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DER ANFANG VOM ENDE

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Gedankenverloren stand ich am Fenster und schaute zum dunklen Sternenhimmel hinauf. Mein kleiner Sohn lag friedlich schlafend in seinem Bett.

„Bitte, lieber Gott, schick mir einen Engel“, hörte ich mich mit verzweifelter Stimme sagen.

Wie sollte ich das alles schaffen? Schule, Arbeit und ein kleines Kind alleine durchbringen? Ich hatte kaum noch Zeit für meinen Jungen. Warum hatte ich nur so lange gebraucht, um zu verstehen, dass Verantwortung für meine Fehler übernehmen nicht bedeutet, niemals andere Wege zu gehen? Nun stand ich mit meinem dreijährigen Sohn allein da. Die Ehe hatte nicht funktioniert oder, besser gesagt, ich konnte nicht mehr funktionieren.

Ich hatte jung geheiratet und drei Jahre später kam mein Sohn zur Welt. Geplant war es nicht, mit einem Mann, der selbst wie ein Kind war, ein Kind zu bekommen. Ohne Arbeit war ich nicht krankenversichert und selbst bezahlen konnte ich die Versicherung nicht. Das Sozialamt verwies auf meinen späteren Ehemann, mit dem ich gerade in die erste eigene Wohnung gezogen war. Er hatte Arbeit und somit Einkommen, weshalb man mir erklärte, dass ich vom Amt keine Hilfe zu erwarten hätte. Ich war noch Schülerin. Vom Bafög konnte ich maximal die Miete und den Strom bezahlen. Wir hatten übers Heiraten gesprochen, aber eigentlich war es mir noch zu früh. Ich war erst 21.

Doch eines Tages besuchten wir eine Bekannte in ihrem Lokal. Irgendwie kam es dazu, dass wir über das Problem mit der Krankenkasse sprachen.

„Heiratet doch!“, sagte Inge frei heraus.

„Heiratet doch? Okay, dann heiraten wir.“

Somit war es beschlossen. Die Hochzeit fand im Mai darauf im kleinen Kreis statt. Außer einem mit meinem Ehemann befreundeten Pärchen, seinen Eltern und Brüdern war nur meine Freundin und Trauzeugin mit ihrem zukünftigen Mann und ihrer kleinen Tochter dabei. Ich hatte mal wieder keinen Kontakt zu meinen Eltern, im Großen und Ganzen ging es mir damit aber gut.

An meine Kindheit habe ich nur wenige positive Erinnerungen. Als ich drei war, trennten sich meine Eltern, als ich sechs war, lernte meine Mutter meinen späteren Stiefvater kennen. Die Situation war immer schwierig, nur nach außen wurde die Fassade gewahrt.

Was meine beruflichen Ziele anging, war ich immer unentschlossen gewesen. Doch nachdem mein Sohn zur Welt gekommen war, wollte ich mir eine Perspektive schaffen und meinem Kind ein gutes Vorbild sein. Also ging ich zur Abendschule. Ziel: Abitur!

Während meines ersten und leider auch letzten Jahrs am Abendgymnasium, das mir sehr viel gegeben hat, fasste ich den Entschluss, Jura zu studieren, vorausgesetzt, dass ich das Abi schaffte. Doch in diesem einem Jahr wurde mir auch bewusst, wie schlecht es mir in meiner Ehe ging. Nicht nur finanzielle Probleme und Sorgen, sondern auch die Weltwirtschaftskrise machten mir Angst. Wie viele andere verlor auch mein Mann seinen Job. Stellen, die er hätte haben können, waren ihm nicht gut genug.

Ich werde niemals vergessen, was er dann tat.

Eines Tages kam ich von der Arbeit nach Hause und fragte ihn, weshalb er nicht zu der vom Amt angeordneten Maßnahme gegangen sei.

„Du bist zu spät mit dem Auto wiedergekommen, ich habe den Termin wegen dir verpasst“, antwortete er lapidar.

Ich wurde ärgerlich und bat ihn, dann wenigstens abzusagen und zum Arzt zu gehen.

Er verlor völlig die Fassung und fing an rumzuschreien. Plötzlich hatte er eine Eisenstange in der Hand, mit der er Möbel kaputtschlug.

Fassungslos und in Tränen aufgelöst stand ich daneben. Er war wie im Rausch.

Irgendwann, als er sich gefasst hatte, sagte er mir, er gehe jetzt zur Kita, um unseren Sohn abzuholen.

