Читать книгу Der informierte Patient im Krankenhaus - Wolfgang Seidel - Страница 4
Оглавление2. Notfall oder nicht?
2.1 Oft ist Blaulicht nötig
Die Zahl der Menschen, die als Notfall ins Krankenhaus gebracht werden – nicht selten sogar mit Blaulicht – hat mit den Jahren stetig zugenommen, heute sind es etwa 37% aller stationär aufgenommenen Kranken. Zwar sind schwere Verkehrs- und Arbeitsunfälle dank strenger Unfallverhütungsmaßnahmen seltener geworden, aber andererseits kann man heute manche Erkrankung sehr viel wirksamer behandeln, wenn man nur schnell genug beginnt. Da kann tatsächlich jede Viertelstunde zählen.
Wenn also bei einem Menschen zum Beispiel plötzlich Lähmungen und/oder Orientierungsstörungen einen Schlaganfall vermuten lassen, sind vermutlich einige Hirnareale ausgefallen, weil die Durchblutung gestört worden ist. Nicht nur das direkt betroffene Hirngewebe droht abzusterben, rasch breiten sich Folgeschäden auch auf umgebende Bereiche aus. Deren Vermeidung ist ein Wettlauf mit der Zeit, und der ist nur im Krankenhaus zu gewinnen, und zwar am besten dort, wo man eine „Stroke Unit“ eingerichtet hat. Das ist eine Intensiveinheit für genau diese eine, leider nicht sehr seltene Erkrankung. Der kostspielige Einsatz lohnt sich, weil man schwere Schicksale wie ein Leben im Rollstuhl oder gar völlige Pflegebedürftigkeit vermeiden oder mildern kann. Und das betrifft keineswegs nur Hochbetagte, sondern Menschen „in den besten Jahren“.
In ständiger Bereitschaft stehen insbesondere Geräte zur Untersuchung der Blutgefäße des Gehirns. Nur wenn man zeigen kann, dass tatsächlich ein Gehirngefäß verstopft ist, darf man versuchen, das schuldige Blutgerinnsel gezielt aufzulösen. Wenn das gelingt und die Schäden noch nicht zu groß waren, kann der Patient nach erstaunlich wenigen Tagen wieder nach Hause entlassen werden. Eine derartige Einschränkung der Blutgerinnung wäre aber das Schlechteste, was man machen kann, wenn es sich nicht um ein Gerinnsel, sondern um eine Blutung im Gehirn handelt. Die Blutung, die auch Ursache eines Schlaganfalls sein kann, würde durch diese Behandlung noch lebensgefährlich verstärkt werden. Gut ausgebildete Spezialisten müssen also schnellstmöglich die Unterscheidung zwischen verstopfendem Gerinnsel und Blutung mit ihren Geräten treffen können. Daher gibt es Stroke Units nur an den Kliniken, an denen rund um die Uhr Fachärzte mit entsprechender Fachausbildung bereitstehen.
Eine vergleichbare Situation ergibt sich beim Herzinfarkt. Er kündigt sich durch Engegefühl in der Brust und Schmerzen (nicht unbedingt genau in der Herzgegend) an. In diesem Fall ist plötzlich ein Blutgerinnselpfropf direkt an einer rauen Verkalkung in einem Herzkranzgefäß entstanden: Der davon abhängige Bereich des Herzmuskels wird nicht mehr mit Blut versorgt. Wenn alles schnell genug geht, kann man genügend große Teile des Herzmuskels vor dem Untergang und damit das Leben retten.
Wenn sich ein Notfall ankündigt, muss man den Hausarzt oder (außerhalb der üblichen Sprechstundenzeiten) den diensthabenden Notarzt rufen. Die kennen sich aus, können deutlich besser als Sie beurteilen, wodurch vermutlich Ihre Beschwerden verursacht sind und welche Maßnahmen in diesem Falle am besten geeignet sein dürften. Sie wissen auch, welches Krankenhaus zum Beispiel seinen Linksherzkatheter rund um die Uhr gut besetzt und genügend Erfahrung mit Herzerkrankungen hat. Und (besonders bei großen Krankenhäusern) wissen sie am besten, welche Abteilung man direkt anruft, und sie können sich dort auch besser durchsetzen als ein Laie.
