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Clearwater

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Die kleine Stadt Clearwater und der angrenzende Wells Gray Provincial Park - ein wahres Urlaubsparadies im kanadischen Bundesstaat British Columbia. Türkisfarbene Seen mit schmackhaften Regenbogenforellen laden zum Baden, zum Angeln und zu ausgedehnten Kanutouren ein. Schneebedeckte Berge, wilde Flüsse mit fantastisch anmutenden Wasserfällen und dichtgewachsene Wälder verlocken zum Wandern. Sie betten das Tal in eine Kulisse, wie geschaffen für die Leinwände der Landschaftsmaler. Doch der Genuss dieser atemberaubenden Natur sollte nicht meine Bestimmung sein.

An einem sonnig warmen Tag, Ende April, hielt mein Überlandbus aus Vancouver an einer kleinen Bushaltestelle mit der Aufschrift: Clearwater Bus Station. Als Einziger stieg ich aus. Ich nahm mein Gepäck und wartete, bis der Bus weiterfuhr. Dann sah ich mich um. Weit und breit war kein Mensch in Sicht. Ich ging in das kleine Empfangshäuschen. Hinter dem improvisierten Tresen stand eine ältere Frau. Sie fing gerade damit an, die Postsendungen zu sortieren, die der Busfahrer eben erst bei ihr abgeliefert hatte. Nach einer freundlichen Begrüßung fragte ich sie, wo sich der örtliche Campingplatz befände. Man hatte mir gesagt, das Camp sei direkt neben der Bushaltestelle. Doch ich konnte hier nirgendwo Zelte oder Campingwagen sehen, geschweige denn einen großen Platz.

»Das liegt daran, dass hier kein Campingplatz ist. Den findest du 5 Kilometer die Straße rauf«, antwortete die Frau.

»Dann hat man mir wohl Blödsinn erzählt?«

»Nein, nein, eigentlich nicht. Die Busstation befindet sich direkt neben dem Camp. Doch sie wird momentan von Grund auf neu gebaut. Deshalb halten alle Busse hier. Das ist nur vorrübergehend. Ich kann dir aber ein Taxi rufen. Das bringt dich hin.«

»Kein Problem«, antwortete ich, »das Stück gehe ich zu Fuß.«

Ich wünschte einen schönen Tag, schwang meinen vollgestopften Rucksack auf den Rücken und wanderte los. Die paar Kilometer sollten keine Schwierigkeit darstellen. Schließlich war ich nicht zur Erholung hier, sondern um Bäume zu pflanzen - Tausende Bäume. Dazu musste man fit sein. So nahm ich den Fußweg als Training gern in Kauf. Ich wusste nicht genau, was mich in den nächsten Wochen erwartete, nur, dass es nicht leicht werden würde. Der anstrengende Job als Baumpflanzer ist in Kanada nichts Ungewöhnliches, fast eine Art Lebenseinstellung. Viele haben ihn irgendwann schon mal gemacht oder kennen jemanden, der ihn gemacht hat.

Nach wenigen hundert Metern Asphaltebene führte die Straße zum Camp stetig bergauf.

»Das fängt ja gut an«, dachte ich.

Schwitzend erreichte ich den Campingplatz. Dort herrschte gähnende Leere. Kein einziges Wohnmobil parkte in den Buchten. Kein Hering spannte die Schnur irgendeines Zeltes.

War ich hier falsch?

Ein Kleintransporter fuhr an mir vorbei. Er hielt an einem langgezogenen, weißen Flachbau. Im Inneren schien eine Spur von Leben erkennbar. Ich marschierte hin. Durch eine Schwingtür gelangte ich in das Gebäude, das sich als Rezeption herausstellte - als vermüllte Rezeption. Überall lag Krimskrams. Kisten standen herum. Im Nebenraum, dem Speisesaal, reihten sich Tische und Stühle akkurat gestapelt aneinander. Es klapperte. Ich vernahm Stimmen. Scheinbar waren die Platzbetreiber gerade am Einräumen. Mit meiner linken Hand schlug ich auf die Tresenklingel. Das Klappern und die Stimmen verstummten. Eine blonde Frau kam aus der Küche.

»Ah! Auch ein Pflanzer?« fragte sie mich.

»So sieht’s aus! Wolf mein Name.«

»Hallo Wolf, ich bin Linda. Mir und meiner Familie gehört der Platz hier.«

»Viel ist aber nicht los«, meinte ich.

»Noch nicht! Die Saison startet erst in ein paar Tagen. Deshalb sind wir kräftig am Sortieren. Es gibt noch viel zu tun. Aber jetzt zeige ich dir erst mal alles und gebe dir deinen Zimmerschlüssel.«

»Bin ich der Einzige bis jetzt?«

»Nein. Ein paar Leute sind schon da. Und der Rest müsste morgen oder übermorgen eintrudeln.«

Linda brachte mich zu einer Wohnanlage aus doppelstöckigen Holzbungalows. Auf dem Weg erklärte sie mir die geltenden Spielregeln und die zu beachtende Hausordnung.