Weinend saß ich im Schlafzimmer. Ich wusste, dass es so nicht weitergehen konnte. Aber trennen? Wie sollte ich ohne Ausbildung mit einem kleinen Kind und Schulden zurechtkommen? Die Angst vor Hartz 4, wir steckten da ja schon drin, und vor dem finanziellen und sozialen Totalabsturz hielten mich ab. Die körperliche und seelische Gewalt, die sich im Laufe der Jahre ihren Platz in der Ehe gesucht hatte, war da vermutlich das kleinere Übel.

Ich schreckte aus meinen Gedanken über meine ausweglose Situation hoch, als unser Telefon klingelte. Ich erkannte die Festnetznummer nicht und überlegte kurz, nicht abzunehmen. Doch die Hoffnung auf eine positive Nachricht siegte – um sofort wieder zu sterben. Am anderen Ende der Leitung meldete sich der Arbeitsvermittler meines Mannes. Aufgeregt berichtete er mir, dass mein Mann ihm gerade telefonisch seinen Suizid angekündigt habe!

„Es tut mir sehr leid“, antwortete ich. „Ich habe mich gerade von diesem Mann getrennt. Falls er sein Vorhaben umsetzt, kommt ja die Polizei und teilt mir das mit.“

Ein wenig perplex erklärte mir der Arbeitsvermittler, dass er die Polizei bereits informiert habe.

„Dann ist ja alles Nötige getan“, erwiderte ich. Ich wollte mir die Verzweiflung nicht anmerken lassen. Mir war in der Situation nur klar, dass ich so mit diesem Mann nicht weiterleben konnte. Er war so unberechenbar. In diesem Moment hoffte ich, dass dieser Schicksalsschlag mich und meinen Sohn befreien würde.

Völlig irritiert beendete der Arbeitsvermittler das Gespräch. Er hatte gemerkt, dass er mich nicht erreichte. Ich versuchte, in Gedanken zu akzeptieren, dass meine Ehe nicht mehr zu retten war, dass es endgültig vorbei war und wir beide allein. Ich konnte keinen Einfluss mehr auf die Situation nehmen und wollte es auch nicht. Jahrelang hatte ich seine Wutausbrüche und sein unberechenbares Verhalten hingenommen und versucht, nach außen den Anschein der „Bilderbuchfamilie“ zu wahren. Aber ich konnte es nicht mehr.

Der Gedanke an meinen Sohn schoss mir durch den Kopf und nun bekam ich doch Panik. Ich wollte sofort zur Kita laufen. Da klingelte meine Freundin Tanja an der Tür, der wir unsere alte Küche versprochen hatten. Tanja war frisch getrennt.

Aufgelöst erklärte ich ihr, so gut ich es in der Situation konnte, was geschehen war. Ich sagte ihr, dass ich zur Kita müsse.

Wir liefen gemeinsam los. Mein Plan schien gescheitert. Durch die Abendschule hatte ich mir eine Perspektive schaffen wollen, da es einfacher ist, mit einem Kind einen Studienplatz zu bekommen als einen Ausbildungsplatz in Teilzeit. Nun musste ich um das Leben meines Kindes bangen und um unsere Existenz.

Kaum waren wir bei der Kita angekommen, klingelte mein Handy. Ein Kripobeamter meldete sich mit den Worten: „Sie wundern sich bestimmt, dass ich Sie anrufe ...“

Ich kürzte es ab, indem ich sagte: „Nein, ich weiß Bescheid. Es geht um meinen Mann.“

„Wissen Sie, wo Ihr Mann sein könnte?“, fragte mich der Beamte, ohne Zeit zu verlieren.

„Ich habe ihn zum Hausarzt geschickt“, erklärte ich und nannte ihm den Namen und die Rufnummer des Arztes. „Ich stehe gerade vor der Kita meines Sohnes, weil mein Mann mir gesagt hat, dass er unseren Sohn dort abholt“, fügte ich aufgeregt hinzu. Zum Glück war Luca wohlbehalten in der Kita. Ich dachte fieberhaft nach. „Mein Mann hat eine gewisse Affinität zur Deutschen Bahn.“ Meine Stimme zitterte. „In der Nähe unserer Wohnung gibt es auch eine Autobahnbrücke.“

Der Kripobeamte bat mich, sofort nach Hause zu gehen. Zwei Beamte würden kommen, sie bräuchten ein Foto und eine Personenbeschreibung.

„Wir müssen zur Autobahnbrücke“, sagte ich zu Tanja auf dem Weg nach Hause. „Vielleicht will Andre sich dort das Leben nehmen.“

„Das musst du nicht tun“, sagte Tanja. „Und wenn doch machst du das ohne deinen Sohn!“, fügte sie energisch hinzu.

