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GLÜCK: Der Kater und der Kaviar
ОглавлениеEin Kater wohnte vorübergehend in einem Haustierhotel, das sich in der Hafengegend einer Großstadt befand. Sein Herrchen hatte ihn hier für die Urlaubszeit abgegeben.
Im Hotel wurde der Kater tagein, tagaus bestens verpflegt. Gemeinsam mit anderen tierischen Pensionsgästen wartete er in einem Zimmer darauf, dass sein Herrchen ihn nach dem Urlaub wieder abholte.
Der Kater hatte ein gepflegtes Fell, so weich wie eine Wolldecke. Um seinen dicken Bauch herum trug er einen gestrickten weißen Pullover. Sein Herrchen war sehr reich und deshalb war auch der Kater nur an das Beste gewöhnt.
Er umgab sich gerne mit teuren Dingen, die die anderen Tiere im Hotel gar nicht kannten. „Wildtiere...“, dachte er dann und setzte sich alleine auf das Fensterbrett.
Hier hatte er einen schönen Blick über den Hafen. Er spitzte gerade seine stumpfen Krallen mit einer Nagelfeile, als eine neu angekommene, wunderschöne Perserkatze den Raum betrat.
Die Perserkatze hatte ein rötliches Fell. Ihre braunen Augen leuchteten. Ihre Hüften wiegten sich im Gang, was auf den Hotelkater unwiderstehlich weiblich wirkte. Am Hals trug sie ein einfaches Lederband.
Der Hotelkater schnurrte sie verführerisch an: „Meine Liebste, leisten Sie mir Gesellschaft! In dieser lauen Sommernacht könnten wir doch gemeinsam speisen.“
Die Perserkatze fragte: „Was gibt es denn?“ und sprang zu ihm auf das Fensterbrett.
Der Hotelkater holte aus seiner Pullovertasche eine Konservendose hervor: „Ich habe hier eine Dose mit Kaviar – das ist die teuerste Fischspezialität, die es auf der Welt gibt!“
Die Perserkatze wollte gerade antworten, da fiel unten auf der Straße eine Mülltonne um. Ein streunender Straßenkater, so zerzaust wie ein alter Putzlappen, suchte nach Brauchbarem im Sperrmüll. Im Gesicht trug er lange, abstehende Barthaare.
Der Hotelkater fühlte sich von dem Krach gestört und gab von oben den Befehl: „Ruhe jetzt! Verschwinde von hier!“
Der Straßenkater aber antwortete: „Hey, feiner Herr, hör zu: Die Straße gehört nicht dir allein. Du hast hier nix zu melden!“
Der Hotelkater unterdrückte seine Wut. Er lächelte die Perserkatze an und zog an der Lasche der Konservendose. Weil diese aber nicht aufging, zog er fester. So fest, bis die Lasche abriss. Der Metallring sprang ab und fiel klingend auf die Straße.
Der Straßenkater sprach von unten die Perserkatze an: „Und Sie, meine Schönste, lade ich ein, zu mir herunterzuspringen. Gleich legt der Fischkutter im Hafen an, mit Fischen so frisch, dass sie noch nach Meerwasser riechen. Wir könnten doch im Mondschein Fische futtern...“ Er blinzelte die Perserkatze an und spielte dabei an seinen Barthaaren.
Der Hotelkater versuchte währenddessen, die Kaviardose mit seinen Krallen zu öffnen. Er ritzte verkrampft am Rand der Dose, doch seine Krallen waren zu stumpf. „Das hier ist eine sehr teure Delikatesse...“, stammelte er verlegen zur Perserkatze, „...nur das Feinste für uns beide...“
Die Perserkatze war hin- und hergerissen zwischen den beiden Katern – dem im Hotel und dem auf der Straße. Der eine bot ihr Kaviar in einer verschlossenen Dose an, der andere frisch gefangenen Fisch.
Sie entschied sich und sprang mit einem eleganten Satz zu dem Straßenkater auf die Straße hinunter.
„Aber der Kaviar...“, rief der Hotelkater ihr verzweifelt hinterher, „der war doch so teuer...“
Doch er konnte nur mitansehen, wie der Straßenkater und die Perserkatze in Richtung Hafen gingen.
Das dumpfe Schiffshorn, das die Ankunft des Fischkutters bedeutete, konnte man bis ins Hotel hören.
„Vielleicht sind die besten Dinge im Leben doch kostenlos“, dachte der Hotelkater und steckte die Kaviardose wieder ein.