Man kann auch direkt die zentrale Rettungsstelle telefonisch (0112) verständigen, wenn es sich um einen sehr bedrohlichen Zustand zu handeln scheint (oder in manchen Bundesländern noch die Nummer der Krankentransportdienste 19222). Sie schicken dann den nächsten freien RTW (Rettungstransportwagen) oder KTW (Krankentransportwagen) und evt. im sogenannten Rendevous-Verfahren auch einen Notarzt, der also direkt mit einem zweiten Wagen herbeieilt und erst bei Ihnen mit den Rettungssanitätern zusammentrifft. Bis dahin können Sie schon mal die wichtigsten Daten über Ihre Krankenkasse und über Ihre Vorerkrankungen bereitlegen (lassen). Vielleicht packen Sie auch schon mal Toilettenartikel und einen Schlafanzug in eine Tasche, denn manchmal muss es dann sehr schnell gehen.
2.2 Erst telefonieren, dann abfahren
Einen Notfall muss jedes Krankenhaus annehmen, schon um erste Hilfe zu leisten. Es kann dringende Notfälle aber nach Klärung der Situation weiterschicken, falls es entweder nicht gut genug gerüstet (zum Beispiel nicht die eben erwähnte Stroke Unit für die Behandlung des Schlaganfalles hat) und eine bessere Einrichtung in zumutbarer Zeit zu erreichen ist, oder weil die Intensivstation schon voll ausgelastet ist.
Die Intensivstation behandelt nämlich hauptsächlich Patienten, die beatmet werden müssen und daher an entsprechende Geräte angeschlossen sind. Für jedes Planbett gibt es die notwendigen Apparaturen und das eingearbeitete Personal. Die Leser werden verstehen, dass man bei Eintreffen eines zusätzlichen schweren Falles nicht einfach eine der Beatmungen beenden kann, um das Bett und das Beatmungsgerät freizumachen. Eine solche Entscheidung trifft man nie notfallmäßig, sondern man führt die „Entwöhnung“ von den Geräten vorsichtig schrittweise, unter ständiger Beobachtung durch. Also kann ein neuer Patient nur aufgenommen werden, wenn noch ein Bett mit den lebensrettenden Geräten frei ist. In Ballungsräumen mit mehreren Kliniken wird die Bettensituation abends vor dem Schichtwechsel geklärt und der Notaufnahme und/oder der Rettungszentrale mitgeteilt.
Der zugezogene Notarzt oder die Sanitäter des RTWs sollten daher telefonisch einen Platz für den Kranken suchen und reservieren, ehe man ihn überhaupt in den Krankenwagen verbringt. Man möchte keine Irrfahrt von Klinik zu Klinik riskieren. Und man wird dann sofort Informationen über den Zustand des Patienten weitergeben, also etwa Blutverluste bei Verletzungen, Notwendigkeit einer Beatmung, Wahrscheinlichkeit eines dringlichen Eingriffs. Die Anmeldung ermöglicht dann dem Krankenhaus, erste Vorbereitungen in seiner Notaufnahme zu veranlassen. Beim Eintreffen eines schweren Unfalles werden dann schon die benötigten Ärzte gerufen und Infusionen gerichtet sein. Vielleicht wurde sogar schon die Operationsabteilung informiert, weil sie eine gewisse Anlaufzeit benötigt.
