Читать книгу Die Spur des unbekannten Bruders - Winfried Paarmann - Страница 6
Das Bauprojekt in den Bergen
ОглавлениеDas Baubüro lag in einem nördlichen Vorort von Graz, zwei Autostunden von der eigentlichen Baustelle entfernt: jener ersten auf dem hinteren Berghang eines dicht bewaldeten Eintausenders, in fünfhundert Meter Höhe.
Ich besuchte ihn dort erstmals an diesem Tag.
Der Blick aus den Fenstern erlaubte einen weiten Ausblick auf das Grazer Bergland, bei klarem Wetter reichte er bis zu den weißen Gipfeln des Dachsteingebirges.
In Richards Arbeitszimmer waren die Wände dicht mit Zeichnungen gepflastert. Sie zeigten in unterschiedlichen Perspektiven die Bergvilla, mit deren Bau man inzwischen begonnen hatte. Sie hatte etwas sonderbar Festungsähnliches. Auch Zeichnungen der neuen Hotelanlage waren aufgehängt, ein Bau mit einer pompösen Front, die Luxus signalisierte.
Einer der Unterhändler hatte seinen Besuch angekündigt. Es war ein Italiener, er erkundigte sich in gebrochenem Deutsch, nach dem Fortgang des Bauprojekts und sah Akten ein. Der Mann machte einen ungeduldigen Eindruck, ich sah, dass er meinem Vater nicht besonders sympathisch war. Er sprach ein Deutsch, das ein Gemisch von Hochdeutsch mit Schweizer Dialekteinschüben und italienischen Wortbrocken war, und er verübelte es Richard, wenn er die Sätze nicht augenblicklich verstand. Mein Vater hatte sich ein anfängliches Italienisch zu Eigen gemacht, er bot dem Mann an, ihm seine Fragen auf Italienisch stellen. Doch der sah seinen Ehrgeiz darin, ein fließendes Deutsch zu sprechen. Schließlich wurde er als Unterhändler dafür bezahlt.
Richard hatte eine unangenehme Nachricht für ihn: Ein Anwaltsschreiben hatte ihn in Kenntnis gesetzt, dass die Besitzer der Alpenpension plötzlich nicht mehr bereit waren, diese Pension zu räumen. Außerdem meldete die Stadt Graz Einwände an, man wollte einen mehr „landschaftsgerechten“ Bau, der in der Tradition der alpinen Pensionen und Hotelgebäude errichtet wurde.
Der Mann gab sich, als verstünde er nicht. Dann schäumte er plötzlich. Ein Gemisch von deutschen und italienischen Flüchen quoll aus seinem Mund. Die Flüche galten der Österreichischen Gerichtsbarkeit und der Sturheit der Pensionsbesitzer wie den Österreichern in ihrer Gesamtheit. Er werde mit seinem Chef sprechen. Er versuchte zu telefonieren, doch er erreichte ihn nicht. Damit schlug die Tür hinter ihm zu.
Mein Vater fühlte seit Tagen eine gewisse Verunsicherung. Die Entwürfe sowohl für die Bergvilla wie auch für die Hotelanlage hatten ihn zunächst fasziniert. Sie waren in ihrem Stil durchdacht, bis in viele kleine Details, sie zeigten modernen Schwung, auch die Bergvilla, so sehr sie dieses Festungsähnliche hatte. Und doch: Es blieb ein Empfinden, dass sie innerhalb dieser Bergwelt etwas wie Fremdkörper waren. Oder ging es nur um eine Sache der Gewohnheit?
Er hatte die Verträge als Bauleiter unterschrieben. Und es sollte ihm und seinem Mitarbeiterstab über Monate ein festes Einkommen sichern.