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Was tun bei ungewollter Kinderlosigkeit? Millionen Menschen wünschen sich Kinder, bekommen aber keine. Welche Gründe gibt es dafür und welche Behandlungen? Fragen und Antworten zur Kinderlosigkeit
VON STEFANIE SCHUETTEN
ОглавлениеMehr als sechs Millionen Deutsche hätten gerne Nachwuchs oder haben ihn sich einmal gewünscht. Noch einmal so viele hätten gerne ein zweites Kind, doch es klappt nicht. Fruchtbarkeitsstörungen sind keineswegs selten.
Welche Ursache haben sie, sind Frauen und Männer gleichermaßen betroffen und wie können Kinderwunschzentren Paaren helfen? Wir beantworten die wichtigsten Fragen zu Kinderlosigkeit.
Warum bleibt der Kinderwunsch vieler Menschen unerfüllt?
Unfruchtbarkeit ist Frauensache? Falsch! Ein unerfüllter Babywunsch ist ebenso oft durch den Mann oder beide Partner bedingt, nämlich zu jeweils einem Drittel. Fruchtbarkeitsstörungen können genetisch, hormonell oder psychisch bedingt sein.
Doch eine zunehmende Zahl von Paaren bleibt kinderlos, weil sie ihren Kinderwunsch zu lange verschiebt. Die Chancen einer 35-Jährigen, gesunden Nachwuchs zu bekommen, stehen nur noch halb so gut wie für eine 25-Jährige. Männer bleiben zwar länger zeugungsfähig, doch ab 30 verschlechtert sich ihre Spermienqualität kontinuierlich. Bestimmte Krankheiten, Umwelteinflüsse und ein ungesunder Lebensstil können sich zudem negativ auf die Fruchtbarkeit auswirken. Als ungesund gelten zum Beispiel starkes Über- oder Untergewicht, einseitige Ernährung, übermäßiger Alkoholkonsum, extreme körperliche Belastung und Stress. Die Ursachen sind nicht immer eindeutig. Bei jedem zehnten Paar bleibt der Grund für den unerfüllten Babywunsch ungeklärt.
Welche körperlichen Ursachen kann Unfruchtbarkeit bei Frauen haben?
Ein Drittel aller Frauen mit Fruchtbarkeitsproblemen leidet an einer Hormonstörung oder einer Fehlfunktion der Eileiter. Wenn der Körper zu viele oder zu wenige Hormone produziert, reifen zum Beispiel nicht genügend Eizellen heran. Bei jeder fünften Betroffenen liegen Verwachsungen der Gebärmutter oder des Gebärmutterhalses vor. Die wenigsten dieser Ursachen sind angeboren. Meistens entstehen sie durch Krankheiten, Operationen oder eine ungesunde Lebensweise. Ab 30 Jahren nimmt das Risiko von Hormonstörungen und organischen Komplikationen stetig zu.
Welche körperlichen Ursachen kann Unfruchtbarkeit bei Männern haben?
Unfruchtbar ist nicht gleich impotent. Auch Erektionsstörungen sind selten die Ursache für einen unerfüllten Babywunsch. Bei den meisten zeugungsunfähigen Männern lassen die Spermien zu wünschen übrig. Produziert ein Mann zu wenige, missgebildete oder zu unbewegliche Spermien, können diese nur schwer oder gar nicht bis zur Eizelle vordringen. Die Samenflüssigkeit eines gesunden Mannes enthält mindestens 20 Millionen Spermien pro Milliliter. Sind weniger als ein Drittel normal geformt oder mehr als die Hälfte bewegungseingeschränkt, ist der Mann mit großer Wahrscheinlichkeit zeugungsunfähig. Schlechte Samenqualität ist meist hormonell bedingt. Manchmal geht sie auch auf eine Hodenverletzung, angeborene Fehlbildung, Krankheiten (zum Beispiel Mumps), Krampfadern, Medikamente, übermäßiges Rauchen und Trinken oder Umwelteinflüsse zurück.
