Читать книгу Kommt der Corona-Crash? - Willibald Katzenschlager - Страница 6
ОглавлениеEinfach war es auch vorher nicht
Die Corona-Krise traf die Wirtschaft in einer schwierigen Phase. Auch ohne das Virus waren die Aussichten durchwachsen. Warum?
Wir denken kaum noch daran, aber die Wirtschaftsprognosen waren schon vor der Corona-Krise nicht gerade optimistisch. Schon damals hieß es: lieber vorsichtig sein, lieber aufmerksam bleiben, lieber etwas zur Seite legen, denn wer weiß, was kommt.
In Wirtschaftsmedien war von einer drohenden Eintrübung die Rede, vom brummenden Motor der Wirtschaft, der bald ins Stottern geraten könnte. Das bezog sich sowohl auf die Finanzwirtschaft, als auch auf die Realwirtschaft, also auf das Wachstum, die Auftragslage der Unternehmen, den Konsum und den Arbeitsmarkt.
Analysten, Finanzminister, Banker, Investoren, Unternehmer, Manager und viele Menschen, die als Angestellte Teil der Wirtschaft sind und sie mitgestalten, erlebten bereits Anfang des Corona-Jahres 2020 die Wirtschaft als angeschlagen und stellten sich auf schlechtere Zeiten ein. Sie empfanden ihren Höhenflug nach der Finanzkrise der Jahre 2008 und 2009 sowie der darauffolgenden Staatsschuldenkrise als zerbrechlich.
Einige stellten bereits Fragen wie: Wann kommt die nächste Krise? Wie wird sie ausfallen? Noch schlimmer als die von 2008 und 2009? Platzt eine Blase? Kommt ein Crash? Diese Sorgen entstanden nicht bloß aus dem Bauchgefühl einer von der Finanzkrise noch traumatisierten Gesellschaft, sie hatten ein paar handfeste Gründe.
Kriegsgebiet Welthandel
Einer dieser Gründe war das Auseinanderbrechen internationaler Handelsgepflogenheiten, das sich besonders in der ruppigen China-Politik des vormaligen US-Präsidenten Donald Trump zeigte. Trump sorgte dafür, dass der Handelsstreit zwischen China und den USA, der bis dahin nur geschwelt hatte, akut wurde.
Bei dieser wirtschaftspolitischen Auseinandersetzung ging es um die Einführung neuer und die Erhöhung bestehender Importzölle. Amerika wollte so die Einfuhr etwa von Stahl und Aluminium aus China erschweren, und China die Einfuhr etwa von Sojabohnen, Autos und Flugzeugen aus Amerika.
Hintergrund waren das Handelsbilanzdefizit der USA (China lieferte zu diesem Zeitpunkt etwa drei Mal so viel Waren in die USA wie umgekehrt die USA nach China), der von Amerika beklagte Diebstahl geistigen Eigentums durch China und erzwungene Technologietransfers Chinas. (Ausländische Unternehmen, die am chinesischen Markt tätig sein wollten, mussten chinesischen Unternehmen oft Eigentums- und Nutzungsrechte für ihre Technologie überlassen.)
Der Streit beschränkte sich bald nicht mehr nur auf die beiden Großmächte. Denn zum einen mussten sich andere Staaten und Staatengemeinschaften wie Europa entscheiden, auf welcher Seite sie standen. Es ging um Loyalitäten, gleichzeitig reichte Trumps protektionistische »America first«-Politik auch über seine China-Strategie hinaus. Auch zwischen den USA und Europa kamen in Fragen des Außenhandels Streitpunkte und damit Sonderzölle und der Abbruch der Verhandlungen über das transatlantische Freihandelsabkommen TTIP (Transatlantic Trade and Investment Partnership) auf den Tisch.
Schon damals war klar: Selbst wenn Donald Trump die Präsidentschaftswahl 2020 verlieren würde, was inzwischen bekanntlich geschehen ist, würden die transatlantischen Wirtschaftsgeflechte nicht mehr in ihrer alten Form auferstehen. Denn Trumps Außenhandelspolitik war nicht bloß von Protektionismus und Populismus geprägt, wie es den Anschein haben konnte. Das amerikanische Außenhandelsdefizit mit China, das in einer Zeit wurzelte, in der die Großmacht noch Entwicklungsland war, wurde den neuen wirtschaftspolitischen Machtverhältnissen tatsächlich nicht gerecht. Auch in den Handelsbeziehungen mit Europa hatte Amerika tatsächlich gute Gründe, Nachbesserungen zu seinen eigenen Gunsten einzufordern. Diplomatischer im Ton, aber ähnlich hart in der Sache würden die Auseinandersetzungen über Trumps Auszug aus dem Weißen Haus hinaus anhalten, so schon damals die allgemeine Erwartung.
Europa war das in mancher Hinsicht sogar recht. Denn dass China mit aller Konsequenz einer wirtschaftsliberalen Diktatur seine globalen Machtansprüche durchsetzt, war auch Brüssel und den beiden wichtigsten EU-Staaten Deutschland und Frankreich nicht egal. Auch sie wollten Chinas Expansionsgelüsten Grenzen setzen.
Insgesamt drohte damit eine neue Polarisierung der Weltwirtschaft, von der klar war, dass sie ihr nicht guttun würde. Das fein gesponnene Gefüge der Welthandelsorganisation (WTO) hatte endgültig auseinanderzudriften begonnen.
