Читать книгу Männerphantasien - Fotomanien - Yupag Chinasky - Страница 9
Ein Brief
ОглавлениеAuch er fand die Bilder „toll“, als er sie daheim am Computer bearbeitete. Es waren naturgemäß die letzten Bilder, die außergewöhnlich waren, spannungsreich und emotional, höchst anregend und geradezu gefährlich aufregend. Er würde es sich gut überlegen müssen, was er mit ihnen anfangen sollte, ja er fragte sich, ob er sie überhaupt veröffentlichen sollte. Sie waren so realistisch, dass ihm niemand abnehmen würde, dass die Situation nur gestellt und die Vergewaltigung gespielt war. Er tat sich schwer mit der Entscheidung, weil er noch nie so gute Bilder gemacht hatte, lauter kleine Kunstwerke. Er überlegte sich auch, ob er diese verfänglichen Bilder der jungen Frau überhaupt schicken sollte oder nicht lieber nur die schönen, harmlosen mit den Szenen auf dem Spielplatz und mit den Körperdetails aus der ersten Phase in der Wohnung. Doch dann fand er, dass sie als Modell ein Recht darauf hätte, alles zu sehen und das Resultat auch bestimmt sehen wollte, obwohl sie, da sie ja Geld für das „shooting“ erhalten hatte, keine weiteren Ansprüche mehr stellen konnte. Aber es kam auch ein bisschen Eitelkeit ins Spiel. Er wollte ihr sein Können vorführen, ihr die Genialität des gemeinsamen Werkes zeigen, gelobt, vielleicht sogar ein wenig angehimmelt werden. Also legte er dem Brief, den er ihr schickte, auch einige der verfänglichen Bilder bei.
Er bekam keine Antwort, kein Danke schön, keine Bitte nach einem neuen Treffen, nach weiteren Aufnahmen, nach mehr kribbelnden „shootings“, was er insgeheim gehofft hatte. Er war etwas enttäuscht, wusste aber auch, dass sich die Einmaligkeit dieser Begegnung nicht wiederholen ließ, der zweite Aufguss wäre nur ein fades Gebräu. So kam es, dass er das Ereignis zwar nicht vergaß, so etwas vergisst man nie, aber durch andere Aktivitäten weitgehend verdrängte. Von einer Veröffentlichung hatte er dann doch, nach intensivem Nachdenken und mangels Kontakten zu einem geeigneten Medium, Abstand genommen. Doch das aufregende Ereignis war keineswegs folgenlos. Ein paar Wochen später kam ein Brief. Es war ein billiger Umschlag, ohne Absender und darin war nur ein Bild, ein einziges, dafür aber eindeutiges Bild. Es zeigte die fast nackte, junge Frau auf dem Fußboden der Küche sitzend, den Oberkörper gegen den Küchentisch gelehnt. Ihr BH war zerrissen, eine der Brüste frei, darauf zeichnete sich ein großer schwarz-blauer Fleck ab, den sie vergeblich mit einer Hand zu verdecken suchte. Mit der anderen zog sie krampfhaft ihren Slip nach oben, als ob sie dadurch verhindern könnte, dass ihre Blöße zur Schau gestellt wurde. Unter dem Slip sah man eine verschmierte rote Blutspur hervorkommen, die sich bis über den halben Oberschenkel hinabzog. Am eindringlichsten waren jedoch die ängstlichen, weit aufgerissenen Augen, die verzweifelt in die Kamera starrten. Der Anblick der verzweifelten Frau beunruhigte ihn nicht so sehr, er wusste ja, dass alles nur gespielt, nur inszeniert war. Was ihn jedoch zutiefst entsetzte, war ein Gegenstand, der zwar etwas unscharf und undeutlich, aber doch eindeutig auf dem Bild zu sehen war. Neben dem Küchentisch lag ein pinkfarbener Rucksack mit der Aufschrift „titanic-bag“. Er hätte sich in den Hintern beißen können, dass ihm das nicht aufgefallen war oder er die Konsequenzen nicht bedacht hatte, als er das Bild für sie ausgesucht hatte. Auf der Rückseite des Fotos stand in ungelenker, verstellter Kinderschrift: „Zahlen sie 1000 Euros sonst geh ich zur Polizei und zeig sie wegen Vergewaltigung an. Stecken sie das Geld in einen Umschlag. Werfen sie diesen in den Papierkorb mit dem gelben Aufkleber auf dem Spielplatz neben der Bank da wo sie gesessen haben. Abgabe Mittwoch 7. Mai Punkt 11 Uhr in der Nacht. Anschließend verschwinden sie sofort. Warnung: keine Tricks, keine Polizei.“ Heute war Dienstag.
