Читать книгу Lidwicc Island College of Floral Spells - Andreas Dutter - Страница 12

Was wäre ohne die Klippe passiert?

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Getrocknete Rosenblätter gemischt mit frisch gemähten Grashalmen. Diese Duftkombination kam mir als Erstes in den Sinn.

Nach und nach wachte mein Bewusstsein auf und die unendliche Schwärze, die mich in ihrem Nichts gefangen hielt, wurde weniger schwer. Ein Lichtstrahl inmitten der Dunkelheit. Trotzdem konnte ich nicht diesen einen Gedanken fassen, der mir sagte, warum ich schlief. Ich wusste, tief in mir steckte die Gewissheit dessen, was passiert war. Leider gelang es mir nicht, sie zu fassen.

Immer mehr Sinne erwachten. Ich fühlte, dass es feucht war. Meine innere Stimme taute auf. Das krächzende »Wach auf, du blöde Kuh«, hallte in meinem Kopf, erzielte nicht den gewünschten Effekt. Irgendetwas in mir hatte sich fest verschlossen, als wollte mich meine Seele vor etwas schützen.

»Margo!«

Daphnes Stimme? Daphne! Da war doch etwas.

Ich kniff die Augen fester zusammen. Der kleine Finger zuckte. Die Freude darüber hielt jedoch nicht lange, als ich merkte, wie die Migräne an meine Schläfen klopfte.

Abrupt kehrten all meine Kräfte in meinen Körper zurück und ich schreckte hoch. »Daphne!«

Die Helligkeit überraschte mich und es dauerte, bis meine Augen sich an die Umgebung gewöhnt hatten. Verschwommen erblickte ich Grün, Braun und andere bunte Farben.

War es nicht eben noch Nacht gewesen?

Mein Magen zog sich zusammen und die Hektik, die in mir einen Marathon lief, heizte mich auf. Was war hier los? Ich wollte Antworten. Ich rieb meine Augen, riss sie auf, zog die Lider mit den Fingern hoch. Ich wollte sehen. Ich wollte erkennen. Und ich wollte es jetzt.

Ein Garten? Ein Garten. Warum wachte ich in einem Garten auf?

Das konnte doch nur ein Scherz sein, oder? Hatte mich diese Frau hierhergebracht? Vorsichtig stand ich auf. Wohin ich meinen Kopf auch drehte, überall empfingen mich Bäume, Gras, Kletterpflanzen, die sich unter einer Kuppel aus milchigem, schmutzigem Glas als Decke durch den Garten schlängelten.

Ich stand vor einem weitläufigen Blumenfeld mit den verschiedensten Arten, einige, nein, viele, die ich noch nie zuvor gesehen hatte. Die Farbenpracht erschlug mich. Wie konnte ein Indoorgarten derart groß sein?

»Gefällt dir der Ursprungsgarten?«

Ich zuckte zusammen. Diese Nacht ließ einen lebensveränderten Geschmack zurück und doch hatte ich die Hoffnung, wieder in mein altes Leben zurückgleiten zu können.

»Wo bist du?« Die Stimme war überall und nirgends.

Langsam drehte ich mich um und tat, als verfolgte ich eine Spur von Gänseblümchen, während ich meine Hände knetete. Sie sollte nicht denken, dass ich nervös war.

»Weshalb so nervös?«

Verdammt.

»Bin ich nicht.« Kopfschüttelnd seufzte ich. Das brachte doch nichts. »Weil du mich entführt hast?«

»Entführt? Ich habe dich gerettet.« Ihre Stimme tauchte hinter mir auf.

Wie konnte das sein? Ich wandte mich zu ihr.

Der schwarze Umhang samt Kapuze auf dem Kopf passte nicht zum Bild des bunten Blumenfeldes.

»Wo ist meine Freundin?« Die Fragen explodierten in meinem Kopf und ich hatte keine Ahnung, wo ich anfangen, welches Thema ich verfolgen sollte.

Ihre Finger verhakten sich ineinander und sie hielt die Hände gelassen vor sich. »Ich weiß es nicht.«

Fältchen umgaben ihre Lippen, die ich durch den nach unten hin mehr transparent werdenden Schleier erkannte.

