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Ein Minigolf-Sportkrimi

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Es war wieder einer dieser Augusttage, an denen man sich fragt: »Ach, Kinder, wo ist nur die Zeit geblieben?« Ich ließ mir meine Zähne bleachen und meine Locken glätten, für ein noch souveräneres Auftreten. Denn heute war es wieder so weit: Weltmeisterschaft im Miniaturgolfen. All meine Schläger waren für einen guten Flow frisch mit Baby-Öl poliert. Ich hatte ausgiebig gefrühstückt: Toast mit Erdbeermarmelade – die streichzarte ohne Stückchen. Ich würde die Firma Schwartau am liebsten für die Stückchen verklagen. Ich glaube ja, dass das gar keine richtigen Erdbeerstückchen sind. Das sind eher so mit Fäden durchzogene Batzen, vermutlich ein Gemisch aus Wachs, Marzipan und Fett – mit besonders vielen Zusatzstoffen. Das fühlt sich im Mund exakt so an, als würde man auf einem menschlichen Auge kauen.

Mein Caddy hupte genau dreimal. Das war das Zeichen dafür, dass er unter meinem Fenster stand. Er war jahrelang mit seiner Band – der »Caddy Family« – auf Tour gewesen. Leider bekam er irgendwann physische Probleme, weil sie zu zwölft inklusive ihrer Instrumente über fünf Jahre hinweg in einem kleinen VW-Bus leben mussten. Da er damals noch Liliputaner war, schlief er im Handschuhfach des Busses. Inzwischen ist er jedoch solide 1,79 Meter groß, aber sein Spitzname blieb Umpa Lumpa.

Er hupte erneut dreimal, doch ich ging nicht runter. Ich hatte eine Blockade. Wie zur Salzsäule erstarrt saß ich auf der Küchenzeile und weinte. Was, wenn ich vergessen hatte, wie die Sache mit dem Miniaturgolfen geht? Wie halte ich meinen Schläger? Bahn neun, der rote Ball aus Gummi, oder doch der braune, der den Aufprall an der Bande abfedert? Das war ein klarer Fall von Blackout. Mein Caddy hupte inzwischen seit drei Minuten im Stakkato. Dann herrschte plötzlich Ruhe – und auf einen Schlag wieder nicht mehr. Ein Scheibenklirren riss mich aus meiner Angststarre. Umpa Lumpa schmiss vor lauter Zorn meinen Koffer voller Minigolfbälle durchs Fenster. Ich fühlte mich in diesem Moment wie Sylvester Stallone in dem Film Daylight. Mein (in diesem Fall psychischer) Tunnel stürzte in dem Moment ein, als der Koffer durchs Fenster geflogen kam und sich die Minigolfbälle wie giftige Chemikalien in der Wohnung verteilten – genau wie im Film. Gift für meine Psyche, die dem Druck, Weltmeister zu werden, nicht mehr gewachsen war. In geduckter Haltung ging ich zum Fenster und spähte hinaus. Umpa Lumpa stand wutentbrannt unten und gestikulierte wild mit seiner Faust, während er schrie: »Komm runter, du mieses Schwein, ich mach dich fertig.« Ich erschauderte mehrmals, als mir klar wurde, dass Umpa Lumpa mich töten würde.

