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Als Benedict am Montagmorgen mit hochgeschlagenem Mantelkragen die Diensträume des 1. K betritt, ist die Mannschaft bereits vollzählig versammelt. Aber die Arbeitsatmosphäre will sich erst langsam einstellen. Die Wahl vom Sonntag ist Hauptthema der hitzigen Debatten, deren Zeuge Benedict durch die nur angelehnte Tür zum Nebenraum seines Zimmers wird.

»Schon da, Chef.«

Doemges steht in der nun halboffenen Verbindungstür an den Rahmen gelehnt und lutscht sein übliches Pfefferminzbonbon. Er hält ein beschriebenes DIN-A4-Blatt in der Hand. Die in monotonem Tonfall gesprochenen Worte lassen nicht erkennen, ob das eben eine Frage gewesen ist. Doemges trägt einen seiner Naturwollpullover von undefinierbarer Farbe, dazu braune Cordhosen. Seine Füße mit dicken Wollsocken stecken in hellbraunen Lederklotschen.

Benedict hatte ihn im letzten Jahr mal auf dieses bei eventuell erforderlichen Verfolgungsjagden eher hinderliche Schuhwerk angesprochen. Da zog der schmale Kommissar lakonisch ein paar Adidas-Laufschuhe mit Klettverschluss aus den Taschen seines Parka und hielt sie ihm hin. Damit war das Thema erledigt.

»Was macht die Viecherei?«, fragt Benedict, um ein gutes Klima als Einstieg in die Woche bemüht. Vor einem halben Jahr hatte Doemges ihn mal auf den kleinen Bauernhof bei Korschenbroich eingeladen, den er mit seiner Frau und vier anderen jungen Leuten in der Freizeit bewirtschaftete. Streng auf biologischer Basis natürlich. Nicht ganz nach Benedicts Geschmack, aber den Kindern dort schien das ausgezeichnet zu bekommen. Es blieb dann aber bei diesem einen Besuch des Hauptkommissars.

»Die Aska ist vorige Woche überfahren worden. Auf der Autobahn.«

Benedict kramt in der Erinnerung und findet einen großen schwarzen Hund, der sich sofort nach seiner Ankunft zutraulich zu seinen Füßen niedergelegt hatte. Das Bild wird aber schnell überlagert von zwei anderen Tierleichen - in einem anderen Land. Er räuspert sich verlegen.

»Das tut mir leid. Immer diese Raser.«

»Ja«, meint Doemges trocken und wedelt mit diesem Blatt Papier in der Hand, »aber ...«

Das Telefon auf Benedicts Schreibtisch klingelt.

Die Stimme der Vorzimmersekretärin des Polizeipräsidenten duldet keinen Aufschub. »Bitte kommen Sie sofort zum Polizeipräsidenten rauf. Wichtige Besprechung, Herr Benedict!«

Der legt den Hörer auf die Gabel zurück und steht auf. »Tut mir leid, muss gleich zum >Karo< hoch.« Und mit einem schnellen Blick auf das Papier in Doemges’ Hand: »Hat doch bestimmt Zeit bis nachher, oder?«

Die erhobene Rechte des immer noch im Türrahmen lehnenden Kommissars fällt herab. »Klar. Das hat Zeit.«

Bei seinem Eintritt in das >Allerheiligste< im fünften Stock des Präsidiums droht ihm die Luft wegzubleiben. Das große Chefzimmer ist von beißenden Schwaden holländischer Zigarillos erfüllt. >Karos< Hausmarke. In dem großen Kristallaschenbecher auf dem runden Tischchen der Besucherecke liegen schon um diese Zeit fünf, nein sechs braune Stummel. Wenn der Sekundenzeiger auf der pompösen Weltzeituhr an der Wand über dem Schreibtisch seine Runde gemacht hat, werden es schon sieben Stummel sein.

Die Sekretärin gießt Benedict aus der immer vollen Thermoskanne einen Kaffee ein und verlässt leise den Raum.

Das >Karo< fischt mit seinen klobigen Fingern ein neues Zigarillo aus der flachen Blechpackung. Kriminalrat Freudlos blinzelt angestrengt durch die Schwaden zum Fenster hin. Er entgeht den ausgeblasenen Rauchwolken mittels einer leichten Kopfdrehung. Der Leitende Kriminaldirektor schüttelt unmerklich den Kopf. Der Polizeipräsident hat etwas gegen offene Fenster. Er verträgt keinen Zug.