»Warum nicht?«

»Soll ich dich anlügen?« Dass sie so ruhig und gelassen sprach, ließ den Zorn in mir hochkochen.

Sie tat, als wäre nichts, und doch war so viel.

»Warum zeigst du dich mir nicht? Nimm deine Kapuze ab.«

Andächtig umfasste sie mit ihren dünnen Händen, deren Haut beinah durchsichtig war, die Kapuze und zog sie zurück. Darunter offenbarte sich mir nur der Schleier. Ein Schleier, der ab der Nase fast blickdicht war. Wollte die mich verarschen?

»Lady –«

»Callidora Poutachidou.«

Je ruhiger sie blieb, desto mehr geriet ich in Rage. Ich konnte nicht mehr an mich halten und begann, von links nach rechts hin- und herzulaufen. »Lady, ich …« Ja, was wollte ich überhaupt sagen? Ich strich mit meinen Fingern meine feuchten Haare zurück. »Lady Poutachidou. Ich will wieder nach Hause.«

»Du bist zu Hause.«

»In einem Garten?«

»Wäre das wirklich dein schlechtester Schlafplatz? Das ist doch nicht so. Außerdem habe an dem Morgen, an dem ich dich gerettet habe, gespürt, dass etwas in Thessaloniki nicht stimmt, wie eine Vorahnung. Okay, und eine Prise Tarotpflanzenhilfe. Bin extra mit der Limousine angereist. Zum Glück – so konnte ich rasch bei dir sein.« Wie eine Statue stand sie vor mir, während ich wie ein störrischer Esel im Kreis wanderte.

Ach, war sie das in der Limousine vor dem Hotel gewesen? Die musste ja Asche haben.

»Überheblichkeit mag ich nicht.« Mit meinem Zeigefinger fokussierte ich sie, ehe ich erneut kopfschüttelnd weiterlief.

»Wie hast du es geschafft, deinen magischen Fußabdruck zu verwischen?« Ihre Worte blieben ein Rätsel und ich verstand nichts.

»Meinen, was?«

»Okay, das habe ich mir gedacht.« Sie legte ihren Finger an ihr Kinn. »Trinken wir einen Lavendel-Baldrian Tee, der bringt dich runter.«

»Oh! Wohoho! Nein, nein. Ich trinke keine Tees mit dir.« Über das Wort Tees hängte ich mit den Fingern Gänsefüßchen dran. »Und dann wache ich in einem Folterkeller auf.«

Jetzt seufzte sie.

Nervte ich sie?

Ich, sie?

»Dann fangen wir von vorne an. Setz dich.« Callidora zeigte neben sich.

»In die feuchte Wiese?«

Sie verneinte. »Sieh genau hin.«

Zwei Bäume. Sollte ich auf den Baum klettern? Ich verstand die Welt nicht mehr. Bis sich etwas bewegte. Ein fragender Blick zu Callidora.

Die Äste der Eichen wuchsen. Sie streckten sich, bewegten sich schleifenförmig nach unten, bis ich erkannte, was dort geschah. Die Äste formten sich zu zwei Stühlen.

Callidora drehte ihre Handfläche nach oben und hob sie an. Gleichzeitig mit dieser Bewegung platzte der Boden zwischen den Aststühlen auf und ein Pilz in der Größe eines kleinen Bistrotisches zeigte sich.

»Setz dich.«

Ein Traum. O Mann. Das war’s. Ich blöde Kuh. Ich träumte noch. Meine Finger hatte ich in Zwickstellung gebracht. Während Callidora zu einem Stuhl schritt, näherte ich mich meinem Unterarm.

»Bitte zwick dich nicht und vergeude nicht noch mehr Zeit. Denkst du, das bringt dir etwas? Das ist doch nicht so.«

»Was? Ich …«

»Das Gras unter dir. Es überträgt deinen Herzschlag bis zu mir. Du hast diesen typischen, nervösen Träume ich?-Herzschlag.«

Das Gras? Es tat was?

Ich zwickte mich. »Au.«

»Siehst du.«

Fein, ich ließ mich auf das Spiel ein. Anders käme ich nicht weiter.

Vor dem Stuhl hielt ich an. Ob er mich aushalten würde? Ich zog eine ängstliche Grimasse, als ich mich auf die Stabilität des Stuhls verließ. Er knarrte etwas, blieb aber sonst heil.

