Читать книгу HASSO - Legende von Mallorca - Wolfgang Fabian - Страница 3
1. Herkunft
ОглавлениеHasso Schützendorfs geschäftliche wie auch private, fast immer gewinnbringende Aktivitäten waren, beruhend auf einem unbeugsamen Willen, Merkmale, die allen Schützendorf-Generationen innewohnten. Offenheit und korrektes Verhalten in allen Bereichen sind bis auf eine lange zurückliegende Ausnahme die Tugenden aller Familienmitglieder gewesen. Hasso war mit seinen zwei Gesichtern, seiner seelischen Kälte und seinem Drang nach Publizität, die zweite Ausnahme. Seine Vorfahren hatten sich auch nie gescheut, sich vermeintlich hoheitlichen Bevormundungen zu widersetzen, auch Hasso war keine Ausnahme. Und ein weiteres bedeutendes Merkmal aller Schützendorfs ist nicht zu übergehen: sie alle waren, einschließlich Hasso, hochmusikalisch.
Die Geschichte seiner Vorfahren – ihre Heimat war seit Anbeginn das Gebiet an Rhein und Ruhr – soll hier nicht chronologisch aufgezeichnet werden, es würde zu weit führen. Einige frühe Beispiele schützendorfschen Eigensinns sollen jedoch einen gewissen Einblick gewähren:
Hassos Urgroßvater, geboren im ersten Viertel des 19. Jahrhunderts, Erbe einer kleinen, aber sehr bekannten Kräuterschnapsdestille, bezahlte seine Unbeugsamkeit mit dem Tod. Er hatte die Annahme einer behördlichen Anordnung verweigert, indem er dem höfischen Gesandten, der ihn mit einer Verfügung vertraut machen wollte, nicht nur die kalte Schulter zeigte und ihn beschimpfte, sondern ihn obendrein verprügelte. Um der zu erwartenden Kerkerstrafe zu entgehen, raffte er in großer Eile bewegliches privates und geschäftliches Hab und Gut zusammen und floh samt Familie bei Nacht und Nebel auf einem Rheinfrachter, dessen Kapitän ihm freundlich gesonnen war, nach Holland, wo er unbedrängt von jeder Obrigkeit seinen Schnapsbetrieb neu aufbaute und das Produkt auch gut verkaufte. Nach über drei Jahren glaubte er an die Verjährung seiner Tat, zog ins heimatliche Rheinland zurück, wurde prompt verhaftet, verurteilt und in den Kerker geworfen. Nun waren die damaligen Gefängnisse nicht mit den heutigen Knast-Hotels zu vergleichen, sodass sich der Mann in seiner feuchtkalten Zelle eine Lungenentzündung zuzog und daran starb. Bis der Sohn alt genug und in der Lage war, den für eine lange Zeit ruhenden Betrieb neu zu organisieren und gewinnbringend zu führen, lebte die Witwe, keine Ahnung von der Schnapsherstellung und vom Geschäftsleben, mit Sohn und einer Tochter in Armut. Glücklicherweise entwickelte der Sohn den bekannten schützendorfschen Geschäftssinn, mit dem er einen Neubeginn konsequent anzugehen wusste und die alte Kundschaft zurückgewann.
Dieser Sohn war Hassos Großvater. Er sorgte für einen neuen Wohlstand in der Familie. Als der Mann alt geworden und gestorben war, musste seine Witwe das Unternehmen in fremde Hände legen, obwohl sie auf sieben erwachsene Söhne hätte zurückgreifen können. Doch jeder von ihnen hatte seinen eigenen Kopf, seine eigenen beruflichen Vorstellungen. Immerhin hatte der älteste der Brüder, als der Verkauf bereits abgemachte Sache war, sich um die abschließenden Geschäfte gekümmert, aber vollkommen interesselos; er verkehrte lieber und häufig in verrufenen Schenken und auch Freudenhäusern im Lande. Unter vorgehaltener Hand hatte es obendrein geheißen, er habe sich mit zweifelhaften Geschäften abgegeben, wofür er mit Gefängnis bestraft worden sei. Dieser Mann war die anfangs angesprochene Ausnahme unter den Schützendorfs, nun ja, bis viele Jahre später Hasso das Treiben seines aus der Art geschlagenen Onkels weit in den Schatten stellen sollte.
