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Die zwei Muppets vom Balkon

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»Hahaha, ihr beide seid echt wie die zwei Alten aus der Muppet Show, die oben auf dem Balkon sitzen« – ein Satz, den jeder schon einmal in seinem Leben gehört hat, wenn er sich zusammen mit jemand anderem über etwas echauffiert hat. Im Grunde ist in dieser Situation eigentlich jeder wie die beiden Alten aus der Muppet Show, und es ist inzwischen auch nicht mehr lustig, wenn man es zu Leuten sagt, die an irgendetwas etwas auszusetzen haben. Außer in der Muppet Show selbst hat das noch keiner zu irgendjemand anderem gesagt. »Da sind die Protagonisten so charakterstark, dass es keinen Vergleich zu jemand anderem braucht«, denk ich mir, als in dem Dreiersitz neben mir eine Frau zu zwei Männern sagt: »Hahaha, ihr seid echt wie die beiden Alten aus der Muppet Show, die oben auf dem Balkon sitzen.« Ich finde aber gar nicht, dass die beiden wie die zwei Alten aus der Muppet Show, die oben auf dem Balkon sitzen, sind. Denn erstens sind die beiden in der Sitzreihe neben mir viel zu jung dafür und zweitens haben sie sich erst über Merkel beschwert und dann darüber, dass es Tomatensaft im Flugzeug zwar umsonst gäbe, aber der Alkohol dafür etwas kosten würde, während sie zusammen in der Bild-Zeitung geblättert haben. Deppen! Die zwei alten Pseudo-Muppets können sich in drei Stunden auf Mallorca noch genügend Alkohol zu Gemüte führen; das muss also doch nicht jetzt schon im Flugzeug passieren. Es tut mir ja leid, aber hier fliegen schließlich auch Kinder mit! Die zwei Alten aus der Muppet Show, die oben auf dem Balkon sitzen, hätten so etwas nie gemacht. Die sind noch von der alten Garde, die haben, trotz ihres losen Mundwerks, noch Manieren, zumindest wenn es darauf ankommt.

Im Laufe des Gesprächs habe ich herausgefunden, dass die zwei hier im Flugzeug Rolli und Bernd heißen. Darüber musste ich lachen. Ernie und Bert wäre irgendwie passender gewesen – aber die zwei waren ja schließlich auch keine Muppets. Ich glaube, die wohnen in der Sesamstraße. Mit dem großen Dicken mit Fell, Samson; der macht immer aus der kleinsten Mücke einen riesigen Elefanten. Einmal war an seinem Fahrrad die Kette verzwirbelt – ich hatte den zuvor noch nie auf einem Fahrrad fahren sehen, aber wahrscheinlich war nur wichtig, dass er eins hatte. Ihr hättet das sehen müssen, was der für einen Aufstand gemacht hat! Am Schluss standen fast alle Bewohner der Sesamstraße um ihn herum und haben ihm Tipps gegeben, wie er das am besten reparieren könnte. Und das ist ja in fast jeder Folge so, dass er sich über eine Kleinigkeit übertrieben aufregt. Der hat nur Probleme, die der durchschnittliche Max Mustermann nebenbei lösen könnte. Mir würde da irgendwann der Geduldsfaden reißen: »Jetzt pass mal auf, Samson! Ich weiß nicht, was dein Problem ist, aber wenn du die Leute noch einmal mit deinem Kindergartenkram abfuckst, kriegst du von mir so eine geballert, dass dein Schnuffeltuch danach alleine spazieren geht.« Während ich mir das vorstelle, komme ich mir selbst schon wie einer der zwei alten Muppets auf dem Balkon vor. Aber ich bin mehr so in meinem Kopf der alte Muppet auf dem Balkon. Ich denke oft Dinge, die die beiden sagen würden. Die würden sich über Samson sicher noch schlimmer aufregen als ich gerade in meinen Gedanken.

Rolli und Bernd wiederum unterhalten sich gerade darüber, dass Malle ja nur einmal im Jahr sei. Ob echte Mallorquiner etwas Ähnliches sagen und dankbar darüber sind, dass Rolli und Bernd nur einmal im Jahr zu Besuch kommen? Da hat es das unmittelbare Umfeld von Rolli und Bernd wiederum wesentlich schlimmer erwischt. Für ihre Nachbarn, zum Beispiel, sind Rolli und Bernd 365 Mal im Jahr da. Nicht auszudenken! Die hören sicher den ganzen Tag Lieder wie »Da hat das rote Pferd sich einfach umgekehrt und mit seinem Schwanz die Fliege abgewehrt, doch die Fliege war nicht dumm, sie machte summ, summ, summ und flog mit viel Gebrumm um die ganze Scheiße herum« … oder so ähnlich. So richtig schlimme Rolli-und-Bernd-Musik. Ich betrachte die zwei Männer also und mir wird bewusst, dass es wirklich für manche Menschen bestimmte Schubladen gibt. Ich habe diesen Gedanken bis jetzt immer abgelehnt, da jeder Mensch – meiner Auffassung nach – für sich gesehen anders und individuell ist; diese beiden aber nicht. Die legen sich zum Schlafen mit ihren identischen Fußballtrikots in die Ballermann-Schublade und hören Zehn nackte Frisösen zum Einschlafen.

Zack!

