Читать книгу Männerphantasien - Fotomanien - Yupag Chinasky - Страница 8
Nah an der Realität
ОглавлениеNachdem er zugesichert hatte, ihr zusätzlich Geld für eine neue Bluse und neue Unterwäsche zu geben, ging sie in das Schlafzimmer und kam mit abgetragenen Kleidern wieder. Die Bluse war wohl einmal blau gewesen, nun aber verwaschen und fleckig, die Jeans abgeschabt mit großen, zerfransten Löchern, echten Löchern, keine Designerlöcher. Der durchbrochene, lila BH war durch einen altmodischen weißen ersetzt, dessen einer Träger geknotet und in dessen einem Körbchen die Naht ein Stück weit aufgeplatzt war. Zur ersten Einstellung setzte sie sich mit halb aufgeknöpfter Bluse auf den Küchenstuhl, ein Bein ausgestreckt, das andere auf den Sitz hochgezogen. Sie blickte mit großen Kleinmädchenaugen in die Kamera, schelmisch, verführerisch, neugierig, erwartungsfroh. In der nächste Szene stand sie breitbeinig in der geöffneten Schlafzimmertür, die Bluse fast ganz aufgeknöpft, den Busen, der aus dem zu engen BH quoll, vor gereckt. Die Augen waren nur noch schmale Schlitze, die Zunge leckte ganz leicht die blutroten Lippen, gerade so, dass man die Wollust in dieser Frau ahnte. Der Höhepunkt der Verführungspose war die dritte Szene. Sie lag ausgestreckt auf dem Bett, das Laken zerknüllt, die Bluse weit aufgeknöpft, die Jeans bis zu den Knien herab gezogen. Der rosa Slip bedeckte nur knapp ihr Schamdreieck. Sie hatte den Unterleib leicht hochgereckt und die Arme hinter dem Kopf verschränkt. Die Augen waren geschlossen, der Mund lasziv leicht geöffnet, bereit für heiße Küsse und andere Oralarbeit. Sie lag da, in sehnsüchtiger Erwartung eines aufgegeilten Mannes, der sich gleich auf sie stürzen würde. Nachdem diese Aufnahmen gemacht waren, bereitete sie sich, von ihrem eigenen Tun atemlos und aufgewühlt, für den zweiten Teil des Dramas vor. Mit Schminke und Wasserfarben malte sie sich Kratzwunden auf Arme und Beine, blaue Flecken auf die Brüste und Blutspuren in das Gesicht. Sie zog die Jeans aus, zerriss dekorativ die Bluse und vergrößerte die aufgeplatzte Naht des BHs so weit, das eine Brust frei war. Sie verwandelte sich, überzeugend und glaubwürdig, von der geilen Verführerin in das misshandelte, gedemütigte Opfer. Ein Opfer, das wieder halbnackt auf dem Bett lag, jedoch nicht in verführerischer Pose sondern verletzt, verzweifelt, geschändet, halbtot. Dann kroch sie mit letzter Kraft über den Fußboden in die Küche und lehnte sich, heulend und schluchzend, an ein Bein des Küchentischs.
Nach diesen aufregenden Aufnahmen, zogen sie Bilanz. Es war für beide harte Arbeit gewesen, aber eine Arbeit, die sich gelohnt hatte. Beide waren mit dem Resultat sehr zufrieden. Für die junge Frau hatte sich ein Traum erfüllt, weil sie ihr schauspielerisches Talent voll ausreizen und mit ihrem Hang zum Posieren kombinieren konnte. Sie war von ihren Fähigkeiten selbst überrascht und hatte begeistert die Gelegenheit ausgenutzt, sich einmal voll auszuleben, einmal das vor einer Kamera zu tun, was man sich sonst zu tun nicht traut. Sie hatte sich in ihre Rolle hineingesteigert, immer delikatere Stellungen und immer gewagtere Positionen eingenommen und diese Rolle, davon war sie überzeugt, sehr gut gespielt. Er bestärkte sie in ihrer Ansicht, überhäufte sie mit Komplimenten und sagte ihr, dass er rundum zufrieden sei. Er sagte ihr allerdings nicht, dass auch für ihn geheimste Wünsche endlich in Erfüllung gegangen waren. Es war nicht so sehr der Anblick einer nackten, schönen Frau, nicht so sehr das rein sexuelle, erotische Element, das ihn begeistert hatte, obwohl das auch, natürlich, er war ja ein Mann und hatte sich beherrschen müssen. Nein, es war die Erfahrung, als kühler, objektiver Fotograf diese irritierenden, hoch emotionalen Szenen distanziert und scheinbar emotionslos, akribisch festzuhalten. Bilder von Gewalt und Brutalität, selbst wenn sie nur gespielt, gut gespielt waren in Kunst zu verwandeln. Szenen von unbändiger Leidenschaft, aufwühlender Erotik und tiefer Scham, die sich vor seinen ungläubigen Augen abgespielt hatten, in faszinierende Fotosequenzen zu verwandeln. Kurz und gut, beide hatten diese inszenierte „reality show“ höchst spannend und dramatisch gefunden. Es war so völlig anders gewesen als alles, was beide bisher gemacht und erlebt hatten und einige bisher verborgene Talente in ihnen waren zu Tage getreten: das Mädchen als unentdecktes Modell und verkannte Schauspielerin, der Fotograf als unterschätzter Künstler und Regisseur dramatischer Szenen. Selbst auf dem kleinen Monitor