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Ein Käfig voller komischer Vögel

Auszug aus Biancas Tagebuch

Münster, im Mai 2006

Ich bin so wütend!

Vermutlich liegt die Wut gleich neben der satten Portion Frust, und beide zusammen rumoren um die Wette in meinem Innern. Was ist los mit den Männern in diesem unserem Land, frag ich mich. Alles nur noch Scheinromantiker, ewigjungbleibenwollende Mittvierziger, herz-, empathie- und seelenlose Nervenendenreizer, spirituell Dauerreisende, Psychowracks in Endlostherapie oder ständig Dauergebuchte in der Rolle des Ritters von der traurigen Gestalt? Schrecklich nervig finde ich auch die Allejahrewiederkommer, Nichtloslassenkönner, Nichtsversteher und Worthülsenredner.

Es steht echt schlimm um euch, Männer! Ehrlich, manchmal tut ihr mir ja leid. – Manchmal aber nur!

Die spirituell Weltreisenden geraten wegen schräger Stimmungslage auf eine Besinnungsreise ins Innere. So was kann dauern, selbst wenn es mit „voller Kraft voraus“ zur Sache geht.

Als Otto mir das offerierte, schien er Anfang der Woche noch ziemlich aufgeräumt, wirkte lustig, mit kessem Spruch auf der Lippe und war ein zuversichtlich gestimmter Zeitgenosse. Gestern Abend dagegen wankte das Zuversichtsgefüge nicht nur erheblich, sondern es war einfach sang- und klanglos eingestürzt. „Auf bald“, ließ er mich wissen und beschloss (einsam), es mit einer „Online-Pause“ zu versuchen, weil das Netz ja gewissermaßen Abhängigkeitscharakter habe. Abhängigkeit ist das Schlagwort für mich.

Otto erzählte mir was von Drogen, und nach seiner eigenen Aussage meldeten sich die alten Schwierigkeiten immer wieder und forderten ihren Tribut: viel Wein trinken, anderen Leuten eins vor den Latz knallen – sprich: ein betrunkener Stinkstiefel sein. Er scheint ein multiabhängiger Netztrinksurfer zu sein, der sich bei schräger Stimmung einen Spaß draus macht, andere Menschen zu verletzen. Letzteres mit Absicht?

Seiner eigenen Schilderung gemäß hätte er sich bereits vor 10 Jahren beinahe ins Jenseits befördert, wenn ihn nicht im rechten Augenblick seine kleine Tochter auf den Boden irdischer Tatsachen zurückbeordert hätte. Und dann – oh, Wandelwunder – hatte das Leben nach dem Kappen der Nabelschnur plötzlich wieder einen erhöhten Sinn (Gott sei Dank). Das Wunder des Lebens als Lebensretter? Jo! Ist ja nix Neues!

Soll der mal reisen, wohin auch immer. Nach innen, nach außen und vielleicht auf ‘ne einsame Insel. Die kann er ja im Innern wie im Außen finden. Aber auf jeden Fall ohne mich. Seit dieser Geschichte macht er Therapie und viel Herzarbeit, Tantra mit und ohne Guru, halt das volle Programm eines Weltreisenden in Sachen Spiritualität.

Hatten wir schon, davon lass ich die Finger – wie gesagt: ohne mir!1

Ich hab mich ja deswegen auch schön zurückgehalten. Wegen der Online-Pause, und so. Ich respektiere ja den Willen eines Menschen grundsätzlich und zutiefst. Allerdings meldete er sich doch zwei Tage nach seiner „Ausstiegsmeldung“ per Mail. Ich entdeckte gleichzeitig, dass er trotz „Pause“ gelegentlich einen Beitrag bei dem, von und beiden oft frequentierten, Forum kommentiert hatte. Online-Pause? Na ja, ein Versuch muss ja nicht immer sofort gelingen. Hab ich volles Verständnis für.

Heute sehe ich Otto aber klarer, viel mehr, als ihm lieb sein kann. Neulich hatte er wissen wollen, welcher Epoche meines Lebens denn das aktuelle Bild im Internetportal angehöre.

Da keimte Unbehagen in mir, weil ich ihm das nicht auf die Nase binden wollte. Ich, die ich doch immer und jedem gegenüber mein Herzchen auf der Zunge trage und drauflos plaudere, wenn jemand was über mich wissen wollte. Ich konnte mir meine Weigerung gar nicht recht erklären. Ich wollte einfach nicht drüber reden.