Da gerät das Flugzeug in eine kleine Turbulenz. Rolli kommentiert dies mit einem lauten »Hoooheeey«, als wäre man gerade Teil einer La-Ola-Welle und mache mit. Dann stimmt er den Hit von Scooter an: »Döp, döp, döp, dödödöp, döp, döp!« Laut lachend rutscht er mit seinem Sitz bis zum Anschlag nach hinten. Hinter ihm sitzt eine ältere Dame, die ihren Gehstock an seinen Sitz angelehnt hatte. Durch den von ihm verursachten Schwung prallt der Gehstock mit hoher Geschwindigkeit an ihre Stirn. Sie wird sofort bewusstlos und sackt in ihrem Sitz zusammen. Rolli ist sich all dessen nicht bewusst, prostet, während er den Schraubverschluss des kleinen Feigling-Fläschchens auf der Nase balanciert, mit selbigem Getränk Bernd zu und trinkt das Primatenelixier in einem Zug aus. Mein Puls schlägt mir bis zum Hals. Ich werde richtig sauer. »Sind wir hier im Fußballstadion oder in einem Flugzeug?«, schreie ich, während ich aufstehe und meinen Zeigefinger drohend in Richtung Proleten-Rolli richte. »Sie führen sich hier auf wie die Hottentotten, sind laut, haben die Dame hinter sich bewusstlos geschlagen, und außerdem sind Sie überhaupt nicht wie die beiden alten Muppets vom Balkon!« Verdutzt blicken mich beide mit ihren aufgedunsenen Gesichtern an. Es dauert eine Weile, bis sie die Information verarbeitet bekommen. Doch als meine zornigen Worte ihr Sprachzentrum im Gehirn erreichen, drohen sie mir unmittelbar Schläge an. Sobald das Flugzeug mallorquinischen Boden erreiche, würden sie selbigen mit mir aufwischen.

Wieso gibt’s in Flugzeugen neben der Business und der Economy Class nicht auch noch ein Abteil für das Proletariat? Wo der Tomatensaft mit Wodka angereichert in Eimern und mit Strohhälmen serviert wird und das Beste aus fünfzig Jahren Schalke 04 auf den Boardfernsehern läuft? Ich setze mir für den Rest des Fluges die Kopfhörer auf, die mich sage und schreibe fünf Euro bei Air Berlin gekostet haben, und höre dem Flugzeugradio zu, das exakt zwanzig unsäglich langweilige Lieder umfasst, wie It’s My Life von Jon Bon Jovi. Ab diesem Lied ging es bei Bon Jovi musikalisch bergab. Wieso spielt man eigentlich nicht Livin’ on a Prayer im Flugzeugradio? Da hatte sich Bon Jovi noch richtig ins Zeug gelegt, aber It’s My Life … ich meine, come on. Allein schon der Liedname; der wird an Ideenlosigkeit nur noch getoppt von Mark Medlocks erster Single Summer Love. Statt Dieter Bohlen sollten die bei DSDS mal die zwei alten Muppets vom Balkon in die Jury setzen. Da hätte es Mark Medlock nicht mal in die Mottoshows geschafft. Der ist übrigens der Enkel von Matlock, aus der gleichnamigen Krimiserie, die früher auf RTL direkt nach Columbo lief – so klein ist die Welt.

Der bewusstlosen Oma hinter Rolli hat das Flugzeugpersonal für den Rest des Fluges die Sauerstoffmaske aufgesetzt, die sich über den Sitzen befindet, damit sie wieder zu Bewusstsein kommt. Nachdem ich die Auswahl des Flugzeugradios, die im Vergleich zu Bernd und Rollis Gerede in der Tat das kleinere Übel ist, ganze dreimal durchgehört habe, setzen wir endlich zum Landeanflug auf die größte Insel der Balearen an. Nach einem kleinen Fußmarsch durch den recht verwinkelten Flughafen Palmas erreiche ich endlich die Kofferausgabe. Dort erspähe ich auch wieder Bernd und Rolli, die sich natürlich ganz nach vorne gedrängelt haben, damit sie ihren Koffer als Erste bekommen. Den könnte ja sonst ein anderer nehmen. Die Koffer drehen gemächlich auf dem Laufband ihre Runden, bis Bernd seinen endlich in die Wurstfinger bekommt. Das ist so ein Rollkoffer, den man normalerweise hinter sich herziehen kann, nur dass wohl durch den Transport im Flugzeug eine Rolle abgebrochen ist und er nun nicht mehr fahren kann. »Uiuiuiui, Rolli«, höre ich ihn sagen. »Schau mal her, mir ist ein Reifen von meinem Koffer abgebrochen!« Innerhalb weniger Minuten versammeln sich ungefähr fünf weitere ihrer Proletenkumpels um den Koffer und geben ihm Tipps, wie er diese außerordentliche Extremsituation am besten meistern könne. Ich fühle mich unweigerlich an Samson aus der Sesamstraße erinnert, der wegen seines Fahrrads haargenau denselben Aufriss gemacht hat. Ich schnappe mir meinen Koffer, gehe zu der Frau, die am Anfang des Fluges die zwei mit den beiden alten Muppets vom Balkon verglichen hat, und sage zu ihr: »Samson aus der Sesamstraße, nicht die beiden alten Muppets vom Balkon. SAMSON! Merken Sie sich das bitte für die Zukunft!«

Daraufhin gehe ich zu Bernd, trete ihm die zweite Rolle seines Koffers kaputt und lege ihm nahe, den beschissenen Koffer einfach zu tragen, wie es jeder andere Mensch auch täte, der keinen Rollkoffer habe. Durch die Lautsprecher des Terminals kommt – wie von Geisterhand – die Titelmelodie der Sesamstraße, während ich mir meinen Weg aus dem Flughafen bahne, um nach diesem anstrengenden Flug meinen wohlverdienten Urlaub anzutreten.

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