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Drei


Was wäre bei der anderen Abzweigung passiert?

So schnell konnten sich Meinungen ändern. Hatte ich mich bei unserem Umzug noch geärgert, dass wir die freie Stelle in der Außenwand für das Tor zum Keller abkleben mussten, war ich heilfroh gewesen, dass wir dadurch abhauen konnten. Ganz ehrlich? Mich kotzten diese Verfolgungsjagden an.

»Einmal fliehen hätte heute gereicht.« Meine Worte klangen gehetzt und innerlich ärgerte ich mich, dass wir von Thessaloniki wegliefen, anstatt in die Stadt hinein. Ein bescheuerter Fehler. Leider hatte mich das Auftauchen des Kerls mit den türkisfarbenen Haaren durcheinandergebracht.

»Na ja, es ist nach Mitternacht.«

Meinte Daphne das ernst? Morgen war, wenn ich aufwachte.

Nun ja, wenn ich über die Schultern guckte und Türkistyp abdriften sah, erlaubte ich mir, ein wenig gelassener zu werden. Der Schreck saß tief. Wir waren nicht zum ersten Mal in einer Unterkunft von Fremden überraschen worden. Oft jagte uns einer weg, damit wir nicht zurückkamen, indessen besetzten die anderen das Versteck. Besser wurde es deswegen nicht und wann immer ich die ständig präsente Angst davor in mir spürte, erkannte ich, dass ich eben kein normales Leben hatte, sondern mein Geist rund um die Uhr in Alarm-bereitschaft war. Meine Existenz bestand aus täglichem Fliehen.

Es fiel mir zunehmend schwerer, den steilen Weg über die ausgetrockneten Hügel zu erklimmen, bis wir auch noch Oleander-sträuchern ausweichen und in Zickzacklinien zwischen Aleppo-Kiefern laufen mussten. Fabelhaft. Gleichzeitig klopfte die Umhängetasche, die ich geschnappt hatte, gegen meinen Oberschenkel, was das Laufen nicht vereinfachte.

Daphne bog scharf nach rechts ab. Ich tat es ihr nach, wodurch der Kies unter meinen Füßen kratzte. Wir tauchten in das Labyrinth des kleinen Waldes ein. Der Duft von Harz lag in der Luft.

Gerade wollte sich Erleichterung in mir breitmachen, als ein Wurfmesser an mir vorbeizischte und in einem Baum stecken blieb. Shit. Wie hatte er uns so rasch eingeholt?

»Margo! Alles okay?«

»Mhm.« Mehrere Tropfen Schweiß bahnten sich ihren Weg über mein Gesicht.

Daphne preschte vor. Zwischen mehreren ineinandergeschlun-genen Bäumen verschwand sie aus meinem Blickfeld. Der Gedanke, dass sie mich zurückließ, stachelte die Todesangst in mir an.

Wo war Daphne? Wie sollte ich überleben? Meine Sicht trübte sich. Der Wald verschwamm zu einem dunklen Albtraum. Gerade als ich dachte, meine Gefährtin verloren zu haben, packte mich jemand am Arm. Automatisch schlich ein Schrei meinen Hals hinauf. Eine Hand legte sich jedoch über meinen Mund, die mein Rufen unterdrückte. Zarte Haut, die nach Erde roch.

»Shht.« Es dauerte Sekunden, bis ich Daphnes Stimme identifizierte.

Binnen weniger Augenblicke legte sich eine drückende Stille um den Wald, die so laut in meinem Kopf dröhnte, dass ich nicht wusste, ob man sie nicht doch wahrnahm. Das Knacken eines Astes sowie das Rascheln mehrerer Blätter änderte das.

»Hättest du nicht mein Angebot annehmen und mit mir mitkommen können?«

Warum wollte er, dass ich mit ihm mitkam? Suchte er Frauen, die er verkaufen konnte? Neue Leute für seine Bande? Wieso nur ich?

Herzklopfen übertönte meine Gedanken. Ein Surren breitete sich in mir aus. Ich hörte nichts mehr. Bewegte ich mich auch nicht zu viel? Atmete ich zu laut? Immer stärker presste ich meine Lippen und meine Augen zusammen. Alles in mir spannte sich an. Meine Zähne biss ich so fest aufeinander, dass ich Angst hatte, meine Kiefer-knochen würden brechen.

Ein leichtes Ziehen an einer Haarsträhne versetzte mich in Aufruhr. War das Daphne? Was wollte sie sagen? Mist, ich wollte die Augen nicht aufmachen. Nochmal ein beherzteres Ziehen.

Okay. Ich öffnete meine Augen und sah zu Daphne. Sie deutete mit ihrem Kinn nach vorne. Langsam, ganz langsam, bewegte ich meinen Kopf in die Richtung. Nur einen Millimeter. Dann noch einen. Ich schluckte, aber die Spucke blieb mir im Hals stecken, als ich es auch erkannte. Meine Kehle schnürte sich zu.

Hunderte kleine Äste und Wurzeln schlichen sich in der Luft beinah lautlos auf uns zu. Sie schwebten näher in meine Richtung. Ein Ruck zuckte durch meinen Körper und ich wollte loslaufen. Daphne hielt mich. Bis ich erahnte, warum. Der Wald hatte uns eingemauert.

»Glaubt ihr, ihr könnt euch vor mir verstecken?«

Krächzend verbog sich das Pflanzenwerk. Ein kleiner Durchgang öffnete sich. Türkistyp schritt hindurch und nahm einen Zylinder ab. Einen Zylinder! Er musste ein Psychopath sein. Selbst sein Bart leuchtete türkis im Mondlicht.