Ein weiteres Beispiel ist eine Komödie und nicht minder bezeichnend: Es war im Jahr 1886. Nach der Geburt des Jüngsten der sieben Brüder ließ der eigenwillige Vater auch die letzte kirchliche Aufforderung, den neuen Erdenbürger endlich taufen zu lassen, absichtlich außer Acht. Er hatte dem Säugling den Namen Leo gegeben, worin an sich kein Problem zu erkennen gewesen wäre. Dass er aber öffentlich verlangte, nur den Papst, nämlich den damaligen Papst Leo XIII., als Taufpaten anzuerkennen, ging dem örtlichen Klerus zu weit. Also wurde der Heilige Vater von dem höchst ungebührlichen und verwerflichen Verhalten eines seiner Schäfchen unterrichtet, mit der Bitte, anzuordnen, diesen anmaßenden Menschen aus der Gemeinschaft der Gläubigen auszuschließen, falls er sein unverschämtes Verhalten nicht widerrufe und bereue. Nun, der Heilige Vater wohnte der bald anberaumten Taufe nicht persönlich bei, ließ aber eine Urkunde präsentieren, selbstverständlich mit Siegel und Unterschrift, aus der hervorging, dass man ihn, Papst Leo XIII., als Taufpaten des Knaben Leo anzuerkennen und dieses auch zu dokumentieren habe.
Nun endlich konnte der kleine Leo die Taufe über sich ergehen lassen, und zwar in einem nachempfundenen Papstgewand, was den Pfarrer erneut bedenklich stimmte. Doch mit einer Bekleidungsvorschrift für Täuflinge konnte er nicht aufwarten.
Sagen wir noch etwas zu den sieben Brüdern Schützendorf. Der ungewisse Verbleib des Ältesten ist angesprochen worden. Und auch keiner der anderen Brüder ist, wie gesagt, bereit gewesen, den guten Magenbitter weiterhin zu produzieren und zu vertreiben. Dennoch sollte zukünftig der Name Schützendorf in vieler Munde und vor allem Ohren sein und bleiben und für Qualität bürgen. Denn für fünf der Brüder führte ihr ererbtes musikalisches Talent zur Berufung. Alfons, Gustav, Guido und Leo stiegen als Baritons und Bass-Baritons zu gefragten Opern- und Konzertsängern auf und wirkten in vielen bedeutenden Opernhäusern der Welt. Leo erlangte von ihnen den höchsten Ruhm; aber er starb früh, 1931, nicht einmal sechsundvierzig Jahre alt. Hassos Vater Eugen, gleichfalls gesegnet mit einer entwicklungsfähigen Stimme, gesundheitlich aber oft angeschlagen, brachte nicht die physische Kraft auf, sich singend sein Brot zu verdienen. Doch die Musik sollte auch für ihn ansehnlicher Broterwerb werden. Als Klaviervirtuose und -lehrer begleitete er, wenngleich sehr selten, den einen oder anderen seiner singenden Brüder, wenn Konzertabende angesagt waren. Ein einmaliges Ereignis war es, als die vier Brüder 1915 im Stadttheater Bremen gemeinsam auf der Opernbühne wirkten; einmalig, denn einzuhaltende Verträge gestatteten sehr selten Besonderheiten; familiäre Zusammenkünfte zählten dazu.
Hassos Vater tat sich neben seinen musikalischen Aufgaben auch als Buchautor hervor, womit er den Namen Schützendorf noch bekannter machte. Etwa Mitte des Zweiten Weltkrieges war sogar die Umgebung des Führers auf ihn aufmerksam geworden: Er wurde in die Reichskanzlei berufen, um als Mitverantwortlicher den Führungsstab der Truppenbetreuung zu bereichern. Und was war aus dem Letzten (nicht nach der Geburtsfolge) der sieben Brüder geworden? Auch er war bei guter Stimme, zog es aber vor, als Spirituosenvertreter durch die Lande zu ziehen. Es hieß, auch er hätte die Magenbittertradition seiner Familie auferstehen und erneut gewinnbringend sich entwickeln lassen können (alkoholische Getränke wurden und werden schließlich zu allen Zeiten verkauft). Aber auch er war nicht bereit, das Kräuterschnaps-Unternehmen mit frischer Verantwortung in die Zukunft zu führen.