Wie findet der Arzt heraus, ob man unfruchtbar ist?
Ein Arzt untersucht beide Partner. Dazu gehört auch ein Gespräch, in dem der Arzt unter anderem nach (früheren) Krankheiten, Operationen, Schwangerschaften und Abtreibungen fragt. Auch die Beziehung, das Sexualverhalten, Stress sowie Rauch- und Trinkgewohnheiten kommen zur Sprache. Ein Gynäkologe untersucht die Frau auf mögliche körperliche Ursachen. Ob ein Eisprung stattfindet, lässt sich anhand der Körpertemperatur oder eines Zyklusmonitoring feststellen. Bei Letzterem wird regelmäßig per Ultraschall untersucht und der Hormonspiegel geprüft.
Beim Mann tastet ein Urologe die Geschlechtsorgane nach Fehlbildungen und Entzündungen ab. Körperbau und Behaarung des Mannes geben Aufschluss über eine mögliche Störung des Hormonhaushaltes. Außerdem gibt er eine Spermienprobe ab. Können die Ärzte bei keinem der beiden Partner körperliche Ursachen entdecken, folgen mitunter operative Untersuchungen, zum Beispiel eine Gebärmutterspiegelung oder dem Hoden wird eine Gewebeprobe entnommen.
Welche Rolle spielen Psyche und Stress?
Dauerstress in Privat- oder Berufsleben bringt den Hormonhaushalt durcheinander. Das kann den weiblichen Zyklus oder die Spermienqualität beeinträchtigen, auch bei jungen Menschen. Wissenschaftler schätzen, dass einer von 100 unerfüllten Kinderwünschen psychisch bedingt ist. Auch wenn Stress anfangs noch keine Rolle spielt, macht der Wunsch nach einem Baby das Leben der Betroffenen nicht leichter. Je länger es nicht klappt, desto mehr setzen Paare sich unter Druck. Aus Scham über das vermeintliche Versagen und um unbequeme Fragen zu vermeiden, ziehen Paare sich manchmal aus ihrem sozialen Umfeld zurück. Nicht selten führt dies zu Beziehungskrisen. Um erst gar nicht so weit kommen zu lassen, empfiehlt es sich, frühzeitig psychologische Hilfe in Anspruch zu nehmen. Die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung empfiehlt betroffenen Paaren außerdem, sich rechtzeitig Gedanken über ein Leben ohne Kind zu machen – "um den Erfolgsdruck abzuschwächen".
Was können Menschen vorsorglich tun?
Die schlechte Nachricht: Gegen die körperlichen Ursachen von Unfruchtbarkeit kann in der Regel keine Vorsorge getroffen werden. Die gute Nachricht: Wer gesund lebt, sich ausgewogen ernährt und es mit Alkohol und Zigaretten nicht übertreibt, kann das Risiko zumindest senken. Schon bei Kindern können regelmäßige Kinderarztbesuche, Schutzimpfungen und gesundheitliche Aufklärung das Risiko für spätere Unfruchtbarkeit verringern. Auch Erwachsene sollten Vorsorgeuntersuchungen nicht scheuen, denn viele Infektionen oder chronische Hormonstörungen (zum Beispiel Schilddrüsenerkrankungen) werden erst zum Problem, wenn sie verschleppt werden. Krebspatienten, denen eine Chemo- oder Strahlentherapie bevorsteht, sollten vorsorglich Samenzellen beziehungsweise Eizellen konservieren lassen. Auch sexuelle Aufklärung kann Enttäuschungen vorbeugen: Eine Studie zeigt, dass die Hälfte der Paare mit unerfülltem Kinderwunsch keinen Geschlechtsverkehr an den fruchtbaren Tagen gehabt hatte.
Außerdem unterschätzen viele Paare, wie rasch die Fruchtbarkeit bei Frauen (und in geringerem Maß auch bei Männern) mit zunehmendem Alter abnimmt.
