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Nix Capri: Stromboli!

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Eigentlich sollte ich mich jetzt über das kitschig-blaue Meer freuen und innerlich den alten Schnulzenschinken ‚Wenn bei Capri die rote Sonne im Meer versinkt‘ singen, meine Blicke sind aber magisch angezogen von der schwarzen Fahne, die der Stromboli aussendet. Welch ein Symbol! Mitten in die Idylle hineinknallt ein grauer Riese aus dem Meer und zeigt allen, dass sie winzig und ständig gefährdet durch ihn und seine Launen sind. Die grau-schwarzen Lavaflüsse durch das spärliche Grün bis runter an die Dörfer sprechen Bände, niemand sieht mehr die Häuser, die er gefressen hat. Niemand weiß, wie oft dies geschehen ist, ich muss Mario danach fragen, aber wahrscheinlich wird er das Problem herunterspielen. Marco und Mario. Wie nahe wir uns sind! Man verschiebt einen einzigen Buchstaben und schon ist jeder ein anderer. Ja, ich würde hier von der Figur und dem Bauch her nicht auffallen, in drei Tagen wird mein käsiges Gesicht etwas brauner sein, dann bin ich als ‚Marco‘ vielleicht schon Cosa Nostra gefährdet, weil ich irgendwelche Gebühren nicht bezahlt habe. Huch, geht’s mir jetzt plötzlich gut, ich fange seit Monaten zum ersten Mal an zu phantasieren – oder besser zu spinnen, ich bilde mir ein, dass ein solch unwichtiges Wesen wie ich von einer nationalen Institution überhaupt beachtet wird. Ich bin ein x-beliebiger Tourist, ein unangenehmer Tedesco, von dem man Abstand hält. Sie würden wahrscheinlich selbst vor einer Entführung gegen Lösegeld zurückschrecken, weil sie deswegen wochenlang den für ihre Nasen stinkenden „Weißkohl“ zu nahe ertragen müssten.

Die Häuser kommen näher, hier scheint die sichere Seite zu sein, mehr Grün bergauf, aber auch Narben von Magmaflüssen. Man muss die Insel wohl über alles lieben, um hier zu wohnen, immer bereit, nur mit dem Notwendigsten aufs Festland zu flüchten und zuschauen zu müssen, wie die geliebte Heimat in Minuten zugeschüttet wird und verbrennt.

Oh, jetzt wird es kitschig: Mario singt irgendetwas in einer anderen Sprache mit arabischen Vierteltönen dazwischen, es muss etwas Trauriges sein, er schluchzt zwischendrin und findet immer wieder zu seinen sauber intonierten Tönen zurück. Schade, dass über die Deckenlautsprecher eine quäkende Frauenpopstimme stört und sich auf den Plätzen gegenüber drei Junioren einen basslastigen Rap vorspielen, ich versuche mich auf Mario zu konzentrieren, es gelingt nicht und der Musikmix geht mir ziemlich auf die Nerven. Ich rege mich wieder mal auf über diese eiskalte, offensichtlich in Mode gekommene, mit halber Kraft gesungene Mädchenstimme, die ihren sich ständig wiederholenden kurzen, uninspirierten Refrain mit unnötig gurrenden Zwischentönen versieht und im harten Gegensatz zu Marios emotionalem Heimatlied steht. Er leidet offensichtlich dabei, schlägt hart den Takt auf das Steuerrad, reckt den Hals zum Himmel, wenn eine Passage mit Gott und der Ewigkeit vorkommt und krümmt sich zusammen, wenn das Leiden groß wird. Man muss keinen Text verstehen, er inszeniert die Geschichte mit seinem agilen Körper.

Er hupt bei der Hafeneinfahrt dreimal im Rhythmus seines Liedes:

„Mia erwartet dich schon!“

Das dort am Kai soll Marios Schwester sein? Er ist halbwegs schlank und drahtig, sie gleicht der Urfrau mit ausladendem Becken, Riesenbrüsten und gebeugtem Gang. Ob da nochmals was schiefgegangen ist in der Zeugungsfolge? Hoffentlich ist Pia aus einer anderen Linie. Immerhin, ich werde von einer Frau erwartet. Das bin ich nicht

gewohnt, meine Gaby hätte gemailt oder gesimst: ‚Erwarte dich im Zimmer oder im Café am Hafen, bitte sei pünktlich!‘ Als hätte ich Einfluss auf ein Boot oder einen Zug. Immer dieser Leistungsdruck, immer diese latente Unzufriedenheit, immer diese vorgeschobenen Negativemotionen, um sich nicht nahe kommen zu müssen. Wenn ich Freude gezeigt habe oder sie in den Arm nehmen wollte, hat sie sich verschanzt hinter Mails, die ich dringend lesen müsse oder irgendeiner banalen Aufgabe, die sofort erledigt werden musste. Streicheln ohne Proteste gab es vielleicht mal auf dem Rücken, wenn ich freie Haut erwischte, doch dann zog sie sofort ihre Kleidung darüber. Sieht man von den ersten Wochen ab, wo sie wahrscheinlich heiße Sexualität vortäuschte, um ans Ziel zu kommen, blieben ihre Haare tabu, beim Autofahren setzte sie sich so, dass ich ihre Knie nicht erreichen konnte, ihren Busen sah ich nur zufällig im Spiegel und nackt nur, wenn ich ihr versprach ‚brav‘ zu bleiben, denn ihre Malaisen waren allgegenwärtig, sie hatte eine reiche Palette an Ausreden: von Migräne über Weichteilrheuma bis hin zu Dauerblutungen.

