angeln zu vermeiden. Dann nahm er seinen Hut vom Kopf und hielt ihn vor die Öffnung. Drinnen rührte sich nichts.
Er lauschte noch einen Augenblick, und dann hörte er das leise Schnauben eines Pferdes.
Er verzichtete darauf, den unteren Teil des Stalltores zu öffnen, da die Gefahr bestand, daß das Holz, wie es meistens bei solchen Toren der Fall war, unten über den Schwellenstein schleifte, was immer ein Geräusch mit sich brachte. Deshalb stieg er über das Torstück und blieb im Stallgang stehen.
Hier gab es wenigstens vier oder gar sechs Boxen. Auf der linken Seite, wo durch das winzige Fenster ein diffuser Lichtschein hereinfiel, waren alle Boxen leer. Rechts von dem Durchgang waren nur zwei abgeteilte Kabinen. In der vordersten stand ein Pferd.
Obgleich es von dem Lichtschein, der aus dem Hof fiel, nur noch sehr spärlich beleuchtet wurde, sah der Missourier doch sofort, daß es das gesuchte Tier war.
Der braune Wallach des Big Boß!
Der Marshal trat näher heran und sah, daß das Tier aufgesattelt war.
Er rechnete stets mit allem, der Große Chief!
»Diesmal wirst du nicht weit kommen, Brother!« flüsterte der Eindringling tonlos vor sich hin, nahm sein Bowieknife aus dem Gurt und zerschnitt einen der Sattelgurte bis auf Fingerstärke und zwar unterm Pferdeleib, wo es nicht so leicht bemerkt werden konnte. Der Sattelgurt riß nun keineswegs sofort, wenn der Mann aufstieg, sondern würde erst einem stärkeren Druck nachgeben, der meist nur verursacht wurde, wenn sich der Reiter in beide Steigbügel stellte und sein volles Gewicht auf den Gurt übertrug. Das geschah gewöhnlich, wenn in vollem Galopp das Letzte aus dem Tier herausgeholt wurde und der Reiter sich durch das Heben aus dem Sattel leichter zu machen und die Bewegungen des galoppierenden Pferdes durch ein Nachgeben mit den eigenen Kniegelenken auszugleichen suchte.
Der Marshal wandte sich um und blickte durch den angezogenen oberen Stalltorteil auf das Saloonhaus hinüber.
Groß, dunkel und dräuend lag es da und überschattete den halben Hof.
Jetzt also galt es!
Der Missourier verließ den Stall auf dem gleichen Weg, auf dem er ihn betreten hatte, drückte das Tor wieder zu und bewegte sich dem Hoftor entgegen. In dessen Schatten kroch er über die ganze Länge des Hofes auf das Saloonhaus zu.
Links waren die Fenster, die noch zum großen Schankraum gehörten.
Sie waren so hoch, daß man sie allenfalls im Sprung hätte erreichen können. Aber da einen Klimmzug hinauf zu wagen, war riskant und ziemlich aussichtslos, da die Fenster offensichtlich alle geschlossen waren.
Der Marshal bewegte sich auf Zehenspitzen an der Hausfront entlang, stieg über die unteren Stufen der Holztreppe und blickte zu den drei nächsten Fenstern hinauf. Sie waren ebenso hoch vom Boden und auch alle geschlossen.
Es blieb also nur noch der Weg durch die Tür.
Wie nicht anders zu erwarten gewesen war, die Tür war verschlossen!
Mit äußerstem Geschick schob der Missourier das Bowieknife zwischen die Tür und brachte nach mehreren Anstrengungen den Schnapper des Schlosses tatsächlich zurück.
Als er den Drehgriff betätigte und die Tür aufdrücken wollte, fand er Widerstand.
Damned! Innen war ein Sperriegel vorgeschoben.
Er schob die Klinge in die schmale Türöffnung und tastete nach dem Riegel. Da, er hatte ihn auf der Messerklinge sitzen und schob ihn vorsichtig zurück.
