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Vorwort
ОглавлениеDie Orthografie bzw. die Rechtschreibung ist die staatlich vorgegebene Norm der Richtigschreibung. In Wörterverzeichnissen und im Regelteil von Wörterbüchern sind die korrekten Schreibungen verzeichnet und als Schreibnormen vorgegeben. Wer sich informieren möchte, wie etwas geschrieben wird, schlägt im Duden oder einem anderen Wörterbuch nach. Diese Vorgaben muss jeder Schreiber akzeptieren, der einen fehlerfreien Text schreiben möchte.
Doch einfach nur ungefragt alle Grafien und Regelungen hinnehmen? Auch dann, wenn sie einem merkwürdig oder unlogisch erscheinen? Warum, so kann man sich fragen, haben sich bestimmte Grafien und Regelungen in einer Sprache durchgesetzt und sind in Rechtschreibkonferenzen zum orthografischen Standard erklärt worden? Die Wissenschaft, die sich um Erklärungen bemüht, welcher Logik und welchen Prinzipien ein Schriftsystem folgt, ist die Graphematik. Sie liefert die Theorien, Modelle und Gründe, wie und warum das System unserer Rechtschreibung so entstehen konnte, wie wir es heute vorfinden: aus synchroner und aus historischer Perspektive wie aus der Interessenlage von Schreibern und von Lesern. Mit der Graphematik schaut man hinter die Kulissen von Schreibungen, die uns manchmal eigenartig und willkürlich erscheinen. Sie erlaubt gewissermaßen mit einem Röntgenblick, hinter der Oberfläche der Schreibungen die Prinzipien und die Logik des Systems zu verstehen.
Zur Entwicklung einer erfolgversprechenden Rechtschreibdidaktik ist die Graphematik nützlicher als die Orthografie. Denn auch Schülerinnen und Schüler haben ein Recht darauf zu verstehen, warum man in einer bestimmten vorgegebenen Weise schreiben soll. Sicherlich muss auch im Unterricht vermittelt werden, wie man Wörterbücher benutzt, um darin die korrekte Schreibung eines Wortes nachschlagen zu können. Und auch, wenn man wissen möchte, welche Regeln es zu einem Teilbereich gibt, beispielsweise zur Großschreibung, sollte man diese Information in einem Wörterbuch oder einer Grammatik finden können. Aber darum wird es in unserem kleinen Buch nicht gehen. Wir möchten mit einer graphematischen Perspektive zentrale Bereiche der deutschen Orthografie erklären, und zwar so, dass sie als Grundlage für Erklärungen und Übungen im Unterricht dienen können. Eine linguistisch überzeugende Analyse eines orthografischen Sachverhalts garantiert aber noch nicht, dass sie als Grundlage für eine angemessene Didaktisierung dienen kann. Wie sich Regularitäten und Grafien bei Schreibern zu einem intuitiven Wissen und Können entwickeln, muss keineswegs unmittelbar mit der weitgehend objektiv erkennbaren Sachstruktur der Orthografie in Einklang zu bringen sein. Die didaktische Devise muss sein, nach Modellen und Erklärungen zu suchen, die mit einem möglichst geringen kognitiven Aufwand einem Schreibnovizen plausibel erscheinen und nachvollziehbare Vorstellungen entstehen lassen, so dass er sie zunächst bewusst und nach und nach automatisiert anwenden kann.
Um die Rechtschreibung von Schülern nachhaltig zu verbessern, reicht es nicht, einzelne Übungen ab und zu in den Unterricht einzustreuen. Mit dieser weithin üblichen Patchworkarbeit lässt sich kein grundlegendes Verständnis und keine Systematik entwickeln. Zwar wird es mit der herkömmlichen Methodik immer auch Schüler geben, die zu einer guten Rechtschreibung kommen, vor allem wenn sie häusliche Unterstützung haben, aber schwachen Rechtschreibern aus bildungsfernen Familien kann nur durch eine konsequente, systematische Arbeit geholfen werden. Das Verstehen der graphematischen Gesetzmäßigkeiten ist für alle Schüler das beste Mittel, zu einer sicheren Rechtschreibung zu kommen.
Die Interpunktion wird in diesem Band komplett ausgespart, obwohl sie eine zentrale Komponente der Orthografie des Deutschen bildet. Zum einen hätte eine auch nur halbwegs vollständige Darstellung den Rahmen dieses Lehrbuchs gesprengt, zum anderen bildet die Interpunktion einen relativ eigenständigen Bereich der Rechtschreibung, der nur wenige Berührungspunkte zu den anderen Teilgebieten hat.
Wir möchten uns bei Clemens Knobloch und Viola Oehme, aber ganz besonders bei Reinhard Rascher für ihre Unterstützung bedanken.
Bonn/Rostock im Frühjahr 2020
Wolfgang Steinig und Karl Heinz Ramers