Читать книгу Perry Rhodan 235: Die Kaste der Weißrüssel - William Voltz - Страница 7

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Der Angeber hieß Kendall Baynes und gehörte als Fähnrich zur technischen Abteilung im F-Deck der CREST II. Die Mannschaft nannte ihn jedoch Lord Baynes, weil der behauptete, in direkter Linie von einem alten Adelsgeschlecht abzustammen. Lord Baynes trug ständig eine Mundharmonika bei sich, auf der er immer dann, wenn er in melancholischer Stimmung war, die drei gleichen Stücke spielte: Summertime, Rhapsodie in Blue und Blue Heaven.

Der Angeber war groß und schlank und 22 Jahre alt. Auch wenn er ausnahmsweise einen Helm trug, hing eine Strähne blonden Haares in seiner Stirn. Lord Baynes besaß blaue Augen, eine glatte, blasse Gesichtshaut und verächtlich herabgezogene Mundwinkel.

Zusammen mit zweitausend anderen Männern stand Kendall Baynes in einer riesigen Halle und wartete darauf, dass der Marsch in die Gefangenschaft begann.

Unmittelbar neben Baynes stand Sergeant Kapitanski und brütete mit verschlossenem Gesicht vor sich hin. Baynes sagte sich im stillen, dass Kapitanski der schlechteste Partner war, den er sich bei dieser Sache wünschen konnte.

Er blickte zur Seite und sah die Postenkette der Twonoser, die die Männer der CREST auf engstem Raum zusammengetrieben hatten.

Wie eine Herde Schafe, dachte Lord Baynes erbittert.

Er knöpfte die Tasche seiner Uniformbluse auf und zog die Mundharmonika hervor. Das Instrument sah abgegriffen aus. Kapitanski hob den Kopf und starrte Baynes missbilligend an.

»Was hast du vor?«, fragte er misstrauisch.

»Ich steh' mir hier die Füße in den Bauch«, klagte Baynes. »Auch als Gefangener hat man schließlich gewisse Rechte.«

Sergeant Kapitanski warf einen wehmütigen Blick zur CREST II hinüber. Er bezweifelte, dass ihre Rechte besonders groß waren. An seiner Seite erklangen die ersten Töne von Summertime.

Sofort bahnten sich zwei Twonoser einen Weg durch die Männer und blieben vor Baynes stehen. Ihre kleinen, aber wirksamen Waffen, die sie in ihren verkrümmten Händchen hielten, zeigten auf Baynes' Brust.

Kapitanski beobachtete, wie eines der Rüsselwesen das Übersetzungsgerät einschaltete. Jeder Twonoser, der mit ihnen sprach, trug ein solches Gerät.

»Alle Waffen müssen abgegeben werden«, sagte der Twonoser.

Lord Baynes hörte zu spielen auf und klopfte das Instrument gegen seine Handfläche.

»Dies ist keine Waffe«, erklärte er.

Der Twonoser winkte überheblich mit einem Rüssel. Baynes blieb nichts anderes übrig, als ihm die Mundharmonika zu übergeben. Der Twonoser untersuchte sie kurz und gab sie an Baynes zurück.

»Dieses Gequäke hat zu unterbleiben«, ordnete er an.

»Gequäke?«, fauchte Lord Baynes ungläubig. »Hast du das gehört. Sarge?«

»Schließlich hat er gar nicht so unrecht«, meinte Kapitanski mürrisch. »Allmählich geht einem deine Spielerei auf die Nerven.«

Baynes zupfte hastig am Reißverschluss seiner Uniformbluse, als die beiden Wächter davongingen. Kapitanski sah zu, wie der Fähnrich einen langen Strick, herauszog, den er um seinen Körper gewickelt hatte. Der Sergeant war ein Mann, der nicht besonders schnell denken konnte, aber er ahnte, dass es zu Schwierigkeiten kommen würde.

»Was hast du vor?«, erkundigte er sich.

»Vielleicht will er sich aus Kummer aufhängen«, warf einer der umstehenden Männer ein.

»Sie haben uns alle Waffen abgenommen«, erläuterte Baynes. »An das Lasso dachten sie jedoch nicht. Ich erklärte ihnen, dass es zu meiner Bekleidung gehört.«

»Du wirst doch nicht mit diesem Strick gegen die Rotrüssel vorgehen?«, erkundigte sich Kapitanski erschrocken.

