Читать книгу In den Drachenbergen - Wolf Awert - Страница 7

Tamalone

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Was für eine Nacht! Als Tama am Morgen aufwachte, waren ihre Erinnerungen so undeutlich wie die Bilder in einem Teich, wenn der Wind die Wasseroberfläche kräuselt. Trotzdem hörte sie noch immer Pando heulen und toben und musste nun mit der Gewissheit leben, dass ihr einzig wirklicher Freund sie nicht mehr erreichen konnte. Das tat weh und schmerzte sie umso mehr, als ihr klar wurde, dass sie weder bei ihrer leiblichen Mutter noch bei ihren neu gefundenen Stiefgeschwistern willkommen war. Sie vertrieb den Schmerz mit ihrem Willen und ersetzte ihn durch Trotz. Aureons tröstenden Arm wischte sie weg, aber sein Lächeln ließ ihre Abwehr schwinden. Er tat ihr gut und brachte etwas Freude zurück. War sie jetzt tatsächlich bereits zum zweiten Mal in seinen Armen aufgewacht? Sie drehte sich schnell von ihm weg, als die Wärme der Verlegenheit ihre Wangen rötete.

„Komm, aufstehen!“, rief sie. „Der Tag riecht schon reif.“

„Was du riechst, nennen wir Frühstück.“ Aureon lachte. „Und was machen wir heute?“

Tama wurde von einem auf den anderen Augenblick ernst, als Aureons Frage die Nacht zurückbrachte. „Nichts“, sagte sie kühl. „Ich kehre in das Viertel des Handwerks zurück. Versuch gar nicht erst, mir das auszureden.“

Das Frühstück hatten die beiden für sich, denn Altwi und Tamas Stiefgeschwister waren früher aufgestanden als sie und schon lange mit dem Frühstück fertig.

„Schau, sie läuft immer noch herum“, sagte Tama und zeigte auf die Schildkröte, die mit ihren stampfenden Schritten magische Muster in den Boden trat. „Haben diese Muster überhaupt eine Bedeutung? Gestern war es ein Pentagramm, heute ist es eine Girlande.“

Aureon zuckte mit den Achseln. „Frag Altwi, oder noch besser ist es, du fragst du Neven. Keiner in der Familie kennt die Schildkröte besser als sie.“

Ein tiefes Rumpeln ließ sie aufschrecken. Doch als diesem Geräusch nichts weiter folgte, kehrten Tamas Gedanken wieder zu der Schildkröte zurück. Wie am gestrigen Abend sprach das Tier zu ihr, und wie am gestrigen Abend ergaben die Sätze nur wenig Sinn. Manchmal bin ich bei dir, hörte sie und: Was beschäftigt dich? Ganz ernst wie ein ausgesprochenes Urteil dann der nächste Satz: Du brauchst mehr Kraft. Und beinahe eine Verheißung war: Warte auf mich, ich komme zu dir. Es waren wechselnde Stimmen mit unterschiedlichen Klangfarben. So als ob die Schildkröte nur ein Gefäß für etwas anderes wäre. Tama war sich noch nicht einmal sicher, dass diese Gedanken für sie allein oder überhaupt für sie bestimmt waren.

Wer bist du, dessen Stimme ich in mir höre? Oder bist du es selbst? Sie richtete ihre Gedanken auf die Schildkröte.

Bald bin ich wieder bei dir. Habe Geduld.

Tama hatte keine Geduld. Nicht an einem Morgen wie heute. Nicht nach einer solchen Nacht. Da half auch Aureons Lächeln nicht, der ihr schweigend zusah.

Die Erde schüttelte sich, kurz nur, doch es reichte, um das Gleichgewicht zu verlieren, Holz ächzte, Balken bogen sich. Glas zersprang. Irgendwo rieselte Mörtelstaub auf die Erde. Dann war wieder alles ruhig. Altwi schrie von irgendwo her: „Raus aus dem Haus!“

Jetzt standen sie auf der Straße. Die Natur war beängstigend still, wenn man einmal von den erregten Stimmen der Menschen und Komposits absah. „Noch nie so nah gewesen …“, verstand Tama.

„Lasst sie reden. Das beruhigt“, sagte Altwi. „Wir warten den nächsten Stoß noch ab. Dann gehen wir wieder hinein.“

„Woher willst du wissen, dass es nur noch einen weiteren Stoß gibt“, wollte Tama wissen, die ihren Vorsatz, mit Altwi kein Wort mehr zu sprechen, im Angesicht einer größeren Gefahr schnell wieder vergessen hatte.

„Es sind immer zwei Stöße“, sagte Altwi, was, wie jeder wusste, völliger Unsinn war. Aber nun war nicht die Zeit, über so etwas zu streiten. Dann erbebte die Erde ein zweites Mal. Schwächer, aber dafür länger.

„So, das war’s. Und jetzt wieder rein. Ich hasse es, wenn man nicht richtig stehen kann“, schimpfte Altwi. Dann schickte sie ihre Kinder durch das Haus. „Schaut nach, ob etwas zerstört wurde.“ Ruhig und gelassen nahm sie alles hin.

