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Die Onkel Ronnie Tragödie

Meine erste Freundin hieß Debbie Jackson. Sie war ein nettes, einfaches Mädchen, aber im Gegensatz zu den anderen Mädels unserer Klasse wie sie erwähnenswerte Brüste auf. Wir waren immerhin erst vierzehn Jahre alt. Komisch, heutzutage besitzen Mädchen in diesem Alter fast alle schon einen vollentwickelten Körper. Vor zwanzig Jahren musste man noch nach der berühmten Stecknadel im Heuhaufen suchen. Vielleicht liegt es an den versteckten Wachstumshormonen im heutigen Fastfood-Müll. Man weiß es nicht genau.

Ich war jedenfalls mit Debbie Jackson „zusammen“. Dies bedeutete in der kleinen und großen Pause schwitzehändchenhalten, ungeschickt rumsabbern und vor lauter Glückseligkeit schwachsinnig aus der Wäsche glotzen. An manchen Tagen standen bis zu sechs oder sieben knutschende Pärchen hinter der Sporthalle, in Zweimeterabständen, an der mit Graffiti beschmierten Mauer. Alle hatten diesen entspannten Gesichtsausdruck, wie morphiumsedierte Hindukühe. Die Jungs trugen urplötzlich bunte Mädchenarmbändchen, die sie von ihren Freundinnen aufgezwängt bekamen „Och bitte, nur für mich. Das sieht doch sooo süüüß bei dir aus“, und die Mädchen verdeckten ihre zahlreichen Knutschflecke, eher schlecht als recht, mit billigem Make-up, welches sie regelmäßig bei Woolworth klauten.

Einer der wichtigsten Abschnitte, wenn man miteinander „ging“, war es damals die Eltern der Angebeteten kennen zu lernen. Bis das nicht geschah, war man kein offizielles Paar. Ich denke, es hat sich in dieser Hinsicht bis heute vielleicht nicht viel geändert. So kam es, dass ich irgendwann dran war bei Debbie zu Hause zu erscheinen. Wir suchten uns die entsprechende Gelegenheit dafür aus - Die Weihnachtsschulfete. Ja, das wäre perfekt. Ich würde sie am frühen Abend abholen. Wenn wir schon dabei waren, würde ich mit Mr. und Mrs. Jackson bekannt gemacht werden. Es war mein erstes ordentliches Rendezvous.

Schon am Nachmittag des großen Tages, während ich mich sechs- oder siebenmal umzog und an eher unscheinbare Pickel herumdokterte, womit ich sie nur verschlimmerte, befiel mich ein kriechendes Gefühl des Unheils. Es ist diese eine Empfindung, als würde es irgendwo jucken, nur findet man ums Verrecken die Stelle nicht, wo man kratzen soll. Man weiß nur: es juckt und es steigert sich ins Unerträgliche, von Stunde zu Stunde. Eins ist kristallklar; es wird etwas fürchterlich schief gehen und es gibt nichts, rein gar nichts auf der Welt, was man dagegen unternehmen kann. Ganz egal welche Vorsichtsmaßnahmen getroffen werden, es passiert generell das, womit man am allerwenigsten rechnet. Natürlich hätte ich an diesem Abend zu Hause bleiben können, aber dann wäre womöglich ein außer Kontrolle geratener Linienbus in unser Wohnzimmer gebrettert. Ausgerechnet während ich alleine vorm Fernseher säße, und ohne es groß zu erwähnen, zum Ende eines Spielfilms, auf dessen Auflösung ich unheimlich gespannt wäre. Vielleicht hätte gar die Katze unbemerkt in mein Bett geschissen. Nun, jedenfalls so lange unbemerkt, bis ich schlafen ging. Sie sehen, es gibt kein Patentrezept um mit diesem Thema umzugehen. Das Desaster lauert an jede Ecke. Man kann, in einem solchen Fall, nur so normal es geht weitermachen und versuchen den Schaden zu begrenzen, sollte er tatsächlich irgendwann auftreten.

Selbstverständlich kreisten meine Hauptbefürchtungen um Debbies Eltern. Ich malte mir vorausblickend einige Horrorszenarien aus, z.B. wie ihr Vater mir im Schuppen stolz seine umfangreiche Spatensammlung vorführte. Dabei grinste er mich merkwürdig-pervers an und flüsterte mir zweideutige Kommentare zu; über was, und vor allem wie schnell und unbemerkt man es verbuddeln könnte. Und ferner; sollte seiner über alles geliebte Debbie jemals etwas zustoßen, wäre er überaus untröstlich. Dabei schaute er immer wieder manisch auf die Spaten.