Daphne ließ mich los. Es war ohnehin vorbei.

»Was willst du von uns?«

Meine Bewunderung für Daphne, dass sie noch sprechen konnte, schoss höher als jeder Aktienkurs.

Er schüttelte den Kopf. »Von dir will ich gar nichts, sondern von ihr.« Sein langer, dünner Zeigefinger deutete auf mich. Sein Fingernagel lief spitz zu.

Da mir die Worte im Halse stecken blieben, zeigte ich auch nochmal auf mich.

»Ja, genau.«

»Was willst du von Margo?«

»Margo. Na, ob das dein Name ist?«

Was meinte er? Woher wusste er, dass ich meinen richtigen Namen nicht kannte?

Was oder wer er auch war, ich ließ mich nicht verarschen. Eine Energie in mir köchelte, doch tief in dieser Energie erkannte ich Potenzial für mehr. Also schritt ich zu ihm vor, bis ich bei seinem Dolchfingernagel zum Halten kam.

»Was willst du?«

»Dass du mit mir kommst. In meinem Zuhause kann ich dir alles besser erklären.«

»Und wenn ich nicht will?« Abwehrend verschränkte ich meine Arme vor der Brust.

»Ohhh.« Zylindertyp betrachtete mich wie ein kleines Kind und schnippte mit den Fingern.

»Margo!« Daphnes Aufkreischen ließ alle Alarmglocken bei mir losschrillen.

Als ich mich umdrehte, schlang sich Wurzelwerk der Bäume aus dem Boden um sie, bis sie völlig eingewickelt war. Nur alles oberhalb ihrer Nase war frei. Sie konnte nichts sagen. Dafür schrien ihre Augen Panik.

Die köchelnde Energie in mir brodelte.

»Du willst mitkommen.« Er baute sich vor mir auf und wie er da stand, mindestens zwei Meter groß, spindeldürr und mit einem Grinsen auf den Lippen, das den Teufel erschaudern ließe, ahnte ich: Dieser Tag würde nicht friedvoll enden.

Etwas in mir ließ mich glühend heiß werden. Die Konturen meines Körpers wurden von Lichtpunkten eingerahmt. Sie pulsierten, färbten sich gelb, dann rosa, später lila, ehe sie mit mir verschmolzen und die Blätter um uns zu rascheln begannen. Sie stellten sich auf, versammelten sich, wirbelten wie ein Hurrikan um mich und erschufen einen Schutzwall. Meine Haare nahmen die Aufforderung des Blätter-strudels an und tanzten in der Mitternachtsmusik des Waldes.

Was geschah nur mit mir?

»Hübsch.« Erstaunt sah er sich um. »Nur leider wirkungslos.« Mit einem Kopfnicken erstarrten die Blätter und wiegten sich in der Luft in den Schlaf, ehe sie zu Boden glitten.

Er bekam, was er wollte, und umfasste mein Gesicht. »Du bist der Schlüssel.«

»Lass sie in Ruhe!«

Wer war das nun wieder? Rettung? Noch jemand Schlimmeres?

Bei der Stimme zuckte der Zylindertyp zurück. Seine Augen weiteten sich und Todesangst zeichnete sich in seiner Mimik ab. In Windes-eile wirbelten die Blätter und Äste auf, legten sich um ihn, bis er von ihnen umhüllt wurde.

»Zeig mir dein Gesicht.« Die Frauenstimme näherte sich uns. Sie stellte sich vor mich. Ihr Haar war zu einem Turm hochgesteckt. »Geht es dir zumindest okay?« Sie warf nur einen knappen Blick über die Schulter.

»Äh, ja, ich denke schon.«

»Wer bist du?« Sie näherte sich ihm. Unmöglich mit dieser Kutte und der Kapuze zu erkennen, wie die Frau aussah, außerdem spielte die Nacht ihr in die Karten.

Er wich zurück. Trotz ihrer Deckung wirkte es, als erkannte er sie.

»Hat er seinen Namen genannt?«

»Nein, nicht dass ich wüsste, oder Daphne?«

Ihre Augen straften mich mit einem bösen Blick. Oh, ja, sie konnte gerade nicht sprechen.

»Können Sie meiner Freundin helf-« Noch bevor ich meinen Satz beendet hatte, schnappte mich ein Ast, der meine Hand umklammerte, und zog mich seitlich weg.

Mein Kopf schlug gegen etwas Hartes. Schon wieder. Der Schmerz zog sich wie ein Blitz von oben bis unten. Langsam wurde meine Sicht Schwarz. Schon wieder.

»Liebes! Darf ich dich retten? Darf ich dich mit mir nehmen?«

Mitnehmen? Retten? Ich konnte keinen klaren Gedanken fassen.

Jammernde Geräusche drängten sich aus mir heraus. Angst schwoll in mir an. Lange konnte ich mein Bewusstsein nicht mehr aufrechterhalten, also musste ich mich beeilen.

»Sag! Sag es!«

Wie sollte ich in diesem Augenblick entscheiden, wie ich wählen sollte? Daphne war sonst der Kopf in diesen Dingen. Niemandem trauen. Mit dieser Devise lebte ich seit Jahren besser als früher, als ich naiv gedacht hatte, es gäbe nette Menschen.

»Ich brauche deine Erlaubnis.« Stimmfetzen flehten mich an und auch, wenn ich es bereute, kam ein unmissverständliches Geräusch aus mir: »Mhm.«

Nachdem ich ihre Frage bestätigt hatte, fraß mich die Dunkelheit mit Haut und Haar auf.

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