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3. Ille

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Jetzt lebe ich schon vier Jahre hier. In dieser Zeit ist es mir gut gegangen. Ich habe Freunde gewonnen und komme in der Schule gut zurecht. Nächstes Jahr werde ich das Abitur machen.

Ja, es waren schöne Zeiten dabei. Ein wunderbarer Sommermonat, der Juli des Jahres 1916. Heiß und trocken, so wie er schon seit Jahren nicht mehr war und sich eigentlich nur die Alten an eine solche Hitze erinnern konnten. Trotzdem ist das Land nicht verdörrt. Die hochgeschossenen Pappelbäume, die hier überall zwischen den Feldern wachsen, haben die Kraft das Grün ihrer Blätter zu halten. Wiesen und Felder stehen noch satt dar.

Landmeer bezeichnet meine Freundin Ille es, wenn die kurz vor der Ernte stehenden Halme der riesigen Felder sich im Wind wiegen und lange Wellen schlagen. Heute ist so ein Tag. Der Wind spielt mit den Pflanzen und treibt lange Wellen über das Land. Bei diesem Anblick erfasst mich Wehmut, kommen Gedanken in mir auf, die mich Nacht für Nacht begleiten und keine Ruhe finden lassen. Die Gedanken an meine Eltern. Ille hat ein Gefühl für meine Stimmungen entwickelt und lenkt mich geschickt und einfühlsam von meinen düsteren Gedanken ab.

»Schau nur Franz, die beiden Wolken, sie sehen aus als würden Feuer speiende Drachen aus ihnen hervorsteigen. Siehst du?«

»Ja Ille, sehe ich. Links davon läuft eine Spinne mit nur sieben Beinen.«

»Ja, schaurig!«

Wir liegen auf dem Rücken im hohen Gras und schauen den vorbeiziehenden Wolken hinterher. Das sind herrliche Stunden, die ich sehr genieße. Niemand hat mich je so verstanden, wie Ille es kann. Obwohl es hier nicht meine Heimat ist und ich meine Heimat und natürlich meine Familie sehr vermisse, geht es mir hier recht gut. Ille ist ein Grund dafür. Ihr richtiger Name ist Irmtrud. Sie ist die Tochter der Nachbarn meiner Tante.

Seit zwei kurzweiligen Jahren sind wir in jeder freien Minute zusammen. Auf dem Hof, auf den Feldern erkunden wir die Natur.

Ich denke an die wilden Familienfeste im Dorf. Offiziell waren wir, die Kinder nicht mit von der Partie. Aber es gab Zufälle. Es war eine Hochzeit, von der uns Ille Punsch und Schnaps mitgebracht hat. Es war köstlich! Aber nach der anfänglichen Hochstimmung kam der Absturz.

Der Schnaps ist uns gar nicht gut bekommen! Drei Tage waren wir anschließend krank. Niemand kam darauf, dass wir uns nur betrunken hatten. Alle bedauerten uns und glaubten wir hätten zu viel gegessen und uns den Magen verdorben. Da haben wir Glück gehabt.

In den letzten Tagen hat sich etwas geändert. Mein Herz klopft wild, wenn ich Ille nur sehe. Berühre ich sie, steigt mir das Blut in den Kopf und ich bekomme rote Wangen. Natürlich hat sie es bemerkt und neckt mich deswegen.

Die Zeit heilt alle Wunden und in den Tagen des Sommers 1916 war ich so glücklich wie noch nie. Aber nicht nur ich habe Änderungen erleben dürfen.

Die Zeiten haben sich geändert. Nicht zum Guten! Es ist Krieg und mir scheint es so, als wäre alles im Umbruch. Viele meiner Mitschüler haben sich bereits freiwillig zum Dienst mit der Waffe gemeldet. Die meisten sind sogar jünger, als ich es bin. Ich konnte mich noch nicht entscheiden. Wenn ich bei solchen Überlegungen an Tante Siegrid denke, bekomme ich ein schlechtes Gewissen. Wenn ich an Ille denke, bekomme ich Panik. Soll ich sie wirklich alleine lassen? In den letzten Wochen gab es vermehrt Berichte über viele Opfer an der Westfront. Unsere Lehrer sprechen von heroischen Taten, glorifizieren alle Toten zu Helden. Täglich nimmt der Druck auf uns, auf die verbliebenden jungen Männer, zu. Der Lehrkörper hat eigens eine Unterrichtsstunde für die freiwillige Meldung zum Kommiss einrichten müssen.

Geheimrat Dr. Ferdinand Gröber, Major a.D., hält eine Stunde lang einen feurigen Vortrag über Pflichten gegenüber dem Kaiser und dem Vaterland. Es werden Bilder gereicht. Die Helden an der Front sollen wir unterstützen und selber Held werden. Er führt aus: Es gibt nichts Schöneres, als den Heldentod zu sterben. Das müsste unser Ziel sein!

Jetzt gibt es kein Zurück mehr. Wer sich jetzt nicht meldet, wird verachtet und gehetzt. Das gilt auch für die Familie. Außerdem wird es nicht lange dauern, bis auch die letzten Schüler zum Dienst eingezogen werden. Ich habe mich nun auch gemeldet! Tante Sigried ist entsetzt, Ille furchtbar traurig.

Die gestohlene Jugend

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