Es verursachte nur ein winziges Geräusch, als er an der Tür innen hinunter fiel.
Aber die Tür ließ sich immer noch nicht öffnen. Sie hatte noch einen zweiten Sperriegel, den der Marshal nun auf die gleiche Weise beiseite schob.
Dann endlich konnte er die Tür öffnen, hob sie an, schob sich in den dunklen Korridor und schloß sie lautlos hinter sich.
Jetzt stand er nur noch ganze fünf Schritte von der Tür entfernt, die zu dem Beratungsraum der Maskenmänner führte, und nur drei Schritte von ihm war auf er linken Seite des Ganges die Tür zum Schankraum.
Sie war nur angelehnt.
Der Marshal lauschte ins Haus und bewegte sich dann vorwärts.
Die Fußbodendielen waren fest und gaben glücklicherweise keine Geräusche von sich.
Eben hatte er die angelehnte Schankhaustür passiert, als ein winziger Laut an sein Ohr drang, der nur aus einer menschlichen Kehle kommen konnte.
Sollte da drinnen jemand schlafen? Im Schankraum?
Der Marshal wandte sich um, trat in die Türnische und lauschte in den Schankraum.
Tatsächlich, da drinnen schlief jemand.
Unendlich vorsichtig hob Wyatt Earp die Tür an und kroch tief an die Erde geduckt in den Schankraum. Durch die breite Fensterfront zur Straße und die beiden Fenster zum Hof fiel ziemlich viel Licht in den großen Raum, und der Missourier konnte von seinem Platz aus die Gegenstände verhältnismäßig gut ausmachen. Links war die große Theke und… Er wollte seinen Augen nicht trauen: Auf dem Schanktisch lag ein Mann!
Wyatt richtete sich etwas auf und versuchte, die andere Seite des großen Raumes mit den Augen zu durchforschen.
Vorn an den Fenstern standen die Tische, deren blanke Flächen schimmerten. Die rechte Ecke des großen Raumes war nicht gut einzusehen. Und da er außer dem leisen Schnarchen des Mannes sonst keinen Laut zu hören vermochte, ging Wyatt auf Zehenspitzen auf die Theke zu.
Blitzschnell preßte er dem Mann die Linke auf den Mund – und in diesem Augenblick geschah es!
Ein Revolverschuß zerriß die Luft. Fauchend jagte das Geschoß durch den Raum, traf den Marshal hinten am Kopf, ließ ihn zur Seite taumeln, mehrere Gläser und Flaschen von der Theke reißend, stürzte er vor der Bordwand des Schanktisches nieder und blieb lang ausgestreckt am Boden liegen.
Hinten in der dunklen Ecke des Schankraumes stand hoch aufgerichtet der Bandit Cesarino Valetta. Er hielt den rauchenden Revolver noch in der Hand.
Der Schläfer oben auf der Theke war, tödlich erschrocken durch den plötzlichen Angriff, aufgewacht. Er sah jetzt einen fremden Mann wie tot vor der Theke liegen. Noch immer benommen, richtete er sich auf, wischte sich über den Kopf, griff in das Gläserspülbecken und warf sich eine Handvoll Wasser ins Gesicht.
»Was ist los?« keuchte er dann immer noch verständnislos.
»Wir haben Besuch«, kam es aus dem Dunkel des Schankraumes.
»Rino?«
»Ja, ich bin es.«
»Hast du ihn erwischt?«
»Ich denke schon.«
»Damned!« Gatta ließ sich von dem Tisch herunter und stand schwankend auf seinen Beinen. Wieder mußte er in das Gläserspülbecken greifen um sich wach zu panschen.
Er schüttelte sich prustend wie ein Hund und machte ein paar torkelnde Schritte vorwärts.