So deutete ich lediglich an, dass da mal eine Geschichte war, die es zu überwinden galt, und das Foto sei unmittelbar danach entstanden. Seine Hoffnung, ob der Schmerz von einst denn überwunden sei, beantwortete ich mit: „Als mir klar wurde, welche Verantwortung ich selbst an der Sache trug, war es gut. Alles, was uns im Leben widerfährt, haben wir schließlich selbst zu verantworten.“

Komisch, ich dachte mir schon während ich ihm das schrieb, dass ich damit etwas geäußert hatte, was er als Manipulation auffassen würde – die er ja stets und ständig überall und von jedermannfrau fürchtete. Garantiert! Aber wie sich herausstellte, war’s noch viel schlimmer. Ich hatte nämlich den Finger erheblich tiefer in eine seiner Wunden gelegt, die einfach nicht verheilen wollte.

Wie dem auch sei! Gestern fand eine Veranstaltung statt, und er kam nicht, wie versprochen, zu dem fröhlichen Beisammensein live und in Farbe des von uns lebhaft unterstützten Forums. „… Baby, da begegnen wir uns und verlieben uns ineinander und werden heiraten, du wirst sehen …“ hatte er zuvor noch virtuell geflötet. Tja, aber wie Se sehen, sehen Se nix! Er glänzte trotz seiner klaren Zusage mit Abwesenheit. Das Forum-Team war nicht unenttäuscht.

Irgendwie war ich weniger überrascht. Ich hatte rein gefühlsmäßig nicht mit seinem Erscheinen gerechnet. Nicht, nachdem ich wusste, dass er sich „volle Kraft voraus“ auf einer Reise in seine Innereien befand. Ein gemütliches Stelldichein hätte irgendwie nicht dazu gepasst.

Ich fragte ihn aber hinterher, ob er womöglich doch „volle Fahrt voraus“ auf eine Insel geschippert sei?

Das stünde noch nicht fest, hatte er geantwortet, ob Insel oder anderswo. Er hätte eben gestern nicht gekonnt, leider. Er hätte sie gerne kennengelernt. Sein fühlbar geheucheltes Interesse mit seinem „Wie war‘s denn?“ reflektierte ich im gleichen Kurz-knapp-Steno-Style: super-schön, harmonisch. Und fügte hinzu, dass ich selbst auf jeden Fall beim nächsten Mal bis zum Schluss bleiben würde.

„Ja, schrieb er mir, „dann auf nächstes Mal. Dir einen schönen Tag …“ Und ich antwortete: „Dir auch.“ Punkt.

Mann ey! Solche Knilche können mir doch echt gestohlen bleiben. Psychoromantikträumerspirituelltrantragurus. Bäh!

Aber klar ist doch mal eins: Ich hatte mit Sicherheit durch diesen einen letzten Satz von der Verantwortung, die Menschen einzig und allein tragen für das, was ihnen widerfährt – schlicht und ergreifend irgendeinem ollen Nagel auf den Kopf gehauen. Volldertreffer sozusagen. Jetzt zog sich der Herr zurück wie ein Wurm, dem auf eines seiner Enden gelatscht wurde. Ups! Autsch! Ab das Teil. Und was macht der Wurm, wenn die Gefahr vorüber ist? Dann wächst das Ende ja eigentlich nach. Aber wird das Ende dann qualitativ besser, neuer, frischer, unbedarfter sein? Oder wird es nur eine Metastase vom Rest seiner Wurmität werden?

Der Ärger treibt in meinem Kopf die wildesten Blüten.

Die anderen Männer sind Menschen mit aus der Mode gekommenen Qualitäten, die aber leider zu leidenschaftslosen Dauerduldern ohne Begeisterung geschrumpft sind. Ritter von der traurigen Gestalt eben. Die sind nett, höflich, interessiert. Buhlen auf ihre eigene, etwas leidenschaftslose, ja sogar eher platt bäuerliche Art und Weise.