Tama schlug das Herz noch immer hoch oben im Hals. „Was war das?“, fragte sie mit einem Zittern in der Stimme.

„Unsere Welt ist wütend und verzweifelt wegen ihrer eigenen Machtlosigkeit. Irgendwann werden die Beben so stark sein, dass nichts mehr stehen bleibt. Aber noch ist es nicht so weit. Jedenfalls hoffen wir das alle. Sicher dürfte sich allerdings niemand mehr sein. Es ist mehr Hoffnung als Wissen.“

Tama verstand nicht, warum Altwi nicht mehr sagen konnte. Aber wenn ihre Mutter nicht wollte, dass sie verstanden wurde, dann war das eben so. Schließlich ging nichts von dem, was im Elfenviertel passierte, Tama wirklich etwas an. Die Familie hatte sie sprechen wollen, sie hatten sich gesprochen, und das war es. Altwi war ihre leibliche Mutter, und es war gut zu wissen, dass es sie gab und wie sie aussah. Ein leerer Fleck ihrer Erinnerung war nun ausgefüllt, hatte Umrisse und Farbe bekommen. Dass ihre Mutter offensichtlich nichts von ihr wissen wollte, war zwar nicht schön, aber auch nicht zu ändern. So einfach war das. Sie würde so tun, als mache ihr das nichts aus. Ganz kühl würde sie reagieren. Mindestens genauso kühl wie ihre Mutter.

Dass ihr bei diesen Gedanken eine Träne die Wange hinunterlief, bemerkte Tama nicht und die anderen auch nicht. Die waren mittlerweile zurückgekommen und sammelten jetzt gemeinsam Scherben auf. Baerben hatte einen Besen mitgebracht und fegte den Staub zusammen. Das waren keine Tätigkeiten, bei denen man den Kopf hoch hielt.

Als Tama ankündigte, dass sie nun gehen wolle, und sich für die Gastfreundschaft bedankte, ging ein Ruck der Überraschung durch die Gruppe. Aureon protestierte halbherzig, bat sie zu bleiben. Ihre Stiefgeschwister redeten auf sie ein, aber für Tama waren das alles leere Worte. Argenton schüttelte mit Bedauern im Blick den Kopf und Paluda starrte mit großen Augen ins Leere.

„Du bist sicher, dass du nicht noch etwas bleiben will?“, fragte Altwi.

„Ja, ich bin sicher. Ich weiß jetzt, dass du meine leibliche Mutter bist. Um das zu erfahren, bin ich gekommen. Mutterliebe habe ich nicht erwartet, Hass oder Abscheu auch nicht. Und habe keine Sorge, ich werde dir nicht zur Last fallen. Wo ich nicht willkommen bin, werde ich mich auch nicht aufdrängen.“

„Rede nicht über etwas, wovon du nichts verstehst. Schon gar nicht über Liebe oder Hass. Liebe hast du bisher nicht viel kennengelernt. Das ist bedauerlich. Wirklichen Hass aber auch nicht, und dafür solltest du die Götter preisen.“

„Die Frau, die mich aufgezogen hat, hat mich geliebt!“

„Sie hat dich umsorgt. Das ist etwas völlig anderes als Liebe. Und was du für Gefühle gehalten hast, war Magie. Die Wesen, die dich lieben, übersiehst du, die Wesen, die dich hassen, weil sie dich fürchten, übersiehst du ebenfalls. Also erzähl mir nichts von Liebe und Hass. Und schon gar nichts von Abscheu.“

Altwi schwieg abrupt und presste für einen Moment ihre Lippen so hart zusammen, dass von ihrem Mund außer einem geraden Strich nichts mehr zu erkennen war. „Ich weiß nicht, wer dir gesagt hat, dass ich deine Mutter bin, Tamalone. Von mir hast du das nicht gehört. Aber es stimmt. Ich bin deine Mutter. Ich wusste es von dem Augenblick an, als du aus dem Dunkel in das Licht des Elfenviertels tratest. Was nicht stimmt, ist, dass du nicht willkommen bist. Deshalb sage ich es dir ganz deutlich jetzt und vor allen Anwesenden, damit du es auch wirklich verstehst. Komme so oft, wie du möchtest. Komme immer, wenn du eine Frage hast, wenn du Hilfe brauchst, wenn du nicht weiter weißt oder wenn du einfach das Bedürfnis nach etwas Gesellschaft hast. Du kannst immer kommen. Und auch wenn du es mir nicht glaubst, du bist mir immer willkommen.

