Читать книгу Kleider machen Leute von Gottfried Keller: Reclam Lektüreschlüssel XL - Wolfgang Pütz - Страница 5
2. Inhaltsangabe
ОглавлениеGottfried Kellers Novelle Kleider machen Leute erzählt die tragikomische Geschichte eines Mannes, der aus einem elenden Zustand der unvermittelten Arbeits-, Mittel- und Obdachlosigkeit heraus in abenteuerliche Lebensumstände gerät, an deren Ich-Suche und IdentitätsfindungEnde er die Liebe seines Lebens findet und wieder in die bürgerliche Gesellschaft zurückkehren kann.
Nach dem AusgangssituationKonkurs seines Arbeitgebers macht sich der Schneider Wenzel Strapinski »[a]n einem unfreundlichen Novembertage« (S. 3) von seinem bisherigen Wohnort Seldwyla aus zu Fuß auf den Weg zu der »kleinen reichen Stadt« (S. 3) Goldach, um dort eine Arbeitsstelle zu finden. Sein trotz Radmantel und Pelzmütze erbarmungswürdiges Aussehen und der beginnende Regen veranlassen einen Kutscher, ihm einen Platz in dem »neuen und bequemen Reisewagen« (S. 4) anzubieten, der zu einem Schlossherrn »in der Ostschweiz« (S. 4) überführt werden soll.
Beim Eintreffen im Gasthof »zur Waage« (S. 4) in Goldach wird das »arme Schneiderlein« (S. 3) wie ein vornehmer und vermögender Mann behandelt. Der Grund für diesen Fehleinschätzung mit FolgenIrrtum seitens der ihn empfangenden Personen liegt nicht nur in dem Umstand, dass er der Luxuskarosse eines Adligen entsteigt; vielmehr lassen sich die Menschen auch von dem »sorgfältig gepflegt[en]« (S. 3) Aussehen und der vornehmen Kleidung des Fremden blenden, dem ein Radmantel und eine Pelzmütze den Anschein eines sozial und materiell privilegierten Menschen verleihen.
Der Held wird zum HochstaplerZwar versucht der vermeintliche »Prinz oder Grafensohn« (S. 5) der unerwarteten und geradezu aufdringlichen Gastfreundschaft der Goldacher Bürger zu entkommen, doch nach einem gescheiterten Fluchtversuch fügt er sich in die ihm nicht zustehende Behandlung als hochstehende Persönlichkeit. So verzehrt er zunächst zögerlich ein aus mehreren Gängen bestehendes Menü, bis er schließlich, in der Annahme, dass sein Betrug ohnehin bald aufgedeckt werde, seinen großen Hunger und Durst ohne weitere Hemmungen stillt.
Durch eine Lüge des Kutschers, der sich einen Spaß erlaubt und behauptet, dass es sich bei dem fremden Mann um den polnischen Grafen Strapinski handele, fühlen sich die Wirtsleute zu weiteren Bemühungen um dessen leibliches Wohl angetrieben.
Schnell spricht sich die Anwesenheit des »Grafen« herum. Von den reichen Bürgern der Stadt, welche den angeblichen Adligen zu gemeinsamen Vergnügungen auf das Gut des Amtsrates einladen, durchschaut lediglich der Buchhalter Melchior Böhni als intriganter GegenspielerBöhni die falsche Identität des Fremden, da ihm dessen »wunderlich zerstochene[n] Finger« (S. 16) auffallen. In der sensationsgierigen Hoffnung auf einen neuen Skandal im ereignislosen Alltag der Stadt Goldach behält Böhni seine Entdeckung für sich und setzt sogar beim Kartenspiel Geld für Strapinski ein, um zu verhindern, dass auch die anderen Geschäftsleute misstrauisch werden und die Wahrheit an den Tag kommt.
An dem Vorhaben, mit dem beim Spiel gewonnenen Geld seine Schulden im Gasthof zu begleichen und sogleich die Stadt zu verlassen, wird Strapinski ein weiteres Mal gehindert, als er im Haus des Amtsrates auf dessen Ein Fräulein betritt den SchauplatzTochter Nettchen trifft und sich in sie verliebt. Er nimmt daher die Einladung des Hausherrn zum Abendessen an und ist glücklich, an der Seite von Nettchen Platz nehmen zu dürfen.
