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II – Oktober

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Wie ein langsam anschwellender Gesang wuchs der weiße Berg aus der mondlosen Nacht, wie ein Gespenst hing seine farblose Silhouette vor den blinkenden Sternen und versetzte sogar die Griechen, die im Lee des Steuerhauses Schutz vor dem kalten Herbstwind gefunden hatten und seit dem Auslaufen aus dem gerade erst wieder zurückeroberten Tobruk aufgeregt und ununterbrochen schwatzten, in andächtiges Schweigen. Immer höher schob sich der Berg, immer erhabener wurde sein Lied; und Captain Gerald Finton-Macauley von der Special Operations Executive wehrte sich instinktiv dagegen, in dem er nach seinem Sakouli griff, dem bestickten Wollbeutel kretischer Schäfer, und zum wiederholten Mal dessen Inhalt durchging, der neben einigen unverfänglichen Wäschestücken aus einer Beretta und einer einbändigen Shakespeare-Ausgabe bestand.

„Scheiß schön, was?“ knurrte Lieutenant Sean „Shorty“ Blight, der unter einer Persenning an der Holzreling des verblichenen, ursprünglich einmal blau und weiß lackierten Kaike kauerte und die letzte der Player’s rauchte, die auf die Insel mitzunehmen ihm ausdrücklich verboten worden war, was insofern verwunderte, als er mit einem Funkgerät, einem Generator und einem Packen Batterien ausgerüstet versuchen sollte, auf der Nordflanke des Bergs Ida eine Sendestation einzurichten und es damit auch ohne englische Zigaretten schwer haben würde, als Grieche durchzugehen, sollten die deutschen Besatzer der Insel seiner habhaft werden. Außerdem war er rothaarig.

„Das trifft es genau.“ Finton-Macauley grinste; und seine Zähne strahlten hell zwischen den gebräunten Wangen; und das dunkelblonde Haar hing ihm ins Gesicht. Er war sich bewusst, dass solch kernige Sprüche für sie beide genauso eine Verkleidung waren wie das malerische kretische Kostüm, in dem sie steckten: ein Sariki, also ein schwarzes, fransengeschmücktes Kopftuch; um den Bauch eine purpurne Schärpe; darüber eine schwarze Weste und an den Beinen weite Hosen mit tiefem Schritt, die in hohen Lederstiefeln steckten. Er und Shorty sahen insgesamt wie Piraten aus, die anlässlich einer Schulaufführung zu tief in die Kostümkiste gegriffen hatten, und sie genossen ihren verwegenen Aufzug, der der bevorstehenden Unternehmung eine noch romantischere Note verlieh.

Sie fuhren dicht unterhalb der Küste entlang; und der Kapitän, der wie alle an Bord jetzt nach den vereinbarten Lichtsignalen Ausschau hielt, zischte verärgert, wann immer einer der Griechen laut aufrief, weil er etwas entdeckt zu haben meinte, oder mit den Kisten und Kanistern polterte, die bald an Land würden geschafft werden müssen. Sie tuckerten um ein weiteres, nur am dünnen Band der Brandung kenntliches Kap; und plötzlich gab es gleich mehrere halbherzig unterdrückte Schreie, denn vom Ufer wurde das vereinbarte Signal A-B-A gemorst; und sofort rannte der Maschinist mit der Blendlaterne in den Bug und sandte die Antwort hinaus in die Finsternis. Der Kapitän, ein Kanadier von bärengleicher Statur, drosselte das Tempo und nahm Kurs auf die Stelle, an der noch ein paar Mal das Lichtzeichen wiederholt wurde. Sie liefen in eine kleine Bucht und krochen immer näher zum kaum sichtbaren Strand; und die Männer an Deck schwärzten einander die Gesichter mit Lampenruß. Endlich befahl der Kapitän, den Anker auszuwerfen. Blitzschnell war das Schlauchboot, das hinter dem Steuerhaus gelegen war, zu Wasser gelassen und mit den ersten Kisten beladen. Vier der Griechen, die, nachdem sie fast ein Jahr zur Ausbildung in Palästina und Ägypten gewesen waren, darauf brannten, wieder heimatliche Erde unter die Füße zu bekommen, sprangen in das Boot und paddelten zu dem Kiesstrand, wo sie bereits von einigen dunklen Gestalten erwartet wurden, die ihnen nach einer hektischen, aber herzlichen Begrüßung – obwohl größte Eile geboten war, wurde jeder der Neuankömmlinge von jedem der Wartenden umarmt – beim Entladen des Bootes halfen. Dieses wurde in der Folge von den Männern an Bord des Kaike und denen auf dem Strand mittels zweier Leinen wie ein Weberschiffchen hin und her gezogen, was schneller ging, als wenn man gepaddelt wäre, und es erlaubte, noch mehr Material hinein zu laden. Bei dieser Methode riskierte man allerdings auch, dass das unbemannte Boot in der Dünung kenterte, was dann tatsächlich passierte und es nötig machte, dass ein paar der Männer am Strand sich auszogen und mehrere Packen in Wachspapier eingewickelter Landkarten und drei Kisten Munition für erbeutete, von den Engländern nach dem im Gehäuse eingestanzten Produktionsort Spandau getaufte Maschinengewehre aus dem Wasser tauchten.

Zuletzt setzten Finton-Macauley und Shorty über. Sie sprangen mit ihren Sakoulis in das auf dem schwarzen Wasser tänzelnde Boot; und dieses tat gleich darauf einen Ruck und schoss wie von Geisterhand bewegt auf den Strand zu.

