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2. Lehre und Studium (1957-1962)

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Auch hier leistete ich mir eine Besonderheit: die Ausbildungsdienststelle musste für mich zunächst ohne Leistung von mir Lehrlingsentgeld zahlen, weil ich mit einer Blinddarmoperation ins Krankennhaus eingeliefert wurde.

In der Berufsschule des Reichsbahnamtes wurden wir ehemaligen EOS-Schüler in einer Klasse zusammengefasst und unsere Ausbildung auf zwei Jahre reduziert. Wir müssen gegenüber den anderen Lehrlingen wohl ganz schön hochnäsig aufgetreten sein. Das hat mir meine Frau öfter aufgetischt – den das war das wichtigste Ergebnis meiner Lehrlingszeit: Ich habe dort meine Frau kennengelernt.

Noch etwas blieb im Gedächtnis haften: Ein Schulkamerad aus der Grundschul- und EOS-Zeit hatte mich nach Berlin eingeladen. Dazu brauchte ich eine Genehmigung der Ausbildungsdienststelle. Die bekam ich nur bei meiner Verpflichtung, West-Berlin nicht zu besuchen. Mein Klassenkamerad als inzwischen eingefleischter Berliner – der k-Laut anstelle von „ch“ gehörte fest zu seinem Repertoire – zerstreute meine Bedenken und mich lockte der „Westen“. Am S-Bahnhof Friedrichstraße glaubte ich jemand aus meiner Ausbildungsgruppe zu erkennen – war mir aber nicht sicher.

Viel später – in der Funktion des Schulparteisekretärs – gab es die einzigartige Möglichkeit, Einblick in die eigene Kaderakte zu nehmen. Siehe da – ich hatte mich nicht geirrt. Die Kaderakten enthielten eine Notiz, dass ich trotz meiner Zusicherung die Grenze zu West-Berlin überschritten hätte.

Am Ende der Ausbildungszeit setzte wieder das Ringen ein, wer erhält die Erlaubnis an der Verkehrshochschule in Dresden zu studieren. Außer einigen „Auserwählten“ sollten wir anderen auf verschiedene Bahnhöfe im Reichsbahnamtsbezirk Leipzig verteilt werden. Das hätte bedeutet, dass allein der Dienststellenvorsteher entschieden hätte, ob und wann wir zum Studium zugelassen werden. Dieser Weg war mir eindeutig zu unsicher. Ich besann mich auf meine Vorliebe für Deutsch und Geschichte und bewarb mich für ein Lehrerstudium.

Ende Juni 1959 hielt ich meine Zulassung für ein Studium als Deutsch- und Geschichtslehrer für die 10-klassige polytechnische Oberschule in den Händen. Die Deutsch-Ausbildung sollte am Pädagogischen Institut Leipzig, die Geschichts-Ausbildung an den historischen Instituten der Universität Leipzig erfolgen.

Das Studium begann mit einem 14-tägigen Vorbereitungslehrgang im GST-Lager Bärenstein. Die militärischen Grundübungen waren zu ertragen; wichtiger war das gegenseitige Kennenlernen. Hier wurde ich wieder zum FDJ-Sekretär gewählt.

Im Laufe des ersten Studienjahres spürten wir allmählich den Unterschied im Studienbetrieb am PI und an der Universität. An den historischen Instituten der Universität bekamen wir (in den meisten Fällen) Spezialisten des Faches als Dozenten; manche so von ihrem Fach begeistert, dass sie uns mitrissen – manche ziemlich trocken – und dann noch im Anatomie-Hörsaal an einem Wochentag 17.00 Uhr! Es blieb jedem selbst überlassen, wie er sich angesprochen fühlte und was er für sein eigenes Wissen tat. Bei der nächsten Prüfung zeigte es sich dann, was jeder Einzelne wirklich „drauf“ hatte.

Ganz anders am PI. Es war mehr oder weniger eine Fortsetzung des Schulbetriebes, bis hin zur Anwesenheitskontrolle. Wir gewöhnten uns schnell an diese Atmosphäre und waren eifrig dabei, uns mit einer Studentin unserer Gruppe auseinanderzusetzen, die mit den Inhalten und der Atmosphäre nicht zurechtkam. Nach mehreren Aussprachen blieb sie weg. Also fuhren der FDJ-Sekretär und eine etwas ältere Studentin zu ihr und ihren Eltern nach Zwickau, um erneut mit ihr zu reden. Sie bekamen wir leider gar nicht zu Gesicht und mit den Eltern fanden wir auch keinen gemeinsamen Nenner. Das Ereignis – ideologisch verpackt – fand Eingang in den Beitrag unserer Seminargruppe zum Kulturwettstreit:

(1) (Melodie: „Ich bin die Christel von der Post …“)

Ich bin aus bürgerlichem Haus,

die höhere Tochter kehr ich raus,

aber das macht nichts,

wenn man nur stolz ist,

wenn man was darstellt,

aus besserm Holz ist.

Recht wenig Arbeit und viel Geld,

ja das ist meine Welt.