Ich versuchte mich zu sammeln, da ich mich in einer Extremsituation befand, in der Sekundenbruchteile über Leben und Tod entscheiden konnten. Umpa Lumpa fing nun an, mit Streusplit gespickte Schneebälle durch die zerborstene Scheibe zu schmeißen. Ein einziger Treffer könnte mich mein Augenlicht kosten. Ich musste handeln! Ich setzte mir meine Taucherbrille auf und robbte im Schneeball-Streusplit-Hagel Richtung Wohnungstür. Links und rechts neben mir schlugen die Schneebälle ein und rollten über das Linoleum, um wie die Monsterwellen des Pazifiks an den Irischen Klippen von Moher hier an der Wand zu zerbersten. Unter Todesangst gelang es mir, die Türklinke zu betätigen, die Tür zu öffnen und mich in den Hintereingang der Bäckerei Rothballer, der vom Hausflur aus erreichbar war, zu flüchten. Die Rothballer Brezen waren stadtbekannt, da sie nicht die übliche Brezenform hatten, sondern Brezenkringel waren. Er hatte vor Jahren einen Prozess vor dem Obersten Gerichtshof verloren, weil er die allseits beliebten Laugenkringel Brezen genannt hatte, obwohl diese nicht brezenförmig waren. Wer bei ihm an der Ladentheke auf die Kringel zeigte und sagte »Ich hätte gerne eine dieser Brezen«, musste zwei Euro in das Sparschwein werfen, um die Prozesskosten zu decken. So stürmte ich von hinten in die Bäckerei und flüsterte: »Pssst, Herr Rothballer, Sie müssen mir Unterschlupf gewähren. Ich befinde mich in Lebensgefahr.« Bäcker Rothballer willigte ein, und so verkleidete ich mich als Mohnschnecke und legte mich zu den anderen Leckereien in die Auslage. Es dauerte nicht lange und schon ertönte das Klingeln der Ladentür. Es war Umpa Lumpa, der vor lauter Wut hungrig geworden war und sich stärken wollte, damit er genügend Energie hatte, um mich ins Jenseits zu befördern. »Sie wünschen?«, fragte Bäcker Rothballer. Umpa Lumpas skeptischer Blick wanderte zwischen mir, der Mohnschnecke, und den Laugenkringeln hin und her. Ich betete zu Gott, dass er sich nicht für die Mohnschnecke entscheiden würde. »Ich hätte gerne eine dieser Brezen«, sagte Umpa Lumpa. Bäcker Rothballer maßregelte ihn und sagte, dass es Laugenkringel seien, händigte ihm den Kringel aus und forderte ihn auf, zwei Euro in das Sparschwein für die Prozesskosten zu werfen. Umpa Lumpa fing an zu schreien: »WAS? Zwei Euro? Sie spinnen doch, Sie bekacktes Dreckschwein!« Kurz nachdem seine Worte des unbändigen Zorns über seine Lippen gekommen waren, nahm er das Prozesskostensparschwein und warf es mit voller Wucht auf Bäcker Rothballers von einem Haarkranz umringtes kahles Haupt. Bäcker Rothballer war sofort tot. Er sackte zusammen, und die Zwei-Euro-Stücke rollten über seinen leblosen Körper hinweg. Im Radio lief weiter der Macarena, als ob nichts geschehen wäre. Als der leblose Körper auf dem krümeligen Bäckereiboden aufschlug, erschrak ich so, dass mir ein schrilles, lautes »Huch!« herausrutschte, was von Umpa Lumpa nicht unbemerkt blieb. Ganz genau inspizierte er die schmackhaften Gebäckteilchen in der Auslage, bis er Augenkontakt mit mir, der Mohnschnecke, aufgenommen hatte.

Um nicht nervös zu wirken, dachte ich an etwas ganz Alltägliches. An einen Fahrradschlauch, zum Beispiel. Wie wechselt man den fachmännisch aus? Sind die Kalamari vom Griechen um die Ecke aus demselben Material, nur mit Panade? Zack – mit einem Schlag zerbarst die Thekenscheibe und die Splitter prasselten auf mich herab wie die silbernen Fetzen bei Wer wird Millionär?, wenn tatsächlich mal ein Kandidat die Million gewinnt. Ich hingegen war in dem Moment eher in einer Verlierersituation. Umpa Lumpa schrie, während die Splitter auf mich herabregneten: »Da ist ja das Schwein, verkleidet als Mohnschnecke! Und für so eine Witzfigur hab ich jahrelang die Schläger geschleppt?« Wieder wie im Film flogen die Blitze tief in der Donnerkuppel. Er nahm ein Wespennest aus seiner Hosentasche und drückte es auf den Zuckerguss, der mich vollständig bedeckte. Ich streckte meine zu einer Schnecke zusammengerollten Arme aus und versuchte hektisch, unter dem hämischen Gelächter Umpa Lumpas, die Wespen zu vertreiben. »HOHOHAHAHÖHOHOHU!« Er ballte seine Faust, welche er wie Skeletor oder ein anderer beliebiger Bösewicht triumphierend in die Luft streckte. »HOHOHOHOHAHAHAHOHOHAHÄHÄHÄÄÄ!« Er verdrehte dabei seine Augen und der Speichel floss ihm aus den Mundwinkeln, als hätte er einen epileptischen Anfall. Das war meine Chance. Während Umpa Lumpa sich in einen rauschähnlichen Zustand lachte und die Welt um sich herum zu vergessen schien, kletterte ich unter den schmerzhaften Stichen der schwarz-gelben Terrororganisation der Natur klammheimlich aus der Ladentheke, vorbei an Umpa Lumpa und hinaus in die Freiheit. Ich musste mein Zuhause hinter mir lassen. Zurückkommen war keine Option, solange Umpa Lumpa noch am Leben war und mich jagen würde.