»Wir warten noch auf Staatsanwalt Sprotte, Kollege Benedict«, sagt der Leitende, nachdem Benedict sich auf einen der freien Besuchersessel gesetzt hat.

Der nickt ergeben.

»Und woran arbeiten Sie gerade?« Der Polizeipräsident sieht ihn unter buschigen Augenbrauen fast abwesend an.

»Der Spritzer-Mord. Zusammen mit den Kollegen vom 2. K. Und dann haben wir natürlich die Sache im Aaper Wald, die ...« Er wird von Freudlos nervös unterbrochen. »Darüber sprechen wir nachher«, und mit vorsichtigem Seitenblick in Richtung des qualmenden Berges, »oder?«

»Ja, ja, ja. Ist schon in Ordnung«, murmelte das Karo unwillig.

»Und wie weit sind Sie mit Ihren Ermittlungen in dieser Sache?«, fragt er dann wieder in diesem merkwürdig uninteressierten Tonfall.

Bevor Benedict darauf hinweisen kann, dass die Inanspruchnahme seiner Leute sowohl während der >Großkampftage< in der vergangenen Woche als auch durch den toten Engländer und dessen deutsche Freundin die Ermittlungsroutine in der Spritzer-Sache aufgehalten hat, kommt ihm der Leitende von der Seite zu Hilfe.

»Auch das sollten wir besser in Zusammenhang mit den nachher zu klärenden Punkten besprechen!«

Die Gruppe um den Tisch herum versinkt daraufhin in abwartendes Schweigen. Dann beginnt der Polizeipräsident ein Gespräch über das Wahlergebnis des vergangenen Sonntags. Benedict klinkt sich aus. Er hat heute schon genug gehört. Irgendwas fehlt in diesem Raum. Außer frischer Luft. Während das Gespräch um ihn herum weiterplätschert, betrachtet er suchend den großen Raum. Was, zum Teufel, vermisst er hier? Ist doch ein ganz normales Büro. Natürlich mit gehobener Ausstattung. Der Dienststellung seines Benutzers entsprechend: Teppich, Besuchertisch mit sechs Sesseln, ein richtiger Konferenztisch mit zwölf Stühlen an der langen Längswand, eine auf Pappe gezogene Stadtkarte von Düsseldorf mit den eingezeichneten Grenzen der Schutzbereiche, ein wuchtiger Schreibtisch mit Kanzlersessel dahinter, Papierkorb, über dem gewaltigen Schreibmöbel vier alte Stiche, Düsseldorfer Stadtansichten, darüber die großkotzige Weltuhr, eine grünblättrige Pflanze lässt ihre frisch polierten Blätter hängen.

»Politik ist eben ein hartes Geschäft. Da haben Mimosen nichts zu suchen!«, hört er Freudlos’ dünne Stimme durch seine suchenden Gedanken hindurch. Mimosen. Natürlich! Das ist es. Hier fehlen frische Blumen! Die zarten Farben frischer Fresien oder wenigstens die kräftigen Farbflecke dicker Herbstastern. Komisch, dass ihm das erst heute auffällt. Auch in den anderen Diensträumen dieses Riesenbaus hat er noch nie frisch geschnittene Blumen gesehen. Zu Geburtstagen, ja. Die obligatorische Kollegensammlung nach der Jahresliste. Aber sonst. Morgen würde er sich einen Strauß bunter Blumen mitbringen und sie auf seinen Schreibtisch stellen. Ob es hier im Präsidium überhaupt eine Vase gibt? Ja, Blumen fehlen hier. »Bunte Blumen!«

»Wie bitte?«

Der Polizeipräsident, gerade im Begriff, sich ein neues Zigarillo aus der fast geleerten Schachtel zu nehmen, hält verdutzt inne. Auch der Leitende und Freudlos werfen Benedict verständnislose Blicke zu.

»Ähhh ...« Ehe Benedict eine Erklärung hervorzaubern kann, erlöst ihn der eintretende Staatsanwalt Eugen Sprotte mit einem alerten »Guten Morgen, meine Herren! Bitte um Entschuldigung, aber mein Gespräch mit Karlsruhe hat sich hingezogen!«

Die Herren entschuldigen - und warten, bis sich das hoffnungsvolle Talent deutscher Anklagekunst umständlich hingesetzt hat.