Lord Baynes bekam rote Flecken im Gesicht. »Keiner hat den Mut, etwas gegen diese arroganten Kerle zu unternehmen«, knurrte er. »Wir wissen noch nicht einmal, wohin sie uns bringen.«

Baynes erhielt von einigen Männern in seiner Umgebung lebhaften Beifall.

»Der Lord hat recht!«, rief jemand. »Will Perry Rhodan untätig zusehen, wie wir ununterbrochen von diesen eingebildeten Burschen terrorisiert werden?«

»Regt euch nicht auf!«, empfahl ihnen Sergeant Kapitanski. »So, wie die Machtverhältnisse im Augenblick verteilt sind, haben wir nicht die geringste Aussicht, hier zu fliehen. Schließlich hat Rhodan einen Versuch unternommen, mit einem Oldtimer zu entkommen. Die Twonoser werden uns keine zweite Chance geben.«

»Du wirst alt, Kap!«, stieß Lord Baynes hervor.

Er legte den Strick in gleichmäßige Schlaufen zusammen.

»Du bist noch nicht lange bei uns«, sagte Kapitanski geduldig. »Du wirst einsehen müssen, dass unüberlegte Handlungen nichts einbringen.«

Baynes pochte zornig gegen seine Stirn. »Hier arbeitet ein verdammt scharfer Verstand. Und dieser Verstand sagt mir, dass wir etwas riskieren müssen, um herauszufinden, wie die Rotrüssel gegen Angriffe aus unseren Reihen reagieren.«

»Also gut, finde es heraus!«, schnaubte Kapitanski.

Lord Baynes lächelte überlegen und schob sich mit dem Strick zwischen den Männern hindurch. Am Ende der Gruppe blieb er stehen.

»Macht mir etwas Platz«, sagte er.

Bereitwillig wichen die Männer zur Seite. Die meisten warteten nur auf eine Gelegenheit, gegen die Twonoser vorgehen zu können.

Lord Kendall Baynes, ein zweiundzwanzigjähriger Fähnrich aus dem F-Deck der CREST II, wirbelte den Strick viermal über seinem Kopf und ließ ihn dann davonschnellen, ohne das Ende loszulassen.

Die Lassoschlinge rutschte genau über den Oberkörper eines verblüfften Wächters.

»Prächtig!«, rief Baynes und zerrte heftig am Strickende. Der Twonoser taumelte ein paar Schritte vorwärts, bis einer seiner Kameraden das Lasso durchgeschnitten und ihn befreit hatte.

Baynes wartete mit undurchdringlicher Miene auf die drei Wächter, die sich ihm näherten. Der Anführer der Rotrüssel tastete Baynes nach weiteren Waffen ab.

»Solche Zwischenfälle dulden wir nicht«, sagte er. »Sie kommen mit zu Ihrem Anführer. Wenn wieder so etwas passiert, lassen wir zehn Gefangene erschießen.«

Die Wächter nahmen Baynes in ihre Mitte und führten ihn ab. Sie brachten ihn zu Perry Rhodan, der zusammen mit Atlan, Icho Tolot und John Marshall etwas abseits von den übrigen Gefangenen stand.

Baynes erhielt einen Stoß, der ihn vorwärtstaumeln ließ. Es gelang ihm unmittelbar vor Rhodan wieder Halt zu finden. Rhodan musterte ihn abschätzend.

»Nun, Fähnrich Baynes?«, sagte Rhodan ruhig. »Haben Sie nicht noch weitere Varietéstücke in Ihrem Programm, die Sie uns vorführen können?«

»Es tut mir leid, Sir«, sagte Baynes und gab sich Mühe, seiner Stimme einen festen Klang zu verleihen. »Ich wollte nur herausfinden, wie die Twonoser auf einen Angriff reagieren.«

»Er muss bestraft werden«, ordnete einer der Rotrüssel an. »Sorgen Sie dafür, dass es eine angemessene Strafe wird.«

»Natürlich«, versicherte Rhodan.