»Hier ist dein Schlüssel. Du hast Zimmer Nummer 3. Ich wünsche dir viel Spaß. Falls Fragen sind, einfach zu mir kommen. Jetzt muss ich weitermachen. Wie gesagt, es gibt viel zu tun.«

Zimmer Nummer 3 bestand aus einer kleinen Küche, drei Betten und einem Badezimmer - einfach, aber durchaus gemütlich. Ich hatte gar nicht damit gerechnet, während der Pflanzsaison so komfortabel untergebracht zu sein. Stattdessen war ich davon ausgegangen, drei Monate bei Wind und Wetter in meinem Zelt verbringen zu müssen. Das hätte ich sicherlich problemlos überlebt, doch ein richtiges Bett ist ein richtiges Bett.

Nach ausführlicher Inspektion meiner Unterkunft begab ich mich auf die Suche nach zukünftigen Weggefährten. Auf dem grünen Rasen hinter den Holzquartieren saß ein junger Mann mit blonder Mähne. Vertieft in ein Buch bemerkte er nicht, dass ich mich an ihn heranschlich.

Mit den Worten: »Hallo! Bist du auch als Pflanzer hier?« gab ich mich zu erkennen.

»Ich bin Ben. Hallo! Ja, ich bin auch ein Tree Planter. Allerdings ist dies meine erste Saison.«

»Meine auch«, antwortete ich.

Wir waren also beide Rookies, wie die Neulinge genannt werden - eine erste Gemeinsamkeit. Bens französischer Akzent verriet mir, dass es sich bei ihm um einen Mitstreiter aus dem östlichen Kanada handeln musste. Und so war es auch.

»Ich stamme aus Quebec, wie die meisten der Pflanzer, die noch kommen. Normalerweise studiere ich Literatur.«

»Literaturstudent und Bäume pflanzen, wie geht denn das zusammen?« dachte ich.

Aber hatte ich richtig gehört, die meisten der Tree Planter kamen aus Quebec? Das hieße ja, alle würden hauptsächlich französisch sprechen. Darauf war ich nicht vorbereitet. Kein Wort würde ich bei Teambesprechungen verstehen. Bis zu diesem Zeitpunkt war ich davon ausgegangen, dass englisch gesprochen werden würde. Wenig später, als alle Kollegen eingetroffen waren, bestätigte sich mein Verdacht. Bis auf mich als Deutschen sowie drei Pflanzern aus British Columbia stammten alle aus Quebec und sprachen vornehmlich mit Quebecer Zunge. Mit uns wurde in gebrochenem, aber trotzdem gutem Englisch kommuniziert. Wenn sich die Quebecer jedoch in der Gruppe unterhielten, hatten die englischsprachigen Kanadier und ich als Ausländer keinen blassen Schimmer, worüber. Mit der Zeit lernten wir ein paar Wörter. Am Ende beherrschten wir sogar ganze Sätze. Doch bis dahin war es ein weiter Weg. Zwei Teams lebten von nun an im Camp und fuhren täglich raus in die Wildnis, um Bäume zu pflanzen - 1,3 Millionen Bäume insgesamt, wie ich bald erfahren sollte. Unser Oberboss hieß Steve. Ihm gehörte die Wiederaufforstungsfirma Celtic Reforestation mit Hauptsitz in Prince George. Diese bekam ihre Aufträge von den hiesigen Forstwirtschaftsbetrieben oder direkt vom Staat. Steve unterstellt waren Audrey und Matt, unsere Vorarbeiter. Jede Crew bestand aus vierzehn Pflanzern. Einige kannten sich bereits aus ihrer Heimat oder aus den Vorjahren. Ich wurde Audreys Team zugeteilt. Es setzte sich zusammen aus den Quebecern Caissy, Vince, Sara, Carol, Jenn, Maude, Jerome, Dominic, Ben, Pierre und Joe, aus den Vancouveranern Emily und Chris und aus mir, Wolf, Wolf from Germany. Eine tolle Truppe, in der ich viele Freunde fürs Leben finden sollte.

Gleich vier Frauen in meiner Crew - das hatte ich nicht erwartet.

»Die müssen ganz schön zäh sein, um diesen Job durchzuhalten«, dachte ich.

Auch in Matts Team gab es Pflanzerinnen. Wie zäh sie waren, zeigte sich bald.

Die erste Gelegenheit, meine Mitstreiter näher kennenzulernen, ergab sich bei einem gemeinsamen Spaziergang zu den nahegelegenen Helmcken Wasserfällen. Es war der letzte Tag der Ruhe. Danach ging sie los, die Knochenarbeit:

Das Tree Planting!

Ich seh den Wald vor Bäumen nicht

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