Ich habe nur einen einzigen Vorbehalt, für dessen Gründe ich dir noch nichts sagen kann. Du solltest niemals lange bleiben. Mit dieser Einschränkung wirst du leben müssen, und du wirst dafür auch keine Erklärung von mir bekommen. Auch wirst du ertragen müssen, dass ich dich nicht in den Arm nehme und lieber den Abstand zu dir suche. Irgendwann wirst du die Gründe für dieses Verhalten erfahren. Für fast alles gibt es Gründe. Überall, wohin man sieht, gibt es Ursachen und Auswirkungen. Noch nicht einmal das kurze Schütteln einer verzweifelten Erde geschieht ohne Grund. Und nun geh, wenn du gehen möchtest. Aureon und Argenton werden dich in das Viertel des Handwerks zurückbringen.“

„Ich glaube dir kein Wort, Altwi, und gehen kann ich allein. Ich brauche keine zwei jungen Männer, die mich heimbegleiten.“

„Solange du hier bei mir bist, wirst du tun, was ich sage. Jeder tut hier, was ich sage. Auch du. Es ist also nicht persönlich gegen dich gerichtet. Aureon und Argenton werden dich ins dunkle Viertel und dann durch das dunkle Viertel hindurch begleiten. Sie werden dich erst wieder im Viertel der Gestaltwandler verlassen. Wo das sein wird, kannst du gern selbst entscheiden. Und wenn du doch einmal an uns denken solltest, vergiss Paluda nicht. Sie gehört auch zu unserer Familie, ebenso wie Pola-Polon, dem du noch nicht begegnet bist. Und jetzt weg mit euch dreien.“

Tama schwieg verblüfft. Wer war Pola-Polon? Doch lieber hätte sie sich die Zunge abgebissen, als nach ihm zu fragen. Außerdem war etwas anderes für sie wichtiger. „Kannst du mir noch etwas zu meinem Vater sagen, Altwi?“

Diese Frage wirkte beinahe wie ein dritter Erdstoß. Altwis Kinder schauten sich an, als hätte Tama eine Sünde begangen, über die in sieben Generationen noch geflüstert werden würde, Aureon und Argenton bekamen den Mund nicht mehr zu. Nur Altwi stand wie immer ruhig und gelassen unter ihnen. Aber der Ruck, der durch ihren Körper gegangen war, war niemandem verborgen geblieben.

„Er war oder ist immer noch ein Mensch ohne einen Tropfen Fremdblut. Nicht so wie ich. Unsere Beziehung hat einmal schön begonnen und bitter geendet. Er ist ein Mensch, der wenig Gefühle kennt, sie aber trotzdem meisterhaft vorzutäuschen versteht.“

„Und warum habt ihr euch getrennt?“

„Weil ich nicht vertrug, was er sagte.“

„Und was sagte er?“

„Das habe ich vergessen.“

Der Tonfall in Altwis Stimme ließ es geraten sein, nicht weiter zu fragen, und Tama gab es auf, noch etwas klären zu wollen. Sie drehte sich um begab sich zur Tür. Aureon und Argenton liefen ihr nach. Noch vor der Haustür veränderten die beiden jungen Männer ihre Erscheinung so weit, dass sie auf den ersten Blick für Elfen durchgingen. Tama gelang es nur, ihre Haut ein wenig zu verdunkeln.

Argenton ging als Erster auf die Straße, schaute von links nach rechts und von rechts nach links. Dann suchte er den Halbkreis vor sich ab. „Wir haben ganz schön was abbekommen.“ Er zog Aureon zu sich heran und zeigte auf die verschiedenen Stellen, wo ein paar Trümmer herumlagen. „Du kannst rauskommen, hier ist grad niemand“, sagte er zu Tama. „Die Bürgerwehr scheint an anderen Stellen aufzuräumen. Aber du kannst sicher sein, hierher werden sie auch noch kommen.“

Die beiden jungen Männer nahmen Tama in ihre Mitte, jeder von ihnen legte seinen Arm besitzergreifend um ihre Taille. „He, lasst das“, beschwerte sie sich.

„Pssst, sei still. Es sind nur wenige Leute unterwegs, weil es noch so früh ist. Und wenn wir der Bürgerwehr begegnen, wirkt es so, als hätten wir eine vergnügliche Nacht miteinander verbracht. Sei sicher, niemand wird uns ansprechen.“

Tama fand bereits den Gedanken daran vergnüglich und fing an zu kichern. Sie gleich mit zwei jungen Männern … Aber schon Argentons nächste Frage vertrieb alle Heiterkeit. „War es wirklich nötig, Altwi gegenüber so hart und unversöhnlich zu sein?“

„Sie hat mir weh getan. Dann passiert so etwas manchmal. Könnt ihr mich denn nicht verstehen?“

„Nein, das können wir nicht“, sagte Aureon. „Aber mach dir nichts draus. Wir verstehen hier so manches nicht.“

„Was gibt es denn da nicht zu verstehen? Ich bin Altwis Tochter, und Hogger, Baerben und Neven sind meine Halbgeschwister. Aber niemand scheint erfreut darüber zu sein.“

„Und was war mit der Schildkröte? Du hast mir ihr geredet und dich ganz offensichtlich gut mit ihr verstanden.

„Was sollte denn mit ihr sein? Was hat die Schildkröte damit zu tun, wer meine Familie ist?“

„Alles“, antworteten die Zwillinge wie aus einem Munde.