Seine erste Reaktion war blanke Wut, die zweite Empörung, die dritte nackte Angst. Es ärgerte ihn maßlos, dass dieses Luder erst abkassiert hatte und dann durch Erpressung noch mehr Geld eintreiben wollte. Dabei hatte er ihr doch das gegeben, wie sie gefordert hatte, ohne herumzuhandeln. Und sie hatten sich gut verstanden, hatten Spaß bei den Aufnahmen gehabt und alles war problemlos abgelaufen. Sie hatte sich doch beim Abschied noch ausdrücklich bedankt, dass er sie in keiner Weise belästigt, angemacht oder gar angefasst hatte. Und jetzt war diese gemeine Tussi, diese Schlampe auf die Idee gekommen, ihn zu erpressen. Er würde natürlich nicht zahlen, Tausend Euro waren auch für ihn viel Geld. Er wollte aber auch keinen Ärger, keine Polizei, keine Nachforschungen, keine Verhöre, keine Gegenüberstellung und Rechtfertigungen. Wer würde seinen Erklärungen Glauben schenken? Wer würde seine Version des Geschehens abnehmen, wenn diese angeblichen Beweise auf dem Tisch lagen und die Frau steif und fest behaupten würde, dass es nicht gespielt, sondern echt gewesen war? Zu all dem würde ihm seine Frau höchst unangenehme Fragen stellen und es wäre genauso unangenehm, wenn seine Bekannten, seine Freunde, die Arbeitskollegen oder gar sein Chef Wind von der Sache bekämen. Das Bild sprach nun mal für sich, da gab es nichts zu deuteln. Wie wollte er die gezeigte Situation widerlegen? Wie wollte er beweisen, dass die blauen Flecken und Kratzwunden nur aufgemalt waren? Selbst wenn die Verletzungen echt gewesen wären, mittlerweile wären sie verheilt und spurlos verschwunden und man könnte nicht mehr feststellen, dass sie nur fiktiv waren. Auch seine Fotos, die sowohl eine glückliche, zufriedene Frau und ein vergnügtes Kind auf dem Spielplatz als auch detaillierte Körperpartien ohne jegliche Verletzungen oder Spuren von Gewalt zeigten, waren ohne Beweiskraft. Irgendwann im Laufe des Nachmittags, so würde das Biest aussagen, habe sich ihre Beziehung grundlegend verändert. Ganz plötzlich habe er sich auf sie gestürzt und ihr Gewalt angetan. Ja, sie gebe zu, dass sie ihn durch ihre Nacktheit und ihre gespielte Geilheit erregt habe, aber dieses Spiel habe er ja gewollt. Den Zeitpunkt, an dem die harmlose Aktfotografie in eine brutale Vergewaltigung umschlug, würde man sogar exakt an Hand der exif-Daten der digitalen Bilddateien ermitteln können. Denn ab diesem Zeitpunkt gab es nur noch Bilder, die von Gewalt zeugten, mit Wunden und Verletzungen. Bilder, auf denen sich statt Freude und Vergnügen nur noch Angst und Wut und Scham im Gesicht der Frau spiegelten. Es gab kein Bild, in dem der Schminkvorgang dokumentiert war, kein Bild, auf dem die scheinbar misshandelte Frau beim Abschied ihren angeblichen Peiniger anlächelte, kein Bild mit einem freundlich winkenden Kind im Hochstuhl. Hätte er doch wenigsten noch ein harmloses Abschiedsbild gemacht. Dafür dieser verdammte, auffallende Rucksack auf dem Fußboden, den nicht nur seine Frau kannte, auch die Fotofreunde, die ihn deswegen schon geutzt hatten, wenn er ihn auf den gemeinsamen Fototouren dabei hatte. Das Ding einfach wegwerfen, war also auch keine Lösung.
Je mehr er sich ärgerte und sich in seine Ängste hineinsteigerte, umso weiter entfernt war er von einer Lösung. Er zerbrach sich den Kopf, was er tun sollte, um ungeschoren aus der verfahrenen Sache herauszukommen. Keine Polizei, das war klar. Das Ganze zu ignorieren und nichts zu bezahlen war aber auch riskant. Die Tussi würde mit Sicherheit aus Rache eine Anzeige wegen Vergewaltigung erstatten und als Beweis seine eigenen Bilder vorlegen. „Ich weiß, ich hätte gleich kommen müssen, aber ich konnte nicht. Ich habe mich so geschämt. Ich war so geschockt. Ich musste die Schande erst mal verarbeiten. Aber jetzt will ich, dass dieser Mistkerl bestraft wird, dass er eingelocht wird.“ So oder ähnlich würde sie jammern. Doch je mehr er nachdachte, umso weniger wollte er glauben, dass dieser Plan von der Frau allein ausgeheckt worden war. Nein, so sehr konnte er sich in ihr nicht getäuscht haben. Es konnte nur so gewesen sein, dass ihr Freund, dieser Fiesling, die Finger im Spiel hatte. Er war es, der die Sachlage auszuschlachten versuchte. Er war mit Sicherheit die treibende Kraft, weil er eine einmalige Chance sah, an Geld zu kommen, an viel Geld. Wer einmal zahlt, muss immer zahlen. Erpressungen hören nie auf, das weiß man doch aus den Krimis, das kriegt man doch in all den Fernsehserien mit.
Mitten in der schlaflosen Nacht kam ihm sogar eine ganz abstruse Idee. Er würde am frühen Nachmittag zum Spielplatz fahren, sein Auto, das die Frau ja nicht kannte, am Ausgang parken, sich mit Schal und Mütze vermummen und in den dichten Büschen verstecken. Wenn die Frau dann mit dem Kinderwagen käme, würde er hervor stürzen, sich das Mädchen schnappen, zu seinem Auto rennen und davon brausen. Er würde Gleiches mit Gleichem vergelten, Erpressung mit Entführung, Geldforderung mit Aufhörforderung. Er würde dem Kind natürlich nichts antun, es nur eine Weile bei sich behalten, bis die verzweifelte Mutter bereit wäre, die Erpressung zu unterlassen. Doch noch ehe er richtig zu Ende gedacht hatte, wurde er wieder vernünftig und sein Kopf wieder klar. „Entführung, das ist doch genau so ein Kapitalverbrechen wie Vergewaltigung, Mann! Lass den Unsinn, sonst bis du nur noch tiefer in der Scheiße.“ Die Nacht war vorbei und er lag immer noch ratlos im Bett.