Wenn er auch nicht ohne gelegentliche Zweifel und Gewissensnöte ist, so übernimmt der Schneider schließlich doch ganz die RollenanpassungRolle des Grafen, den man in ihm zu sehen glaubt. Zugleich deuten die Menschen, mit denen er Umgang hat, sein nach wie vor unsicheres Verhalten als Ausdruck seiner Vornehmheit.
Zurück im Gasthof zur Waage, vollzieht Wenzel Strapinski den endgültigen Wendepunkt hin zu einem vorsätzlichen Täuschungsmanöver, als er gegenüber dem Wirt mit den Worten »Man muss meine Spur verlieren für einige Zeit« (S. 21) gezielt den Eindruck erweckt, als ob ihn ein dunkles Geheimnis umgebe. Auf diese Weise verhindert er, dass man sich auf die Suche nach dem inzwischen abgereisten Kutscher begibt, da man annimmt, dass dieser es versäumt habe, das persönliche Gepäck des angeblichen polnischen Grafen abzuladen. Durch seinen irreführenden Hinweis auf eine ihm persönlich drohende Gefahr halten die Einwohner von Goldach den Fremden nun auch noch für »ein Opfer politischer oder der Familienverfolgung« (S. 22), dem sie daher kostbare Kleidung und viele Luxusartikel zur Verfügung stellen.
Von diesem Zeitpunkt an hat Strapinski auch den Mut, aus dem Gasthof zu gehen und die Stadt zu besichtigen. Vor den Toren der Stadt angekommen, überlegt er noch einmal, seine Reise fortzusetzen und Goldach unbemerkt zu verlassen, doch eine erneute Begegnung mit Nettchen hindert ihn im letzten Augenblick an der Entscheidung, den Betrug zu beenden. Stattdessen treibt er die SelbstinszenierungSelbstinszenierung auf die Spitze, indem er sich den Bürgern von Goldach weiterhin als wohlhabender Adliger präsentiert.
Eine unerwartete finanzielle Zuwendung »von einem fremden Kollekteur« (S. 28) gibt ihm die Möglichkeit, die Schulden, die er gegenüber den Einwohnern von Goldach angehäuft hat, mit einem Schlag zu begleichen. Unter dem Druck der aufkommenden Gerüchte, dass er die Tochter des Amtsrats heiraten werde, kündigt er zwar während eines festlichen Abends seine unmittelbare Abreise an, lässt jedoch von der Umsetzung dieses Vorhabens ab, als ihm Nettchen mit einer tränenreichen Umarmung ihre Verzweiflung über den bevorstehenden Abschied zeigt. Die Von der Verliebtheit zum HeiratsantragLiebe, die Wenzel Strapinski spätestens ab diesem Moment für die junge Frau empfindet, veranlasst ihn, »am Morgen in aller Frühe« (S. 30) tatsächlich beim Amtsrat um die Hand von dessen Tochter anzuhalten.
Währenddessen bereitet Melchior Böhni, der vergeblich auf eine eheliche Verbindung mit Nettchen gehofft hatte, alles Notwendige vor, um den angeblichen Grafen als Betrüger zu Aufdeckung des Schwindelsentlarven und die Hochzeit zu vereiteln. Als Strapinski anlässlich seiner Verlobung mit der Tochter des Amtsrats in einem eigens dafür organisierten Festzug auf einem Schlitten aus Goldach Richtung Gasthaus herausfährt, kommt dem Brautpaar und seinen Gästen ein merkwürdiger »Schlittenzug« (S. 33) mit kostümierten Menschen entgegen.
Der anlässlich der Karnevalszeit aus geschmückten Wagen bestehende Maskentanz der SeldwylerMaskenzug enthüllt mit satirischen »Anspielungen auf das Schneiderwesen« (S. 33) die wahre Identität des Mannes, der gerade mit großer Pracht seine Verlobung feiert. Im Gasthaus angekommen, treffen beide Gesellschaften aufeinander. Ein »Schautanz« (S. 35), den die Einwohner von Seldwyla zur Belustigung der Brautgesellschaft aufführen, enthüllt Strapinskis Betrug und lässt alle Anwesenden endgültig begreifen, dass die Darbietungen der Karnevalsgesellschaft einzig dem Zweck dienen, das falsche Spiel des angeblichen polnischen Grafen aufzudecken und diesen der Lächerlichkeit preiszugeben.