»Sir!«, stieß Baynes hervor. »Sie wollen mich bestrafen, weil eine dieser aufgeblasenen Kreaturen es verlangt?«

»Solange ich zurückdenken kann, werde ich damit aufgehalten, Hitzköpfe wie Sie zur Vernunft zu bringen«, sagte Rhodan gemächlich. »Ich habe noch nie persönlich mit Ihnen gesprochen, Fähnrich Baynes, aber ich kann Ihnen versichern, dass Ihr Ruf weit über das F-Deck hinausgeht.«

»Mein Ruf als Mundharmonikaspieler oder als Fähnrich?«, fragte Lord Baynes und zwang ein Lächeln auf sein Gesicht.

»Ihr Ruf als Angeber«, erwiderte Rhodan scharf.

Baynes ließ die Schultern hängen und sah unglücklich aus. Plötzlich brach Icho Tolot der Haluter, in dröhnendes Gelächter aus.

»Immerhin brachte unser junger Freund etwas Abwechslung in die ganze Sache«, sagte er befriedigt.

»Unser Bedarf an Abwechslung ist weitgehend gedeckt«, bemerkte Atlan ironisch. »Sie haben uns in diesen Moby hineinmanövriert, Tolot. Im Gegensatz zu Ihnen finden wir es nicht im geringsten amüsant, in einem toten Monstrum gefangen zu sein, das dreißigtausend Kilometer durchmisst und etwa zehntausend Kilometer hoch ist.«

Tolot lachte noch lauter. »Mir gefällt es«, erklärte er kategorisch.

Verständnislos hörte Kendall Baynes zu. Hätten Atlan und Tolot sich in einer fremden Sprache unterhalten, hätte er ebensowenig verstanden.

»Der Abmarsch beginnt bald«, meldete sich einer der Rotrüssel zu Wort. »Sie müssen bereit sein.«

Baynes beobachtete erleichtert, dass sich die drei Wächter zurückzogen.

»Vorläufig bleiben Sie in meiner Nähe«, ordnete Rhodan an. »Ich möchte nicht, dass Sie einen weiteren Zwischenfall heraufbeschwören.«

Baynes nickte. Er hoffte, dass Kapitanski ihn sehen konnte. Für den jungen Fähnrich erschien es immer noch unglaubhaft, dass sie sich im Innern eines gewaltigen Wesens befanden. Kapitanski hatte ihm zu erklären versucht, dass die Halle, in der sie sich aufhielten, ein Speichermagen des Ungeheuers war.

Die CREST II wurde von den Twonosern sorgfältig bewacht. Da alle Maschinen abgeschaltet waren, konnten auch Rakal und Tronar Woolver, die Mutantenzwillinge, nicht mehr in das Schiff zurückkehren.

Baynes hatte erfahren, dass der Telepath John Marshall durch Gedankenüberwachung einiger Rotrüssel herausgefunden hatte, dass der Laderstrahl, mit dem die Twonoser die CREST II unschädlich gemacht hatten, höchstens zehntausend Kilometer in den Raum hinausreichte. Mit etwas Vorsicht hätte sich also die Gefangennahme vermeiden lassen. Der größte Teil der zweitausend Mann starken Besatzung war nicht gut auf den Haluter Icho Tolot zu sprechen, der den Vorschlag gemacht hatte, den Moby zu besetzen.

Atlan ging in seiner Kritik so weit, den Moby »Moby-Tolot« zu nennen. Dem Haluter, das hatte Baynes gerade erfahren, schien dieser Spott jedoch nichts auszumachen. Wahrscheinlich war er das einzige Wesen unter den Gefangenen, dem die derzeitige Situation Freude machte.

Die Terraner wussten inzwischen, dass sich die Twonoser in drei Kasten unterteilten. Die A-Kaste, die Parias, lebten in der Bauchetage des Mobys. Ihre Rüssel waren ungefärbt und zeigten die normale weiße Farbe. In der Mitteletage des Mobys hielten sich die Blaurüssel auf, Angehörige der B-Kaste. Fast alle Soldaten rekrutierten sich aus Mitgliedern der B-Kaste. Die vornehmste Kaste, die C-Gruppe, hatte sich in der Rückenetage des toten Mobys niedergelassen. Das Kennzeichen dieser Twonoser waren die rotgefärbten Rüssel.