»He, Hölle und Teufel, wie ist das möglich? Ist der da unten einer von uns?«
»Würde mich nicht wundern«, kam Valettas Stimme aus dem Dunkel. Langsam kam er näher, blieb aber im sicheren Abstand und noch außerhalb des Lichtkreises stehen. »Sieh doch nach.«
Gatta stand vor dem reglosen Körper und blickte auf ihn nieder.
»Ja«, meinte er, »sollte mich nicht wundern, wenn er einer von den anderen ist, der mich fertigmachen wollte.«
»Scheinst ja eine Menge Freunde zu haben«, meinte der andere aus dem Dunkel. »Los, sieh nach.«
Ohne zu bemerken, daß er der Aufforderung des anderen wie einem Befehl nachkam, kniete sich Gatta nieder und wälzte den reglosen Körper des Mannes am Boden auf den Rücken – um augenblicklich wie von der Tarantel gebissen zurückzufahren.
»All thousand devils! Weißt du, wer das ist?«
Valetta blieb im Dunkel stehen. Ungerührt und kalt sagte er:
»Keine Ahnung.«
»Wenn ich dir sage, wer es ist, wirst du deine Ruhe verlieren.«
Valetta, der seinen Revolver schon ins Halfter zurückbefördert hatte, nahm ihn sofort wieder heraus und spannte ihn.
»Wer?« stieß er heiser durch die Zähne.
Gatta wich noch zwei Schritte zurück und griff ebenfalls nach seinem Revolver, den er ruhig in der angeblich verletzten Hand hielt. Aber die Worte, die er dann sprach, kamen würgend aus seiner rostigen Kehle:
»Es ist Wyatt Earp!«
Valetta machte vor Verblüffung einen Schritt zurück und stieß gegen einen der Stühle, der polternd hinter ihm umkippte. »Bist du verrückt?«
»Es ist Wyatt Earp, verlaß dich drauf.«
Gatta retirierte jetzt bis zur Flurtür.
»Du hast ihn erschossen.«
»Na und?«
»Mensch, begreifst du denn nicht! Es ist der Marshal. Er liegt hier, er ist tot.«
Valetta faßte sich. Er hielt den Revolver auf den Körper des Reglosen gerichtet und stieß pfeifend hervor:
»Ein Glück, daß ich ihn erwischt habe.«
»Jaja«, keuchte Gatta von der Tür her und wischte sich mit dem linken Arm die großen Schweißperlen von der Stirn. Das Hemd klebte ihm am Rücken, pulvertrocken war seine Kehle geworden. Und die Zunge klebte ihm am Gaumen. Eine hündische Angst hatte von ihm Besitz ergriffen.
Die Gedanken seines Rivalen jedoch arbeiteten jetzt mit gläserner Klarheit und äußerster Präzision.
Wyatt Earp! Das bedeutete doch, daß das Camp in äußerster Gefahr war. Wo Wyatt Earp war, war auch Doc Holliday.
Mit diesem Gedanken verband sich augenblicklich der nächste, der an einen Mann mit herkulischen Körperformen, jenen Riesen, der immer einen weißen Hut trug und im Kreuzgurt zwei rotknäufige Revolver trug, die er zu handhaben verstand wie kaum ein anderer: Luke Short!
Aber Valetta unterdrückte die Panik, die in ihm aufsteigen wollte.
»Los, ans Fenster, Gatta! Gib die drei Warnschüsse ab!
Valetta zeigte jetzt, daß er der geborene Vertreter Lazaro Capucines war.
Gatta jedoch fragte noch, ehe er sich in Bewegung setzte: »Wo hast du ihn getroffen?«
»Ich habe auf den Hinterkopf gezielt.«
Und Gatta wußte, daß Rino Valetta sein Ziel niemals verfehlte, das er auf so kurze Distanz anvisiert hatte.