„Als würde man den Acheron überqueren!“ Finton-Macauley langte in das Wasser und spritzte Shorty ins Gesicht.

„Lass das!“, verlangte Shorty nervös. Er war Nichtschwimmer und klammerte sich mit einer Hand an die Leine auf dem Gummiwulst.

Kaum waren Shorty und Finton-Macauley mit den Stiefeln in der Hand an Land gewatet, waren sie von Gestalten umringt, die noch wilder und verwegener aussahen als sie selbst, allesamt Banditen und Schafdiebe in kretischer Tracht; und die wildeste und verwegenste Gestalt unter ihnen, der der Räuber und Messerstecher geradezu ins Gesicht geschrieben stand, ein bärtiger, in Felle und Decken gekleideter und überhaupt ausgesprochen haariger Geselle, eine Art wandelnder Heuhaufen, baute sich vor ihnen auf, salutierte zackig und stellte sich als Major Dunbeam von den Royal Scots Greys vor, der mit seinen drei Mitstreitern nach einer erfolgreichen Sabotageaktion gegen eine Straßenbrücke in der Nähe von Gournes nach Ägypten zurückkehren würde.

„Ist alles glatt gelaufen?“ Finton-Macauley musste schmunzeln, zwang sich aber dazu, den militärischen Gruß wenigstens halbherzig zu erwidern.

„Danke! Alles gemäß Plan!“ Major Dunbeam benahm sich weiter betont förmlich und schien sich des komischen Kontrasts zwischen diesem Benehmen und seinem Erscheinungsbild nicht bewusst zu sein.

„Sind die Deutschen hinter Ihnen her?“

„Ich fürchte, Sie werden mit mehr Patrouillen als sonst rechnen müssen. Sie waren ziemlich hartnäckig.“

„Viel Feind, viel Ehr, was?“

„Bleiben Sie möglichst hoch in den Bergen, ist meine Empfehlung. Unsere Führer Mikos und Philippos werden Ihnen eine sichere Route zeigen.“ Major Dunbeam wies auf zwei Griechen, die damit beschäftigt waren, das angelandete Material an die Vertreter dreier verschiedener Partisanentruppen und deren Träger zu verteilen.

„Dann bleibt mir nichts anderes übrig als Ihnen eine sichere Überfahrt zu wünschen.“ Finton-Macauley reichte dem Major die Hand; und dieser schlug beherzt ein. „Mast- und Schotbruch!“

„Hals- und Beinbruch!“, erwiderte Dunbeam. „Was auf diesem verdammten Geröllhaufen schneller passieren kann, als man meint! Wir mussten unser Maultier erschießen, weil es gestolpert und in eine Schlucht gefallen ist.“

„Ich bin sicher, dass das Lieutenant Blight eine Warnung sein wird.“ Finton-Macauley warf einen Blick auf Shorty, der die Kiste mit den schweren Bleibatterien den Strand hoch zerrte. „Er hatte ziemlich große Hoffnungen auf ein Maultier gesetzt.“

„Tut mir leid, ihn enttäuschen zu müssen.“

„Keine Sorge! Er wird darüber hinwegkommen.“

Der Major nickte, bückte sich, entledigte sich seiner Stiefel und warf sie den Griechen zu, die sie sofort zum Nachschub packten. Wie alle, die jetzt mit dem Kaike zurück nach Libyen fahren würden, verließ er die Insel barfuß, denn Schuhe waren knapp und wegen der dauernden Wanderungen in den schroffen Gebirgen starkem Verschleiß ausgesetzt.

Das Land, ein einziger Aufruhr aus Fels, lag ungeschützt im Mittagslicht; seine Konturen verschwammen zu metallischem Glanz; Wacholder, Ginster und Myrte verströmten aromatischen Duft, der den Schweißgestank der ungewaschenen Männerkörper wenigstens gelegentlich überdeckte; ein paar verkrüppelte Steineichen und Pinien krallten sich in den nur aus Scharten und Schroffen bestehenden Bergrücken; weiter unten folgten ein paar Oleandersträucher der Erinnerung an einen Wasserlauf, der erst im Frühjahr, nach der Schneeschmelze, wieder auftauchen würde. Der kleine Trupp hatte im Schatten eines überhängenden Felsens Schutz vor der Mittagssonne und den gelegentlichen deutschen Flugzeugen gefunden, die verloren und irreal wirkten inmitten dem unermesslichen Blau des Himmels wie überhaupt der ganze Krieg immer mehr einem Spuk glich, einer antiken Sage, einem Schauermärchen, seit sie die Küste verlassen hatten und durch eine archaische, menschenferne Landschaft wanderten, eine leere, grell ausgeleuchtete Bühne, die jede noch so kleine Geste mit Bedeutung und antikem Pathos auflud. Finton-Macauley lächelte bei diesem Gedanken, wischte das verschwitzte Gesicht und den ungewohnten, immer noch kitzelnden Schnurrbart mit dem Kopftuch ab und wünschte sich, sein kretisches Kostüm hätte ihm das Tragen der Pilotenbrille erlaubt, die ihm in Kairo als Teil der Ausrüstung eines Offiziers der SOE überreicht worden war. Er nahm sich eine weitere Olive aus dem Beutel, der neben ihm lag, und stellte zufrieden fest, dass er und Shorty nicht nur, was das Äußere anging, kaum mehr von den griechischen Partisanen zu unterscheiden waren, sondern auch deren verblüffende Fähigkeit zur Muße erlernt hatten und es bereits fertig brachten, einen ganzen Tag ohne Murren, ohne Flüche in einem Unterschlupf zu verbummeln und der Sonne zuzuschauen, wie sie langsam über einen Himmel rollte, der makellos war bis auf die kaum sichtbare Fieseler, die über ihnen kreiste wie eine lästige Fliege.