Der Polizeipräsident, dessen Blicke immer noch leicht verwirrt auf dem Hauptkommissar aus dem 1. K ruhen, nimmt sich nun doch sein nächstes Zigarillo und eröffnet die Runde. »Also, die Sache mit den Engländern. Vielleicht sollte der Kriminalrat die Angelegenheit mal für uns zusammenfassen.«

Der scheint nur darauf gewartet zu haben, er faltet die Hände voller Konzentration vor dem Gesicht, und zwar so, dass die Fingerkuppen seine Nasenspitze berühren. »Wir haben einen ermordeten englischen Armeeangehörigen unbekannter Identität. Der würde normalerweise in den Ermittlungsbereich der militärischen Polizeidienststelle fallen, also der Special Investigation Branch. Bei einem normalen Mordfall ...« Freudlos scheint zu stutzen. Hat er den Widerspruch erkannt? Dann fährt er aber hurtig fort: »Es gibt aber entscheidende Verdachtsmomente, die darauf hinweisen, dass der oder die Mörder der Provisorischen Irisch Republikanischen Armee angehören. In diesem Fall läge die Ermittlungsbefugnis in Händen der Generalbundesanwaltschaft in Karlsruhe und somit auch beim BKA. Hinzu kommt, dass es sich bei dem zweiten Opfer im Aaper Wald um eine Deutsche handelt. Hier fallen die Ermittlungen automatisch in den Verantwortungsbereich des Generalbundesanwalts. Allerdings ...«, wieder zögert der Leiter des 14. K. »allerdings werden sich die englischen Dienststellen kaum davon abhalten lassen, ihre eigenen Ermittlungen durchzuführen.«

»Wie wir ja bereits am Freitagnachmittag feststellen konnten!« Benedict kann sich seinen bissigen Kommentar nicht verkneifen. Freudlos versucht, schnell darüber hinwegzugehen, aber der Polizeipräsident fragt nach, und so schildert Benedict kurz die Umstände der Hausdurchsuchung bei der erschossenen Gabriele Bersch einschließlich des abschließenden Zusammentreffens mit diesem Engländer.

Nachdenklich nickt der Polizeipräsident mit dem schweren Kopf. Dann darf Freudlos weitermachen.

»Also, die Engländer mit der S.I.B. und dem IntCorps werden in jedem Fall parallel zu den deutschen Dienststellen ermitteln ...«

»Hoffentlich kommen wir uns da nicht ins Gehege«, wirft der Leitende Kriminaldirektor dazwischen.

»Das dürfte eine Sache der Koordination sein«, bemerkt der Kriminalrat mit den betenden Händen schnippisch.

»Bei militärischen Geheimdiensten?« So, wie Benedict das sagt, klingt es, als würde er sich nach dessen Geisteszustand erkundigen.

Pikiert verbirgt der Mann vom Politischen sein Gesicht weiter hinter den Dürer-Händen.

»Was ist nun das Ergebnis Ihrer Ausführungen?«, fragt der Polizeipräsident ungeduldig.

»In jedem Falle hat die Düsseldorfer Kripo mit der Sache Aaper Wald nichts mehr zu tun. Wir können davon ausgehen, dass die Generalbundesanwaltschaft diese Fälle an sich zieht und dann wohl mit den entsprechenden Dienststellen der Engländer koordiniert. Wir sind raus aus dem Fall. Oder stimmen Sie mir nicht zu?«, wendet er sich jetzt zu dem neben ihm sitzenden Staatsanwalt Sprotte.

Der sonnt sich in den Blicken der vier anderen, die auf ihm ruhen. Dann versucht er sich an einem Scherz. »Im Prinzip haben Sie recht, Herr Freudlos, wie Radio Eriwan zu antworten pflegt. Aber nur im Prinzip. Normalerweise würde die Generalbundesanwaltschaft den Fall an sich ziehen, aber«, und jetzt holt Sprotte einen kleinen Zettel aus der Brusttasche seines Jacketts, um von ihm etwas abzulesen, »aufgrund der besonderen Umstände dieses Falles sollen die Ermittlungen zwar unter der Verantwortlichkeit des Generalbundesanwalts laufen, die eigentliche Ermittlungsarbeit aber soll hier beim Düsseldorfer 1. K verbleiben und nicht über das BKA laufen. Dafür gibt es eine Reihe von Gründen ...«

»Moment mal, Moment mal!«, unterbricht ihn Kriminalrat Freudlos und fuchtelt verzweifelt mit den Händen in der Luft herum. »Habe ich Sie korrekt verstanden? Die Ermittlungen sollen hier beim 1. K bleiben? Nicht ans 14. gehen?«

»Ja, Sie haben mich korrekt verstanden!«

»Die Gründe! Sie wollten etwas über die Gründe sagen«, mahnt der Polizeipräsident.