Er stürzte also quer durch den Schankraum an eines der Fenster, riß es hoch, stieß den Revolver hinaus und gab die drei Warnschüsse ab. Aber das wäre gar nicht mehr notwendig gewesen. Der Schuß, mit dem Valetta den Eindringling niedergestreckt hatte, war in der Stadt längst gehört worden. Vor allem Matthew Gold, der schräg gegenüber wohnte, war sofort am Fenster, blickte auf die Straße und stürmte dann hinunter, um Webster zu wecken, der im Nachbarhaus wohnte.
Aber der kam ihm schon im Nachbarhof entgegen. Auch Tucker war rasch zur Stelle. Er wohnte auf der Seite des Saloons zwei Häuser weiter südlich. Kurz hinter ihm kam Hardy Coldwell, der einstige Schwellenleger, mit polternden Schritten über die Vorbaudielen die Frontstreet hinunter.
Perkins wohnte unten neben der Schmiede. Auch er war durch den Schuß Valettas wach geworden, sprang aber erst auf, als er die drei Warnschüsse hörte.
Nur der Spieler Frederic Long war noch nicht zur Stelle. Dabei wohnte er am allernächsten, nämlich gleich nebenan in dem Haus, durch das der Marshal damals in den Saloonhof hatte sehen können.
Wie aufgescheuchte Ratten stürmten die Galgenmänner die Frontstreet hinunter und fanden sich doch genau auf dem Posten ein, auf denen sie sich nach den Anweisungen des Big Boß für diesen Fall einzufinden hatten.
Gatta, völlig kopflos, brüllte zum Fenster hinaus:
»Wyatt Earp ist in der Stadt!«
»Bist du wahnsinnig!« fauchte Valetta ihn an. »Idiot!« Er stürzte auf ihn zu, packte ihn und zerrte ihn vom Fenster weg.
»Auf die Dächer, Männer!« rief er hinaus und bewies damit erneut, daß er die Übersicht behalten hatte. Denn jetzt war unten in der Straße äußerste Gefahr, und die Männer mußten auf den Dächern am sichersten sein und auch alles am besten überblicken können.
Aber das sollte nicht lange dauern.
Valetta wandte sich um und rannte aus dem Schankraum, um selbst auf das Dach des Saloons zu steigen, wo er von der hochgezogenen westernmäßigen Balustrade aus die Straße weithin übersehen konnte.
In diesem Moment schlug der Marshal die Augen auf. Er sah im Dämmerlicht der Fensternische Gatta stehen, auf schlotternden Beinen, den Revolver in der rechten Faust.
Wyatt fühlte einen stechenden Schmerz hinten im Schädel und begriff das Vorgefallene sofort. Er war angeschossen worden, und das Geschoß mußte im spitzen Winkel hinten auf die Metallplatte aufgeschlagen sein, die er seit langem im Schweißleder des Hutbandes trug und die ihm schon viele Dienste geleistet hatte. Dennoch hatte ihn der Aufschlag der Kugel eine Zeitlang betäubt.
Was jetzt?
Da am Fenster stand der Galgenmann Laurentino Gatta und hatte den Revolver in der Hand.
Auf der Straße waren hastende Schritte zu hören. Und dann hörte er das Geräusch benagelter Stiefel auf den Dächern.
Die Bande hatte sich also auf den Dächern verschanzt.
Der Marshal überlegte, ob er aufspringen sollte, war aber nicht sicher, daß er den Tramp, der wenigstens drei Yard von ihm entfernt stand, gleich so erwischen könnte, daß der nicht mehr zum Schuß kam.
Es gab nur eine einzige Möglichkeit, den Mann zu fällen. Er mußte sich mit aller Schnellkraft herumwerfen und die Beine des Banditen zu erreichen suchen.
Den Vorsatz setzte Wyatt augenblicklich in die Tat um, da er keine Sekunde zu verlieren hatte.
Er schleuderte sich zur Seite und griff weit nach vorn. Sofort bekam er die Beine des Verbrechers zu fassen, riß gleichzeitig an beiden und schleuderte den Mann zu Boden.