„Das müsst ihr mir erklären.“

Aureon schüttelte den Kopf. „Uns steht es nicht zu, irgendetwas zu erklären. Die Schildkröte ist das Oberhaupt unserer Familie, und nur sie wird sprechen, nicht wir.“

„Was redet ihr da für einen Unsinn. Wie kann eine Schildkröte eine Familie leiten? Und mit wem sollte sie Schildkröte denn reden?“

„Vielleicht leiht sie ihre Stimme nur jemandem. Doch mit wem sie spricht, das wissen wir. Mit dir spricht sie. Das war ein guter Beginn gestern. Mit Neven spricht sie auch. Meistens spricht sie mit Neven. Manchmal aber auch mit Altwi, – allerdings nur selten.“

„Mit mir hat sie nicht gesprochen.“

„Doch, hat sie. Ich habe es gesehen. Und sie tut es sogar, ohne dass du deinen Tee vorher trinkst. Das ist wirklich erstaunlich.“

Tama war es leid, ständig Rätsel vorgesetzt zu bekommen. Sie erinnerte sich an die Satzfetzen, die durch ihren Kopf gesprungen waren. Ob die Zwillinge das meinten? Aber sie hatte nichts davon verstanden. Es war wohl besser, das Thema zu wechseln. „Wie passt ihr eigentlich in diese Familie hinein?“

Aureon schüttelte den Kopf. „Keine gute Frage“, sagte er. „Das hat etwas mit unserer Abstammung zu tun, und über Abstammung spricht bei uns niemand gern. Wir auch nicht. Aber es hat sich viel verändert während der letzten Jahre. Früher ist unsere Mutter häufiger vorbeigekommen. Sie wohnte dann immer in dem besonderen Zimmer unterm Dach. Und wenn sie nicht kam, dann war der Vater von Altwis Kindern da. Der wohnte auch in diesem Zimmer. Ganz hoch oben. Aber jetzt steht das Zimmer leer, und nur Altwi geht manchmal noch hinein, um nach dem Rechten zu schauen. Und sie schließt hinterher immer sehr sorgfältig wieder ab.“

„Auch hinter sich, wenn sie reingegangen ist“, ergänzte Argenton.

Tama hätte am liebsten auf die beiden eingeprügelt. Sie hätte schon blind sein müssen, um nicht zu bemerken, dass sich in dieser Familie alles um die Abstammung drehte. Und nicht nur hier. Gleiches galt für Pando, der ihr wahr zu machen versucht hatte, dass sie für die großen Wahrheiten noch nicht bereit war. Dieser Angeber. Wo er jetzt wohl stecken mochte? Und dann war da auch noch Paluda. Noch ein Geheimnis mehr. Was machte sie hier? Sie war ein Gestaltwandler. Wurde sie hier versteckt?

Warum ziehen Aureon und Argenton mich nicht ins Vertrauen? Sie könnten mir doch zumindest das bestätigen, was ich mir selbst zusammengereimt habe. Selbst wenn sie auch nicht viel mehr wissen als ich. Zumindest scheint das so zu sein. Sollen sie doch alle ersticken an ihren Geheimnissen.

„He!“ Sie waren in einem Teil des Elfenviertels, das Tama nicht kannte. „Wo wollt ihr denn hin?“ Das war weder der Weg, auf dem sie hergekommen war, noch führte er in Richtung Garnison. Sie gingen eher in die entgegengesetzte Richtung.

„Ganz ruhig. Entspann dich. Wir gehen spazieren, bewegen uns ein wenig. Egal wohin, Hauptsache, weg von der Garnison. Wer hier ein Ziel hat und sich schnell bewegt, fällt auf. Und auffallen wollen wir nicht. Zu viele Wachen. Du verstehst?“ Argentons silberne Augen sahen alles. Und jetzt fiel es auch Tama auf. Überall waren Komposits der Bürgerwehr damit beschäftigt, den Schutt zu beseitigen, den die Erdstöße auf die Straßen gebracht hatten. Mütter mit Kindern waren nirgendwo zu sehen. Ob die sich in den Häusern sicherer fühlten? Sie schlenderten nun ziellos umher, bis Aureon sagte: „Und jetzt scharf rechts, zu den Büschen hinüber und dann laufen.“

Die beiden Jungen nahmen Tama an die Hand und gemeinsam rannten sie los, ließen die wenigen Gebäude hinter sich. „Spring!“, rief Aureon und sie sprangen – in ein verwaschenes Dunkel hinein.

„Jetzt nach links“, kommandierte er, und Tama blieb nichts anderes übrig als zu folgen. Sie sah keinen Schritt weit in all dieser Schwärze um sie herum. Es dauerte immer seine Zeit, bis sich ihre Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten. Die beiden Brüder schienen diese Schwierigkeiten nicht zu kennen. Und als Tama endlich etwas sehen konnte, befanden sie sich bereits am Außenzaun der Stadt, oder besser gesagt, vor dem, was noch davon übrig war.

