Читать книгу Corona-Krise - Wolfgang Eibner - Страница 4

1.1 Die Verantwortung neoliberalen Denkens für die aktuelle Situation

Оглавление

Insbesondere unsere westlichen Gesellschaften mit den USA an der Spitze der „neoliberalen ökonomischen Evolution“, aber auch China mit einem verdeckten, aber umso radikaleren System der wirtschaftlich globalisierten Ausbeutung unseres Planeten, verfolgen seit spätestens den frühen 80er und 90er Jahren einen globalisierungskapitalistischen Weg, der nicht nur unseren Planeten, sondern auch uns Bürger überfordert.

 Der Neoliberalismus entmündigt weltweit den Bürger zugunsten immer höherer Profite für immer weniger Globalisierungsgewinner, immer fragilerer Sozialsysteme und immer globalisierterer Liefer- und damit auch Versorgungsketten.

Das Problem einer Kritik am neoliberalen Kapitalismusbild ist, dass diese Wirtschaftsordnung eine im historischen Vergleich nie dagewesene, immer weiter steigende materielle Güterversorgung der Welt und daraus resultierendes Wachstum und oft auch Wohlstand generieren konnte.

Die Schattenseite dieser unbestreitbaren materiellen Erfolgsbilanz aber umfasst

 zum einen ein „Leben jenseits aller Ressourcen“ im Sinne einer zunehmenden Ausrottung von Tier- und Pflanzenarten durch Vernichtung von deren letzten Lebensräumen, Abholzung der letzten Primärwälder insbesondere am Amazonas, in Indonesien und Zentralafrika, einschließlich der u. a. hierdurch mitverursachten Klimaveränderungen,

 zum anderen vor allem aber auch die zunehmenden sozialen Verwerfungen infolge einer Umverteilung der Wohlstandsgewinne von „unten“ nach „oben“.

Mein Kollege Thomas PIKETTY hat in seinen zwei wegweisenden Werken{2}, {3} ganz klar und unwiderlegbar herausgearbeitet, dass wir uns seit Beginn der „neoliberalen Revolution“ durch die sog. Monetaristen in Wissenschaft (Milton FRIEDMAN) und Politik (Ronald REAGAN und Margaret THATCHER in der Vergangenheit oder insbesondere auch solche Leute wie TRUMP, BOLSONARO und DUTERTE aktuell) einer dramatischen und jede Nachhaltigkeit ignorierenden Umverteilung von Einkommen und vor allem aber von Vermögen an das oberste Dezil (10 %) beim Einkommen oder gar Perzentil (1 %) beim Vermögen der Bevölkerung gegenübersehen.

Das heißt im Klartext: Die großen ökonomischen Gewinne aus der Globalisierung gehen an der großen Masse der Bevölkerung nicht nur vorbei, sondern die große Masse der Bevölkerung wird immer ärmer und lebt in einem immer prekäreren ökonomischen Umfeld: statt lebenslanger beruflicher Sicherheit fragwürdige, befristete Arbeitsverträge, marode Gesundheitssysteme, überforderte Altersversorgung, kinderfeindliche Lebens- und Arbeitsbedingungen, sich verschlechternde Umweltsituation usw.

Was wir als Bürger und Gesellschaft in den letzten Jahren nicht gesehen haben oder nicht sehen wollten, ist folgender dramatischer Wandel, der die (keynesianische) Ordnung der 50er, 60er und 70er Jahre so grundlegend unterscheidet von der sich spätestens seit Anfang der 80er Jahre immer stärker neoliberal ausrichtenden Wirtschaftsstruktur:

 Die Wirtschaft, die Ökonomie, war für den Menschen da; jetzt ist der Mensch für die Wirtschaft da.

Alle Produktionsfaktoren – und dazu gehört auch der Mensch – müssen um jeden Preis kostenminimiert, rationalisiert, jederzeit schnell substituierbar „verwendet“ werden, nur dann ist das Unternehmen wettbewerbsfähig und kann überhaupt noch Arbeitsplätze bereitstellen.

Und genau das ist das Dilemma: Kein Unternehmen, auch keine einzelne Gesellschaft (Staat, Regierung, Bevölkerung) kann sich dieser „Ausbeutungsoptimierung“ entziehen, ohne völlig aus dem ökonomischen Kreislauf zu fallen.

Dabei nimmt diese Fokussierung auf eine Kostenminimierung um jeden Preis auch nicht das Gesundheitssystem aus:

Ganz im Gegenteil werden hier seit spätestens Anfang der 90er Jahre Krankenhäuser (ebenso wie Pflegeeinrichtungen) zunehmend nicht mehr versorgungsorientiert geführt, sondern gewinnorientiert. Staatliche Krankenhäuser werden zunehmend privatisiert und damit immer offener „kostenverantwortlich“ geführt – was nichts anderes heißt, als massiv Personal einzusparen und immer weniger Ressourcen (für Unwägbarkeiten und zur Krisenvorsorge) vorzuhalten.

So verwundert es wenig, dass die Todesfälle im Rahmen der Corona-Pandemie dort am stärksten sind, wo die Gesundheitssysteme durch zu geringe Investitionen marode sind und/oder mit zu wenig Personal (kompetentes, ausgebildetes Pflegepersonal) geführt werden. Unrentable Krankenhäuser werden geschlossen – und erhöhen damit potentielle Versorgungsengpässe oder gar -lücken in Zeiten wie diesen (Pandemien).

Damit sind wir bei der Eingangsfrage dieser Überlegungen:

Die Corona-Krise zeigt in aller Härte auf, dass die Globalisierung, die die Welt wie ein Spinnennetz umfasst, zukünftig nicht mehr akzeptable Risiken birgt:

Wir stellen zum ersten Mal fest, dass unser Konsum und die vermeintlich dauerhafte Versorgungssicherheit im Güter- wie im Gesundheitsbereich doch extrem fragil sind: Vorprodukte, Waren jeder Art, Lebensmittel etc. kommen aus fernen Regionen wie China und Afrika, Medikamente sehr häufig aus Indien oder China.

Wir erkennen, dass globale Lieferketten anfällig sind in einem Ausmaß, das wir bis zur Corona-Krise ignorieren konnten: „Es wird schon nichts passieren.“ Jetzt aber ist offensichtlich, dass diese globalisierte Versorgung existentiell anfällig ist. Nur ein kleines, fast banales Beispiel: Natürlich gibt es in Deutschland und der Europäischen Union genug Milch, keiner wird hieran Mangel leiden. Was aber ggf. fehlt, weil es beispielsweise nicht mehr aus China geliefert wird, sind die Verpackungen für die Milch – und plötzlich steht möglicherweise doch keine Milch mehr im Ladenregal.

Corona-Krise

Подняться наверх