Den Wissenschaftlern unter den Terranern war es noch nicht klar, wie es zu dieser Kasteneinteilung kommen konnte, aber sie vermuteten, dass die räumliche Aufteilung des Mobys auch für die Planeten galt, auf denen die Twonoser lebten. Wahrscheinlich war es so, dass die A-Kaste auf Welten mit schlechten Lebensbedingungen um ihren Fortbestand kämpfen musste, während die besseren Planeten der B-Kaste vorbehalten blieben. Auf den Paradieswelten hatten sich die Rotrüssel angesiedelt.

Das war so ziemlich alles, was die Terraner bisher herausgefunden hatten. Die Rotrüssel waren viel zu eingebildet, um sich mit den »minderwertigen« Eindringlingen in längere Gespräche einzulassen. So waren Perry Rhodan und Atlan weitgehend auf die Informationen der Mutanten angewiesen.

Lord Baynes' Gedanken wurden unterbrochen, als John Marshall zu Rhodan trat und ihm etwas zuflüsterte. Rhodan nickte.

»Offensichtlich ist geplant, uns in die Bauchetage zu bringen«, sagte Rhodan, an die anderen Männer gewandt. »Dort glaubt man uns am besten unterbringen zu können.«

»Dort unten lebt die A-Kaste«, erinnerte Atlan. Er warf Tolot einen bösen Blick zu. »Vielleicht vergeht Ihnen dort Ihr Humor, Tolot.«

»Keineswegs«, versicherte der Haluter. »Ich bin sogar sehr gespannt darauf, einmal mit anderen Twonosern zusammenzukommen.«

»Denken Sie daran, dass wir, wenn man uns von hier wegbringt, kaum noch eine Chance haben, zur CREST zurückzukehren. Das Schiff stellt, jedoch unsere einzige Fluchtmöglichkeit dar.« Marshall hatte mit ernster Stimme gesprochen.

»Es besteht keine Lebensgefahr für uns«, besänftigte ihn Tolot. »Wenn es kritisch wird, lassen wir uns etwas einfallen.«

Lord Baynes fühlte sich ermutigt zu fragen: »Wie will man uns in die Bauchetage transportieren?«

»Das konnte ich noch nicht herausfinden«, antwortete Marshall bereitwillig. »Aber bestimmt werden wir die Strecke nicht zu Fuß zurücklegen.«

Baynes wunderte sich, mit welcher Selbstverständlichkeit diese Männer ihn in ihre Unterhaltung einbezogen. Nachdenklich blickte er zur Decke hinauf, wo ein blendfreier Leuchtkörper installiert war, der in dieser Halle die Aufgabe einer Sonne übernahm. Die Twonoser hatten alle technischen Probleme, die das Leben innerhalb des Mobys aufwarf, perfekt gelöst. Die künstliche Luft war atembar. Die Schwerkraft des Mobys lag nur knapp über dem Normalwert von einem Gravo. In der Halle betrug die konstante Wärme 25 Grad Celsius. Baynes bezweifelte nicht, dass diese Werte auch für andere Stellen innerhalb des Mobys zutrafen.

Etwa eine Stunde nach dem von Baynes hervorgerufenen Zwischenfall verstrich, ehe wieder drei Rotrüssel zu Rhodan kamen.

»Es wurde alles für euren Transport vorbereitet«, erklärte der Sprecher dem Terraner. »Sorgen Sie dafür, dass ihre Männer sich ruhig verhallen.«

Baynes stellte fest, dass die Twonoser weder feindselig noch heimtückisch wirkten. Sie schienen sich lediglich grenzenlos überlegen zu fühlen.

»Wohin bringt man uns?«, wollte Rhodan wissen.

»Keine Fragen«, erwiderte der Rotrüssel. »Sprechen Sie noch einmal zu Ihrer Mannschaft.«

Rhodan winkte Tolot zu sich. »Heben Sie mich auf Ihren Rücken, Tolot, damit mich jeder sehen kann.«

Mühelos setzte der Haluter Rhodan auf seine rechte Schulter.

Rhodan hob den Arm. Die zweitausend Terraner verstummten und blickten erwartungsvoll zu ihm herüber.