Oder wie ihre psychotischgestörte Mutter, in der Küche, einem noch lebendigen, wimmernden Kaninchen das Fell abzog. Zweifelsohne mit einem überdimensionalen Schlachterbeil und das übertrieben blutig. Währenddessen gäbe sie mir den beiläufigen und äußerst freundlichen Rat, immer schön nett zu Debbie zu sein.

Sie wissen worauf ich hinaus will, aber Sie kennen auch die abgedroschene Floskel: Erstens kommt es anders, und zweitens, als man denkt. In meinem Fall, kam sie näher an die Wahrheit, als mir lieb war.

»Hallo William? Nett dich endlich kennen zu lernen«, strahlte mich Debbies Vater an, als er die Haustür öffnete.

»Hallo Mister Jackson, die Freude ist ganz meinerseits.«

Er sah richtig nett aus und sein Händedruck verriet auch nichts Gewalttätiges. Erleichtert, löschte ich die Schaufelsammlung aus meinem GAU Szenario.

»Komm rein, Debbie ist noch nicht ganz fertig. Du kennst ja die Frauen?«

Noch bevor ich antworten konnte, erschien Mrs. Jackson in der Diele. »Was hast du da gerade über Frauen gesagt, Schatz?«

»Ähmm, nichts Schatz.« Er zwinkerte mir verschwörerisch zu.

Auch sie reichte mir sanft die Hand. »Du musst William sein?«

»Ja, der bin ich, guten Abend Mrs. Jackson, nett sie kennen zu lernen.«

Und ja, auch sie machte einen freundlichen Eindruck. Die Kaninchennummer konnte ich also auch getrost ad Acta legen.

In solchen Momenten frage ich mich: Wovor hattest du eigentlich Angst? Das ist ja lächerlich. Du musst wirklich mit dieser Schwarzmalerei aufhören. Was willst du überhaupt? Es läuft doch alles ausgezeichnet.

»Ich glaube, Debbie ist noch nicht soweit«, wiederholte sie Mr. Jacksons Worte und rief die Treppe hinauf. »Debbie? Debbie? Schätzchen?«

»Jahaaa?« kam es genervt zurück. Der kurze Hall, der ihre Stimme hinunter begleitete, ließ mich förmlich den warmen Dampf des Badezimmers spüren.

»William ist hier. Bist du endlich soweit?«

»Jaaa, noch fünf Minuten. Bin gleich unten.«

»Dann beeil dich, junge Dame. Lass William nicht so lange warten.«

»Jaaa!«

Es klang ein wenig so, als würde sie noch ihr Augen-Make-up auftragen, und zwar mit offenem Mund.

Mr. Jackson nahm es zum Anlass mir wieder kumpelhaft zuzuzwinkern. Mein Schulterzucken und kurzes Augenschließen sollte ihm zu verstehen geben: »Ach, ich warte doch gerne auf ihre Tochter, Mr. Jackson. Sie ist jede einzelne Sekunde wert.«

»Tja«, rieb sich Mr. Jackson die Hände und klatschte anschließend, »dann haben wir Männer noch Zeit ein paar Bierchen zu zischen. William, du trinkst doch Bier, oder?«

Diese scheinbar harmlose Frage brachte mich in einen kleinen Gewissenskonflikt. Es war mir schon recht, denn zum einen wollte ich selbstverständlich einen reifen Eindruck erwecken, zum anderen wollte ich aber mit meinen vierzehneinhalb Jahren nicht, gierig nach Alkohol lechzend, den Eindruck eines üblen Gewohnheitstrinkers machen. Mrs. Jackson sah mir vermutlich mein Dilemma an und machte den rettenden Vorschlag. »Nun, ich denke ein Bier kann ja nicht schaden. Also, ich muss noch die Plätzchen für den Frauenclub fertigbacken. Schatz? Führ doch den William ins warme Wohnzimmer. Ich hole euch das Bier aus dem Keller.«

Darauf konnte ich nicken. Es war eine akzeptable Lösung für alle. »Ja, das wäre nett.«

Beide lächelten.

Ich kam mir vor, wie in einem Hollywood-Teenagerspielfilm. Alle nennen sich gegenseitig Schatz und Schätzchen. Die Mutter backt Plätzchen und der, vermutlich unterm Pantoffel stehende, Vater kann es kaum abwarten eines Tages den Freund seiner Tochter zu begrüßen, um endlich eine Ausrede zu haben ein Bier zu trinken und die stereotypische Männersache durchziehen. Die Tochter ist zwar ein wenig spät dran, aber dafür wird man mit dem traumhaften Anblick belohnt, wenn sie am Ende graziös die Treppe herunterschwebt. Dann sieht man erst, aus dem einstigen hässlichen Entlein ist ein wunderschöner Schwan geworden. Sie wissen schon.

