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1.2 Was sich ändern muss: verantwortungsvolles
Wirtschaften und nachhaltigerer Konsum

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Wir – Unternehmen wie Konsumenten – werden wieder regionaler denken und agieren müssen: Viele Produkte müssen im Land oder im engeren Umfeld (EU) hergestellt werden, auch wenn dies teurer wird, als die Waren aus Asien, Lateinamerika oder Afrika zu beziehen (wobei die Produkte dort u. a. deshalb so günstig sind, weil Umwelt- und Sozialdumping wie auch Kinderarbeit feste Bestandteile dieser Ökonomien sind – ebenso wie eine Entlohnung im sogenannten „Ausbeutungsgleichgewicht“ einer bei Lohnsenkungen ansteigenden Arbeitsnachfrage seitens der Arbeitnehmer{4}).

Unternehmen müssen wieder verstärkt den Stakeholder (Kunden, Mitarbeiter) in den Fokus ihrer Geschäftspolitik stellen und weniger den Shareholder (Aktionär), notfalls „motiviert“ durch regulatorische oder steuerliche Rahmenbedingungen.

Der Bürger muss sich bewusst machen, dass er durch eine „Geiz ist geil“-Mentalität seinen regionalen Arbeitsplatz selbst vernichtet und dass er seine staatliche Altersversorgung und Gesundheitssicherung verspielt, wenn er nur das Billigste kauft.

 Wir alle müssen erkennen, dass weniger mehr sein kann:

Wir brauchen weniger, wenn wir unsere Bedürfnisse hinterfragen und nur das kaufen, was wir wirklich benötigen, wenn wir nachhaltig denken und kaufen: Ein doppelt so teures Produkt, das dreimal so lange hält oder dreimal so viele Vitalstoffe enthält, ist das günstigere Produkt.

Warum werden allein in Deutschland pro Jahr 20 Millionen Tonnen Lebensmittel weggeworfen (= 250 kg pro Person)? Wo ist die Wertschätzung z. B. für „Lebens“-Mittel?

Warum arbeitet „niemand“ im Agrarsektor? Warum müssen ca. 300.000 ausländische Landarbeiter{5} für uns Deutsche die Felder bestellen und ernten (bei Millionen von Hartz-IV-Beziehern oder beschäftigungslosen Migranten)?

Was, wenn – krisenbedingt – diese Wanderarbeiter nicht mehr kommen (können), um unsere Lebensmittelversorgung aufrechtzuerhalten? Ist dieser Sektor irrelevant, nur weil er in Deutschland weniger als 1 % der Wertschöpfung ausmacht – vielleicht aber genau dieses eine Prozent über Leben und Tod entscheidet?

Was ist also die Konsequenz?

 Wir brauchen eine neue Verantwortung für unser Leben und unsere Gesellschaft: bewusster, nachhaltiger Konsum{6} und damit auch nachhaltige Produktion.

Letztlich wird so produziert, wie es der Kunde will. Und durch gerechte Entlohnung statt globalisierter Ausbeutung{7} kann sich der Bürger dann auch höherwertige Güter leisten. Für den Ökonomen ist gerechte Entlohnung recht einfach: Entlohnung gemäß der Grenzproduktivität der Produktionsfaktoren Arbeit (Mensch) und Kapital (Zinsen und Maschinen){8}. Das aber ist nur möglich bei gleich starken Marktseiten der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer: Solange dem Arbeitnehmer mit „Globalisierung“ gedroht werden kann („Arbeite für weniger Lohn, sonst ist dein Job weg!“), wird Entlohnung nicht gerecht sein können.

Wie wir dem entgehen können: Rückbesinnung auf die Region (für uns sind das Deutschland und die EU) mit eigenen geeigneten und europäisch koordinierten regulierenden Maßnahmen zu einer Abgrenzung von weiterhin neoliberal agierenden Weltregionen.

Die im Vergleich zu vergangenen Zeiten heute sehr hohe Produktivität im Sinne sehr hoher Güterproduktion bei vergleichsweise geringem Arbeitseinsatz zumindest in den sog. entwickelten Volkswirtschaften Nordamerikas, Europas und Japans würde uns eine Rückbesinnung auf die eigentlichen Werte des Lebens ermöglichen, die – wenn der Corona-Pandemie überhaupt ein Wert zugemessen werden kann – uns durch ebendiese Krise bewusster werden sollten:

Der große Ökonom Lord John Maynard KEYNES hatte bereits 1928 seine zwei Jahre später als „Economic Possibilities for our Grandchildren“{9} („Wirtschaftliche Möglichkeiten für unsere Enkelkinder“) publizierten Gedanken zur Zukunft der Arbeitswelt formuliert und prognostiziert,

 dass der Mensch zur Befriedigung seiner Bedürfnisse aufgrund des seinerzeit sich immer stärker beschleunigenden technologischen Fortschritts im Jahre 2028 (also quasi jetzt) nurmehr 15 Stunden pro Woche arbeiten müsse, um seinen Bedarf an Grund- und Luxusgütern vollumfänglich decken zu können.

