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Eva Sand

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Draußen, vor den Scheiben des Cafés, durchstoßen Schwarzgekleidete den Nebel der Stadt. Es ist November, Sonntag, die Stunde des Herrn. Die schwere Glocke der Pfarrkirche ruft. Sie säuft die Seelen der Sünder.

Ihre Schläge schwingen dumpf in mir.

Ich sitze am Cafétisch und rühre im Tee. Ich gehe nicht in die Kirche. Ich strafe Gott, weil ich nicht lieben kann. Zwischen mir und Gott steht ein Monster. Es trägt Talar. Das Monster war hinter meiner Mutter her.

„Was ist?“, fragt die Frau an meinem Tisch. Ich schaue auf. Ihr blondes, lockiges Haar, ihre blauen Augen. Sie hat Krähenfüße darunter.

Ich vögle sie, aber sie langweilt mich. Vielleicht hat sie deshalb Krähenfüße. Ich schaue aus dem Fenster. Sie liest wieder Zeitung. Draußen flattert noch ein später, schwarz gekleideter Kirchgänger durch den Nebel.

„Eva Sand, wer ist das? Kennst du die?“, fragt meine Beischlafkrähe. Sie hat die Familienanzeigen aufgeschlagen. „Sie hätte so gerne noch gelebt“, liest meine Beischlafkrähe vor. Ich schaue in die Zeitung. Übelkeit schwappt in mir hoch. Eva lächelt mir ein letztes Mal zu. Scheu und zerbrechlich. Sie haben ihre Todesanzeige mit Foto veröffentlicht. Ein Leben verweht mit 25 Jahren.

Eva Sand.

Ihr eckiger Körper, das krause Haar, diese Lippen, die nach Melone schmeckten. Sie trug ein weißes Sommerkleid. Ich hatte sie gerade einem Bekannten ausgespannt. „Ich will nicht mit dir schlafen“, sagte sie, als ich sie endlich im Bett hatte. „Ich schlafe nie mit einem Mann beim ersten Mal.“

„Gut“, knurrte ich, „dann schläfst du mit mir eben beim zweiten Mal.“

Sie lachte. Sie hatte ein so kehliges Lachen. Einen Sommer lang schlief ich mit ihr, beim zweiten Mal, beim dritten Mal und bei allen anderen Malen auch. Wir lagen am See, wir saßen im Biergarten, wir schauten in die Wolken. Dann ging ich nach München, nahm ihren Geruch mit, den Geschmack ihrer Lippen und die Erinnerung an den eckigen Körper, den sie unter mir bog. Sie schrieb mir lange, labyrinthische Briefe voller Liebe, das Papier wurde allmählich dunkler, der Ton düsterer, Tränentropfen ließen an etlichen Stellen die Tinte zerfließen. Ein letztes Mal meldete sie sich aus Heidelberg - sie arbeite jetzt da. Dann schwieg sie.

Der Märzwind pfiff durch München, in den Biergärten lümmelten fette Frauen in Nerzen, die Sexkinos am Bahnhof sogen knittrige Männer ein und spuckten sie noch knittriger aus - da prallte ich in ihr Parfüm. Evas Parfüm. Ich schaute mich um, doch die Frau, die Evas Parfüm trug, war alt und aufgeschwemmt. Sehnsucht sprang mich an, mit den Krallen zuerst. Nach Eva, nicht nach der alten Frau. Ich musste sie sehen. Sofort. Aber sie wohnte nicht mehr in Heidelberg. Wieder zogen Monate ins Land. Plötzlich rief mich Eva an und sagte, sie lebe jetzt in München. Sie besuchte mich, wir sahen uns Fellinis Casanova an, malten Rotweinflecken auf den beigen Teppich und liebten uns, obwohl sie sagte: „Du weißt, beim ersten Mal schlafe ich nie mit einem Mann.“ Aber sie öffnete mir bereitwillig ihr Schatzkästlein.

„Ja, ich weiß“, antwortete ich und genoss ihren eckigen Körper, den sie unter mir bog.

Sie blieb ein paar Tage, ich fand ihr Journal im Flur. Dort las ich nach, welch ein Schuft ich war; mit meinem Casanova und dem Rotwein und meiner dreckiger Zunge. Verflucht. Am Abend gingen wir spazieren. Ich lief mit Eva durch die schwarzen Straßen Haidhausens. Sie erzählte mir, wie die Welt sie zerrieb. „So ein schwarzer Mantel liegt auf meinen Schultern“, sagte sie und lächelte scheu und zerbrechlich. Ich nahm ihre Hand. Am nächsten Morgen ging sie. Ich stand auf dem Balkon und sah ihr nach: Ihr krauses Haar, ein rotes Kleid, unter dem ich ihren eckigen Körper ahnte.

Wieder wuchs das Schweigen zwischen uns. Eva zog vor mir in die kleine Stadt zurück. Bekam Krebs. Ich erfuhr zu spät davon. Jetzt lebe auch ich wieder in der kleinen Stadt, wo ich Eva kennenlernte. Aber Eva ist tot.

Draußen, vor den Scheiben des Kleinstadt-Cafés, schneit es. Ich lege Geld auf den Marmortisch und stehe auf.

„Was ist los mit dir, wir wollten doch nachher noch vögeln“, protestiert meine Beischlafkrähe und zieht die Augenbrauen hoch.

Mir ist schlecht. Ich gehe. Den beiden Alten am Nachbartisch glotzen mich ungehemmt an.

Draußen bleibe ich vor einer Schaufensterscheibe stehen. Ich spiegle mich darin. Plötzlich erkenne ich das Monster, das zwischen Gott und mir steht: Das Monster bin ich.

Liebe.Ficken.Tod

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