Ich bog mit meinem Piaggio Ape bei der Albert-Schweitzer-Straße halb links ab, folgte somit der Vorfahrtstraße, fuhr vorbei am Modeschmuck des Bijou Brigitte und direkt auf die Route 66. Ich hatte den Laden erst einmal besucht und erlitt damals, als ich mich drinnen aufhielt, um mir einen dicken, wenn auch falschen Diamantring zu gönnen, eine akute Plastikvergiftung. Ich atmete damals die Plastikdämpfe der Milliarden von Schmuckstücke für nur fünf Minuten ein. Es hatte sich ein stechender Schmerz in meiner Schläfe bemerkbar gemacht … Das ist meine letzte Erinnerung. Dann wachte ich im Krankenhaus wieder auf. Drei Jahre später. So lange hatte ich im Koma gelegen, bis die Ärzte sich dazu entschlossen, mich zurück ins Leben zu holen. Drei Jahre an Modeschmuck verschenkt. An Hersteller, die sich auf den Rücken von armen chinesischen Menschen, die für einen Yen am Tag wie Roboter in riesigen Fabriken arbeiten, eine goldene Nase verdienen. Die kapitalistische Inkarnation Bijou Brigitte werde ich definitiv nicht vermissen! So fuhr ich die ersten Kilometer auf der Route 66. Der Geruch der Freiheit und der Fahrtwind streichelten mein Haar. Ich drehte das Radio auf, und aus den Lautsprechern ertönte ein Lied, das mein momentanes Gefühl nicht besser hätte widerspiegeln können: »I was a Highwayman«. Johnny Cash hatte unbestritten recht. Ich setzte mir also meinen Cowboyhut auf und fuhr, mit einem Zahnstocher im Mund, Richtung Sonnenuntergang.

Nachdem mein treues Gefährt Piaggo Ape etliche Meilen hinter sich hatte, gönnte ich ihm und mir eine kleine Pause und steuerte eine Biker-Bar an, die mitten in der Prärie stand. Einem Karatekick gleich trat ich die Schwingtüren des Saloons auf, stellte mich breitbeinig in den Eingangsbereich und rief der Frau hinter der Theke zu: »Hey, Püppchen, ich hatte ’nen wirklich schlechten Tag, mach mir einen doppelten Scotch.« Ich setzte mich an die Theke und trank den Scotch mit einem Schluck aus. Jedoch hatte ich Mühe, ihn hinunterzuschlucken. Er kam immer wieder hoch, da ich so starken Alkohol nicht gewohnt war. Nach dem fünften Würgen erreichte er schließlich meinen Magen. Einmal bezahlt, fünfmal getrunken. Sparfuchs sollte mein mittlerer Name werden.