2.3 Der voraussehbare Notfall
Nicht jeder Notfall kommt unerwartet. Mit einer Lungenembolie zum Beispiel (Verstopfung eines großen Lungengefäßes durch ein Blutgerinnsel) muss der Arzt in einer ganzen Reihe von Situationen rechnen, auch wenn sie letztlich ein seltenes Ereignis ist. Die Gefahr besteht immer, wenn sich in großen Venen der Beine oder des Beckens Blutgerinnsel bilden, weil sich der (bettlägerige) Patient wenig bewegt und das Blut daher langsam oder gar nicht mehr fließt und schließlich gerinnt. Bei ersten größeren Bewegungen, also z. B. beim Aufstehen aus dem Bett kann sich dann das Blutgerinnsel lösen und in die Lunge geschwemmt werden. So ein „Embolus“ kann bis kleinfingerdick sein und somit ganz schlagartig große Gefäße verstopfen. Plötzliche schwere Atemnot, Blaufärbung der Lippen oder des ganzen Gesichts, aber auch Herzkreislaufversagen sind die ersten Zeichen dieser lebensgefährlichen Komplikation. Sie tritt überraschend auf, wenn, wie gesagt, der Patient eine oder zwei Wochen nach Krankheitsbeginn wieder stärker mobilisiert wird, wenn also das Schlimmste schon überwunden zu sein schien.
Besonders nach Verletzungen und Operationen an den Beinen und im Beckenbereich versucht der Arzt daher, diesem sehr schweren Ereignis vorzubeugen, indem er einerseits den Kranken zum regelmäßigen Bewegen der Beine anhält und ihm zweitens gerinnungshemmende Spritzen verordnet. Man mag dem Laien erklären, dass das Blut damit „verdünnt“ wird, damit es nicht „stockt“, also gerinnt. Um genau zu sein: Verdünnt wird da gar nichts (mit dem winzigen Inhalt der Spritze). Die Blutgerinnung wird biochemisch eingeschränkt, aber natürlich nicht ganz aufgehoben, denn dadurch würde man speziell nach Unfällen oder nach Operationen schwere Nachblutungen riskieren.
Bei dieser verantwortungsvollen Entscheidung bleibt ein Restrisiko für eine Lungenembolie, also für einen Notfall. Man versucht ihm vorzubeugen durch häufiges ausreichendes Bewegen der Beine und damit Erhöhung der Fließgeschwindigkeit des Blutes in den Venen des Beines und des Beckens, und zwar so früh wie möglich. Der Arzt muss eindringlich darauf hinweisen, und der Patient seinerseits muss aktiv üben: Patient und Arzt bilden immer ein Team, das die Heilung anstrebt, das wird schon an diesem einfachen Fall deutlich. Das Team muss gemeinsam die anstehenden Maßnahmen besprechen, und dann müssen beide ihren Teil zur Erreichung des Ziels beitragen.
Auch eine Schwangerschaft führt meist zu einem „voraussehbaren Notfall“. Man kann den Termin für die Geburt und damit für die (dann eilige) Klinikaufnahme näherungsweise berechnen, kann in Ruhe Komplikationsmöglichkeiten abklären und Risiken abwägen, kann alle voraussehbaren Schritte planen, hat den Koffer schon gepackt. Nicht selten hat die Schwangere sogar mehrere Entbindungsstationen aufgesucht, besprach Spezialmethoden der Geburtsführung und deren Vorzüge und lies sich dann bei der ihr genehmen Institution vormerken, alles ganz in Ruhe. Aber dann gehen die Wehen doch überraschend los. Und dann ist Eile wenigstens eine vernünftige Vorsichtsmaßnahme, die aber im Vorhinein organisiert werden kann.
2.4 Ärztlicher Notdienst und Notfallambulanz im Krankenhaus
Jeder weiß, dass niedergelassene Ärzte in ihren Praxisräumen während fester Sprechstundenzeiten praktizieren. Die Einhaltung von regelmäßigen Arbeitszeiten ist schon wegen des benötigten Personals erforderlich. Aber immer muss wegen des Versorgungsauftrags, den die Ärzteschaft insgesamt hat, außerhalb der üblichen Sprechstundenzeiten ein Notdienst der niedergelassenen Ärzte organisiert sein. Einer von ihnen kann die Bereitschaft von seiner Praxis aus wahrnehmen, es kann aber auch ein Notdienst in einer bestimmten Zentrale, nicht selten sogar im Gebäude eines Krankenhauses organisiert sein. Einzelheiten werden in der Tagespresse bekannt gegeben.