In der Kita fand ich meinen Sohn wohlbehaltenen vor. Ich war unendlich erleichtert.

Kurz darauf klingelte mein Handy noch einmal. Es war wieder der Kripobeamte.

„Ihr Mann ist tatsächlich beim Arzt. Der Arzt weiß, was zu tun ist, ich habe ihn über die Situation aufgeklärt.“

Ich kann nicht sagen, wie viel Zeit vergangen ist. Gefühlt waren es Stunden. Endlich rief mein Mann an.

„Ich werde in die psychiatrische Klinik gebracht“, erklärte er matt.

Gegen 22 Uhr rief er nochmals an. Er brauchte noch einige Sachen.

„Ich kann dir nichts bringen“, erklärte ich. Unser Auto stand noch im Nachbarort beim Arzt.

Glücklicherweise erreichte ich noch Bruder Nikolaus, einen guten Freund, den ich am Abendgymnasium kennengelernt hatte. Bruder Nikolaus ist ein Franziskaner-Mönch, der heute in München katholische Theologie studiert. Er kam vorbei, holte mit mir unser Auto ab und war einfach nur für mich da.

Am nächsten Morgen rief mich ein Arzt aus der Klinik an. Mein Mann wollte nach Hause.

„Ich möchte, dass er in der Klinik bleibt und eine Therapie macht“, hörte ich mich sagen.

„Dies ist eine Klinik und kein Gefängnis“, erwiderte der Arzt. „Ich habe Ihrem Mann die Therapie angeboten. Er hat abgelehnt.“

Widerwillig stimmte ich zu, ihn abzuholen.

Eine Arbeitsvermittlerin hatte am Abend zuvor angerufen und mich für den nächsten Tag ins Rathaus gebeten. Also fuhr ich auf dem Weg zur Klinik dorthin, um den Termin bei ihr einzuhalten.

„Das gesamte Rathaus war gestern in Aufruhr“, erklärte sie. „Aber irgendwie schaffen wir das. Ihr Mann muss nicht jeden Job annehmen. Ich hatte schon Leute vor mir sitzen, die für drei Euro die Stunde als LKW-Fahrer tätig waren. Aber so etwas muss niemand machen.“

Wie dieses Gespräch mir helfen sollte, war mir nicht klar.

Dann fuhr ich los, um meinen Mann abzuholen. Ich war sehr verunsichert und wusste nicht, wie ich mit ihm umgehen sollte. Es war ein Freitag und ich dachte nur: abwarten und nächste Woche gemeinsam zum Hausarzt gehen.

Das Wochenende verlief ganz normal, abgesehen davon, dass wir den siebzigsten Geburtstag meines Schwiegervaters bei ihm zu Hause feierten. Es gab dort keine besonderen Vorkommnisse, was mich erst einmal beruhigte. Der eigentliche Schock stand mir ja noch bevor.

Am Montag fuhren wir zusammen zum Termin beim Hausarzt. Wir durften direkt ins Sprechzimmer gehen und dort warten. Mein Mann blendete alles aus, was geschehen war. Er verhielt sich, als wäre nichts gewesen.

Unser Hausarzt, eigentlich ein ganz lieber Mensch mit freundlicher, beruhigender Stimme, kam ins Zimmer. „Auch wieder im Land?“, fragte er in einem für ihn ganz ungewöhnlich kalten Ton.

Ich war völlig perplex. Bei diesem Termin kam dann die ganze Wahrheit heraus. Mein Mann hatte mit voller Absicht, ganz bewusst mit Selbstmord gedroht, aber nie ernste Absichten gehabt.

„Ihr Verhalten war schlichtweg asozial“, erklärte der Arzt ihm deutlich. „Sie können offensichtlich die Verantwortung für eine Familie nicht tragen. Sind Sie sich bewusst, was Sie Ihrer Frau angetan haben? Ihre Frau hatte Angst um Ihr Kind und um Sie. Sie haben sie einer seelischen Qual ausgesetzt.“

Das war es. Unsere Ehe war endgültig beendet. Ich trennte mich von ihm, wissend, dass ich nicht weiter zum Abendgymnasium gehen konnte und schnell eine Lösung finden musste.

Ab sofort ging ich morgens statt abends zur Schule, arbeitete nebenbei am Nachmittag oder Abend und wenn es ging in der Nacht. Mit Bafög, Wohngeld, Unterhaltsvorschuss und dem Gehalt konnte ich uns zwar über Wasser halten, aber ich zahlte einen hohen Preis: Ich hatte nur noch sehr wenig Zeit für mein Kind. Mein Junge ging in die Kita und war danach bei Freunden untergebracht, damit ich arbeiten konnte.

