Читать книгу Der falsche Gelehrte - Winfried Wolf - Страница 5
Kommissar Meier verfolgt eine neue Spur
ОглавлениеMissmutig und grußlos hatte er das Präsidium betreten. Erst als ihm Kollegin Stumpf die Tür zum Büro aufhielt, quälte er sich ein brummiges Guten Morgen über die Lippen. Schlecht geschlafen, Chef? Das auch, was mir aber auf dem Magen liegt, sind die unerledigten Fälle. Meier wies auf den Aktenstapel auf seinem Schreibtisch. Wir kriegen das Alte nicht weg und das Neue erschlägt uns! Darf ich einen Vorschlag machen, Chef. Ich fang‘ mal an, unser Wandprotokoll zum Fall Prager abzuräumen. Ich denke, bevor wir da wieder einsteigen, müssen erst neue Fakten auf den Tisch. Vielleicht geht es Ihnen ja so wie mir. Wenn ich täglich die Fotos, Karten und Bewegungsabläufe zu einem alten Fall vor Augen habe, kann ich mich auf neue Sachen nicht konzentrieren. Wenn Sie einverstanden sind, packe ich das alles jetzt zwischen zwei Aktendeckel. Machen Sie das, Frau Stumpf. Ach übrigens, wie lange kann ich denn noch auf Ihre Mitarbeit zählen? Mit gespielter Verwunderung sah Helene Stumpf ihren Chef an. Er dachte ganz offensichtlich an ihre bevorstehende Beförderung zur Hauptkommissarin. Und ja, natürlich ergaben sich dann neue berufliche Möglichkeiten. Sie arbeitete zwar gern mit Meier zusammen aber irgendwann war es Zeit, selbst eine Ermittlung zu führen. Im Duo ging das nun mal nicht, es lag in der Natur der Sache, dass sie nach neuen Ufern Ausschau halten musste.
Am Freitag wollte sie im kleinen Kreis ihre Beförderung feien, eingeladen waren Meier, Kriminalrat Koch, Staatsanwalt König und Frau Dr. Keeser und natürlich alle, die zum letzten Ermittlungsteam gehörten, auch Kommissar Petzold von der Inspektion 6, der jetzt gerade hereinstürmte, als Kommissarin Stumpf das Bild von Rudolf Prager von der Wandtafel nahm. Er nickte Meier kurz zu, wandte sich dann aber gleich an Helene Stumpf: Wann war noch mal deine Feier? Stumpf wiederholte, was sie schon im internen Aushang kundgetan hatte: Freitag, 16.30, Ermittlungsraum fünf, 2. Stock. Petzold schaute auf das Bild, das Helene Stumpf in Händen hielt. Darf ich mal sehen? Den Mann kenne ich, der hat sich vor drei Wochen umgebracht, ist mittlerweile auch schon unter der Erde. Meier erhob sich von seinem Schreibtisch. Wer hat sich umgebracht? Petzold zeigte auf das Foto, das Helene Stumpf immer noch in der Hand hielt. Der da, er heißt Schmidt und war Beamter bei der Bundeswehr. Meier und Stumpf sahen sich an und sagten fast gleichzeitig: Das ist Rudolf Prager! Meier ergänzte: Seine Frau wurde im Juli ermordet. Lieber Herr Petzold, Sie werden doch sicherlich davon gehört haben. Petzold kratzte sich am Kinn. Das kann schon sein, aber Euer Mann hat eine gewisse Ähnlichkeit mit einem Selbstmörder, der vor drei Wochen in einem Appartement in der Kohlheppstraße gefunden wurde. Der Mann hing da vermutlich schon ein paar Tage. Ein Nachbar hat uns verständigt, weil der Postkasten von diesem Schmidt überquoll und er dessen Auto beim Einparken beschädigt hatte. Es gibt ja Gott sei Dank noch Leute, die zu ihren Missetaten stehen. Und dann diese Entdeckung. Der Mann hat sich an einem Lampenhaken aufgehängt. Naja, ich will die Kollegen jetzt nicht weiter stören, wir sehen uns dann am Freitag.
Gleich nachdem der Kollege das Zimmer verlassen hatte, heftete Helene Stumpf Pragers Bild wieder an die Wandtafel. Ich könnte Sie jetzt fragen, woran Sie gerade denken, sagte Meier. Aber ich frage Sie nicht, weil ich weiß, was Sie denken. Wir sind den Hinweisen auf einen möglichen Doppelgänger nicht ausreichend genug nachgegangen. Weil wir nichts Konkretes in der Hand hatten, ergänzte Stumpf Meiers selbstkritische Äußerungen. Wenn Sie Ihre Einladungskärtchen verteilt haben, Frau Stumpf, kümmern Sie sich doch mal um diesen Schmidt. Vermutlich geht uns die Sache nichts an, aber andererseits will ich mir nicht den Vorwurf machen lassen, eine wichtige Spur nicht gesehen zu haben. Das mit den Einladungskärtchen war keine schöne Bemerkung, Chef, aber in der Sache Schmidt bin ich Ihrer Meinung. Helene Stumpf verließ ihren Platz an der Wandtafel und ließ hörbar die Tür hinter sich zufallen. Noch jemand, der an diesem Tag nicht in bester Stimmung war.