Mir gegenüber saß SIE alleine am Tresen. Ihr sanfter Körper in ein rotes Flamencokleid gehüllt, suchte sie innigsten Blickkontakt mit mir, dem ich ob der Laszivität nicht widerstehen konnte und den ich souverän erwiderte. Sie hatte in jeder Hand Kastagnetten und kam nun mit einer unglaublich Leichtigkeit auf mich zu getanzt, während sie lauthals sang: »BAILA BAILA BAILA – BAILA BAILA BE – SI SENORA UN GITARRE – QUE YO SEMPRE MANCHARE!« Vor lauter Begeisterung konnte ich mich nicht mehr auf dem Barhocker halten. Sie war das personifizierte Spanische Feuer. Sie war die Chorizo unter den Salamis. Sie war die Inkarnation des Flamenco. Wir umkreisten uns tanzend, während sie weitersang. Sie klackerte mit den Kastagnetten, und ich klatschte im Takt mit bis … ja, bis ich mit meinem kleinen Finger zwischen ihre Kastagnetten geriet, die sich mit der Wucht einer Autopresse auf und zu bewegten. Mein kleiner Finger wurde abgetrennt, und ich brach mit schmerzverzerrtem Gesicht auf dem Boden zusammen. Ich lag schüttelfrostartig zitternd in Embryonalstellung unter der Theke. Ein paar Jugendliche hoben den Finger auf, lutschten ihn an und gaben mir zu meiner weiteren Demütigung einen feuchten Futzi ins Ohr. Die Frau hinter der Bar verständigte währenddessen einen Krankenwagen. Von mir ungeahnt, schloss Umpa Lumpa in der Stadt einen Notarztwagen kurz, als auf dem Walkie-Talkie des Fahrzeuges ein Notruf einging: »Zentrale an Wagen 8. Abgetrennter Finger im Biker-Saloon. Auf der Route 66. Bitte melden.« Umpa Lumpa bestätigte den Eingang, schaltete das Blaulicht ein und fuhr mit viel Tatü und ein bisschen Tata in Richtung Unfallort.

Ein altes Sprichwort besagt, angeschossene Hunde bellen nicht. So lag ich schwer verletzt, mit meinem kleinen Finger in der Hosentasche, noch immer unter der Saloontheke. Die von einem schlechten Gewissen geplagte Flamencodame dachte, ich läge im Sterben, versuchte mich mit einer Herzdruckmassage am Leben zu halten und rief: »Du darfst nicht sterben, Puma!« Sie dachte im Ernst, ich hieße Puma, da mein Minigolfjackett von der Firma Puma war und somit deren Logo trug. Was war nur los mit ihr? Ich öffnete mühsam meine Augen, meine Augenlider fühlten sich an, als wären sie tonnenschwer, und sah in ihr durch Tränen und Make-up beflecktes Gesicht. Ich hauchte ihr schwer atmend zu: »Nur ein sexy Kiss von dir kann mich jetzt noch retten, crazy chicka Bonita, Maskara, la rumba, cowabunga, tengo dinero, samba samba, Senorita, Disco Pogo Dingelingeling, boomchickawawa, Mama say Mama sa mama coosa, Mama say Mama sa mama coosa. Wanna be startin’ something?« In dem Moment, als sie sich zu mir herunterbeugte, um mich zu küssen, wurde die Saloontür aufgestoßen und jemand rief: »Tatütata, der Notarzt ist da! Wo ist denn unser Patient?«

Der vermeintliche Notarzt kniete sich gerade neben mich, als ich realisierte, dass dies gar kein echter Notarzt war, sondern Umpa Lumpa. Auch Umpa Lumpa lächelte verschmitzt und sagte: »Tja, da kann man leider nichts mehr machen. Es wird am besten für ihn sein, wenn er stirbt.« Also fing er an, mich mit beiden Händen zu würgen. Niemand griff ein, weil alle dachten, dass er schon wüsste, was er tat, und somit alles seine Richtigkeit hätte. Er war ja schließlich Arzt. Ich jedoch befand mich im Todeskampf. Er drückte meinen Kehlkopf immer fester zu, und mein Leben zog in meinen scheinbar letzten Minuten noch einmal an meinem inneren Auge vorbei. Lauter gute Erinnerungen, wie zum Beispiel das eine Mal, als die Guppies im Aquarium in meinem Kinderzimmer Nachwuchs bekamen, oder als ich im Armdrücken mit meiner rechten Hand gegen meine linke gewonnen hatte. Sollten all diese wunderbaren Erinnerungen für immer verblassen, nur weil ein hasserfüllter, ehemaliger Liliputaner Gott spielen und über Leben und Tod entscheiden wollte? Auf keinen Fall! Im Radio lief das Lied Eye of the Tiger. Es war wie ein Zeichen. Ein Zeichen für mein Comeback. Das Comeback des Jahres. Das größte Comeback seit Henry Maske, der zehn Jahre nach seinem letzten Kampf noch mal zurückkam, um gegen seinen Erzfeind, Virgil Hill, zu gewinnen, nur um jetzt ein McDonald’s-Restaurant zu leiten.

