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Die Ukraine in der Weltgeschichte
ОглавлениеAls Galizien im Jahre 1772 an Österreich kam, war der politische Begriff Ukraine nicht inhaltsleer für das Europa jener Zeit. Es bestand damals schon eine ansehnliche geschichtliche Literatur deutscher und französischer Sprache über die Ukraine, als Faktor der osteuropäischen Politik. Die über Veranlassung der österreichischen Diplomatie vom österreichischen Historiker J. Chr. Engel 1796 geschriebene „Geschichte der Ukraine und der ukrainischen Kosaken“ ist ein Meisterwerk dieser historischen Literatur. Es ist seither über die ukrainische Frage nie wieder in einer fremden Sprache in so würdevoller und anziehender Form geschrieben worden.
Das politische Schicksal des Landes hat es mit sich gebracht, dass ihm selbst die historische Wissenschaft zur Stiefmutter wurde. Während dem österreichischen Darsteller der Geschichte der Ukraine, dessen Jugendjahre in die Zeit reichten, wo die Ukraine noch ein lebendiges politisches Wesen darstellte, die Kontinuität der ukrainischen Geschichte seit den Anfängen des Kyiver Staates bis zur Annexion der Ukraine durch Russland etwas Selbstverständliches war, gerieten seine Nachfolger in diesem Zweige der Geschichtsschreibung in das Fahrwasser der russischen, tendenziösen Auffassung, welche – indem sie die Orthodoxie und formelle historische Zusammenhänge als Elemente der russischen Geschichte verwertete – parallel mit der Besitzergreifung der ukrainischen Länder durch Russland, auch die altehrwürdige Geschichte dieser Länder als etwas Eigenes und Selbstständiges ausmerzen wollte.
Nicht nur in den russischen Geschichtsbüchern, auch in jedem beliebigen Handbuch der Geschichte überhaupt, bildet die Geschichte der Ukraine einen Stoff, mit dem man nichts anzufangen weiß und der bald in der Geschichte Russlands, bald in der Geschichte Polens untergebracht wird. Jahrhunderte verzweifeltster Gegenwehr reichten nicht aus, dem ukrainischen Volke einen Platz in der Geschichte der europäischen Völkerfamilie zu sichern und den Anspruch durchzusetzen, mit seiner wahren Vergangenheit gehört zu werden gegenüber großartigen Geschichtsfälschungen.
Aber unbekümmert um die Auffassung der Schematiker historischer Ereignisse schreitet die Geschichte ihren Weg, und in dem Maße, als der Krieg, in dem wir stehen, unaufschiebbare Völkerbefreiungen vorzubereiten scheint, hebt er auch, ein gewaltiger Bringer der Wahrheit, die Schleier der Vergangenheit.
Von zwölf Seiten ist die Welt in Brand gesteckt worden. Die Ländergrenzen wurden verwischt, eine neue Karte der Weltteile bereitet sich vor. Es hat der Vorsehung gefallen, dass der Weltbrand auf jener weiten Steppe der Ukraine zum Löschen gebracht werden soll, wo seit den Tagen der Völkerwanderung bis hinein in die Neuzeit im Kampfe zwischen Kultur und Barbarei unermessliche Ströme Blutes geflossen sind. Die Ukraine hat den Sieg der Kultur in Europa mit ihrem Glücke bezahlt. Wieder emporzukommen, ist heute ihr unbestreitbares Recht.