»Es ist sicher nicht nötig, dass ich noch einmal auf unsere derzeitige Lage eingehe«, sagte er. »Die Twonoser haben nicht die Absicht, uns zu töten, aber es ist klar, dass sie uns nicht in dieser Halle lassen werden, wo wir uns in unmittelbarer Nähe des Schiffes befinden. Wir werden uns widerstandslos abführen lassen. Sobald wir an unserem Ziel angelangt sind, können wir uns mit eigenen Plänen beschäftigen.«

Rhodan hoffte, dass dies unverfänglich geklungen hatte. Zweifellos wurde seine Rede von den Geräten der Twonoser übersetzt. Es wäre gefährlich gewesen, in aller Offenheit von Flucht zu sprechen.

Weitere Rotrüssel tauchten in der Halle auf. Die zweitausend Gefangenen wurden gezwungen, sich in Marschordnung aufzustellen Rhodan, Tolot, Atlan, Marshall und Kendall Baynes bildeten die Spitze des Gefangenenzuges.

Vor ihnen gingen zwanzig bewaffnete Rotrüssel. Ein kurzer Blick überzeugte Baynes, dass zu beiden Seiten der Kolonne je über hundert Wächter gingen. Er vermutete dass einige Rotrüssel auch den Abschluss bildeten. Es waren alle Vorsichtsmaßnahmen getroffen worden, um einen Ausbruch zu verhindern.

Die Halle verjüngte sich in eine überdimensionale Torbogenöffnung. Die Rotrüssel trieben ihre Gefangenen darauf zu. Baynes versuchte sich vorzustellen, dass dieser Durchgang, der vermutlich in eine weitere Halle führte, eine Venenöffnung des toten Mobys darstellte. Natürlich hatten die Venen und Adern innerhalb des Gigantenkörpers nicht zum Transport einer blutähnlichen Flüssigkeit gedient, sondern zum Einengen des Energieaustausches. Zu Lebzeiten des Mobys hatten diese Adern ein System energetischer Mantelrohren gebildet, in denen die Stromflüsse gebündelt, gleichgerichtet und gleichmäßig abgestrahlt worden waren.

Baynes seufzte. Er beschloss, sich nicht länger mit diesen Problemen zu beschäftigen. Er musste einfach mit den Gegebenheiten fertig werden.

Als sie noch hundert Meter vom Torbogen entfernt waren, glitt das Tor auf und gab den Blick in eine weitere Halle frei. Wie Baynes erwartet hatte, wurde auch sie von einer künstlichen Sonne erhellt. Vor ihnen marschierten die Wächter durch das Tor. Die Verschlusswand war offenbar nachträglich von den Twonosern eingebaut worden.

Der Boden, über den Baynes lief, erinnerte ihn an ein Mosaik. Er schien aus unzähligen farbigen Sternchen zu bestehen, obwohl er doch ein Ganzes war. Heimlich versuchte Baynes, mit dem Absatz eines Stiefels ein Loch herauszuschlagen, aber das Material erwies sich als zu hart.

Sie gelangten in die anschließende Halle, die jener, aus der sie kamen, in allen Einzelheiten glich. Vergeblich bemühte sich Baynes, irgendwelche Merkmale zu entdecken, die ihm Hinweise auf die Verwendung des ausgedehnten Raumes geben konnten.

Rhodan traf eine ähnliche Feststellung: »Es scheint festzustehen, dass ein großer Teil des Moby-Innern von den Twonosern überhaupt nicht benutzt wird«, sagte er. »Natürlich kann das in der Mittel- oder Bauchetage wieder völlig anders sein. Von den vornehmen Rotrüsseln wird jeder einzelne ein größeres Wohngebiet beanspruchen.«

Nach zehn Minuten hatten sie auch diese Halle durchquert und betraten einen weiteren Hohlraum, der in seiner Ausdehnung die beiden anderen Hallen noch übertraf.

Vor den Augen der Männer lag eine kleine Stadt. Baynes zählte etwa fünfzig Gebäude, die ungefähr im Mittelpunkt der Halle standen. Die künstliche Sonne ließ die Metalldächer glänzen. Die Häuser hatten ovale Form, sie erinnerten Baynes an ein aufrecht stehendes Ei, dessen untere Spitze eingedrückt war. Es gab keine Fenster, aber vorgewölbte Luken und unzählige warzenähnliche Ausbuchtungen. Von Dach zu Dach spannte sich ein Netzwerk von Drähten.

Mit Leuchtsäulen markierte Straßen führten von der Stadt in allen Richtungen davon. Auf einer der Straßen glitt ein scheibenförmiges Fahrzeug dahin, das von drei Rotrüsseln besetzt war.

