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Katja Kraus

"Was haben Sie denn gegen Nächstenliebe?"

Im Alles-außer-Fußball-Gespräch plädiert Katja Kraus für weniger Kontrolle. Auch wenn's nach Paolo Coelho klingt: Vertrauen ist für sie die Basis jeder Verbindung.
VON STEFFEN DOBBERT

ZEIT ONLINE: Frau Kraus, wem vertrauen Sie nicht?

Katja Kraus: Wenn Sie so einsteigen, verliere ich das Vertrauen in ein fröhliches Gespräch mit Ihnen. Grundsätzlich vertraue ich erst mal. Misstrauen muss man sich bei mir erarbeiten.

ZEIT ONLINE: Wann haben Sie denn zuletzt heimlich eine E-Mail oder SMS eines anderen gelesen?

Kraus: Ohje, ich kann mich nicht daran erinnern. Es ist aber ohnehin besser, solche Situationen zu vermeiden. Wenn man nach etwas sucht, lässt man sich womöglich durch das Gefundene allzu leicht in der eigenen These bestätigen.

ZEIT ONLINE: Es heißt: Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser. Nach Ihrer Auffassung ist das eine Lüge?

Kraus: In beruflichen Situationen habe ich Verständnis dafür, das Handeln anderer auf die Übereinstimmung mit dem eigenen Anspruch hin zu überprüfen. In persönlichen Begegnungen ist es anders. Vertrauen ist die Basis jeder Verbindung. Meinem Menschenbild entsprechend glaube ich daran, dass mir mein Gegenüber ebenso vertrauenswürdig entgegentritt wie ich ihm.

ZEIT ONLINE: Ist das nicht naiv?

Kraus: Ich bin damit bislang gut durchs Leben gekommen.

ZEIT ONLINE: Muss Vertrauen sich nicht erst entwickeln, wachsen?

Kraus: Natürlich ist Vertrauen auch ein Wert, der sich durch Zeit, gemeinsame Erlebnisse und Wissen voneinander verfestigt – sowohl im Beruflichen als auch im Privaten.

ZEIT ONLINE: Wie viel Vertrauen braucht es, um einen Fußballclub zu managen?

Kraus: So viel wie für das managen jedes anderen Unternehmens.

ZEIT ONLINE: Braucht es für das Managen eines Fußballclubs genauso viel Vertrauen wie für das Führen einer Bäckerei?

Kraus: Der Unterschied liegt vielmehr in der Managementkompetenz. Ich bin überzeugt, dass vertrauensvolle Führung erfolgreicher ist. Und es ist auch ein Zeichen eigener Sicherheit, denn die Fähigkeit zu vertrauen kommt aus einem selbstbewussten Kern. Vertrauen macht Menschen stärker und freier. Und spart Zeit.

ZEIT ONLINE: Das hört sich an, als würde es aus einem Werbefilmchen für Nächstenliebe kommen.

Kraus: Was haben Sie denn gegen Nächstenliebe? Ist die Perspektive nicht eher erschreckend, dass Sie eine Haltung, die Vertrauen voraussetzt naiv finden, oder seicht? Das mag klingen, wie aus einem Paolo-Coelho-Roman, macht das Leben aber leichter.

ZEIT ONLINE: Vertrauen und Selbstvertrauen ist ja schön. Aber muss man nicht beispielsweise den Trainingszustand oder gar Teile des Privatlebens eines Fußballprofis kontrollieren?

Kraus: Auch da sollte man grundsätzlich erst einmal davon ausgehen, dass man es mit Menschen zu tun hat, die wissen, oder denen man imstande ist zu vermitteln, was ihre Verantwortung ist und welches Privileg es ist, diesen Beruf auszuüben.

ZEIT ONLINE: Sie haben anfangs gesagt, es gibt niemandem, dem Sie nicht vertrauen ...

Kraus: Moment, das habe ich nicht gesagt. Vertrauen hat etwas mit dem Verhalten des Einzelnen zu tun, nicht mit meinem Grundverständnis. Um Sie jetzt mal zu beruhigen, es gibt auch Menschen, denen ich nicht vertraue.

ZEIT ONLINE: Wer ist das denn, vielleicht ein Journalist?

Kraus: Nein, auch Journalisten gegenüber habe ich kein grundsätzliches Misstrauen. Im Gegenteil, viele meiner Freunde arbeiten in der Medienbranche. Ich habe einen interessiert kritischen Blick auf Medien und mir fehlen zunehmend Differenziertheit in der Beurteilung, Haltung und Achtsamkeit im Umgang mit der eigenen Verantwortung. Aber das hat vielmehr mit den Entwicklungen der Branche als mit dem Vertrauen in Einzelne zu tun.

ZEIT ONLINE: Haben Sie jemals ein Interview gegeben, dass Sie vor der Veröffentlichung nicht kontrolliert und freigegeben haben?

Kraus: Das habe ich auch schon gemacht. Allerdings nur in Ausnahmefällen, in denen ich die Gesprächspartner gut kannte. Beim Autorisieren eines Interviews geht es mir um Authentizität, darum, dass die Abschrift dem Gesagten entspricht und die Aussagen im richtigen Kontext stehen. Es bedeutet für mich nicht, dass ich dem Journalisten misstraue. Sie haben mir noch keinen Grund gegeben, Ihnen zu misstrauen.

ZEIT ONLINE: Dieses Interview wollen Sie dennoch kontrollieren, bevor es veröffentlicht wird. Wie war es, als Sie für die Pressestelle des HSV zuständig waren: Haben Sie Medien und Journalisten kontrolliert?

Kraus: Klar, Journalisten vor allem. Wenn Sie damit meinen, dass wir gelesen haben, was über den Verein und handelnde Personen geschrieben wurde, selbstverständlich ja. Ansonsten haben wir keine Akten angelegt.

ZEIT ONLINE: Wenn nicht Journalisten: Gibt es Menschen oder Menschengruppen, die überwacht werden sollten?

Kraus: Nein. Die Ausnahme ist, wenn es konkrete Hinweise gibt, dass Menschen in Gefahr sind. Wenn man mit Kontrolle Gewalt verhindern kann, ist Überwachung die Ultima Ratio.

ZEIT ONLINE: Braucht es eine Kontrolle der Linkspartei?

Kraus: Den Umgang des Verfassungsschutzes mit der Linkspartei finde ich empörend.

ZEIT ONLINE: Braucht es einen Verfassungsschutz, wie wir ihn fürs Inland in Deutschland haben?

Kraus: In der aktuellen Form kann ich die Funktion nicht erkennen.

ZEIT ONLINE: Wurden Sie schon mal überwacht?

Kraus: Nicht, dass ich wüsste.

ZEIT ONLINE: Sie wurden noch nicht einmal gestalkt?

Kraus: Ich glaube nein. Jetzt klingen Sie so, als fänden Sie selbst das deprimierend.

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