So ein Exemplar kenne ich. Vor einigen Wochen hab ich ihm nach drei Jahren seines Immer-mal-wieder-Versuchens den endgültigen Korb verpasst. Mehr als deutlich sagte ich ihm, dass ich mich ernüchtert fühle, dass ich seine sogenannten Zärtlichkeitsentstehungsversuche nicht angenehm empfinde und dass es – zu allem Überfluss – ein Fehler war, dass ich mit ihm in die Kiste gestiegen bin. Mich schüttelt’s noch immer, wenn ich dran denke.

Der Ritter verstand mich nicht. Vielleicht muss ich mir eine andere Sprache angewöhnen? Keine Fremdsprache, aber eine deutlich härtere Ausdrucksweise. Ich denke ernsthaft darüber nach, dass es nicht das Verkehrteste ist, wenn ich auch mal weniger rücksichtsvoll und vielleicht sogar deutlich ruppig werde.

Auf Ritters Anfrage am Morgen danach – von wegen das Spiel wäre schön gewesen, und er hoffe auf die zweite Halbzeit –, dass es weder ein „Spiel“ war, noch „schön“, und dass eine weitere „Halbzeit“ keinesfalls stattfinden würde. Er ignorierte das glatt und behauptete, dass es zwischen uns sehr viel mehr gäbe als „sich mögen“. Es sei schade, dass ich den Sex (?) nicht so genießen konnte wie er. Ich frage mich, welchen Sex der konkret meint. –

Ich muss grad mal seufzen. Der Herr Ritter von der traurigen Gestalt klopft nun schon seit drei langen Jahren immer wieder an meine Tür. Obwohl er sich dabei mindestens zehnmal die Finger dabei geklemmt hat. Ich halte das für eine ziemlich fragwürdige Art von JoJo-Effekt.

Ein „Vorbei“ akzeptiert er schlicht nicht. Weil ich auf seine ‚Liebe‘ so allergisch reagiere, hat er verlangt, dass ich an der Freundschaft festhalten müsse wie er.

Welche Freundschaft, hab ich ihn gefragt. Definiere bitte Freundschaft!

Er blieb stumm, und er hat bis heute nicht geantwortet.

Wenn ich schon dabei bin, hier ein bisschen ganz privat abzurechen: Mit fallen noch die Nachzwölfmonatenwiederkehrer ein. Seltsames Phänomen! Aber das gibt es in meinem Leben häufig. So nach knapp einem Jahr haben sich fast alle Ex-Bekanntschaften wieder bei mir gemeldet. So als hätten sie in der Dachkammer mal gründlich aufgeräumt, wären dabei auf ein altes, einst geliebtes Wasauchimmer gestoßen und wollten nun ausprobieren, ob es immer noch brauchbar war. Vielleicht sollte ich mir ja was darauf einbilden, dass diese Männer früher oder später erneut anklopfen? Nee, besten Dank! Bleibt, wo ihr seid.

Ich bin einfach der Meinung: aus den Augen, aus dem Sinn. Was vorbei ist, sollte vorbei bleiben. Das permanente Aufwärmen mühsam vergessener, sich aus dem Herzen gerissener Erinnerungen und Gefühle! Das grenzt ja an Masochismus, wenn ich mir das selbst anzutun beziehungsweise an Sadismus, wenn die es mir erneut zumuten!

Was ist denn das nur für eine bekloppte (Männer-Frauen- )Welt? War das früher einfacher? Mal überlegen … In grauer Vorzeit wurden junge Leute miteinander verheiratet und Punkt. Da wurde nicht gefackelt, sondern von den Eltern einträglich und einträchtig verhandelt und die Kinder quasi gegenseitig verschachert. Zack-Zack vor den Traualtar und fertig!

Nach Liebe hat niemand gefragt. Oder zumindest wagte niemand zu fragen. Liebe verkomplizierte bloß alles! Wenn erst Gefühle im Spiel waren, wusste ja keiner mehr, woran er war. Gefühle benebelten den Verstand, der tunlichst nüchtern bleiben sollte.

Wer will schon hoppdiwupp verschachtert vor den Standesbeamten gezogen werden und später mit einem Beipackzettel gerüstet im Zweifelsfalle einen Scheidungsrichter bemühen? Nein, danke!

Warum bringt mich jemand wie dieser traurige Bauerntölpel von Möchtegernritter derart auf die Palme? Was regt mich an einem spirituell Weltreisenden auf?