Von den „drückenden wirtschaftlichen Sorgen“ sei die Menschheit bis dahin erlöst und unser größtes Problem werde dann die Frage sein, wie wir unsere ganze freie Zeit sinnvoll würden füllen können.

KEYNES hatte Recht bzw. den folgenden technologischen Wandel sogar noch unterschätzt. Noch stärker unterschätzt hatte er aber, dass wir sehr wohl eine Lösung gefunden haben, wie wir unsere „freie Zeit“ nutzen können: über von natürlichen Bedürfnissen zunehmend losgelösten Massenkonsum in einer „Wegwerfgesellschaft“.

Wenn wir also heute statt dieser 15 Stunden immer noch knapp 40 Stunden pro Woche arbeiten (und z. B. Geringqualifizierte aufgrund zu geringer Entlohnung wie auch Fachkräfte aufgrund zu geringer Verfügbarkeit teilweise noch viel länger), so liegt dies primär an zwei Gründen:

 zum einen an den oben genannten massiven Verteilungsproblemen dergestalt, dass aufgrund von Marktversagen bzw. einseitiger Marktmacht der Produktionsfaktor Arbeit (weltweit) nicht entsprechend seiner Grenzproduktivität der Wertschöpfung entlohnt wird (also ausgebeutet wird), und

 zum anderen – und das ist in diesem Zusammenhang von Überlegungen zu Nachhaltigkeit und verantwortungsvollem Konsum relevant – daran, dass wir heute im Vergleich zu den von Keynes als Maßstab „notwendigen Konsums“ zugrunde gelegten 20er Jahren in den USA des vorigen Jahrhunderts spätestens seit Mitte der 60er Jahre zunehmend einem immer hemmungsloseren „Wegwerf-Konsumverhalten“ verfallen sind.

Wir alle – und der Autor schließt sich hierbei explizit mit ein – sollten vielleicht einmal nur einen Monat „Buch führen“, was wir alles für die „Mülltonne“ gekauft haben; Dinge, die uns keinen dauerhaft erfüllenden Nutzen stiften und uns über deren Produktion letztlich ein Stück auch unseres eigenen Lebens kosten. Und dabei ist die dauerhafte Schädigung des Planeten infolge maßloser Übernutzung aller Ressourcen bis hin zur Ausbeutung insbesondere auch der Menschen in den Ländern der sogenannten Dritten Welt noch gar nicht mitberücksichtigt. Die Corona-Pandemie verschärft Armut und soziale Probleme in der Dritten Welt nachhaltig.{10}

An dieser Stelle kann auch die zentrale Kritik an den Auswüchsen der Globalisierung der Mitgründerin und ehemaligen Mitherausgeberin der Wochenzeitung DIE ZEIT, Marion GRÄFIN DÖNHOFF, zitiert werden:

„Das Zurücktreten der moralischen, kulturellen und geistigen Werte hinter praktischen Leistungen und beruflichen Erfolgen, die primär in Geld gemessen werden, ist schon heute das traurige Kennzeichen unserer Zeit. Auch das neue Europa läuft Gefahr, ausschließlich auf Wachstumsraten, Nationalprodukt und Außenhandelsbilanzen konzentriert zu werden. Dass unser alter Kontinent in erster Linie durch geistige Werte charakterisiert war, dass Europa einen geistesgeschichtlichen Raum darstellte, das sollte nicht vergessen werden. Aber vieles wird vergessen: beispielsweise auch, dass der erste Satz des Ahlener Programms der damals neu gegründeten CDU lautete: ,Kapitalistisches Macht- und Gewinnstreben kann nicht Inhalt und Ziel der staatlichen Neuordnung in Deutschland sein‘. Die hier kritisierte Rat- und Konzeptlosigkeit ist keineswegs auf unser Land beschränkt; sie ist nicht nur typisch für ganz Europa, sondern auch für Amerika. Aber damit sollten wir uns nicht beruhigen, sondern versuchen, wenigstens bei uns etwas zu verändern.

Allenthalben hat die Qualität der politischen Klasse nachgelassen; aber es hat keinen Sinn und es wäre ungerecht, alle Last und alle Schuld den Politikern zuzuschieben. Vieles hängt von uns, den Bürgern ab. Wir müssen uns ändern. Ein Wandel der Maßstäbe ist notwendig.

Das Prinzip der sozialen Marktwirtschaft ist als Wirtschaftsprinzip unentbehrlich, aber es darf nicht als Entschuldigung für’s Nicht-Handeln missbraucht werden. Das Gemeinwohl muss wieder an die erste Stelle rücken. Es ist ein Skandal, dass Gewalt, Korruption und ein egozentrischer Bereicherungstrieb als normal angesehen werden, während ein unter Umständen sich regendes Unrechtsbewusstsein kurzerhand mit dem Hinweis auf die ,Selbstregulierung des Marktes‘ beschwichtigt wird.“{11}

Nur mit einem solchen Denken ist auch die Corona-Pandemie beherrschbar.

Corona-Krise

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