„Sollte es denen da oben nicht bald langweilig werden, immer im Kreis zu fliegen?“ Shorty wies mit dem Kinn auf das eigentlich nur am leisen Dröhnen des Motors kenntliche Flugzeug. „Gute Leute von der Arbeit abhalten, das ist alles, was sie mit dem Blödsinn erreichen.“

„Und genau das ist es vermutlich, was diese Spaßverderber im Sinn haben. Aber es ist meiner Meinung eh noch viel zu heiß, um dein Spielzeug weiter irgendwelche Geröllhalden hoch zu wuchten.“ Finton-Macauley band sich wieder das Tuch um den Kopf, was ihn wie eine Kreuzung aus Lord Byron und Long John Silver aussehen ließ.

„Warst es nicht du, der Kairo versprochen hat, dass wir heute Abend sendebereit sind?“

„Ich konnte ja nicht wissen, dass du dich als fußlahm erweisen würdest.“

„Es ist die Hitze. So was kennen wir in Yorkshire nicht.“

„Das und einiges anderes auch!“

„Immerhin sind wir neugierig und lernfähig.“

„Manche von euch! Und auch das nur, was ägyptische Ausschweifungen angeht!“

„Oh, erinnere mich nicht! Schon die bloßen Worte Für Cocktails geeignet! wecken in mir Sehnsucht und Wehmut.“

„Es stand zwar auf dem Etikett, aber du musst zugeben, es war eine schrecklich optimistische Behauptung.“

„Geradezu betrügerisch!“

„Nun, es hängt alles davon ab, was man von seinem Cocktail erwartet.“

„Kopfschmerzen und einen Geschmack im Hals, als hätte man mit Terpentin gegurgelt …“

„ … oder Glückseligkeit!“

„Das könnte ein bisschen hoch gegriffen sein.“

„Vielleicht hätten wir die Aprikosen einfach länger einweichen müssen.“

„Männer auf der Suche nach Glückseligkeit und heroischen Taten haben nicht die Muße, eine Wanne voll libanesischem Scheinwhiskey und getrockneten Aprikosen drei Wochen lang stehen zu lassen,“ erklärte Shorty voll Entschiedenheit. „Außerdem musste man sich ja hin und wieder baden!“

„Es gibt Leute, denen genügt es, sich einmal am Tag abzubürsten.“

„Nicht jeder ist ein Genie wie Major Wingate.“

„Heißt das nicht, den Begriff des Genies zu strapazieren? Wäre nicht alttestamentarischer Fanatiker die passendere Bezeichnung?“

„Du weißt, dass ich ihn verehre. Er kämpft gegen unsere Bürokraten so verbissen wie gegen die Deutschen. Er sollte unser leuchtendes Vorbild sein.“

„Leider wäscht er sich nicht.“

„Und er ist tatsächlich ein Fanatiker.“

„Ihm darin zu folgen würde mir schwer fallen.“

„Aber sind wir denn nicht auch Fanatiker? Fanatische Anhänger der Freiheit, des Abenteuers und eines Lebens als Vagabunden unter sengender Sonne und berauschenden Sternen!“

„Du lässt dich hinreißen: Immerhin haben wir bisher nicht versucht, uns die eigene Gurgel durchzuschneiden.“

„Vielleicht war es tatsächlich nur ein Unfall beim Rasieren.“

„Falls nicht, muss man sich allerdings fragen, was ihn zu dieser Tat veranlasst haben könnte.“

„General Headquarters, was sonst?“

Finton-Macauley nickte nachdenklich.

„Weißt du, diese Unternehmung versetzt mich in eine Art Euphorie; und das hat nicht nur damit zu tun, dass ich mir wie ein wandernder Odysseus vorkomme und Villons Lieder auf einmal von so viel mehr Sinn erfüllt sind, sondern auch damit, dass ich diesen verfluchten Bürokraten und Schreibtischtätern entkommen bin.“ Er kratzte sich die schweißnasse Achsel. „Ich wünschte, wir könnten auf Major Wingates Besserung anstoßen.“

„Ich bin mir sicher, Mikos treibt für heute Abend wieder Wein und vielleicht auch ein bisschen Raki auf.“ Shorty gähnte und streckte sich. „Was für ein Leben! Die Heroen der Antike wären stolz auf uns.“

„Wenn schon nicht unsere Eltern und Vorgesetzten, dann wenigstens die Götter!“

„Die am ehesten! Die haben sich auch nie viel aus dem alltäglichen Leben gemacht.“

„Griechische Wanderungen und ägyptische Ausschweifungen: Besser kann man es gar nicht treffen.“

„Inspirierende Worte! Ich habe zunehmend das Gefühl, ich könnte für weitere fünf Stunden den stumpfsinnigen Maulesel geben.“

„Eine Rolle, die dir auf den Leib geschneidert zu sein scheint!“

„Was soll man machen, wenn die des jugendlichen Liebhabers bereits vergeben ist?!“

„Ach ja, die Frauen!“ Finton-Macauley seufzte. „Fast hätte ich sie vergessen.“

„Das kann nur einer sagen, dem sie sich ständig an den Hals werfen, als wäre er der einzige, der sie vor den Hunnen bewahrt.“

„Wenn sie einen nur nicht immer zu ägyptischen Ausschweifungen anstiften würden!“

„Damals in Yorkshire habe ich noch geglaubt, sie wären anders. Die Verkörperung von etwas, das uns fehlt.“ Shorty sah seinen Freund von der Seite an. „Weißt du, du ertappst sie nie dabei, wie sie gerade die Welt erobern wollen.“