sah er, dass die Bilder gut, ja sehr gut, waren. Er hatte mit verschiedenen Techniken gearbeitet. Viele Bilder waren wieder situationsbedingt unscharf, verwackelt und unterbelichtet. Sie glichen Bildern, die ein Voyeur zufällig geschossen hatte oder Bildern, die ein zynischer Verbrecher von seinem gedemütigten Opfer gemacht hatte, um es zusätzlich zu verhöhnen und seine Verzweiflung auch noch zu dokumentieren. Andere Bilder waren wiederum brutal scharf und hart und überbelichtet, weil er das Opfer direkt angeblitzt hatte, Bilder ohne jede Distanz und ohne Rücksichtnahme auf verletzte Gefühle. Es waren Bilder im Stil des legendären Polizeireporters Weegee der vierziger Jahre. Dann wieder Bilder, die seltsamerweise poetisch waren, anrührend, obwohl die „Tat“ im Hintergrund immer zu ahnen war. Die Art, wie er diese Frau in ihrer Rolle fotografiert hatte, widersprach jedenfalls allen Regeln der klassischen Akt- und Porträtfotografie. Die Ergebnisse waren von den geleckten Aufnahmen der Hochglanzmagazine und der verlogenen Beautyfotografie der Werbung, von den kümmerlichen Versuchen der Amateure im Schlafzimmer und des ausgebufften Profis in entsprechenden Magazinen weit entfernt, sie waren um Klassen besser als die vorausgegangenen, konventionellen Aufnahmen. Sie waren authentisch und realistisch und glaubwürdig, nicht nur, weil alles echt aussah, die aufgemalten Blessuren, Flecken und Schrammen, die schäbigen, zerfetzten Kleider, die Körperhaltung und der Gesichtsausdruck der „misshandelten“ Frau. Nein, sie waren glaubwürdig, weil sein Modell, diese junge Frau vom Spielplatz so glaubwürdig war, so unheimlich gut ihre Rolle gespielt hatte, so beängstigend gut. Die Rolle einer Frau, die in der armselige Umgebung, in der sie leben musste, vergewaltigt worden war, als wäre das Leben allein unter solchen Bedingungen nicht Strafe genug. Vergewaltigt, misshandelt, gedemütigt und dabei noch fotografiert. Aber es war nicht nur die Dokumentation eines solch schlimmen Vorfalls, es war die künstlerische Erhöhung dieses Ereignisses, die gekonnte Inszenierung des nicht Darstellbaren, Perversion und Überhöhung zugleich. Wenn er diese Bilder veröffentlichen würde, er musste tief atmen, wenn die irgendwo erscheinen würden, dann hätte sich der Traum eines jeden Fotografen erfüllt, er wäre auf einen Schlag ein Star und er könnte sogar Geld verdienen, wenn er es richtig anstellen würde, richtig viel Kohle machen, denn viele Menschen sind Voyeure und geilen sich am Leid anderer mehr auf als an der Freude und genießen morbide, unmoralische Kunstwerke mehr als sie je zugeben würden.
Das Rollenspiel und die intensive Erfahrung des nahezu Realen, hatte beide so fasziniert und beschäftigt, dass sie das kleine Mädchen in seinem Hochstuhl fast vergessen hatten. Es hatte erst still dagesessen und begeistert dem unverständlichen, aber anscheinend vergnüglichen Treiben der Erwachsenen zugeschaut und war dann eingeschlafen. Es schien nicht das erste Mal zu sein, dass es im Hochstuhl wartete und spielte und schlief. Doch nun war die Kleine aufgewacht, hatte Hunger und rief lautstark „Mama, Brot essen wollen“. Damit war der Zauberbann gebrochen und die seltsam angespannte, erotisierte Atmosphäre fort geweht, aber alle drei waren gut gelaunt, ja geradezu glücklich. Das Glück der jungen Frau wurde nur ein wenig dadurch getrübt, dass sie nicht soviel Geld bekam, wie sie sich erhofft hatte, als zusätzlichen Bonus für ihre Leistung. Aber er versicherte ihr, dass er nicht mehr dabei habe und zeigte ihr zum Beweis sein leeres Portemonnaie. Nach einigem Grummeln nahm sie das, was er ihr hinhielt. Als er nun schon zum zweiten Mal an diesem Nachmittag dem Kind zum Abschied über den Kopf strich, zögerte er einen Moment und war versucht, noch ein paar Aufnahmen von dem während des Fotografierens vernachlässigten, doch trotzdem freudig winkenden Mädchen in seinem Hochstuhl zu machen. Aber es ging nicht mehr, alle Speicherkarten waren voll und auch der Reserveakku war leer und auch sein Kopf und so richtig Lust auf weitere unkonventionelle Aufnahmen hätte er auch nicht gehabt. Genug ist schließlich genug. Im Treppenhaus reichte ihm die junge Frau nicht nur die Hand sondern umarmte ihn und drückte ihm sogar einen Kuss auf die Wange. „Danke für diesen Nachmittag, es war einer der schönsten und spannendsten in meinem ganzen Leben“ und, fügte sie hinzu „weißt du, was ich ganz prima fand? Dass du nicht versucht hast, mich anzumachen und mich zu begrabschen oder zu bumsen, dass du nur diese tollen Bilder gemacht hast“.