Eugen Schützendorf heiratete um die Jahreswende 1923/24 in Düsseldorf die Tochter eines ehemaligen preußischen Generals, mit der er bereits ein Kind gezeugt hatte (Roswitha). Die junge Ehefrau entwickelte eine bemerkenswerte Energie, wenn es ihr darum ging, sich auf Bällen und Empfängen vor den anwesenden Herren in Szene zu setzen, Lebenslust zu versprühen. Doch als sie dann zum zweiten Mal schwanger ging, sah sie ihre Jugend schwinden und unterließ nichts, sich ihrer Leibesfrucht zu entledigen. Sie mutete sich überhitzte Seifenbäder zu, sprang, natürlich immer nur dann, wenn ihr Mann außer Haus war, vom Küchentisch auf den Steinfußboden oder unternahm sonst was, wobei sich das Dienstmädchen als eine heimliche Beobachterin bewies. Das Kind im Bauch Frau Schützendorfs wuchs trotzdem, strotzte jeder Gefahr und wurde im November des Jahres 1924 geboren und auf den Namen Hasso getauft. Der kleine Kerl aber hatte weiterhin unter dem Hass seiner Mutter zu leiden. So legte sie ihn, zwei Monate nach seiner Geburt, auf den vereisten Balkon ihrer Wohnung, in der Hoffnung, dass seine Lunge die Kälte nicht überstehen werde. Doch Vater Eugen war frühzeitiger nach Hause gekommen und hatte seines kleinen Sohnes Lebensgeister wieder auf Touren gebracht. Hassos aber unvermindert lebenshungrige Mutter war weiterhin unterwegs, nahm Einladungen wahr und versäumte keine Lustbarkeit in den Villen der vornehmen Gesellschaft. Bei diesen Gelegenheiten blieb es ihr natürlich nicht verborgen, dass mancher vorwurfsvolle Blick ihr zu- und nachgeworfen wurde. Sie ließ keine Gelegenheit aus, mit dem einen oder anderen freien Galan anzubandeln. Doch ausgerechnet der Fahrer ihres Mannes stieg auf zu ihrem Favoriten, und der war es dann auch, mit dem sie, ohne lange zu zögern, durchbrannte. Und Eugen – soll man sagen, der Gehörnte? – ist die Zeit hindurch über das, was sich seine Frau leistete, nicht ahnungslos gewesen. Warum er trotzdem lange an seiner Ehe festhielt? Auch er war – wie alle Schützendorfs zu allen Zeiten – den heimlichen, intimen Freuden des Lebens nicht abgeneigt und übersah nicht das andere Geschlecht. Erst dann, als ihn die Sache seiner Frau mit seinem Chauffeur zutiefst beleidigte, übergab er seine Ehe dem Scheidungsrichter. Danach blieb er unverheiratet.
Zu jener Zeit befand sich Hasso im vierten Lebensjahr. Für den bei seinem Vater heranwachsenden Jungen war Bodenständigkeit nicht die Normalität, denn sein Vater musste berufsbedingt einige Male Ortswechsel vornehmen. So verbrachte Hasso Kindheit und frühe Jugend in Weißensee bei Berlin, in Hamburg, auf Rügen und wieder in Hamburg. Er besuchte Schulen, die dem Nachwuchs der gehobenen Gesellschaftsschicht vorbehalten waren. Dennoch landete er einmal für etliche Wochen in einer Schule für Schwererziehbare – ja, er war schwer erziehbar –, in einer Institution, die einer sich entwickelnden Persönlichkeit durchaus auf Dauer negative Impulse für bedenkliche Verhaltensweisen vermitteln und erhalten kann. Besonders diese Zeit verstärkte eine sich in Hasso entwickelnde Introvertiertheit; und er wurde im Älterwerden ein Meister darin, sie mit gegenteiligem Verhalten zu überspielen – falls er es für notwendig hielt.