„Unsere Königin Victoria und die ägyptische Kleopatra mögen Ausnahmen von dieser Regel gewesen sein.“

„Meinetwegen … Aber die meisten von ihnen sind weniger größenwahnsinnig als die Männer!“

„Und weniger anfällig für Höhenflüge!“ Finton-Macauley streckte die Beine aus, so dass die nackten Füße mit ihren blutigen Blasen in die Sonne ragten. „Was vermutlich daran liegt, dass ihre Männer sie einsperren. Du musst ihnen nur die Chance geben; und sie sind bald genauso verwirrt wie wir. Was Ausschweifungen angeht, ist Natascha zum Beispiel den meisten von uns Kerlen weit voraus.“

„Die süße Natascha! Ich versteh wirklich nicht, warum du sie nicht heiratest. Ich würde es sofort tun.“

„Warum tust du es dann nicht einfach?“

„Von einem wie mir will sie doch nichts wissen! Außerdem hast du sie ein für alle Mal korrumpiert.“

„Ich wollte sie nur von ihrem Ehemann loseisen.“

„Der dürfte für sie tatsächlich keine Rolle mehr spielen. Die Institution der Ehe allerdings auch nicht!“

„Ich finde, du solltest trotzdem um sie werben. Du solltest das tun, was du mit ganzem Herzen willst, und zwar nur das!“

„Da frage ich mich, ob ich schon immer ein Maultier sein wollte.“

„Das Maultier ist ein Anfang, aber schon bald wirst du dir vorkommen wie ein antiker Held.“

„Lass uns Schritt für Schritt voranschreiten! Im Moment schleppe ich wie ein Maultier und denke wie ein Maultier: langsam und bedächtig.“

„Ich hoffe nur, du gewinnst deinen menschlichen Verstand rechtzeitig zurück, um morgen auf Sendung zu gehen.“

„Das hängt alles davon ab, wie weit es noch bis zu dieser verdammten Höhle ist.“

Finton-Macauley wandte sich an die beiden Griechen, die ein wenig abseits ebenfalls im Schatten eines Felsens lagerten.

„Und es sind wirklich nur noch zwei Stunden?“ fragte er in akzentfreiem, kretisch gefärbtem Griechisch.

Der kleinere der beiden, der seinen Mangel an Körpergröße durch einen besonders mächtigen Schnurrbart kompensieren zu wollen schien, nickte mit großem Ernst.

„Eine Stunde, wenn wir nicht Mr. Blights Kisten schleppen müssten!“

„Du bist dir da sicher?“

„Ich kenne hier alle Quellen. Das ist wichtiger als zu wissen, wo die Straßen oder Dörfer sind. Als die Deutschen aus den Flugzeugen gesprungen sind, haben wir bei den Quellen auf sie gewartet wie früher auf die Türken; und als sie dann endlich kamen, waren sie halb verrückt vor Durst und leichte Beute. Ich alleine habe mit meinem Vorderlader sieben erlegt.“

Finton-Macauley lächelte nachsichtig. Er wusste längst, das man kretische Angaben, was Wegstrecken betraf, verdoppeln, und die Zahl der angeblich von ihnen getöteten deutschen Soldaten halbieren musste, um sich der Wahrheit anzunähern, aber das störte ihn nicht, trugen doch auch solche Übertreibungen zum märchenhaften Charakter ihres Unternehmens bei.

Der kleine Partisanen-Trupp folgte in der Dämmerung schmalen, nur für Schafe, Schäfer und Viehdiebe sichtbaren Pfaden und Tritten über die Geröllhalden und die mit spärlichem, längst verdorrtem Gras bewachsenen Weideplätze hinweg und gelangte immer höher; und je höher sie kamen, desto schlechter wurde das Wetter, bis es schließlich zu regnen anfing. Mikos und sein Kamerad stellten kurz die altertümlichen Vorderlader, die noch aus den Türkenkriegen stammen mussten, und die hölzernen Kraxen ab, mit denen sie die Batterien und den kleinen handbetriebenen Generator für Shortys Funkstation transportierten, zupften die Schaffellumhänge, unter denen sich je zwei Patronengürtel in Banditenmanier kreuzten, zurecht und setzten den Weg fort; die beiden Engländer, die ähnlich schwer beladen waren, senkten die Köpfe und fluchten, als sie spürten, wie ihnen der Schweiß von der Stirn in die Augen gespült wurde.

Shorty begann leise zu singen:

Mit seinem alten Hut schief im Gesicht

Und mit dem Messer im Gürtel drin

Und auch nicht immer im Gleichgewicht

(Das kam vom Wein und dem verfluchten Gin)

So steht er vor euch, Gerry, der rote Coquillard,

Der führte die Deutschen an der Nas’ herum,

Und weil er überall und nirgends war,

Da nahmen sie ihm die Sache krumm.

Finton-Macauley musste lächeln und antwortete, als Shorty verstummt war und sich wieder auf den rutschigen Pfad vor ihnen konzentrierte:

Vor vollen Schüsseln muss ich Hungers sterben,

Am heißen Ofen frier ich mich zu Tod,

Wohin ich greife, fallen nichts als Scherben,

Bis zu den Zähnen steht mir schon der Kot.

Und wenn ich lache, hab ich geweint,

Und wenn ich weine, bin ich froh,

Dass mir zuweilen die Sonne scheint,

Als könnt ich im Leben ebenso

Zerknirscht wie in der Kirche niederknien …

Ich, überall verehrt und angespien.