»Bei meinem Telefonat mit der Generalbundesanwaltschaft habe ich den Eindruck gewonnen, dass das BKA zur Zeit kräftemäßig ziemlich unter Druck steht und dass andererseits die Engländer wohl einen gewissen Einfluss geltend gemacht haben, denn es wurde vom Generalbundesanwalt ausdrücklich auf die guten Kontakte verwiesen, die zwischen Hauptkommissar Benedict und bestimmten englischen Dienststellen bestehen, und auf die Wichtigkeit der Kenntnisse der lokalen Verhältnisse!«

Benedict starrt auf seine makellos geputzten Ballyschuhe hinunter.

»Und was heißt das im Klartext?«, fragt der Leitende sachlich nach.

»Nach dem jetzigen Stand der Dinge«, Sprottes Blick geht hoch zur Weltuhr, und wie an unsichtbaren Schnüren gezogen, sehen auch die anderen vier Augenpaare in die gleiche Richtung, »verbleiben die Ermittlungen in der Sache Aaper Wald beim 1. K der Kripo Düsseldorf unter Leitung von Hauptkommissar Vitus H. Benedict, in enger Abstimmung mit dem Generalbundesanwalt und Captain Hart von der S.I.B. Düsseldorf!«

»Und die Spritzer-Sache?«, fragt Benedict den Leitenden Kriminaldirektor skeptisch.

»Was schlagen Sie vor?«

Der Hauptkommissar nagt an seiner Unterlippe. Als der Polizeipräsident ungeduldig mit den Fingern auf der Tischplatte zu trommeln beginnt, meint er zögernd: »Vielleicht die Kommissarin? Leiden-Oster?«

Ein überraschter Blick des Leitenden Kriminaldirektors trifft den Hauptkommissar. »Sind Sie davon überzeugt?«

Verunsichert meint Benedict nach einer Weile: »Also dann ... Doemges. Und Leiden-Oster als Stellvertreterin. Und ein paar Leute von der Sitte als Experten!«

»In Ordnung, wenn Sie das sagen!«

»Wär’s das dann?«, fragt der Polizeipräsident mit einem nochmaligen Blick auf die große Uhr, die jetzt fast halb eins anzeigt. Benedict, Freudlos und der Leitende erheben sich aufatmend von ihren Sesseln, begierig nach frischer Luft.

»Nein. Noch nicht ganz!« Staatsanwalt Sprotte hat die Fluchtbewegung nicht mitgemacht, und jetzt lassen sich auch die anderen wieder enttäuscht zurück in die Sessel plumpsen. »Aufgrund der sehr realen Möglichkeit eines Anschlages seitens der IRA auf die Person des englischen Thronfolgers im hiesigen Gebiet werden Sie im Laufe des Nachmittags noch eine vertrauliche Ermittlungsanweisung des Generalbundesanwalts erhalten. Diese Anweisung wird nicht über das interne Telexnetz laufen, sondern durch einen persönlichen Kurier überbracht werden. Vom Inhalt der vertraulichen Anweisung dürfen nur die hier anwesenden Personen Kenntnis erhalten. Über den Inhalt ist Stillschweigen zu bewahren. Danke sehr!«

Verdattert sitzen die vier Polizeibeamten auf ihren Sesseln. Der Polizeipräsident schluckt und zuckt ärgerlich mit der linken Augenbraue. Ein starkes Stück! In seinem eigenen Zimmer zum Befehlsempfänger degradiert zu werden.