Gatta verlor den Revolver, suchte wieder auf die Beine zu kommen, hatte aber einen Mann vor sich, gegen dessen Reaktionsvermögen er nicht aufkommen konnte. Der Faustschlag des Marshals schmetterte ihn gegen die Fensterbrüstung und ließ ihn da besinnungslos zusammensinken.
Wyatt nahm sich trotz der Eile, die geboten war, die Zeit, den Banditen an Händen und Füßen zu fesseln und hinter die Theke zu schleppen.
Als er sich wieder aufrichtete, fuhr ein stechender Schmerz durch seinen Kopf.
Das Geschoß mußte also doch härter auf die Metallplatte aufgeschlagen sein, als er zuerst geglaubt hatte. Er bückte sich, nahm seinen Hut auf und stellte fest, daß er hinten durchschossen war, und die Metallplatte hatte eine kräftige Beule.
Er griff in das Gläserwaschbecken und kühlte sich die Wunde, um dann rasch den Schankraum zu verlassen.
Es war natürlich riskant, jetzt in den Hof hinaus zu gehen, da die Gefahr bestand, daß er von den Dächern aus gesehen werden konnte.
Wo war Doc Holliday? Wo Luke Short?
Er ließ sich aus dem Fenster zur anderen Seitenfront des Saloonhauses in den Seitenhof hinunter und blieb tief an den Boden gekauert liegen. Wenn er von einem Dach aus gesehen werden konnte, dann nur von dem des Nachbarhauses.
Aber da blieb alles still.
Der Falschspieler Frederic Long hatte zwar den Warnruf Valettas gehört und war auf das Dach hinaufgestiegen – hatte sich aber an dessen nördlicher Kante bewegt, da er glaubte, die Gefahr näherte sich vom Ortsausgang, also von dort, wo Doc Holliday sich befand.
Der Marshal kroch geduckt vorwärts zum Tor und spähte durch eine Bretterritze auf die Straße.
Der Umstand, daß die Bande sich auf die Dächer verkrochen hatte, war geradezu verteufelt.
Wo war der Big Boß? Diese Frage brannte dem Marshal wie Feuer im Hirn.
In diesem Augenblick dröhnte eine Stenorstimme durch die Frontstreet und schallte über das ganze Lager hin. Es war die Stimme Luke Shorts:
»Bleibt nur auf den Dächern hocken, Boys, da werdet ihr prächtige Rostbraten abgeben. Die Stadt wird nämlich jetzt von beiden Seiten angezündet.«
Das war ein großartiger Gedanke, ein ausgzeichneter Bluff! Er hätte direkt von Doc Holliday stammen können.
Sofort war auf einem der gegenüberliegenden Dächer ein Geräusch zu hören, und gleich darauf sprang jemand irgendwo auf ein Anbaudach, um von dort in den Hof zu kommen.
Es war der Chicagomann Rory Webster. Er machte den Fehler, das Tor aufzustoßen und auf die Straße hinauszukommen.
Da fauchte von der rechten Straßenseite her ein brüllender Schuß heran und klatschte dicht vor der Nasenspitze des Banditen in das Holz. Ein zweiter folgte dichtauf und riß dem Verbrecher die Stiefelspitze auf.
Mit einem unterdrückten Schrei fuhr Webster in den Hof zurück.
Der Missourier hatte sofort am Klang des Revolvers erkannt, daß der Schütze Doc Holliday war. Der Georgier stand also unweit von diesem Hoftor entfernt – etwa dort, wo Hellmers Haus war.
Wieder war es still in der Stadt.
Da drang ein winziges schabendes Schleifgeräusch an das Ohr des Missouriers.
Oben auf dem Dach des Saloons bewegte sich irgend etwas.
Wyatt beschloß, in das Schankhaus zurückzugehen, um dem Banditen den Weg zu verlegen.