„Wenn du die Stadt einmal verlassen möchtest, ohne dass dich jemand dabei bemerkt, ist das hier die Stelle, wo du es versuchen solltest. Die Dunkelheit greift mittlerweile weit über den Zaun hinaus, und kein Komposit wird jemals hierhin kommen, um ihn zu reparieren. Vielleicht werden sie irgendwann einmal einen neuen Zaun um die Stadt herum bauen. Außerhalb der Dunkelheit. Aber auch der wird früher oder später von der Dunkelheit durchdrungen werden. Niemand kann die Toten aufhalten. Sie werden immer stärker.“ Aureons Stimme hatte sich zu einem Flüstern herabgesenkt und vertrieb die letzten Reste eines frischen Morgens. Es roch dumpf, kein Lüftchen regte sich, und um sie herum herrschten Alter, Vergängnis und Vergessenheit.

„Aber ich will gar nicht aus der Stadt heraus“, sagte Tama in ganz normaler Lautstärke und brach damit den Bann.

„Ich weiß“, antwortete Aureon. „Aber du solltest diesen Weg kennen. Und jetzt komm.“

Zu dritt gingen sie dort entlang, wo die Überreste des alten Zaunes die ehemalige Stadtgrenze markierten. Wachposten waren nicht zu sehen. Man braucht nicht zu bewachen, wohin niemand gehen will, und mit Leuten, die hier herauswollten, schien niemand zu rechnen. Tama fragte sich, ob es außer ihnen noch jemand gab, der hier so frei umherstreifen konnte, wie sie es taten.

„Wir sind nicht mehr allein“, sagte Aureon, und seine Stimme riss Tama aus ihren Gedanken. „Jetzt wirst du ein paar weitere Bewohner des Dunkels kennenlernen. Gestalten, denen es verboten wurde, das Reich der Lebenden endgültig zu verlassen. Jetzt hängen sie hier herum und warten auf eine Gelegenheit. Zurück ins Leben oder vorwärts auf einen Weg, dessen Ziel niemand kennt. Es sind Geister“, setzte er noch überflüssigerweise hinzu.

Vor ihnen standen zwei Herren in ungewöhnlicher Kleidung und von unscharfer Gestalt. Tama streckte unwillkürlich die Hand aus – und griff durch den Nebel hindurch. Die beiden Gestalten verzogen keine Miene, doch sie konnte einen kleinen Widerstand spüren.

„Ja, junge Frau, uns gibt es wirklich. Wir sind die Stärksten in allen Welten, weil es unmöglich ist, uns zu zerstören. Wir brauchen nur Zeit, und die haben wir im Überfluss. Alle Zeit der Welt von jetzt und hier bis in die Ewigkeit.“

„Dann müsst Ihr sehr stolz und glücklich sein, und ich fühle mich geehrt, gleich zwei so mächtigen Herren hier begegnen zu dürfen.“ Tama sah nicht ein, warum sie sich von dieser dümmlichen Protzerei beeindrucken lassen sollte.

Die beiden Gestalten trennten sich voneinander, und nun konnte Tama etwas mehr erkennen. Der Sprecher der beiden war kurz, kräftig und untersetzt, der andere hochgeschossen und von hagerer Gestalt. „Ja, wir können uns glücklich schätzen, aber wir könnten auch etwas Hilfe gebrauchen, so ungern ich das zugebe. Habt Ihr zufällig etwas Brot bei euch, das Ihr entbehren könnt?“

„Das Geister hungrig sein können, ist ein neuer Gedanke für mich“, sagte Tama.

„Papperlapapp. Hungrig ist jeder, aber unser Hunger ist von einer anderen Art. Ich hänge hier fest. Böse Stimmen haben einst behauptet, ich hätte meinem Lehrherrn ein ganzes Laib Brot gestohlen. Der Richter hat ihnen geglaubt und mich dazu verurteilt, das Brot zu ersetzen. Dieses ungerechte Urteil erzürnte sogar die Götter und so schickten sie mir zur Hilfe ein Gewitter. Gleich der erste Blitz schlug in den Richterstuhl und tötete jeden in dem Raum. Blitze können zwar rächen, aber kein Urteil rückgängig machen, sodass ich zu einer Existenz verflucht bin, die mich zwischen Tod und Leben hängen lässt, bis ich genügend Brot gefunden habe, um freigesprochen zu werden. Jetzt sagt selbst, wie soll ich an einem Ort wie diesem jemals an genügend Brot kommen. Ihr habt nicht zufällig … Ja“, kreischte er auf und pickte mit Daumen und Zeigefinger auf Tamas Wams herum. Tama senkte den Blick und sah ein winziges Stück Brotkruste vom Frühstück, das sich noch auf dem Leder festhielt. Aber der Geist konnte es nicht ergreifen.