»Na ja«, sagt er dann aber lahm, »dann Glück auf und bis heute Nachmittag!«

In der Kantine des Präsidiums im Erdgeschoss ist es brechend voll, und Benedict ist gezwungen, sich zu Kommissarin Leiden-Oster an den Tisch zu setzen. Missmutig löffelt er in seinem Früchtejoghurt herum. Himbeeren. Bloß schnell weg hier. Die Kommissarin unterhält sich mit einer jungen Kriminalmeisterin aus dem 2. K. über den Erfolg einer weiblichen Terroristengruppe gegen ein großes Bekleidungsunternehmen mit Produktionsstätten in Südkorea. Bruchstückhaft hört der löffelnde Hauptkommissar die Worte >Rote Zora<, >Amazonen< und »sexistische Ausbeutung« über das Klappern von Bestecken und Tellern hinweg. Die chemische Milchspeise ist viel zu süß und klebrig. Er muss wieder an diese Warnung von Doc Lenzfried denken. Frauenmilizen. In Düsseldorf. Da muss Doemges sich mal drum kümmern. Vielleicht sollte man auch Zivilfahnder einsetzen.

»Natürlich kann man solche Aktionen aus polizeilicher Sicht nicht billigen!«

Dieser letzte Satz, den die Kommissarin Leiden-Oster überlaut ausspricht, ist eindeutig für ihn bestimmt. Vitus H. Benedict räuspert sich und steht hastig auf. Der leere Joghurtbecher nebst Löffel fällt auf den Fußboden. Von den interessierten Blicken mehrerer Kollegen verfolgt, hebt Benedict den Becher auf und wirft ihn in den Abfallbehälter. Was für ein Mahl!

»Ach so ist das«, meint Doemges dann trocken.

Kommissarin Leiden-Oster betrachtet stumm ihre mit farblosem Lack bepinselten Fingernägel.

»Ja, so ist das«, bestätigt Vitus H. Benedict. »Ab morgen werde ich mich mit Kommissar Läppert und den beiden Neumännern ausschließlich um die Sache Aaper Wald kümmern, und Sie beide führen die Ermittlungen in der Mordsache Brigitte Craatz! Leitung wie bisher bei Doemges.«

Läppert und die Neumann-Zwillinge machen einen zufriedenen Eindruck. Wegen der gespannten Atmosphäre in der >SpriKo< sind sie froh, den ständigen Auseinandersetzungen mit der Kölner Kollegin ausweichen zu können.

Doemges nimmt’s gelassen, aber alle starren jetzt auf die Kommissarin. Die macht gar keinen zufriedenen Eindruck. Sieht dann von ihren Fingernägeln auf. Der Blick der grauen Augen hinter den dicken Brillengläsern ist klar und nüchtern auf den Leiter des 1. K gerichtet. »Sie können meiner Personalakte entnehmen, dass ich im Kölner Präsidium Spezialistin für Vergewaltigungsdelikte war. Mit einer ausgezeichneten Erfolgsquote. Bitte geben Sie mir eine Begründung, warum meine Qualifikation nicht ausreicht, die Leitung der Craatz-Ermittlungen alleinverantwortlich zu übernehmen. Was spricht, dienstlich gesehen, für Kommissar Doemges, und was spricht gegen mich? Dienstlich gesehen!«

Die Worte der Kommissarin, nüchtern und sachlich in den Raum gesetzt, zeigen Wirkung.

Doemges presst die Lippen zusammen und starrt seine Kollegin von der Seite an. Die Neumann-Zwillinge sind bemüht, unbeteiligt aus dem großen Fenster zu sehen. Läppert steht schließlich von seinem Stuhl auf und sagt, mit dem Kopf den Zwillingen zunickend: »Wir sollten uns gleich noch mal mit der Aktenlage Aaper Wald vertraut machen. Damit wir für morgen vorbereitet sind!« Fluchtartig stolpern die drei Beamten aus dem stickigen Büro und schließen die Tür sehr fest hinter sich.

Benedicts Kieferknochen spielen unter der angespannten Gesichtshaut. Mit einer ärgerlichen Bewegung des rechten Zeigefingers schiebt er die auf die Nasenspitze gerutschte Brille wieder vor die Augen. Dann steht er auf und stellt sich vor das Fenster. Draußen gibt es nichts Ungewöhnliches. Nachmittagsverkehr auf der Lorettostraße. Er dreht sich wieder um, lehnt sich mit dem Rücken gegen die Fensterbank und verschränkt die Arme vor der Brust. Ja, Blumen müssten in diesen Raum.