Alle drei Monate und nach vorheriger Absprache mit genauer Angabe der Urzeit, trank sie vorweg wahrscheinlich mehrere Aprikosenlikörchen und erduldete das, was man zwischen Eheleuten als normal bezeichnet. Sie selbst litt mehr, als dass sie irgendwelche positiven Gefühle hatte. All dies muss ich mir immer bewusst machen, zu tief sitzt ihr bitteres Geifern über die Schuldfrage des Scheiterns unserer Ehe, ich hätte sie nie so behandelt, wie sie sich gefühlt hat und ich hätte nie ihre ureigenen Bedürfnisse erkannt. Offensichtlich können das alle Japaner, sie sei dort endlich glücklich, schreibt sie. Glaube ich ihr nicht, sie muss so etwas vorgaukeln. Und nachdem ich nachgefragt habe, wie dieses Glück im Detail aussieht, hat sie den Kontakt abgebrochen und sogar ihre Mailadresse geändert. Ich habe es noch nicht ganz verkraftet, sechs Jahre gemeinsamen Lebens mit dem erfolgreichen Aufbau eines mittelständischen Betriebes verbinden doch miteinander. Nicht so bei ihr! Neues Glück, totale Trennung, offensichtlich hat ihr die Abfindungssumme genügt oder vielleicht hatte sie es von Anfang an nur darauf abgesehen. Sie ist total weg aus meinem Leben, ich konnte ihr noch nicht einmal eine zusätzliche Zurückzahlung von Gerichtskosten überweisen, ich habe den Betrag dem Roten Kreuz gespendet.

„Herzlich willkommen, Marco!“

Und jetzt knuddelt mich eine unbekannte schwergewichtige Frau so, wie ich es mit meiner Ehefrau nie erlebt hatte. Wozu sich wehren? Ich mache mit, krabbele zurück, Mia freut sich und wagt einen hemmungslosen Kuss, der leicht nach rechts abrutscht, weil ihr voluminöser Busen sich zwischen unsere Arme gequetscht hat.

„Freu dich auf diese Woche bei uns! Deine Probleme lösen sich hier von selbst.“

Welch eine andere Mentalität! Bei uns hätten wir den Neuen beschrieben: ‚untersetzter, etwa Fünfzigjähriger mit grauem Anorak, Schlabberhose und Rollkoffer.‘ Hier hat Mario wahrscheinlich gefunkt: ‚typischer Pälzer, etwas verklemmt, mit persönlichen Problemen, die ihn gewaltig beschäftigen.‘

„Komm, ich nehm‘ deinen Koffer!“

„Danke, der ist nicht schwer, außerdem geht’s jetzt berghoch.“

„Bei uns ist das anners, da machen die Frauen die schwere Arbeit …“

„…und die Männer hocken rum und trinken Bier?“

„Rotwein.“

„Claro.“

„Du kommst heute Abend?“

Mein Gott, sie weiß wirklich alles.

„Gerne. Muss man bei euch ein Geschenk mitbringen?“

„Geht auch ohne, neben der Maria steht die Kass.“

„Deine Mutter bewacht die Spendenkasse?“

Was ist jetzt mit ihr los? Sie schreit laut auf, streckt die Hände gegen den Himmel, bebt mit dem ganzen Körper und lacht mich von unten an:

„Mama mia, bist du naiv, die Maria ist eine Heiligenfigur aus Holz oder Gips, die hier in jedem Haus steht, sie ist der Mittelpunkt …“

„… und bewacht auch das Geld …“

„Und bring mir ja keine Blumen mit wie es bei Euch üblich ist. Unsere Blumen wachsen gratis im Garten oder wenn es sein muss, wild am Hügel. Du kannst mir aber als Geschenk auch bei den Vorbereitungen helfen.“

„Ich und helfen? Gerne, aber ich kann nicht viel.“

„Man kann alles lernen, wenn man will. Wir bringen jetzt dein Minigepäck ins Zimmer, dann gehst du noch schnell mal pinkeln, in der Zwischenzeit besorge ich die Utensilien und eine Schürze für dich und hole dich hier ab. Einverstanden?“

„Claro.“

Stromboli

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