Читать книгу Eibochana - Wolfgang Scherleitner - Страница 6
Aufnomspriafung
Оглавление„Für mich gibt es Wichtigeres im Leben als die Schule.“ Mark Twain
Lieber Mark Twain, wenn du das auch so siehst, und aus dir ist ja echt was geworden, dann gibt’s bei mir auch noch Hoffnung!
Das Ende meiner Hauptschulzeit stand vor der Tür und ich hatte meine erste schwerwiegende Entscheidung zu treffen. Mein größtes Problem war lange Zeit die Berufswahl. Da mir klar war, dass man nicht gleich nach dem Hauptschulabschluss in Pension gehen kann, holte ich Informationen über die verschiedensten Berufssparten ein. Sogar eine Berufsorientierungsmesse besuchte ich. Dort wurden viele Berufe vorgestellt und Schüler und Eltern konnten sich ein Bild von verschiedenen Berufen machen. Es gab sogar Eignungstests, die dann durch ein Beratungsgespräch abgeschlossen wurden. Der Beruf, der mir nahegelegt wurde, war Melker. Da war sogar mir klar, dass ich dabei weder glücklich noch reich werden würde. Also zurück zum Start!
Ich saß gerade gemütlich in der Badewanne, als meine Mutter ins Badezimmer stürzte: „Ich hab‘ da was für dich!“ Sie hatte ein Buch mit allen Schulen, die es in Österreich gab, in der Hand. Ich begann sofort zu lesen und bemerkte einige Unannehmlichkeiten: „Host gsegn, do gibts DG, und sog amoi, wo isn Bod Vöslau, i mog nämlich net in Tschibutistan in d‘ Schui geh!“
Als sich meine Geografiekenntnisse gebessert hatten und ich erfuhr, dass dieser Ort fast vor den Toren Wiens lag, entschloss ich mich, diese Schule zu besuchen.
Da es nur zwei Schulen dieser Art in Österreich gab, war der Andrang sehr groß. Damit auch wirklich nur geeignete Schüler in den Genuss dieser Schule kamen, gab es Aufnahmekriterien. Der Notendurchschnitt durfte eine gewisse Grenze nicht überschreiten und es gab eine mehrstündige schriftliche Aufnahmeprüfung.
An einem Dienstag im Juni mussten sich die Kandidaten für die Aufnahmeprüfung, die im Internat übernachteten, bis 18 Uhr einfinden. Ich wurde mit einem riesigen Aufgebot an Verwandten nach Bad Vöslau geführt. Als ich auf dem Parkplatz vor der Schule aus dem Auto stieg, war ich überwältigt von dem Anblick, der sich mir bot. Es war eine ganz bestimmte Art von Überwältigung, in etwa als wenn man zum ersten Mal in seinem Leben einen Atombunker sieht. Vor mir ragten drei riesige Betonprismen aus der Erde, die mit unendlich vielen Fenstern mehr oder weniger belüftet waren. Die zwei äußeren Klötze wurden mit dem mittleren durch stollenähnliche Bauten aus Beton und Glas verbunden. Übrigens, später stellte sich heraus, dass diese Schule tatsächlich einen Atombunker hatte.
Keck, wie wir waren, wollten wir gleich durch die erstbeste Tür gehen, die sich uns anbot. Eine sehr höfliche Frau, die sich später als Frau Putz herausstellte, erklärte uns den Weg, den die Expedition einzuschlagen hatte, wenn wir zum Eingang des Internates kommen wollten.
Als Kind hatte ich oft einen Alptraum, ich war in einem Stiegenhaus mit so vielen Treppen und Zwischenstöcken, dass es mir unmöglich war, diesen Wirrwarr zu überblicken. Jene, die Harry Potter gesehen haben, können sich das ungefähr wie das Stiegenhaus in Hogwarts vorstellen. Ich lief die Stiegen hinauf und hinunter, konnte aber den Ausgang nicht finden. Nun stand ich genau in diesem Stiegenhaus. Es waren zwar viel weniger Zwischenstöcke und dadurch viel weniger Treppen und ich konnte den Ausgang sehen, aber finden konnte ich ihn dennoch nicht.
Wir angehenden Aufnahmsprüflinge wurden Zimmern zugeteilt. Natürlich kam meine Verwandtschaft mit. Als wir im Zimmer die Betten überzogen hatten, verabschiedete sich mein Gefolge, und es ging ab zum Abendessen. Endlich den Speisesaal entdeckt, mussten wir feststellen, dass dieses Essen nicht für uns bestimmt war. Wir bekamen ein Spezialabendessen – Aufschnitt. Nach dem Essen gingen wir auf den Sportplatz und hatten ein sehr aufschlussreiches Gespräch. Da fällt mir ein, wir, das waren zwei Schulkollegen, Didi und Michael, und natürlich ich selbst. Der Sportplatz bestand aus einem Hartplatz, auf dem die Möglichkeit bestand, Handball oder Tennis zu spielen. Hinter dem Hartplatz erstreckte sich ein Fußballfeld, das, im Gegensatz zum Betonhof der „Schulbrüder“, unendlich groß schien. Wir gesellten uns zu Schülern, die auf einer Bank saßen, die neben dem Hartplatz stand.