Baynes' scharfe Augen erkannten mehrere Leitungen, die vom Dach der Halle mitten in die Stadt führten. Anscheinend war das die Energieversorgung. Die Twonoser mussten schon seit Jahrhunderten innerhalb des Mobys leben. Nur so war die perfekte Einrichtung zu erklären.

»Dort leben sie«, sagte Rhodan ruhig. »Wahrscheinlich gibt es noch mehr solcher Städte.«

Als sie weitergingen, konnte Baynes zu seiner Überraschung hinter der Stadt einen kunstvoll angelegten Park erkennen. Die Rotrüssel schienen durchaus einen Sinn für natürliche Schönheit zu besitzen. Wahrscheinlich hätte man mit den Twonosern gut auskommen können, wären sie nicht solche eingebildeten Burschen gewesen.

Wir werden es ihnen schon zeigen, dachte Kendall Baynes zuversichtlich.

Die Kolonne bog in eine Straße ein und marschierte in einem Abstand von dreihundert Metern an der Stadt der Rotrüssel vorbei. Niemand schien den Gefangenen große Bedeutung beizumessen, denn am Stadtrand zeigten sich nur vereinzelte Zuschauer.

Der Anführer der vorausgehenden Wachgruppe kam zu Rhodan.

»Wir bringen Sie nun zum Bahnhof«, hörte Baynes ihn sagen. »Dort werden Ihre Männer in einen Interkastenzug einsteigen, der sie an ihren Bestimmungsort bringen wird.«

Rhodan nickte schweigend. Was, fragte sich Baynes verwirrt, war ein »Interkastenzug«? Hoffentlich verbarg sich hinter diesem Begriff keine unliebsame Überraschung.

Ohne Aufenthalt marschierte die Kolonne bis zum Ende der Straße. Neben der Straße führte eine Senke zum Ende der Halle. Inmitten der Senke sah Baynes eine Art Schiene aus blankgescheuertem Metall.

»Glauben Sie, dass der Interkastenzug dort unten vorbeifährt, Sir?«, wandte sich Baynes an Rhodan.

»Ja«, sagte Rhodan. »Dort vorn scheint der Bahnhof zu sein.«

Rhodans ausgestreckter Arm wies auf einen runden, von Leuchtsäulen umgebenen Platz, von dem aus eine kurze Straße zur Senke führte. Baynes wäre nie darauf gekommen, diese Stelle als Bahnhof zu bezeichnen, aber jetzt, da Rhodan seine Vermutung ausgesprochen hatte, zweifelt Baynes nicht daran, dass sie die Bahnstation erreicht hatten. Verstärkt wurde diese Vermutung durch die Anwesenheit einiger Rüsselträger auf dem freien Platz, die offensichtlich auf den Zug warteten.

Baynes hatte mit irgendeinem utopisch wirkenden Transportmittel gerechnet. Die Tatsache, dass man sie in einem gewöhnlichen Zug von hier wegbringen wollte, verwirrte ihn.

Die Wächter ließen die Gefangenen auf dem runden Platz Aufstellung nehmen. Die wartenden Twonoser zogen sich zurück, als seien sie empört über die Zumutung, in der Nähe der Terraner bleiben zu müssen.

Keiner der Wächter sprach, aber auch Rhodan machte keine Anstalten, sie in ein Gespräch zu verwickeln. Ab und zu unterhielt sich der Großadministrator mit John Marshall, doch Baynes konnte nicht hören, worüber die beiden Männer sprachen. Lord Kendall Baynes fühlte sich von Rhodan und seinen Begleitern immer mehr enttäuscht. Er hatte zumindest erwartet, von großangelegten Fluchtplänen zu erfahren. Scheinbar teilnahmslos nahmen Rhodan, Atlan und Marshall die Geschehnisse hin. Und Icho Tolot, dieses unheimliche Wesen, empfand offenbar noch Freude an den Ereignissen.

Baynes begann, sich über das Verhalten dieser Männer ernsthafte Gedanken zu machen. Vielleicht, überlegte er, waren sie von den Twonosern mit irgendeinem Gas behandelt worden, das ihre Willenskraft lähmte. In diesem Fall wäre es seine, Kendall Baynes' Aufgabe, sich intensiv um die Befreiung der Besatzung des Flaggschiffes zu bemühen.