Hassos ältere Schwester Roswitha wuchs bei ihrer Mutter auf. Im Gegensatz zu ihr, die in Düsseldorf lebte und in hohem Alter dort auch starb, verschrieb sich die erwachsen gewordene Roswitha der noch jungen DDR in Ostberlin, wo sie Pädagogik studierte und danach als Lehrerin tätig war. Sie zeichnete sich als ein besonders wertvolles Mitglied der SED aus. Persönliche Entfaltungsbestrebungen wie in Westdeutschland waren in ihren Augen faschistische Verhaltensweisen, abträglich den Ideologien ihrer sozialistischen Volksgemeinschaft, eine diktierte und beaufsichtigte Gemeinschaft, die bekanntermaßen aber nie eine Gemeinschaft, wie wir sie verstehen, war. Ihre Einstellung, westlichen Fortschritt und Wohlstand einmal zu übersehen, änderte sich auch nicht, nachdem ihr von ihrem Bruder (noch in der DDR-Zeit) ein Auto aus westlicher Produktion zur Verfügung gestellt worden war. Geschwisterliebe? Davon konnte nie die Rede sein. Bruder und Schwester hassten sich geradezu, was nicht nur den zwei verschiedenen Systemen, in denen sie lebten und sich somit auch völlig verschieden entwickelten, zuzuschreiben war. Roswitha wurde von einem starken Herzschmerz heimgesucht, als ab November 1989 nacheinander Mauer, Tötungsanlagen und lukrative Regimeposten fielen. Und es verging eine lange Zeit, ehe sie der ersten Einladung ihres Bruders nach Mallorca nachkam. Zu der Zeit befand sie sich längst im Ruhestand, war ungewöhnlich mager, verhärmt und obendrein stark gehbehindert. Zum Verhältnis der Geschwister untereinander, und was sich dadurch ereignete, gehört in den zweiten Teil dieses Werkes.
Zurück in die dreißiger Jahre des letzten Jahrhunderts. Die interessanteste Zeit für den jungen Hasso war zweifellos die auf der Insel Rügen, wo sein Vater beruflich engagiert war. Fast täglich hielt sich der Junge im Schloss des Fürsten von Putbus auf. Franz, des Fürsten Malte jüngster Sohn, zählte zu seinen engsten Freunden. Ein Leben in aristokratischer Umgebung, die freundschaftlichen Bindungen in diesen Kreisen und die von ihr oft ausgehenden, weitreichenden Beziehungen waren seit eh und je eine Garantie für Ansehen und Erfolg.
Verantwortlich für Hassos Weiterbildung war das altehrwürdige Pädagogium in Putbus. Natürlich ging es in solch einer Institution nicht immer zu wie vermutlich in einer Klosterschule. In Hasso, inzwischen im dreizehnten Lebensjahr und seit etwa anderthalb Jahren auf Rügen wohnhaft, rührte sich erstes Geschäftsinteresse. Eines Tages entdeckte er in der Bibliothek seines Vaters explizierte Bücher wie beispielsweise den Band Die perfekte Liebe zwischen Mann und Frau. Überzeugt, mit dieser Art Literatur, noch dazu reichlich bebildert, auch seine Mitschüler begeistern zu können, zog er die Bücher, es waren deren drei, nach und nach heimlich aus dem Regal und verlieh sie gegen eine Gebühr von zehn bis fünfzehn Pfennig, je nach bebildertem Inhalt und Umfang. Doch bald bekamen die Lehrer Wind von der Sache, und da Hassos eklatantes Verhalten nicht mit ihren Moralvorstellungen in Einklang zu bringen war, musste er die Schule verlassen.
Vater Eugen wertete die Maßnahme als eine weit überzogene Reaktion, aber keiner der maßgeblichen Herren ließ sich zu einer Urteilsänderung erweichen. Hasso hatte für eine Situation gesorgt, über die sich heute niemand aufregen würde. Aber damals veranlasste sie Vater Eugen, Rügen zu verlassen. Er dachte auch nicht daran, die Bildung seines Sohnes in der Volksschule in Putbus fortführen zu lassen. Also reisten Vater und Sohn zurück nach Hamburg.