Im gemütlichen Wohnzimmer funkelte der Weihnachtsbaum schön bunt und das Kaminfeuer knisterte gemütlich vor sich hin. Wie in vielen britischen Wohnzimmern zur Weihnachtzeit. Mr. Jackson bot mir seinen persönlichen Ohrensessel an, direkt neben dem Feuer. Geehrt, setzte ich mich hin.

»So«, rieb er sich wieder die Hände, »dann hole ich mal für uns Männer das Bier aus der Küche.«

Eine Minute später kam er zurück und drückte mir eine leicht verstaubte Flasche Becks und ein leeres Glas in die Hand. Sein eigenes stellte er ab. Mit den Worten: »Ach, so ein Mist, hab den Öffner vergessen«, verschwand er erneut.

Da saß ich also; vierzehneinhalb Jahre alt, in der einen Hand eine Flasche Bier, in der anderen ein Glas, in einem bequemen Ohrensessel vor einem lodernden Kamin...uunndd...zur Krönung des Abends, würde ich gleich mit dem großbüsigsten Mädchen der Klasse auf eine Fete gehen, die sich später in einer dunklen Ecke der Sporthalle nur zu gerne von mir befummeln lassen würde. Ich kam mir so richtig Klasse vor. Entspannt lehnte ich mich in den Sessel zurück und schlug, exzentrisch, ein Bein über das andere. Dabei tat ich so, als wollte ich eine große Rede über meine irrsinnig wichtigen Zukunftspläne anstimmen; „Nun, wissen sie Mr. Jackson, oder darf ich sie Jacko nennen? Ich habe mir überlegt, womöglich in die Weltraumforschung/Medizin/Hochfinanz zu gehen. Was halten Sie davon? Heutzutage ist es doch wichtig, dass ein Mann von Welt etc., etc.“ da brach aus heiterem Himmel die Hölle aus. Das einzige, was ich bewusst wahrnahm, war ein chaotisches flattern und ein spitzes, ohrenbetäubendes Gekeife. Es stammte deutlich aus dem Kaminfeuer. Zudem war das Kaminbesteck umgefallen, welches aus dem üblichen Satz von Kehrschaufel, Handbesen und Feuereisen bestand.

Mr. Jackson stürzte ins Zimmer und sah mich alarmiert an. Prompt stieg ein kreischendes Feuerbällchen aus dem Kamin empor. Es schwebte orientierungslos an mir vorbei, knallte zuerst gegen die eine, dann gegen die andere Wand. Es versuchte sich am Lampenschirm festzukrallen, streifte den Weihnachtsbaumengel, landete kurz auf einem Wandregal und hob geifernd wieder ab. Irgendwann plumpste es mitten auf den Esstisch, um restlos von den winzigen, züngelnden Flammen verzehrt zu werden. Es erhob sich zwischendurch nur noch ganz kurz, piepste leise und sank schließlich in sich zusammen. Danach bewegte es sich nicht mehr und gab nur noch Rauchzeichen von sich. Während dies passierte, ging eine gute Minute ins Land aber weder ich noch Mr. Jackson unternahmen etwas. Wie zu Salzsäulen erstarrt, gafften wir gemeinsam perplex aus der Wäsche, beide mit weit geöffneten Augen und aufgeklappten Mündern.

Mr. Jackson sah mich anschließend fassungslos an. Er rang nach Worten.

Und was machte ich? Ich begann, peinlich gerührt, zu lachen. »Mr. Jackson, ich glaube, da ist ihnen ein Vogel, oder so was, in den Kaminschacht geflogen. Hab ich ja noch nie erlebt. Hahaha.«

Vor lauter Entsetzen schüttelte er nur mit dem Kopf hin und her.

Mrs. Jackson kam hektisch ins Zimmer gerannt. »Was ist denn passiert? Was war das eben für ein Höllenlärm?« Sie hatte eine Schürze um und Mehl an den Händen.

Mr. Jackson nickte in Richtung Esstisch.

»Was, was ist das?«, fragte sie ängstlich.

Ich kämpfte derzeit immer noch mit meinem Kichern.

Mrs. Jackson ging langsam auf den Tisch zu, als auch Debbie hinzukam. »Was ist denn hier los?«

Ich muss ehrlich sagen, sie sah zum anbeißen aus. Mit süßen Schleifen und allem drum und dran. Ich zählte kurz die Knöpfe an ihrer zarten, cremefarbenen aber durchaus gestrafften Bluse durch und ließ im Geiste die Stoppuhr mitlaufen.