Als Baynes darüber nachdachte, welche Schritte er zuerst unternehmen sollte, kam der Zug.

Er schoss auf der anderen Seite der Halle aus einer Röhre herein, eine lange Raupe aus mattglänzendem Stahl, scheinbar mühelos auf der einzigen Schiene dahingleitend. Als der Zug seine Geschwindigkeit verlangsamte, konnte Baynes erkennen, dass es einzelne Wagen gab, die gelenkartig aneinandergekoppelt waren. Etwa einen Meter über dem Boden waren lange Fenster eingebaut, hinter denen Baynes einzelne Gestalten sah. Die Wageneingänge waren halbrunde Löcher ohne Türen.

Die Wächter formierten sich und riefen den Gefangenen Befehle zu. Lautlos kam der Zug zum Stehen.

Einer der Rotrüssel näherte sich Rhodan.

»Ihre Männer werden in den drei letzten Wagen untergebracht. Sie und Ihre vier Begleiter kommen mit uns in den viertletzten Wagen.«

Die Wächter mussten die Terraner mit vorgehaltenen Waffen in die Wagen treiben. Es kam wiederholt zu Zwischenfällen, weil sich einige Männer weigerten, den Befehlen der Rotrüssel nachzukommen.

Rhodans Gruppe musste warten, bis alle anderen im Zug untergebracht waren. Schließlich forderten drei schwerbewaffnete Wächter auch die letzten Gefangenen auf, in den Zug zu gehen.

Kendall Baynes kletterte hinter Tolot in den Wagen. Der Haluter passte gerade noch durch den Eingang. Ein Geruch wie nach brackigem Wasser schlug Baynes entgegen. Der Wagen war in einzelne Abteile unterteilt. In jedem Abteil waren nur auf einer Seite flache Sitze aufgestellt, so dass die Passagiere immer in Fahrtrichtung sitzen konnten. Innerhalb des Abteils, in das sie gebracht wurden, saßen bereits zwei Rotrüssel.

Als Rhodan und Atlan eintraten, wandten sich beide demonstrativ ab und starrten aus dem Fenster. Rhodan und der Arkonide nahmen direkt hinter der Tür Platz. Für Tolot waren die Sessel zu klein. Er musste stehenbleiben. Marshall ließ sich neben Rhodan nieder.

Innerlich kochte Baynes vor Zorn über das Verhalten der beiden Rotrüssel. Ohne zu zögern, nahm er neben ihnen Platz.

»Glauben Sie nicht, dass es besser ist, wenn Sie zu uns herüberkommen?«, fragte Rhodan mit einem Seitenblick auf zwei bewaffnete Wächter vor dem Abteileingang.

»Mir gefällt es hier, Sir«, entgegnete Baynes störrisch. »Wenn die Wächter etwas dagegen haben, sollen sie es mir sagen.«

Er errötete, weil er Rhodan so scharf widersprochen hatte, blieb aber trotzdem auf seinem Platz sitzen. Wenn er sich in seinem Sessel etwas anhob, konnte er auf den Bahnhof hinausblicken. Er fragte sich, was in den letzten drei Wagen vorging.

Noch stand der Zug. Lord Baynes zog seine Mundharmonika hervor und begann Blue Heaven zu spielen. Er spürte, wie die beiden Rotrüssel noch weiter von ihm abrücken wollten. Die Wächter starrten herein. Wenn ihnen Baynes' Musik missfiel, zeigten sie es nicht.

Mit einem kaum merklichen Ruck fuhr der Zug an. Baynes verschluckte sich, setzte einen Augenblick aus und starrte aus dem Fenster. Er fragte sich, was sie am Ziel erwartete. Er wünschte sich, Kapitanski wäre bei ihm gewesen, damit er sich mit ihm über die Qualität seiner Musik hätte streiten können.

Wahrscheinlich bin ich der einzige Terraner im ganzen Zug, der die Nerven behält, wenn es brenzlig wird, dachte Lord Baynes selbstgefällig.

Sekunden später klangen die ersten Töne von Summertime – sehr laut und sehr schlecht gespielt – durch das Abteil.

Der Zug wurde immer schneller.

Perry Rhodan 235: Die Kaste der Weißrüssel

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