„Schade, das wir keine Gitarre dabei haben!“ Shorty war stehen geblieben, wischte sich das Regenwasser aus dem Gesicht und sah den Griechen hinterher, die behände den rutschigen Pfad hochstiegen und sich weder von ihrem Gepäck noch der zunehmenden Dunkelheit bremsen ließen.

Sie machten sich wieder auf den Weg, um die beiden Partisanen nicht aus den Augen zu verlieren.

„Vielleicht kann Mikos eine organisieren! Immerhin sind die Kreter für ihr gepflegtes Lautenspiel bekannt.“

„Genauso wie für ihre Pünktlichkeit!“

„Sie haben ein archaisches Verständnis von Zeit,“ wandte Finton-Macauley zur Verteidigung der Kreter ein. „Die Zeit zu messen ist ein befremdliches, respektloses Konzept für sie. Das ist, als würde man eine von Nymphen bewohnte Quelle durch einen Wasserzähler laufen lassen.“

„Manchmal habe ich den Eindruck, sie leben in einer Art ewiger Gegenwart, die von Nymphen, Göttern und Menschen zugleich bewohnt wird.“

„Nymphen, Menschen und Monstern!“

„Nur, dass die Nymphen alle Trauer tragen, ständig Wäsche waschen und nie so jung sind, wie man sich Nymphen gemeinhin vorstellt.“

„Weniger Jahre und mehr Zähne würden den meisten von ihnen tatsächlich gut zu Gesicht stehen.“ Finton-Macauley blieb kurz stehen, suchte den nächtlichen Berg nach ihren griechischen Gefährten ab und setzte sich wieder in Bewegung. „Man fragt sich bei ihrem Anblick, wie sich die Kreter fortpflanzen.“

„Ich dachte, du hättest schon versucht, diesem Problem praktisch auf den Grund zu gehen.“

„Habe ich. Und es ist harte Arbeit!“

„Wie verwunderlich! Ich glaube, mich zu erinnern, dass es in Kairo als Genuss aufgefasst wird und Teil der täglichen Ausschweifungen ist.“

„Ich meinte nicht die Fortpflanzung, sondern meine völkerkundlichen Studien.“

„Ach so!“

„Schon alleine eine geeignete Nymphe zu finden, stellt sich als verdammt schwer heraus. Kein Vergleich zu Kairo! Noch dazu sind sie schwer zu erkennen unter ihren schwarzen Tüchern.“ Finton-Macauley schüttelte traurig den Kopf.

„Ich muss gestehen, gelegentlich - zum Beispiel in einer tristen Herbstnacht wie dieser, in der ich das Maultier gebe - verspüre ich doch Sehnsucht nach unserer Villa.“

Finton-Macauley, dem es ähnlich erging, nickte verständnisvoll. Sie hatten in Gezira von einer italienischen Witwe eine Villa angemietet, in der sich nach und nach weitere Offiziere der SOE einquartierten, aber auch Frauen wie Natascha von Berenskij, eine Weißrussin, die für die Alliierten als Krankenschwester arbeitete. Der Garten war mit verstaubten Gipsputti geschmückt, der Ballsaal mit niedrigen Tischen und tief hängenden Ampeln möbliert; Generationen von dekadenten Besuchern hatten auf seinen Polstern Brandflecke und an den Wänden ein Fries aus Pomade, Fett und Schmutz hinterlassen; im Flur hing ein Telefon, neben das Nummern und Namen in den verschiedensten Handschriften gekritzelt standen; und unter dem Telefon war eine Ablage angebracht, in der sich Briefe sammelten an Menschen, die gerade in Albanien oder der libyschen Wüste geheime Missionen durchführten oder weiter gezogen waren, ohne eine Adresse zu hinterlassen, oder irgendwo den Tod gefunden hatten, ohne dass die Bewohner des Hauses davon in Kenntnis gesetzt worden wären.

„Dort auf der Ottomane zu liegen, Aprikosenpunsch zu schlürfen und auf die Glühbirnen zu schießen, ist ohne Zweifel eine irdische Annäherung an göttliche Freude.“

„Das war tatsächlich ein netter Abend. Dass Leon sich in den Kopf gesetzt hat, Lady Keown-Browns Papagei zu vergewaltigen, war allerdings überflüssig.“

„Sie war sehr ungehalten darüber,“ bestätigte Finton-Macauley. „Und ich wette, sie hat uns nicht geglaubt, dass wir ihn noch für einen Spezialeinsatz brauchen.“

„Wer hat schon je von Mangusten im Dienste Ihrer Majestät gehört!“

„Natascha hätte ihn einfach besser abrichten müssen. Halb dressiert sind sie nicht besser als wir Menschen: kein natürlicher Anstand mehr, dafür lauter Flausen im Kopf.“ Finton-Macauley seufzte. „Deshalb habe ich auch die Schule geschmissen. Dort wäre ich nur meiner angeborenen Grazie beraubt worden, ohne dafür etwas im Tausch zu erhalten: Erleuchtung oder Allwissenheit etwa.“

„Und das hast du jetzt davon: Du bist wie Leon irgendwo im Limbo zwischen Tier und Gott gefangen und vergewaltigst zwar keine Papageien, dafür aber kretische Trauernymphen.“

„So etwas würde ich niemals machen! Ich bilde mich schließlich auf der Schule des Lebens fort.“

„Du meinst auf der Schule der Landstreicher, Herumtreiber und Tagediebe!“

„Sie zählt deine Freunde Homer, Villon und Shakespeare zu ihren Lehrern und hat immerhin verhindert, dass ich zum Garbadine-Schwein geworden bin.“