Mr. Jackson nahm Debbie beschützend in den Arm. »Ich glaube, es könnte Onkel Ronnie sein, Schätzchen. Nicht hinschauen.«

»Onkel Ronnie? Haha. Was ist denn ein Onkel Ronnie? Hahaha«, fragte ich, immer noch recht vergnügt. Ich dachte, er würde einen Scherz machen, oder es war womöglich ein Kinderausdruck, den ich noch nicht kannte. Eventuell für ein Rotkehlchen? Nach dem Motto: „Ach guck, da fliegt ein Onkel Ronnie-Rotkehlchen.“

Die Mutter starrte gespenstig auf das qualmende Häufchen, und ohne mich anzusehen, antwortete sie in dem auffallend bitteren Ton, den ich aus meinen Angstphantasien wieder erkannte. »Ein Onkel Ronnie...ist...war unser Wellensittich.«

»Was?« schrie Debbie. »Was? Das kann doch nicht Onkel Ronnie sein?« Sie versuchte sich zu befreien, aber ihr Vater hielt sie zurück und drückte sie an sich. »Nein mein Schatz, nein mein Schatz, bleib hier bei mir. Sieh dir das nicht an.«

Debbie war völlig außer sich und flennte los, wie auf Kommando. »Das kann doch nicht sein? Doch nicht Onkel Ronnie?«

Mrs. Jackson nahm zögerlich eine geflochtene Kokostischmatte, die wahrscheinlich vom Abendessen noch auf dem Tisch lag und legte sie auf den kleinen verkohlten Kadaver. Dann klopfte sie noch zweimal kurz drauf, um so die letzte Glut zu löschen. Anschließend, nachdem sie sich versicherte, dass alles aus war, richtete sie ihren Blick auf mich. »Was ist hier vor sich gegangen?«

Meine Vergnügtheit war augenblicklich vorbei, als ich den kaninchenmordenden Ausdruck in ihren Augen entdeckte.

»Wie?« fragte ich unschuldig.

»Wir wollen wissen, was hier vor sich gegangen ist?« schwatzte Mr. Jackson ihr nach.

Alle drei starrten sie mich eisig an und warteten auf eine Erklärung. Ich war gerade im Begriff eine Antwort zu formulieren, da taumelte Debbies fünfjährige Schwester Tracy, von der ich bisher nur gehört hatte, verschlafen ins Wohnzimmer. »Warum schreit ihr so? Und warum weinst du so, Debbie?«

Debbie hob kurz ihr, mittlerweile vom Make-up leicht verschmiertes Gesicht von Papis Schulter. »Weil William Onkel Ronnie umgebracht hat. Deswegen weine ich so.« Sie heulte ungeniert weiter.

Mrs. Jackson rettete mich zum zweiten Mal an diesem Abend. »Red doch keinen Unsinn, Debbie. Es war bestimmt ein Unfall. Komm Schatz.« Sie nahm die Kleine auf den Arm und ging mit ihr nach oben. »Ab ins Bettchen. Wir reden morgen darüber.« Während sie die Treppen hochgingen, hörten wir, wie Tracy ihre Mutter weinerlich anflehte. »Aber ich will zu Onkel Ronnie, ich will zu Onkel Ronnie. Ist er jetzt im Himmel? Komme ich auch in den Himmel? Und wer ist William?«

Debbie und ihr Vater drehten sich wieder zu mir. Ich hob die Hände in Unschuld und begann nervös drauflos zu plappern. »Ich, ich, ich hab ihn nicht umgebracht, ehrlich nicht. Debbie? Das, das musst du mir glauben. Ich, ich wusste überhaupt nicht, dass ihr einen, einen Wellensittich habt. Debbie, du hast mir nie von einem Wellensittich erzählt. Ich hab gar keinen gesehen. Ich meine, wo, wo, wo war er? Ich sah ihn nicht. Ehrlich nicht. Bitte. Debbie? Mr. Jackson?«

Mr. Jackson atmete langsam durch. »Er saß da.« Melodramatisch zeigte er mit dem Finger auf den Kamin. »Im Winter sitzt er immer mit ausgestreckten Flügeln auf dem Kaminbesteck um sich zu wärmen. Das ist nämlich sein Lieblingsplatz.«

In einer Blitzrekonstruktion ging ich meine Bewegungen nochmal durch; Hingesetzt, Bier, Glas, Rede angestimmt, Bein übergeschwungen, Kaminbesteck fiel um, Chaos. Jetzt dämmerte es mir. Ich muss das Besteck, beziehungsweise den Vogel mit dem Fuß erwischt haben. Somit hatte ich ihn direkt ins Feuer gekickt. Der Rest ist bekannt.