Eine globale Wirtschaft, in der ohne nationale Befindlichkeiten alle mit allen können, ist aus den gleichen Gründen erfolgreich wie ein Unternehmen, in dem alle Abteilungen ohne persönliche Befindlichkeiten gut zusammenarbeiten. Klappt das nicht mehr, wird es schwierig.
Einer der großen wirtschaftlichen Erfolgsfaktoren der vergangenen Jahre schwand damit bereits vor der Corona-Krise.
Strafzölle im Wohnzimmer
Viele Menschen denken, dass diese wirtschaftspolitischen Themen sie nichts angehen. Doch da irren sie. Die globale Wirtschaft ist ein komplexes System, in dem längst alles mit allem zusammenhängt und in dem kleine Fehlentwicklungen große Auswirkungen haben können.
Wenn etwa ein europäischer Autohersteller wegen Sonderzöllen weniger Autos verkauft, schließt er vielleicht Fabriken oder übersiedelt sie von Europa an billigere Standorte. Menschen in Europa verlieren dann ihren Job, aber das ist noch längst nicht alles. Zulieferbetriebe verlieren Aufträge, die Hotellerie und die angeschlossene Gastronomie verlieren Geschäftsreisende, womit Bäcker, Fleischer oder etwa Wäschereien Kunden verlieren. In der vom Stellenabbau betroffenen Region sinken die Immobilienpreise und mit ihnen die Aktivitäten der Immobilieninvestoren, was dort die Umsätze von Hochbaufirmen, Architekten, Installateuren oder etwa Fenster- und Karniesen-Herstellern mindert.
Dadurch sinken auch die Steuereinnahmen der betroffenen Kommunen, die damit Straßen pflastern oder Krankenhäuser betreiben. Was wiederum bedeutet, dass auch Straßenbaufirmen oder das Gesundheitspersonal betroffen sein können.
Ein Sonderzoll für europäische Autos kann wie jedes andere Handelshemmnis mehr oder weniger direkt in jedem einzelnen europäischen Haushalt ankommen.
Party-Crasher Brexit
Der zweite Hauptgrund für die Sorgen über die Entwicklung der Vor-Corona-Wirtschaft war der Brexit, mit dem sich Europa zu diesem Zeitpunkt bereits dreieinhalb Jahre lang, seit dem britischen EU-Mitgliedschaftsreferendum am 23. Juni 2016, beschäftigen musste. Eine Verschiebung folgte auf die nächste, und während sich die Politik in einem Schaukampf um die Frage verstrickte, welche Fischer künftig wie viele Fische in britischen Gewässern fangen durften, mussten sich viele direkt betroffene Unternehmen darauf vorbereiten.
Deutschland etwa konnte erwarten, in einzelnen Branchen vom Brexit zu profitieren. So zogen Finanzfirmen von London nach Frankfurt am Main, wodurch dort neue Arbeitsplätze entstanden. Doch die befürchteten Nachteile überwogen. So stellte sich, um beim Beispiel Auto-Industrie zu bleiben, die Frage, ob die Engländer, die im Jahr 2017 noch 770.000 deutsche Autos gekauft hatten, weiterhin so gerne Mercedes, BMW oder Volkswagen-Marken fahren würden, wenn die Zölle das verteuerten. Autos sind Deutschlands wichtigster Industriezweig, und wenn er leiden würde, würde wieder die ganze Kette mitleiden, von der Hotellerie über die Bäcker bis zu den Karniesen-Herstellern.
Die Einigung auf einen geordneten Brexit zu Weihnachten 2020 hat das Schlimmste verhindert, doch zu Jahresbeginn kamen die Handelshemmnisse und die Brexit-Sorgen zu einem denkbar ungünstigen Zeitpunkt. So etwa hatte sich im Vorfeld die Finanzierungssituation für Unternehmen verschlechtert, weil die Politik die Banken nach der Finanzkrise von 2008 und 2009 stärker reguliert hatte. Hinzu war gekommen, dass die Banken in einer Art vorauseilendem Gehorsam von sich aus vorsichtiger geworden waren. Die erste Frage der Banken lautete seither nicht mehr »Was planen Sie mit dem Geld?«, sondern »Was sind Ihre Sicherheiten?«.
Die Firmen bekamen deshalb weniger Kredite, vor allem die Klein- und Mittelbetriebe, die das Herz der europäischen Wirtschaft bilden. Das bedeutete weniger Investitionen und Expansion, weniger Jobs, weniger Aufstiegs-Chancen in den betroffenen Firmen, und absehbar auch weniger Gehaltserhöhungen und weniger Kaufkraft und Kauflust.
Dazu kamen Unsicherheitsfaktoren wie der Klimawandel, dem die Politik nicht konsequent mit Förderprogrammen begegnete, die das Problem lösen helfen und die Wirtschaft ankurbeln könnten, und die Digitalisierung, bei der Europa, mangels geeigneter Bildungs- und wirtschaftsrechtlicher Rahmenprogramme gegenüber Amerika und Asien verlor. Mit einem Wort:
Anfang 2020, als wir alle das Wort Corona-Virus zum ersten Mal hörten, passte alles noch einigermaßen, doch es sah für das kommende Jahr und die Jahre danach nicht besonders gut aus.
Und dann kam das Virus und es wurde finster.