»Es gibt keine dienstliche Begründung!«

»Also trauen Sie mir als Frau diese Leitungsaufgabe nicht zu?!«

Nachdenklich ruht der Blick des Hauptkommissars auf der aggressiven jungen Frau vor ihm. »Ich traue Frauen genauso viel zu wie Männern, oftmals sogar mehr als diesen!«

»Was ist es dann? Haben Sie etwas persönlich gegen mich?« Bevor Benedict darauf etwas erwidern kann, fährt die Kommissarin schon fort zu reden: »Die Ermittlungen in diesem besonderen Fall von Sexismus laufen doch ohnehin nur auf Sparflamme. Alle anderen Ermittlungen genießen doch höhere Priorität. Könnte das nicht daran liegen, dass die Untersuchung nur von Männern geführt wird?«

Doemges' Phlegmatismus scheint ernsthaft gefährdet. Er öffnet den Mund zu einer geharnischten Erwiderung, aber bevor er reden kann, gebietet ihm Benedict mit einer Handbewegung Ruhe. Die Kommissarin spricht weiter. »Und jetzt ziehen Sie sich auch noch aus den Ermittlungen raus. Das ist doch wie ein Signal an die Presse. Der Leiter des 1. K übergibt die Ermittlungen an seine Untergebenen! Er ist mit wichtigeren Angelegenheiten beauftragt!«

Auf dem hellen Gesicht der Frau mit der Hornbrille erscheinen hektische rote Flecke. Die letzten Worte waren mit vor Empörung scheppernder Stimme hervorgestoßen worden. Kommissarin Leiden-Oster wischt sich nervös eine Haarsträhne aus dem Gesicht. »Das zeigt der Öffentlichkeit doch ganz klar, dass dieser Fall nur von zweitrangigem Interesse für die Düsseldorfer Polizei ist. Geht ja auch nur um Frauen!«

Die aufgebrachte Beamtin erhebt sich von ihrem Stuhl. Schon im Stehen sagt sie zu den Männern gewandt: »Aber das kapieren Sie ja nicht. Sie meinen doch, dass jetzt Ruhe ist. Täuschen Sie sich bloß nicht. Nur weil seit dem Mord an Brigitte Craatz nichts mehr passiert ist!« Verbittert lässt sie die Mundwinkel fallen. »Ich rede hier ja doch gegen Wände.«

Die Stimme des immer noch am Fenster lehnenden Hauptkommissars ist leise, aber sehr bestimmt, als er sagt: »Würde es Ihnen etwas ausmachen, mir zumindest Gelegenheit zu geben, auf Ihren Angriff zu antworten, bevor Sie gehen?«

Zögernd nimmt Kommissarin Leiden-Oster wieder Platz.

»Ich will in diesem Moment davon absehen, dass in Ihren Vorhaltungen auch eine sehr persönliche Attacke auf den Kollegen Doemges enthalten war. Das müssen Sie nachher untereinander ausmachen. Wie ich Doemges kenne, wird das Ihre dienstliche Zusammenarbeit nicht beeinträchtigen. Ich stimme Ihrer Feststellung zu, dass die Ermittlungen in der >Spritzer-Sache< nicht richtig laufen. Nur, Ihre Schlussfolgerung, dass das daran liegt, dass die Ermittlungen von Männern geführt werden, die muss ich zurückweisen. Ihnen ist bekannt, mit wie viel zusätzlichen Aufgaben die Kripo Düsseldorf in der vergangenen Woche belastet war. Das alles hat zu einer gewissen Unübersichtlichkeit beim Gang der sonstigen Arbeiten in den Kommissariaten geführt. Mein eigener ... Ausstieg gerade in dem Moment, an dem ich die Ermittlungen endlich koordiniert führen wollte, ist auf höhere Weisung zurückzuführen, also nicht von mir beabsichtigt. Es ist nicht, wie Sie vermuten, ein Beweis für die Abwertung dieses speziellen Falles. - Abschließend noch Folgendes: ich werde heute Nachmittag Maßnahmen in die Wege leiten, die Ihre Befürchtungen hinsichtlich der Nachrangigkeit der >Spritzer<-Ermittlungen hoffentlich zerstreuen werden. Über diese Maßnahmen werde ich zum gegebenen Zeitpunkt auch die Düsseldorfer Presse informieren!«