Trotz meines Wissens, tat ich weiter so, als hätte ich mit dem Vorfall nichts zu schaffen. Was hätte ich denn tun sollen? Ich dachte sie würden mich lynchen, wenn ich sie mit der Wahrheit konfrontiere; „Hey, es tut mir echt leid, dass ich euren Vogel ins Feuer getreten habe. Kann ja mal passieren. Keine Sorge, ich kaufe euch morgen einen neuen.“

Nein, ich glaube nicht.

Ich erklärte vorsichtig, das Kaminbesteck sei vermutlich umgefallen, als der Vogel los flog. Dabei fiel mir auf, das Besteck lag im Feuer und nicht andersrum wie es demzufolge hätte sein sollen. Das bemerkte aber keiner in der Aufregung. Gott sei Dank. Ich führte, und vermutlich auch nur für mich, plausibel aus, dass er möglicherweise erschrak, weil er mich für einen Fremden hielt, es plötzlich mit der Angst bekam und abhob. Könnte ja möglich sein. Ich suchte verzweifelt nach einem glaubhaften Argument. Kurzfristig kam es mir in den Sinn eine bizarre Selbstmordthese aufzustellen. Ich ließ aber davon ab, nachdem sie mir abwechselnd berichteten, was dieser Vogel so alles an Kunstfertigkeiten auf Lager hatte.

Sie hatten ihn vor einigen Jahren von Mr. Jacksons verstorbenem Onkel Ronnie übernommen, einem alten Seemann. Daher sein Name, weil Onkel Ronnie ihn zeitlebens immer nur „blöder Vogel“ nannte. Das wollten sie auf keinen Fall weiterführen. Wenn also Onkel Ronnie, zum Beispiel sauer war gab er »Leck mich am Arsch, du Penner«, oder »Verpiss dich, du Blödmann«, und andere Unflätigkeiten von sich. Er trank für sein Leben gerne Guinness, und wenn er reichlich intus hatte, begann er unanständige Lieder zu singen, sogar auf Spanisch. Er konnte auf Befehl Kopfstand machen und hatte regelmäßigen Sex mit einem roten Legostein, den sie mir hinterher zeigten, als sei er ein heiliges Relikt. Sie vermuteten, der Geist von Onkel Ronnie wäre bei seinem Tod in den Vogel übergegangen. Um die Sache auf den Punkt zu bringen; Onkel Ronnie war einmalig und ein vollwertiges Mitglied der Familie, und ausgerechnet ich war, wahrscheinlich seit Geburt an, zu seinem Sensenmann auserkoren. Wir waren, sozusagen, karmisch verflochten.

Mrs. Jackson, Gott hab sie selig, tat ihr bestes die Angelegenheit zu entschärfen, als sie erkannte, wie sehr mir die Sache zu schaffen machte. »Es musste ja irgendwann so kommen, wenn der blöde Vogel immer nur vor dem offenen Feuer hockt! Ich habe es kommen sehen. Wie oft habe ich euch gewarnt? Wie oft? Häh?«

Debbie und ihr Vater nickten beide synchron-schuldig.

Nett war sie, Mrs. Jackson. Wirklich nett.

Tja, was gäbe es noch zu berichten? Ach ja, die Weihnachtsschulfete war natürlich ein Desaster. Debbie heulte immer wieder los, bei jedem traurigen Lied, was sie irgendwie alle waren an diesem Abend. Insbesondere grausam, als der ahnungslose DJ, für alle Liebenden, einen Song aus den Sechzigern ankündigte (ja, quatschende DJ’s gab’s damals noch), gesungen von wem wohl? Ja richtig, „Ronnie and the Ronettes.“ Völlig flippte sie aber aus, als er den Titel fröhlich hinausposaunte: „Baby, I’m on fire.“ Daraufhin musste sie von ihren Freundinnen intensiv getröstet werden, während ich hilflos daneben stand, künstlich einen auf beschämt machte und leise den DJ als Arschloch beschimpfte. Und obwohl ich später dennoch einen etwas, zugegeben, düsteren Versuch wagte, war Fummeln an diesem Abend keine Option mehr. Ich überlegte ernsthaft, ob es insgesamt nicht doch besser gewesen wäre, die Katze hätte in mein Bett geschissen. Gut, im Nachhinein...

Zwei Tage später machte Debbie Jackson hinter der Sporthalle mit mir Schluss und wechselte nie wieder ein Wort mit mir. Man stelle sich vor, kein einziges.

Hahnraub

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