Mit viel Arbeit und letzter Kraft gelang es mir, die Schulden zu begleichen, die aus der Ehe geblieben waren, etwa 10.000 Euro. Dafür brauchte ich etwas über ein Jahr und all das war nur möglich, weil ich Freunde hatte, die mich unterstützten.

Meinem Sohn ging es trotzdem nicht gut.

In der Zwischenzeit hatte ich mich in einem sozialen Netzwerk angemeldet, das Tanja mir empfohlen hatte. Sie fand das Mütterforum, in dem ich aktiv war, zu kompliziert.

Es dauerte nicht lange und ein junger Mann namens Jonas schrieb mir. Aus seiner Nachricht wurde ich allerdings nicht schlau. Ich wollte wissen, wer er war und welche Absichten er hatte.

Er war verheiratet und hatte einen kleinen Sohn. So wie ich. Ich schaute mir sein Profil genauer an, fand aber nicht heraus, weshalb er mir schrieb. Offenbar war er jemand, der gerne in die virtuelle Welt der PC-Spiele abtauchte. So etwas war nun überhaupt nicht mein Ding.

Dann sah ich mir seine Freunde an und beging den größten Fehler meines Lebens. Dass diese anfangs so unbedeutend scheinende Sache einen solchen Rattenschwanz nach sich ziehen würde, konnte ich ja nicht ahnen.

Ich beschloss, einem seiner Freunde zu schreiben.

Das Profil von Tom* war eigentlich ganz normal. Er hatte kein Bild von sich hochgeladen, stattdessen eins mit einem keltischen Symbol. Ein Fantasy-Freak, dachte ich, und las mir seinen Profiltext genauer durch. Er war ein junger Mann Anfang zwanzig, der offenbar mit seinem Schicksal haderte. Probleme sind doch da, um gelöst zu werden, und vom Jammern allein wird es nicht besser, so viel hatte ich bereits gelernt.

Das war es. Was ich brauchte, war ein Thema. Neben einem hohen Anspruch an mich selbst zählt zu meinen Stärken, dass ich mich gut motivieren kann. Ich konnte zumindest versuchen, ihn etwas aufzubauen und ihm vielleicht aus dieser Verzweiflung, die wie eine tiefe Melancholie wirkte, etwas heraushelfen. Die Hilfsbereitschaft und die große soziale Kompetenz, die mir immer nachgesagt wird, sind Stärke und Schwäche zugleich. Etwas, das mir später noch zum Vorwurf gemacht werden sollte.

Ich schrieb ihm und erklärte mit vielen Argumenten, warum es sich lohnt, nicht aufzugeben.

Seine Antwort kam prompt.

Er schrieb von einem Unfall. Vor einiger Zeit sei er mit dem Rad unterwegs gewesen, von einem Auto angefahren worden und habe später noch einen Schlaganfall gehabt.

Bei dem Wort „Schlaganfall“ musste ich sofort an meinen Stiefvater denken. Er hatte auch einen Schlaganfall erlitten und lange war nicht sicher, ob er in seinem Beruf weiterarbeiten konnte. Doch er schaffte es, wurde gesund und konnte wieder arbeiten.

Ich war und bin keine Gazelle, das schrieb ich auch sofort und schickte ein Foto von mir. Somit kannten wir uns vom Schreiben und von Bildern. Sein Bild war etwas dunkel. Er wirkte sehr schlank und klein. Es war kein sehr ansprechendes Foto, aber ich lege generell nicht so großen Wert auf Oberflächliches wie das Äußere eines Menschen. Wichtig ist mir ein gepflegtes Aussehen und der Charakter oder eben der Mensch an sich.

Mit der Zeit schrieben wir immer öfter über Persönliches. Auch meine Situation war ein Thema. Ich wollte ehrlich sein und verschwieg nicht, dass es auch mir gerade nicht gut ging. Ich stand vor einer gescheiterten Ehe, hatte Schulden, war alleinerziehend und gezwungen, viel zu arbeiten.

Das alles schreckte ihn nicht ab. Es sei schade, wenn eine Beziehung zwischen erwachsenen Menschen scheitere, erklärte er, vor allem, wenn auch ein Kind dazugehöre.

So viel Zuspruch hatte ich nicht erwartet. Auch dass ich keine superschlanke Frau war, schien ihn nicht zu stören. Erst im Nachhinein, als es schon zu spät war, wurde mir klar, warum all das auf ihn nicht abschreckend gewirkt hatte. Schließlich muss ich wie eine starke, taffe Frau auf ihn gewirkt haben. Ich hatte meine Probleme bis dahin ja immer alleine gelöst und schon einen Teil der Schulden abgearbeitet.