»Also?«

»Also, was?« Diese Frau raubte mir den letzten Nerv.

»Du hast gesagt, wir fangen ganz von vorne an. Wo wäre das denn?«

»Ah, das meinst du. Du musst anfangen, dich deutlicher auszudrücken.« Ihre emotionslose Art trieb mich bis ans Ende meiner ohnehin schon kurzen Zündschnur.

»Ich gebe mich geschlagen. Bitte, hör auf mit diesem Herum-geeier. Erzähl mir, wer du bist, wo ich bin, was hier vor sich geht.«

Callidora, die mich an eine Nonne erinnerte, hob den Kopf leicht an, badete ihr Gesicht im Sonnenstrahl, der durch die mit Ornamenten verzierte Glasdecke hindurchschien. »Ich bin die Leiterin des Lidwicc Island College für Pflanzenmagie. Callidora Poutachidou. Und du – auch wenn du das nicht gefragt hast – bist eine von uns.«


Nach meiner Flucht sah ich mich in dem Gebäude um. Zwischen meinem Fingernagel und dem Abbild davon auf dem Spiegel blieb ein kleiner Spalt. Ein Trick einer Ex-Agentin, die aufgrund ihrer Paranoia auf der Straße gelandet und mir in Athen öfter über den Weg gelaufen war. Berührten sich Fingernagel und das Spiegelbild direkt, stand man vor einem Monitor oder einer Einwegscheibe, hinter der man beobachtet wurde, oder Ähnlichem. Niemand beäugte mich gerade.

Ich drehte mich um und rutschte mit dem Spiegel im Rücken zu Boden. Der goldene Rahmen drückte unangenehm gegen mich. Die Verwirrung schmerzte in meinem Kopf einen Hauch mehr als die Verzierung, weswegen ich nicht zur Seite rutschte.

Weglaufen stellte sich zwar nicht als die erwachsenste Lösung heraus, aber ich hatte es bei dieser Frau nicht mehr ausgehalten. Da es auch nur eine Tür aus diesem Kuppel-Garten in das Gebäude gab, war die Flucht kein großes Problem gewesen. Mir unterbewusst stets einen Plan zum Fliehen anzufertigen, zählte ich zu meinen besseren Eigenschaften. Komisch, dass sie mich nicht verfolgt hatte.

Pflanzenmagie? Alles klar. Kack Möchtegernnonne. Obwohl ich mir abgewöhnt hatte, mir mit den Händen ins Gesicht zu fassen – auf der Straße wusste man nie, in welche Bakterien und Viren man griff –, massierte ich meine Stirn, meine Augenlider, meine Wangen und hielt die Luft an.

Wo zum Teufel befand sich Daphne? Wie sollte ich das ohne sie überstehen?

Der Korridor glich der Unendlichkeit. Der lila Läufer, die dumpfen Lampen an der Wand, die Kletterpflanzen, alles wiederholte sich. Wohin ich auch blickte, verflochten sich Efeu, Blauregen, Kletter-rosen und Hopfen zu einem Zopf aus Pflanzen, die wirkten, als wuchsen sie mir hinterher. Und warum zum Teufel erkannte ich diese Pflanzenarten?

»Ich will doch nur hier raus. Mist, verdammter.«

Meine innere Unruhe zeigte sich an meinen Beinen. Das Zittern bekam ich nicht unter Kontrolle. Diese Stille machte mich noch nervöser. Mein Kopf auf meinen Knien, meine Haare, die um mich fielen. Alles war dunkel und ich hoffte, wenn ich hochsah, war ich wieder in unserem Versteck.

Ich stellte mir Daphne vor, wie sie die Nase hochzog – ich kannte niemanden, der sonst ganzjährig Schnupfen hatte – und sagte: »Wirst schon sehen, morgen scheint wieder die Sonne.«

Was gar nicht stimmen konnte, da sie das noch nie gesagt hatte, aber es wäre bestimmt schön. Wie ich ihre rostbraunen Augen vermisste.

Argh! Meine Gedanken waren so laut.

