Читать книгу Uncountry - Yanara Friedland - Страница 7
Prolog
ОглавлениеIhr Mann verstarb, darüber weinten sie. Die Gerste war zur Reife gekommen, jedes Haus wurde geputzt, die Schwellen gewienert. Die Frauen kochten Rosmarin-Huhn. Sie stahl Beeren vom Markt und stellte die Uhren im Hause um. Drei Nächte und vier Monate lang stand sie vor Tagesanbruch auf, lavendelte ihr Haar und grub Löcher im Garten. Nachts verscharrte sie dort ihre Kleidung, lagerte Schinken darin und Geschenke. Dann tötete sie auf der Straße eine alte Frau, trank aus ihren Milchkrügen und nahm ihre Schuhe. Bewach die Äcker, horte Korn und hefte dich an seine Fersen. Sie verließ das Dorf mit geschwärztem Gesicht und durchschwamm den Fluss. Ihr wollenes Kleid sog sich schwer, und die Sterne raunten. Sie sangen oder prangten nicht, schienen nur von fern herab. Ihre Füße schleppten sich tagelang über Felder und durch Wälder. Ein schmutziges Stachelschwein hinkte hinterdrein, eine verwirrte Eule flog ihr gegen die Schulter. Wo hast du heute gelesen, du könntest verletzt sein, geh fort, aber bleib bis zum Morgen hier ruhen. Sie lauschte, die Eule und das Stachelschwein zu ihren Seiten; die Sterne, ohne Duft und Belang, verloren derweil ihr Licht. Sie versuchte, sich an das Dorf ihres Vaters zu erinnern, und vermochte es nicht. Sie versuchte, sich an das Dorf ihrer Mutter zu erinnern, war sich dann aber nicht sicher, ob sie eine Mutter hatte. Hungrig beschloss sie, die Schnitter und Schnitterinnen auf den Feldern anzusprechen. Doch am nächsten Tag brach der Winter ein und spielte sein Madrigal. Sie lief sich die Füße wund über Weizenstoppeln. Ein boshaftes Lachen entstieg dem Acker und die Sonne verschwand sofort, doch das war ihr recht. Bald brach der Boden auf und barst. Pflanzen stürzten in die Herzgefäße der Erde. Dann fielen Aale und Hausstände hinab in das vormals Feste. Laute wurden von Lehmwänden geschluckt. Ein Schwarzwald der Träume war das nicht, nicht irgendein höllisches Danach. Hier war sie nun, das Haar entflochten, blutverkrustet, mit zitternden Knien. Hier war sie nun, ein von Ödnis geschöpftes, beherztes Requisit, und dachte nicht an ihr Witwensein, Begräbnisse und Morde. Die Zeugen schwanden. Sie wartete, bis alles vorbei war, die Menschen aus ihren Nestern kamen und Vögel sich in den Baumgerippen niederließen. Ein Mann an einem kleinen Feuer lächelte sie an, und sie fragte sich, ob er der Löser sei, ob sie ihm ihre Sandale darbringen solle, damit er sie nehme. Sie legte sich ihm zu Füßen; ihm fehlten ein paar Zehen. Sie rollte sich zur Schnecke und wartete auf seine Hand auf ihrem Haar. Aber der Mann blickte ins Feuer und sprach in einer nie zuvor gehörten Sprache. Tatsächlich sprach er gar nicht durch seine Zunge, sondern gab frei, was das Beben von seinem gorge geschluckt. Er reichte ihr einen Feuerfarn, und obwohl sie es besser wusste, ergriff sie ihn. Die Flamme ballte sich in ihrer Faust, und sie wartete gespannt darauf, was er ihr antun würde. Er nahm ihr Haar zwischen seine Hände und rieb die Strähnen, als sei ihnen kalt. Noch bebte die Welt vom Bersten, und sie nahmen herumwirbelnde und zerfallene Dinge, um einander Geschenke zu machen. Am nächsten Tag hatten sie Berge von Hundebeinen, Kirschvögeln, Töpfen, heißen Kartoffeln, Knochen und eine Sammlung von Zungen, Augen und anderen Körperteilen beisammen. Und obschon sie nie herausfand, wer dieser Mann am Feuer war, warum er sich so freundlich um sie kümmerte mit seinem poltrigen Tun und den eifrigen, von all den falschen Stellen geliebten Händen (er verbrachte Stunden damit, ihre Lider zu streicheln, ihre Nägel zu massieren, ihre Achseln zu beschirmen), und obwohl sie nicht ganz sicher war, warum er nicht in sie eindringen wollte, wie alle anderen Männer zur rechten Zeit, warum er sich überhaupt nicht für ihre Brüste, ihre Lippen und all das Bedeutende zwischen ihren Beinen interessierte, blieb sie ihm nah und schlief vor seinen Füßen und fehlenden Zehen. Und obwohl sie einander ihre Gedanken nicht mitteilen konnten, verwirrten sie einander Herz und Verstand. Sie versuchte, ihn für ihre Nacktheit zu gewinnen, und er lockte sie mit gesammelten Flammen, reichte ihr manchmal eine seltene Leblosigkeit oder sagte ihr einfach in seinem Kuddelmuddel von Sprache, wohin er seine Hand gern legen mochte, und tat es dann. Im Laufe der Zeit brach der Himmel wieder hervor mit seinem Sternenvolk und Mond und Sonne. Die Jahreszeiten kehrten zurück, und die Laute wurden wieder an ihre wahren Erzeuger zurückverwiesen; Vögel zwitscherten und Schatten blieben stumm. Sie brachte ihm das Kauen und das Schlucken bei, und er ließ es sich von ihr zeigen. Wohin sie gingen oder was aus ihnen geworden ist, weiß niemand. Manche meinen, sie seien die Letzten gewesen, die auf dieser Erde gesehen wurden, andere glauben, die Allerersten.