„Seltsam, nicht wahr, wie einem das Militär jeglichen Idealismus austreibt?“

„Sie wollen Gehorsam; und Gehorsam setzt Dummheit voraus.“

„Schade für die, die von Heldentum träumen!“

„Nun, die können sich ja der SOE anschließen.“

„Dort ist man wenigstens für die Dauer des Krieges dagegen gefeit, dass der Teufel des Generalstabs in einen fährt und zum Bürohengst macht. Aber was kommt danach?“

„Wir werden als nostalgische Trottel enden, für die der Krieg die schönste Zeit des Lebens war.“

„Während an den meisten anderen Fronten einfach nur getötet und gestorben wird, ganz dreckig und traurig und ohne Allüren!“

„Was soll man machen: Wir amüsieren uns blendend und führen die Hunnen an der Nase herum.“

„Noch haben wir nicht viel erreicht!“, warnte Shorty.

„Falls es klappt, werden sie ganz schön blöd aus der Wäsche schauen. Und ich wünschte, ich könnte ihre Gesichter sehen, wenn sie den Brief finden. Das wäre glatt wert, sich dort irgendwo zu verstecken.“

„Vergiss es!“ Shorty kannte Finton-Macauleys gefährlichen Hang zur l’art pour l’art. „Du weißt genau, dass es hinterher ernst wird und wir jeden Mann brauchen.“

„Leider!“ Finton-Macauley konzentrierte sich missmutig auf den kaum sichtbaren Pfad vor ihnen.

Die Höhle, die sie gegen drei Uhr morgens erreichten, war nass und zugig und eher ein weiterer Felsüberhang, aber immerhin so weit von Dornengestrüpp überwuchert, dass die Griechen meinten, ein Feuer riskieren zu dürfen; und bald drängten sich die vier um eine kleine, qualmende Flamme. Finton-Macauley hielt die Hände über sie, als wolle er sie vor der Nacht schützen; Shorty schlüpfte aus seinen genagelten Stiefeln und hielt die Socken ungeachtet der Proteste der anderen mit einem Stecken in den Rauch; Mikos ließ ein hartes Fladenbrot und eine Konservenbüchse voll Raki herum gehen; und bald merkten sie, wie müde sie waren; und jeder suchte sich einen halbwegs trockenen Fleck, an dem er für ein paar Stunden würde schlafen können, was wegen der Pfützen am Boden und der Tropfen, die vom Felsdach fielen, schwierig genug war.

Finton-Macauley wachte mit schmerzendem Rücken auf. Er hatte auf einem Steinbrocken gelegen, um dem feuchten Boden zu entkommen, war dabei aber an die nasse, im Morgenlicht wie verzaubert glitzernde Wand geraten; und sein Mantel war jetzt vollgesogen und schwer und sein Nacken steif. Er stand auf und streckte sich, trat an den Rand des Unterschlupfs und fand, dass der Berg hinter ihnen zwar immer noch in Wolken gehüllt war, der Regen aber immerhin aufgehört hatte. Er breitete den Mantel auf einem Felsen aus und ging fröstelnd zum Feuer, das Mikos schon vor einiger Zeit wieder entfacht hatte und auf das er jetzt eine verbeulte Kaffeekanne stellte.

„Die Nacht war schrecklich,“ brummte Finton-Macauley, ließ sich auf den Hacken nieder und legte die Hände an das Blech der Kanne, um sie zu wärmen. „Ich hoffe, die nächste wird weniger feucht.“

„Giorgios sagt, er hat eine Hütte für uns.“ Mikos, den ein unbändiges Lachen und funkelnde Augen auszeichneten, schüttete Kaffeepulver in die Kanne.

„Ich hoffe, die Hütte hat auch ein Dach.“

„Wenn sie kein Dach hat, bauen wir eins.“

„Genau das hatte ich befürchtet. Vergesst nicht, dass Shorty dort zwei Wochen lang wohnen muss!“

„Er wird dort wohnen wie in einem Palast.“

„Wir brauchen keinen Palast. Wir brauchen nur ein Dach,“ brummte Finton-Macauley und stocherte mit einem Stock in der Glut.

Die Wolken verzogen sich allmählich. Obwohl es der Sonne zum Trotz so weit oben am Berg erstaunlich kühl blieb, gelang es ihnen, ihre Kleider und Schuhe zu trocknen, was der Laune aller Beteiligten deutlichen Auftrieb verlieh.

„Hast du später Lust, dir ein bisschen die Beine zu vertreten?“, fragte Finton-Macauley, als Shorty sich endlich zu ihnen ans Feuer gesellt hatte.

„Bist du verrückt?“ Shorty starrte ihn entgeistert an. „Wir werden heute Nacht mehr als genug marschieren.“

„Aber da sieht man nichts!“

„Mir egal! Maultiere interessieren sich nicht für landschaftliche Reize.“

„Deshalb werden sie auch immer Maultiere bleiben!“, erwiderte Finton-Macauley schnippisch, erhob sich und machte sich am Nachmittag alleine daran, den Hang hinter ihrer Höhle zu erklimmen.

An Thymian und letzten Lilien vorbei, zwischen den vom nahenden Winter zu hektischer Betriebsamkeit angeregten Bienen hindurch und über die von der Sonne doch noch erwärmten Felsen hinweg gelangte Finton-Macauley auf einen kleinen Felssporn. Das Bergmassiv fiel dahinter kurz ab und lief dann weiter bis zum Ida, dessen Gipfel in dunkle Wolken gehüllt war. Über die kahlen, mit erstem Schnee bestreuten Flanken zuckte ein Wetterleuchten wie eine grelle, ekstatisch sich windende Schlange. Im Westen war der Himmel schon wieder strahlend blau; und die Sonne näherte sich dort dem Horizont; und bevor Finton-Macauley darüber schwermütig werden konnte, wandte er sich ab und stieg wieder zu seinen Gefährten hinunter.