Ich puhlte unter schwerster Atemnot meinen abgerissenen Finger aus der Hosentasche und stach Umpa Lumpa im Takt mit dem Gitarrenriff in sein Glasauge. Ja, Umpa Lumpa hatte sich in jungen Jahren ein Glasauge einsetzen lassen, da er ein großer Fan von Columbo sowie dessen exzellenter Detektivarbeit gewesen war und so sein wollte wie er. Sein Glasauge zersprang in tausend Teile – so wie vorhin die Glasscheibe von Bäcker Rothballers Ladentheke mit den köstlichen Laugenkringeln. Umpa Lumpa ließ von mir ab, um die Splitter wieder einzusammeln. Er verlangte umgehend einen Prittstift, um das Auge wieder zusammenkleben zu können. Das verschaffte mir einen enormen Zeitvorteil. Ich stürmte also aus dem Saloon, um so schnell wie möglich wegzulaufen. Dabei stieß ich versehentlich die Harley-Davidsons um, die draußen geparkt worden waren. Ach, du dickes Ei! Sofort stellte sich mir eine Horde Rocker in den Weg. Es waren nicht irgendwelche Motorräder, es waren die Harleys der »Hölls Engels«, einer gefürchteten Rockergang.

Der Anführer der Hölls Engels baute sich vor mir auf wie ein Silberrücken vor eine Hyäne, die die Gorillababys aus dem Affenrudel reißen will. Er hieß Dustin und war Holländer. Mit Nachnamen deWind. Die kesse Rockerband Kansas hatte ihm mal ein Lied gewidmet, nachdem er auf einer ihrer Welttourneen ihr Leibwächter gewesen war und ihnen dabei ein paarmal das Leben gerettet hatte. »Dustin deWind, all we are is Dustin deWind.« Dieser Dustin war ein richtig harter Knochen. So packte er mich an meinem Hemdkragen, hob mich hoch und rief: »Warum hast du unsere Motorräder umgeschmissen?« Daraufhin erzählte ich ihm die ganze Geschichte – von Anfang an. Ich erzählte ihm von der Minigolf-Weltmeisterschaft, von den Stückchen in der Erdbeermarmelade, von Umpa Lumpa, von dem Bäcker Rothballer, von mir als Mohnschnecke, von der Flucht und natürlich von meinem abgetrennten Finger. Dustin fing schon während meiner Erzählung an, bitterlich zu weinen. Er habe zwar eine harte Schale, dafür aber auch einen sehr weichen Kern, erklärte er mir, und meine Geschichte berühre ihn an der weichsten Stelle seines innersten Kerns.

Gleichzeitig stieg aber auch seine Wut auf Umpa Lumpa. Wie konnte man so einem gutherzigen Kerl wie mir, der nicht mal einer Fliege was zuleide tun könnte, so etwas Grauenvolles antun? »Den knöpf ich mir vor«, schnaubte Dustin vor Wut. Ich klammerte mich wie ein kleines Koalababy an seinem Bauch fest, wo ich mich geschützt und geborgen fühlte, während Dustin mit beiden Händen die Saloontüren herausriss und rief: »Umpa Lumpa, dein letztes Stündlein hat geschlagen, du jämmerlicher Hanswurst!« Umpa Lumpa blickte kurz auf und entgegnete: »Ich hab jetzt keine Zeit, ich muss mein Glasauge fertigkleben.« Daraufhin erwiderte Dustin: »Kein Problem, dann komm ich in einer halben Stunde noch mal wieder, wenn dir das besser passt?« Umpa Lumpa antwortete: »Ja, in einer halben Stunde wäre super, bis dahin bin ich sicher fertig.« Mit einem zornigen »Tschüssi« ging Dustin und kam eine halben Stunde später zurück.