„Ich kenne nun Euer Unglück“, sagte Tama. „Brot ist hier schwer zu finden, und wenn Ihr etwas findet, könnt Ihr es nicht festhalten. Aber ich kann Euch helfen. Ich schenke Euch diesen Stein hier.“ Sie zeigte mit der Fußspitze auf einen kantigen Felsbrocken. „Dieses winzige Stück Brotkruste lege ich Euch darauf. Selbst wenn Ihr es nicht festhalten könnt, gehört es jetzt doch Euch, und damit ist ein Anfang gemacht. Und wer weiß, vielleicht komme ich noch einmal zurück mit einem zweiten Stück Brot, das ich zu diesem Stückchen lege. Schaut also immer wieder einmal vorbei. Vielleicht finde ich auch einen anderen Weg Euren Fluch zu brechen. Ist ein Fluch denn nicht das Gleiche wie ein Zauberbann?“

Über das Gesicht des Geistes breitete sich ein Lächeln aus, und sein Mund verzog sich zu einem Spalt, der den Kopf in zwei Hälften teilte. „Ihr seid ein Wunder an Weisheit und gebt mir neue Hoffnung. Ich werde mich von nun an nie sehr weit von diesem Ort wegbewegen.“

„Ich schließe mich dieser Bewunderung an“, sagte der Hagere, „und obwohl ich weiß, dass mein Schicksal besiegelt ist, will ich Euch ebenfalls meine Geschichte erzählen. Denn mir hilft nicht ein Stückchen Brot oder andere Dinge aus der Welt der Lebenden. Mir kann nur ein wirklich großer Magier helfen, einer von der Art, wie es sie einmal in unserer glorreichen Vergangenheit gab, als Menschen noch das Ohr der Götter hatten und mit ihnen das Zwiegespräch pflegten. Dieser Magier müsste zu Ende bringen, was ich begann, und einen übermächtigen Gegner besiegen. Hört zu, dieses ist meine Geschichte:

In den alten Zeiten, die wir nicht ohne Grund die großen Zeiten nennen, dienten die mächtigsten Magier den Göttern und nannten sich Priester. Mit ihrer Macht stieg auch ihr Hochmut, denn die Menschen brauchten die Priester, um zu ihren Göttern zu sprechen. Jedenfalls ließen wir sie das glauben.“ Der Geist kicherte. Tama erschauderte, denn dieses Geräusch klang grausam. „Wir handelten viele Vorteile, kleine wie große, für uns heraus. Wahrscheinlich haben wir es übertrieben, denn die Götter verweigerten uns irgendwann ihre Gunst. Wir konnten es kaum glauben, denn wir waren es doch, wir, die Priester, die diese Götter erschaffen hatten. Wie konnten sie nur? Aber es ist nun einmal so, dass alles, was in Magie getränkt und von Zauber umwoben ist, sich mit dem Leben selbst verbündet. Die alten Götter der Menschen, geboren als Auswuchs unserer Fantasien, waren über die Zeit wahrhaftig geworden. Sie besaßen nun die Macht, die wir ihnen angedichtet hatten, und mehr noch dazu. Aber Macht bedeutet nicht Klugheit, und so töteten die Götter ihre Priester. Es geschah, was unvermeidlich war. Ohne uns Priester wandten die Menschen sich von den alten Göttern ab. Ob diese dann starben, weil die Menschen sie vergaßen, oder ob sie von sich aus den großen Haufen verblasster Erinnerungen aufsuchten, kann ich nicht sagen. Auf jeden Fall verschwanden sie. Und nahmen ihre einzige große Gabe mit sich: die Unsterblichkeit. Ich blieb als Einziger aus jener Zeit übrig, weil ich für mich rechtzeitig Vorkehrungen getroffen hatte. Leider stellten sie sich als nicht ausreichend heraus, und ich blieb in einem Halbleben gefangen, aus der mich selbst meine Magie nicht mehr befreien konnte. Deshalb und nur deshalb – das schwöre ich – machte ich einen Handel mit dem mächtigsten Drachen aller Zeiten. Ich versprach ihm die Unsterblichkeit und, ihn zu einem Gott zu erheben, wenn er mir eine klitzekleine Gefälligkeit erwies.“

„Jetzt ist es Euch gelungen, mich wirklich neugierig zu machen. Wie kann man aus dem Halbleben heraus einen Drachen rufen, dessen Namen man nicht kennt. Und wie kann ein Mensch einem Drachen zur Unsterblichkeit verhelfen?“

„Ha, wer seid Ihr, dass Ihr nicht wisst, dass Drachen keine Namen haben? Sie leben allein und haben deshalb keinen Bedarf für so etwas. Na ja, vielleicht ist ‚rufen‘ nicht das richtige Wort. Sagen wir besser, ich lockte ihn an. Als die Götter mich aus der Welt der Lebenden vertrieben, verbrannten sie alles von mir außer meiner Magie, meinen Erinnerungen und meinem Namen. Damit besaß ich noch mein „Ich“, was mir die Möglichkeit bot, mir für eine begrenzte Zeit einen neuen Körper zu erschaffen, der zwar nicht wirklich war, aber dafür echt erschien. Ich arbeitete wieder als Priester, weil ich das am besten konnte, auch wenn der Gott, dem ich nun diente, eher ein Götze war. Wenn wir Menschen eines können, dann ist es, uns neue Götter zu erschaffen. Wer weiß, vielleicht wäre es mir gelungen, aus meinem falschen Gott noch einen richtigen zu machen. Schließlich war es uns bei den alten Göttern auch gelungen. Am Anfang waren sie nicht mehr als eine Verbindung aus der Kraft der Naturgeister mit den Körpern besonders großer und edel wirkender Menschen.“