Wie können Fruchtbarkeitsstörungen behandelt werden?
Je nach Art kommen unterschiedliche Behandlungen infrage. Zu den gängigsten Methoden gehören Hormonbehandlungen, Intrauterine Insemination (IUI), In-vitro-Fertilisation (IVF) und Intrazyoplasmatische Spermieninjektion (ICSI).
Hormonbehandlung
Viele Frauen nehmen eine Hormonbehandlung in Kauf, um ihre Eierstöcke zu stimulieren und so einen Eisprung auszulösen. Die Hormonpräparate gibt es in Form von Tabletten oder Spritzen. Nach einer erfolgreichen Behandlung kann die Frau auf natürlichem Weg schwanger werden. Doch es gibt auch Risiken: Bei einer Überstimulation der Eierstöcke kann die Patientin an starken Schmerzen, Atemnot, Flüssigkeitsansammlungen im Bauch, Zysten oder Störungen der Blutgerinnung leiden. Typische Symptome der Wechseljahre können auftreten. Hitzewallungen sind nicht unüblich. Eine Hormonbehandlung macht zudem eine Mehrlingsgeburt wahrscheinlicher.
Intrauterine Insemination (IUI)
Diese Methode hilft, wenn die Samen des Mannes das Problem sind. Im Labor werden die Spermien von der Samenflüssigkeit getrennt, aufbereitet, und schließlich durch einen dünnen Schlauch in die Gebärmutterhöhle geleitet. So haben die Spermien eine größere Chance, bis zur Eizelle vorzudringen. Häufig ergänzt die Methode eine hormonelle Behandlung der Frau. Zusammen versprechen sie eine Erfolgsrate von sieben bis 15 Prozent pro Behandlungszyklus. Nach mehrfacher Wiederholung werden etwa 40 Prozent der behandelten Frauen schwanger.
In-vitro-Fertilisation (IVF)
Ein Baby aus dem Reagenzglas: Bei der In-vitro-Fertilisation findet die Befruchtung außerhalb des Körpers, im Labor statt. Los geht es mit einer Hormonbehandlung der Frau. Sobald sie genügend Eizellen produziert hat, werden sie über die Vagina entnommen und mit aufbereiteter Spermienflüssigkeit zusammengebracht. Nach einigen Tagen im Brutschrank werden bis zu drei befruchtete Eizellen mit einem dünnen Schlauch in die Gebärmutterhöhle übertragen. Etwa einer von vier Embryonen nistet sich erfolgreich in der Gebärmutterhöhle ein. Werden drei Eizellen gleichzeitig übertragen, wird über die Hälfte der Patientinnen schwanger. Je älter die Mutter, desto geringer ist die Aussicht auf Erfolg. Auch Mehrlings-, Früh- oder Fehlgeburten kommen nach einer künstlichen Befruchtung vermehrt vor. Die werdenden Eltern müssen sich auf schwierige Entscheidungen gefasst machen, zum Beispiel, ob sie den schwächsten Embryo unter Mehrlingen abtreiben sollen.
Intrazyoplasmatische Spermieninjektion (ICSI)
Manchmal enthält Samenflüssigkeit so wenige brauchbare Spermien, dass weder eine direkte Einleitung in die Gebärmutter noch eine künstliche Befruchtung funktionieren. In solchen Fällen könnte noch eine intrazyoplasmatische Spermieninjektion helfen. Die Mikroinjektion oder Mikroinsemination verfeinert die künstliche Befruchtung. Eine ausgewählte Samenzelle wird unter dem Mikroskop direkt in die Eizelle gespritzt. Nur einer von 20 so gezeugten Embryonen nistet sich erfolgreich in der Gebärmutterhöhle ein. Nach der Übertragung von drei Eizellen steht die Chance auf eine Schwangerschaft bei 1:3, nach sechs Behandlungszyklen bei 2:3.
Was ist in Deutschland verboten?