Aber all das war ein Trick gewesen! Umpa Lumpa hatte Dustin und mich reingelegt. Er war in der Zwischenzeit durch die Hintertür geflüchtet und über alle Berge davongelaufen. Doch dieses Mal wurde der Spieß umgedreht und nicht ich, sondern Umpa Lumpa wurde zum Gejagten. Dustin gab mir eine von den Harleys sowie eine Kutte der Hölls Engels und sagte zu mir: »Dieses hinterlistige Dreckschwein bezahlt dafür mit seinem Leben. Here is your Harley, come on and ride with us and smell the taste of freedom!« Ich war nun also offiziell ein Mitglied der Hölls Engels. Ich ließ mir noch schnell »Revenge, Motherfucker, Revenge« auf meinen Bauch tätowieren, packte die Flamencodame in den Beiwagen meiner Harley, und los ging die wilde Jagd auf Umpa Lumpa. Er war nun vogelfrei.

»Meine Harley fährt 210, schwups, die Polizei hat nix gesehn, ich will Spaß. Ich geb Gas, ich will Spaß!« Obwohl unsere Harleys keine 210 km/h fahren, schmetterten wir, als wir über die Route 66 bretterten, den Megahit von Markus der Neuen Deutschen Welle aus vollem Hals vor uns hin und klatschten uns gegenseitig während der Fahrt mit High fives ab. Als ich dann jedoch noch Kleine Taschenlampe brenn in der mir höchstmöglichen Stimmlage anstimmen wollte, wurde mir angedroht, dass sie mich wie einen Hirschen aufbrechen würden, wenn ich weitersänge. Wir verfolgten eine konkrete Spur. Umpa Lumpa war süchtig nach Dr. C. Soldans Lutschpastillen. Eine Spur aus Bonbonpapier zog sich die gesamte Route 66 entlang und führte uns direkt zur Area 51. Ein sagenumwobener Ort, an dem früher wohl Außerirdische abgestürzt sein sollen und der jetzt von der Regierung streng abgeriegelt wird. Dort vor dem Eingang stand auch Umpa Lumpas gestohlener Krankenwagen. Was hatte der hier zu suchen? Dustin, die Flamencodame und ich gingen zur Pforte und baten den Pförtner um Einlass. Der Pförtner jedoch fragte: »Können Sie sich ausweisen?« Ich entgegnete: »Wir kommen von der Regierung. Ich bin der Minister für Secret Operations. Wir wurden vom Präsidenten höchstpersönlich geschickt, um die Inventur durchzuführen. Wir haben aber leider unsere Ausweise zu Hause liegen lassen.« Der Pförtner ließ sich nicht beirren: »Ohne Ausweis ist der Zutritt leider strengstens verboten, tut mir leid.« Nun versuchte ich es mit einem etwas schärferen Tonfall: »Jetzt hören Sie mir mal zu, Sie Schießbudenfigur. Sie haben genau zwei Möglichkeiten. Entweder Sie lassen uns jetzt rein und behalten Ihren langweiligen Job, bei dem Sie nur einen Knopf drücken müssen, damit die bekackte Schranke hoch geht, oder ich werde dafür sorgen, dass Sie gefeuert und durch einen Pavian ersetzt werden. Denn das, was Sie hier machen, schafft ein Pavian mit links, Sie jämmerlicher Versager. Wie wollen Sie das Ihrer Frau und Ihren Kindern erklären, dass jetzt ein Affe Ihren Job macht? Wissen Sie, was dann passiert? Ihre Frau verlässt Sie für den Pavian, weil der es ihr besser besorgen kann, als Sie es je getan haben. Der Pavian würde uns immer wieder ohne Ausweis reinlassen, weil der weiß, dass die Inventur auf der Prioritätenliste des Präsidenten der Vereinigten Staaten an oberster Stelle steht, Sie nichtsnutziges, erbärmliches Stück Vogelscheiße!« Der Pförtner holte einen Elektroschocker hervor und streckte uns mit Stromschlägen nieder. Wir zappelten alle drei am Boden wie frisch geangelte Karpfen an Land nach Luft schnappend. Oder schnappen Karpfen an Land nach Wasser? Man weiß es nicht. Wie dem auch sei, mein Plan ging gehörig schief. Ein schwarzer Transporter näherte sich uns, vermummte Männer verfrachteten uns in den Kofferraum und fuhren mit quietschenden Reifen davon.

