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Studentische Befindlichkeiten

Mit der U- oder S-Bahn zu fahren, war eines meiner stillen Vergnügungen, um von einer Disco oder einem Kumpel zum anderen zu gelangen. Regelmäßig las ich während der Fahrt die verschiedenen Plakate, die in den Wagen aufgeklebt waren. Dabei fiel mein Blick immer wieder auf das Poster mit folgender Aufschrift:

Diplombetriebswirt in vier Jahren in der Freizeit.

Je öfter ich die schöne Schrift durchlas, desto intensiver kam mir der Gedanke, in einer Universität die Freuden eines Studentenlebens auszukosten. Da ich im Moment nichts Besseres geplant, mein Abitur vor zwei Jahren mit Ach und Krach bestanden, Vater genug Kohle hatte und mir das Rumsitzen in der S-Bahn, bei den Kumpels und zu Hause keinen Spaß mehr machte, entschloss ich mich, der Sache näherzutreten. Eine eigene Bude, von den Alten für mich gesucht und eingerichtet, stand mir nun zur Verfügung, und für die allgemeinen Bedürfnisse wohnte ein Mädel bereits ein.

Vor meinem Sitzplatz in der U-Bahn stand ein alter Mann, dem ich auf die blank geputzten, schwarzen Schuhe starren konnte. Die nächste Idee fiel mich an gleich wie ein Ast, der neben mir krachend zu Boden ging, es durchzuckte mich bis tief in mein Innerstes. Philosophie, ja, Philosophie wollte ich studieren, das war schick und würde bei meinen Kumpels garantiert für Aufsehen sorgen. Meinen Eltern war es eh gleich, Hauptsache, ich tat überhaupt etwas. Die Philosophie war Liebe zur Weisheit und ein Philosoph ein Freund der Weisheit. Welch edle Bezeichnungen für diese mysteriöse Wissenschaft, die vielleicht gar keine war! Mit der Liebe hatte ich jedenfalls keine Probleme. Auf jeden Fall gab ich meine Meldung an der Universität – Philosophische Fakultät – ab.

Studium als eine interessante und zeitraubende Beschäftigung intellektueller Köpfe. So stellte ich mir eine Arbeitsweise vor, mit der sich einige Jugendliche die Zeit vertrieben. Pünktlich fand ich mich zum Studienbeginn an der Uni ein. Meine Erfahrungen zeigten mir, dass die sogenannten Vorlesungen ein stundenlang andauernder, monologer Singsang eines Einzelnen – vergleichbar mit einer Wagneroper – waren.

Schon Hanslick hatte die gleichen Empfindungen gehabt, nur konnte er diese besser ausdrücken. Dann überlegte ich fieberhaft, warum ich eigentlich Philosophie studieren wollte.

Philosophie als Wahrheitssuche? Wohl nicht so interessant, ich könnte mir dabei selbst auf meine Schliche kommen.

Die Erweiterung meines Horizonts? Vielleicht schon eher, denn ich kannte weder Amerika noch China, fast alle anderen wichtigen Länder hatte ich schon mit meinen Eltern bereist.

Im praktischen Leben besser zurechtkommen? Das konnte ich weglassen, mir waren sämtliche Kniffe und Praktiken des Lebens bekannt.

Philosophie als Selbstzweck? Ja, genau das war es! Als Betätigung rund um das Vergnügen und wenn es sich ergab, auch der Kultur.

Gott oder Kant sei’s geklagt, die Studienpläne. Was gab es nicht alles zu studieren, so etwa die Philosophen von der Antike bis hin zur Gegenwart. Dann die Seminare: Sind sie eher eine lockere Unterhaltung von Gleichgesinnten oder schaut man dabei auf seine Hände oder Schuhe oder in die Augen der Gläubigen – einer Gläubigen, einer entzückenden Schönheit? Genau das musste ich noch herausfinden.