In wenigen Ländern ist die Fortpflanzungsmedizin an so strenge Regeln gebunden wie in Deutschland. Das Embryonenschutzgesetz aus dem Jahr 1990 schreibt vor, dass eine Befruchtung nur einem einzigen Zweck dienen darf: Sie soll der Frau, von der die Eizelle stammt, zu einer Schwangerschaft verhelfen. Befruchtungen zu Forschungszwecken, Leihmutterschaften und Eizellenspenden sind in Deutschland verboten, ebenso wie die Präimplantationsdiagnostik (PID). Eltern dürfen den Embryo also nicht auf Krankheiten untersuchen lassen, ehe er in die Gebärmutter übertragen wird.
Befruchtete Eizellen können für spätere Behandlungen eingefroren werden (Kryokonservierung), jedoch nur im Vorkernstadium, also bevor das Erbgut verschmolzen ist. Danach gilt der Embryo als menschliches Leben und damit als schützenswert. Künstliche Befruchtung (In-vitro-Fertilisation und Spermieninjektion) ist in Deutschland nur Ehepaaren erlaubt. Unverheiratete Paare können unter Umständen eine Sondergenehmigung beantragen – oder sie versuchen ihr Glück im Ausland, wo die Gesetze meist weniger strikt sind.
Seriöse Informationen
Krankenkassen, Pharmafirmen - im Netz gibt es allerlei Anbieter von Serviceseiten zum Thema Kinderwunsch. Allerdings verfolgen viele von ihnen eigene Interessen und machen etwa Werbung für Medikamente oder bestimmte Therapieverfahren.
Unabhängig recherchierte Grundlagen finden sich etwa auf den Seiten zur Familienplanung der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung.
Empfehlenswert sind auch die Ratgeberseiten, die der Berufsverband der Frauenärzte in Zusammenarbeit mit der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe anbietet. Hier wird speziell über Unfruchtbarkeit informiert.
Deutschland größtes Netz-Magazin zum Thema Familie ist urbia.de, das mittlerweile vom Gruner+Jahr-Ableger, der GmbH G+J Parenting, herausgegeben wird. Zwar schreiben hier Redakteure die Artikel, die Trennung von redaktionellen Inhalten und Werbung verschwimmt auf der Seite aber. Offen werden Produkte empfohlen. Auch hier ist Kinderlosigkeit Thema.
Im gleichen Verlag erscheint die Website eltern.de. Hier wird trotz Werbung und klar erkennbarem Partnershop für Babyartikel durchaus kritisch und ausgewogen über medizinische Verfahren oder das Einfrieren von Eizellen berichtet. Im Forum können sich Betroffene austauschen.
Gleichgesinnte finden
Wer eine Selbsthilfegruppe sucht oder lesen möchte, was andere Betroffene erlebt haben, findet bei der Initiative Wunschkinder - Zukunft für Deutschland eine Anlaufstelle im Netz. Gegründet wurde sie durch Wunschkind e.V., dem Verein der Selbsthilfegruppen für Fragen ungewollter Kinderlosigkeit. Der Verein wird von Pharmaunternehmen unterstützt.
Der gemeinnützige Verein Aktion Kinderwunsch, der unter anderem die Anerkennung ungewollter Kinderlosigkeit als Krankheit sowie eine volle Finanzierung der Reproduktionsmedizin für Betroffene fordert, informiert ausführlich und unabhängig.
Ärzte und Kliniken
Gute Anlaufstellen für eine fachlich gute Beratung sind in den größeren Städten die Universitätskliniken. Die meisten haben eine eigene Abteilung für Reproduktionsmedizin.
Der Bundesverband Reproduktiver Zentren Deutschlands e.V. hat eine Liste aller angeschlossenen Kliniken zusammengestellt. Weitere Adressen finden sich im Deutschen IVF-Register.
Eine spezielle Kinderwunsch-Sprechstunde bietet die Abteilung Gynäkologische Endokrinologie und Fertilitätsstörungen der Universitätsfrauenklinik Heidelberg an.