Das mit dem Stempel »Vertraulich« markierte Kurierpapier des Generalbundesanwalts hat es in sich. Der Inhalt ist für die fünf Männer im Chef-Zimmer des Präsidiums ebenso ungewöhnlich wie eindeutig. Und er hat erneut Konsequenzen für die Ermittlungsroutine des 1. K: Angesichts des eindeutigen Zusammenhanges der beiden Erschießungen im Aaper Wald mit dem bevorstehenden Besuch des englischen Thronfolgers und zur Abwehr eines Anschlages auf dessen Leben wird ein spezielles Ermittlungsteam gebildet. Die Teamleitung erfolgt aus naheliegenden Gründen von Düsseldorf aus und liegt in Händen von Hauptkommissar Vitus H. Benedict, Kripo Düsseldorf. Die drei weiteren Mitglieder dieses Teams werden voraussichtlich aus Irland und England kommen. Angaben über diesen Personenkreis folgen, wenn vorliegend. Es soll sich dabei um Spezialisten aus der Anti-Terrorbekämpfung handeln, um Leute, die mit der Terrorszene auf beiden Seiten vertraut sind. Ihre Kenntnisse sollen den Zugriff deutscher Dienststellen vorbereiten. Zweck des Teams: 1. Feststellung, ob bereits ein Terrorkommando in der BRD eingetroffen ist, 2. Lokalisierung und Feststellung der Identität, 3. Verhinderung des Anschlages und 4. Festnahme. Die Zusammenarbeit des Teams auf bundesdeutschem Boden ist mit den zuständigen Regierungsstellen abgeklärt. Mit dem Eintreffen der Beamten aus England und Irland ist am kommenden Wochenende zu rechnen. Offizieller Arbeitsbeginn ist Montag, der 21. September, um 8 Uhr.

Das >Karo< schüttelt den Kopf. Die Sache passt ihm nicht. Das schmeckt so gar nicht nach richtiger Polizeiarbeit, aber Benedict sieht angesichts der verfahrenen Situation im 1. K erst mal das Positive. »Ist doch wunderbar, dann können wir Läppert und die Zwillinge noch mit an die >Spritzer<-Sache setzen. Wenn das neue Team zusätzliche Leute braucht, dann fordern wir sie einfach kurzfristig an!«

Der Leitende Kriminaldirektor schnaubt durch die Nase. Einfach so anfordern! Das würde organisatorische Probleme geben. Und die würden natürlich bei ihm hängenbleiben.

Staatsanwalt Sprotte freut sich. Er sitzt fett im Tümpel und ist seinem Ziel, die rote Robe in Karlsruhe zu tragen, ein gehöriges Stück nähergekommen. Mit bedeutungsvoller Miene lässt er das vertrauliche Papier herumgehen und sammelt Unterschriften.

Kriminalrat Freudlos hat seine Hände ausnahmsweise nicht vor der Nase gefaltet. Sie liegen reichlich nutzlos auf seinen Oberschenkeln. Für ihn gibt es hier keinen Anlass, seine Konzentrationsgebärde vorzuführen. Er ist außen vor. Aber unterschreiben darf schließlich auch er.

»Dann noch etwas!« Benedict schwimmt obenauf und erläutert dem Polizeipräsidenten den Stand der Dinge in der >Spritzer<-Sache im allgemeinen und die Befürchtungen der Kommissarin Leiden-Oster im besonderen.

»Ja. Und was schlagen Sie da vor?«, fragt das >Karo< ungeduldig.

»Ich möchte den Ermittlungen sowohl nach innen als auch nach außen einen neuen Schub geben. Gewissermaßen auch ein Signal setzen. Mit der Verstärkung durch Läppert und die Neumänner ist das ansatzweise schon geschehen, aber ...«

»Es ist jetzt fast neun Uhr abends, lieber Kollege. Können Sie zur Sache kommen!« Das >Karo< will endlich nach Hause.

Benedict reißt sich zusammen.

»Veranlassen Sie bitte bei der Fachhochschule Duisburg, dass Kriminalhauptmeister Ganser für einen Monat vom KD-Lehrgang abgestellt wird für ein lehrgangbegleitendes Praktikum beim 1. K Der könnte dann die >SpriKo< unterstützen. Das würde ich für sehr sinnvoll halten!« Anschließend zieht der Hauptkommissar seinen Kopf ein. Nein, es sind zwar leicht erstaunte, aber eben nur müde Blicke, die ihn treffen. Der Polizeipräsident hat auch keine Lust mehr und delegiert die Entscheidung an den Leitenden.

Und der sagt eine Entscheidung für morgen zu.

Spezial Krimi Koffer Juli 2021 - 9 Thriller auf 1500 Seiten

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