Unter dem Schock, den die Enthüllungen bei ihm und bei Nettchen erzeugt haben, Wenzel verlässt die Bühne seines eigenen Schauspielsverlässt Strapinski unter Tränen den Ort des Geschehens und macht sich in der eisigen Winternacht zu Fuß auf den Weg Richtung Seldwyla. Im paradoxen Gefühl der eigenen Schande und Unschuld zugleich wird er sich dabei auch der nun verloren scheinenden Liebe bewusst, bevor er sich schließlich im Straßengraben niederlegt und einschläft. Nur durch das rechtzeitige Eintreffen der geliebten Frau, die ihm in großer Sorge auf einem von Melchior Böhni entwendeten Schlitten nacheilt, wird der bewusstlose Mann im letzten Augenblick vor dem Tod durch Erfrieren bewahrt.
Auf einem Bauernhof macht Nettchen Halt, um in Ruhe mit Wenzel reden zu können. Dort fragt sie ihn nach seiner wahren Nettchen erkennt Wenzels WahrhaftigkeitIdentität, um endlich Klarheit über den Fremden und seine Handlungsmotive zu erhalten. Indem Wenzel ihr davon berichtet, wie es dazu kam, dass er für eine hochstehende Persönlichkeit gehalten wurde, wird ihr bewusst, dass er niemals in böser Absicht handelte und ihr in aufrichtiger Liebe zugetan ist.
Zugleich erhält Nettchen durch Wenzels Bericht von seinem Leben in Seldwyla Hinweise darauf, dass sie beide sich während ihrer Kindheit bereits kannten. Wenzel war als Wenzels MutterSohn einer früh verwitweten Dienstmagd in ärmlichen Verhältnissen aufgewachsen, bevor ihm im Alter von »etwa sechzehn Jahre[n]« (S. 48) die Möglichkeit eröffnet wurde, seinen angestammten Wohnort zu verlassen und bei der Gutsherrin zu bleiben, in deren Diensten seine Mutter vor ihrer Heirat über einen langen Zeitraum hinweg gestanden hatte. Auf Drängen seiner Mutter war Wenzel jedoch nicht fortgegangen, sondern hatte eine Ausbildung als Schneider absolviert. Nach dem Militärdienst und nach dem Tod seiner Mutter hatte er in Seldwyla zu arbeiten begonnen.
Im Verlauf des Berichts über seine Vergangenheit stellt sich heraus, dass Nettchens MutterNettchen die Tochter eben jener Gutsherrin ist, die sich erfolglos um eine anspruchsvolle Erziehung und Ausbildung für den Sohn ihrer ehemaligen Angestellten bemüht hatte. In der Zeit vor seiner Berufsausbildung hatte Wenzel sich fürsorglich und liebevoll um das mehrere Jahre jüngere Mädchen gekümmert, welches er nun, wenige Stunden nach der skandalösen Enthüllung seiner eigenen Identität und der dadurch vereitelten Verlobungsfeier, als jene Person erkennt, die ihm in dem ehemals gemeinsamen Wohnort sehr zugetan war.
Nach dem Gespräch mit dem einstigen Freund und jetzigen Geliebten ist Nettchen entschlossen, Wenzel trotz der vorherigen Ereignisse zu heiraten: »Ich will dich nicht verlassen! Du bist mein, und ich will mit dir gehen trotz aller Welt!« (S. 52). Sie veranlasst gegen den Zurück nach SeldwylaWiderstand ihres Vaters, dass dieser ihr das mütterliche Erbe ausbezahlt, so dass sie die finanziellen Mittel besitzt, um mit ihrem Mann in Seldwyla ein Geschäft aufbauen zu können. Als die Einwohner von Seldwyla erfahren, dass in ihrem Ort eine erhebliche Investition geplant ist, stellen sie sich auf Nettchens und Wenzels Seite, um deren Interessen gegen diejenigen von Nettchens Vater sowie gegen die Heiratsansprüche des Buchhalters Melchior Böhni zu verteidigen.
Nachdem zwischen der Tochter des Amtsrats und dem Schneider die Ehe geschlossen worden ist, gelingt es Wenzel, sich beruflich in Seldwyla zu etablieren und sein Privates Glück Vermögen in ansehnlichem Umfang zu vergrößern. Mit seiner Frau hat er schließlich etwa ein Dutzend Kinder, mit denen er später nach Goldach, dem Ort seiner ursprünglichen Verstrickungen, übersiedelt.