Als er an der Treppe im Flur angekommen war, sah er oben im Hausgang einen Schatten, der sofort zurückfuhr.
Ein Schuß brüllte durch den Treppengang, und die Kugel schlug dicht neben der rechten Schulter des Marshals auf eine eiserne Krempe, um jaulend als Querschläger durch den Flur zu heulen.
Valetta stand oben und hatte die rauschende Waffe noch in der Hand.
»Komm rauf, Hund!« brüllte er.
Wyatt blieb ruhig und mit nervenloser Kälte neben der Treppe stehen und wartete.
Da geschah etwas Unerwartetes. Valetta wandte sich um, stürmte auf eines der Fenster zu, riß es auf und sprang im weiten Satz hinunter in den Hof. Das war eine unerhörte Mutleistung, wenn man es nicht wie er aus Verzweiflung tat.
Dann waren sie plötzlich alle auf der Straße. Wie die Ratten waren sie auf der Flucht von dem sinkenden Schiff, in panischer Furcht vor dem Brand, den ihre Bedränger angekünigt hatten. Denn keiner von ihnen zweifelte daran, daß der Texaner seine Worte ernst meinte.
Das dämmernde Morgengrauen und die ersten klatschenden Schüsse des Georgiers mochten ein übriges getan haben – jedenfalls war in Camp Ladore Panik ausgebrochen.
Valetta setzte mit federnden Sprüngen quer durch den Hof auf das Tor zu, riß es auf und jagte sofort einen Schuß über den nächsten Vorbau, dorthin, wo er den Mann vermutete, der vorhin auf Webster geschossen hatte.
Aber Valetta hatte kein Glück. Der Mann, dem er die rasche Kugel zugedacht hatte, war ausgerechnet der schnellste Schütze, den der weite Westen jemals gesehen hatte.
Doc Holliday feuerte in das Aufblitzen von Valettas Revolver hinein. Die Kugel verletzte den Tramp am rechten Oberarm und stieß ihn in den Hof zurück.
Mit der Lebenskraft einer Katze rannte der Galgenmann zum Stallhaus, durchquerte es und wurde nicht mehr gesehen. Wie es ihm gelungen war, aus diesem Hexenkessel zu entkommen, konnte später niemand mehr verstehen.
Dafür waren die anderen jetzt auf der Mainstreet und suchten den bisher einzigen Gegner, den sie am Hochzucken der Mündungsblitze erkannt hatten, zu bestürmen, nämlich Holliday.
Die beiden Sixguns des einstigen Bostoner Arztes spien Feuer. Webster wurde von einer Kugel an der linken Schulter getroffen und herumgewirbelt.
Long, Tucker und Coldwell standen jetzt draußen vorm Saloon, als der Marshal vor ihnen auftauchte.
Wie Spukgestalten verharrten die Graugesichter auf der Straße, vom fahlen, gespenstischen Morgenlicht übergossen.
»Hände hoch!« Metallen drang ihnen die Aufforderung des Gesetzesmannes entgegen.
Lähmende Stille. Niemand rührte sich. Ein Bild wie aus einer jener düsteren Ausstellungen, die man drüben in den Oststaaten, in der zivilisierten Welt, als Bilder der jüngsten Vergangenheit, der Pionierzeit der Union zeigte.
Sie war noch nicht vergangen, diese Zeit, man war noch mitten drin.
Fünfzehn Yard hinter dem Marshal kauerte ein Mensch unter einem Vorbau, der hämisch grinsende Bandit Matthew Gold. Er hatte den schweren Revolver in beiden aufgestützten Händen und feuerte.
Die Kugel streifte den linken Rockärmel des Missouriers.
Wyatt warf sich sofort im Fallwurf herum und schoß zurück.
Aber schon fauchte von gegenüber ein brüllender Schuß unter den Vorbau, dem dort ein gellender Schrei und drüben die dröhnende Stimme des Texaners folgte.