»Ich will raus.«

Ich richtete mich auf. Noch immer in diesem Korridor. Etwas hatte sich verändert. Die Kletterpflanzen vor mir bildeten neue Blätter und formierten sich zu einem Pfeilmuster. Es zeigte nach rechts.

Das war doch Quatsch.

»Ich geh dem doch nicht nach.«

Ich ging dem nach.

Was sollte ich auch sonst machen? Durchgeknallt war ich ohnehin bereits.

Das Flackern von Kerzen, die auf den goldenen Halterungen zusätzlich Licht gaben, malte Schatten an die Wand. Sie machten mir natürlich keine Angst. Okay. Vielleicht ein bisschen.

Meine Schritte beschleunigten sich, wodurch ich sie beinah verpasst hätte. Eine kleine Holztür. Wind zog durch das morsche Holz.

Rasch zog ich daran. Nichts. Ich drückte sie nach außen und sie öffnete sich. Die Frische umwirbelte mich und mein Verstand beruhigte sich. Die Luft tat gut. So gut. Endlich konnte ich nach draußen fliehen.

Meine Beine trugen mich nicht mehr lange vorwärts. Ich spürte, dass mein Gang holprig wurde. Öfter als es normal war, knickte mein rechter Fuß weg, der dank eines Treppensturzes beleidigt genug war.

Für meine Umgebung hatte ich gar keinen Blick mehr. Irgendwann bemerkte ich, dass ich wieder durch einen Wald eilte. Flashbacks von der Flucht mit Daphne schnürten mir die Kehle zu und ihr Gesicht vor meinen Augen brachte mich endgültig aus dem Konzept.

Als ich stürzte, landete ich sanft. Hatte sich das Gras verdichtet und mich aufgefangen? Das konnte doch nicht wahr sein, oder? Ich rollte mich auf den Rücken. Mitten auf einer Lichtung sah ich zur Sonne hoch. Das Licht brannte mir in den Augen, bis ich es nicht mehr aushielt und sie schloss.

Um mich herum hörte ich Geräusche. Wind, Geraschel und Wellen. Mit dem Meer in meiner Nähe fühlte ich mich nicht mehr ganz so allein. Nein, das stimmte nicht. Die Einsamkeit verschlang mich vollkommen. Seit Langem spürte ich das Verlorensein wieder extrem.

Niemandem durfte ich vertrauen. Denn sie alle verließen oder hintergingen mich früher oder später. Keinem konnte ich es erlauben, mir mit seinen Worten den Verstand zu verdrehen. Nicht einmal meinen eigenen Augen konnte ich mehr glauben. In welchem Wald auf der Welt gab es sonst einen Mix aus unzähligen Baumarten? Da stand eine Eiche neben einem Kirschblütenbaum, der sich neben einer Palme sonnte, und eine Schwarzpappel – woher kannte ich diese Namen? – gleich daneben.

Wieder mal stand, na ja, besser gesagt, lag ich völlig allein da. Allein und offenbar mit einem Gehirnschaden.

Daphne? Weg. Meine Familie? Nicht existent. Es gab nur noch mich.

Ich stieß ein jammerndes Geräusch aus, gefolgt von einem langen Seufzen. Meine Augen brannten, meine Nase kitzelte und ich spannte mich an.

»Komm schon.« Ich fächerte mir Luft in die Augen. »Komm! Weine!«

Nichts. Manchmal trübten Tränen meinen Blick, mehr nicht. Die Fähigkeit zu weinen. Wann hatte ich wandelndes Desaster auf zwei Beinen es verlernt, loszuheulen?

O Mann, ich brauchte dringend eine Therapie. Nur wann hätte ich mir die gönnen sollen? Der Therapieplatz der Straße lag genau dort. Auf der Straße, wenn man Betrunkenen seine Probleme anvertraute, von denen man wusste, sie hatten sie bis zum Morgengrauen vergessen.

Mein Gehirn spuckte die passende Erinnerung an meine letzte Heulsession aus. Unmittelbar danach verdrängte ich das Bild wieder. »Danke, Kopf. Ich wollte nicht wirklich eine Antwort darauf, wann ich zum letzten Mal geheult habe.«

»Margo, gib nicht auf.« Daphnes Flüstern sauste durch meine Ohren wie ein flüchtiger Windhauch.