„Nur damit ich es richtig verstehe“, sagte Tama und unterbrach den Redefluss des Magiers. „Die alten Götter waren einst Naturgeister. Jetzt sind sie als alte Götter weiter gezogen, und damit gibt auch keine Naturgeister mehr in dieser Welt. Aber ich bin mir sicher …“

„Ach was. Naturgeister gibt es überall, und wenn welche weg sind, dann kommen neue. Das ist wie bei den Fliegen. Mal sind sie weg und im nächsten Augenblick kommen sie in Schwärmen zurück. Keine Sorge, es gibt genug Naturgeister in unserer Welt und wir Menschen könnten aus ihnen erneut eine Bande eingebildeter und hinterlistiger Götter erschaffen, wenn wir noch die alte magische Kraft besäßen, über die wir einmal verfügten. Aber lassen wir das für den Moment. Du hattest nach dem Drachen gefragt. Der kam zu mir, von selbst und aus eigenem Antrieb. Was ich nicht wusste, war, dass auch die Drachen alte Götter besessen hatten und ihnen hinterhertrauerten. Zumindest dieser eine sprach davon, nannte sie Weltenschöpfer. Und da er sie nicht zurückholen konnte, und unser beide Welten ohne richtige Götter auskommen mussten, kam er auf die Idee, diese Leere zu füllen. Mit niemand Geringerem als mit sich selbst. Und das war meine Chance.“

Tama konnte sich ein Lächeln kaum verkneifen. „Ein gewaltiger Drache mit einem Maul voll Feuer ließ sich also aus einem blauen Himmel herab und landete vor Euch. Und dann habt Ihr Euch mit ihm unterhalten. Ganz einfach so, von Mensch zu Drache.“

„Beinahe. Nur war der Himmel wolkig, und der Drache kam zu Fuß in der Gestalt eines Menschen und Kriegers. Du scheinst nicht viel von unserer Welt zu verstehen. Ist doch jeder Drache ein Gestaltwandler, auch wenn ich zugeben muss, dass diese Biester fast immer bei ihrer Drachenform bleiben, weil das die schönste Form aller Lebewesen ist. Zumindest glauben das die Drachen selbst.“

Jetzt war Tama das Lächeln vergangen. Torso war ein Gestaltwandler, aber ganz bestimmt kein Drache. Aber was war mit Pando? War er ein Drache? Möglich. Und da niemand davon erfahren sollte, machte er aus seiner Abstammung ein fürchterliches Geheimnis.

Doch kaum hatte sie diesen Gedanken im Kopf, kamen die Zweifel bereits in Scharen. Zwar wusste sie über Drachen nicht mehr als das, was die Legenden erzählten, aber nichts davon entsprach Pando, dem Bär, oder diesem albernen Ledervogel. Ein junger Drache? Pando hatte gesagt, er sei noch sehr jung. Tama schüttelte den Kopf. Es gab nur eine Möglichkeit, aber die war so abwegig, dass sie sich sträubte, darüber auch nur nachzudenken. Nein, entweder log der Geist, oder …

„Verzeiht mir“, sagte sie. Ich bin noch jung. Wie sollte ich mich mit Drachen auskennen. Ich habe ja noch nicht einmal einen gesehen.“

Der Geist staunte. „Wie das denn? Ich spüre doch Magie in Euch. Wie könntet Ihr mich sonst verstehen? Ihr gehört ganz zweifellos zu den Kundigen. Aber was ist denn los mit Euch? Sprecht Ihr denn nicht mit Euren Ahnen? Habt Ihr nicht Teil an dem Wissen all jener, die vor Euch lebten und mit denen Ihr durch Blut verbunden seid? Jetzt wird mir langsam klar, warum es heute keine Magier mehr unter den Menschen gibt. Ihnen fehlt die Kraft. In den alten Zeiten gab jeder Magier seine Kraft an eines seiner Kinder weiter, – manch einer starb sogar vor der Zeit dafür und gab weiter, was er hatte, bevor es weniger werden konnte. Wisst Ihr denn nicht, wie viele Eltern bereit sind, sich für ihre Kinder zu opfern? Wie sollten denn sonst Magier heranwachsen können, wenn jeder von vorn beginnen müsste? He, wollt Ihr mich weiter anhören? Oder seid Ihr bereits müde?“

Tama war tatsächlich mit ihren Gedanken spazieren gegangen. Magie ohne Kraft. Hatten ihre Halbgeschwister nicht gerade das an ihr bemängelt? Hatten die denn ihre Kraft von Altwi mitbekommen. Warum dann aber nicht sie? Nein, so einfach konnte das nicht sein. „Verzeiht“, sagte sie. „So vieles davon ist neu für mich. Bitte, erzählt weiter.“