Ich befürchte einfach, dass zumindest der eine dumm sein könnte. Mit Dummheit kann ich nicht umgehen. Dummheit bringt mich zwar nicht um den Verstand, wohl aber geht sie mir ziemlich auf den Keks! Aber ist das Ritterlein denn tatsächlich dumm? Nee, eigentlich darf ich das nicht so sagen, das ist doch ein bisschen zu gemein. Falsch auch denn wäre er dumm, hätte er kein so erfolgreiches Unternehmen und viele interessante und kluge Geschäftspartner. Bloß hat das Eine mit dem Anderen ja nix zu tun. Im Job kann er ja seinen Mann stehen und scheißklug sein und daherreden, fachsimpeln und auch hoch- und tiefstapeln, ganz wie es die Situationen erfordern. Privat ist das anders. Zwischen Mensch und Menschin! Mann und Frau! Und wenn Gefühle im Spiel sind.

Hier lag die Hasenkeule im Pfeffer: Wenn Liebe den Verstand benebelt, fällt die Intelligenz untern Tisch. Oder ging zumindest [sprichwörtlich] in die Hose.

Wie war das mit dem Witz über die Hirnzelle eines Mannes, die sich im Oberstübchen so schrecklich einsam fühlte? Auf die Frage, wohin denn die anderen sind, antwortete die Zelle wahrheitsgemäß: Die sind alle unten. Da läuft 'ne Party. Und dann schloss sie sich den anderen an und feierte, anstatt denken zu müssen. Wer will ihr das verdenken?

Schön, schön! Dem Ritter sind also die Hirnzellen abhandengekommen und deswegen tritt er mir gegenüber immer blöde auf? Deswegen hört er nicht zu? Deswegen ist er so zärtlich wie eine außer Kontrolle geratene Motorsäge im Wald? Deswegen kullern seine Augäpfel wie von einem Magneten angezogen zielsicher auf meine Brustwarzen, obwohl hinter BH und Pulli verborgen, und bleiben dort kleben? Deswegen küsst er so erbärmlich schlecht? – Und der spricht von Liebe. Da stimmt doch was gewaltig nicht; außer, dass ich ohnehin keine liebevollen Gefühle für ihn habe.

Der Ritter ist Geschichte.

Aber dem Frust mal richtig Raum zu geben, tut mir gut.

Diese Story mit Seiner Ritterlichkeit von und zu Farblos hat mir zumindest in aller Deutlichkeit gezeigt, dass ich meinem Instinkt vertrauen muss und sollte!, um mir künftig jegliche Experimente zu ersparen. Ich täusche mich einfach nicht! Und ich kann mir vertrauen. In Zukunft werde ich meinem Bauchgefühl bedingungslos folgen. Schon beim allerersten Unbehagen werde ich die Türen verschlossen halten und nicht eine Sekunde mehr darüber nachdenken, ob ich mich irren könnte, und dass der andere ein Recht auf seine Chance haben sollte.

Was den spirituellen Weltreisenden angeht, so weiß ich inzwischen genau, warum ich ihm seine Frage vom frühen Morgen: „… aus welcher Periode ist das aktuelle Foto?“ nicht ausführlich beantworten wollte. Ich weiß ja noch gar nicht, ob der jemals irgendeine Rolle in meinem Leben spielen wird. Mit dem Teilhaben an meinen Geschichten, wird er unweigerlich zu einem Teil meines Lebens. Ein Mitwisser, ein Kenner, ein Eingeweihter. Das erfordert Vertrauen, das ich nicht fühle, nicht fühlen kann. Ich bin dem ja noch nicht mal persönlich begegnet. Und das habe ich ihm so geschrieben.

Er verstand mich, fragte aber erneut. Er dachte wohl, ich tappe in die Falle, wenn er mich unvermittelt fragt. Der will mich wohl auf den Arm nehmen? Hartnäckig sein? Interessiert es ihn so sehr?

Ich hab nochmal drüber nachgedacht und dann geantwortet mit nur einem einzigen Satz, der alles und nichts bedeuten kann und ihn eigentlich genauso dumm bleiben lässt wie vorher.

„Erwachen aus einem Alptraum durch Selbsterkenntnis nach überstandenem Trennungsschmerz, könnte ich die Periode nennen.“

Die Folge ist nun hartnäckiges Schweigen.

1 Das ist kein Tippfehler.

BEGEGNUNGEN  - Komische Vögel und Zeitfreundschaften

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