Daphne sprach die Wahrheit. Allein durchstand ich Kämpfe, Fluchtversuche, Ohrfeigen und Schlimmeres. Trotzdem dauerte es ewig, bis ich wieder auf den Beinen war.

»Pflanzenmagie, Kapuzenfrauen und sich bewegende Äste, die Pfeile und Stühle formen, auch das schaffe ich. Und sei es nur, um Daphne zu finden.« Es laut auszusprechen, half mir, es zu meinem Mantra zu machen.

Ich folgte dem Ruf des Meeres. Die Wellengeräusche zogen mich magisch an. Die Zypressen ragten in die Luft, als kitzelten sie den Himmel. Überall der Geruch von salziger Meeresluft, Harz, Erde und Holz. Das Knacken der unterschiedlichsten Blätter unter mir begleitete mich, obwohl ich mir manchmal einbildete, ein Aua zu hören. Ich brauchte Schlaf. Schlaf und eine Flasche Ouzo.

Dass die Umgebung mit satten Farben und den Pflanzen glänzte, konnte ich nicht abstreiten, aber es genießen? Fehlanzeige.

Um mich fühlte sich alles vertraut und zugleich fremd an. Vor mir offenbarte sich eine Klippe. Nur noch ein paar Schritte bergauf und schon stand ich vor dem Abgrund.

Das Erste, woran ich dachte: Lidwicc Island College. Island.

Eine Insel.

Das Meer bewegte sich ruhig in seinem gewohnten Rhythmus, als wollte es mich beruhigen, begrüßen und in Sicherheit wiegen. So sehr ich auch versuchte, dieses Gefühl anzunehmen, irgendetwas passte nicht. Wirkte fehl am Platz. Nein, nicht ich. Etwas anderes. Vor mir. Dort schimmerte die Umgebung. Nicht immer. Manchmal. Wenn der Wind drehte und die Sonne auf eine bestimmte Stelle schien, flirrte ein beinah durchsichtiger Regenbogenschleier umher.

Sachte streckte ich meinen Arm aus, reckte mich weiter nach vorne und spreizte meine Finger. Nichts. Ein bisschen noch in die Richtung beugen. Nichts. Auf einem Fuß balancierend reckte ich mich dem Schein entgegen.

Gleich hatte ich es. Ein, zwei Zentimeter noch und … Mist! Ich verlor das Gleichgewicht.

»Ahhh!« Viel zu spät bemerkte ich, wie weit ich mich über die Klippe gebeugt hatte.

Ich kippte vorne über nach unten. Mit dem Kopf voraus.

Der Sturz passierte so plötzlich, dass mir mein nächster Schrei im Halse stecken blieb. Panik ließ mich um mich schlagen, nach dem Nichts greifen, in der Hoffnung, mich retten zu können.

Ich ging, wie ich gekommen war. Allein. Einsam. Mit einem Lächeln. Vielleicht sollte das mein Ende sein.

Die Felswand, an der ich vorbeiflog, bereitete mich auf mein Ende vor. Wie eine absichtlich platzierte Falle ragten spitze Steine aus dem Wasser hervor. Nach ein, zwei Augenblicken hörte ich mit dem Herumfuchteln auf. War es nicht besser? Hatte ich nicht seit Jahren auf mein Ende gewartet? Ein Ende von diesem schwarzen Loch der Einsamkeit in mir, das selbst Daphne nicht füllen konnte.

Ich schloss die Augen und wartete auf den Schluss, der meine Existenz zum Platzen brachte.

Wartete, wartete und wartete. Vorsichtig öffnete ich ein Auge in voller Erwartung, mich gleich aufgespießt wiederzufinden, während mich das Leben auslachte, dass ich noch nicht hinüber war. Doch was ich sah, brachte meinen Verstand erneut an die Schwelle des Durchdrehens.

Ich hing in der Luft. Kurz über dem Schlund der Felsenfalle, der mir mit seinen Steinspitzen entgegenlachte.

»O mein Gott.« Sofort blickte ich nach oben und erspähte eine Art Liane, die sich unbemerkt um meine Beine geschnürt und mich aufgefangen hatte.