(2) (Melodie: „Dunkelrote Rosen …“)

Wie mein Vater sagt, soll ich nun studieren.

Na, man kann es ja auf jeden Fall probieren.

So macht’s die Familie seit Generationen schon,

denn es gehört ja wohl bei uns zum guten Ton.

(3) (Melodie: „Mit 14 Jahren fing er als Schiffsjunge an …“)

Mit 18 fing ich dann am PI an.

Ich war fast die Jüngste, doch ich hielt mich schon ran,

und jeder Junge war hinter mir her,

o, Studium so gefällst du mir sehr.

(4) (Melodie: „Ein Männlein steht im Walde …“)

Doch dann nach einem Jahre, ach wie gemein,

da musste ich zur Prüfung und ich fiel rein.

Und sie sagten:

(5) (Melodie: „Ich komme wieder …“)

Ach komm doch wieder in einem Jahr

Setz dich mal nieder, und mach dir klar,

so geht es auf keinen Fall

sonst kommt eines Tages der große Knall.

(6) (Melodie: „Erst 17 Jahr …“)

Im Seminar Tamtam war groß,

was ich mir dächte, was mit mir los.

In der DDR wär’s wohl famos.

Nur keine Arbeit, her mit dem Moos.

(7) (Melodie: „Von den blauen Bergen …“)

Oh, mir reißt jetzt endlich die Geduld

Und dran sind die selber schuld.

Wenn sie so behandeln ihre Besten,

geh‘ ich eben nach dem Westen,

hier treibt man ja Proletenkult.

Jawohl ich bleibe dabei: In der DDR ist kein Bürgerlicher frei.

Es ist unschwer zu erkennen, wie „revolutionär“ wir uns fühlten, beeinflusst von der klassenkämpferischen Welle im Vorfeld des 13. August 1961.

Ich selbst hatte über einige Umwege meine Bestimmung gefunden: Ich konnte von den Anfängen der Geschichte an in Ereignisse, Ursachen und Zusammenhänge eindringen und diesen historischen Hintergrund mit der Entstehungsgeschichte von literarischen Werken verbinden. Dass es im Fach „Deutsch“ auch noch den Teilaspekt „Sprache“ gab, betrachtete ich als notwendiges Übel.

Starken Einfluss hinterließ bei mir das Fach Marxismus-Leninismus. Fast ohne Ausnahme hatten meine Kommilitonen Berufs- oder NVA-Erfahrungen hinter sich und dementsprechend auch Lebenserfahrungen. Deshalb gab es in den ML-Seminaren immer rege Diskussionen, Vergleiche mit den eigenen Standpunkten und keine Schwarz-Weiß-Malerei. Mir eröffneten sich Einsichten in historische Zusammenhänge und Zugänge zu den Gedanken von Marx, Engels und Lenin. Ich wollte mich in die gesellschaftliche Entwicklung stärker einbringen und bat um Aufnahme in die SED. Diese Aufnahme wurde abgelehnt mit der interessanten Begründung, „ich hätte kein gutes Verhältnis zu den Genossen der Parteigruppe innerhalb der Seminargruppe“. Mit der Berufs- und Lebenserfahrung späterer Jahre hätte ich bei dieser „Begründung“ mehr „hinter die Kulissen“ schauen müssen. Was waren die wirklichen Gründe? Richtig war, dass in der Parteigruppe einige wenige Genossen den Ton angaben, die „Revolution“ mit 3 „R“ schrieben. Sie gerieten immer wieder in Konflikte mit dem diskussionsoffenen, viele Meinungen verarbeitendem Ton der übrigen Seminargruppe. Als Seminarsekretär war es mir wichtiger, diesen offenen Ton zu erhalten, als mancher von der Parteigruppe gewünschten „Verengung“ nachzugehen.

Da hatte ich also dafür (oder für manche mir damals unbekannte Notiz in meiner Kaderakte?) die Quittung bekommen! In mir löste die Ablehnung eher eine Trotzreaktion aus: Ich wollte meiner Familie, den Kommilitonen, den Dozenten und den „Ansprechbaren“ in der Parteigruppe beweisen, dass ich „besser“ war als ihre damalige Meinung.

Großen Einfluss auf mich übte ein Literatur-Dozent aus, Herr Dr. J. Von ihm inspiriert, wandte sich mein Literatur-Interesse immer mehr der Deutschen Klassik zu und speziell Johann Gottfried Herder, dem „Vorbereiter“ und „Anreger“ der Deutschen Klassik. Besonders stolz war ich darauf, bei Dr. J. am PI sozusagen „Hilfs-Assistenten-Dienste“ zu verrichten. Einige Male lud er mich am Wochenende zu sich nach Hause ein. Dort wartete ein Berg Staatsexamensarbeiten auf uns. Ich durfte dann – gleich ihm – mein Urteil abgeben zur Staatsexamensarbeit eines mir unbekannten Kommilitonen, die dann mit der Unterschrift von Herrn Dr. J. versehen wurde. Meine Frau kritisierte das als „Ausbeutung“, ich aber fühlte mich geehrt.