Aus dem Krankenhaus wurde die ambulante Routinebetreuung von Kranken in den letzten Jahrzehnten verdrängt. Nur einige ausgewählte Abteilungen einer Klinik dürfen Spezialsprechstunden unterhalten: einerseits für hochspezialisierte Diagnostik und Therapie, andererseits für die direkt präoperative Diagnostik und eine einmalige Nachbetreuung nach stationärer, meist operativer Behandlung. Jedes Krankenhaus muss jedoch rund um die Uhr eine Notfallambulanz und Notfallaufnahme unterhalten. Kranke, die in ihrer Not das Krankenhaus aufsuchen (zum Beispiel auch Durchreisende), müssen untersucht und versorgt werden. Die ambulante Behandlung beschränkt sich dann aber auf das Notwendigste.
Zur üblichen Aufgabe der Krankenhausambulanz gehören zunächst natürlich Unfälle einschließlich der Verletzungen der inneren Organe des Brust- und Bauchraumes. Aber auch internistische Notfälle, bei denen die Notwendigkeit einer stationären Aufnahme vermutet wird, werden direkt zum Krankenhaus gebracht, also schwere Atemnot, hohes, unklares Fieber, anhaltendes Erbrechen, starke Bauchschmerzen. Das gleiche gilt für Frauenkrankheiten, insbesondere Blutungen, und natürlich für gravierende plötzliche Schwangerschaftsbeschwerden.
Liebe Leserin, lieber Leser, in diesem Zusammenhang ein gut gemeinter Rat: Sie sollten nicht nachts in die Notambulanz des Krankenhauses gehen, weil gewisse Beschwerden, die schon so lange stören, nun gerade etwas stärker geworden sind, und „weil da ja immer ein Arzt Dienst hat“. Das rentiert sich für Sie nicht, das ist auch nicht die passende Gelegenheit, mal eine Zweitmeinung einzuholen oder die umfassenden Untersuchungsmöglichkeiten des Krankenhauses zu testen. Natürlich würde sogleich ein Pfleger oder eine Schwester Sie empfangen, befragen und Ihre Personalien aufnehmen. Die haben meist eine immense Erfahrung und erkennen recht gut, was einem Neuzugang vermutlich fehlt und ob seine Erkrankung eine dringliche Betreuung erfordert oder nicht.
Sie melden ihre Beobachtungen sofort dem diensthabenden Arzt. Der entscheidet dann, ob er seine gegenwärtige Beschäftigung (zum Beispiel bei den Schwerkranken seiner Station) wirklich sofort unterbrechen muss. Zu Ihnen mit Ihrer Verschlimmerung eines chronischen Leidens wird er nicht sofort eilen.
Und wenn er dann (endlich nach langer Wartezeit) gekommen ist und Sie untersucht hat, gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder erklärt er Ihnen nach kurzer Untersuchung, dass Sie kein Notfall sind, und verschreibt Ihnen allenfalls ein Mittel, das Sie in der Notapotheke der Stadt holen und bar bezahlen müssen.
Oder er hält für seine Entscheidung noch weitere Untersuchungen bei Ihnen für erforderlich. Die werden sich dann über sehr lange Zeit hinziehen, denn die dringlichen Aufgaben werden im Krankenhaus immer zuerst erledigt, und unter die fallen Ihre Anliegen vermutlich nicht. Wenn gar noch eine Operation eingeschoben werden muss, vergehen viele Stunden, in denen Sie es schließlich bereuen, die umständliche, weil für schwierige Notfälle ausgelegte Krankenhausambulanz ohne wirkliche Not aufgesucht zu haben.
Im nächsten Kapitel werden wir uns nun über die Einweisung ins Krankenhaus unterhalten und da verschiedene Möglichkeiten und auch verschiedene Krankenhaustypen kennen lernen.