»Raus aus dem Mauseloch, Halunke, sonst blase ich dich voll Blei!«
Gold kroch nach vorn auf die Straße, tat, als wollte er sich ergeben und fiel dann den Tex mit einem Schuß an.
Doch der Gigant, der wie ein Baum dastand, hatte schneller geschossen.
Im Abdrehen hatte der Marshal gleich nach dem Schuß auf Gold eine zweite Wurfwelle geschlagen und so die drei anderen Outlaws wieder vor sich, deren Augen dem riskanten und meisterlich beherrschten Fallwurf gebannt gefolgt waren.
Frederic Long schoß als erster. Aber der Falschspieler verfehlte sein Ziel.
Der Marshal feuerte ihm den Colt aus der Hand und sprang sofort auf die Füße.
»Gib's auf – oder du stirbst!«
Long gab nicht auf. Hatte er doch noch nicht begriffen, er stieß die Linke zum zweiten Revolver und wollte einen Halfterbodenschuß loslassen.
Da klatschte eine Kugel des Georgiers genau auf die Trommel seiner Waffe.
Longs Hände zuckten mechanisch hoch.
»Oben lassen!« mahnte ihn die klirrende Stimme des Spielers.
Aber da standen noch Tucker und Coldwell!
Und irgendwo tauchte der pockennarbige Perkins auf.
Wyatt Earp sprang auf Tucker zu und riß ihn mit einem Buffalohieb nieder.
Coldwell hob tückisch die Hände, als wollte er sich ergeben, stieß dann aber doch die Linke zum Colt.
Ein pfeifender Backhander des Marshals warf ihn gegen das Haus.
Und drüben tauchte dicht vor Perkins plötzlich die Riesengestalt des Texaners auf.
»Pfoten hoch, Amigo, sonst gibt es Knochensalat.«
Perkins wollte nicht kapitulieren, immer noch nicht.
Da packte ihn Luke, hob ihn an und schleuderte ihn auf die Straße.
Es war beängstigend still auf der Frontstreet von Camp Ladore.
Beizender Pulverrauch zog in Augenhöhe an den Vorbauten entlang wie eine Nebelwolke dahin.
Drüben zischte ein Zündholz auf. Es war der Georgier, er zündete sich eine Zigarette an.
Der Kampf war zu Ende.
Die Männer auf der Straße lebten alle – aber keiner rührte sich.
Da wandte sich der Marshal um, stürmte in den Hof der Schenke, riß die Stalltür auf – und starrte entgeistert auf das braune Pferd, dessen Sattelgurt er angeschnitten hatte!
Wo war sein Herr?
Während alle Gefangenen auf dem Vorbau der Schenke gebunden und von dem Tex bewacht wurden, setzten die beiden Dodger zu einer fieberhaften Suche nach jenem Mann an, dem der ganze Kampf, der riskante Besuch gegolten hatte.
Aber eher hätte sich die berühmte Nadel im Heuhaufen finden lassen. Der Bandenführer war nicht mehr in Camp Ladore.
Entweder hatte er es schon vor dem Auftauchen der drei Westmänner verlassen oder gleich nach Valettas erstem Schuß.
Bemerkenswert war die Tatsache, daß er seinen braunen Wallach zurückgelassen und statt dessen ein anderes Pferd genommen hatte.
Als die Dodger auf den Vorbau zurückkamen, sah Luke Short an den Gesichtern der beiden, daß die Suche vergeblich gewesen war.
Im Osten kroch die Sonne über den Horizont und warf einen orangeroten Schein über die Stadt, die nur zu kurzem bösem Leben erwacht war, um jetzt wieder in die graue Verlassenheit zurückzusinken.
Doc Holliday stand an der Vorbaukante und blickte zum Flußtal hinunter. Wie zu sich selbst sagte er:
»Er ist noch viel gerissener und gefährlicher, als ich angenommen hatte, der Große Chief.«