Jemand lugte über den Rand der Klippe. »Sag mal, bist du bescheuert oder so?«

»Ja!«

»Wolltest du dich umbringen?«

»Nein. Wollte mir die Felsen genauer angucken.«

»Aha, na dann. Tschüss.« Der Kopf verschwand. Er haute einfach ab.

»Hey!«

Grinsend tauchte er wieder in meinem Blickfeld auf. »Na, Schiss?«

Ja! »Nein. Zieh mich hoch.«

»Was bekomme ich dafür?«

Die Sonne glänzte auf seinen platinblonden Haaren.

»Me douléveis

»Ich will dich nicht verarschen. Auf der Welt bekommt man nichts geschenkt.« Er legte den Kopf schief. »Hol dich doch selbst hoch. Oder kannst du das nicht?«

»Ich habe nie Seilklettern mit Panikattacke gehabt in der Schule.« Die Schule, in der ich nie gewesen war.

Schweiß tropfte von meiner Nasenspitze und meiner Stirn. Er vermischte sich mit dem Meer. Die Hitze um mich und in mir verschlimmerte die momentane Situation, weswegen es mir schwerfiel, ruhig genug zu bleiben.

»Also?« Der Kerl meinte es ernst.

Fieberhaft überlegte ich, was ich zum Tausch bieten konnte. Was mir in meiner Situation nicht so leichtfiel. Etwas löste sich unter meinem Shirt und purzelte auf meine Nase. Meine Kette.

»Ich habe eine besondere Kette für dich.«

Ruckartig sackte ich nach unten.

»Langweilig.«

»Soll ich für dich kochen?« Musste ja niemand wissen, dass ich keine Spitzenköchin war.

Zack. Wieder weiter unten. Ein hoher Schrei stahl sich aus meinem Mund. Das brachte nichts. Ich musste mir etwas überlegen. Okay, ich tat mal so, als wäre diese Magiekacke real. Dann musste es etwas Außergewöhnliches sein.

Ah!

»Ich stelle dich einem Gott vor.« Hastig kniff ich die Augen zusammen.

»Welchem?«

»Georgios Kioskious.«

Schleppend schaffte ich es wieder nach oben. Bevor ich die rettende Klippe erreicht hatte, raste die Liane, an der ich hing, wieder nach unten. Jeder Mucks, den ich hätte machen können, verlor sich in meinem Schockzustand. Als ich die spitzen Felsen schon in mir ahnte, stoppte ich abermals und es schleuderte mich vor. Zuvor hätte ich nicht gedacht, noch mehr Panik empfinden zu können, aber als mein Sicherheitsseil sich von mir löste, brach das blanke Entsetzen in mir aus. Viel zu spät erst merkte ich, dass ich über die Felsen hinweg geworfen wurde und im Wasser landete.

Salziges Nass drang in meine Nase ein und spülte mich durch. Wie ich dieses Gefühl hasste. Meine Schleimhäute brannten und mir fiel es schwer, mich zu orientieren.

Nach und nach beruhigte ich mich, schloss meine Augen und zwang mich, einen kühlen Kopf zu bewahren. Meine Lider öffneten sich und die schaumigen Bläschen um mich lösten sich auf.

Dieser Kerl hatte mich ins Meer geworfen. Einfach so! Der Zorn in mir verlieh mir einen Düsenantrieb und schneller als mir lieb war, kam ich an die Oberfläche. Tiefes Einatmen wurde von einem Hustenanfall abgelöst.

»Du hättest dein Gesicht sehen müssen.« Seine freche, strolchige Stimme ließ mich nicht los.

»Du hast sie doch nicht mehr alle, du Arsch!«

»Ich habe dir das Leben gerettet.«

Leider hatte er irgendwie recht.

»Kannst du mich hochholen?«

»Was bist du denn für eine? Bist du eine áchristi mageía? So eine ohne Magie brauchen wir hier nicht.«

Wieder so sinnloses Geschwafel.

»Keine Ahnung, vielleicht? Holst du mich rauf?«

»Was bekomme ich dafür?«

Meine Hände ballte ich zu Fäusten und strampelte voller Wut, sodass ich bald nicht nur oben schwamm, sondern selbst hochfliegen würde.

»Vergiss es!«

Lidwicc Island College of Floral Spells

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