Für interessierte Leserinnen und Leser ein paar Worte zum Pädagogium in Putbus: Erbauen ließ es in den Jahren 1833/36 Fürst Wilhelm Malte I. zu Putbus, der es nach Fertigstellung dem preußischen Staat übergab. Das somit Königliche Pädagogium (Name ab 1919: Staatliches Pädagogium) war nach der Universität Greifswald das bedeutendste Bildungsinstitut Vorpommerns, bis die Nazis in den dreißiger Jahren kurzerhand die traditionsreiche Lehranstalt auflösten und dafür die Parteispezifische Erziehungsanstalt Rügen installierten und unterhielten. Die Anstalt war bis Kriegsende in Betrieb. Geraume Zeit später waren die Gebäude ein Ausbildungszentrum für Lehrer und von 1975 an wurden in den Räumen gehörlose Kinder betreut und unterrichtet. Von 2000 bis 2002 stand der Gebäudekomplex teilweise leer und drohte zu verkommen. Doch dann wurde er zu neuem Leben erweckt: Das sogenannte IT-College Putbus begann, dort Fachkräfte für Informatik auszubilden, was die ersten Jahre auch ordentlich lief, bis Insolvenz die Sache stoppte.
Ein Wort noch zu Hassos Schulfreund Fürst Franz zu Putbus. Dessen Vater, Fürst Malte, trat 1932 der NSDAP bei. Doch in den Folgejahren machte er, der nicht aus Überzeugung Parteimitglied geworden war, sondern aus Gründen, die u.a. der Sicherung seiner Familie und seinen Besitztümern dienlich sein sollten, gelegentlich mit parteischädigenden Bemerkungen auf sich aufmerksam. Genauer besehen passte der Adel nicht in das Konzept der Nationalsozialisten. Fürst Malte erfuhr sehr schnell seinen Parteiausschluss; doch nicht genug: Im Zuge der Verhaftungswelle nach dem Attentat auf Adolf Hitler am 20. Juli 1944 nahm ihn die Gestapo fest und schickte ihn zunächst in die Gefängnisse von Stralsund und Greifswald und schließlich in das Konzentrationslager Sachsenhausen, wo er 1945 als Nazi-Gegner ermordet wurde.
1990 strengte sein Sohn und Erbe Franz (der ältere Bruder Friedrich ist im Zweiten Weltkrieg gefallen) einen der größten Rückgabeprozesse in den neuen Bundesländern an. Dabei ging es um riesige Anlagen auf insgesamt etwa 16.000 Hektar. Die sowjetische Besatzungsmacht hatte noch vor Gründung der DDR die Enteignung der fürstlichen Besitztümer vorgenommen. Es war aber offensichtlich, dass bereits die Nazis die Fürstenfamilie um ihren Besitz gebracht hatten, was angeblich nicht nachzuweisen war. Andernfalls wäre für den Fürsten die Sache sicherlich positiv beschieden worden. Das Schicksal seines Vaters werteten die Richter mit der sonderbaren Feststellung: Der im KZ Sachsenhausen ermordete Fürst hätte die Möglichkeit wahrnehmen können, sich rechtzeitig vor den Nazi-Schergen in Sicherheit zu bringen. Nach diesen Rückgabeablehnungen der Gerichte rief Fürst Franz 1998 die letztmögliche Instanz an, die aber die Ablehnung seiner Ansprüche endgültig festschrieb.