Er erzählte, dass er nach seiner Ausbildung zum Tankwart arbeitslos geworden sei. Mir fiel immer öfter auf, dass er besonders am Abend Rücksicht auf seine Eltern nehmen und deshalb nicht mehr lange am PC bleiben wollte. Überhaupt schrieb er viel darüber, dass er sich um seine Eltern kümmerte und sich um sie sorgte. Es war irritierend, da er erst 23 Jahre alt war und seine Eltern dementsprechend auch noch nicht alt sein konnten. Außerdem hatte er noch einen jüngeren Bruder. Ich dachte nicht weiter darüber nach, obwohl es immer neue Alarmzeichen gab, die ich viel zu lange ignorierte.

Kurze Zeit später fiel mir auf, dass er seinen Beziehungsstatus geändert hatte, von „Single“ auf „In einer Beziehung“. Das fand ich doch etwas seltsam, da wir uns noch nie gesehen hatten.

Als ich ihn darauf ansprach und von meinem Erschrecken erzählte, entschuldigte er sich. Er fühle sich nicht mehr als Single.

Ich schlug vor, dass wir uns in einer Kleinstadt in der Mitte zwischen unseren Wohnorten treffen. Dort gab es ein Café, in dem ich vor Kurzem mit Tanja gewesen war.

Er stimmte zu.

Ein oder zwei Tage später wurde es dann richtig unheimlich. Er hatte mit seiner Mutter über mich gesprochen. Diese hätte vorgeschlagen, dass ich zu ihnen komme. Ein Café sei doch unpersönlich und unruhig, besonders da ich ja meinen Sohn mitbringen müsse.

Ich war perplex und stark verunsichert. Natürlich war das ein Argument, aber dieser Gedanke rief ein sehr ungutes Gefühl in mir hervor. Trotzdem stimmte ich zu, am Wochenende ihn und seine Familie zu besuchen.

„Alle sind schon voll neugierig auf dich“, schrieb er, „meine Mutter am meisten auf deinen Kleinen.“

Ich bekam ein richtig mulmiges Gefühl und wollte wissen, wer denn „alle“ seien.

Sein Vater, seine Brüder und die Mutter, erklärte er.

Statt einem ersten Treffen sollte ich also gleich die ganze Familie kennenlernen. Ich überlegte und malte mir regelrechte Horrorszenarien aus. Vielleicht war es eine Psychopathen-Familie und die hatten noch ganz andere Dinge vor.

Schließlich sagte ich unseren Besuch ab. „Mein Kind ist krank geworden“, schob ich vor. Tatsächlich hatte mein Sohn eine Magen-Darm-Grippe und ich bekam sie direkt im Anschluss. Somit wurde nichts aus dem geplanten Besuch.

Wir verabredeten erneut, dass ich ihn besuchte, aber diesmal legte ich das Treffen auf einen Wochentag.

Einen Tag nach meinem 28. Geburtstag fuhr ich hin. Die Eltern waren bei meiner Ankunft nicht da, nur die Brüder, und das war soweit in Ordnung. Doch kurz darauf kam die Mutter nach Hause. Sie wollte wissen, was ich beruflich machte und war sehr argwöhnisch. Doch ich wollte nicht vorschnell über sie urteilen. Später kam der Vater von der Arbeit. Er war nicht so schlimm wie befürchtet, aber auch nicht so herzlich, wie Tom ihn mir beschrieben hatte. Tom selbst redete fast schon künstlich und seine Art erinnerte mich irgendwie an Hollywood-Romanzen.

Auf dem Heimweg überlegte ich, ob ich mir einen Gefallen tat, wenn ich mich darauf einließ. Ein Grund dafür, dass ich es schließlich doch tat, lag in meiner Kindheit. Ich war selbst mit einem Stiefvater groß geworden, was überwiegend eine schlechte Erfahrung war. So etwas wollte ich meinem Kind ersparen. Deshalb hätte ich mich niemals auf eine Beziehung eingelassen, ohne sicher zu sein, dass mein Partner anständig mit meinem Kind umgeht und ihm nichts antut. Schließlich steckte ich gerade in der Zwickmühle. Ich musste arbeiten, aber meinem Kind ging es damit nicht gut. Erst in die Kita und dann statt nach Hause noch zu Fremden. Das war zu viel für eine kleine Kinderseele und ich wollte, dass es ihm wieder gut ging.

Gefangen im eigenen Leben

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