Ein Läufer der Partisanen-Gruppe von Giorgios, die den Engländern bei ihrer Unternehmung in der Nähe von Heraklion helfen wollte, war in der Zwischenzeit zu ihnen gestoßen, ein junger, magerer Hirte, dem sein rundes Käppi immer wieder ins Gesicht rutschte, und er drängte zum Aufbruch, denn es war ein langer, mühsamer Weg bis zum nächsten Versteck. Schnaufend und fluchend schulterten sie ihr Gepäck, achteten darauf, keine Spuren zu hinterlassen, die sich von denen irgendwelcher durchziehender Schäfer unterschieden, und machten sich auf den Weg.

Die Sterne, manche weich und sanft wie silberne Blumen, manche scharf und spitz wie glitzernde Splitter, standen hoch über ihnen, der Mond aber, der bereits abnahm und an dem Tag, an dem sie zuzuschlagen hofften, ganz verschwunden sein würde, ließ noch auf sich warten; und so hatten sie von den deutschen Spähern wenig zu befürchten. Sie überquerten den Bergrücken, hinter dem die Insel zu ihrer Nordküste hin abfiel, und liefen von nun an, außer wenn sie einen Kessel oder eine der Schluchten, die der Regen im Herbst und das Schmelzwasser im Frühjahr gruben, durchqueren mussten, nur noch bergab, was Shorty, der zu Anfang noch über wunde Füße und schmerzende Schultern geklagt hatte, in immer bessere Laune versetzte, bis er schließlich voll Inbrunst „It’s a Long Way to Tipperary“ zu schmettern begann und von den erschrockenen Griechen eindringlich daran erinnert werden musste, dass sie sich auf einer geheimen Kommandoaktion tief im Feindesland befanden und nicht auf einem Spaziergang durch die walisischen Hügel.

„Aber es ist so eine schöne Nacht!“, wandte Shorty murrend ein und rückte mit einem kleinen Hopser die auf einmal wieder drückende und zerrende Kraxe zurecht. „Schwer vorstellbar, dass da unten jemand herumkriecht und dich töten will!“

„Jeder Vorwand ist den Deutschen recht, um jemanden zu erschießen, aber besonders gnadenlos verfahren sie mit schlechten Sängern; und ich mach ihnen da ausnahmsweise keinen Vorwurf.“ Finton-Macauley feixte unsichtbar.

„Ich ein schlechter Sänger? Ich kann das Lied in mindestens drei Sprachen! Willst du es mal auf Arabisch hören?“

„Nicht nötig! Ich bin noch ganz benommen von deinem Ausflug ins Griechische.“

„Weißt du, was du bist?“ Shorty wartete drei Schritte, bis er die rhetorische Frage selbst beantwortete: „Ein ganz gemeiner Snob! Und mal sehen, ob du mit deinem lächerlichen Schnurrbart und deiner durch keinerlei Talent gerechtfertigten Herablassung mehr Erfolg hast bei deinen kunstsinnigen Deutschen!“

„Ich verspreche dir, sie werden mir zu Füßen liegen. Zumindest ein paar von ihnen!“

„Wenn sie sich von einem aufgeblasenen Wicht wie dir täuschen lassen, werden sie sich auch an meiner Sangeskunst nicht stören.“ Und schon stimmte Shorty wieder sein Lied an, nur diesmal in einer Version, die ihm ein Taxifahrer in Kairo beigebracht hatte und die in obszöner Weise Eigenarten des britischen Liebesleben abhandelte, was Shorty nicht wusste und was auch ein Araber seinem Vortrag nur schwer hätte entnehmen können.

Gegen Morgen schlugen ein paar Hunde an, als ihr Trupp an einer Hürde voll Schafen vorbei kam; und kurz darauf durchquerten sie ein kleines Dorf. In einigen der Steinhütten brannten schon Lichter; und Giorgios’ Läufer, der ohne Schuhe unterwegs war, bedeutete den anderen, bei einem Brunnen auf ihn zu warten, und rannte leichtfüßig zum größten der Bauernhäuser und tauchte bald darauf triumphierend mit Fladenbrot, einem Beutel Rosinen und einem Napf Yoghurt wieder auf. Die Engländer und ihre Begleiter marschierten noch ein Stück weiter, befreiten einander von dem schweren Gepäck, ließen sich auf ein paar Felsen unter einem Feigenbaum nieder und stopften sich mit bloßen Händen und inbrünstig schmatzend das Frühstück in die Münder. Shorty und Finton-Macauley sahen einander mit verschmierten Bärten an und mussten lachen.

„Schlägt Blutwurst und Bohnen um Längen!“, behauptete Shorty grunzend.

„Da kommt das Oberoi nicht mit!“, bestätigte Finton-Macauley und beobachtete erfreut, wie der Läufer jetzt auch noch einen Topf voll Honig aus seiner Umhängetasche zog, in die sie bald reihum kleine Holzstecken tauchten, um diese anschließend abzulutschen.

„Großzügigere Gastgeber hat auch Odysseus nicht kennengelernt.“ Finton-Macauley rollte auf den Boden, aber bevor er einschlafen konnte, drängte Giorgios’ Läufer sie schon wieder zum Aufbruch; und eine halbe Stunde später erreichten sie in der Morgendämmerung eine halb verfallene Kate, die im Inneren gerade so viel Platz bot, dass sich alle fünf dort neben den Kraxen und Rücksäcken auf dem gestampften Erdboden ausstreckten konnten.