Hasso realisierte nach der Wende 1989 umgehend die persönlichen Kontakte zu seinen ehemaligen Rügener Klassenkameraden. Für ihn, der der DDR-Grenze bis zur Öffnung fernbleiben musste, um sich nicht der Gefahr auszusetzen, verhaftet zu werden, wurden seine neu geschaffenen Verbindungen mehr eine Demonstration seines Reichtums als ein wahres kameradschaftlich verbundenes Bedürfnis. So folgte nicht nur hin und wieder Fürst Franz seinen Einladungen, sondern einmal auch seine sämtlich reisefähigen Klassenkameraden, die er geschlossen im Son Vida, dem Hotel allererster Güte auf Mallorca, wohnen ließ. Er demonstrierte Reichtum und Macht vor seinen Gästen aus der ehemaligen DDR, intensiv, wie nur er es fertigbrachte. Und er war stolz darauf, nach wie vor den Fürsten zu Putbus, der damals auf die Rückgabe seines Erbes hoffte, immer noch zum Freund zu haben. Es bedurfte jedoch nur weniger Folgejahre, und die wiedervereinigte Klassenkameradschaft war samt Fürstenstolz Geschichte. Schützendorfs ständig unverkennbare Selbstherrlichkeit und vage Versprechungen sind von seinen ehemaligen Mitschülern samt Ehefrauen nicht allzu lange zu ertragen gewesen.
Doch erwehren wir uns nun schnell wieder einer sich erneut heimlich einstellenden Vorwegnahme und kehren nochmals zurück in das Jahr 1936.
Hasso empfand bereits als Kind jede Bevormundung als eine Unterdrückung. Eine Rüge reichte aus, ihn in stille, manchmal auch ausbrechende Wut zu versetzen. Das konnte dann dazu führen, dass er sich Dinge ausdachte, die seine Umgebung durchaus in Schrecken versetzen konnten. Aber auch ohne einen Anlass ließ er sich die eine oder andre Dummheit einfallen. Während eines der seltenen Familientreffen im Hause eines seiner Onkel in Weißensee zündete er einen der schweren Fenstervorhänge an. Doch glücklicherweise konnte die bereits aufsteigende Flamme schnell erstickt werden. Er habe prüfen wollen, erklärte Hasso seiner fassungslosen Verwandtschaft, ob der Vorhangstoff feuerfest sei. Vater Eugen war, was die Entwicklung seines Sprösslings betraf, in ständiger Sorge. Um seinen Sohn nicht allzu oft allein gelassen zu wissen, vereinbarte er mit seiner jungen Hausgehilfin, sich auch um Hasso zu kümmern, ihm das Gefühl zu vermitteln, nicht auf sich allein gestellt zu sein und ihn anzuhalten, seine Freizeit nicht mit dummen Streichen zu vergeuden. Vater Eugen hatte nicht übersehen, dass das Mädchen, für ihn zufriedenstellend, mit seinem Sohn umzugehen wusste; und Hasso wiederum, gewissermaßen ein Feind erzieherisch tätiger Personen, versuchte sich zu bemühen, Vater und Mutterersatz nicht zu enttäuschen, was ihm nicht gerade oft gelang.
Nach der Rückkehr nach Hamburg wurde Hasso wiederum auf eine Oberschule geschickt, wo er bald auch den dortigen Lehrern negativ auffiel. Er benahm sich sehr oft respektlos und aufmüpfig und war selten zur Vernunft zu bringen, sodass seine Lehrer ihm eine düstere Zukunft prophezeiten, ja, irgendwann werde er in einem Gefängnis landen. Schon der Abschlussbericht aus dem Pädagogium in Putbus an die Hamburger Schulbehörde hatte Hasso negativ dargestellt. Seinen neuen Lehrern wurde empfohlen, sich darauf einzustellen, dass die Erziehung ihres neuen Schülers mit Schwierigkeiten verbunden sei. Dieser vorausgehenden Warnung wurde Hasso dann auch gerecht! So kam es bereits nach verhältnismäßig kurzer Zeit dazu, dass er auch dieses Gymnasium verlassen und mit einer schulischen Einrichtung für schwererziehbare Heranwachsende vorliebnehmen musste. Hassos Wesen, sein ganzes Verhalten, ging über das aller Schützendorf-Generationen