„Wo kemps eis hea?“
„Aus Wien.“
Diese Bemerkung aus Didis Munde und noch dazu auf Hochdeutsch – die Blicke schrieben Bände.
„Wuits eis mitkickn?“ Ich verneinte, weil ich meine nicht gerade großartigen Fußballkünste nicht schon am ersten Tag demonstrieren wollte, der Rest des Triumvirats nahm begeistert an.
„Wieso wüst du Feaschta weadn?“, sprang mich eine Frage an, die ich bis heute immer wieder höre.
„I hob bei mein Onkl, dea hot an Bauanhof, in d‘ Ferien ghacklt, und des hot ma recht daugt. Wei Baua wean ohne Hof net goa so guat is, hon i ma denkt, i wea Feaschta.“
„Heast, dea Weana ko jo richtig gscheit redn, net so gschwuin. Huck di zuwa!“
Mein erster Eindruck war, dass alle viel kameradschaftlicher waren als in der kindischen Hauptschule. Das Gespräch reichte vom Schulalltag über Sport bis zu Festen. Schließlich kamen wir, wie ich später bemerkt habe, zum Wichtigsten in dieser Schule: „Wuiferl, gehst mit zum Heirign?“
„Na, i hob koa Göd mit!“
In Wirklichkeit hatte mir meine Mutter zuvor noch 100 Schilling, die damalige Währung, gegeben, damit ich zum Heurigen gehen könnte.
„Wenns d‘ des moagn gschofft host, kummt unsa Priafung, da Pantha.“„He, moch eam koa Ongst!“, womit dieses Thema vorerst beendet wäre – vorerst!
Schließlich war es Zeit, um sich auf die Nachtruhe vorzubereiten, die um 21:15 Uhr begann. Nachtruhe war ein bisschen viel gesagt. Wir wurden bis ca. 23 Uhr durch Besuche auf Trab gehalten. Es war nämlich Brauch, dass die Neuankömmlinge von den Schülern der höheren Klassen begutachtet wurden. Dieses Zeremoniell wurde „Jahrlingschaun„ genannt. Das Wort „Jahrling“ wurde von der Jagd übernommen und bezeichnet einen einjährigen Hirsch.
Kurz nachdem ich eingeschlafen war, wurden wir geweckt: „Moagn, Buaschn, 6:15 Uhr is, aufstehn und bettabziagn, Fruastuck gibts um hoiba Siebane. Heit fangt da Eanst vom Lebn o.“ Vor mir stand eine fast erschreckende Person mit Vollbart, dafür aber mit Halbglatze. Das Schlimmste daran war, dass es wirklich so spät war. Noch war mir nicht klar, dass Schlaf in dieser Schule kleingeschrieben wurde. Es war auf jeden Fall schon ein Vorgeschmack.
Das Frühstück war nicht schlecht: aufgebackene Semmeln, Butter und Marmelade, bei der man die Dose schmeckte. Nur mit dem Kaffee war ich weniger glücklich. Ich stellte mir laut vor, wie er gemacht wurde, und erntete saures beziehungsweise bitteres Gelächter: „Man nehme eine Kaffeebohne und ziehe sie durch heißes Wasser, aber nicht zu langsam, sie muss für 200 Schüler reichen und die ganze Woche das Aroma halten.“
Nach dem Frühstück ging es zur Morgentoilette. Da die Zeit zwischen Frühstück und Anwesenheitskontrolle sehr großzügig bemessen war, lungerten wir in der Aula herum und holten uns letzte Tipps von jenen, die dieses Martyrium schon hinter sich hatten.
Nach der Anwesenheitskontrolle und der Klassenzuteilung bekamen wir zum ersten Mal unseren zukünftigen Deutschlehrer zu Gesicht, der uns nur in der ersten Klasse unterrichten würde. Der zukünftige Religionslehrer, der als eine Art Beisitzer fungierte und leicht seltsam wirkte, saß im letzten Eck der Klasse, wo er hineinzupassen schien.
Herr Mag. Hannes Schüttel begrüßte uns und sprach uns Mut zu: „Die wenigen, die es heute schaffen werden, haben auch mich dann, und dann beginnt der Ernst des Lebens.“ Er marschierte während der gesamten Prüfungszeit mit der Stoppuhr in der Hand herum, um genau darauf zu achten, dass sich, wenn die Zeit abgelaufen war, kein Bleistift mehr in unseren Händen befand. Endlich, um zehn Uhr, war Pause und ich traf völlig erschöpft mit Didi und Michael zusammen. Didi war überzeugt davon, dass er es schaffen würde, ganz im Gegenteil zu Michael und mir. Nach einer Stärkung ging es wieder in die Klassen und der Stress begann von Neuem. Auf der Fahrt nach Hause waren wir ziemlich ruhig, aber froh, dass diese Marter vorbei war.
An einem heißen Ferientag erreichte mich die Nachricht meiner Aufnahme. Ich hörte meinen Vater den Stolz aus der Stimme heraus: „Heute darfst du ein Glas Sekt trinken.“ Ich persönlich war mir aber nicht mehr so sicher, ob ich glücklich dabei war.