Mit dem Bau der Mauer am 13. August 1961 war in unserer Seminargruppe noch ein „Problem“ zu behandeln. Wir erhielten alle die Mitteilung, dass das Praktikum verlängert wurde – über die Volkswahl hinaus. Ein Kommilitone bemühte sich darum, in seinem Heimatort als Briefwähler zu wählen. Das scheiterte. Er hatte davon die Nase so voll, dass er nicht zur Wahl nach Leipzig fuhr. Großes Problem: ein Nichtwähler; Folge: lange Diskussionen, bis er sein „Fehlverhalten“ einsah – Verbandsstrafe (Verweis).

Neben unseren beiden Studienrichtungen hatten wir ganz im Sinne der „Polytechnischen Oberschule“ 14-tägig einen „Unterrichtstag in der Produktion“ zu absolvieren: für uns die Arbeit in einer Gießerei. Das wurde ergänzt durch ein 14-tägiges Praktikum in einer LPG (Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaft). Anschließend brüsteten besonders wir Stadtkinder uns mit dem „Staatsexamen Landwirtschaft“.

Unser Prüfungspraktikum für den Unterricht absolvierte unsere Seminargruppe in Zwickauer Schulen. Zu meinem größte Bedauern durften wir kein Literatur-Thema als Prüfungsstunde wählen – sondern nur aus dem Bereich „Deutsche Sprache“. Nach anfänglichem „Abtasten“ verstand ich mich mit der Klasse und dem Mentor sehr gut und sie fieberten mit mir dem Ergebnis entgegen. Ich hatte den deduktiven Weg gewählt und wollte meine Erkenntnis krönend im Schlussteil erarbeiten. Leider war eine Schülerin so eifrig, dass sie diese Erkenntnis schon in der Mitte der Stunde erfasste. Das brachte mein ganzes logisches Gebäude zu Fall und der 2.Teil der Stunde war dann nicht so gut wie der erste.

Damit war das Ende unserer Studienzeit eingeläutet. Unser auf 4 Jahre angelegtes Studium wurde auf 3 Jahre verkürzt + 1 Jahr Fernstudium. Ausnahmslos alle Kommilitonen waren froh, bedeutete das doch: ein Jahr früher Geld verdienen.

Zuvor galt es aber die Hürde „Prüfungszeit“ zu nehmen und das hies: in 14 Tagen 12 Prüfungen. Das ging nur über ein äußerst gewissenhafte Ausarbeitung der Prüfungsschwerpunkte – Konzentration darauf am Tag vorher bzw. am gleichen Tag – Prüfung – 1 bis 2 Stunden „Luft schöpfen“ – Konzentration auf die nächst Prüfung. Im Gedächtnis haften geblieben ist mir eine Geschichtsprüfung. Als ich am Vormittag im Institut ankam, schlug mir gleich die Hiobsbotschaft entgegen: Hauptprüfer war nicht der wissenschaftliche Mitarbeiter B. zur Geschichte der Sowjetunion (das hatte er uns zuvor zugesichert!), sondern Prof. G. (jener mit der Vorlesung zur Geschichte der Volksdemokratien, wochentags 17.00 Uhr im Anatomiehörsaal). Ergebnis bisher: 2x4, einer durchgefallen! Mein Vorgänger kam bleich, aber glücklich mit einer „3“ aus dem Prüfungszimmer. Und dann ging auch noch der Institutsdirektor, Prof. M., in den Prüfungsraum! Wahrscheinlich war das aber mein Glück, denn er war jetzt der Hauptprüfer. Meinen Prüfungsschwerpunkt „Russische Revolution von 1905“ hatten wir schnell abgehandelt und dann ging es „quer durch den Garten“ bis zum Leben der Zarenfamilie im Winterpalast in (damals noch) Leningrad. Mit einer „1“ kam ich überglücklich aus dem Prüfungszimmer.

Diese „1“ sollte nicht die einzige bleiben. Bei diesem „Hauptstoß“ der Prüfungen erreichte ich ein „sehr gut“. Damit hatte sich die harte Arbeit ganz besonders in den letzten Monaten und das Zurückstellen meiner Familie gelohnt Ich hatte endlich meinen Weg gefunden und bewiesen was ich kann. Das galt auch im Hinblick auf die Genossen in der Parteigruppe, die mich abgelehnt hatten. Ob ihrer eigenen Leistungen waren sie inzwischen etwas ruhiger geworden.

Die nächste Hürde war: In welchem Teil der DDR erfolgte meine Zuweisung? Grundsätzlich galt: der Hauptteil der Absolventen geht auf das Land! Für mich als „Stadtpflanze“ ein Horror! Ich sage es offen: Frau und Kind, der Herzinfarkt meiner Mutter und vielleicht auch mein Wunsch, möglichst bald an das PI als wissenschaftlicher Mitarbeiter zurückzukehren brachte mir den Hauptgewinn: Zuweisung nach Leipzig-Stadt!

50 Jahre Lehren und Lernen

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