Wir wachten in einem großen Raum auf. Dieser bot uns ein bizarres Bild. Über uns hingen unzählige Discokugeln, und wir lagen in einer Art Gasse, an der die Außerirdischen mit ihren maßgeschneiderten Anzügen und überdimensionalen Köpfen Spalier standen. Die Gasse führte zu einer Plattform, auf der eine riesige, lilafarbene Lotosknospe stand. Die Plattform fuhr in die Höhe, die Lotosknospe öffnete sich, und Umpa Lumpa kam in einem Disco-Outfit zum Vorschein. Er tanzte und sang Wild Cherrys Hit Play that funky music, white boy. Die Außerirdischen, die die Gasse bildeten, begannen die Choreografie eines Line Dance. Wie in den 70er Jahren bewegten sich die letzten zwei in der Gasse und tanzten mit flippigen Bewegungen durch die Gasse, während Umpa Lumpa mit seiner Band spielte. Er war ein Meister der Inszenierung, das musste man ihm lassen. Wir lagen noch immer in der Gasse, und die Aliens tanzten über uns hinweg und um uns herum, bis die Musik verstummte.

Und Umpa Lumpa sprach: »Ich hab euch erwartet. Wie ich sehe, seid ihr meiner Spur aus Bonbonpapier gefolgt. Und nun gebt mir endlich, was ich die ganze Zeit schon wollte!« Immer noch am Boden liegend, schauten wir uns ratlos an. Wir sollten haben, was er wollte? Was war das denn? Umpa Lumpa griff in seine Haare und zog einen versteckten Reißverschluss vom Kopf bis in den Schritt auf. Umpa Lumpas Hülle fiel zu Boden wie ein Overall, den ein Bauarbeiter nach Feierabend auszieht, um in die Dusche zu steigen und um dann nach einem harten Arbeitstag sein hart verdientes Bier zu trinken, während der Tatort läuft – eine Wiederholung mit Schimanski (Ruhe in Frieden). Und ein weiterer Außerirdischer kam zum Vorschein. Wir trauten unseren Augen kaum. Er hatte Umpa Lumpas Körper nur benutzt, nachdem er dessen Innerstes mit einer Art außerirdischem Staubsauger ausgesaugt hatte. Seine Seele, seine Nieren, sein Blut; alles war in einem außerirdischen Staubsaugerbeutel gelandet. Skrupellos! »Mein Name ist Flux3000 vom Planeten Sonne. Ich bin mit meinem Raumschiff auf der Erde abgestürzt und komme nicht mehr zurück, solange du mir nicht gibst, was ich brauche!« Aber was hatte ich, was er brauchte, um zurückzukommen? Ich wusste es nicht, also fragte ich ihn. Er antwortete: »Dein Championshipring der Miniaturgolf-Weltmeisterschaft 2013. Er ist aus Kometengold geschmiedet – das letzte Stück Kometengold, das auf der Erde noch existiert. Mein Raumschiff kann nur mit Kometengold angetrieben werden. Ohne den Ring komme ich nicht mehr zurück zur Sonne.« Ich stand auf und rief: »Was? Meinen Minigolf-Championshipring willst du? Nur über meine Leiche! Dieser Ring ist das Einzige, was mir in meinem Leben noch etwas bedeutet!«