Die Auseinandersetzung mit den Philosophen des 19. und 20. Jahrhunderts erwies sich als glatter Fehlschuss. Die Philosophen des 20. Jahrhunderts beschäftigen sich mit denen aus dem 19. Jahrhundert, wobei sie die Frage nach Gott und der menschlichen Unsterblichkeit überwiegend aussparten. Sie fuhren lieber als aufgescheuchte Hühner durch die Weltgeschichte und stritten sich untereinander. Mich damit zu beschäftigen, fand ich schon als reine Zumutung, zumal der Marx aus dem 19. Jahrhundert vom kleinen Blüm für tot erklärt wurde und der Streit vom Sein und Bewusstsein nun erledigt war. Meine Philosophie, leben und leben lassen und das möglichst gut, genügte mir.

Da Philosophen über ihre Erkenntnisse viel redeten und ich darin bereits ein Meister war, konnte ich mir das Fach Rhetorik schenken, wo ich mich doch bereits überall in den Mittelpunkt drängte und die Lebensweise meiner mittelständischen Eltern, die einen Maschinenbaubetrieb ihr Eigen nennen, imposant vorführte.

Nach gründlichem Ausschlafen besuchte ich öfter die Vorlesungen, Prüfungen ignorierte ich. Andere Spielorte – mit der Freundin ins Bett und das Internet. Die abfälligen Blicke meiner Freundin auf die Studienbücher störten mich, ja, ich wurde nervöser und sah mich in den Nachbarsemestern um, wo ein gut aussehender Philosophiestudent noch Freude verbreiten konnte. Diese gelegentlichen Schmeicheleien netter und empfindsamer Mädchen schrien nach Belohnung. Ich konnte mich deren Lockrufen nicht entziehen und spendete zärtliche Zuwendungen. Manche Maid traf ich mit eigenem Lustempfinden bis in die freudigsten Tiefen ihres Seins. Diese Beschäftigung zog ich liebend gern einem wirtschaftlichen Nebenjob vor, den ich bald darauf aufgab.

Nach fünf so erfolgreichen Studienjahren verspürte ich in meinem Erzeugerkreis eine zunehmende Unruhe. Unverständlich für mich, denn meine Haare waren gekämmt, meine Unterwäsche roch noch nicht, und die Schnitzel schmeckten mir prächtig. Also!

Ach so, mein Erzeuger wollte Studienergebnisse sehen. Mein Prüfungsstand entsprach dem Studium von zwei Jahren, aber was soll’s – ihnen ging es doch nicht schlecht und mir auch nicht!

Erstrebenswert wäre es, vom Studienende direkt in die Rente zu wechseln, nur das stößt offensichtlich auf den Widerstand der Geldgeber, also meiner Erzeuger. Wo bleibt hier mein demokratisches Freiheitsrecht? Was sollte ein Abschluss ohne Perspektive? Gotteskinder waren wir alle. Marx löste die Frage vom Sein und Bewusstsein, und ich als Philosophiestudent – das ist mir bewusst oder selbstbewusst – lasse die Alten zu Hause bocken. Nun gut, sie leben nicht ewig und könnten ihr Vermögen, in einem umnachteten Augenblick, anderweitig verschleudern, vergeben oder sonst wie stiften. Also, aufgepasst, Junge, ändere deine Lebensweise. Schmeiße einfach das Philosophiestudium und lerne ein wenig im Maschinenbau herum. Die Mädels in diesem Studiengang sind sicher ebenfalls hübsch und vielleicht auch willig. Die Karriere als Philosoph wäre zwar in meinem Sinne gewesen, beispielsweise vom Philosophen zum Liedersänger und Doktor h.c.. Doch ob das immer so klappt und eine neue Wende kommt, ist sehr unsicher. Hoffentlich erreiche ich in weiteren fünf bis zehn Jahren im Maschinenbau einen minimalen Abschluss und somit auch die Sicherheit auf das Vermögen meiner Alten.

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