„Ich werde mich bald auf den Weg machen, damit ich noch vor der Sperrstunde zur Villa komme.“ Finton-Macauley lehnte am gerissenen Olivenholzbalken des Türstocks und sah zu, wie Shorty vorsichtig die Haube von dem Funkgerät hob, für das er vor der einzigen Fensteröffnung der Hütte bereits einen halbwegs waagerechten Tisch gebaut hatte.

„Und du meinst immer noch, dass das richtig ist?“ Shorty stellte die Blechhaube beiseite. „Wenn die Deutschen erst einmal auf deinen abgehalfterten Captain Kidd aufmerksam geworden sind, werden dir vermutlich auch deine Papiere nicht helfen. Giorgios’ Leute können doch genauso gut feststellen, wann der Wagen kommt und wieder fährt.“

„Wir können nicht einfach jemanden ein paar Tage lang an eine verlassene Straßenkreuzung stellen, damit er aufschreibt, wann welche Deutsche dort vorbeikommen. Selbst ein Hirte oder Bettler würde dort bald auffallen. Außerdem haben die Kreter ein sehr lässiges Verhältnis zur Zeit. Ich würde mich auf ihre Aufzeichnungen nicht verlassen wollen. Nicht, wenn diese absolut präzise sein müssen und wenn so viel auf dem Spiel steht! Eine Engländerin hingegen, die nur aus dem Fenster schauen muss, um zu wissen, was ihr Nachbar treibt …“

„Und du bist dir sicher, dass das der einzige Grund ist?“ Shorty drehte sich argwöhnisch nach seinem Freund um. „Wir wissen weder, ob sie von ihrem Haus aus wirklich was sehen kann, noch, ob sie überhaupt bereit ist, mitzumachen und ihr Leben aufs Spiel zu setzen. Und sie wäre eine weitere Mitwisserin. Eine ohne jedes Training!“

„Glaub mir, sie wird keinen Moment zögern, und sie ist genau die Richtige für den Job. Ihr Vater ist bei der Verteidigung der Insel von den Deutschen hingerichtet worden und wird von den Kretern als Held verehrt. Und sie ist Archäologin! Das sind die schlimmsten Pedanten, die es gibt. Kein Krümel entgeht denen! Und sie ist sehr zuverlässig. Viel zuverlässiger als ich!“

„Was leider überhaupt nichts heißen will!“ Shorty wandte sich nach einem bösen Blick aus dem Augenwinkel wieder dem Funkgerät zu. „Ich fürchte allerdings, dass wir gar nicht mehr die Zeit haben, den Plan noch einmal umzustürzen. Aber sei bloß vorsichtig! Du bist längst nicht so gut getarnt, wie du gerne glaubst. Und erlaub dir keine Scherze mit den Deutschen! Das hier ist keine harmlose Charade; und sie haben keinerlei Sinn für Humor.“

„Ich verspreche dir, ich werde ganz brav sein. Ich flitz nur schnell zu Artemis runter, erklär ihr, was sie machen muss, und morgen, spätestens übermorgen bin ich wieder da.“

„Morgen und keinen Tag später! Sie hat Hausangestellte, sie hat Freunde, sie bekommt Besuch von Handwerkern und Lieferanten. Das Risiko, dass dich dort jemand entdeckt, ist viel zu groß. Selbst, wenn du dich die ganze Zeit in ihrem Bett versteckten solltest!“

„Wo denkst du hin!“, rief Finton-Macauley mit gespielter Empörung. „Das ist längst vorbei. Außerdem ist sie gar nicht mein Typ! Viel zu pedantisch und gewissenhaft!“

„Alles, was Röcke trägt, ist dein Typ! Und ich bin mir sicher, dass eure Romanze eher an deiner Gewissenlosigkeit als an ihrer Gewissenhaftigkeit gescheitert ist. Aber egal! Wenn du übermorgen in der Früh nicht wieder da bist, blasen wir die Sache ab und ziehen uns zurück. Dann kannst du schauen, wie du wieder mit uns Verbindung aufnimmst!“ Shorty tat, als konzentriere er sich darauf, eine kleine Stellschraube des Funkgeräts zu justieren.

„Giorgios würde mir sicher helfen.“

„Klar! Der Giorgios, der es deiner Meinung nach nicht einmal schafft festzustellen, wann welches Auto zur größten Villa auf Kreta hochfährt! Aber bitte!“ Shorty warf den Schraubenzieher auf den Tisch, stand auf und wandte sich wieder seinem Freund zu.

Finton-Macauley breitete grinsend die Arme aus; und Shorty hatte gerade noch Zeit, sich vom Tisch abzustoßen, bevor er nach überschwänglicher Griechenart umarmt und geküsst wurde.

„Ein bisschen was von einem Kreter hast du inzwischen doch an dir.“ Shorty wischte sich verlegen die Wangen ab.

„Soll ich was mitbringen? Ein paar Decken vielleicht?“ Finton-Macauley, der sich schon zum Gehen gewandt hatte, blieb auf der kaum sichtbaren Schwelle stehen, um zu hören, ob sein Versöhnungsangebot akzeptiert wurde.

„Decken wären nicht schlecht. Ich glaube kaum, dass Giorgios welche schicken wird. Es scheint die Würde eines Partisanen zu verletzen, unter einer Decke zu schlafen.“

„Ich werde schauen, was sich machen lässt“, versprach Finton-Macauley und verschwand.

Partisanen

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