„Ich schlug dem Drachen einen Handel vor“, sprach der Geist des Magiers. „Ich versprach ihm, ihn zu einem Gott zu machen, und verlangte von ihm nicht mehr dafür als einen ordentlichen Schub Kraft, der mich wieder in die Welt der Lebenden zurückbefördern sollte. Das hätte ihn nicht ärmer gemacht. Von mir würde er die Unsterblichkeit bekommen und einen Namen. Und er musste noch etwas tun, über das Drachen, Elfen und Menschen für alle Zeiten reden würden.“

„Das war aber ein gefährlicher Handel. Ihr müsst selbst im Halbtod noch ein sehr mächtiger Magier gewesen sein, dass Ihr glaubtet, einen Drachen beherrschen zu können.“

„Nun ja, ich habe zwar seine Macht nicht unterschätzt, wohl aber seine Gerissenheit und die schwarzen Flecken seines Charakters. Aber eins nach dem anderen. Ich fand heraus, dass er mit seiner Magie sehr liederlich umging. Er nutzte sie vor allem, um hübsche Elfenmädchen zu betören und versprühte dabei so viel Magie in die Natur, dass wilde Tiere in seiner Umgebung ebenfalls zu Gestaltwandlern hätten werden können. Jedenfalls solche, die über genügend Vernunft verfügten. Alles, was ich tun musste, war, genügend Tiere in seine Richtung zu treiben und deren Vernunft etwas zu verstärken. Bei den Vögeln war das leicht. Vor allem bei den Raben. Aber fragt mich nicht nach dem Elend mit den Echsen. Dabei standen die doch den Drachen am nächsten. Dachte ich zumindest.“ Der Magier tat erschöpft, machte eine Pause und wischte sich mit einer theatralischen Geste den nicht vorhandenen Schweiß von der Stirn. „Egal. Jedenfalls erschufen wir so gemeinsam eine vierte Lebensform in unserer Welt. Zu den Drachen, Elfen und Menschen gesellten sich die Gestaltwandler. Und ich gab dem Drachen einen Namen, damit die Wesen der Vernunft wussten, über wen sie reden konnten, und empfahl ihm, in seinen Anstrengungen nie nachzulassen und immer dafür zu sorgen, dass genügend neue Gestaltwandler entstanden. Viele mussten es ja nicht sein. Und außerdem tat er auch etwas Gutes für sein Volk, das einen Schuss Wildblut ganz gut vertragen konnte. Jedenfalls, was die Echsen betraf. Ich war überrascht, mit welcher Leichtigkeit ihm das gelang und erschrak vor seiner Kraft. Deshalb ließ ich ihn bei den alten und neuen Göttern schwören, sich an unseren Handel zu halten. Und das tat er. Er schwor. Erst dann gab ich ihm seinen Namen.

„Und er hielt sich nicht an seinen Schwur. Habe ich recht?“

„Er war der Meinung, dass kein Gott seinem Priester dient, und lachte mich nur aus. Von diesem Augenblick an hatte die Welt einen unsterblichen Drachen und einen Priester, der immer noch zwischen den Lebenden und den Toten schwebt.“

„Aber er ist kein Gott.“

„Nein, das ist er nicht. Ich wollte ihm helfen, dass die Toten ihn anbeteten, aber dazu ist es nicht mehr gekommen. Er ist kein Gott, aber er hält sich für einen. Und er ist in der Tat unsterblich.“

„Könnt Ihr ihm seinen Namen nicht wieder wegnehmen?“

„Er war klüger, als ich dachte. Nachdem er die Bedeutung der Namen erkannt hatte, nahm er mir den meinen und löschte damit meine Magie nahezu vollständig aus. Er ist nun der Einzige, der meinen Namen kennt. Für mich gibt es keine Möglichkeit, ihn zurückzugewinnen.“

„Das ist ein grauenhaftes Schicksal, wenn auch nicht völlig unverschuldet.“

„Ihr braucht nicht auch noch Salz in meine Wunden zu reiben. Meint Ihr, ich wüsste das nicht? Aber wenn Ihr diesem Drachen einmal begegnet, könnt Ihr ihn ja mal nach meinem Namen fragen. Vielleicht nennt er ihn Euch. Er liebt schöne junge Frauen. Aber wahrscheinlich bevorzugt er Elfen.“

Tama lachte auf. „Ich kann es nicht versprechen. Aber ich will ihn gern fragen. Wie heißt er denn?“

„Godwin.“

Tama winkte den beiden Geistern zum Abschied noch einmal zu. „Es muss fürchterlich sein, so zwischen den Welten gefangen zu sein“, sagte sie zu Aureon und Argenton.

„Für die Geister gibt es Hoffnung. Für uns nicht, es sei denn, wir sterben rechtzeitig. Irgendwann wird das Dunkel die ganze Erde beherrschen. Dann sind sie frei, denn niemand kann zwischen den Welten stecken bleiben, wenn es nur noch eine Welt gibt. Und falls die Welt sich selbst zerstören sollte, wie einige befürchten, dann fällt ebenfalls die Barriere zwischen den Welten zusammen, und alles beginnt von vorn.“ Aureon verstummte recht abrupt bei dieser Aussicht auf die Zukunft.

In den Drachenbergen

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