beträchtlich hinaus. Deren Unbeugsamkeit trat grundsätzlich nur dann zutage, wenn sie entsprechend ihrer Vorstellung behördliche Ungerechtigkeiten oder Gängelungen hinnehmen sollten. Nein, hauptsächlich hatte ihn, sein Wesen, ein fragwürdiges, zerrüttetes familiäres Umfeld geprägt. Und nach der Rückkehr nach Hamburg war für ihn der plötzliche Verlust seiner Rügener Freunde in einem gehobenen Umfeld mit ausschlaggebend und von ihm nicht sofort zu verkraften gewesen. Dazu traf ihn die offensichtliche Überforderung seines Vaters in fast allen Belangen. Sehen wir einmal in unsere heutige Zeit hinein, so ist das, was sich Hasso im Verlauf seiner Schulzeiten, vereinfacht gesagt, an Dummheiten geleistet hatte, geradezu lächerlich. Damals waren die Zeiten eben anders. Für eine für Heranwachsende empfindliche Bestrafung reichte es oftmals, einer Unterrichtsstunde unentschuldigt ferngeblieben zu sein. Ging es um materielle Gewinne, dann war in dieser Hinsicht Hassos Erbgut unverkennbar. Denken wir nur an seinen Buchverleih in Putbus. Geschäftstüchtiges Handeln, in Verbindung mit einem Versäumnis, brachte ihn dann auch sogar in der Schule für Schwererziehbare in Schwierigkeiten. Die Angelegenheit wäre im Sande verlaufen, hätte ihn nicht ein Mitschüler, vor dem er sich mit einer Wochenend-Schwarzfahrt großspurig aufgespielt hatte, an die Lehrerschaft verraten. Hassos Vergehen: Nach einem Verwandtenbesuch in Berlin hatte er in der Berliner Bahnhofsvorhalle einem jungen Mann, dessen Reiseziel ebenfalls Hamburg war, seine Rückfahrkarte verbilligt angeboten. Der Mann griff zu, und Hasso war im Besitz von Bargeld. Davon löste er sich eine Bahnsteigkarte (noch lange nach dem Zweiten Weltkrieg für Nichtreisende erforderlich), wartete auf den Zug nach Hamburg und passte nach dem Einstieg auf, ohne Fahrerlaubnis vom Schaffner erwischt zu werden. Wegen dieser schwerwiegenden Verfehlungen, allein seine Reise nach Berlin war in seiner Schule melde- und genehmigungspflichtig, steckte ihn die Schulleitung für sieben Tage in den schuleigenen Karzer, der ihm nur zu den Unterrichtstunden aufgeschlossen wurde. Diese Einrichtung eines Schulgefängnisses für Heranwachsende förderte in Hasso zusätzlich und nachhaltig die völlige Ablehnung der autoritären, oftmals auch persönlichkeitsverachtenden Gesellschaftsform. Die Beziehungen des Vaters und der Name Schützendorf gestatteten es Hasso jedoch bald, weiterhin ein normal bürgerliches Gymnasium in Hamburg besuchen zu dürfen. Dieses Institut blieb dann bis in sein achtzehntes Lebensjahr hinein und ohne ernste Zwischenfälle seine schulische Heimat. Doch dann wurde ihm der Weg zum regulären Schulabschluss endgültig versperrt.
Hassos Abneigung gegen das Nazi-Regime, für ihn erstrangig in Gestalt linientreuer Lehrer, setzte sich mit fortschreitenden Lebensjahren unaufhaltsam in ihm fest. Aber auch nicht wenige Klassenkameraden empfanden wie er, erst recht nach Kriegsbeginn. Hinausposaunte Erfolge der Wehrmacht ins Großdeutsche Reich waren für sie kein Anlass, in Jubelstürme auszubrechen. Es waren Gleichgesinnte neben Hasso, die es nach Erlangung der Reife nicht freiwillig zum Soldatenberuf ziehen würde. Sie rechneten damit, ohnehin eines Tages zum Kriegsdienst geholt zu werden, erst recht nach dem Einmarsch der Wehrmacht in die Sowjetunion im Juni 1941. Die jungen Menschen, von parteilichen Reglements ganz und gar nicht angetan, durften sich außerhalb ihres Kreises keine Äußerungen gegen die Nazis erlauben. Natürlich gab es auch Schulen oder Klassen mit nazifreundlichen Schülern.