Was wir jedoch nicht wussten, war, dass Flux3000 der Diktator auf der Sonne war und die tanzenden Außerirdischen seine Besatzung aus dem abgestürzten Raumschiff. Dustin erhielt diese Information, als er kurz auf die Toilette ging und dort ein kleines außerirdisches Kind traf, das ihm weinend alles erzählte. Sie seien seit ungefähr fünf Jahren auf der Erde und seitdem herrsche endlich Frieden auf der Sonne. Sollte Flux3000 zurückkehren, würde er das Sonnenvolk erneut unterdrücken und seinen Plan weiterverfolgen, die Sonne für immer zu verdunkeln. Er wollte damit auch jegliches Leben auf der Erde auslöschen. Das Schicksal der Erde hing also in Form eines Rings an meinem Finger. Flux3000 rief: »Dann muss ich dich eben töten!« Er hob eine Box vom Boden auf und hielt sie hoch. Es war die Büchse der Pandora, welche in der Mythologie häufig vorkommt. Flux3000 war vor über zweitausend Jahren schon einmal auf der Erde gewesen und hatte dabei geholfen, die Pyramiden zu erbauen, um so die Landepunkte auf der Erde von der Sonne aus besser erkennen zu können. Er war auch damals Schuld am Tod von Tutelchamun, dem ägyptischen Pharao. Er stellte die Büchse auf seinen Kopf, ballte beide Hände zu Fäusten und feuerte eine Ladung Kobaltstrahlen in unsere Richtung. Die Flamencodame schrie »NEEEEEIN!« und warf sich todesmutig vor mich. Sie fing die Kobaltstrahlen ab und zerfiel von einer Sekunde auf die andere zu Staub. Nur ihr rotes Kleid und die Kastagnetten blieben zurück. Ich lief los, raus aus dem Gebäude und quer über das Arial der Area 51. Flux3000 folgte mir. Ich hatte Glück. Er musste beim Laufen die Büchse auf seinem Kopf balancieren und konnte nicht so schnell laufen wie ich. Ich schlug Haken wie ein Feldhase und wich so den Kobaltstrahlen aus, die er aus der Büchse schoss. Die Verfolgungsjagd ging bis auf den Gipfel eines Vulkankraters. Ich blieb davor stehen und hielt den Ring über die Schlucht, in der die Lava brodelte. »Wenn du den Ring willst, musst du ihn dir schon holen«, provozierte ich ihn. Flux3000 war so aufgeregt ob des Gedankens, so nah an seinem Ziel zu sein, dass sein Verstand aussetzte. Er stürmte in Richtung Ring. Doch als er nach ihm greifen wollte, zog ich diesen weg und stellte ihm ein Bein, sodass er in den Krater stürzte und in der Lava schmolz.

Die zwei Planeten waren gerettet! Ich ging zurück zum Area 51, um nach Dustin und den restlichen Außerirdischen zu sehen. Als ich erzählte, was geschehen war, brach ein ungestümer Jubel unter ihnen aus. Gleichzeitig aber waren sie traurig darüber, dass sie ihre Verwandten und Freunde auf der Sonne wohl nie wiedersehen würden. In einem Akt der Selbstlosigkeit übergab ich ihnen meinen Minigolf-Championshipring und sagte: »Tankt eure Raumschiffe auf, Jungs, und fliegt zurück nach Hause. Wie viel Wert hat schon so ein Ring im Gegensatz zu dreißig glücklichen Außerirdischen? Es sind die Dinge im Herzen, die wertvoller sind als jedes Geld. Egal, ob auf der Sonne oder unserer Mutter Erde.« Die Außerirdischen konnten ihr Glück kaum fassen und küssten mich. Sie sangen im Kanon: »For he’s a jolly good fellow, for he’s a jolly good fellow, for he’s a jolly good feeeheellooow, which nobody can deny!« Daraufhin ernannten sie mich zum Sonnenkönig und flogen alsbald fort in ein Leben voller Frieden und Harmonie. Dustin und ich jedoch stiegen auf unsere Harleys und fuhren Richtung Sonnenuntergang. Im Abspann hörte man laut Nik Kershaws I won’t let the sun go down on me.

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